Ihr Regenbogen hat fünf Farben - Hans van der Geest - E-Book

Ihr Regenbogen hat fünf Farben E-Book

Hans van der Geest

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Beschreibung

Zuerst denkt Arjan, der attraktive Mann im Park sei der Vater eines kleinen Jungen. Marco ist aber schwul. Als das klar wird, folgt das nächste Hindernis. Ein Schnitzer von Marco scheint die Freundschaft schon zu zerstören. Aber sie finden sich doch! Marco wohnt mit seiner Schwester Selma und deren nichtehelichen Sohn Justin zusammen. Als Arjan seine Ausbildung abschließen kann, zieht er ebenfalls zu den dreien. Eine neuartige Regenbogenfamilie ist entstanden. Es wird noch bunter. Selma möchte noch ein Kind haben. Arjan besorgt es ihr: Laura. Justin will seinen Vater kennenlernen und weiß ihn, trotz Opposition seiner Mutter, zu finden. Inzwischen wird Justin ein hervorragender Fußballspieler. Er lernt den schwulen Robin kennen, der ebenfalls ein guter Spieler ist. Als Robins Lebensart bekannt wird, will ihn der Sportklub nicht mehr haben. Wütend ziehen Justin und Robin zur Konkurrenz und führen diese zu einem großen Sieg. In der Schwulenbibliothek lernt Marco den behinderten Jeff kennen. Der sehnt sich nach Freundschaft. Marco organisiert einen Dreier für ihn, was ihn sehr glücklich macht. Laura spielt die Geige. Marco lernt ihren Kollegen kennen und hat eine Affäre mit ihm. Auch Arjan lebt nicht monogam. Bei einem Treff mit Robin überwindet er seine Abneigung gegen Analsex. Als er seinen Freund Marco auch davon überzeugen will, führt das zu einer Krise in ihrer langjährigen Beziehung. Es wird ihnen klar, dass sie verschiedener sind, als sie immer geglaubt haben. Aber ihre Liebe ist stark genug, die Krise zu überwinden.

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Hans van der Geest

Ihr Regenbogen hat fünf Farben

Von Hans van der Geest im Himmelstürmer Verlag bisher erschienen:

Wilde Treue - Frühjahr 2015, ISBN print 978-3-86361-548-2

Plötzlich Pflegeväter - Herbst 2016, ISBN print 978-3-86361-570-3

Das Kuckuckskind - Frühjahr 2017, ISBN print 978-3-86361-629-8

Spätzünder Herbst 2017, ISBN print 978-3-86361-659-5

Der Schüchterne und der Sonnyboy, Frühjahr 2018

ISBN print 978-3-86361-684-7

Die Doppelspieler Herbst 2018, ISBN print 978-3-86361-714-1

Davids Dreier, Herbst 2018, ISBN print 978-3-86361-726-4

Das Liebesnest, Herbst 2018, ISBN print 978-3-86361-711-0

Alle Bücher auch als E-book

 

 

Himmelstürmer Verlag, part of Production House, Hamburg

www.himmelstuermer.de

E-Mail: [email protected]

Originalausgabe, März 2019

© Production House GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages.

Zuwiderhandeln wird strafrechtlich verfolgt

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

Coverfotos: 123rf.com

Umschlaggestaltung:

Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

 

ISBN print 978-3-86361-741-7

ISBN e-pub 978-3-86361-742-4

ISBN pdf 978-3-86361-743-1

 

Alle hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist nicht beabsichtigt.

 

Mit Dank an Yves D’Hooghe, meinen Enkel, der mich mit den Einzelheiten des Fußballspiels vertraut gemacht hat. Peter Schär, Aaron Dannenberg und Manfred Meyer danke ich für ihre sprachlichen Hilfen.

 

Ein Regenbogen hat sieben Farben: Rot, Orange, Gelb, Grün. Blau, Indigo und Violett. Der Regenbogen dieser Geschichte hat fünf Personen: Selma, Justin, Marco, Arjan und Laura.

Ich erzähle die Regenbogengeschichte von Anfang an.

