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Kommissar Sören Grießler ist nicht begeistert, als man ihn zur Reha schickt. Und dann auch noch eine psychosomatische Reha. Er weiß, was das bedeutet: Achtsamkeit, Meditation und Stuhlkreis. Was er nicht weiß: der Job holt ihn auch in dieser geschützten Umgebung ein. Ein schrecklicher Mord geschieht und das direkt vor seinen Augen. Soll er sich in die Ermittlung einmischen oder die Füße stillhalten? Die Bademantel-Gang nimmt ihm diese Entscheidung ab.
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Seitenzahl: 262
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Dieses Buch widme ich meiner Bademantel Gang: Christiane, Steffi, Grazyna und Marion sowie dem gesamten Team der besten Reha-Klinik, die es vor den Toren Berlins gibt. Danke Herr Andrees!
Dieses Buch ist ein Ableger der Magdeburger-Krimi-Reihe. Mit ihr erhält Kommissar Grießler seine eigene Geschichte. Während Kommissar Winkler in Magdeburg einen kniffligen Fall mit drei unbekannten Toten zu tun hat, ist Kommissar Grießler in der Reha Klinik Rosenburg auf sich allein gestellt. Unfreiwillig wird er durch die Bademantel-Gang in die Morduntersuchung mit hineingezogen.
Sylvie Braesi
Geboren 1960 und aufgewachsen in Magdeburg. Sie hat eine Ausbildung als Heimerzieherin und war u.a. in der Erwachsenenbildung sowie als Kabarettistin tätig. Mit dem Schreiben begann sie 2015 als Selfpublisherin. Ihre Bücher stellt sie gern persönlich auf Lesungen vor.
Die Manhattan Trilogie
Manhattan Tenderloin
Manhattan Tenderloin – Die Jagd geht weiter
Manhattan Revenge
Die Magdeburg Krimi Reihe – Winkler ermittelt
Horror Vacui
Malum Concilium
Magdeburger Mord(s)geschichten
S. Braesi & A.W. Benedict
Alle Bücher sind als Taschenbuch und E-Book erhältlich
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Kapitel Sechzehn
Kapitel Siebzehn
Kapitel Achtzehn
Kapitel Neunzehn
Kapitel Zwanzig
Grießler saß im Wintergarten und starrte aus den großen Fenstern auf die kahlen Bäume und Sträucher des Außengeländes.
Jetzt war er schon zwei Wochen im Reha-Zentrum Rosenburg.
Die Zeit verging wie im Flug. Kein Wunder, jeder Tag war gut gefüllt mit Behandlungen und Therapien.
Gerade war er aus seinem Einzelgespräch mit seinem Therapeuten, Herrn Andrees, gekommen. Es war ihr erstes Gespräch zu den Geschehnissen im Sommer des letzten Jahres gewesen und Grießler war innerlich total aufgewühlt.
Erschöpft hatte er sich in den Wintergarten gesetzt.
Dies war der einzige Ort in der Klinik, an dem man um diese Zeit kaum jemanden antraf, abgesehen vom eigenen Zimmer. Doch dort wollte er jetzt nicht sein.
Der Wintergarten bot mit seinen Rattan-Sitzecken viel mehr Bequemlichkeit.
Trotz der Nachbarschaft zur Empfangshalle, in der es immer geschäftig zuging, war dies ein ruhiger Rückzugsort. Man konnte allein sein und war doch nicht einsam.
Vorsichtig nahm Grießler einen kleinen Schluck aus seiner Wasserflasche.
Der Zwischenfall in der Johanniskirche lag schon über ein halbes Jahr zurück, trotzdem fielen ihm das Essen und auch das Trinken immer noch schwer. Die Wunde am Hals war sehr gut verheilt, die seelische Verletzung dagegen verursachte nach wie vor Schmerzen.
Aufgewühlt durch das Gespräch mit seinem Therapeuten, konnte Grießler nicht verhindern, dass seine Gedanken abschweiften, zurück zu jenem schicksalhaften Tag und seinem Zusammentreffen mit einem Mörder.
Zum Ende der aufreibenden Jagd nach dem Mörder Ostenberg war Grießler ihm schließlich in der Kirchengruft zu nahegekommen und das hätte ihn beinahe das Leben gekostet.
Ostenberg griff ihn an und verletzte ihn mit einem Kehlschnitt schwer. Nur der zufälligen Anwesenheit eines Notarztes war es zu verdanken gewesen, dass er die Attacke überlebte.
Grießler selber konnte sich kaum an den Angriff und alles was danach passierte, erinnern. Er wusste nur aus den Erzählungen seiner Kollegen, dass es ihm irgendwie gelungen war, über die Treppe aus dem Untergeschoss nach oben zu kommen, wo man ihn zum Glück entdeckte.
Kriminaltechnikerin Susanne Uhlmann hatte Erste Hilfe geleistet, bis der Notarzt ihm noch vor Ort das Leben rettete.
Was Grießler lange nicht verstand, war die Bemerkung von Lars Ole Pasold, seinem Partner, dass er der Uhlmann nun ein Kleid schulden würde.
