Im Auftrag des Weihnachtsmanns - Hanna Julian - E-Book

Im Auftrag des Weihnachtsmanns E-Book

Hanna Julian

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Beschreibung

- Gay Christmas Romance - Joel träumt nicht – er hat ein Jobangebot vom Weihnachtsmann erhalten. Aber was könnte Santa Claus von ihm benötigen? Um das zu erfahren, muss Joel an den Nordpol reisen. Und schon ist er mitten im Elfendorf, das Überraschungen in Hülle und Fülle zu bieten hat. Doch das größte und verlockendste Rätsel ist der Elf Matar, der Joel kältetauglich einkleiden soll. Weil die Nähe des Weihnachtsmanns Joel ständig in lebhafte Kindheitserinnerungen zurückfallen lässt, nimmt Matar ihn für die Zeit des Aufenthalts bei sich auf. Alles könnte wunderbar sein, wenn das Rentier Hendrik und der Elf Atik nicht ein heimliches Komplott schmieden würden, um Joel zu schaden.

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Hanna Julian

Im Auftrag des Weihnachtsmanns

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel – Leise rieselt der Schnee

2. Kapitel – Ganz schön voll am Nordpol

3. Kapitel – Erstmal shoppen!

4. Kapitel - Matar, der Außenseiter

5. Kapitel – Wie eine zweite Haut

6. Kapitel – (K)ein Schloss

7. Kapitel – Weichenstellung für die Zukunft

8. Kapitel – Claus ist nicht Gott

9. Kapitel – Gespräch mit dem Chef

10. Kapitel – Das Rentier mit den spitzen Ohren

11. Kapitel – Das Haus am Rande des Elfendorfs

12. Kapitel – Eine Soap-Opera vom Ende der Welt

13. Kapitel – Matars vollkommen unheilige Nacht

14. Kapitel - Das Rentier und der Elf

15. Kapitel – Präsentation in türkis

16. Kapitel – Elfen-Handicap

17. Kapitel – Hendrik haut auf den Tisch

18. Kapitel – Der Chef haut heftiger auf den Tisch

19. Kapitel – Phänomenelfige Neuigkeiten

20. Kapitel - Vom Nordpol in die Innenstadt

Epilog – Weihnachten bei Freunden

Nachwort

Impressum

Leseprobe „Fast einsame Weihnachten“

Leseprobe „Schneeflockentanz“

Weitere Gay-Storys von Hanna Julian (Auswahl)

1. Kapitel – Leise rieselt der Schnee

Überambitionierter, chronisch unterbezahlter Werbefachmann sucht Auftraggeber, der es ernst mit der Finanzierung meint. Ich erwarte völlig freie Handhabe in Bezug auf meine kreativen, außergewöhnlichen – manchmal recht kostspieligen – Ideen. Die finanzielle Belastung der Umsetzung trägt allein der Auftraggeber. Dafür biete ich meinen 100%igen Einsatz für so gut wie jedes Produkt oder jede, nicht sittenwidrige, Dienstleistung. Und das an jedem Ort der Welt, sofern der Auftraggeber Anreise, Unterkunft sowie Spesen bezahlt. Einzige Bedingung: schwuler Sex darf am Einsatzort nicht unter Strafe stehen.

Bei ehrlichem Interesse wählen Sie die Mobilnetz-Nummer:

Zum Glück hatte Joel wenigstens vergessen, seine Handynummer anzugeben, als er in betrunkenem Zustand das Zeitungsinserat online ausgefüllt hatte. Das war auch prompt abgedruckt worden. Würde er nicht selbst jeden Morgen beim Frühstück die Stellenanzeigen aufschlagen, hätte er seinen Aussetzer sicher erst bei den Kontoauszügen bemerkt, wenn er für diesen Mist, den er da als Auftragsgesuch verzapft hatte, bezahlen musste. Natürlich hätte es auch einer seiner vielen verzweifelten Kollegen sein können, die so einen Unsinn abdrucken ließen. Aber schon beim ersten Satz, den er da schwarz auf weiß lesen musste, war ihm klar, dass dieser durchgeknallte Inserent er selbst war. Überambitioniert – das hatte sein letzter Auftraggeber ihm an den Kopf geworfen. Und chronisch unterbezahlt war Joel zuletzt bei jeder Festanstellung gewesen. Trotzdem war er überzeugt gewesen, dass er in seinem Job wirklich gut war – so gut, dass er es auch in Selbständigkeit schaffen würde. Und bei weitestgehend freier Hand war er sicher sogar noch viel besser!

