Mord in Teufels Küche - Sylvie Braesi - E-Book

Mord in Teufels Küche E-Book

Sylvie Braesi

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Beschreibung

Was passiert, wenn die Bademantel-Gang sich nach der Reha endlich wiedersieht? Was schon? Ein Mord! Sandra und ihre Freundinnen treffen sich für ein verlängertes Wochenende im mittelalterlich anmutenden Quedlinburg. Es soll ein launiges Wiedersehen mit alten Geschichten, Wanderungen entlang der Teufelsmauer sowie hohem Spaß- und Wellness-Faktor werden. Doch natürlich kommt alles ganz anders und irgendwann muss sogar Grießler eingreifen. Löst die Bademantel-Gang ihren zweiten Fall?

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Seitenzahl: 380

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Buch

Dieses Buch der zweite Band der Bademantel-Gang Krimi-Reihe. Aufs Neue werden Sandra Büchner und ihre Freundinnen in einen makabren Mordfall hineingezogen. Für Kommissar Grießler ist dies ein besonders schwere Ermittlung. Er muss einerseits einen Mörder finden und andererseits Sandra davon abhalten, sich wieder in die Ermittlung einzumischen. Es fragt sich, welches davon das schwierigere Unterfangen ist. Als dann noch ein weiterer Mord geschieht, entwickelt Sandra ihre eigene Theorie und gerät kurz darauf in Gefahr.

Sylvie Braesi

Geboren 1960 und aufgewachsen in Magdeburg. Die gelernte Heimerzieherin war u.a. als Kabarettistin und in der Erwachsenenbildung tätig. Mit dem Schreiben begann sie 2015 als Selfpublisherin.

Bisher erschienen sind:

Die Manhattan Trilogie

Historische Krimi Reihe

Die Magdeburg Krimi Reihe – Winkler ermittelt

Horror Vacui

Malum Concilium

Targeted - Anvisiert

Die Bademantel-Gang-Reihe

Mord mit Therapie

Alle Bücher sind als Taschenbuch und E-Book erhältlich

Inhaltsverzeichnis

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Zweiunddreißig

Epilog

Eins

Die idyllische Altstadt von Quedlinburg bot unzählige wunderschöne Fotomotive. Joachim Kutscher bummelte nun schon über eine Stunde durch die Gassen und hatte immer noch nicht genug. Jetzt, im Spätsommer, begann der Touristenstrom langsam abzuebben. Jedenfalls, wenn nicht gerade Ferien oder Wochenende war. Trotzdem musste er manches Mal minutenlang warten, bis er ein Foto machen konnte, ohne das fremde Personen ins Bild kamen und es versauten.

Gerade stand er vor einem engen Durchgang, der unter einem Haus hindurch auf einen Hof führte. Der Gang war nicht nur eng, er war auch düster und eigentlich wenig einladend. Doch das passte, denn auf diesem Weg kam man zum Vorhof zur Hölle, einem Hotel. Das rote Fachwerkhaus war hübsch, doch Kutscher hatte es auf ein anderes Motiv abgesehen. Er wollte ein Foto im Durchgang schießen. Durch den Lichteinfall von der Marktseite warf seine Gestalt einen langen Schatten auf den Boden, bis hin zum hellen Ende des Gangs. Durch das Spiel von Licht und Schatten bekam die Aufnahme einen mysteriösen Touch. Kutscher liebte solche Fotos. Wenn er denn endlich dazu kommen würde, es zu schießen.

Bis jetzt kamen ihm immer wieder Leute entgegen oder drängten von hinten an ihm vorbei. Er musste geschlagene zehn Minuten warten, bis er endlich ein paar Fotos schießen konnte. So lange hatte er nirgends warten müssen, nicht mal vor dem mit wildem Wein bewachsenen Rathaus. Endlich konnte er sein Foto machen. Mit der Ausbeute seines nachmittäglichen Stadtbummels war er sehr zufrieden. Jetzt noch ein paar atmosphärische Aufnahmen von der Teufelsmauer und er konnte für heute Schluss machen.

Zwischen Weddersleben und Neinstedt entdeckte er einen Parkplatz am Beginn des Teufelsmauer-Stiegs und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass nur eine Handvoll Autos dort abgestellt waren. Es waren also kaum Leute unterwegs. Genauso wollte er es. Er schnappte sich seinen Rucksack und lief los.

Unter dem Tor hindurch ging’s ein Stück entlang der Bode und dann den Hügel hinauf. Sein Plan war, die Felsformation sowohl von oben, als auch von unten zu fotografieren. Die Sonne stand jetzt schon sehr tief und er hatte sie von der Seite. So bekam er die Teufelsmauer entweder direkt oder indirekt beleuchtet. Kutscher spürte Vorfreude aufsteigen. Das würde eine fantastische Fotostrecke ergeben. Seit Jahren versuchte er seinen Freund im Foto-Club auszustechen, bisher vergebens. In diesem Jahr hatten sie sich beide für den Fotowettbewerb HarzNATUR angemeldet, sozusagen als Konkurrenten. Dummerweise auch noch für dieselbe Wettbewerbskategorie: Sagenumwobene Bergwildnis. Kutscher wusste nicht, für welches Motiv sich sein Freund entschieden hatte. Aber er hatte ihm seins ja auch nicht verraten. So weit ging die Freundschaft nun doch nicht.

Kutschers Entscheidung für die Teufelsmauer war ihrer Einzigartigkeit geschuldet und seiner Faszination für die schroffe Schönheit des Steins. Jahrhundertelang den Einflüssen von Wind und Wetter ausgesetzt, hatten sich bizarre Formen gebildet. Von der Fantasie der Menschen beflügelt, rankten sich zahlreiche Geschichten um die einzelnen Felsformationen und ihre Entstehung. Die Sage vom Wettstreit zwischen Gott und Teufel war die Bekannteste. Er wollte daraus eine kleine Fotogeschichte machen. Zwar wusste er noch nicht genau wie, aber da würde ihm Marlene sicher helfen können.

Eine Stunde kraxelte er auf der Suche nach spektakulären Ansichten am Königstein herum. Er wollte etwas, dass so noch nicht fotografiert worden war. Dafür begab er sich einige Male nah an den Rand der schroffen Sandsteinfelsen in ziemlich gefährliche Positionen. Einmal lag er rücklings auf einem Felsen, nur um den richtigen Blickwinkel zu erwischen. Als er sich die Fotos ansah, war er selber begeistert. Dieses Mal würde er gewinnen, mit Sicherheit.

Kurz danach kam seine Foto-Session ins Stocken. Das nächste Motiv war besetzt. Kutscher nannte die Stelle: das Fenster. Von unten sah es tatsächlich wie ein nach oben offenes Fenster in der Felswand aus. Gerade hatte sich ein Pärchen davor aufgebaut. Sie hielten Händchen und sahen über die Brüstung im Felsen nach unten.

Oh Gott, dachte Kutscher genervt. Lass das keinen Heiratsantrag werden. Am Ende sehen die meine Kamera und wollen von mir fotografiert werden.

Wollten sie nicht. Kutscher erkannte schnell den Grund. Sie hatten offensichtlich ihren eigenen Fotografen dabei, der auf dem unteren Weg stand und von dort aus Fotos machen sollte. Immer wieder wurden Positionen gewechselt und natürlich wurde auch geknutscht. Irgendwann dauerte ihm das zu lange, um höflich zu bleiben.

