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Es hat vielleicht etwas länger gedauert, als wir es geplant hatten, aber die Recherchen erwiesen sich als sehr umfangreich. Schließlich wollten wir uns in unserem 2. Buch nicht nur auf Kriminalfälle in und um Magdeburg konzentrieren. Dieses Mal wird es auch noch gruselig. Wenn "Das Ding aus dem Eis" mit der "Schwarzen Äbtissin" "Nachts im Naturkundemuseum" um die Wette spukt und das "Biss zum Morgenrot", dann beweist das zweierlei. Erstens, der Magdeburger Mörder Club hat wieder zugeschlagen und zweitens, auch die Untoten schrecken nicht vor Verbrechen zurück. Das Grauen ist längst in Magdeburg angekommen und darum: Fuck you Corona!
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Seitenzahl: 279
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgend etwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind.
Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930)
Da sind wir wieder
Teil 1: Magdeburger Mordsgeschichten
Das Duell der Ermittler
Fuck you Corona – Teil 1
Ba-Ba-Banküberfall
Das Ding aus dem Eis
Die schwarze Äbtissin
Hamiholi-Likör
Hamiholi
Fuck you Corona – Teil 2
Es geschah am helllichten Sonntag
Fuck you Corona – Teil 3
Gedankenkontrolle vs. Gehirnwäsche
Teil 2: Magdeburger Spukgeschichten
Nachts im Naturkundemuseum
Mumien und wo sie zu finden sind
Wenn Geister kommen … … wen ruft ihr da?
Schuld und Schuldigkeit
Das Haus der Raventons
Biss zum Morgenrot
Vampire und wo sie zu finden sind
Was für eine Bescherung
Daniel und der Schüler des Schreckens
Zombie-Apokalypse
Bevor wir es vergessen …
Es hat vielleicht etwas länger gedauert, als wir es geplant hatten, aber die Recherchen erwiesen sich als sehr umfangreich. Schließlich wollten wir uns in unserem 2. Buch nicht nur auf Kriminalfälle in und um Magdeburg konzentrieren. Dieses Mal wird es auch noch gruselig.
Bei dem, was in dieser Sparte im beschaulichen Magdeburg so los ist, würde sogar der allseits beliebte Marshmallow-Mann noch blasser werden, wenn er könnte. Es spukt und geistert durch alte Häuser und über die Friedhöfe.
Das ist noch nicht gruselig genug? Dann warten Sie ab, bis Ihnen die schwarze Äbtissin über den Weg läuft. Die will nicht nur spielen. Ganz zu schweigen von den vielen Untoten, die sich am 31. Oktober wieder aus ihren Gräbern erheben werden. Von denen könnte Ihnen der eine oder andere in Zukunft echter vorkommen, als Ihnen lieb ist.
Unser Naturkundemuseum hatte möglicherweise auch nicht nur wegen Corona geschlossen. Was mich zum nächsten Hinweis bringt. Auch wenn wir alle inzwischen die Nase gestrichen voll von den Teststäbchen haben, so ganz sind auch wir an Corona nicht vorbeigekommen.
Lassen Sie sich aber nicht ängstigen von unseren Geschichten. Natürlich haben wir auch wieder hilfreiche Tipps beigefügt. Mit deren Hilfe werden Sie jeden Vampir erfolgreich in die Flucht schlagen, kommen gut durch die Alien-Invasion oder die Zombie-Apokalypse.
Für die etwas zarter Besaiteten unter Ihnen enthält unser Buch noch ein Rezept (die kommen immer gut) und eine Bastelanleitung. Und Otto I., unser Rabe, hat sich auch wieder in die verschiedensten Schalen geschmissen.
Jetzt überprüfen Sie noch mal, ob Türen und Fenster geschlossen und alle Kinder im Bett sind. Dann suchen Sie sich einen sicheren Platz in der Nähe Ihres Partners/ Ihrer Partnerin und sprechen Sie die Worte: Salvio Hexia. Jetzt sind Sie durch einen mächtigen Zauber geschützt und schon steht dem Lesegenuss nichts mehr im Wege.
Ihr
Magdeburger Mörder-Club
Sylvie Braesi
„Ich glaube, er war es“, hörte Winkler seine Partnerin sagen. „Er hat ihn umgebracht.“
Er war Karsten Scherf und dem war gerade vorgeworfen worden, der Mörder von Bernd Scherf zu sein, was Winkler aber bezweifelte.
„Er ist sein Zwillingsbruder“, gab er entschlossen zurück und goss sich noch einen Kaffee ein. „Karsten war es ganz sicher nicht.“
„Aber er hat kein Alibi“, bekam er als Antwort. Auch dem konnte er nicht zustimmen.
„Doch, er hat eins. Er war zuhause und hat ferngesehen.“
Von seiner Partnerin bekam er dafür nur ein abfälliges Schnauben und das Argument: „Das ist doch kein Alibi. Er wohnt allein. Niemand kann bestätigen, dass er wirklich zur Tatzeit zuhause war.“
Damit hatte sie zwar Recht, aber das reichte nicht, um Winkler umzustimmen. Er wusste aus Erfahrung, dass gerade so einfach erscheinende Alibis meistens stimmten und die komplizierten erfunden waren. Darum machten ihn eher die großartigen und logischen Geschichten misstrauisch.
