Die Marbachs und ihr Gästezimmer - Hans van der Geest - E-Book

Die Marbachs und ihr Gästezimmer E-Book

Hans van der Geest

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Beschreibung

Chris ist schon lange eng mit Emma befreundet. Die Begegnung mit Bobby bringt Unruhe in sein Leben. Bobby wirbt um ihn! Beim Sex mit Emma muss Chris an ihn denken. Auch ein zweiter Mann, Theo, weckt starkes Begehren in ihm. Bei einem Sexualtherapeuten sucht Chris Hilfe. Ihm wird der Unterschied zwischen seiner Liebe zu Emma und seiner Faszination für Bobby und Theo klar. Leidenschaft ist mit Emma nur spärlich möglich, mit Männern wie Bobby und Theo umso mehr. Mit Emma lässt sich aber im Alltag leben, besser als mit den Freunden. Die Einsicht, dass man leidenschaftliche Verliebtheit und ruhige, alltägliche Verliebtheit mit verschiedenen Partnern auf verantwortliche Art erleben kann, bestimmt den weiteren Verlauf der Geschichte in diesem Buch. Chris bespricht alles offen mit Emma. Sie merkt, wie wesentlich männliche Kontakte für Chris sind, ohne dass diese die Liebe zwischen ihr und Chris stören müssen. Sie heiraten und bekommen zwei Kinder, Sylvia und Nico. Theo fällt als Sexpartner für Chris aus, weil er einen Freund findet, der monogam mit Theo leben will. Monogamie als Bedingung einer Beziehung schließt Bisexuelle immer aus. Chris findet zu Bobby wieder Kontakt, jetzt auch sexuell. Aber Bobby zieht bald weit weg zu einem neuen Freund, so dass sie sich nur noch selten sehen. Über ein Inserat lernt Chris Holger kennen. In ihm scheint Chris einen ähnlichen Mann zu finden. Aber dieser hält die Freundschaft mit Chris vor seiner Frau verborgen. Chris‘ Drängen auf Offenheit führt zu einem Drama. Holgers Frau verlässt ihren Mann, sobald sie vernimmt, wie er mit Chris verkehrt. Auch sie fordert monogames Verhalten. Bobby und sein neuer Freund trennen sich nach langer Zeit. Chris findet neu Kontakt zu ihm. Dann erleidet Bobby einen schlimmen Unfall, der ihn den größten Teil eines seiner Beine kostet. Die alte Freundschaft lebt jetzt stark auf. Bobby kann das Gästezimmer bei den Marbachs beziehen und wird Teil der Familie. Chris‘ Frau Emma erträgt das alles, weil sie von Chris‘ Treue zu ihr überzeugt ist. Treue muss nicht monogamisch sein. Monogamie ist exklusiv, Treue nicht. Als Bobby viele Jahre später stirbt, begleitet Chris ihn in den Tod. Auch in ihren letzten Begegnungen spielt ihre sexuelle Anziehung eine wichtige Rolle.

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Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Hans van der Geest

Die Marbachs und ihr Gästezimmer

Bisexualität im Alltag

 

 

Von Hans van der Geest im Himmelstürmer Verlag bisher erschienen:

Wilde Treue - Frühjahr 2015, ISBN print 978-3-86361-548-2

Plötzlich Pflegeväter - Herbst 2016, ISBN print 978-3-86361-570-3

Das Kuckuckskind - Frühjahr 2017, ISBN print 978-3-86361-629-8

Spätzünder Herbst 2017, ISBN print 978-3-86361-659-5

Der Schüchterne und der Sonnyboy, Frühjahr 2018 ISBN print 978-3-86361-684-7

Die Doppelspieler Herbst 2018, ISBN print 978-3-86361-714-1

Ronny - I’m a winner, Frühjahr 2018, print 978-3-86361-681-6

Davids Dreier, Herbst 2018, ISBN print 978-3-86361-726-4

Das Liebesnest, Herbst 2018, ISBN print 978-3-86361-711-0

Ihr Regenbogen hat fünf Farben, Frühjahr 2019, ISBN print 978-3-86361-741-7

Alle Bücher auch als E-book

  

  

  

  

Himmelstürmer Verlag, part of Production House, 31619 Binnen

www.himmelstuermer.de

E-Mail: [email protected], Mai 2019

© Production House GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages.