Sie selber redete nicht darüber.
Als sie ihn besuchen kam, hatte sie nur lange an seinem Bett gesessen, seine Hand gehalten und geweint. Worte waren nicht gefallen. Keiner von beiden hatte sprechen können, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Wenn Grießler heute an das Krankenhaus zurückdachte, war es vor allem die scheinbar schleichende Zeit, die ihm als erstes einfiel.
Alles war wie in Zeitlupe an ihm vorbeigezogen. Das lag wohl aber auch an den starken Schmerzmitteln, die er anfangs bekommen hatte. Nur langsam hatte sich eine Verbesserung seines Zustands eingestellt.
Viele Dinge brauchten damals ihre Zeit, bis sie wieder zu einem Teil seines Lebens wurden.
Selbstverständlichkeiten wie Atmen und Sprechen musste er neu erlernen. Auch wenn er von den Ärzten und Schwestern zu hören bekam, wie viel besser es täglich wurde, ihm war es schwergefallen, das zu erkennen.
Die ersten Schritte durch das Krankenzimmer waren eine solche Qual gewesen, dass er schon befürchtet hatte, das Krankenhaus nicht auf eigenen Beinen verlassen zu können.
Die Besuche von den Kollegen waren ihm eine willkommene Abwechslung im Klinikalltag gewesen.
Am häufigsten hatte Pasold reingeschaut. Das Thema Johanniskirche hatten aber alle strikt vermieden.
Sein Chef, Winkler, war erst nach zwei Wochen aufgetaucht. Auch er verlor kein Wort darüber. Hatte seinen verspäteten Krankenbesuch mit zu viel Arbeit entschuldigt. Doch Grießler wusste natürlich, dass es sein Schuldgefühl gewesen war, welches ihn davon abgehalten hatte, eher zu kommen.
Grießler gab ihm keine Schuld an dem Zwischenfall, das machte Winkler selber. Doch damit musste er allein klarkommen. Grießler konnte ihm dabei nicht helfen.
Es war bei diesem einen Besuch von Winkler geblieben.
Dann war es endlich soweit gewesen.
Grießler konnte das Krankenhaus verlassen und natürlich auf seinen eigenen Beinen.
Von da aus ging es sofort zur ersten Reha, wo man sich hauptsächlich um seine körperlichen Beschwerden kümmerte. Doch schon da gab es eine Psychologin, die mit ihm über seine psychischen Wunden reden wollte.
Grießler hatte sich innerlich gesträubt, alles als unwesentlich abgetan und die Frau nicht an sich herangelassen.
Es ginge ihm gut und er wolle so schnell wie möglich wieder arbeiten gehen, war alles, was die Psychologin von ihm zu hören bekam.
Nach vier Wochen war er wieder nachhause gefahren und hatte sich auf seinen schrittweisen Wiedereinstieg vorbereitet.
Dann waren die Alpträume gekommen.
Jetzt war er hier, im Reha-Zentrum Rosenburg, am Rand von Berlin.
Schon wieder eine Reha.
Nur diesmal war es eine, wie es so schön hieß, psychosomatische Therapie zur Traumabewältigung.
Anfangs hatte er sich dagegen gewehrt, noch eine Reha zu machen. Es war seine Frau Billy gewesen, die ihn schließlich mit dem einzigen Argument überzeugt hatte, gegen das er machtlos war: Tränen.
Die erste Woche brauchte er, um anzukommen. Jetzt, in der zweiten Woche, begann er zu verstehen, wieso er hier war. Er musste lernen, mit dem, was passiert war, umzugehen und sich der Frage stellen, wie es nun weitergehen sollte.
Würde er in den Job zurückkehren oder nicht?
Grießler schaute auf.
Ein Mann ließ sich auf dem anderen Zweisitzer nieder. Sie tauschten einen kurzen Gruß aus, bevor der Mann sich in sein Buch vertiefte.
Die Distanz zwischen ihnen machte eine Unterhaltung gerade noch möglich, aber nicht unbedingt nötig.
Grießler versuchte sich an den Namen des Mannes zu erinnern, Berufskrankheit.
Jochen, nein Jürgen irgendwas. Der Nachname fiel ihm gerade nicht ein, aber das war egal. Man duzte sich ohnehin.
Jürgen war aus seiner Basisgruppe, hatte also am selben Tag wie er mit der Reha begonnen.
Grießler fand ihn ziemlich ernst und in sich gekehrt, fast ein bisschen grüblerisch. Er redete kaum mit anderen Patienten und schien immer irgendwie in Gedanken versunken zu sein.
Das dunkle Brillengestell und der Schal, den er stets eng um den Hals geschlungen trug, verstärkten den Eindruck des introvertierten Intellektuellen noch mehr.
Grießler warf einen Blick auf das Buch in Jürgens Händen.
Der Titel deutete auf einen psychotherapeutischen Inhalt hin. Das passte ins Bild.
Wahrscheinlich hatte sich Jürgen zu ihm gesetzt, weil er sich sicher war, nicht von ihm vollgequatscht zu werden.
Das war Grießler nur recht.