„Nein“, antwortete er leise. „Es war Samstag Abend und wo sind die meisten Leute Samstag Abend? Zuhause vor dem Fernsehen und sehen sich eine Show oder einen Tatort an. Oder etwa nicht?“ Er sah seine Partnerin demonstrativ an.
Fast sah es so aus, als würde sie einknicken. Aber Winkler kannte sie zu gut, um daran zu glauben. Sie hatte bestimmt noch ein As im Ärmel. Und schon kam es.
„Ich weiß nicht. Er hat zwar kein wasserdichtes Alibi, aber dafür ein ziemlich gutes Motiv. Der Bruder hat ihm immerhin die Freundin ausgespannt.“
Verdammt!
Das war leider ein dicker Pluspunkt für ihre Theorie. Und solange er keinen anderen Kandidaten mit einem besseren Motiv fand, konnte er ihrer Theorie nichts entgegensetzen. Im Moment bewegte ihn aber eine ganz andere Frage.
Wieso, zum Geier, habe ich mich nur auf dieses Duell eingelassen?
Wer von uns ist der bessere Ermittler, hatte sie gefragt und er war so dämlich gewesen, zu sagen: „Das bin ich.“
Jetzt kam er aus der Nummer nicht mehr raus. Er hätte doch einfach antworten können: Natürlich du.
Hatte er aber nicht.
Zurückrudern ging nicht mehr. Sie hatte seine Bemerkung als Kampfansage gewertet und angenommen. Winkler verfluchte sich selber. Als ob Ermittlungsarbeit ein Wettstreit war.
Winkler spürte ihren herausfordernden Blick. Sie wartete auf Antwort. Was aber sollte er sagen?
„Eifersucht ist ein starkes Motiv, wenn es denn zutrifft. Das Verhältnis der Brüder zueinander ist aber, soweit wir wissen, völlig normal.“
„Ja, auf den ersten Blick vielleicht. Aber unter der Oberfläche kann es gewaltig brodeln.“
„Ich bitte dich. Die Geschichte ist doch schon Jahre her. Bernd und Michaela, das war eine Sandkastenliebe, die nach dem Abitur zu Ende war. Bernd ging nach Heidelberg zum Studium und Michaela und Karsten blieben hier. Klar, dass sie sich dann den anderen Bruder geschnappte hat.“
„Was ist denn da so klar dran? Immerhin hatten sich Bernd und Michaela noch verlobt, bevor er mit dem Studium anfing. Er hat bestimmt gedacht, sie würde auf ihn warten. Und dann plötzlich die Entlobung per SMS und ein paar Monate später die Hochzeit mit Karsten. Sowas geht doch nicht spurlos an einem vorbei.“
Winkler kam nicht umhin, die Argumentation seiner Partnerin schlüssig zu finden. Trotzdem störte ihn noch etwas daran.
„Wieso rastet er dann nicht sofort aus? Er lässt die beiden heiraten, überlässt ihnen sogar das gemeinsame Elternhaus, trampt durch die Welt und wartet 7 Jahre, um sich zu rächen?“
„Er hat Michaela noch geliebt und dachte, dass sie mit seinem bodenständigen Bruder glücklicher sein würde als mit ihm. Das war ja auch so, bis vor einem Jahr. Da begann es, in der Ehe zu kriseln.“
Winkler konnte sich denken, was jetzt kam und verdrehte innerlich die Augen.
„Fang jetzt bloß nicht mit dem verflixten siebten Jahr an. Das ist alles Quatsch.“
„Findest du? Laut Statistik werden die meisten Ehen im 7. Jahr geschieden. So ganz aus der Luft gegriffen ist es also nicht.“
Sie hatte die Worte mit solcher Ernsthaftigkeit gesprochen, dass Winkler nicht ganz sicher war, ob sie immer noch Bernd Scherfs Ehe meinte. Nachfragen würde er jedenfalls nicht. Also zurück zum Fall.
„Wenn du das Motiv für den Mord in der Ehe siehst, dann kommt Michaela Scherf aber genauso als Täterin in Frage“, gab Winkler zu bedenken und erntete einen entrüsteten Blick.
„Nur, weil sie gesagt hat, dass es in letzter Zeit nicht mehr so harmonisch ablief, wie zu Beginn der Ehe? Na hör mal! In jeder Ehe kommt es ab und an zu Streitigkeiten, wenn die Schmetterlingsphase vorbei ist. Das ist noch kein Grund, den Ehepartner umzubringen. Jedenfalls in den meisten Fällen nicht.“
Da war er wieder, dieser merkwürdige Unterton, fand Winkler und beeilte sich, seine Theorie zu untermauern.
„Michaelas Alibi ist aber auch nicht besser als das von Karsten. Sie sagt, sie war shoppen, hat aber keine Quittungen. Dann war sie im Kino. A l l ein, hat aber auch keine Eintrittskarte mehr. Also wenn das nicht dürftig ist, dann weiß ich nicht.“
Natürlich konterte seine Partnerin sofort.
