Magdeburger Mords- und X-Akten - Sylvie Braesi - E-Book

Magdeburger Mords- und X-Akten E-Book

Sylvie Braesi

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Beschreibung

Die neuen Mordsgeschichten aus Magdeburg zeigen, Verbrechen können manchmal ganz schön außerirdisch daherkommen. Wir haben uns jedenfalls dieses Mal die Frage gestellt: Sind wir allein in Magdeburg? Wir wissen es nicht, können es uns aber gut vorstellen. Und was wollen die Aliens von uns? Vielleicht wollen sie unsere Körper übernehmen oder einfach nur ein bisschen Spaß haben. So wie Sie, beim Lesen der neuen Mordsgeschichten. Nicht vergessen: Die Antwort ist irgendwo da draußen.

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Seitenzahl: 222

Veröffentlichungsjahr: 2023

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„Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, Horatio, als Eure Schulweisheit sich träumt.“

William Shakespeare (1564-1616) Hamlet 1. Akt, 5. Szene

„TaH pagh taHbe`“ (Nur im Klingonischen klingt Hamlet richtig gut)

Jede Ähnlichkeit mit realen Ereignissen wäre rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Alle guten Dinge sind drei,

Akte X, das war wohl nix

Unsere X-Akten

Auf der Suche nach seinen Ohren

Passwort - Schwertfisch

Kleine, feine Morde unter Freunden

Wohin mit der Leiche III

Das Geheimnis des versteinerten Schuhs

Kevin, allein auf der Flucht

Die Letzten bleiben kleben

Klimakleber weinen nicht

Haustiere und wo sie zu finden sind

Püppi – beware of the dog

Veganer morden nicht

Apokalypse Magdeburgense

Krieg der Toaster

Das Erwachen der Macht

Die Rückkehr der guten Toaster

Zurück in die Gegenwart

Alle guten Dinge sind drei,

sagt ein altes Sprichwort. Darum und wegen des anhaltenden Erfolges der ersten zwei Bände, gibt es nun einen dritten Band, die Magdeburger Mords- und X-Akten. Wir sind unserem Motto natürlich treugeblieben und präsentieren skurrile Verbrechen, makabre Morde, gepaart mit viel schwarzem Humor, um unsere Leser zu unterhalten. Wir entführen Sie in ein Parkhaus des Grauens, beleuchten die Auswirkungen einer veganen Lebensweise, holen uns von der MVB ein Fluchtfahrzeug, und lassen den besten Freund des Menschen zu Wort kommen. Aber damit nicht genug. Wir haben uns außerdem noch die Frage gestellt: Sind wir allein in Magdeburg?

Bei einem Bummel durch unsere Stadt kann einem manchmal schon der Gedanke kommen, dass wir inzwischen von Außerirdischen unterwandert worden sind, zumindest dem äußeren Anschein nach. Groteske Gestalten, in seltsamen Gewändern laufen durch die Gegend. Man weiß nicht genau, ist das nun eine unheimliche Begegnung mit einem schlecht getarnten Alien oder nur mit einem Menschen mit schlechtem Geschmack. Grenzen verschwinden und möglich ist alles, besonders heutzutage. Außerirdische auf der Erde? Könnte sein. In Deutschland? Klar, wenn sie mutig sind. Aber auch in Magdeburg? Kommt ganz darauf an, was sie sich davon erhoffen. Das überlassen wir gern Ihrer Phantasie.

Sind Aliens phantasiebegabte Wesen oder nur mordslüsterne Invasoren? Das ist leider noch nicht ausreichend erforscht worden. Wir, die Autorinnen, haben jedenfalls genug mordslüsterne Phantasie, um den Außerirdischen auch ein paar Verbrechen in die Schuhe zu schieben. Aber mal ganz im Ernst. Was könnten solche Wesen von uns wollen? Unsere Körper übernehmen oder gleich unseren ganzen Planeten? Damit beschäftigten sich schon ganze Scharen von Autoren, Regisseuren und Ufologen. Wie immer befindet sich die Antwort irgendwo da draußen. Oder vielleicht in diesem Buch?

Live long and prosper!

Ihr Magdeburger Mörder Club

Akte X, das war wohl nix

Sylvie Braesi

Bauer Ewald waren die frühen Morgenstunden die liebsten. Der Tag war noch jungfräulich und still. Jedenfalls solange seine Frau Melitta noch schlief. Nicht mal Hähne krähten, Ewald hatte nämlich keine. Die paar Singvögel, die es in der Umgebung noch gab, waren kaum der Rede wert.