„Hallo! Brauchen Sie noch lange? Andere würden auch gern ein paar Fotos schießen.“ Es half, das Pärchen machte den Abgang. Keine Minute zu früh, denn eine Gruppe Wanderer näherte sich. Die sollten bloß nicht auf Ideen kommen. Jetzt war er dran.

Ungeduldig trat Kutscher an das Loch heran. Hier wollte er eine letzte Serie schießen und dann weiterziehen. Hinter sich konnte er hören, wie der Guide seiner Gruppe die Sage von der Teufelsmauer erzählte. Gab es wirklich noch Leute, die die Geschichte nicht kannten? Kutscher beugte sich über den Rand. Der Blick in den Abgrund war nicht so spektakulär, wie er es sich erhofft hatte. Dafür entschädigte aber die Färbung der Bäume und Sträucher, dort wo die steile Felswand in einen sanften Abhang überging.

Kutscher schoss seine Fotos und ließ sich Zeit damit. Er hatte schließlich auch warten müssen. Als er sich endlich aus der unbequemen Position wieder aufrichtete, ließ ein Blick auf die Uhr ihn erschrecken. Das Ganze hatte ihn mehr Zeit gekostet, als er für den Königstein geplant hatte. Die Wandervögel waren inzwischen weitergezogen und er hatte den Felsen für sich allein. Wenn er noch die Mittelsteine und die Papensteine fotografieren wollte, musste er sich sputen. Für den Rückweg unterhalb der Mauer sah er allerdings schwarz. Bis er dort ankam, war das Licht weg. Er hatte zwar ohnehin geplant, morgen in aller Frühe herzufahren, aber da würde der Sonnenstand natürlich ein ganz anderer sein. Eventuell musste er am Abend auch noch mal herkommen.

Kutscher packte die Kamera in den Rucksack. Dann warf er einen letzten Blick über die Brüstung. Die Sonne stand jetzt schon sehr tief und er entschloss sich, die anderen Motive morgen abzuarbeiten. Nur gut, dass er sein Hotelzimmer bis zum Montag gebucht hatte. So blieben ihm noch ganze drei Tage. Allerdings würden am Samstag und Sonntag mehr Wanderer unterwegs sein. Er musste zusehen, dass er morgen Abend alles im Kasten hatte.

Als Kutscher sich aufrichtete, durchzuckte ihn plötzlich ein heftiger Schmerz. Mein Rücken, konnte er gerade noch denken, als ihn der Schmerz ein zweites Mal traf. Die Luft blieb ihm weg, so weh tat es. Er wollte um Hilfe rufen, doch es ging nicht, weil er nicht atmen konnte. Mit weitaufgerissenem Mund versuchte er verzweifelt, seine Lungen mit Sauerstoff zu füllen. Vergeblich. Langsam ging er zu Boden, erst auf die Knie, dann kippte sein Körper zur Seite. Im Fallen klammerten sich seine Hände an die Träger des Rucksacks, so als würde er dadurch Halt finden.

Oh Gott, lass es keinen Herzinfarkt sein. Dieser letzte Gedanke bemächtigte sich seiner, bevor er in die Bewusstlosigkeit hinüberglitt.

Während er auf den leblosen Körper zu seinen Füßen starrte, dachte er nur das Eine: Das war erstaunlich leicht gewesen, dafür dass es so nicht geplant war. Jetzt musste er allerdings noch aufräumen, bevor er abhauen konnte. Das alles möglichst schnell und ohne gesehen zu werden. Sein Messer wischte er ab und steckte es wieder ein. Das konnte er später noch entsorgen. Sich um den Körper zu kümmern, war auch nicht schwierig. Die Stelle hätte für sein Vorhaben günstiger nicht sein können. Er schaute über den Felsrand in die Tiefe. Auf dem unteren Weg und den umliegenden Felsen war niemand zu sehen. Also los.

Er packte den Körper unter den Armen und zog ihn über den Boden, hin zu dem Loch. Nachdem der den Oberkörper über den Rand gehievt hatte, musste er nur noch die Beine hochheben. Da er Handschuhe trug, brauchte er sich über Abdrücke keine Sorgen zu machen. Er packte unbekümmert zu, schob den Leichnam etwas nach vorn, den Rest erledigte die Schwerkraft.

Es gab einen dumpfen Schlag, dann war es auch schon vorbei. Mit einem Blick hinunter überprüfte er das Ergebnis und war zufrieden. Der Körper war noch ein kleines Stück den Abhang hinuntergerutscht, bis er unter einem Gestrüpp zum Liegen gekommen war. Von oben war der Tote nur zu erkennen, wenn man wusste, wonach man Ausschau hielt. Ein zusätzliches Abdecken mit irgendwelchen Ästen war also überflüssig. Prima, das ersparte ihm den Weg hinunter.

Er schnappte sich den Rucksack des Toten. Alles, was sich darin befand, gehörte nun ihm. Er überlegte kurz, ob er den Inhalt entnehmen und den Rucksack dem Toten hinterherwerfen sollte, entschied sich aber dagegen. So ließ sich die Beute einfach besser transportieren und mit einem Rucksack auf dem Rücken sah er hier gleich viel unauffälliger aus. Im Auto würde er das Zeug umpacken und den Rucksack irgendwo unterwegs in einen Müllcontainer werfen.

Nachdem er mit allem zufrieden war, wurde es Zeit, sich wieder auf den Heimweg zu machen. Für den Rückweg zum Parkplatz nahm er den kürzesten Weg, auf dem ihm niemand begegnete. Die Imbissbuden hatten schon längst dicht gemacht und nur ein paar Fahrzeuge standen vereinzelt auf dem Parkplatz. Sie warteten darauf, dass ihre Besitzer von der Teufelsmauer zurückkamen. Eins würde auch morgen noch hier stehen. Sein Auto stand ganz am Rand. Selbst wenn gerade jetzt die letzten Wanderer zu ihren Fahrzeugen zurückkommen würden, könnten sie ihn nicht beobachten. Er konnte sich also ganz beruhigt der Beute widmen.

Nach dem ersten Blick in den Rucksack war er enttäuscht und zum zweiten Mal an diesem Tag stellte er fest, dass es nicht so gelaufen war, wie ursprünglich geplant. Er begann, sich zu fragen, was er eigentlich getan hatte. Spätestens jetzt war klar, dass er den Rucksack schnellstens loswerden musste. Über das Wie musste er aber vorher noch mit jemandem reden. Plötzlich hatte er es eilig, zu verschwinden. Als er die Landstraße in Richtung Quedlinburg einschlug, ging sein Blick kein einziges Mal zurück. Wozu auch? Es gab nichts zu sehen, außer ein paar alte Felsen, die langsam mit der Dunkelheit verschmolzen.

Zwei

Ein sonniger Herbsttag lag vor Sandra Büchner und der steigerte ihre Vorfreude auf das bevorstehende Treffen mit den Mädels noch mehr. Sie hatten es tatsächlich geschafft, sich auf einen Termin und ein Ziel zu einigen. Dabei hatte es für das Wiedersehen der Bademantel-Gang anfangs gar nicht gut ausgesehen. Gerti hatte Dresden vorgeschlagen, was Marzena zu weit war. Dann hatte Marzena die Ostsee ins Spiel gebracht, was wiederum Gerti zu weit war. Zu guter Letzt war Sandra der Geduldsfaden gerissen und sie hatte die goldene Mitte, den Harz, vorgeschlagen. Nach einigem Hin und Her fanden sie ein passendes Wochenende und ein hübsches kleines Hotel in Quedlinburg.