„Sie hat bar bezahlt und die Kassenbons weggeworfen, weil mit der Ware alles in Ordnung war. Und wer, bitte schön, hebt seine Kinokarten auf? Du etwa?“
„Nein, ich glaube trotzdem, es war Michaela. Oder beide. Sie hat gemerkt, dass die Ehe ein Fehler war und sich wieder mit Karsten eingelassen. Vielleicht wollten sie den Fehler rückgängig machen, vielleicht hat Bernd auch was gemerkt. Auf jeden Fall ist der Ehemann im Weg und die beiden beschließen, dass er weg muss. Schon kurze Zeit später kann Karsten die trauernde Witwe trösten.“
Für den Moment war Ruhe. Winkler schaute seine Partnerin an. An ihrem Gesichtsausdruck konnte er nicht erkennen, wie sie über diese neue Theorie dachte. Aber er war sich sicher, dass er es schon bald erfahren würde. Er behielt Recht.
„Wäre es da nicht besser, wenn sie sich gegenseitig beschuldigen würden? Stattdessen liegen sie sich weinend in den Armen. Das ist doch viel zu auffällig.“
„Das mit dem gegenseitig beschuldigen funktioniert nur im Film und meist auch nicht lange.“
Winkler sah den verschmitzten Blick seiner Partnerin und ruderte schnell zurück.
„So kommen wir nicht weiter“, sagte er resignierend.
„In dem Punkt gebe ich dir Recht. Ich denke trotzdem, dass Karsten der Mörder ist.“
Der Kaffee war kalt geworden und die Pause war um.
„Wir sollten wieder reingehen“, sagte Winkler leise. „Hier draußen werden wir es nie rauskriegen.“
Das stimmte natürlich und mit einem Nicken nahm sie ihm den Kaffeebecher aus der Hand, goss den kalten Inhalt weg und stellte beide Tassen in die Spüle.
„Also gut, dann machen wir drin weiter. Ich würde ihm aber zu gerne mal eine Frage stellen.“
Winkler horchte auf. Da war er doch mal gespannt drauf.
„Und welche?“
„Wenn er doch angeblich drüber weg war, wieso hat er in all den Jahren nie geheiratet?“
Wieder ein Punkt für seine Partnerin, fand Winkler.
Während sie zurück ins Zimmer gingen, grübelte Winkler über den Fall nach.
Der schien anfangs doch gar nicht so kompliziert zu sein. Wahrscheinlich hatte er sich deshalb auf das Duell eingelassen, weil er glaubte, es schnell für sich entscheiden zu können.
Also was wussten sie?
Bernd Scherf war an einem späten Samstagabend von seiner heimkommenden Frau tot zuhause aufgefunden worden. Er lag mit seinem ziemlich zermatschten Kopf auf dem Boden der Küche in einer großen Blutlache. Die Tatwaffe war unauffindbar. Die Autopsie ergab ein schweres Schädel-Hirn-Trauma durch mehrfache Schläge gegen den Kopf mit einem stumpfen Gegenstand.
Sofort waren der Bruder und die Ehefrau des Toten ins Visier der Ermittlung gerückt. Natürlich waren auch Freunde und Kollegen befragt worden, doch alle schilderten Bernd als nett, freundlich und beliebt. Aber das hieß noch gar nichts, fand Winkler. Wer sagte schon gern Schlechtes über Tote.
Die Ehefrau war schon befragt worden und nun saß der Bruder im Vernehmungszimmer. Obwohl er es mit gleich zwei Ermittlern zu tun hatte, fragte er nicht nach einem Anwalt. Das konnte daran liegen, dass er ein ruhiges Gewissen hatte oder … er war ein guter Schauspieler.
Das würde sich noch zeigen müssen.
Winkler und seine Partnerin setzten sich nebeneinander, dem Verdächtigen gegenüber. Sie behielten Mimik und Gestik genau im Blick.
War er schuldig oder nicht? Würde er sich verraten?
Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es dauerte noch eine ganze Stunde, bis der Fall geklärt und das Duell entschieden war.
Sie hatten beide falsch gelegen, denn der Mörder war einer von Bernds Freunden. Sie kannten sich vom Fußball. Bernd war Schiedsrichter und sein Freund einer der Spieler in der Heimmannschaft. Beim letzten Spiel hatte Bernd einige Gelbe Karten verteilt, unter anderem auch an seinen Freund, deren Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen worden waren. An besagtem Samstag war sein Freund gekommen und hatte mit ihm darüber reden wollen. Es war ihm nicht gelungen, Bernd umzustimmen, und es war zum Streit mit tödlichem Ende gekommen.
Das alles konnte aber erst geklärt werden, als die Mordwaffe, ein blutiger Fußballpokal, gefunden wurde. Danach war es einfach gewesen.
Winkler lehnte sich entspannt zurück. Er hatte nicht verloren, nur das war ihm wichtig. Sie hatten sich schließlich auf ein Unentschieden geeinigt.
Leider wusste er nur zu gut, dass sie es nicht dabei belassen würde. Dieses Duell würde weitergehen, solange bis Lydia gewonnen hatte.
Und schon hörte er sie rufen: „Nächsten Sonntag kommt der Tatort Münster. Das wird bestimmt schwieriger. Ich freu´ mich schon, Schatz.“
Sylvie Braesi
Still und leer lag die Straße vor ihnen. Hinzu kam, dass kaum eine Menschenseele unterwegs war. Die Sonne schien und die ersten Frühblüher hatten keck ihren Winterschlaf beendet.
„Das könnte ein richtig schöner Sonntag sein“, startete POM Rademacher den x-ten Versuch, seine Partnerin POM Grabovski aufzuheitern. Ohne Erfolg.
„Ist es aber nicht“, knurrte sie zurück.