I – Freundschaft

Von seinem Zimmer aus schaut Arjan auf einen Innenhof. Der ist ziemlich groß, lang und breit wie die Torlinie eines Fußballfeldes. An die Ränder grenzen die Gärten der ringsum umliegenden Häuser. Im Hof kann man einen Rundgang machen. In der Mitte ist Gras mit Blumenbeeten und Sträuchern, so gepflanzt, dass man nicht Fußball spielen kann. Im Sommer lassen sich da bei schönem Wetter bis zu einem Dutzend Familien nieder.

Wenn er von seinem Arbeitstisch weg will und eine Pause von seinem Studium braucht, setzt Arjan sich gern auf das Fensterbrett und schaut hinaus. Es gibt immer Leute zu sehen, auf einer der Bänken oder im Gras sitzend, umherschlendernd oder in schnellem Durchgang irgendwohin.

Am Samstag oder Sonntag sieht er auf dem Rasen oft einen Mann mit einem Kleinkind, das noch kaum gehen kann. Sicher ein junger Vater, der seine Frau ein wenig entlastet und mit dem Kleinen spazieren geht. Arjan schaut ihnen gern zu. Kinder sind die einzigen interessanten Menschen in der Öffentlichkeit. Wie sich Erwachsene benehmen, ist meistens unauffällig, was Kinder tun, weiß man nie. Dieser Kleinste hat sein eigenes Programm. Er weiß, wohin er will oder mindestens in welche Richtung – und der Papa folgt ihm nach. Oder ihr, Arjan weiß nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Schade, sie schauen nie zu ihm hinauf, er würde ihnen gerne zuwinken!

Es kommen Arjan allerhand Gedanken. Möchte er selbst gern ein solcher Vater werden? Würde er selbst gern mit einem Sprössling im Park herumgehen, ihn ab und zu aufheben, seine Finger über dessen zartes Gesichtchen gleiten lassen und ihn herzen? Ach, was für ein verrückt schönes Bild!

Doch nein, ihm wird das nicht zuteilwerden. Dazu schaut Arjan zu sehr auf Männer und zu wenig auf Frauen. Im Prinzip ist er zufrieden mit sich. Mit seinen zwanzig Jahren hat er Frieden gefunden mit seiner sexuellen Ausrichtung. Aber dies hier – der Vater mit seinem Kind im Innenhof – es ist ein Anblick, der ihn entzückt, der jedoch für sein Leben nichts verspricht. Das ist ein trauriges Wissen.

So schaut er jedes Wochenende auf die zwei da unten im Hof, gerührt und melancholisch zugleich. Es vergeht viel Zeit, bevor er auf die Idee kommt, selbst in den Innenhof zu gehen und diese zwei aus der Nähe zu betrachten. Auf einmal merkt er, dass er das will.

Es ist noch frisch, er zieht eine Jacke an und geht die zwei Treppen hinunter und durch die Tür hinaus zum Hof. Obwohl er ein klares Ziel hat, muss er jetzt den ahnungslosen Passanten vorgeben. Mit langsamen Schritten betritt er die Grasfläche, geht auf die zwei zu und bleibt auf kurzer Distanz stehen. Der Kleine – jetzt sieht er, dass es ein Junge ist – hat ein Plüschtier in den Händen und lässt es bei einem Blumenbeet auf die Pflanzen schauen. Der Vater versucht ihn zu steuern, damit er keinen Schaden anrichtet.

Der Mann erkennt, dass Arjan ihnen zuschaut und lächelt ihm zu.

Arjan lächelt zurück. „Ein kleiner Abenteurer!“, sagt er.

Gerade in diesem Augenblick nimmt der Mann das Kind auf und hebt es von den Blumen weg zurück auf das Gras. Es fuchtelt mit dem Plüschtier und will zu den Blumen zurück, aber Papa bringt es auf andere Gedanken.

Weil er nicht indiskret sein will, geht Arjan weiter und setzt sich auf eine Bank. Vielleicht kommen die Zwei auch dorthin. Doch nein, sie bleiben auf dem Rasen und bewegen sich in die andere Richtung.

Das wäre alles gewesen, hätte Arjan es bei diesem kurzen Treff belassen.