Heute war es endlich soweit. Während sie über die Landstraße fuhr, dachte Sandra zurück, an die Zeit in der Reha-Klinik Rosenburg. Ihr abendliches Schwimmen hatte ihnen den Namen Bademantel-Gang eingebracht. Das erinnerte sie natürlich auch an den Fall des Toten im Schwimmbad1, der ihnen beinahe das abendliche Schwimmen verdorben hätte. der Mordfall in der Reha-Klinik. Nicht gerade das, was sich ein Patient zur Unterstützung seiner Therapie wünschen würde.

Aber sie hatten den Fall aufgeklärt. Okay, das war vielleicht ein bisschen übertrieben. Aufgeklärt hatte ihn Sören Grießler, der ihr Mitpatient und ein echter Kriminalkommissar war. Sie und die Mädels hatten mit ihren Einmischungen eher für Verwirrung gesorgt, als für Aufklärung. Obwohl, wenn sie nicht gewesen wären, hätte Grießler sich bestimmt nicht in die Ermittlung eingeklinkt und wer weiß, ob man den Mörder dann so schnell gefunden hätte. Bei diesen Erinnerungen legte sich ein breites Grinsen über Sandras Gesicht. Sie war sich jetzt schon sicher, es würde viel zu lachen geben an diesem Wochenende.

Ihr Hotel Harzer Quelle lag am Rande von Quedlinburgs Altstadt. Sandra hatte es speziell eines Details wegen ausgesucht: dem Wellness Bereich mit einem kleinen Schwimmbad. Sie fand, das war ein absolutes Muss, wenn die Bademantel-Gang sich wiedersah. Sie wollten ja ihr abendliches Ritual zelebrieren. Als sie den beiden anderen das Hotel vorgeschlagen hatte, war von Marzena sofort eine WhatsApp mit der Bemerkung gekommen: Aber nur, wenn da nicht wieder eine Leiche drin rumschwimmt. Ich habe immer noch Mega-Alpträume vom letzten Mal. Nachdem Sandra und Gerti mit Lach-Smilies geantwortet hatten, gab es noch einen Nachsatz: Das ist nicht witzig, Mädels. Gebucht wurde trotzdem.

Kurz nacheinander trafen die drei Frauen beim Hotel ein, was jedes Mal zu einer lautstarken und herzlichen Begrüßungsarie in der Lobby führte. Sie checkten ein, brachten das Gepäck auf die Zimmer und trafen sich wieder vor dem Hotel.

„Ich hab mir schon das Schwimmbad angeschaut“, verkündete Sandra. „Klein, aber fein! Bademäntel gibt’s an der Rezeption, hab ich auch schon klargemacht. Hauptsache, ihr habt die Badeanzüge nicht vergessen.“ Gerti und Marzena sahen sich vielsagend an.

„Was?“, fragte Sandra. „Heute Abend gehen wir schwimmen, war doch klar.“

Marzena rollte mit den Augen. „Mach bloß keinen Stress. Das soll ein entspanntes Mädels-Wochenende werden.“ Gerti legte ihr die Hand auf die Schulter und meinte: „Ach Marzena, du kennst doch unsere Sandra. Bei ihr muss immer Action sein. Ich wette, sie hat schon ein straffes Programm vorbereitet.“

Wie aufs Stichwort holte Sandra drei A4-Blätter raus und überreichte den Freundinnen jeweils eins davon.

„Was ist das?“, fragte Marzena.

„Das ist unser Therapieplan fürs Wochenende“, erklärte Sandra lachend. „Ist alles dabei. Entspannungstherapie, Gesprächstherapie, Beschäftigungstherapie und natürlich Bewegungstherapie. Wie Gerti schon gesagt hat, ein straffes Programm.“ Während Marzena mit großen Augen las, meinte Gerti nur: „Ich habe nichts dagegen, vorausgesetzt, ich kriege jetzt irgendwo einen anständigen Kaffee und ein schönes Stück Kuchen.“

„Das will ich auch“, kam es leidenschaftlich von Marzena. Sandra grinste triumphierend und hakte ihre Freundinnen unter. Während sie die beiden vom Hoteleingang wegführte, sagte sie: „Da weiß ich doch genau das Richtige. Wir werden jetzt Quedlinburgs berühmtem Käsekuchen-Café einen Besuch abstatten.“

„Ein Käsekuchen-Café?“, rief Gerti begeistert aus. „Das ist ja wie in Rosenburg. Ist der Käsekuchen hier auch so lecker?“

„Der ist nicht nur lecker, der ist legendär. Ihr werdet schon sehen.“

Eine gute halbe Stunde später saßen sie ernüchtert vor ihren Tellern und Sandra spürte die fragenden Blicke ihrer Freundinnen auf sich gerichtet. Der Kuchen sah nicht so aus, als wäre er selbergemacht und ganz anders, als sie es von den Bildern im Internet kannte. Enttäuscht raunte sie den anderen beiden zu: „Der Typ aus der Tourist-Information hat mir gesagt, dass dies hier das echte Käsekuchen-Café wäre. Er hat sogar extra noch draufhingewiesen, dass wir auf keinen Fall in das andere Café gehen sollten. So ein Schweinepriester. Der kriegt von denen hier bestimmt Kohle dafür, dass er die Leute falsch schickt.“ Sandra war echt geknickt und Gerti meinte tröstend: „Ach komm, das konnte doch keiner ahnen. Zwei Cafés so dicht aufeinander und auf beiden Aufstellern steht, dass es hier den leckersten, selbstgemachten Käsekuchen gibt. Wir sind bestimmt nicht die Einzigen, die auf die Falschinfo hereingefallen sind. Und von außen sah es doch auch ganz nett aus.“ Marzena nickte eifrig und ließ sich den Käsekuchen mit Mohnfüllung trotzdem schmecken.

Gerti hatte natürlich Recht. Beide Cafés lagen sich auf dem Schloßberg unmittelbar gegenüber, nur durch eine Hausnummer getrennt. Eins hieß Café Vincent, das andere Café am Finkenherd. Sandra hatte den falschen Namen genannt bekommen und sich danach gerichtet. So eine absichtliche Irreführung ärgerte sie sehr. Am liebsten hätte sie dem Typen mal ein paar Takte gesagt, aber der würde sich bestimmt nichts daraus machen. Damit abfinden wollte sie sich aber trotzdem nicht. Irgendwas würde sie sich einfallen lassen. Fürs Erste ließ sie ihrem Ärger freien Lauf.

„Eine Frechheit ist es trotzdem. So was nennt man arglistige Täuschung und das ist strafbar.“

Gerti sah schon die Stimmung kippen, also hielt sie dagegen: „Bitte Sandra, mach nicht gleich wieder einen Kriminalfall draus. Wir gehen morgen einfach ins richtige Café und fertig.“ Marzena ließ die beiden reden und konzentrierte sich lieber auf ihren Kuchen.