Leider hatte sie Recht. Es war Montag, der 31. März und es war Lockdown. Rademacher war aber keiner von denen, die so schnell aufgaben. Er begann ungeachtet von Grabovskis schlechter Laune die Vorteile des Lockdowns aufzuzählen.
„Mensch Ellen, guck mal. Es könnte viel schlimmer sein. Montagmorgen und die typischen verstopften Straßen in der City. Zahlreiche Meldungen von Einbrüchen, die am Wochenende verübt und heute erst bemerkt wurden. Oder die Entlassungen aus den Ausnüchterungszellen. Das alles ist uns heute erspart geblieben. Stattdessen sind die Straßen leergefegt und wir haben einen schönen Einsatz am Hundertwasserhaus, wo wir die Einhaltung der Abstands- und Verhaltensregeln überwachen sollen. Gleich macht der Italiener auf und wir kriegen unseren Coffee-to-go direkt zum Streifenwagen gebracht. Also, mir gefällt`s.“
Grabovski brauchte einen Moment, um Rademachers Ansprache zu verdauen. Ihr Partner schien das alles immer noch für ein Spiel zu halten, unglaublich. Und was das Schlimmste war, eigentlich war sie im Team sonst das Sonnenscheinchen und er der Miesepeter. Doch zurzeit hatten sie die Rollen getauscht.
Grabovski wollte nicht schon wieder eine Diskussion vom Zaun brechen. Davon hatte es in der letzten Woche schon genug gegeben. Beide waren schließlich zu dem Entschluss gekommen, über Corona und alles, was damit zusammenhing, nicht mehr zu reden. Sie waren einer Meinung, nicht einer Meinung zu sein und das musste für die Arbeit reichen.
Als Grabovski Angelo mit den beiden Kaffeebechern herauskommen sah, wuchs ihr Unwohlsein weiter. Sie wusste nämlich, was nun kommen würde und es missfiel ihr.
Rademacher und Angelo führten, wie schon an einigen Tagen zuvor, eine italienische Seifenoper auf. Das hieß, sie stritten lautstark und mit übertriebenen Gesten um die Bezahlung des Kaffees. Keinen interessierte, dass sie dabei stets dem gleichen Drehbuch folgten und auch das Ende von vornherein feststand. Sie machten sich einfach einen Spaß daraus.
R: „Was kriegst du?“
A: „Nixa! Issa umsonst!“
R: „Nein, das können wir nicht annehmen, also wie viel?“
A: „Ische sagen doch, issa umsonst, für disch und deine übsche Partnerin.“
R: „Angelo? Das geht nicht.“
A: „Klaro gehe das, mein Freund!“
R: „Wir sind von der Polizei und dürfen nichts annehmen. Das wäre Bestechung.“
A: „Nixa Bestechung! Angelo nix Mafia, Angelo Freund und Polizei passen auf Freund auf. Basta!“
An der Stelle reichte Angelo seinem Freund stets die Kaffeebecher, drehte sich um und verließ die Bühne nach links. Rademacher schickte noch ein sehr italienisch klingendes „Angelo, prego!“, hinterher. Worauf der Angesprochene jedes Mal sehr theatralisch die Arme nach oben riss.
Heute gab es eine kleine Änderung im Drehbuch. Angelo wandte sich noch mal um und warf Grabovski ein inniges „Bella Donna!“ und einen Luftkuss zu.
Es war so peinlich.
Grinsend schob Rademacher den Kaffee rüber. Ein wirklich verführerischer Duft entstieg dem Becher und natürlich griff sie zu. Etwas so Gutes durfte man doch nicht vergeuden. Außerdem hatte sie heute Morgen keinen Kaffee mehr trinken können.
Der morgendliche Stress im Hause Grabovski war seit dem Beginn des Lockdowns eine feste Größe geworden. Ellen und ihr Mann arbeiteten in systemrelevanten Berufen: er bei der Städtischen Abfallentsorgung und sie bei der Polizei.
Der Jüngste, Fabian, war in der 3. Klasse und durfte in die Notbetreuung. Die Älteste, Nele, ging in die 8. Klasse, das hieß Homeschooling.
Jeden Morgen gab es dasselbe Gezeter. Fabian wollte nicht in den Hort und Nele wollte nicht aufstehen. Notbetreuung sei Scheiße und Homeschooling noch viel Scheißer. Es war ein täglicher Wettstreit, wer von beiden schlimmer dran war und das meiste davon bekam Grabovski ab, denn ihr Mann fing schon um 5 Uhr zu arbeiten an.
Es endete in der Regel damit, dass Grabovski ein Machtwort sprach, Fabian heulte, Nele die Tür zu ihrem Zimmer zuknallte und für den Kaffee keine Zeit mehr blieb.
So war es auch heute Morgen gewesen und deshalb duftete der frische Kaffee von Angelo besonders verlockend. Grabovski nahm einen Schluck und hätte sich beinahe den Mund verbrannt. Rademacher schien dagegen einen weniger empfindlichen Gaumen zu haben. Grabovski stellte ihren Becher lieber noch einmal in den Getränkehalter und im selben Augenblick plärrte die Funksprechanlage los.
Die beiden Beamten sahen sich fassungslos an. Hatten sie richtig gehört? Banküberfall? Schon wieder? Das war dann heute der dritte Notruf mit diesem Hintergrund. Unfassbar!