Zuwiderhandeln wird strafrechtlich verfolgt

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

Coverfotos: Adobe stock

Umschlaggestaltung:

Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

  

  

ISBN print 978-3-86361-753-0

ISBN e-pub 978-3-86361-754-7

ISBN pdf 978-3-86361-755-4

  

Alle hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist nicht beabsichtigt

  

  

  

  

Mit Dank an Peter Schär für die sprachlichen Korrekturen.

  

  

  

  

Zivildienst. Bobby

Ich bin kein Kämpfer. Schon als kleiner Junge habe ich mich aus Streitereien rauszuhalten versucht. Jede Anrempelung erschreckte mich. Deswegen bin ich auch Sportarten ferngeblieben, in denen man mit Kraft aufeinander losgeht.

Aus diesem Grund war mir der Wehrdienst[1] bereits lange, bevor er für mich aktuell wurde, verhasst. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil ich eben kein Kämpfer bin, steuerte ich auf den Zivildienst zu. Nach dem Schulabschluss kam ich also zu den Zivis.

Da bin ich jetzt seit vier Monaten. Ich arbeitete zuerst in einem Heim für behinderte Jugendliche, danach kam ich in ein großes Krankenhaus. Dort sind wir acht Zivis, auch für das angegliederte Pflegeheim.

Sechs Wochen tue ich jetzt Dienst auf einer chirurgischen Station, unter der Aufsicht von Frau Dobler, der Stationsleiterin. Mit ihr komme ich nicht sehr gut aus, sie ist streng schnell, kritisch und laut. Ich bin ein braver Junge. Wenn Frau Doblers Stimme über die Abteilung erschallt, erzittere ich. Obwohl sie mit mir recht zufrieden sei. Sagt sie.

Von der Arbeit in einem Krankenhaus hatte ich mir erhofft, mit Patienten in Kontakt zu kommen. Das ergibt sich leider nicht. Ich habe wenige Aufgaben, die mich direkt zu ihnen führen. Mittlerweile denke ich, dass ich nur eine Verstärkung der Putzgruppe bin.

Ich fange jeden Morgen an alle Abfallkörbe zu leeren, die Körbe zu reinigen und wieder genau hinzustellen, wo sie hingehören. Danach schiebe ich einen breiten Wagen, auf dem das für das Frühstück benutzte Geschirr, die Teller und die Tassen, einsortiert werden. Von achtzehn Zimmern, einige für vier Personen, kommt eine ganze Menge zusammen. Auf dem halben Weg muss ich den Wagen in die Küchenabteilung fahren, um ihn für den Rest freizumachen.

Die Toiletten muss ich zum Glück nicht putzen, aber auch dort befinden sich Abfallkörbe. Die fallen in meinen Bereich. Es gibt am Ende des Korridors eine große Toilette, in der es immer eine Menge aufzusammeln gibt. Wo Papier fehlt, muss ich es ergänzen. Oft hängt in diesem Raum eine muffige Luft. Ich öffne das Fenster, während ich dort bin. Das darf ich eigentlich nicht. Darum mache ich es anschließend schnell wieder zu.

Obwohl ich mich freue, wenn die Zivildienstzeit zu Ende geht, mache ich die Arbeit nicht ungern. Nach kurzer Zeit fühlte ich mich auf der Abteilung wie zuhause.

Mit den anderen Zivis habe ich wenig Kontakt. Ich treffe sie beim Mittagessen in der Cafeteria, nicht alle zur selben Zeit. Außerdem kommt meine Freundin oft zu mir und dann essen wir irgendwo anders.