Bis zum Abend hatten sich die erhitzten Gemüter wieder beruhigt und endlich war es soweit. Sie schlüpften in ihre Badeanzüge, streiften die Bademäntel über und unter heftigem Gekicher zogen sie los, in Richtung Schwimmbad. Dieses Mal war es Gerti, die mit kritischem Blick neben dem Becken stand und nörgelte.

„Die Bezeichnung Schwimmbad finde ich etwas übertrieben. Ist mehr so ‘ne Art Planschbecken. Wenn hier einer vom Beckenrand reinspringt, ist das Wasser raus.“ Sandra musste ihr zustimmen. Im Internet hatte das Becken etwas größer ausgesehen, aber das war ja oft so. In echt war das Meer nie so glatt, der Himmel nie so blau und die Hotels nie so neu. Trotzdem ließ sie Gertis Bemerkung nicht ohne Rechtfertigung im Raum stehen.

„Ist doch egal. Wir trainieren ja nicht für die Olympiade.“ Sie warf den Bademantel über eine Liege und ließ sich genüsslich ins Wasser gleiten. Wie nicht anders zu erwarten, ragten nur noch ihr Kopf und die Schultern heraus. Mit gespielter Empörung rief sie: „Eins ist aber genauso wie in der Reha, ich muss auf Zehenspitzen stehen, wenn ich Luft holen will. Verdammt, wo ist ein Schwimmfrosch, wenn man ihn braucht?“ Gelächter hallte durch den Raum und nicht zum letzten Mal an diesem Abend.

Später versammelten sie sich in Marzenas Zimmer bei einer Flasche Wein und schwelgten in Erinnerungen. Aus heutiger Sicht klang ihr gemeinsames Erlebnis in der Reha mehr nach einem launigen Abenteuer, aber ganz so unbeschwert war es nicht gewesen. Zwei Morde hatten das Leben in der Klinik durcheinandergewirbelt, nicht zu vergessen von der unheimlichen Begegnung einer Patientin mit den Wildschweinen, welche sie fast mit dem Leben bezahlt hätte. Dagegen war ihr unerlaubtes Betreten des Zimmers des Mordopfers ein regelrechter Spaziergang gewesen. Doch wie immer verblassten mit der Zeit die schrecklichen Bilder und ein Schleier der Verklärung legte sich darüber. Als sie sich spät in der Nacht trennten, waren sie sich einig: Eine bessere Reha hätten sie gar nicht kriegen können.

Als Sandra und Gerti zu ihren Zimmern liefen, fragte die Sächsin unvermittelt: „Hast du mal was von Grießler gehört? Ihr wohnt doch ziemlich nah beieinander.“ Sandra antwortete ungewohnt vage.

„So nah nun auch wieder nicht.“

„Ich dachte, du wüsstest vielleicht, ob er noch bei der Kripo arbeitet.“

„Wir haben mal telefoniert, letztes Weihnachten. Er arbeitet jetzt im Innendienst. Mehr weiß ich auch nicht.“

Sandra wollte offensichtlich nicht darüber reden. Gerti spürte ihren Widerwillen und ließ es dabei bewenden. Sie würde schon noch darüber reden, wenn sie bereit dazu war. Nach einem kurzen „Gute Nacht“ trennten sie sich und verschwanden in ihren Zimmern.

Sandra setzte sich auf ihr Bett und seufzte. Mit ihrer letzten Frage hatte Gerti einen kleinen wunden Punkt bei ihr getroffen. Noch in der Reha hatte sie nämlich den Plan gehabt, sich als Krimiautorin zu versuchen und war Grießler damit ganz schön auf die Nerven gegangen. Als sie ihn dann tatsächlich angerufen und um Hilfe bei ihren Recherchen gebeten hatte, war seine Reaktion so ausweichend gewesen, dass sie ihren Plan aufgeben wollte.

Erst vor ein paar Wochen war sie über ihren Schatten gesprungen und hatte es noch mal versucht. Im Nachhinein konnte sie nur den Kopf darüber schütteln, was für eine bescheuerte Idee das gewesen war. Sie hatte Grießler doch tatsächlich gefragt, ob er nicht auch zu dem Wiedersehen kommen wollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens sagte er nur: „Ich muss da zur Beerdigung von einem Kollegen. Ich glaub’ nicht, dass ich in Stimmung für ein Wochenende mit deiner Gang bin. Tut mir leid, aber ich wünsche euch viel Spaß.“ Sandra war nicht mal dazu gekommen, zu fragen, welcher Kollege gestorben war. Sie hoffte nur, dass es nicht dieser Kommissar Winkler war. Grießler hatte ihn oft erwähnt und es war deutlich herauszuhören gewesen, dass die beiden mehr als nur Kollegen waren. Das würde allerdings erklären, weshalb Grießler die Sache so mitzunehmen schien. Sandra nahm sich vor, ihn noch mal anzurufen, wenn sie wieder Zuhause war.

1Mord mit Therapie – der 1. Fall der Bademantel-Gang

Drei

Der Samstagmorgen brach an und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Die Sonne stand zwar nicht mehr so hoch, aber sie schien durchaus noch kraftvoll vom wolkenlosen Himmel herab. Bei einem ausgiebigen Frühstück besprachen die drei Frauen ihren Tagesplan. Sandras Vorschläge: Wanderung entlang der Teufelsmauer sowie anschließende Stippvisite nach Thale und auf den Hexentanzplatz wurde einstimmig angenommen.

Ihre Wanderung starteten sie auf einem Parkplatz am Beginn des Teufelsmauer-Stiegs. Noch standen nur wenige Autos dort geparkt, doch das würde sich bald ändern. Bei diesem herrlichen Wetter lockte der Harz viele Besucher an und die bizarren Felsformationen erfreuten sich großer Beliebtheit.

Während sie den Stieg gemächlich entlangwanderten, bekamen Gerti und Marzena natürlich die Sage von der Entstehung der Teufelsmauer erzählt. Sandra trug die Geschichte so gekonnt und ausdrucksvoll vor, dass eine Familie mit Kindern stehenblieb und zuhörte. Die Eltern waren sichtlich froh, dass es ihnen auf diese Weise erspart blieb, die Kinder zu unterhalten. Als Sandra geendet hatte, befleißigten sie sich wenigstens, ihr ein freundliches Nicken zu schenken und die Kinder erhielten die Ermahnung: „Das hat die Tante aber schön erzählt. Und was sagt man?“

„Danke“, kam es unisono.

Gerti grinste Sandra an und sagte leise: „Danke, liebe Tante“, während Marzena bewundernd meinte: „Du bist die geborene Erzählerin. Megaschön.“

Weiter ging es den Stieg entlang. Heute plauderten sie nicht mehr über die Reha, sondern darüber, wie es ihnen in der Zwischenzeit so ergangen war. Zwar hatten sie den Kontakt gehalten, doch über gelegentliche Nachrichten in der WhatsApp-Gruppe war es nicht hinausgegangen. Also gab es jetzt viel zu erzählen.

Gerti war schon kurz nach der Reha wieder arbeiten gegangen und leider hatte sich auch schon bald der Stress wieder eingestellt. Trotzdem sah sie gut aus und berichtete, dass sich einiges in ihrem Leben geändert hatte.