Die ersten beiden Male hatte der Alarm sie beide nicht betroffen, dieses Mal war das anders. Sie waren am dichtesten dran und damit auch am dransten.
Es dauerte keine 10 Sekunden und der Streifenwagen legte einen Alarmstart hin, wie er im Buche stand. Davon wurde eigentlich abgeraten, vor allem wenn der Wagen auf dem Gehweg geparkt war. Aber heute waren ja keine Leute unterwegs und es bestand nur ein sehr geringes Risiko auf Verluste.
Grabovski fuhr und Rademacher fragte vorsichtshalber noch mal nach. Die Bestätigung kam postwendend und die Information, dass weitere Einsatzkräfte unterwegs waren. Grabovski und Rademacher sollten zunächst mal sichern und abwarten.
„Dürfen wir wenigstens hinterherwinken, wenn die Bankräuber abfahren?“, fragte Rademacher verärgert. Für die Bemerkung erntete er von seiner Partnerin einen finsteren Blick und die Bemerkung: „Wir sind nur zu zweit und wissen nicht, mit wie vielen Bankräubern wir es zu tun haben. Also, ich habe nicht vor, Sheriff zu spielen.“
„Ich doch auch nicht“, beruhigte Rademacher sie.
Da der Verkehr auf den Straßen fast zum Erliegen gekommen war, konnten sie auf Blaulicht und Sirenen verzichten und kamen trotzdem schnell vorwärts. Und ihr Nahen blieb dadurch auch unbemerkt.
Grabovski brachte den Wagen in einiger Entfernung zum Stehen und meldete ihre Ankunft der Zentrale. Dann stiegen beide aus. Die Hand auf dem Holster und viel Adrenalin im Blut näherten sie sich der Bank bis auf 50 Meter. Das war nicht nah genug, um etwas sehen zu können.
Wo nur die Verstärkung blieb?
Plötzlich öffnete sich die Automatiktür der Bank und zwei Hände mit einem Kopf dazwischen schoben sich langsam nach draußen. Kopf und Hände gehörten offensichtlich zu einem Mann, der seine restlichen Körperteile vorsichtshalber im Inneren beließ. Seine Vorsicht war nicht ganz unberechtigt.
Die beiden Polizisten zogen ihre Waffen, richteten sie auf den Kopf und brüllten nicht ganz unisono: „Polizei! Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!“
Das klang nicht sehr freundlich und verwirrend war es auch, denn seine Hände waren ja schon oben. Der Mann erstarrte augenblicklich und rief den Beamten etwas zu, das im Gebrüll weiterer polizeilicher Anweisungen unterging.
Weitere Sekunden vergingen mit gegenseitigen Zurufen und ohne nennenswerte physische Veränderungen.
Grabovski fasste schließlich einen Entschluss. Als erstes brüllte sie, so wie sie es schon am Morgen zuhause getan hatte, so laut, dass auch zwei kreischende Kinder keine Chance gehabt hätten: „Ruhe, verdammt noch mal!“
Der Kopf und sein Rest erstarrten zur Salzsäule und sogar Rademacher zog anerkennend die Augenbrauen nach oben.
Ihre nächste Ansage galt dem Kopf, klang aber schon wesentlich ruhiger. „Kommen sie langsam nach draußen. Behalten sie die Hände oben.“
Der Kopf gehorchte, wenn auch ungern, das war nicht zu übersehen.
„Wer sind Sie?“
„Ich bin Peter Klusmann. Ich bin der Bankfilialleiter“, kam es etwas kläglich zurück. Grabovski, die eigentlich kein Sheriff sein wollte, ging mit ausgerichteter Waffe auf Klusmann zu. Nachdem sie am Jackett einen Firmenausweis mit Bild und Namen entdeckt und gelesen hatte, durfte er endlich die Hände runternehmen.
„Uns wurde ein Banküberfall gemeldet.“
Klusmann zog entschuldigend die Schultern nach oben.
„Also, das tut mir wirklich leid. Wir haben gerade gemeldet, dass es nur ein Missverständnis war. Hat man Ihnen das nicht mitgeteilt?“
Nein, hatte man noch nicht. Aber das erklärte zumindest, wieso keine Verstärkung gekommen war.
„Wir haben alles unter Kontrolle. Es war nur ein dummer Jungenstreich. Unser Securitymann hat den Übeltäter schon überwältigt. Sie können ihn gern mitnehmen.“ Klusmann lief wieder in die Bank zurück und die beiden Beamten schickten sich an, ihm zu folgen.
In diesem Moment begann aber Grabovskis Funkgerät zu schnarren. Sie überließ es ihrem Kollegen, den vermeintlichen Bankräuber in Gewahrsam zu nehmen und meldete sich.
Was sie zu hören bekam, war einfach unglaublich. Nicht nur ihrer, nein auch die zwei vorangegangenen Banküberfälle hatten sich als falscher Alarm herausgestellt. Das Ganze sah inzwischen so aus, als ob eine Gruppe Jugendlicher sich mit diesen getürkten Überfällen einen besonders blöden Scherz ausgedacht hatte. Der Ablauf war immer der Gleiche gewesen.