 

Doch als sich die Zwei eine Woche später am Sonntagmorgen dort einfinden, geht er nochmals in den Innenhof. Der Kleine stapft langsam hinter einem Wägelchen, das ihm hilft, selbstständig zu gehen. Arjan nähert sich ihm, bleibt stehen und schaut zu. Der Junge sieht ihn an und kommt auf ihn zu. Arjan lächelt und ermutigt ihn. Sobald er nah kommt, biegt der Kleine weg und steuert zu seinem Papi zurück.

„Ein großer Junge!“, sagt er zum jungen Familienvater.

„Ja, genau, er braucht mich immer weniger!“, sagt dieser.

Der Kleine brabbelt etwas. „Ja, das ist ein Mann“, übersetzt der Vater. Der Kleine schaut Arjan an.

„Komm“, sagt der Mann zum Kleinen, „ich will dir die Nase putzen.“ Sie bewegen sich in Richtung einer Bank. Arjan folgt ihnen und schaut zu.

Der Mann setzt sich auf die Bank, nimmt den Kleinen auf den Schoss und geht an die Arbeit. Es scheint dem Jungen nicht zu gefallen. Sein Gezerre zieht den Hosenstoff des Vaters stramm, so dass Arjan die männliche Beule klar zu sehen bekommt. Dort befindet sich das Organ, mit dem er den Kleinen gezeugt hat, denkt er. Doch er schaut nur kurz hin.

In diskreter Distanz setzt Arjan sich ebenfalls auf die Bank. Sobald der Kleine mit seinem Wagen die Runde macht, schaut der Mann Arjan an und sagt: „Es gibt immer zu tun mit ihm!“

„Was für einen herrlichen kleinen Sohn haben Sie!“, sagt Arjan.

„Er ist ein Schatz, ja, aber er ist nicht mein Sohn, nein. Er gehört meiner Schwester. Sie ist von ihrem Mann verlassen worden, jetzt versuche ich dem Kleinen den Vater ein wenig zu ersetzen.“

„Wow! Das ist eine Aufgabe!“

„Mache ich aber gern!“

„Selber haben Sie keine Kinder?“, fragt Arjan.

„Nein!“, lacht er. „Ich bezweifle auch, dass es je dazu kommen wird!“ Er lacht ein wenig spöttisch dazu.

Es wird still. Arjan merkt, dass ihrem Gespräch die Kraft ausgeht. Er möchte sich noch weiter mit dem Menschen unterhalten, er weiß nur nicht worüber. Also steht er auf und verabschiedet sich mit einem kurzen Nicken. Ein beiderseitiges „Noch einen schönen Tag!“ erfolgt.

 

Der kleine Austausch klingt in Arjan nach. Der Mann ist ihm eingefahren. Er mag wohl fünf, sechs Jahre älter sein als er. Sein auffallend schönes Gesicht drängt sich ihm auf. In seiner Fantasie könnte er ihm einen Kuss geben! So sehr hat er ihn berührt. Er schaut eben auf Männer. Auf schöne Männer. Der Mann fasziniert ihn noch mehr als das Kind.

Er beginnt davon zu träumen, dass er ihm näherkäme.

Wieso weiß der Mann nicht, ob er jemals selbst Kinder haben wird? Ist er ebenfalls schwul?

Ungeduldig wartet Arjan aufs nächste Wochenende. Da gibt es Platzregen. Niemand zeigt sich im Innenhof, auch nicht am Sonntagnachmittag, als es endlich trocken wird.

Doch dann, am nächsten Samstag, da sieht er sie! Schnell geht er hinaus. Der Mann sitzt auf einer Bank, und der Kleine spielt um ihn herum. Arjan grüßt ihn. Während er noch unsicher ist, ob er weiter in ihrer Nähe bleiben soll, fragt ihn der Mann: „Wohnen Sie hier?“

Jetzt gesellt Arjan sich zu ihm, setzt sich neben ihn und sagt, wo er wohnt. Er zeigt auf sein Fenster drüben im zweiten Stock. „Nummer 200 an der Parkstraße.“

Von seinem Zimmer aus habe er sie gesehen. Das sei schön für ihn gewesen, der Papi mit seinem Kleinen! Er habe es damals nicht besser gewusst.