Vor Jahren hatte sich mal eine Nachtigall im Kirschbaum einnisten wollen. Nicht mit ihm. Zwei Nächte reichten, dann hatte sie ausgeträllert. Nein, Ewald mochte die Ruhe auf dem Land. Deshalb hatte er sich frühzeitig gegen die Viehwirtschaft entschieden, die seiner Meinung neben der vielen Arbeit auch noch Lärm und Dreck mit sich brachte. Das war nichts für ihn. Genauso wenig, wie Urlaub. Auf Ewald traf der Spruch: Wat der Bur net kennt …, hundertprozentig zu. Sein kleiner Hof genügte ihm voll und ganz und war ihm so lieb wie anderen die Urlaubsinsel in der Karibik.

Der einzige Lärm, den er gern hörte, waren die Geräusche seiner Landmaschinen. Er liebte es, mit Trecker, Egge, Pflug und Mähdrescher über die Felder zu tuckern. Er konnte nicht nur den Klang der Motoren auseinanderhalten. Jedes noch so kleine mechanische Problem erspürte er nur durch das Auflegen seiner Hand. Maschinenflüsterer, so nannte ihn Melitta.

Seit kurzem hatte er ein neues Spielzeug, einen nigelnagelneuen Düngerstreuer. Melli war gegen die teure Anschaffung gewesen. Sie wollte mit dem Geld das Badezimmer modernisieren und ein neues Bett anschaffen. Es musste unbedingt eins von diesen Boxspringbetten sein. Ewald hatte sie damit geärgert, indem er jedes Mal Bockspringbett dazu sagte und dass sie beide langsam zu alt für solchen Scheiß wären. Als er sie nicht hatte umstimmen können, war er einfach losgegangen und hatte den Düngerstreuer gekauft. Das war vor drei Wochen gewesen und seitdem war Funkstille zwischen ihm und Melli. Aber Ewald hatte ja nichts gegen Ruhe.

Heute wollte er mal wieder eine kleine Spritztour durch Ottersleben machen, sein Maschinchen präsentieren, halt ein bisschen angeben. Bis zum Frühjahrseinsatz war es noch ein halbes Jahr hin. So lange konnte das Teil nicht einfach nur rumstehen. Außerdem musste er ja sowieso auf die Felder fahren und sehen, ob es nicht langsam Zeit für die Einfuhr des Weizens war. Nach dem ersten Frühstück fuhr er gemächlich durch den Ort.

Da er sich für einen Frontanbau-Düngerstreuer entschieden hatte, konnte er das Prachtstück aus der Fahrerkabine gut sehen und die neidischen Blicke der Nachbarn auch. Hinter ihm bildete sich langsam eine Autoschlange.

Deren Insassen blickten allerdings nicht neidisch, sondern genervt durch die Frontscheiben. Da sie unfreiwillig die Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h einhalten mussten, überbrückten einige die Zeit damit, ihre Hupen zu testen. Soweit Ewald das beurteilen konnte, funktionierten sie alle einwandfrei.

Das Ortsschild kam in Sicht. Kaum außerhalb der geschlossenen Ortschaft angekommen, setzte sich bei der Autokarawane der natürliche Fluchtinstinkt durch. Eins nach dem anderen schossen die Autos an ihm vorbei.

„Ja, ja,“, brummte Ewald. „Nur fliegen ist schöner. Genießt doch lieber die Natur, ihr Idioten.“

In diesem Fall bestand die Natur aus ein paar Apfelbäumen am Straßenrand und Weizenfeldern. Die sahen aber dafür auch besonders goldgelb aus. Bauer Ewald war stolz auf seinen Weizen. So gut, wie in diesem Jahr, war die Ernte noch nie gewesen. Er musste sie nur noch einfahren. Das hatte er sich aber auch einiges kosten lassen. Unkraut- und Schädlingsbekämpfung war nicht billig gewesen. Aber es hatte sich gelohnt.

Nach zwei Kilometern kam er an eine Abzweigung. Es war nicht mehr als ein Feldweg und der führte auf eine kleine Anhöhe. Von dort wollte Ewald sich einen Überblick verschaffen. Oben angekommen, stellte er den Traktor so ab, dass er seine Felder gut überschauen konnte.