Jeder für sich war im Abstand von einer halben Stunde maskiert in eine Bank marschiert, hatte einen Zettel über den Bankschalter geschoben, auf dem die berühmten vier Worte standen: Das ist ein Banküberfall! Untermauert wurde die Botschaft mit den Worten: „Wenn Sie Alarm geben, schieße ich.“ Die verdutzten Kassiererinnen hatten da den stillen Alarm schon längst ausgelöst und harrten starr vor Schreck dem, was nun kommen würde.
Dass die jugendlichen Räuber eine Waffe bei sich trugen, war nicht zu sehen. Wohl aber etwas, das wie eine Waffe in der Jackentasche aussah. Wer wollte da schon ein Risiko eingehen?
Als Nächstes kam eine Plastiktüte über den Schalter gewandert und ein weiterer Zettel. Die Kassiererinnen vermuteten, dass darauf eine Summe stehen würde, was sich schnell als ein Irrtum herausstellte.
Darauf stand nämlich: Das war ein Scherz! Dahinter prangte ein riesiger Smiley. Während die Frauen noch versuchten, den Sinn, oder besser gesagt den Unsinn, hinter allem zu erfassen, war der Bankräuber schon wieder auf der Flucht, ohne Beute aber mit einem lauten Lachen.
Die besondere Würze aber lag in der Maskierung, für die die Räuber sich entschieden hatten.
Sie trugen sogenannte Munasken, also Mund- und Nasenbedeckungen. Die waren zwar noch nicht Pflicht, tauchten aber immer öfter auf den Straßen auf. Ihre Munasken zeigten den grotesk lachenden Mund des Jokers.
Den ersten beiden Jokern war die Flucht gelungen, der dritte im Bunde hatte das Pech auf der Flucht gegen den ausgestreckten Arm des Wachmanns zu laufen.
Gerade kam Rademacher mit dem Pechvogel heraus, grinste unverhohlen seine Partnerin an und meinte schelmisch: „Du kannst mich ab heute Batman nennen. Willst du mein Robin werden?“
Grabovski konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, konterte aber mit: „Sei lieber vorsichtig mit dem, was du sagst, Batman. Vielleicht werde ich ja zur Catwoman.“ Mit zu Krallen gekrümmten Fingern schickte sie noch ein kehliges „Rrrhh“ in seine Richtung.
Dem Jungen legte sie eine Hand auf die Schulter und sagte: „Pech gehabt, Joker. Wir halten unsere Gotham City sauber.“
Der Bengel, der höchstens 14 – 15 Jahre alt war, fing doch tatsächlich an, zu handeln.
„Mann Leute, das war doch nur ein Joke, comprende? Ein Scherz, also ein Joke, wie in Joker.“
Grabovski zeigte sich völlig unbeeindruckt von der Doppeldeutigkeit.
„Das kannst du alles deinen Eltern erzählen oder deinem Anwalt. Vielleicht hebst du dir das aber für die Verhandlung auf, wenn du und deine Komplizen dem Richter und den Kassiererinnen gegenüberstehen. Bin gespannt, ob die darüber lachen können.“
„Richter? Bin ich verhaftet? Verstehen Sie denn keinen Spaß?“
Der Bengel guckte zunehmend bedeppert über seine Maske hinweg und fing langsam an zu begreifen, dass man nicht vorhatte, ihn laufen zu lassen.
„Was denkst du denn von uns?“, meinte Rademacher mit viel Sarkasmus in der Stimme. „Du kommst jetzt in den Genuss einer Spazierfahrt mit dem Streifenwagen und einer Führung durch die heiligen Hallen unserer Dienststelle, einschließlich einer netten Gesprächsrunde mit Kaffee und einem Erinnerungsfoto. Wir verstehen nämlich durchaus Spaß.“
Sie verfrachteten den Unglücksraben ins Fahrzeug und meldeten ihre baldige Ankunft im Revier. Aber nicht, warf Grabovski ein, ohne vorher noch mal bei Angelo anzuhalten und frischen Kaffee zu kaufen. Die Betonung lag auf frisch und kaufen.
Der Bengel saß geknickt im Fond des Polizeiwagens. Alles, was er noch von sich gab, war, dass sie sich die Aktion nur aus Langeweile ausgedacht hatten.
„War doch nur wegen das Fucking Homeschooling und wegen Scheiß-Fucking-Corona.“
„Es heißt, wegen dem, du Opfer“, schnauzte Grabovski genervt zurück. „Einer wie du ist der beste Beweis, wie wichtig es ist, die Schulen so schnell wie möglich wieder aufzumachen.“ Sie dachte an ihre Tochter zuhause, die hoffentlich nicht auf solch Blödsinn kam. Wieder an ihrem ursprünglichen Einsatzort angekommen, begab sich Grabovski sofort in die Eisdiele. Rademacher folgte ihr nicht, er hatte eine andere Idee. Mit großen Schritten lief er auf die andere Straßenseite. Dort befand sich auch eine Bankfiliale und er wollte die dortigen Mitarbeiter vor den anderen falschen Jokern warnen, die noch nicht gefasst worden waren. Nur für den Fall, dass die noch nicht genug Spaß verursacht haben sollten.
Joker 3 brütete wütend vor sich hin. Man sah, wie es in ihm arbeitete. Noch redete er nicht, doch schon bald würde sich der Unglücksrabe in einen Singvogel verwandeln, da waren die beiden Polizisten sich ganz sicher.