Er wollte auch nicht quatschen. Die meisten Patienten führten ohnehin nur pseudotherapeutische Gespräche miteinander. Das ging ihm manchmal schon ganz schön auf die Nerven.
Unbewusst machte er einen tiefen Atemzug und das Ausatmen klang wie ein Seufzen.
Jürgen sah auf und fragte leise: „Alles in Ordnung?“
Grießler winkte ab und entgegnete: „Einzelgespräch.“
Sein Gegenüber nickte verstehend und widmete sich wieder seiner Lektüre.
Das war mal ein Männergespräch, fand Grießler, kurz und knapp und völlig ausreichend.
Allerdings reichten die wenigen Worte, um ihn an das gerade geführte Gespräch mit seinem Bezugstherapeuten zu erinnern. Darauf hätte er gern verzichtet.
Zum ersten Mal überhaupt hatte er mit leisen, zögerlichen Worten über die Messerattacke gesprochen.
Obwohl das Ganze damals nur Sekunden gedauert hatte, brauchte er fast dreißig Minuten, um das zu beschreiben, was immer wieder in seiner Erinnerung und in seinen Alpträumen auftauchte.
Oft hing er an einer Stelle fest, wenn die Gedanken kamen.
Das war der Moment, an dem das Messer vor seinem Gesicht aufblitzte. Diesen Augenblick durchlebte er immer und immer wieder.
Ein Anflug von Panik überkam ihn.
Atme! Ein, aus, ein, aus, ein, aus.
War es wirklich so gut, immer wieder darüber zu reden?
Das war doch so, als würde man das Pflaster, was man gerade auf die Wunde gemacht hatte, gleich wieder abreißen. Auf diese Weise würde diese Wunde doch nie heilen können.
Was hatte Andrees dazu gesagt?
Ein Verband muss auch mal gewechselt werden.
Der hatte gut reden, seine Wunde war es ja nicht.
Aber Grießler wollte nicht ungerecht sein. Andrees war sicher ein guter Therapeut und wusste, was er tat und sagte. Das hörte Grießler jedenfalls aus den Gesprächen anderer Patienten heraus, die ebenfalls von ihm betreut wurden.
Billy hatte es gestern bei ihrem abendlichen Telefonat in ihrer direkten Art auf den Punkt gebracht. Sie hatte gesagt:
„Wenn es helfen soll, muss es erst mal wehtun. Und wenn du dich dagegen sträubst, bringt es gar nichts. Dann hättest du auch gleich zuhause bleiben können.“
Seine Billy. Die war schon ein Schatz.
Wenn er daran dachte, was sie seinetwegen in den letzten Monaten alles durchgemacht hatte, bekam er gleich wieder ein schlechtes Gewissen.
Ja, er würde das hier ernst nehmen. Und ja, er würde es aushalten, auch wenn es wehtat. Wenigstens konnte Ostenberg ihm nicht mehr gefährlich werden.
Grießler sah auf die Uhr.
Mittagszeit.
Er stand auf und wandte sich Jürgen zu.
„Ich geh’ essen, kommst du mit?“
Jürgen schüttelte den Kopf.
„Ich warte noch etwas. Ist noch zu voll.“
Damit hatte er sicher Recht, trotzdem wurde Grießler den Verdacht nicht los, dass Jürgen lieber allein blieb.
Dann eben nicht.
Er entdeckte drei bekannte Gesichter in der Schlange vor dem Speiseraum. Es waren Sandra Büchner, Gerti Ziegler und Marzena Mikulska-Kloss aus seiner Basisgruppe.
Sandra Büchner war die Kleinste in der Truppe und so etwas wie deren Mittelpunkt. Man sah sie nicht immer gleich, aber man hörte sie, was Grießler nicht störte, denn ihr Humor war sehr ansteckend. Sie kam aus einem kleinen Ort in der Nähe von Magdeburg, seiner Heimatstadt, und war Erzieherin.
In der Vorstellungsrunde der Basisgruppe hatte sie darüber gesprochen, wie schwer es ihr gefallen war, die Krankheit zu akzeptieren. Hinter ihr lagen eine Therapie und eine lange Zeit der Krankschreibung.
Beides hatte nicht geholfen.
Ihre ganze Hoffnung lag nun auf der Reha.
Gerti Ziegler war groß, sehr schlank und kam aus Görlitz.
Sie hatte sehr offen über die ständige Überbelastung auf der Arbeit geredet.
Die Beförderung zur Filialleiterin in einem Supermarkt vor drei Jahren, war bei ihrer Familie nicht nur auf Begeisterung gestoßen. Ihre Versuche, alles unter einen Hut zu bringen und jeden zufrieden zu stellen, hatten schließlich zu einem Zusammenbruch geführt.
Die Dritte im Bunde, Marzena Mikulska-Kloss, war gebürtige Polin, mit einem deutschen Mann verheiratet, lebte in Bremen und arbeitete als Krankenschwester in einer großen Klinik.
Mehr brauchte sie eigentlich nicht zu sagen.
Nun waren sie also hier, in diesem geschützten Raum, wo die Probleme vorerst in den Hintergrund rückten.