Nächsten Montag werden alle Zivis zu einem Treff am frühen Morgen erwartet, da sich einige verabschieden und neue eintreten, die eingeführt werden müssen. Ich werde sicher einer anderen Abteilung zugeteilt werden, vielleicht im Pflegeheim. Hoffentlich werde ich dort mehr mit Patienten zu tun haben.

Neben dieser Arbeit habe ich Gott sei Dank noch ein Leben! Da spielt vor allem meine Freundin Emma eine wichtige Rolle. Mit ihr bin ich seit anderthalb Jahren zusammen. Wir wohnen in einer Wohngemeinschaft mit noch drei anderen zusammen. „Chris und Emma“ heißt es, „Emma und Chris“. Unzertrennbar. Chris bin ich.

Ich denke darüber nach, was ich nach dem Zivildienst machen will. Ich sollte studieren gehen, aber ich bin kein fleißiger Mensch. Vielleicht werde ich lieber arbeiten und dabei einen Beruf lernen, zum Beispiel in der Pharmabranche.

Meine Eltern haben lange darauf gedrängt, dass ich den Schulabschluss mache. Mit Ach und Krach ist es dazu gekommen. Jetzt haben sie Vertrauen zu mir. Meine Freundin Emma gefällt ihnen. Sie bezahlen mir das Wohnen in der WG und für die Zukunft darf ich mit ihrer Unterstützung rechnen. Ich bin ihr einziges Kind und mein Papa verdient recht gut.

 

Montag. In der Halle des Krankenhauses zwischen dem Haupteingang und der Cafeteria sind die Zivis alle beisammen, die, die heute Abschied nehmen, die Neuen und wir Übrigen. Wir sitzen an einem langen Tisch. Der Direktor spricht ein paar Worte und ein Abteilungsleiter und zwei Leiterinnen heißen besonders die Neuen freundlich willkommen.

Ich schaue die vier Neuen an. Sie sitzen mir am Tisch gegenüber. Drei sind Brillenträger! Ein Langer ist dabei und einer, der recht viele Kilos hat. Das sind sicher Leseratten, genau wie ich einer bin. Der vierte, der mir schräg gegenübersitzt, blickt ohne Brille in die Welt. Er ist ein hübscher Kerl, schön wie ein Filmstar! Er ist nicht groß, hat wilde, schwarze Haare, glattrasierte Wangen. Ich schaue ihm ins Gesicht. Er blickt sofort zurück, das erschreckt mich. Unerklärlicherweise schaue ich nochmals zu ihm. Und wieder guckt er zurück. Mist!

Mir fällt die Aufgabe zu, meinen Nachfolger auf der Abteilung von Frau Dobler einzuführen. Sie selbst kommt auf mich zu und dankt mir sogar für meine Arbeit.

Und wer ist mein Nachfolger? Ausgerechnet der hübsche Kerl!

Er kommt auf mich zu. „Hallo“, sagt er, „ich bin Bobby, mit Ypsilon.“

„Hallo“, antworte ich, „Chris.“

„Hoffentlich kann ich einen so komplizierten Namen behalten!“, witzelt er. Ich lächle zurück und weiß wie gewöhnlich nicht, wie ich reagieren soll.

Während wir zur Abteilung gehen, sagt er mir, dass er sich freue, mit mir zusammenzuarbeiten.

Ich korrigiere: „Wir werden nicht miteinander zu tun haben, ich muss dich nur einführen. Ich werde selbst ab jetzt irgendwo anders arbeiten.“

„Oh, schade!“, ruft er aus.

Auf der Abteilung informiere ich Bobby über die Art der Frau Dobler und zeige ihm in einem Rundgang seine Arbeit. Im großen WC stinkt es gehörig, was Bobby zu einem „Wow!“ verführt. Ich verrate ihm, dass ich meistens das Fenster aufgemacht, es natürlich rechtzeitig wieder zugemacht habe.