Nach mehreren Minuten saß er immer noch auf dem Traktor und starrte hinunter auf sein Feld. Oder sollte man sagen, auf das, was von seinem Feld noch übrig war? Seine Augen hatten das Bild zwar aufgenommen, aber sein Verstand weigerte sich, es zu verarbeiten.

Ein großer Teil der Ähren lag platt auf dem Boden, wie vom Regen niedergepeitscht. Nur, dass es nicht geregnet hatte, schon seit Wochen nicht mehr. Was war da geschehen?

Ganz allmählich begann sich aus dem Chaos im Kopf ein Gedanke herauszukristallisieren. Das war nicht das Werk von Mutter Natur. Da hatte jemand nachgeholfen. Der betroffene Weizen lag nicht willkürlich am Boden. Die umgelegten Pflanzen bildeten konzentrische Kreise. Schön gleichmäßig waren die Ähren von innen nach außen ausgerichtet. Ewald zählte sechs Kreise von unterschiedlicher Größe, die durch gerade Linien plattgedrückter Ähren miteinander verbunden waren.

Es sah wie ein Muster aus. Doch Ewald konnte beim besten Willen keinen Sinn in diesem Muster erkennen. Er rief seinen Nachbarn Wilfried an. Der unterbrach ihn schon nach wenigen Sätzen und erklärte, dass er sich das selber ansehen müsse, um sich ein Urteil zu bilden. Wilfried kam auf seiner alten Schwalbe angeknattert. Er musste nur einen kurzen Blick auf das Feld werfen, um sicher zu sein.

„Das sind echte Kornkreise, Ewald. Solche Dinger gibt es schon seit vielen hundert Jahren. Die tauchen über Nacht auf und keiner weiß, wie sie entstanden sind. Die sollen angeblich von Aliens mit ihren Ufos gemacht werden, als Botschaften für uns.“ Ewald wedelte wild mit den Armen herum, als wolle er böse Geister verscheuchen und fluchte.

„Das ist doch Gülle. Was für Aliens, es gibt keine Aliens in Ottersleben! Und was für eine Botschaft soll das sein? Wir kommen in friedlicher Absicht und können Weizenfelder nicht leiden?“

„Mensch Ewald, das ist eine große Sache. Jetzt kommst du bestimmt in die Zeitung und ins Fernsehen.“

„Das fehlt mir gerade noch, ins Fernsehen. Das lockt doch nur irgendwelche Spinner an und die zertrampeln mir den Rest des Feldes auch noch. Mir reichts, ich rufe die Polizei.“

Wilfried gelang es nicht, seinen Nachbarn zu beruhigen. Der schimpfte immer lauter über den wirtschaftlichen Schaden und rief tatsächlich die 110 an.

Ein Streifenwagen wurde vorbeigeschickt und zwei Polizisten übernahmen den Fall. Eine Stunde später war klar, dass die Welle des öffentlichen Interesses zu groß für zwei Streifenbeamte war. Die ersten Fotos waren kaum im Internet aufgetaucht, als es auch schon losging. Der von Bauer Ewald befürchtete Besucheransturm setzte ein. Zwar waren es keine Aliens, die das Gelände stürmten, es kam aber trotzdem einer Invasion sehr nahe.

Bauer Ewald wollte mehr Polizisten zur Absicherung seines Feldes, die zwei Polizisten auch. Das gestaltete sich aber etwas schwierig, da die eintreffenden Menschen sehr friedlich gestimmt das Phänomen begutachteten und die Einsatzkräfte anderenorts dringender benötigt wurden. Bauer Ewald sprang wie dereinst Rumpelstilzchen wütend um den Traktor und brüllte: „Das darf doch nicht wahr sein. Das ist eiskalte Sachbeschädigung. Glauben Sie, nur weil ich ein einfacher Bauer bin, müssen Sie das nicht ernstnehmen? Muss ich mich erst an die Presse wenden, damit Sie was unternehmen?“

Um zu zeigen, dass man die Sache durchaus ernst nahm, sagte man, dass eine Kriminalistin als Verstärkung unterwegs sei und, wie man dem wütenden Bauern versicherte, eine von den Besten.

Kommissarin Marks fühlte sich ganz und gar nicht wie die Beste. Eher so, als hätte sie das kürzeste Streichholz gezogen. Sie war weder Esoterikerin noch eine Ufo-Gläubige. Gerade das, so hatte ihr Chef argumentiert, wären die besten Voraussetzungen, den Fall schnell und effektiv zu lösen. Er hatte ihr keine Wahl gelassen und nur versprochen, einen Experten als Unterstützung zu schicken.