Grießler entschied, sich den Dreien anzuschließen. An deren Tisch ging es immer laut und lustig zu und er hoffte, dass ihn das auf andere Gedanken bringen würde.
Sandra winkte ihm schon zu, nach vorn zu kommen.
Vordrängeln war zwar nicht so sein Ding, aber hier nahm man das nicht so ernst.
Überhaupt lief hier alles ziemlich locker und entspannt ab.
„Was ist mit Jürgen?“, fragte Sandra und deutete in dessen Richtung.
„Der geht später essen“, murmelte Grießler.
„Wir sind ihm bestimmt zu lustig“, kam es von Gerti.
„Schade, würde ihm bestimmt guttun, mal zu lachen.“
Ihr herrlich sächsischer Dialekt brachte Grießler zum Schmunzeln.
Sandra warf einen letzten Blick auf den, in sein Buch vertieften, Jürgen und meinte leise: „Ein Lächeln würde schon reichen.“
„Was hast’e gesagt?“
„Ach nichts. Los, rück weiter und nimm Marzena mit. Die guckt schon wieder nach innen und verpasst den Anschluss.“
Es war Abend geworden und das bedeutete: keine Behandlungen mehr. Ruhiger war es deshalb aber nicht.
In den zwei Sporthallen wurde Federball oder Tischtennis gespielt, die Ausdauergeräte waren besetzt und in der kleinen Schwimmhalle nutzen ein paar Patienten die Möglichkeit zum freien Schwimmen.
Es waren, wie Grießler feststellte, die üblichen Verdächtigen, die gemächlich ihre Bahnen durch das Becken zogen.
Mit der Gemächlichkeit würde es aber gleich vorbei sein, denn Jan Spitzer betrat das Schwimmbad. Wenn er auftauchte, wurde es eng im Becken.
Spitzer war einer, der gern Aufmerksamkeit erregte und diese auch hartnäckig einforderte. Zum Beispiel war es ihm egal, dass das Becken nur 1,30 m Tiefe maß und nur für die Wassergymnastik gedacht war. Er sprang trotzdem gern vom Beckenrand.
Das Wasser war sein Element und darin ließ er sich von keinem abhalten. Nicht von seinen Ärzten und schon gar nicht von irgendwelchen Planschkühen.
Es kam Spitzer nicht in den Sinn, dass diese Bezeichnung eine Beleidigung gegenüber den Frauen darstellte.
In der Klinik gehörten sie fast alle dem älteren Semester an und passten eindeutig nicht in sein Beuteschema. Als Bewunderinnen waren sie allerdings immer noch gut genug.
Er schaute sich um, was heute so anwesend war und ein Anflug von Geringschätzigkeit erschien auf seinem Gesicht.
So wie an den meisten Abenden schwammen auch heute wieder dieselben Gestalten durchs 15 m lange Becken.
Mehr oder weniger elegant hielten sie die Köpfe über Wasser und strampelten gemächlich von einer Seite zur anderen.
Spitzer entdeckte zuerst die drei Frauen von der Bademantelgang, wie sie sich selber gern nannten. Sie gehörten eindeutig nicht zu seinen Fans.
Egal, die würde er gleich mal mit einer kräftigen Arschbombe begrüßen und ihnen klar machen, dass es jetzt mit der Gemütlichkeit vorbei war.
Als nächstes sah er Marlies und Gudrun, deren Bewunderung ihm sicher war. Sie winkten ihm zu und Spitzer schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln.
„Na Mädels, seid ihr bereit für etwas Wassergymnastik außer der Reihe?“
Im Stillen dachte er: Euch scheuche ich gleich mal durchs Becken.
Als letztes entdeckte Spitzer noch einen Mann. Das war so ein kleiner Dicker mit Halbglatze, also keine Konkurrenz für ihn. Den brauchte er nicht weiter zu beachten.
Seinen Körper mächtig in Szene setzend, schritt er die Länge des Beckens ab, warf Marlis aus seinem Fanclub ein paar, seiner Meinung nach, neckische Bemerkungen zu und nahm schließlich an einer Ecke Aufstellung. Die Arme in die Hüfte gestemmt und mit einem breiten Grinsen, fragte er herausfordernd in die Runde: „Darf ich springen?“
Natürlich wurde ihm das von keiner der anwesenden Frauen verweigert. Das trauten die sich nicht.
Planschkühe.
Spitzer wartete geduldig auf den passendsten Moment.
Erst als die Mehrzahl der Frauen wieder in seine Richtung schwamm, sprang er.
Ein lautes Klatschen ertönte und das Wasser spritzte nach allen Seiten.
Das gefiel ihm.
Marlies setzte ihr übertrieben vorwurfsvolles Gesicht auf und drohte spielerisch mit dem Finger.
„Entschuldigung!“, rief Spitzer lachend durch die Halle.
Mit kraftvollen Stößen tauchte er nun diagonal durch das Becken. Es war ihm ein Leichtes, von einer Ecke zur gegenüberliegenden zu kommen, ohne zwischendurch Luft holen zu müssen. Dass er dabei gelegentlich unter den anderen Schwimmern hindurchtauchte, ließ ihn kalt. Er nahm die verkniffenen Gesichter und die unwilligen Blicke einfach nicht wahr.