Während des Rundgangs fällt mir auf, dass Bobby mich regelmäßig intensiv anschaut. Er lächelt dabei, ohne dass es spöttisch wirkt.

„Mir gefällt deine schöne Haut“, sagt er, nachdem ich ihm den Werkzeugschrank gezeigt habe.

Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren kann, die Bemerkung passt mir nicht ins Konzept.

Schließlich stelle ich ihn Frau Dobler vor. Danach verabschiede ich mich und wünsche Bobby viel Spaß.

Der packt meine Hand, schaut mich scharf an und sagt mir: „Danke Chris! Schade, dass wir nicht miteinander arbeiten! Wir sehen uns wohl irgendwie!“

 

Bobby ist ansteckend fröhlich und aufdringlich. Ich musste ihn einführen, nun, das habe ich getan. Er dankte mir, als ob ich weiß was Großes geleistet hätte.

Ich begebe mich ins Pflegeheim nebenan, in dem ich schon erwartet werde.

Die neuen Aufgaben, die mir verordnet werden, führe ich hier nicht auf, da sie für die zukünftige Geschichte nicht wichtig sind. Es gefällt mir hier besser als bei Frau Dobler. Wir haben einen Pflegefachmann, mit dem ich mich sofort gut verstehe. Er lehrt mich, wie ich Patienten beim Essen helfen kann. Dadurch habe ich einen persönlichen Kontakt zu ihnen.

Einige Tage später hole ich nach der Dienstzeit mein Fahrrad aus dem Gestell und da sehe ich Bobby. Er kommt auf mich zu.

„Schön, dich zu sehen!“, sagt er.

„Und wie geht’s?“, frage ich.

„So lala. Ich sehe dich nie beim Essen!“

Ich erkläre ihm, dass ich in der Regel mit der Freundin esse, in einer kleinen Snackbar in der Nähe. „Morgen kommt sie nicht, dann bin ich in der Cafeteria.“

„Ich schaue, ob das wahr ist!“, ruft er mir nach, während ich wegfahre.

Was will er wohl von mir?, denke ich.

Am nächsten Tag wartet er auf mich. Als ich in die Cafeteria komme, gesellt er sich sofort zu mir.

„Sitzen wir zusammen?“, fragt er.

„Okay. Willst du über Frau Dobler schimpfen?“, lache ich.

„Auch ein bisschen, stimmt.“

Wir wählen unser Essen und setzen uns an einen kleinen Tisch.

„Zum Wohl!“, stoßen wir an.

Ich erzähle ein bisschen von meiner neuen Abteilung, er von seiner Arbeit. Frau Dobler habe ihn lauthals über den Korridor angeschrien: „Flossen weg von den Fenstern!“, das sei nicht seine Aufgabe.

„Fenster?“, frage ich.

„Ja, in der großen Toilette. Du hast mir doch gesagt, das könne ich aufmachen, wenn es dort stinke.“

„Stimmt. Und auch, dass du es wieder zumachen musst.“

„Das hatte ich eben vergessen.“

„Du hast Frau Dobler sicher gesagt, dass das meine Idee …“

„Nein! Ich habe dich rausgelassen. Sonst wäre sie noch auf dich losgegangen!“

„Ich habe dich doch auf den Gedanken gebracht, also bin ich mitschuldig!“

„Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“

„Das ist überaus nett von dir. Ich hätte das anders gemacht.“

„Ich wahrscheinlich auch, wenn es einen anderen betroffen hätte.“

„Und warum denn bei mir?“

„Weil du Chris bist!“

Dann wird es still. Ich bin kein Wasserfall, ich halte Pausen gut aus. Während ich meine Nudeln durch die Sauce ziehe und einstecke, sagt er mir plötzlich: „Du reagierst nicht!“

Ich schaue ihn an. „Was?“

„Du reagierst nicht!“

„Worauf denn nicht?“

„Das weißt du ganz genau“, sagt er und schaut mich an.