Sandra war noch Zuhause und auf der Suche nach einer neuen Arbeit. Sie wollte nicht mehr in ihren alten Job zurück und auch überhaupt weniger Stunden arbeiten. War gar nicht so einfach, wie sich herausstellte.

Die größte Veränderung von ihnen hatte aber Marzena gemacht. Sie war nicht mehr so lethargisch und in sich gekehrt, wie noch in Rosenburg. Ihre Lebensfreude war zurückgekehrt, was nicht nur mit ihrem neuen Job zusammenhing. Offensichtlich war doch einiges in der Reha zu ihr durchgedrungen, es hatte nur etwas gedauert, bis es Wirkung zeigte. Auch heute war sie bester Laune, nur das Wandertempo war ihr zu schnell. Immer wieder blieb sie stehen und beschwerte sich.

„Warum rennt ihr so? Wir sind doch nicht auf der Flucht. Bei dem Tempo kann man gar nicht sehen, wie megaschön es hier ist.“

Die so erzwungenen Pausen füllte Sandra damit, Fotos von den Freundinnen und vor allem von den Felsen zu machen. Sie kraxelte darauf herum oder schob sich in die kleinen höhlenartigen Zwischenräume.

Marzena verzog das Gesicht. „Ich würde mich nicht dazwischen rumdrücken. Wer weiß, wo man da reintritt. Wie alt bist du eigentlich, Sandra?“

Sandra schob ihren Kopf um einen Felsbrocken und machte ein erschrockenes Gesicht.

„Oh mein Gott!“, rief sie aus. „Schnell, komm mal her!“

„Auf gar keinen Fall“, kreischte Marzena und wandte sich ab. Gerti war weniger zart besaitet und lief hin. Bei Sandra angekommen, hielt die ihr jedoch nur das Handy entgegen und sagte: „Mach mal ein paar Fotos.“

Jetzt riss auch Gerti die Augen auf und fragte in ängstlichem Ton. „Wovon denn?

„Von mir natürlich“, kam es lachend von Sandra zurück. „Was hast du denn gedacht?“ Darauf antwortete Gerti lieber nicht. Typisch, sie war wieder mal auf einen von Sandras Streichen reingefallen. Wann würden sie es endlich lernen, Sandra nicht immer ernst zu nehmen.

Zum Glück dämpfte das die ausgelassene Stimmung nicht. Als sie an den Papensteinen angekommen waren, meldete sich Marzena plötzlich zu Wort.

„Ich habe Hunger, Mädels“, sagte sie. Das war auch etwas ganz Neues bei ihr. In der Reha hatte sie zumeist lustlos in ihrem Essen rumgestochert, wenn sie denn überhaupt zum Essen gekommen war. Jetzt sah sie sich erwartungsvoll um.

„Na, hier kriegen wir bestimmt nichts“, reagierte Sandra. „Also, das Beste ist, wir laufen wieder zurück und fahren nach Thale und essen dort was. Wir wollten doch sowieso noch mit der Seilbahn auf den Hexentanzplatz.“

„Gute Idee“, schaltete sich Gerti ein. „Ich brauch eine Toilette.“

Über den weiteren Ablauf herrschte schnell Einigkeit, nicht so über den Rückweg. Sandra wollte den Pfad unterhalb der Teufelsmauer nehmen, um die Felsen von dieser Seite fotografieren zu können. Marzena hielt das für einen riesigen Umweg und wollte auf demselben Weg zurücklaufen. Man einigte sich sehr salomonisch. Marzena lief oben lang und zwar in ihrem eigenen Tempo. Sandra und Gerti nahmen den unteren Weg und konnten es etwas schneller angehen.

„Wahrscheinlich sind wir trotz der weiteren Strecke eher wieder beim Auto als Marzena“, witzelte Gerti. Die Chancen, den nicht abgesprochenen Wettlauf, zu gewinnen schwanden aber mit jedem Fotostopp, den Sandra einlegte. Sie geriet bei jedem herbstlich gefärbten Baum in wahre Verzückung und davon gab es leider viele. Diese Farben in Kombination mit den schroffen, dunklen Felsen, davon bekam sie einfach nicht genug.

„Wenn du so weitermachst, hat Marzena schon gegessen, ehe wir am Parkplatz sind. Und darf ich dich dezent daran erinnern, dass ich mal aufs Klo muss.“

„Dann geh in die Büsche, ist doch weit und breit kein Mensch zu sehen.“ Das stimmte, im Moment waren sie wirklich allein unterwegs. Gerti verspürte eigentlich keine Lust, hier in der freien Wildbahn die Hosen runterzulassen, doch da Sandra gerade wieder ein sehr lohnendes Motiv entdeckt hatte, blieb ihr nichts weiter übrig. Sie hielt es einfach nicht mehr aus.

„Wehe, wenn du mich fotografierst. Dann schmeiß ich dich vom Hexentanzplatz“, rief sie Sandra noch zu und verschwand im Gebüsch.

Es war nicht so dicht, wie sie gehofft hatte und sie musste ganz schön tief rein, bis sie sich einigermaßen sicher fühlte. Wenigstens ist es nicht kalt, dachte sie und warf einen letzten Blick um sich. Niemand zu sehen. Sie nestelte schon an der Hose herum, als ihr plötzlich einfiel, dass sie sich direkt unterhalb der Felsen befand. Was, wenn da gerade jemand über den Rand blickte? Schnell ging der Kopf nach oben. Das Laubdach war zum Glück einigermaßen dicht. Sie rückte trotzdem ein Stück weiter unter den Baum und behielt die Felskante im Blick, während sie sich langsam hinhockte. Mit einem Fuß stand sie auf einem trockenen Ast und der gab plötzlich nach. Dadurch verlor sie das Gleichgewicht und drohte, sich auf den Hintern zu setzen. Sie suchte nach Halt, doch mehr als die Zweige eines Busches bekam sie mit der Hand nicht zu fassen. Die Zweige gaben nach und das Bild, welches sich ihr dahinter bot, war so schrecklich, dass sie losließ und nun doch auf dem Hintern landete. Es war wirklich etwas von oben heruntergefallen oder besser gesagt, jemand.

Sandra versuchte immer noch einen markanten Teil der Felswand wirkungsvoll einzufangen. Sie hatte vorher natürlich ein paar Schnappschüsse von Gerti gemacht, wie sie durch das Unterholz stapfte. Da hatte die ihre Hose aber noch vollständig angehabt. So, wie sie ihr jetzt entgegenkam, hätte sie kein Foto machen können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Es war einfach zu grotesk, um echt zu sein.

Gerti schob sich, so schnell es ihr möglich war, durch die Büsche. Zweige schlugen ihr ins Gesicht und sie konnte nichts dagegen tun, denn die Hände brauchte sie, um ihre Hose zu halten. Die hing auf halber Strecke nach oben. Nur der Schlüpfer war noch da, wo er hingehörte.

Sandra war noch immer damit beschäftigt, diesen Anblick zu verarbeiten, als Gerti ihr völlig aufgelöst zurief: „Sandra, da liegt ein Toter. Oh mein Gott, du musst schnell kommen.“ Für einen Moment stand Sandra unter Schock, doch der letzte Satz brachte sie wieder zur Besinnung. Sie fing herzhaft an zu lachen. Nur mit Mühe brachte sie eine Antwort hervor.