Ganz anders Grießler, er bemerkte die Reaktionen sehr wohl. Sie kamen von den drei Frauen aus seiner Basisgruppe, Sandra, Gerti und Marzena.
Die ersten abfälligen Bemerkungen ließen nicht lange auf sich warten.
„Morgen setze ich meine Brille zum Schwimmen auf, ich verpasse ja die ganze Show“, murmelte Sandra. Und Gerti erwiderte grinsend: „Ich warte darauf, dass er in dem flachen Wasser endlich mal einen Köpper macht.“
„So viel Glück haben wir nicht“, brummte Sandra verärgert. „Da müssten wir schon nachhelfen.“
Grießler hatte absolutes Verständnis für die Mädels. Auch ihm ging das Imponiergehabe dieses selbsternannten Alphamännchens gehörig auf die Ketten.
Das abendliche Schwimmen war etwas, auf das er sich wirklich sehr freute.
Diese Freude war seit dem Auftauchen von Spitzer vor ein paar Tagen, empfindlich gestört worden.
Wieder ertönte ein lautes Klatschen, diesmal ohne Ankündigung und die Schwimmer drehten erschrocken die Köpfe in die Richtung des Geräuschs.
Das hatte Spitzer gewollt.
Für genau diese Reaktion hatte er mit den Händen aufs Wasser geschlagen und nun, da alle Blicke auf ihn gerichtet waren, stemmte er sich schwungvoll aus dem Wasser und kam auf dem Beckenrand zum Sitzen.
Was für ein Selbstdarsteller, dachte Grießler missmutig.
Ehe er seine Bahn beendet hatte, war Spitzer schon wieder ins Wasser gesprungen. Zu fragen, hielt er inzwischen für überflüssig. Dafür erklang wieder sein selbstgefälliges „Entschuldigung“.
Ohne auf eine Reaktion zu warten, wandte sich der Übeltäter wieder seinen treuen Anhängerinnen zu.
Die heutige Lektion lautete wohl: Wie spritze ich effektiv und nachhaltig!
Er demonstrierte seinen beiden Groupies, welches die beste Technik dafür war und Marzena bekam den ganzen Schwall Wasser ab.
„Pass doch auf, Mann! Das ist mega unangenehm!“, rief sie, worauf Spitzer mit reumütiger Miene wieder zu seiner Lieblingsbemerkung ansetzte. Doch er kam nicht dazu.
Sandra war gerade bei Marzena angelangt und fauchte ihn an.
„Spar dir deine Entschuldigung für deinen Therapeuten auf. Der braucht sie dringender, wenn er mit sowas wie dir zu tun hat.“
Spitzer verschlug es für einen Moment die Sprache.
Hatte die Kuh das wirklich gesagt?
Er war es nicht gewohnt, Gegenwind zu kriegen. Im nächsten Moment entgegnete er mit gespieltem italienischem Dialekt: „Isch abe gar keinen Therapeuten.“
„Schade für dich, besser für die Therapeuten“, konterte Sandra augenblicklich.
Spitzer setzte eine übertrieben besorgte Miene auf, bevor er seine nächste Stichelei von sich gab.
„Hast du deine Entspannungstherapie heute verpasst oder warum bist du so aggressiv?“
Das, so hoffte er, würde diese Zicke endgültig zum Schweigen bringen. Sein Spruch bewirkte aber das Gegenteil bei Sandra.
„Findest du nicht, dass das Becken zu klein für dich ist?“, konterte sie trocken. „Dein großes Ego kann sich hier böse den Kopf stoßen.“
Spitzer machte einen Schritt auf Sandra zu und schaute verächtlich auf sie hinab.
„Geh du lieber ins Planschbecken, Kleine.“
Sandra hatte mit gerade mal 1,52 m wirklich etwas Mühe, ihren Kopf über Wasser zu halten. Das ging eigentlich nur, wenn sie auf Zehenspitzen stand.
Normalerweise war ihr ihre Größe egal. Sie konnte herzlich über entsprechende Anspielungen lachen, wenn sie von den Mädels kamen und nahm sich deswegen auch gern selber mal auf die Schippe. Spitzers Äußerung jedoch war etwas ganz anderes und sie hatte nicht die Absicht, ihm das durchgehen zu lassen.
Sie hatte schon eine passende Antwort auf der Zunge, doch da schaltete sich Grießler ein.
„Jetzt halt mal den Ball flach, Junge. Wie wär’s, wenn du dir jemanden aus deiner Gewichtsklasse zum Spielen suchst.“
Einen kurzen Moment musterte Spitzer seinen neuen Widersacher und schien zu überlegen, ob es sich lohnte, etwas zu sagen. Er entschied sich dagegen. Vielleicht weil er von Grießlers Beruf wusste oder ihn schreckte dessen Narbe am Hals ab.
Er drehte sich jedenfalls ohne ein Wort um und schwamm zum anderen Ende des Beckens.