„Nein, klar. Das denken ja alle, wenn sie uns sehen. Hätte auch gut sein können!“

„Sie kümmern sich jedes Wochenende um den Kleinen, nicht wahr?“

„Nicht nur am Wochenende! Ich wohne jetzt bei meiner Schwester, also bin ich immer da. Nur arbeite ich natürlich Montag bis Freitag.“

Während der Mann spricht, schauen sie sich aufmerksam in die Augen. In ihrem Blick fängt etwas zu leben an.

Es scheint sie verlegen zu machen. Stille tritt ein. Der Kleine beschäftigt sich mit Steinchen, die er aufliest und wieder fallenlässt.

„Wie heißt er?“, fragt Arjan.

„Justin. Und ich heiße Marco“, fügt er hinzu und reicht ihm die Hand.

„Oh, das freut mich, dich kennenzulernen, Justin! Eh, nein Marco! Entschuldigung! Ich heiße Arjan.“

„Bist du noch in Ausbildung?“, fragt Marco.

„In der Lehre. Ich habe letztes Jahr mit Elektronik und Datentechnik angefangen. Daneben arbeite ich in einem Geschäft für elektronische Apparate.“

„Fernseher und so?“

„Genau!“

„Spannend!“

„Und du? Wenn ich fragen darf?“

„Ich arbeite bei einer Versicherung, einer Krankenkasse.“

„Zahlen und Zahlen?“

„Viele Geldbeträge und viele Personen!“

Sie lachen ein wenig. Wenn sie sich ansehen regt sich etwas wie eine Spannung. Gott, wie bist du schön!, denkt Arjan.

„Sieht man eure Wohnung auch von hier aus?“, fragt Arjan.

„Nein, wir wohnen zwei Straßen weiter. Hier ist es angenehm mit Justin, es gibt keinen Verkehr, und es ist genau richtig für Kinder.“

Justin gibt regelmäßig Anlass für leises Eingreifen. Das trägt dazu bei, dass es nicht peinlich still wird zwischen den Männern. Sie sind einander nähergekommen, aber Arjan weiß wieder nicht, worüber sie reden könnten. Es macht ihn nervös. Dabei fühlt er sich wohl bei Marco.

Schließlich steht er doch auf und verabschiedet sich, jetzt mit Handschlag.

„Ich freue mich, wenn wir uns wiedersehen!“, ruft Marco ihm nach.

Noch einmal sehen sie sich in die Augen, drei Sekunden extra.

Begeistert über die Begegnung geht Arjan nach Hause. Marco war freundlich zu ihm! Er zieht ihn an, unheimlich! Doch er ist sicher 25 oder 28 Jahre alt, der kann mit ihm nichts anfangen, fürchtet er.

 

Jeden Samstag beobachtet er schon früh, ob Marco kommt. Sobald er ihn sieht, ist er nicht mehr zu bremsen. Als Marco ihn sieht, winkt der schon. In der Regel setzt sich Arjan zu ihm. Sie bleiben jedes Mal länger beisammen.

An einem frühen Nachmittag wird Justin müde und kriecht auf Marcos Schoss. Der lässt es zu und umarmt den Kleinen. Der schläft bald ein.

„Das war zu erwarten“, sagt Marco, „es ist Zeit für seinen Powernap!“

Er steht auf mit dem Kleinen an der Schulter. „Ich kann nicht warten, bis er aufwacht. Meine Schwester und ich haben heute noch was vor. Sie hat bloß eine Stunde Pause von ihrer Arbeit.“ Mit Mühe hebt er mit der freien Hand das Wägelchen.

„Komm!“, sagt Arjan, „lass mich das tragen!“

„Oh, das wäre super!“, sagt er.

Arjan begleitet sie nach Hause. Die Schwester wartet schon vor der Tür ihrer Wohnung. Sie hat einen Buggy bereit, dort kommt der schlafende Justin hinein.

Marco stellt Arjan seiner Schwester vor. „Das ist Arjan, Selma, wir kennen uns vom Park.“

„Der Student? Von dem du erzählt hast?“

„Genau. Ich weiß nur nicht, wie er sonst noch heißt!“

„Gröndorfer“, ergänzt Arjan, während er Selma die Hand schüttelt.

„Selma Brüneck“, stellt sie sich ihm vor.

Marco sagt; „Ein anderes Mal lade ich dich zu einem Kaffee ein, Arjan! Heute haben wir keine Zeit.“

„Ich freue mich darauf!“

Wieder sind sie sich ein Stückchen nähergekommen. Dank Justins Mittagschlaf!