„Lass mal gut sein, Schätzelein. Wenn du mich schon auf den Arm nehmen willst, dann bitte nicht mit meinen eigenen Tricks. Deine Performance ist zwar ziemlich gut, aber auch etwas gewagt, findest du nicht?“

„Isch glob’s klatscht glei. Das ist doch kein Witz! Seh’ ich etwa aus, als ob ich Scherze mache?“ Gerti war wirklich fassungslos, was man an ihrem Ausflug ins Sächsische unschwer erkennen konnte. Das war nicht gespielt.

„Da liegt echt eine Leiche?“, fragte Sandra trotzdem vorsichtig nach.

„Sieh es dir doch selber an, wenn du mir nicht glaubst.“

„Zeig es mir.“

„Hast du einen Vollknall? Ich gehe keinen Schritt mehr dahin.“

„Wie soll ich es dann finden?“

„Du willst das doch nicht wirklich, oder? Ich meine, die Leiche ansehen.“

„Du hast doch eben selber gesagt, ich soll es mir ansehen.“

„Das war doch nicht ernst gemeint. Schlimm genug, dass ich da fast hingemacht hätte. Jetzt habe ich bestimmt auch noch Spuren vernichtet.“

„Und welche hinterlassen“, murmelte Sandra leise vor sich hin.

„Spar dir deinen Sarkasmus. Mir ist so schon schlecht genug. Und aufs Klo muss ich immer noch.“

Sandra war klar, es wurde Zeit, zu handeln.

„Gerti, ruf du sofort die 110 an! Ich werde inzwischen den Tatort sichern.“

„Sandra, das darfst du nicht. Wenn das wirklich der Tatort ist, dann muss alles so bleiben, wie es ist. Das müsstest du doch am besten wissen.“

„Ach was, ist bestimmt nur der Fundort. Guck mal wo die Leiche liegt. Ich wette, die wurde von da oben runtergeworfen. Also ist der eigentliche Tatort …“

„Hör bloß auf! Ich will nichts davon hören. Nicht schon wieder. Hast du vergessen, dass du uns mit deinem Detektivspiel schon mal in die Bredouille gebracht hast?“ Gerti sah ihre Freundin fest an. Von Zustimmung keine Spur. „Also gut. Mach doch, was du willst. Du wirst schon sehen, was du davon hast. Ich rufe jetzt die Polizei.“ Sie drehte sich demonstrativ um und entfernte sich von Sandra. Dabei murmelte sie noch leise vor sich hin. „Wieso passiert uns sowas immer. Das sollte zwar ein Bademantel-Gang-Revival werden, aber doch nicht gleich wieder mit einer Leiche. Das glaubt mir keiner.“

Sandra sah ihr noch einen Augenblick zögernd hinterher. Eigentlich hatte Gerti Recht. Aber uneigentlich war ihre Neugier nun mal größer als ihr Verstand. Sie konnte einfach nicht anders. Sie musste sich das ansehen, wo sie nun schon mal hier war.

Ich muss ja nicht bis ganz nah rangehen, dachte sie. Nur soweit, bis sie sah, ob es wirklich eine Leiche gab. Am Ende stellte sich raus, dass da nur eine Schaufensterpuppe lag. Diese Blamage wollte sie Gerti gern ersparen. Langsam setzte sie sich in Bewegung und schlug die Richtung ein, aus der Gerti gekommen war. Außerdem orientierte sie sich noch an der Lücke im Felsen. Von wo sonst konnte der Körper heruntergestürzt sein?

Vorsichtig schob sie sich durch das Unterholz. Dann sah sie es. Gerti hatte Recht. Es war keine Schaufensterpuppe. Diese Leiche war so echt, wie sie nur sein konnte. Und sie stand schon ganz nah dran. Doch trotz dieser Nähe war es ihr nicht möglich, Einzelheiten zu erkennen. Ihr Verstand wollte einfach nicht so, wie sie wollte. Sie hob das Handy nach oben, unsicher, ob sie den Auslöser drücken sollte oder nicht. Sie wusste, Grießler würde sie allein für den Gedanken daran zur Schnecke machen, doch Grießler war ja nicht hier.

Vier

Der Mann, der sich den Frauen eine Stunde später vorstellte, hieß Kleinschmidt, Kommissar Kleinschmidt und, was Sandra für unmöglich gehalten hatte, er war noch mürrischer als Grießler.

Marzena war inzwischen auch wieder bei ihnen, hielt sich aber, soweit es ging, abseits und beteuerte immer wieder, dass sie ja nichts gesehen habe. Das war eigentlich gar nicht nötig, denn Kleinschmidt konzentrierte sich auf Gerti. Sie hatte die Leiche schließlich entdeckt und auch den Notruf abgesetzt. Gerti pumpte, als ob ihr Blutdruck kurz davor war, durch die Decke zu gehen. Der Kommissar schien das nicht zu bemerken oder es war ihm egal. Er hatte ihr zu Beginn der Befragung ärztliche Hilfe angeboten. Als sie die ausschlug, war das Thema für ihn durch.

Besorgt beobachtete Sandra, dass ihre Freundin mit jeder Frage des Kommissars blasser und blasser wurde. Natürlich traute die sich nun nicht mehr, um eine Pause oder einen Arzt zu bitten. Sandra spürte langsam so etwas wie Ärger in sich aufsteigen. Der Kerl war ja die Empathielosigkeit in Person. Gegen den war Grießler ja ein Sonnenschein. Sie beschloss, einzuschreiten.

„Sie stellen meiner Freundin nun schon seit mehr als einer halben Stunde immer wieder dieselben Fragen. Reicht das nicht langsam mal? Sie hat ihn gefunden, na schön, aber mehr auch nicht. Wir kennen den Mann ganz sicher nicht und haben auch nichts gehört oder gesehen. So wie der aussieht, ist das doch nicht erst heute passiert. Also, was wollen Sie denn noch von uns?“

Tatsächlich erreichte sie damit, dass sich Kleinschmidt nun ganz auf sie konzentrierte. Doch das erwies sich nicht als gut, wie seine nächste Frage bewies. „Woher wissen Sie denn, wie der Tote aussieht und ob es überhaupt ein Mann ist, Frau …“, er schaute in seinen Notizblock. „Frau Sandra Büchner aus Magdeburg.“

Verdammt! Sandra biss sich auf die Zunge. Jetzt hatte sie sich verquatscht. Bisher war der Kommissar davon ausgegangen, dass Gerti die Leiche entdeckt und niemand anderes sich ihr genähert hatte. Ihren kleinen Abstecher hatte Sandra lieber für sich behalten wollen. Vor allem nachdem Kleinschmidt sich Gertis Handy hatte zeigen lassen. Trotz ihres Fauxpas war sie aber nicht um eine Antwort verlegen.