„Geh selber planschen, du Opfer!“, brummte Sandra ihm nach. Ihre Stimme hatte einen gefährlichen Unterton, war aber so leise, dass es außer Grießler niemand hörte.
Für heute war ihnen das Schwimmen vergangen.
Grießler stieg langsam aus dem Becken, nahm den Bademantel vom Haken und ging auf die Umkleide zu.
Kurz vor der Tür drehte er sich noch mal um und sah, dass die drei Frauen es ihm gleichtaten.
Zurück blieben Marlies, Gudrun und Spitzer.
Eine halbe Stunde später schwamm nur noch Spitzer durchs Becken.
Seine beiden Anhängerinnen waren gegangen, natürlich nicht ohne ihn darauf hinzuweisen, dass er doch lieber rauskommen solle, wegen der Dreier-Regel im Schwimmbad.
Natürlich kannte er diese Regel.
Man durfte nur zu dritt schwimmen gehen, damit im Notfall einer Hilfe leisten und der andere Hilfe holen konnte.
Er fand das total übertrieben. Schließlich hatte er eine Ausbildung zum Rettungsschwimmer. Gut, das war schon ein paar Jahre her, vor seiner Erkrankung, doch was sollte ihm in diesem Nichtschwimmerbecken schon passieren.
Deshalb nahm er den Hinweis des Arztes, es mit dem Schwimmen nicht zu übertreiben, auch nicht so genau.
Spitzer pisste auf Regeln, vor allem wenn sie ihn einschränkten. Doch das sagte er natürlich nicht.
Freundlich winkte er den Frauen zu und rief: „Schon gut, da kommt gleich noch wer dazu.“
Sie glaubten ihm zwar nicht, zuckten aber nur mit den Schultern. Er war schließlich alt genug.
Laut prustend schwamm Spitzer durch das Becken. Jetzt hatte er es für sich allein.
Er tauchte hindurch, stemmte sich nach oben und ließ sich genüsslich wieder reinfallen. Das machte er ein paar Mal, ohne auf das zu achten, was ihn umgab.
So auf sich fokussiert, bemerkte er deshalb nicht, wie die Tür der Umkleide leise geöffnet wurde und sich jemand dem Becken näherte.
Erst bei der nächsten Wende erblickte er die Gestalt am Beckenrand. Langsam schwamm er auf sie zu.
„Was willst du denn hier? Willst du in den Klamotten schwimmen gehen?“
Er bekam keine Antwort.
„Auch gut, es gibt sowieso nichts mehr zu reden“, sagte er mehr zu sich, als zu der Person, die ihn mit ausdruckslosem Gesicht ansah.
Spitzer nahm einen tiefen Atemzug, drückte eine Taste auf seiner Taucheruhr und ließ sich nach unten sinken. Er konnte ziemlich lange die Luft anhalten. Vielleicht verstand die Arschgeige ja den Wink mit dem Zaunpfahl und war verschwunden, wenn er wiederauftauchte.
Gerade mal eine Minute war vergangen, als sich das Licht von oben immer mehr verdunkelte.
Sollte ihm das etwa Angst machen?
Sofort überkam ihn der Drang zu lachen, unter Wasser keine gute Idee.
Zum Lachen hätte er auch keinen Grund gehabt, denn etwas Schweres legte sich plötzlich auf seine Schultern und drückte ihn auf den Grund des Beckens.
Spitzer versuchte, mit den Händen nach dem zu greifen, was ihn unten hielt.
Es gelang ihm, etwas zu ertasten, aber nicht, es zu packen.
Er ahnte mehr als dass er wusste, was da auf seinen Schultern lastete und das ließ sein Blut gefrieren.
Eine Stange mit einem T-förmigen Ende war es. Er kannte das Ding, damit konnte man Sachen aus dem Becken fischen.
Scheiße! Diese Drecksau! Dich mach ich fertig!
Mit ein paar kräftigen Beinschlägen versuchte er, dem Klammergriff zu entkommen, vergeblich. Wenn er weiter weg vom Rand gewesen wäre, hätte er vielleicht eine Chance gehabt, aber so hielt die Stange ihn senkrecht nach unten gedrückt und alles Strampeln nützte nichts. Es kostete nur Kraft und Luft.
In seiner Verzweiflung wollte er sich mit den Händen von der Beckenwand abstoßen. Er lag aber so unglücklich, dass er nur eine Hand komplett gegen die Fliesen pressen konnte. Von der anderen Hand erreichten gerade mal die Fingerspitzen ihr Ziel.
Jetzt stieg Panik in ihm auf.
Er spürte, wie ihm die Luft ausging. Seine Lungen brannten wie Feuer. Das Dröhnen im Kopf wurde immer lauter. Der Drang, den Mund zu öffnen, war kaum noch zu unterdrücken.
Das Letzte was ihm einfiel, war, sich leblos zu stellen und zu hoffen, dass der Druck von oben nachließ. Alles was er brauchte, war ein einziger Augenblick.
Er ließ seinen Körper erschlaffen. Arme und Beine hörten auf zu zappeln und der Kopf sank herab.