 

Und so geht es weiter. Das nächste Mal ist es prächtiges Wetter, auf dem Rasen haben sich mehrere Familien niedergelassen. Während Justin mit einer Holzente, die man an einem Band ziehen kann, spielt, liegt Marco am Boden im Gras. Als Arjan auf ihn zukommt, winkt er, dass er sich ebenfalls hinlegen soll.

Es ist eine neue Erfahrung, mit Marco zusammen auf der Wiese zu liegen. Sich anzuschauen wirkt jetzt noch intensiver als sonst. Arjan stellt noch stärker als vorher fest, wie überaus schön Marco ist, wie sein Gesicht und sein Blick ihn berühren und anziehen. Die dunkelblauen Augen und das dunkelblonde Haar könnten nicht schöner sein.

Justin ist weiter mit seinem Spielzeug beschäftigt. Ab und zu reicht er Marco dies oder das, und der versteckt es hinter seinem Rücken. Sobald er es hervorholt, lacht der Kleine und will es wieder haben.

„Gemütlich, ihr zwei!“, ruft Arjan aus.

„Ja, finde ich auch“, reagiert Marco. „Schön, dass du Pause machst. Ich schaue immer aus nach dir, wenn wir hierherkommen.“

„Wirklich? Oh, das freut mich!“

„Wir könnten uns vielleicht einmal sonst treffen?“

„Da wäre ich sofort dafür!“, sagt Arjan.

Als es still bleibt, fragt er: „Du wohnst doch bei deiner Schwester, hast du gesagt?“

„Ja, wegen Justin. Aber ich habe einen festen Freund.“

„Einen Freund?“

„Eben. Ich habe dir doch gesagt, dass ich selbst wahrscheinlich nie Papi werde. Ich bin mit Jonas zusammen, wir sind gleich alt.“

„Ihr gehört zur Gay Community?“

„Richtig! Hoffentlich macht es dir nichts aus.“

„Wenn ich schon selbst dazu gehöre …!“

„Nein, ehrlich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht!“

„Doch. Aber ohne festen Freund.“

„Den wirst du sicher bald haben!“

„Ich weiß es nicht“, sagt Arjan. „Das schöne Bild von einem Papi mit seinem Kleinen – das hat mir zu denken gegeben. Das möchte ich auch erleben! Doch das liegt für uns ja nicht drin.“

„Ist das allerhand! Der schwule Arjan!“

„Hoffentlich macht es dir nichts aus!“

„Haha! Nein, es macht mir nichts aus!“

Wir lachen beide.

„Du bist doch wegen Justin heruntergekommen, und nicht wegen mir, oder?“

„Am Anfang ja. Aber eh …, das hat sich gewandelt!“

„Nein, ehrlich?“

„Das heißt aber nicht, dass ich dich jage. Ich bin sowieso zu jung für dich.“

„Da könntest du dich noch täuschen!“

„Und ich will dich sicher nicht von deinem Freund wegziehen!“

In diesem Augenblick verlangt Justin Aufmerksamkeit. Den flirtenden Männern tut die Pause gewiss gut.

„Du wohnst also nicht mit deinem Freund zusammen“, sagt Arjan.

„Nein. Ich fühle mich meiner Schwester jetzt verpflichtet: Nun, da ich bei ihr wohne, hat sie und hat vor allem Justin die Möglichkeit, einigermaßen normal zu leben. Und Jonas, mein Freund, wohnt noch bei seinen Eltern.“

„Und wo warst denn du vorher, als es Justin noch nicht gab?“

„Da habe ich mit einem anderen guten Freund zusammengewohnt. Wir hatten aber nichts Erotisches miteinander. Und du?“

„Ich bin in einer Wohngemeinschaft. Zwei Frauen und ich.“

„Keine Liebespaare?“

„Nein, keine Liebespaare. Wir verstehen uns aber gut!“

Inzwischen sind Wolken aufgezogen. Es fängt an zu tröpfeln. Sie stehen auf und Marco sammelt das Spielzeug zusammen.