„Gerti hat mir natürlich erzählt, was sie gesehen hat, was denken Sie denn.“

Kleinschmidt schien einen Moment zu überlegen, ob ihm diese Erklärung reichte, dann fragte er plötzlich: „Kann ich mal Ihr Handy sehen?“

„Nein“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück. „Dazu brauchen Sie einen richterlichen Beschluss.“

„Was Sie nicht sagen. Ich hatte gedacht, Sie würden unsere Ermittlungen unterstützen. Da habe ich mich wohl geirrt. Aber ich kann natürlich einen solchen Beschluss beschaffen. Den kriege ich von der Staatsanwaltschaft sehr schnell, wenn ich denen erzähle, dass Sie etwas vor uns verheimlichen. Allerdings muss ich dann Ihr Handy beschlagnahmen und wir schauen es uns sehr genau an. Sie wissen schon: Kontakte, Chatverläufe, Suchanfragen und so weiter. Im Moment will ich nur einen Blick drauf werfen, mehr nicht.“

So schnell ließ Sandra sich nicht ins Bockshorn jagen. „Ich kann Ihnen mein Handy gar nicht zeigen, weil ich es nicht dabeihabe. Ich hatte vergessen es aufzuladen, also habe ich es im Hotel gelassen.“ Sie merkte selber, wie lahm das klang. Was hatte Grießler ihr damals erklärt? Je länger und umständlicher eine Aussage ist, umso mehr Unwahrheiten enthält sie. Mit Sicherheit dachte Kleinschmidt gerade etwas Ähnliches, konnte ihr nur das Gegenteil nicht beweisen. Das sah man seinem Gesichtsausdruck förmlich an.

„Tja, wenn das so ist, dann hoffe ich mal, dass keine Fotos vom Tatort im Internet auftauchen.“

Wenn das seine einzige Sorge war, dann hatte sie nichts zu befürchten. Sowas würde sie nie tun. Kleinschmidt sah das wohl nicht so. Seine Stirn in tiefe Falten gelegt, schaute er sie unverwandt an, bis er von einer Gestalt in Weiß fortgerufen wurde. Endlich konnte sie aufatmen.

Niemand nahm von den Frauen weiter Notiz. Keiner sagte ihnen, wie es weitergehen würde. Also standen sie unschlüssig am Rande der Absperrung und trauten sich nicht, zu gehen. Nach einer weiteren halben Stunde zeigten Gerti und Marzena erste Anzeichen von Unmut. Nur Sandra verfolgte gespannt das polizeiliche Drumherum. Mit all ihren Sinnen saugte sie jedes noch so kleine Detail in sich auf, wie der sprichwörtliche trockene Schwamm. Und sie kommentierte alles, was sie beobachtete.

„Der Mann, mit dem der Kommissar redet, ist bestimmt ein Rechtsmediziner. Vielleicht weiß er schon, was die Todesursache war. Oder er hat einen vorläufigen Todeszeitpunkt ermittelt, wenn er die Lebertemperatur gemessen hat.“ Leider hielt sich die Bewunderung ihrer Freundinnen in Grenzen. Marzena plagte der Hunger und Gerti ihre volle Blase.

„Wenn ich nicht bald aufs Klo komme, gibt’s noch ein Unglück“, murrte sie und trat von einem Bein aufs andere. Marzena meinte zum wiederholten Male: „Vielleicht können wir ja gehen und man hat nur vergessen, es uns zu sagen.“

„Dann geh doch, wenn du dich traust“, lautete Sandras Antwort. Marzena tat nichts dergleichen. „Ich kann euch doch nicht allein lassen. Und außerdem sind wir mit nur einem Auto hier.“

Das Grüppchen verfiel wieder in Schweigen. Wenn der Kommissar doch nur zurückkommen würde, dann könnten sie ihn fragen. Doch der verschwand gerade noch tiefer im Gebüsch.

„Jetzt darf er an den Tatort“, hauchte Sandra ehrfurchtsvoll. „Die Rechtsmedizin scheint fertig zu sein.“ Den letzten Fakt schlussfolgerte sie auch aus der Tatsache, dass Kleinschmidts weißgekleideter Gesprächspartner in ihre Richtung lief. Er hielt ein Handy am Ohr und beim Näherkommen konnte Sandra sogar ein paar Worte verstehen.

„Ja Chef, am Fundort sind wir durch. Jetzt müssen wir uns noch oben umsehen und den Tatort ausmachen.“

Sandra musste beschämt einräumen, dass sie sich gleich mehrfach geirrt hatte. An der Stimme erkannte sie den ersten Irrtum. Der Mann war eine Frau. Und sie war offensichtlich nicht von der Rechtsmedizin, sondern von der Spurensicherung. Nur die interessierte sich für den Tatort. Man gut, dass die beiden Freundinnen gerade mit sich selber beschäftigt waren und nichts bemerkt hatten. Auf deren Spott konnte sie gut verzichten. Mit möglichst desinteressiertem Blick lauschte sie weiter konzentriert dem Telefonat.

„Ein Tourist, so wie es aussieht. Hatte nichts weiter bei sich, außer der Brieftasche in der Hosentasche. Laut Ausweis heißt er Joachim Kutscher und ist aus Sangerhausen. Auf ihn ist ein dunkelblauer Opel Astra zugelassen. Der steht bestimmt auf dem Parkplatz. Außerdem hatte er ein Prospekt von einem Hotel in Quedlinburg dabei. Falls er da abgestiegen ist, könnte dort noch Gepäck sein. Da fahr ich im Anschluss auch noch hin.“

Sandra hielt den Atem an. Jetzt gut aufpassen. Nicht dass sie noch den Namen des Hotels verpasste. Doch der wurde leider nicht mehr genannt. Nach einem „Okay“, beendete die Frau das Gespräch, stieg in ein Auto und fuhr los.

„Die haben es gut“, maulte Gerti. „Dürfen mit ihren Autos übers Feld fahren. Wir müssen noch bis zum Parkplatz zurück. Ich weiß nicht, ob ich das noch schaffe.“ Als ob diese Bemerkung den Ausschlag gegeben hatte, wurde Sandra plötzlich munter.

„Wisst ihr was, Mädels. Wir haben wirklich lange genug gewartet. Hauen wir endlich ab.“

„Und der Kommissar?“, fragte Marzena vorsichtig.

„Der weiß, in welchem Hotel wir zu finden sind. Wenn er noch mit uns reden wollte, hätte er eben was sagen müssen. Also los, gehen wir, bevor Gerti sich noch in die Hosen macht.“

Niemand hielt sie auf oder rief sie zurück und Gerti schöpfte Hoffnung. Das letzte Stück bis zum Parkplatz mussten sie aber an der Bode entlanglaufen und das Rauschen des Wassers war zu viel für Gertis Blase. Nach einem saftigen Fluch gab sie auf und verschwand erneut im dichten Grün der Uferbüsche.

„Pass auf, wo du hintrittst!“ Diese Spitze konnte Sandra sich nicht verkneifen. Ihr Lachen auch nicht. Zum Glück fiel Marzena mit ein. Kurz danach kam Gerti wieder zum Vorschein, sichtlich erleichtert.

„Ihr könnt mich mal“, knurrte sie, doch das Grinsen strafte ihre Bemerkung Lügen. Die allgemeine Heiterkeit blieb ihnen auf den letzten Metern bis zum Auto erhalten.

Sandra hätte sich gern noch mal auf dem oberen Pfad umgesehen, aber sie wurde überstimmt. Stattdessen beschlossen Gerti und Marzena, zurück nach Quedlinburg zu fahren. Dort wollten sie, da die Mittagszeit weit überschritten war, endlich etwas essen. Nach einigem Hin und Her einigten sie sich darauf, heute dem echten Käsekuchen-Café einen Besuch abzustatten.