Es war ein verzweifelter Versuch und er misslang. Bevor er aufgab und den Mund öffnete, hatte er sogar das Gefühl, dass der Druck sich noch verstärkte.
Von den Lippen nicht länger gehalten, strömte die wenige noch vorhandene Luft aus der Lunge. Die Blasen stiegen um seinen Kopf herum nach oben, um an der Wasseroberfläche zu zerplatzen.
Spitzer hätte noch mindestens zwei Minuten länger die Luft anhalten müssen, um zu spüren, wie die Stange von seinen Schultern genommen wurde. Aber das war ihm nicht mehr vergönnt.
Vom Druck der Stange befreit, trieb er langsam nach oben und seine Uhr zeigte durch ein Piepen das Ende des Tauchgangs an.
Vom Beckenrand sah die Gestalt immer noch mit ausdruckslosen Augen auf ihn herab, genoss die Stille des Schwimmbades und lächelte.
Die Stange kam zurück an ihren Platz, das Licht erlosch vollends und nach ein paar leisen Schritten war Spitzer wieder allein im Schwimmbad, endgültig.
Grießler schreckte hoch, wieder aus einem Alptraum.
Diesmal hatte er auf einer Trage im Rettungswagen gelegen und keine Luft bekommen. Doch das war nicht das Schlimmste gewesen. Niemand hatte sich um ihn gekümmert.
Sanitäter und Notarzt standen mit dem Rücken zu ihm und beachteten ihn nicht. Nur das Blaulicht warf sein kaltes, beängstigendes Licht auf ihn. Er wollte rufen, doch so sehr er sich auch anstrengte, es kam nur ein tonloses Krächzen aus seinem Mund.
Er würde ersticken, war der Gedanke, mit dem er schweißgebadet erwachte.
Nach ein paar schnellen Atemzügen realisierte er, wo er wirklich war: In seinem Zimmer, im Bett, in Sicherheit.
Gerade als er sich zu beruhigen begann, bemerkte er etwas, das erneut Panik in ihm aufsteigen ließ.
Durch sein Fenster drang ein blauer Lichtschein, genau wie der aus seinem Traum.
Instinktiv sah er auf die Uhr. Es war 5:27 Uhr.
Er ging zum Fenster.
Von dort konnte er den Haupteingang sehen. Und was er sah, kam ihm sehr vertraut vor.
Ein Rettungswagen mit Blaulicht stand vor der Tür zur Klinik und direkt dahinter noch zwei Streifenwagen.
Das ließ nichts Gutes erahnen.
Auch an den Fenstern gegenüber sah er nun, wie die ersten Gestalten auftauchten und neugierig die Köpfe reckten.
Immer mehr Fenster wurden hell. Ein solcher Aufmarsch an Polizei und Rettungskräften lockte natürlich Schaulustige an.
Die Klinikbewohner, deren Zimmer keine Sicht auf den Eingang bot, kamen in die Eingangshalle und standen in kleinen Gruppen heftig diskutierend herum.
Inzwischen schien die ganze Klinik munter zu sein.
Grießler wollte sich schon abwenden, als zwei weitere Fahrzeuge auftauchten, ein PKW und ein Kleintransporter.
Bei dem PKW vermutete Grießler, dass es sich um ein Zivilfahrzeug der Polizei handelte. Die Aufschrift des Transporters war indes eindeutig.
Da stand gut lesbar: Spurensicherung Brandenburg.
Grießler drehte sich vom Fenster weg.
Wenn die hier auftauchten, konnte das nur eins bedeuten:
Es war ein Verbrechen passiert.
Eine merkwürdige Unruhe erfasste ihn. Es war, als würde sein Verstand ganz automatisch beginnen zu arbeiten.
Etwas in ihm wurde durch beim Anblick des Polizeiaufgebots vor der Klinik in Gang gesetzt.
Etwas, das ihm in all den Jahren seiner Arbeit in Fleisch und Blut übergegangen war.
Er wusste nur zu gut, was jetzt da unten abging.
Er hörte die Anweisungen förmlich, so als würde er dabei sein. Nur dass er in diesem Fall eben nicht dabei war. Er gehörte nicht zu den Leuten da unten. Was da passierte, ging ihn nichts an.
Grießler schaute auf sein Bett. Noch mal hinlegen lohnte sich nicht mehr.
Er wollte gerade ins Bad verschwinden, als es an der Tür klopfte. Mit einem resignierenden Brummen sank sein Kopf auf die Brust. Sich schlafend zu stellen, machte wohl keinen Sinn. Also blieb ihm nichts weiter übrig, als die Tür zu öffnen.
Irgendwie hatte er schon so eine Ahnung, was jetzt kam und richtig.
Sandra und Gerti standen in hastig übergeworfenen Sportklamotten vor ihm und starrten ihn fassungslos an.
„Hast du etwa noch geschlafen?“, fragte Sandra leicht vorwurfsvoll.
Grießler sah an sich herab. Natürlich, er trug ja noch seinen Pyjama.
Bevor er etwas erwidern konnte, ergriff Gerti die Initiative.