„Schade!“, sagt er beim Weggehen. „Hoffentlich bis bald!“

 

Arjan ist relativ friedlich bei seinen Eltern mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester aufgewachsen, hundert Kilometer von hier in einer kleinen Stadt. Als er mit fünfzehn, sechzehn feststellte, dass er schwul war, hat ihm das zuerst Mühe gemacht. Sein erster Freund Hannes hat ihm dann geholfen, dazu zu stehen. Sie hatten noch lange keinen Sex miteinander, redeten bloß über Wichsen und Sex im Allgemeinen. Kurz vor Schulschluss sind sie intim geworden. Dummerweise haben sie sich danach zerstritten. Zu vielem Sex ist es also nicht gekommen.

Seither ist Arjan allein. Mit der Ausbildung hat er genug zu tun! Vor kurzem ist er von den Eltern weg in die Wohngemeinschaft gezogen, hat viel für die Lehre zu tun und arbeitet wöchentlich zwei Tage im Geschäft für elektronische Apparatur.

Freitagabends geht er häufig in einen Schwulenklub, tanzt bis tief in die Nacht, und geht fast ausnahmslos alleine nach Hause. Zweimal ist einer mit ihm gekommen. In der WG ist das umständlich. Sie haben nur ein gemeinsames Badezimmer. Außerdem waren seine Partner nicht gerade Männer, die ihm wirklich gefielen. Er hat sie schon vergessen.

Jetzt hat er Marco kennengelernt. Der ist vergeben. Doch wer weiß? Das könnte noch anders kommen. Etwas in Marcos Blick lässt ihn hoffen. Manchmal, wenn sie sich anschauen, entsteht da doch Spannung zwischen ihnen!

Er würde ihn gern küssen und an sich drücken. Er wolle ihn nicht von seinem Freund wegziehen, hat er gesagt. Der brave Junge in ihm schwätzt mitunter nur so drauf los.

 

„Hast du mal Zeit und Lust an einem Samstagnachmittag?“, fragt Marco ihn, als sie sich treffen. „Ich würde dich gern zu einem Kaffee einladen.“

„Bei dir zuhause?“, fragt Arjan.

„Ja, meine Schwester arbeitet am Samstag. Justin wäre da. Ich glaube, dass er nicht stören wird.“

„Nein! Mich sicher nicht!“

„Also, du kommst?“

„Gern!“

„Bring bitte kein Geschenk mit! Komm einfach!“

„Okay. Wann?“

 

Am vereinbarten Termin klingelt Arjan pünktlich.

„Hallo Arjan! Komm hoch! Freut mich.“

Im ersten Stock befindet sich die Wohnung. Justin steht auf der Schwelle zur Wohnungstür und schaut Arjan an, als er die Treppe hochgekommen ist. Marco winkt Arjan ins Wohnzimmer. Sie setzen sich.

Arjan blickt ein wenig rundum. Die Einrichtung ist einfach, aber gemütlich. Überall gibt es Sachen, die auf Justin hinweisen.

„Kaffee?“, fragt Marco.

Er setzt die Kaffeemaschine in Betrieb. Es zischt und gurgelt. Kaffee.

Eine Schachtel mit Keksen steht bereit. „Bediene dich, wenn du magst!“

Justin bringt Arjan ein Plüschtier. Der sagt ihm Danke und wie schön er den Hund finde. Er lässt das Tier auf seinem Schoss sitzen.

„Schön, dich mal hier zu haben!“, sagt Marco mit einem Lächeln.

„Ja!“ Arjan lacht ihn an. Er sonnt sich in der auffallend guten Stimmung, die zwischen ihnen herrscht. Wenn Marco ihn anspricht, bildet sich sofort ein wohlwollendes Lächeln auf dessen Gesicht.

„Ich habe dich von Anfang an interessant gefunden. Nicht jeder junge Mann bleibt für Kinder stehen.“

„Ich vielleicht auch nicht. Ihr zwei habt mich beide fasziniert, Papa und Kleines.“

„Das habe ich gemerkt. Wir haben uns irgendwie sofort verstanden.“

„Ob es ein Verstehen war? Jedenfalls hast du Eindruck auf mich gemacht. Du bist ein sehr schöner Mann!“

„Oh! Danke fürs Kompliment! Dasselbe kann ich von dir sagen!“

„Sicher? Danke ebenfalls!“ Arjan fühlt, dass er rot wird.