„Ich habe keine Ahnung, was du meinst.“

Er schweigt und isst weiter.

„Sag mir doch, was du meinst“, wiederhole ich.

„Wenn du es nicht weißt, kann ich es dir auch nicht erklären.“

„Was denn erklären?“

Bobby schweigt und isst weiter.

„Du bist ein Rätsel“, sage ich.

„Du hast Menschenkenntnis, Chris! Ich bin ein Rätsel.“

Es bleibt still und ungeklärt. Bald habe ich meinen Teller leer und das Glas ausgetrunken. Ich stehe auf.

„Noch einen schönen Tag, Bobby!“

„Gehst du schon? Ciao, Chris! Es hat mich gefreut!“

 

Was sollte das?

Ich vermute, was er will. Ich erinnere mich an seinen festen Blick, als ich ihn eingeführt habe. Ich denke an sein klares„Danke“, als ich mich verabschiedete. Und die Sache mit dem Fenster, „weil du Chris bist.“

Ich will darüber gar nicht nachdenken. Er sucht mir nah zu kommen. Das ist mir unangenehm. Nicht, dass ich ihn unsympathisch fände! Aber das Aufdringliche, das habe ich nicht gern. Was soll ich mit ihm?

Er berührt eine Stelle in mir, die ich sorgfältig behüte. Ich finde Kontakte unter Männern gut, aber nicht, wenn es da Geheimnisse gibt und weiß ich, was alles für Besonderheiten. Er schaut mich auf einer Weise an, wie man sich unter Männern nicht anschaut. Das geht in Richtung Homo, und das ist wohl das Letzte, was ich erstrebe.

Ich weiß nie sofort, was ich sagen soll, wenn mich jemand überrascht. Wie bei Bobby, als er sagte, ich reagiere nicht. Ich nehme mir jetzt vor, gleichsam einzustudieren, was ich sagen kann, wenn mir Bobby erneut so kommt. Ich könnte ihm sagen: „Hör auf mit den Schwuchteleien, dafür bin ich nicht hier.“

Wäre das nicht eine klare Reaktion?

Bloß zweifle ich, ob das richtig wäre. Ich will ihn ja nicht beleidigen, er hat mir ja nichts Unangenehmes getan.

Ich könnte ihm besser sagen: „Hör zu, Bobby. Ich habe eine wunderbare Freundin und sonst habe ich keine Bedürfnisse. Versuch’s bei einem anderen!“ Das finde ich gut! „Hör zu, Bobby, … ich habe …“ Ich übe es ein paar Mal.

Bald treffe ich ihn beim Essen wieder. Mich freut das, vor allem weil ich meinen auswendig gelernten Spruch loswerden will. Wir setzen uns zusammen. Er sagt aber nichts zum lästigen Thema und gibt mir keinen Anlass, meine Sätze zu präsentieren. Ebenso ein zweites Mal in der Cafeteria, wir sitzen am selben Tisch, er redet über alles, nur nicht über das Thema.

Besser so! Er hat die Sache wohl vergessen. Seine Augen sind möglicherweise andernorts fasziniert worden.

Bis ich ihn an einem späteren Abend, als ich mein Fahrrad hervorhole, beim Arealausgang sehe, ebenfalls mit Fahrrad.

„Ich habe dich gerade gesehen“, ruft er mir zu. „Soll ich neben dir fahren?“

„Wo musst du denn hin?“

„Egal wohin, Chris, vielleicht reagierst du endlich.“

Jetzt bin ich gefordert!

Was genau wollte ich ihm auch noch sagen?