Mit einem neuen Caffé Latte in der Hand, kam Grabovski zurück zum Funkwagen. Zufrieden lehnte sie sich gegen die Tür und hielt nach ihrem Kollegen Ausschau. Der konnte sich ruhig Zeit lassen. Diesen Kaffee wollte sie austrinken, bevor es zurück zum Revier ging. Doch Rademacher ließ nicht lange auf sich warten. Als er aus der Bank kam, fiel Grabovski fast der Kaffee aus der Hand.
Rademacher war nicht allein. Neben ihm stolperte ein Mann in Handschellen vorwärts. Das konnte keiner von den Flüchtigen sein, dafür war er zu alt.
Triumphierend hielt der Kollege eine Tüte hoch und grinste übers ganze Gesicht.
„Guck mal, was ich gefunden habe. Eine Tüte Geld mit einem echten Bankräuber dran.“
Während die Polizei durch die falschen Notrufe und die Suche nach den flüchtigen Jugendlichen in der ganzen Stadt unterwegs war, hatte dieser Mann die Gunst der Stunde genutzt. Als er beobachtet hatte, dass der Streifenwagen mit Karacho den Platz gegenüber der Bank verließ, sah er die Chance für sich gekommen.
Hätte er gleich zugeschlagen, wer weiß …
Doch er zögerte zu lange und so konnte ihm Rademacher noch am Schalter Handschellen anlegen. Er verfrachtete den echten zum falschen Bankräuber. Der Echte musterte den Jungen mit finsterem Blick. Der Falsche wurde blass und rückte so weit von ihm ab, wie es ging.
Was für eine Fuhre, dachte Rademacher und schüttelte lachend den Kopf. Als er das ängstliche Gesicht des Jokers bemerkte, konnte er nicht anders.
Er sagte: „Macht euch ruhig bekannt miteinander, Jungs. Ihr kommt ja quasi aus derselben Branche.“ Und dem Joker flüsterte er zu: „Frag doch mal, ob du ein Praktikum bei deinem Kollegen machen kannst.“
„Aber erst, wenn ihr beide wieder draußen seid“, fügte Grabovski schnell hinzu.
Zugegeben, die Vorstellung davon, mit Maske in eine Bank gehen zu können, ohne gleich vom Sicherheitsdienst zu Boden gerissen zu werden, war ungeheuer belustigend. Ich kriegte stellenweise das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht, was aber nicht weiter schlimm war, denn keiner konnte es unter meiner Maske sehen.
Merkwürdigerweise blieb die von mir erwartete Meldung von der wachsenden Zahl der Banküberfälle aus. Vielleicht lag es ja daran, dass Masken zu Beginn der Pandemie genauso rar waren, wie Klopapier und Hefe. Bis heute frage ich mich, wie die Verknappung dieser lebenswichtigen WtB’s* entstanden sind.
Meine Theorie dazu: In NRW, Meck-Pom oder Hessen hat ein Betreiber öffentlicher Pachttoiletten herausgefunden, dass seine Angetraute ein Verhältnis mit dem Betreiber des nächsten Großhandels hat. Den Kerl wollte er nicht mehr unterstützen und kaufte im örtlichen Supermarkt das ganze Klopapier auf.
Er machte ein Selfi von sich und seinen fünf vollen Einkaufswagen. Das Foto, mit dem Untertitel: Nä, nä, nä, nä und einem Mittelfinger-Smiley, wollte er dem verruchten Galan schicken. Leider wurde er von der Kassiererin aus dem Konzept gebracht, die wissen wollte, ob er denn wirklich so viel Klopapier brauchen würde. Er drückte die falschen Tasten und Schwups postete er es auf Facebook und Instagram. Als er den Irrtum bemerkte, war es zu spät und die Posts schon massenhaft geteilt. Schnell sprach sich rum, dass man bald schon kein Klopapier mehr würde kaufen können. Den Rest kennen wir.
Noch Wochen später, als das begehrte Gut wieder in den Regalen lag, traute man sich nur im Dunkeln mit so einer Packung über die Straße. Die Gefahr für einen Hamsterkäufer gehalten zu werden, war einfach zu groß.
Hamster gab es übrigens die ganze Zeit über genug.
Wieso Hefe und Mehl knapp wurden, liegt auf der Hand. Es wurde Brot gebacken und das tauschte man gegen Klopapier ein.
Aber zurück zu den Banküberfällen.
Ich habe das mit der Maske und der Bank natürlich getestet. Lief gut. Bin rein und wieder rausgekommen, ohne auch nur schief angesehen zu werden. Allerdings hatte ich keine Joker-Maske auf, sondern eine mit dem Aufdruck Verdegdor Ärmiddler. In Sachsen wäre das bestimmt gut angekommen, hier hat’s keiner verstanden.
Wir raten trotzdem von Überfällen auf alle Arten von Banken ab, inklusive auf Parkbänke.
*Anmerkung der Autorin: Waren des täglichen Bedarfs. Wer das nicht kennt, muss damit rechnen, dass er mal keine Rente mehr kriegt, weil er zu jung ist.
Sylvie Braesi
Der Winter war spät gekommen, oder früh. Je nachdem, wie man es sehen wollte. Es war Februar und seit Tagen hatten der gefühlt zehnte Lockdown sowie Schnee und Frost die Stadt fest im Griff.