„Du glaubst ja nicht, was passiert ist.“
„Was denn?“, fragte er halbherzig. „Ist Spitzer im Planschbecken ertrunken?“
Die Frauen fuhren erschrocken zurück.
„Du weißt es schon? Woher weißt du das denn schon?“
Gertis Stimme überschlug sich fast.
„Das war ein Scherz“, gab Grießler zurück, doch Gerti pumpte wie ein Maikäfer.
Sandra legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Beruhige dich, Gerti. Denk an deinen Blutdruck. Klar weiß er es schon. Hast du vergessen, dass er bei der Kripo ist?“
Grießler raufte sich innerlich die Haare. Hätte er doch bloß nichts gesagt, aber das war nicht zu vermeiden gewesen.
Schon beim ersten Stuhlkreis hatte es eine Vorstellungsrunde gegeben und damit war die Katze aus dem Sack gewesen. Grießlers Hoffnung, dass sein Beruf abschreckend wirken würde, hatte sich leider nicht erfüllt.
Im Gegenteil.
„Mädels, ich weiß gar nichts. Ich bin nämlich bei der Kripo Magdeburg und die ist in Brandenburg nicht zuständig. Also, was ist denn nun passiert?“
Sandra riss die Augen weit auf.
„Willst du uns verarschen? Du hast es doch eben selber gesagt. Spitzer ist ertrunken!“
Sein Scherz war keiner gewesen?
Grießler beschlich ein ungutes Gefühl. Wenn Spitzer wirklich ertrunken war, dann natürlich im Schwimmbad und das hieß, er und die Frauen gehörten zu denen, die ihn mit als Letzte gesehen hatten.
„Ich werde mich mal anziehen. Wir treffen uns unten in der Cafeteria.“
Gerti öffnete noch den Mund zu einer Erwiderung, doch Grießler schloss die Tür vor ihrer Nase und die Erwiderung blieb ungesagt.
Während er sich für den Tag fertigmachte, versuchte Grießler die sofort auftauchenden Gedanken fernzuhalten, doch das gelang ihm nicht besonders gut.
Spitzer und ertrunken?
Das war doch nicht möglich. Der Mann mochte ja seine Schwächen gehabt haben, aber nicht schwimmen zu können, gehörte eindeutig nicht dazu.
Dann fiel ihm etwas ein. In der Klinik gab es nicht nur eine psychosomatische Abteilung, sondern auch eine kardiologische und Spitzer war doch Patient auf der Kardiologie gewesen. Simpel ausgedrückt bedeutete das, dass er was am Herzen gehabt haben musste. Nun sah die Sache schon ganz anders aus.
Grießler schüttelte ärgerlich den Kopf.
Jetzt hatte er sich doch tatsächlich von den Mädels anstecken lassen. Wenn die glaubten, dass er sich da einmischen würde, dann hatten sie sich geirrt. Das würde er ihnen schon klar machen.
Nochmal, das ging ihn nichts an!
Die Brandenburger Kollegen hatten sicher alles im Griff und auf Einmischung, selbst von einem Kollegen, reagierte man überall nicht besonders freundlich.
Sandra und Gerti warteten nicht in der Cafeteria. Von dort konnte man nämlich nichts sehen. Sie standen am Fuß der Treppe in die Eingangshalle und Grießler stieß gerade zu ihnen, als eine Bahre mit einem Leichensack in Richtung Schwimmhalle gefahren wurde.
Direkt dahinter kamen die Leute von der Spurensicherung in ihren Ganzkörperanzügen.
Neben der Eingangstür entdeckte Grießler den Klinikchef, Dr. Wagner. Den kannte er bisher nur von Fotos, auf denen er stets freundlich und verbindlich lächelte. Von dem strahlenden Lächeln war jetzt nichts zu sehen.
Zwei Zivilbeamte traten gerade an ihn heran, wiesen sich aus und verschwanden mit ihm in Richtung Verwaltung.
Schon nach kurzer Zeit kam einer in Begleitung eines Arztes, dessen Name Grießler nicht einfiel, wieder zurück.
Beide durchschritten die Halle in dieselbe Richtung wie kurz zuvor die Kriminaltechniker.
Grießler fragte sich gerade, was er eigentlich hier unten wollte, als ihm jemand auf die Schulter tippte.
Es war Sandra.
„Willst du nicht mal hingehen und fragen?“
„Und was soll ich fragen? Wie spät es ist?“
Sandra war nicht beleidigt, eher belustigt.
„Ach komm schon, Sören. Es muss dich doch in den Fingern jucken.“
„Sandra, ich bin hier, weil es mich gerade nicht in den Fingern juckt, wenn ich sowas sehe.“
Sofort legte sich auf Sandras Gesicht dieser besorgte Ausdruck, den er schon einige Male bei ihr bemerkt hatte.
„Tut mir leid, Sören. Das war nicht so gemeint. Ich dachte nur … bist du denn gar nicht neugierig, was mit Spitzer passiert ist?“
„Das werden wir noch früh genug erfahren, befürchte ich.
Also ich brauch’ jetzt einen Kaffee.“