Ah ja, ich erinnere mich! Während wir nebeneinander fahren, sage ich ihm: „Hör zu, Bobby, okay, ich reagiere. Ich habe eine wunderbare Freundin und sonst habe ich keine Bedürfnisse. Versuch’s bei einem anderen!“

„Schade, Chris! Ich respektiere das. Aber dein Ratschlag! Dass du so unempfindsam bist, das hätte ich von dir nicht erwartet!“

Mit einem „Ciao!“ biegt er bei der ersten Kreuzung nach rechts ab und verschwindet.

 

Jetzt kann ich erleichtert sein, ich habe reagiert und zwar deutlich. Erleichtert bin ich zwar nicht. Unempfindsam. Dieser Abschiedsstoß, den er mir verpasste, der ärgert mich.

Stimmt das? Unempfindsam, was heißt das genau? Nicht feinfühlig? Nun, Bobby kann schwer von mir verlangen, dass ich auf seinen Annäherungsversuch einfach positiv eingehe. Wäre ich dann feinfühlig? Nein, dann wäre ich doch unterwürfig und besinnungslos!

Doch nein! Jetzt tue ich Bobby Unrecht, so primitiv ist er nicht. Er sagte ausdrücklich, er respektiere meine Reaktion.

Was meint er denn mit unempfindsam?

„Versuch’s doch bei einem anderen!“ Ist das unempfindsam? Ich habe ihn doch nur aufgefordert, dasselbe, was er bei mir sucht, bei jemandem anderen zu suchen, wo er dann mehr Glück hat?

Er ist ein Wirrkopf. Trotzdem, ich mag ihn, abgesehen von dieser Anmache.

Die Sache will mir nicht aus dem Kopf. Bobby drückt sich nicht klar aus, aber er benutzt eben scharfe Worte. Die klingen in mir nach.

„Versuch’s doch bei einem anderen!“ Das habe ich ihm gesagt. Für Bobbys Empfinden muss das daneben gewesen sein. Wie denn?

Wart! Meint er das Suchen? Hat er es überhaupt bei mir versucht?

Mir fällt plötzlich ein anderes Verständnis ein. Ich habe ihn, den einzigen Nicht-Brillenträger, den Hübschen, beim Vorstellungstreff in der großen Halle ein paar Mal angeschaut. Könnte er das als einen Annäherungsversuch meinerseits aufgefasst haben? Sein Blick zurück und sein sonstiges Werben wären in diesem Fall nicht ein Versuchen gewesen, sondern ein Eingehen auf meine Einladung. Und ich hätte nicht auf sein Eingehen reagiert.

Das wäre doch verrückt! Ich suche doch keinen Freund oder Ähnliches!

Warum habe ich ihn damals eigentlich angeschaut? War das länger als üblich? Dreht er mir nicht einen Strick aus einem unbedeutenden Hinschauen?

Emma

Die widersprüchlichen Gedanken zum Zivikollegen Bobby ärgern mich mehr und mehr. Ich will davon loskommen.

Meine Freundin Emma. Ich will mehr an sie denken, mich mehr mit ihr beschäftigen.

Es wird Zeit, dass wir Sex haben. Bis jetzt haben wir das zurückgestellt. Wir seien noch nicht so weit, haben wir uns mehrmals gesagt. Sie sieht das ähnlich wie ich.

Ich bin kein Kämpfer, kein Eroberer. Emma und ich, wir haben uns im Kirchenchor kennen gelernt. Wir singen beide gern. Da sie bei mir in der Nähe wohnte, gingen wir zusammen nach Hause. Auf einmal habe ich den Mut gefunden, ihr zu sagen, wie gern ich sie mag. Es ging ihr auch so. Wir haben uns geküsst und seither heißt es, wir seien zusammen.

Vor kurzer Zeit sind wir in die Wohngemeinschaft gezogen. Eine Freundin von Emma lebte da schon und es gab auf einmal zwei freie Zimmer. Seitdem wohnen wir dort.