„Unsere Augen alarmieren uns sofort, wenn ein schöner Mann sichtbar wird, nicht wahr?“, fragt Marco.

„Geht es dir auch so? Trotz festem Freund?“

„Ach“, grinst er, „einen schönen Mann wahrzunehmen muss ja nicht heißen, dass man eine Beziehung anstrebt!“

„Nein. Stell dir vor!“

„Mit so vielen Schönen in der Welt!“, lacht er mit.

In diesem Moment klingelt es. Marco steht auf.

Kurz darauf kommt er mit einem anderen Mann zurück. Dieser sagt, als er das Zimmer betritt: „Ich wollte es bei dir nur in den Briefkasten werfen, aber dann sah ich, dass Licht bei euch war.“

Er steht mitten im Zimmer und sieht Arjan. Offenbar überrascht sagt er „Oh! Eh … Du hast Besuch. Guten Tag!“

„Arjan, das ist Jonas!“, erklärt Marco.

Arjan steht auf und begrüßt den Mann.

In diesem Moment ändert sich plötzlich der Ton dieses Jonas. Er faucht Marco an. „Für mich hast du keine Zeit gehabt, du müssest mit der Schwester ins Einkaufzentrum, hast du gesagt - und du sitzest hier mit einer Sexbombe beim Kaffee!“

„Du, es bedeutet nichts, reg dich nicht auf!“, versucht Marco zu beschwichtigen.

Jonas zickte aber weiter. „Ich wollte mit dir über die Autopläne reden, aber du hattest ja keine Zeit. Jetzt weiß ich, womit du dich beschäftigst!“

„Ich hatte Arjan eingeladen. Ich kann nicht zwei Dinge gleichzeitig machen!“

„Das hättest du mir doch sagen können!“ schreit er. „Jetzt hast du mich angelogen und ertappe ich dich bei einem heimlichen Date!“

„Übertreib’s bitte nicht! Arjan ist nur ein Nachbar!“

„Warum verschweigst du es mir dann?“

Jonas dreht sich um und verlässt das Zimmer. Marco rennt ihm nach, doch sein Freund eilt die Treppe hinunter und verschwindet. Mit einem Knall geht die Haustür zu.

Als Marco zu Arjan zurückkehrt, sieht er verstört aus.

„Du hast anscheinend ein Problem!“, sagt Arjan.

„Ach, was! Er ist einfach eifersüchtig.“

Arjan schweigt.

Marco setzt sich an den Tisch.

„Möchtest du noch einen Kaffee?“, fragt er ihn, während er versucht, seine Stimme freundlich zu stimmen.

Arjan geht nicht darauf ein. „Weißt du, weshalb du es ihm nicht gesagt hast?“, fragt er.

Marco schaut Arjan lange an.

Justin schafft eine wohltuende Unterbrechung.

Sowie es still wird, sagt er: „Es ist nicht leicht für mich, Arjan, dir zu sagen, weshalb ich ihm verschwiegen habe, dass du mich besuchst.“

„Musst du auch nicht. Es geht mich ja nichts an.“

„Doch, Arjan. Es geht dich was an. Ich habe mich, glaube ich, in dich verliebt. Das wollte ich Jonas nicht verraten.“

Arjan reagiert nicht sofort. „Wow!“, sagt er.

„Ich will dir nicht zu nahetreten, Arjan. Aber so sieht es in mir aus.“

„Aha!“, sagt Arjan. Stille tritt ein.

Das gute Gefühl, dass Arjan noch vor ein paar Minuten empfunden hat, bevor Jonas erschien, ist plötzlich aufgescheucht und weg. Die Konfliktszene hat anscheinend die erotische Spannung zerstört. Es ist Arjan plötzlich nicht mehr wohl bei Marco.

„Sag etwas, Arjan!“

Die Sache mit Jonas lenkt Arjan ab. Dass Marco seinen Freund hinters Licht geführt hat, findet er skandalös.

Marco bemerkt seine Unsicherheit. „Ist etwas nicht gut?“, fragt er.

In Arjan brodelt es. Er ist verliebt in Marco. Soll er ihm trotzdem offen sagen, was ihn schockiert hat?