Schon während sie sich die Tiraden des Bauern anhören musste, wünschte sie, der Experte wäre schon da. Um dem Gezeter des Bauern zu entkommen, entschloss sich Marks dazu, eine Tatortbegehung vorzunehmen. Auf dem Weg dahin entdeckte sie zwei Jugendliche, die ihre Drohne über das Areal kreisen ließen. Das war ein Anfang, entschied Marks.

„Hej, Jungs. Schickes Teil habt ihr da. Macht die gute Fotos?“

Die Drohnenpiloten sonnten sich regelrecht in der Aufmerksamkeit der jungen hübschen Frau.

„Die macht Spitzenfotos. Willste mal sehen?“

Pilot 1 reichte ihr sein Tablet mit den Worten: „Das war die erste Runde, als noch nicht so viele Leute drin rumgetrampelt sind. Kannste kaufen. Ein Hunni pro Bild.“

Marks machte ein enttäuschtes Gesicht.

„Ich dachte, ich krieg sie für umme.“

Die Jungs lachten. Die Braut hatte ja Nerven. Sie machten das hier doch nicht aus Spaß. Genau das sagten sie der Frau auch und sie schien es zu verstehen, denn sie nickte und griff in die Tasche. Wollte ihr Portemonnaie zücken und löhnen. Die Ernüchterung hätte nicht größer sein können, als Marks ihnen den Dienstausweis entgegenhielt.

„Ne Bullette? Echt jetzt?“, rief der Pilot 2 aus und kassierte von seinem Partner einen Stoß in die Seite. Der kannte das Spiel mit der Polizei wohl schon zu gut, um sich auf eine Diskussion einzulassen. Er überließ Marks freiwillig die bisher gemachten Fotos. Außerdem versprach er, alles weitere Bildmaterial auch noch zu schicken. Das allerdings erst, nachdem Marks die Ausweise der Jungs fotografiert hatte.

Nun konnte sie sich das Phänomen auf ihrem Tablet genauer ansehen. Die Tatortbesichtigung blieb ihr somit erspart. Langsam ließ sie die Fotosammlung durchlaufen. Die Aufnahmen aus der Totalen offerierten ihr eine Reihe von großen und kleineren Kreisen. Immer zwei von ihnen waren durch eine Linie verbunden. Das erinnerte sie im Gesamtbild an die Form eines ziemlich eckigen Mantarochens, mehr aber nicht.

Sie schaute genauer hin. Der größte Kreis war dort, wo der Kopf des Rochens sein würde. Von ihm ging eine schräge Linie nach rechts ab zu einem kleinen Kreis. Sah aus, als hätte der Rochen eine Antenne. Rechts und links davon führten zwei Linien zu jeweils einem kleinen Kreis, der die Spitzen der Flügel bildete. Von dort liefen zwei Linien wieder in die Mitte des Rochenkörpers zurück zu einem kleinen Kreis und daran schloss sich eine Linie zum kleinsten Kreis an, der Schwanzspitze. Marks schüttelte den Kopf. Wenn ein Sinn dahintersteckte, erschloss er sich ihr nicht.

„Ganz schön verwirrend, wenn man das zum ersten Mal sieht. Das ist doch das erste Mal für Sie, oder?“

Marks sah sich um, erstaunt darüber, so überrumpelt worden zu sein. Die angenehm dunkle Stimme, von der sie angesprochen worden war, gehörte zu einem Mann. Er schien keiner von den Schaulustigen zu sein. Marks schätzte ihn Mitte dreißig, circa 1,80m groß und schlank. Sein Outfit bestand aus Hose und Blouson, beides schwarz. Unter dem Blouson blitzte ein blütenweißes T-Shirt hervor und die Schuhe waren schwarze Sneaker mit Kreppsohle. Eine silberne Ray Ban Sonnenbrille und ein nachtblaues Base Cape machten das Bild komplett. Irgendwie sah der Mann gediegen und doch schlicht aus, fand Marks. Ein Detail stach aber doch heraus. Auf Base Cape und Brusttasche war ein silbernes Ornament aufgestickt. Es bestand aus drei Symbolen. Das Erste war ein nach unten offener Kreis, in welchem das Zweite, ein ebenfalls unten offenes Dreieck, platziert war. Das dritte Symbol sah aus wie eine schön geschwungene Acht. Sie war liegend abgebildet und reichte über die beiden anderen Symbole hinweg. So etwas hatte Marks bisher noch nicht gesehen. Auch wenn sie noch so sehr nachdachte, sie konnte das Ornament nicht zuordnen.