In kurzer Zeit waren fast 30 cm Schnee gefallen. Damit hatte natürlich wieder mal keiner gerechnet. Der Flockdown sorgte dafür, dass der gesamte Verkehr sogar für zwei/drei Tage zum Erliegen kam. Straßen, Gehwege, Schienen und Autos ruhten verborgen unter einer dicken Schneeschicht. Nichts ging mehr.
Die Gewinner des Wintereinbruchs waren die Kinder, denn es waren gerade Ferien. Sämtliche Hügel, die sich auch nur ansatzweise zum Rodeln eigneten, wurden dicht belagert. Wer weder Schlitten, noch Rodelschale oder wenigstens einen Schnee-Rutscher hatte, behalf sich mit Matten oder rutschte auf dem Hintern. Das tat der Freude und dem Spaß keinen Abbruch. Diese seltene Gelegenheit konnte man sich doch nicht entgehen lassen.
Entsprechend voll war es in den Parks der Stadt, doch niemand störte sich daran. Besser so, als wenn alle in den Harz fuhren und für noch mehr Hotspots sorgten. Und es gab auch in Magdeburg durchaus Sehens- und Erlebenswertes.
So hatten ein paar ganz Verwegene auf den Elbwiesen einen improvisierten Eisskulpturen-Wettbewerb gestartet. Der erste Tag war der Vorbereitung vorbehalten. Schilder, Plakate und ein Pavillon für die Organisatoren wurden aufgestellt und den ganzen Tag kamen LKWs mit Eisblöcken und Schnee angefahren. Woher die Eisblöcke kamen, wusste keiner, aber Schnee gab es ja gerade überall und umsonst. Jeder, der Bock hatte, konnte mitmachen. Es war kein Wettbewerb mit strengen Auflagen oder Regeln. Man meldete sich bei den Organisatoren und fertig war der Lack.
Am zweiten Tag ging’s los. Jeder Teilnehmer bekam einen Platz zugewiesen. Eis und Schnee waren genug da und Wasser schöpfte man aus der Elbe. Nur das, was an Geräten oder Werkzeugen benötigt wurde, musste selber mitgebracht werden. Die Zuschauer durften Fotos der fertigen Gebilde machen und unter dem Hashtag #eiskalterwischt posten, liken und bewerten.
Um 9 Uhr starteten die Eiskünstler bei knitterkalten -14°C. Der Kampf um die besten Eisblöcke fand noch weitestgehend ohne Publikum statt. Deshalb ging es zumeist friedlich ab. Nur ab und an passierte ein Jogger die Sternbrücke und beäugte im Vorbeilaufen das Geschehen auf der Elbwiese.
Um 10 Uhr startete einer der Organisatoren, einen ersten Rundgang. Er gehörte der Studentenvereinigung der Uni an, die diese eisige Challenge ins Leben gerufen hatte.
Ursprünglich sollte das Ganze nur ein Joke sein, aber dann kamen die ersten Anfragen von Sponsoren und Interessenten. Also gut, hieß es, wir machen was Kleines, Witziges mit ein paar Fotos im Netz und Videos auf YouTube. Kurz danach war die Lawine im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr aufzuhalten gewesen.
Und nun stand er hier und die anderen ließen auf sich warten. Nur May Ling, eine chinesische Kommilitonin war bisher als Unterstützung erschienen. Die sprach aber fast kein Deutsch, so dass alle mit ihren Fragen und Problemen doch zu ihm kamen. Kurzerhand hatte er sich ein improvisiertes Schild mit der Aufschrift Ice Man Nr. 1 umgehängt, um seiner Wichtigkeit wenigstens Nachdruck zu verleihen.
Der hochgewachsene junge Mann mit der auffälligen Russenschapka und einem knallroten Anorak stapfte durch den Schnee und verteilte heißen Kaffee mit ein paar aufmunternden Worten an die Teilnehmer.
Das Feld der Eishauer erstreckte sich weit über die Wiese bis auf halbe Strecke zur Hubbrücke. Mit einer Ausnahme. Genau unter der Brücke, in ziemlicher Entfernung zu den anderen, hatte sich ein einzelner Teilnehmer seinen Platz gesucht. Wahrscheinlich hielt er sich für die Reinkarnation von Christo: Hielt sein entstehendes Kunstwerk hinter einer Plane verborgen. Hatte der Schiss, dass ihm einer was abguckte?
Etienne, so hieß der Ice Man und er verfluchte seine Mutter noch heute für seinen Namen, schüttelte den Kopf. Er konnte sich gar nicht erinnern, jemandem diesen Platz zugewiesen zu haben. Das musste der Künstler selber so entschieden haben. Blöde Idee, sich so weit abseits der anderen aufzubauen. Da hinten würde er nicht den Kellner spielen. Wenn der einen Kaffee wollte, dann musste er ihn sich holen. Das war hier kein Club Med, das war die Elbwiese.
Gegen Mittag nahmen die ersten Skulpturen Formen an und ließen das mehr oder weniger vorhandene Talent ihrer Schöpfer erahnen. Es gab eine Riesenqualle, die auf ihren Tentakeln stand. Möglicherweise sollte das Gebilde auch ein übergroßer Pilz sein. Da war die Fantasie gefragt.
Eindeutiger waren da schon die Magdeburger Halbkugeln, ein Schwan und eine Ritterburg. Ein paar Kinder beteiligten sich außer der Konkurrenz mit einem Schneemann und drei Jugendliche bauten ein Iglu.