„Jonas beschäftigt mich“, sagt er.

„Muss es nicht, Arjan. Der war eifersüchtig.“

„So habe ich ihn aber nicht verstanden.“

„Du kennst ihn nicht.“

„Das stimmt, doch er war bestürzt. Und ich weiß weshalb. Du bist doch sein Freund und du hast ihm falsche Angaben über heute Nachmittag gemacht. Durch Zufall hat er es entdeckt und trifft dich mit mir an. Natürlich hat ihn das verletzt.“

Marco schweigt.

„Es hat mich tief getroffen, Marco, dass du dich in mich verliebt hast. Ich bin offensichtlich doch etwas anderes für dich als nur ein Nachbar! Doch jetzt sehe ich, was du mit Jonas gemacht hast. Das erschreckt mich. Würdest du das auch mit mir machen? Wenn etwas heikel ist, würdest du es auch vor mir verstecken und mich in die Irre führen?“ Er trinkt den letzten Rest seines Kaffees aus – es sind bloß noch ein paar Tropfen.

Marco ist verstummt. Er verzieht sein Gesicht. Er könnte jeden Moment in Tränen ausbrechen. Doch er schweigt.

Arjan sagt: „Dein Schweigen bedeutet wohl: Ja, das würdest du mit mir genauso machen.“

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Arjan. Ich habe mich furchtbar blamiert.“

„Das finde ich auch.“

„Natürlich möchte ich dir versichern, dass ich das mit dir nie machen würde. Aber …“

„Eine Notlüge rutscht schnell mal aus einem raus, nicht wahr?“

„Leider ja. Passiert dir das nie?“

„Ich hoffe nicht, sicher nicht bei einem Freund!“

Unser Gespräch nimmt eine andere Wendung. Arjan fühlt sich unbehaglich. Er fragt Marco nach seiner Arbeit. Der berichtet über seine Aufgaben bei der Krankenkasse Und Arjan erzählt von den Fernsehapparaten und seiner Elektronikerlehre. Justin spielt weiter und erheitert sie regelmäßig mit seinen Aktionen.

Sie tauschen sich aus, freundlich. Unterschwellig ist die Stimmung jedoch nicht mehr gut. Marcos Fehltritt ist in bedrückender Weise noch da. Arjan ist schwer enttäuscht von ihm.

Nach einer guten Stunde verabschiedet er sich. „Danke für die Einladung! Es war schön, euch zuhause anzutreffen.“

„Danke für den Besuch, Arjan. Und eh … ich werde mich bessern!“

 

„Bin ich zu streng?“, fragt sich Arjan. Beim Nachhausegehen überlegt er, ob er richtig gehandelt habe. Was soll sein Moralisieren? Eine kleine Notlüge leisten wir uns alle ab und zu? Das ist doch kein Verbrechen?

Nein, kein Verbrechen. Und trotzdem! Seinem Liebsten erzählt Marco etwas, das nicht stimmt. Er hätte Jonas ja nicht verraten müssen, dass er einen attraktiven Typen eingeladen habe. Aber vom Einkaufszentrum zu reden war doch absichtlich eine Irreführung? Geht das zwischen Menschen, die sich lieben?

Nein, das geht nicht, selbst wenn es hunderttausendmal vorkommen mag. Es geht nicht. Die Beziehung wird damit im Keim zerstört.

Arjan kann es nicht anders sehen. Sein Schwarm für Marco ist fraglich geworden

Ihm kommen Tränen, wenn er an Marco denkt. Er fühlte sich stark angezogen! Er fand ihn schön! Er war begeistert! Er war verliebt. Und das ist nicht weg!

Aber Gott sei Dank hat er den Verstand nicht verloren!

 

Unzählige Male denkt er an den Augenblick zurück, als er Marcos Lüge durchschaute. Es erschütterte ihn umso mehr, weil er sich gerade als Verliebter mit ihm unterhielt. Wer verliebt ist, sucht doch keine Distanz zu seinem Liebsten, er sucht Nähe, Einverständnis, er tendiert zur Identifikation, Einssein?

Aber ihm war auf der Stelle klar gewesen, dass er sich hier abgrenzen sollte. Er kann mit einem Lügner nicht eins sein.