Marks hatte das Gefühl, ebenso gemustert zu werden. Als der Mann die Brille abnahm und sie aus großen braunen Augen ansah, erkannte sie, dass ihr Gefühl sie nicht getäuscht hatte. Sie fühlte sich ertappt. Sein Lächeln war jedoch absolut offen und sympathisch. Und seine Stimme erst.

„Nachdem wir uns ausgiebig begutachtet haben, würde ich gern auf meine erste Frage zurückkommen. Haben Sie sowas schon mal gesehen?“

Marks spürte einen dicken Kloss im Hals und musste schlucken, bevor sie antworten konnte.

„So in Natura hab’ ich das noch nicht gesehen, nur auf Bildern und in Videos.“

Der Mann schaute wieder auf das Tablet und schob die Bilder eigenhändig hin und her. Das brachte Marks wieder zur Besinnung.

„Wer sind Sie eigentlich?“, fragte sie und nahm das Tablet aus seiner Reichweite. Statt zu antworten, hielt er ihr mit einer gewissen Nonchalance eine Visitenkarte hin. Marks nahm sie und las. Auf der einen Seite war das gleiche Ornament abgebildet, wie auf der Kleidung. Auf der anderen Seite standen nur ein Name und ein Titel: Dr. Dan Scully. Also war das der von Winkler versprochene Experte. Das hätte er aber auch gleich sagen können. War bestimmt so ein Ufologe. Die machten gern einen auf unheimlich, um ernst genommen zu werden. Egal. Sie konnte jede Hilfe brauchen.

„Dr. Scully“, begann Marks und sprach den Namen so aus, wie er geschrieben war.

Sofort wurde sie unterbrochen und freundlich darauf hingewiesen, dass das u in seinem Namen wie ein a ausgesprochen werden müsse. Er wäre nämlich angloamerikanischer Herkunft. Marks war für einen Moment sprachlos. Dann tat sie, als sei nichts gewesen.

„Dr. Scally“, sie betonte das a und sah ihn provozierend an. Er zuckte nicht mal, hielt ihrem Blick einfach stand und lächelte weiter.

„Ich bin Kommissarin Jenny Marks, von der Magdeburger Kripo. Marks mit ks nicht mit x.“ Diese kleine Retourkutsche konnte sie sich einfach nicht verkneifen.

„Natürlich sind Sie das“, war die Antwort.

Eindeutig ein Ufologe!

„Also Dr. Scully, was halten Sie denn von diesen Kornkreisen?“

Er zuckte leicht mit der Schulter, bevor er antwortete.

„Es sind nicht die komplexesten, aber auch nicht die simpelsten. Vor einigen Wochen ist ein Objekt am Ammersee in Bayern aufgetaucht, das war ein wahres Kunstwerk. Haben Sie davon gehört?“

Hatte sie nicht, woraufhin Scully ihr ein Foto auf seinem Handy zeigte.

„Das sieht wirklich toll aus und so exakt.“

Marks war rundum begeistert, Scully nicht.

„Leider war es nicht echt.“

Marks glaubte, sich verhört zu haben.

„Nicht echt? Was meinen Sie mit nicht echt?“

„Das ist nicht weiter wichtig. Der Ursprung war menschlich und somit nicht weiter von Interesse. Uns beide interessiert doch viel mehr, was es mit diesem Objekt auf sich hat.“ Er deutete hinunter auf das Feld, wo Bauer Ewald mit Hilfe der zwei Polizisten und seinem Nachbarn krampfhaft versuchte, die Menschen von seinem Kornfeld zu vertreiben.

„Können Sie mir denn sagen, ob das da unten menschlich oder …“, das Wort kam Marks nur schwer über die Lippen, „echt ist?“

„Ich nehme grundsätzlich erst mal an, dass es echt ist. Unvoreingenommenheit ist unabdingbar für mich. Sie dürfen aber gern vom Gegenteil ausgehen. In Ihrem Job ist Skepsis, glaube ich, unerlässlich. Wenn Sie nach einem menschlichen Verursacher suchen, kümmere ich mich inzwischen um die andere Seite.“ Was er mit der anderen Seite meinte, war Marks nicht ganz klar. Ihr Schweigen wertete Scully aber als Zustimmung.