Sie saßen bald darauf in einer gemütlichen Sofa-Ecke der oberen Etage des Cafés und schauten beseelt auf ihre Kuchenteller. Sandra hatte sich für ein Stück Käsekuchen mit Mango-Topping und Rosenwasser entschieden, Marzena für Heidelbeer-Krokant und Gerti für den Klassiker, einfach nur Käsekuchen.

„Das nenne ich Käsekuchen“, hauchte Gerti ehrfürchtig. Sandra grinste über ihren Teller hinweg und meinte: „Wenn das die selbsternannte Königin der sächsischen Eierschecke sagt, muss es ja stimmen.“

Sogar Marzena hatte etwas beizusteuern. „Ich finde das Wort Käsekuchen nicht zutreffend. Es ist mehr eine Käsetorte. Die Stücke sind doch bestimmt 10 Zentimeter hoch.“

„Dann kannst du auch getrost Käsetorten-Bombe sagen“, entgegnete Sandra.

Gerti hatte genug von dem Gerede. „Schluss mit dem Gebabbel. Esst, bevor es kalt wird.“ Alles, was die Frauen danach noch von sich gaben, waren Äußerungen wie Hmmm und Ohhh oder Lecker und Megalecker.

„Das hat sich echt gelohnt“, lautete Gertis Fazit, während sie die letzten Krümel vom Teller kratzte.

„Da ihr jetzt satt seid, können wir bitte noch mal auf die Sache an der Teufelsmauer zurückkommen?“ Einen plötzlicheren Themenwechsel hätte Sandra wirklich nicht finden können. Gerti verzog das Gesicht.

„Muss das sein, Sandra? Mir persönlich reicht es, dass ich nun bestimmt noch öfter als Zeugin befragt werde.“

„Wer weiß, vielleicht musst du ja auch noch vor Gericht aussagen. Natürlich nur, wenn es ein Mord war und der Täter gefasst wird.“

„Was heißt, wenn es ein Mord war? Was soll es denn sonst gewesen sein? Ein Selbstmord?“

Sandra schüttelte versonnen den Kopf und murmelte: „Das heißt Suizid. Man kann sich nicht selbst ermorden, jedenfalls nicht im juristischen Sinne.“

„Was? Na klar kann man sich selbst ermorden. Man kann sich vor den Zug werfen oder Gift nehmen oder sich erschießen.“

„Streng genommen wäre das eine Selbsttötung, aber kein Mord. Ein Mord ist es nur, wenn gewisse Mordmerkmale erfüllt sind, also Heimtücke oder Vorsatz …“

„Sandra, halt die Klappe. Wehe du fängst jetzt wieder mit dem Krimi-Scheiß an. Dann finden die nächsten Gäste hier oben eine vorsätzlich erwürgte Frau. Und anschließend begehe ich eine Selbsttötung und springe von der Teufelsmauer.“

„Du bist aber dünnhäutig. Ich dachte doch nur, wenn du darüber redest, was du gesehen hast, dann kannst du es besser verarbeiten.“ Sandras Erwiderung sollte wohl so etwas wie eine Entschuldigung sein. Es funktionierte leider nicht.

„Tu bloß nicht so therapeutenhaft. Du bist nicht Pinocchio.“ Das sollte keine Anspielung auf die gleichnamige Holzpuppe sein. Vielmehr war dies der geheime Spitzname von Sandras Therapeuten in der Reha gewesen. Seine schlanke hochgewachsene Gestalt und die feingliedrigen Hände hatten Marzena eines Tages zu diesem Vergleich veranlasst und dabei war es geblieben. Erfahren hatte er es nie, das hoffte Sandra jedenfalls.

„Könnt ihr euch noch an den Witz erinnern, den er mal erzählt hat?“, fragte Marzena in der Hoffnung, damit die Gemüter wieder zu beruhigen. Als die beiden Freundinnen sie verwirrt anschauten, packte sie die Gelegenheit beim Schopf und erzählte ihn noch mal.

„Wohin geht Pinocchio, wenn er krank ist? Zum Holz-Nasen-Ohrenarzt.“

„Der kam damals eigentlich nur bei uns dreien richtig gut an“, meinte Gerti trocken.

„Kein Wunder“, stimmte Sandra ihr zu. „Wir waren ja auch die einzigen, die den Witz dahinter sehen konnten.“ Das Eis war gebrochen und herzliches Lachen erfüllte die Sitzecke.

Nach einer Weile kehrte die ernste Stimmung wieder zurück, als Gerti zu Sandra sagte: „Ich weiß ja, dass dich die Sache beschäftigt. Wahrscheinlich wünschst du dir, du wärst an meiner Stelle gewesen. Ehrlich, dass wünsche ich mir auch. Ich kann damit nämlich nicht so gut umgehen, wie du. Falls es dich etwas tröstet: Ich werde dich gern über meine weiteren Befragungen auf dem Laufenden halten, aber an diesem Wochenende will ich nichts mehr davon hören. Okay?“

Sandra zögerte nur kurz mit ihrer Antwort. „Okay. Was haltet ihr davon, wenn wir den Rest des Tages nutzen, um noch etwas zu unternehmen. Ein paar Stunden haben wir ja noch.“ Damit waren alle einverstanden. So wie sie es eigentlich geplant hatten, fuhren sie nach Thale. Auch wenn ihr Zeitplan aus den Fugen geraten war, eine Fahrt mit der Seilbahn auf den Hexentanzplatz war noch drin. Der Blick durch den Glasboden auf die wilde und schroffe Landschaft, die unter ihnen dahinzog, war atemberaubend. Wegen des aufwendigen Umbaus wurde das Harzer Bergtheater zwar gerade nicht bespielt, doch sie konnten einen Blick über die Zuschauerränge auf die tief unten liegende Bühne werfen. Hier eine Vorstellung zu erleben, war bestimmt ein Erlebnis.

Enttäuschend dagegen erwies sich die Suche nach einem hübschen Souvenir. Marzena wollte unbedingt eine Brockenhexe haben, doch keines der Exemplare entsprach ihren Vorstellungen. Entweder war ihr der Preis zu hoch, die Aufmachung zu billig oder das Aussehen zu hässlich. Sandras Angebot mit einem Besen für ein Foto zu posieren, brachte alle zum Lachen, auch wenn es kein wirklicher Ersatz war.

Der restliche Nachmittag verging wie im Flug und als es dunkel wurde, machten die Frauen sich gutgelaunt wieder auf den Weg ins Hotel.

Fünf

Bei einem kurzen Stopp an einem Supermarkt deckte sich das Trio noch mit ein paar Leckereien für einen abendlichen Imbiss im Hotel ein, wozu auch eine Flasche Roséwein gehörte. Das alles sollte aber erst nach ihrem obligatorischen Schwimmen aufgetafelt werden. Für den Besuch des kleinen Schwimmbades hatten sie sich extra eine Zeit ausgesucht, zu der die meisten Hotelgäste im Speiseraum ihr Abendessen einnahmen. Als sie am Hotel ankamen, geriet ihr Zeitplan aber jäh ins Wanken.

„Verdammt, ich hab’s geahnt!“, platzte es förmlich aus Sandra heraus. Die Freundinnen schauten sie verwundert an. Was war denn jetzt schon wieder los?

„Hast du was verloren?“, fragte Gerti.