Wir spazieren miteinander, hören Musik, lesen und singen eben im Chor. Wir sind herzlich miteinander und unkompliziert. Sie hat mich gefragt, ob ich nicht Sex wolle. Darüber haben wir geredet. Sie fand auch, es sei noch zu früh dafür.

Jetzt will ich es aber! Mir ist klargeworden, dass mir noch eine wichtige Erfahrung fehlt. Ich will sexuell aktiv werden.

Mir fällt es nicht leicht, darüber in angemessenem Ton zu reden. Auch Emma ist darin nicht brillant. Doch ich kann ihr klarmachen, dass ich die Zeit für eine Probe reif finde. Mit Verhütungsmitteln, versteht sich.

Sie spricht mit ihrem Hausarzt. Sie wird die Pille nehmen.

Zum ersten Mal ziehe ich mich vor ihr aus, als ich nachher bei ihr in ihrem Zimmer bin. Sie liegt mit wenig Bekleidung auf ihrem Bett. Ich ziehe ihr das Wenige aus. Zum ersten Mal sehen wir uns wie Adam und Eva.

Ich lade sie ein, mich zu berühren und anzufassen. Sie macht das sparsam und behutsam. Schließlich geselle ich mich zu ihr und stelle fest, wie mein Glied automatisch grösser und steifer wird. Ich dringe in sie hinein, was ihr offensichtlich wehtut. Ein wenig Blut läuft auf das Laken, das sie über das Bett ausgebreitet hat.

Blöderweise törnt mich das ab. Ich sage, dass wir ein anderes Mal weitermachen. Sie ist sofort einverstanden. Wir Stümper!

 

Es zieht sich drei Tage hin. Endlich haben wir zum ersten Mal voll Sex miteinander.

Nachher reden wir darüber. Emma sei froh, und es sei schön gewesen. Die Nähe zu mir und die Zärtlichkeit hätten ihr gefallen. Für mich war der Orgasmus schön, obwohl ich den natürlich schon bei mir selbst erfahren habe. Und Emmas warmer Körper hat mir gutgetan.

Wir machen weiter. Jede Woche ein- oder zweimal.

Wir gewöhnen uns aneinander. Ich vermute, dass Emma nicht dieselbe Befriedigung erlebt wie ich, aber ich verstehe das zu wenig und lasse es unbesprochen.

Es ist beim vierten oder fünften Mal, dass ich ein verstörendes Erlebnis habe. An diesem Abend komme ich nicht in Fahrt. Mein Glied muss ja ein bestimmtes Ausmaß haben, bis ich penetrieren kann. Ich werde ungeduldig.

Auf einmal fällt mir Bobby ein. Sein Lachen, seine Stimme, seine Gestalt. Im Nu ist es steif genug. Der Gedanke an Bobby lässt mich nicht mehr los. Ich versuche mir vorzustellen, wie er sich hier bewegen würde. Plötzlich erschrecke ich und versuche mich gegen dieses Bild zu wehren, und prompt bin ich durcheinander. Mein Orgasmus will sich nicht mehr einstellen.

„Das ist nicht mein Abend“, sage ich.

„Macht nichts“, findet Emma.

Am nächsten Abend bin ich nervös und unsicher. Ich will keine blöden Gedanken! Ausgerechnet dadurch stellen sie sich wieder ein. Derselbe Bobby. Ich breche die Übung ab.

„Was kann das sein?“, fragt Emma.

„Ich habe störende Gedanken.“ Ich will und werde ehrlich sein.