„Ich denke, genauso sollten wir vorgehen, Kommissarin Marks mit ks.“

Mit einem schelmischen Lächeln setzte er die Brille wieder auf und begann bedächtig den Hügel hinabzusteigen. Marks blieb nichts weiter übrig, als ihm zu folgen.

Die nächste Stunde nutzte Marks für Befragungen. Sie redete mit zehn Leuten, darunter Bauer Ewald, sein Nachbar, eine Vogelkundlerin und ein paar Ortsansässige.

Mit ihren Fragen folgte sie der naheliegendsten Theorie, nämlich, dass irgendjemand dem Bauern eins auswischen wollte. Dafür gab es auch bald erste Hinweise.

Die Vogelkundlerin erzählte ihr, dass Bauer Ewald durch den verstärkten Einsatz von Dünger und Pestiziden so ziemlich jedes Insekt der Gegend ausgerottet und damit auch der heimischen Vogelwelt die Nahrungsgrundlage entzogen hatte. Der aufgebrachten Frau schien es egal zu sein, dass sie damit sofort in den engeren Kreis der Verdächtigen geriet. Wie ein Rohrspatz schimpfte sie auf den Bauern. Sie verschwieg nicht mal, dass sie Bauer Ewald vor zwei Jahren sogar mal selber angezeigt hatte, weil er eine Nachtigall vergiftet haben sollte. Da sie keinen Beweis erbringen konnte, wurde das Verfahren eingestellt. Den heutigen Vorfall nannte sie ausgleichende Gerechtigkeit. Ihre Körpersprache zeigte deutlich, wie sehr sie sich über Ewalds Schaden freute.

Das Letzte, was sie Marks sagte, war: „Wenn das Aliens waren, dann sind sie mir herzlich willkommen.“

Nach einem Geständnis hörte sich das leider nicht an. Marks beschloss trotzdem, die Frau noch nicht von der Verdächtigenliste zu streichen.

Alle anderen Gesprächspartner sprachen zwar auch nicht besonders nett von Bauer Ewald, nicht mal sein Nachbar, doch ein besseres Motiv ergab sich für Marks nicht. Einige verdächtigten den Bauern sogar, die Kornkreise selber gemacht zu haben. Das glaubte Marks aber nicht, so wie der sich aufführte.

Alle außer ihm fanden das Ereignis höchst amüsant. Endlich war mal was los im Ort. Das Feld, der Feldweg, die Landstraße und ein angrenzender kleiner Parkplatz waren inzwischen dicht bevölkert. Die ganze Sache nahm inzwischen immer mehr den Charakter eines Volksfestes an.

Ein besonders pfiffiger Gastwirt war mit einem Grill angekommen und der Duft von Bratwürsten zog bis zu Marks hinüber. Der konnte gar nicht schnell genug für Nachschub sorgen.

Ein Getränkewagen, der auf dem Weg nach Halberstadt gewesen war, hatte kurzentschlossen Halt gemacht und schenkte Getränke aus. Auch er schien mit seinen zusätzlichen Einnahmen sehr zufrieden zu sein.

Den Vogel schoss eine Frau mit Rastazöpfen, Haremshose und unzähligen Perlenketten ab. Sie hatte eine Yoga-Matte im Zentrum des größten Kreises ausgebreitet. Im Lotossitz, mit einer Klangschale vor sich, murmelte sie Gebete und bot Umherschlendernden an, ihnen aus der Hand zu lesen. Jetzt fehlten nur noch eine Losbude und ein Kinderkarussell und der Jahrmarkt war komplett. Und was tat der Experte?

Dr. Scully führte Gespräche mit Leuten, die Marks, nett ausgedrückt, als Anhänger der Ufo-Szene bezeichnen würde. Davon waren, für die Kürze der Zeit, erstaunlich viele anwesend. Woher die so schnell Wind davon bekommen hatten, war klar. Fotos und Videos kursierten längst im Netz hoch und runter.

Marks beobachtete Dr. Scully und stellte sich dabei die Frage, was ihr der Typ eigentlich brachte. Als hätte er einen sechsten Sinn, drehte er sich plötzlich um und schaute sie direkt an und lächelte. Schon wieder fühlte sie sich ertappt. Jetzt kam er auch noch herüber zu ihr.

„Haben Sie denn schon einen Verdächtigen ausgemacht, Kommissarin Marks?“, fragte er übertrieben freundlich. Eigentlich wollte sie nicht mit Dr. Scully über ihren Fall reden, tat es dann aber doch. Wieso, wusste sie selber nicht so recht.

„Es scheint, als ob der Bauer nicht besonders beliebt ist. Großspurig, unfreundlich, geizig und starrköpfig, das bringt es auf den Punkt. Er ist schon mit einer Vogelkundlerin aneinandergeraten, weil er Pestizide einsetzte, damit Insekten vernichtete, worauf die Vögel verschwanden.“

Mit großen Augen hatte Dr. Scully ihr zugehört. Jetzt unterbrach er sie abrupt. „Das ist ja interessant. Sie sind da möglicherweise auf etwas Wichtiges gestoßen.“

Marks wusste nicht, worauf er hinauswollte und hakte nach. „Okay, das wäre ein Motiv aber kein Beweis. Außerdem, wie sollte die Frau sowas bewerkstelligen? Dazu braucht man doch bestimmt technische Hilfsmittel. Das kann man nicht einfach niedertrampeln.“

„Sie brauchen nicht mehr als zwei Leute die einen Balken an Seilen hinter sich herziehen und einen Plan des gewünschten Musters. Aber wie wäre es mit einem weiteren Indiz?“

Dr. Scully zeigte ihr mehrere Aufnahmen der Kornkreise aus der Totalen auf seinem Handy. Woher hatte er die denn schon wieder? Diese Frage musste sie hinten anstellen. Offensichtlich erwartete Dr. Scully, dass sie allein darauf kam, was er meinte. Kam sie aber nicht.

„Würden Sie einem Laien in Sachen Kornkreis bitte erklären, was Sie meinen?“

„Schauen Sie sich das Muster mal an. Kommt es Ihnen nicht bekannt vor?“

Sie wusste, sie würde sich auf dünnes Eis begeben. Aber was hatte sie schon zu verlieren?

„Sieht aus wie ein Mantarochen.“

„Nicht schlecht, Kommissarin Marks, nicht schlecht.“ Das klang sogar ziemlich ehrlich, fand sie. Aber trotzdem war es nicht die richtige Antwort.

„Nicht schlecht aber falsch, stimmt´s?“

„Sein Sie nicht so streng mit sich. Sie sind wirklich dichter dran, als irgendeiner von denen, die ich befragt habe. Obwohl es doch so offensichtlich ist.“

Das Einzige, dass Marks dazu einfiel, war: Schlauscheißer! Na, dann mach´s doch besser. Gemäß diesem Gedanken sah sie ihn herausfordernd an. Sein verschmitztes Grinsen zeigte ihr, dass er verstanden hatte. Ohne ein weiteres Wort zeigte er ihr ein weiteres Bild.

Marks erkannte sofort, was darauf abgebildet war. Es war ein Sternbild, sie wusste nur nicht welches. Wollte der Kerl sie verarschen? Kam der ihr jetzt echt mit der Außerirdischen-Masche? Der hielt sie wohl für beschränkt. Na gut, wenn er es so wollte, dann würde sie ihm mal den Gefallen tun.

„Das ist ein Sternbild. Es gibt aber kein Sternbild des Mantarochens.“

Dr. Scully sah sie für einen Augenblick so an, als würde er überlegen, ob sie ein besonders schwerer Fall war. Dann lächelte er und flüsterte ihr zu: „Das ist das Sternbild des Adlers mit dem Hauptstern Atair.“

„Und da kommen die Aliens her?“, hauchte Marks. Scullys Reaktion war ein herzhaftes Lachen. „Ich mag Ihren Humor, Kommissarin Marks. Sie sind wirklich nett.“

Das war das Letzte, was sie wollte, dass dieser Scully sie nett fand. Doch bevor sie etwas Deftiges erwidern konnte, kam ihr plötzlich ein anderer Gedanke. Wenn das auf dem Feld ein Adler war, dann gab es ganz in der Nähe noch einen. Sie hatte ihn heute schon gesehen, zwei Mal sogar. Einmal als sie durch den Ort gefahren war und einmal auf dem Parkplatz.

„Ein Penny für Ihre Gedanken, Jenny“, hörte sie Dr. Scully flüstern. Hatte er sie eben Jenny genannt? Egal. Sie musste nachdenken, und zwar laut.