„Störende Gedanken?“

„Ja. Ich habe dir doch von diesem Bobby erzählt?“

„Der sich dir aufdrängen wollte?“

„Genau. Ich muss an ihn denken und ich will das gar nicht.“

„Wieso denn? Habt ihr euch gestritten?“

„Nein. Ich muss hier ganz ehrlich sein. Er hat mich …, ja, er hat mich fasziniert, oder wie soll ich das nennen? Er hat Eindruck auf mich gemacht, er hat mich angezogen! Und ich will das gar nicht!“

„Angezogen? Ist er ein Vorbild für dich oder wie meinst du das?“

„Nein, einfach als Mann.“

„Als Mann?“

„Genau, als Mann. Es muss etwas Schwules in mir sein. Ich will das nicht, es drängt sich mir auf. Ich muss Klarheit darüber bekommen!“

„Siehst du ihn oft?“

„Nur zufällig, hier und da. Und er ist meistens nett. Ich will nicht in diesen Sog hineingeraten. Er zieht mich an, ohne dass er etwas Besonderes macht.“

„Er ist hübsch, hast du das nicht gesagt?“

„Ja, ist er. Und wenn ich mich gehenlasse, wenn ich sozusagen die Bremsen in mir löse und an ihn denke, dann möchte ich … dann kommt etwas wie Begehren in mir auf. Es ist zu mächtig, als dass ich es abwehren könnte.“

„Begehren, ist das nicht ein starkes Wort? Begehren wir uns, Chris? Begehrst du mich?“

„Emma, ich bin mit niemand lieber zusammen als mit dir! Ich stelle mir unseren Weg im Leben gemeinsam vor! Das ist die Hauptsache für mich.“

„So sehe ich das auch. Ich kann mir das mit niemandem sonst vorstellen.“

„Wie kriege ich diesen verdammten Bobby weg?“

Erschöpft hören wir mit Reden auf. Wir legen uns in Emmas Bett und schlafen nah beieinander ein.

 

Die nächsten Tage nehmen wir das Thema wieder auf. Emma ist mir eine gute Hilfe, sie wagt es, nach allerhand zu fragen.

Ich frage sie: „Hast du Angst, dass die Sache uns auseinanderbringen könnte?“

Sie wartet lange mit ihrer Reaktion. „Ja und nein“, sagt sie schließlich. „Weil du offen zu mir bist, vertraue ich dir. Ich spüre deine Zuneigung voll und ganz. Anderseits, wer weiß, wie es weitergeht?“

Nach einer Woche versuchen wir erneut, Sex miteinander zu haben. Und es gelingt.

„Was ist jetzt anders gewesen?“, fragt Emma.

„Ich habe diesmal bewusst an Bobby gedacht. Ich habe den Gedanken nicht zu verjagen versucht. So ging es gut.“

„Also hast du mit Bobby geschlafen!“

„Irgendwie ja. Aber ich war ja bei dir!“

Zweierlei Verliebtheit

Wir reden weiterhin regelmäßig darüber, bis wir beide finden, dass ich Hilfe brauche. Bekannte, die wir fragen könnten, haben wir nicht. Wir suchen im Telefonregister. Sexualberatung heißt ein Ressort. Ich wähle mir ein Dr. Kosters aus.

Dr. Kosters empfängt mich. Er ist ein Fünfziger, sieht vertrauenerweckend aus. Ich erzähle ihm mein Problem, dass ich im Sexualkontakt mit meiner Freundin erst in Fahrt komme, wenn ich an einen attraktiven Mann denke. Was ich nicht wolle.

Kosters fragt mich nach meinen Vorstellungen von Männern und Frauen und nach Vorlieben, die ich früher schon hatte. Er schließt aus meinen Angaben, dass ich von Jugend an eine Tendenz zu Männern hatte, aber mich kräftig dagegen gewehrt habe.

Ich kann dem beipflichten. Kosters versucht den Grund zu finden, dass ich so starken Widerstand geleistet habe. Ich erzähle von meinem Zuhause, wie es von älteren Männern, die eine junge Frau liebten, hieß, sie seien Dreckschweine. Und über den Buchhändler in der Nähe, von dem man wusste, dass er mit einem anderen Mann zusammenwohnte, hieß es ebenfalls, der sei ein Drecksack, ein Fiesling, ein Kranker. Alles, was nicht der kleinbürgerlichen Norm entsprach, sei schmutzig.