„Was, wenn der Schaden nur ein Nebeneffekt war? Was, wenn es nicht vorrangig um Bauer Ewald ging?“

„Interessant und weiter?“

„Vielleicht wollte jemand einen Nutzen aus der Sache ziehen?“

„Woran denken Sie? An Aufmerksamkeit?“

„Im weitesten Sinne ja. Es geht aber sicher nicht um Schlagzeilen. Bis jetzt sind weder Presse noch Fernsehen aufgetaucht. Internet scheidet auch aus. Dann wären Bilder und Videos schon vor der Meldung an die Polizei im Netz gewesen. Ich glaube, es geht um Geld und, weil einer allein das hier nicht bewerkstelligen konnte, auch um Gerechtigkeit. Bauer Ewald wurde Opfer eines Komplotts. Dieses Feld wurde deshalb ausgewählt, weil es gleich neben dem Parkplatz liegt.“

Leise und langsam begann Dr. Scully zu klatschen und wieder sah Marks nur echte Anerkennung in seinem Blick.

„Ich wusste vom ersten Augenblick, dass Sie den Fall lösen würden.“

„Gelöst würde ich den Fall noch nicht nennen, bis jetzt ist es nur eine Theorie. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich dafür Beweise finde.“

„Mit Beweisen könnte es wirklich etwas schwierig werden. Aber was wäre, wenn Sie ein Geständnis bekämen?“

„Das wäre der Idealfall. Doch weshalb sollte jemand gestehen, so ganz ohne Beweis als Druckmittel?“

Dr. Scully setzte seine Ray Ban Sonnenbrille auf und sagte: „Da kann ich vielleicht helfen. Sie müssen jetzt nur noch entscheiden, wer der bessere Kandidat für ein Geständnis ist.“

Das fiel Marks nicht schwer. Ihr Blick ging sofort zum Parkplatz. Scully klatschte in die Hände und rief mit kindlicher Freude: „Prima, genau wie ich dachte. Dann wollen wir den Vogel mal abschießen.“ Auf Marks’ vorwurfsvolle Miene hin, fügte er schnell hinzu: „Das war nur sprichwörtlich gemeint.“

Auf dem Parkplatz war die Hölle los und nicht nur dort. Die Landstraße war auf beiden Seiten zugeparkt und die Polizisten hatten alle Hände voll zu tun, um wenigstens die Neuankömmlinge davon abzuhalten, sich dazuzustellen.

Marks und Scully näherten sich dem Grillstand. Mit mehreren Aufstellern warb der Gastwirt für Würstchen, Steaks und Buletten. Während Dr. Scully weiterschlenderte, blieb Marks vor einem der Aufsteller stehen. Es war nicht das Angebot, das sie interessierte, sondern der Name der Gastwirtschaft, die von dem eifrigen Grillmeister im Ort betrieben wurde. Schwarzer Adler stand in großen weißen Lettern auf dem schwarzen Schild und darunter etwas kleiner: Inh. Hilmar Wolf. Der Betreiber des florierenden Grillstandes sprach Marks sofort an.

„Die Würstchen und die Buletten sind fertig, die Steaks dauern noch fünf Minuten. Also was darf’s sein?“

„Läuft gut, Ihr Grill, was?“, fragte Marks und trat näher ran. „Da haben Sie ja den richtigen Riecher gehabt. Respekt!“

„Der frühe Vogel fängt den Wurm, ist meine Devise“, antwortete der Gastwirt selbstgefällig.

„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, was?“, erwiderte Marks lachend und begann, die richtigen Fragen zu stellen.

„Sind Sie aus Ottersleben?“

„Ja, mir gehört der Schwarze Adler.“

„Dann sind Sie Herr Wolf?“

„Wieso fragen Sie? Wollen Sie einen Tisch bestellen oder einen Raum mieten? Wir haben auch einen Saal.“

„Ich dachte nur, weil Sie so schnell hier waren. Wie haben Sie denn davon erfahren?“

„Ottersleben ist ein Dorf. Da kennt jeder jeden und sowas spricht sich schnell rum.“

„Und was glauben Sie, waren das Aliens oder der Bauer selber?“

„Ich glaube nicht an Aliens und so´n Quatsch. Keine Ahnung wer das war, aber er hat mir einen großen Gefallen getan.“

„Wegen der Würstchen?“ Marks tat ungläubig.