Dummerweise nutzte ihm diese Selbstüberzeugung momentan allerdings gar nichts. Weder heizte sie seine Wohnung – nun, nachdem sich die Gaspreise wie ein durchgeknallter Heißluftballon in Richtung Stratosphäre aufgemacht hatten. Noch füllte sie seinen Kühlschrank. Und schon gar nicht sorgte die aktuelle finanzielle Lage dafür, dass er ein hübsches Weihnachtsgeschenk für seine fünfjährige Nichte Leoni kaufen konnte. Da die Kleine seines Bruders jedoch der einzig sympathische Mensch in der Familie war – und Joel vom ersten Moment, als er sie gesehen hatte, sein Herz an diesen niedlichen Engel verloren hatte – stand ihr ein wirklich schönes Geschenk zu … nur dass die leider recht teuer waren. Egal wie man es drehte und wendete: er brauchte dringend einen Auftrag! Aber jetzt, einen Monat vor Weihnachten, war im Grunde alles schon gelaufen. Die X-mas Deals waren längst getätigt, und die finanziell unsichere Lage motivierte Firmen nicht gerade dazu, den Werbe-Etat fürs nächste Jahr schon zu verballern. Aber genau das brauchte Joel: jemanden, der bereit war, eine Menge Geld in ihn und seine Ideen zu investieren. Und er brauchte ihn so schnell wie möglich. Kein Wunder also, dass er im Suff so eine Anzeige verfasst hatte. Allerdings wäre es ebenfalls kein Wunder, wenn sich aufgrund seiner unverschämten Forderungen niemand melden würde - was wegen der fehlenden Handynummer ja ohnehin nicht ging.

Joel seufzte und schob die leere Kaffeetasse fort, an der er sich in der letzten halben Stunde versucht hatte, die Hände zu wärmen. Kalte Hände – kalte Gedanken – kalte Zukunft. Überhaupt wurde alles immer kälter in diesem Land … oder sogar weltweit. Er wurde aus seinen trüben Gedanken gerissen, als eine hübsche dicke Schneeflocke wie in Zeitlupe an seinem Fenster vorbei fiel. Die erste in diesem Winter. Und sie würde vermutlich nicht lange so hübsch aussehen, denn wenn sie drei Stockwerke tiefer auf den Asphalt traf, latschte schon irgendein Schuh sie platt. Schade eigentlich. Joel stand vom Bürostuhl auf, ging zum Fenster und öffnete es. Die kalte Luft schien sich eingeladen zu fühlen und stürmte seine Wohnung, obwohl Joel bislang gedacht hatte, in seiner kleinen Bude sei es fast kälter als draußen. Was war denn nun aus der Schneeflocke geworden? Er beugte sich aus dem Fenster. Die Flocke war groß und sank so behäbig, dass er sie problemlos mit seinem Blick verfolgen konnte.

„Pass auf dich auf, Flöckchen“, murmelte er. Sie fiel. Langsam. Aber unaufhaltsam. Dann kam sie zum Liegen – auf dem Gestrüpp neben der Baustellenabsperrung. Glück gehabt, Flocke, dachte Joel. Als er gerade das Fenster schließen wollte, kamen wie auf Knopfdruck so viele Kumpels von Flocke vom Himmel gefallen, dass Joel wie ein Kind strahlte. Er schaute zu den grauen Wolken empor, die sich entluden. Krass, wie viel fragile und harmlose Munition die in sich trugen! Wobei die meisten Leute sie wohl gar nicht als harmlos empfanden, weil die Flocken die Ordnung störten. Und auch die Wetterdienste würden es sich vermutlich wieder nicht nehmen lassen, von Schneechaos zu sprechen und zu schreiben, obwohl es so ziemlich das Normalste der Welt in diesen Breitengraden sein sollte, wenn es im Winter mal schneite. Die kalte Luft ließ seine Nasenspitze prickeln. Joel tastete nach dem Griff, um das Fenster zu schließen. Er machte es langsam, um noch mal nach der Flocke zu schauen, die inzwischen bestimmt schon nicht mehr zu erkennen war. Aber er irrte sich. „Seine“ Schneeflocke war deutlich zu sehen – und sie erhob sich. Joel stutzte. Er fantasierte. Erst die skurrile Anzeige und nun sowas …

„Ne, is klar … ein bisschen weniger Wein täte dir gut“, maßregelte er sich selbst. Joel schloss die Lider und öffnete sie dann wieder, um seine Augen zu einem Neustart zu überreden. Die Flocke flog – aufwärts! Musste wohl plötzlich ein seltsamer Windeinfall sein, dass das möglich war. Sie kam näher. Verrückt! Die anderen Flocken fielen hinab, wie sich das ja auch gehörte. Nur diese eine setzte den Weg nach oben kontinuierlich fort. Sie flog sogar ein wenig Zickzack, um den fallenden Kumpels auszuweichen. Unmöglich. Das war nicht real. Vermutlich schlief er noch. Kein Wunder nach dem vielen Alk. Und wow, was für einen Quatsch man träumen konnte! Wahnsinn, wie echt dieser Traum sich anfühlte. Vielleicht war auch die Stellenanzeige nur in seinen Träumen erschienen. Die Hoffnung starb schließlich zuletzt. Genug jetzt damit! Joel wollte aufwachen. Aber es ging nicht ... Okay, dann mal sehen, wohin dieser wahnwitzige Traum ihn noch so führen würde. Immerhin war er sich jetzt sicher, dass es nur ein Traum war. Die Flocke kam näher. Sie war immer noch dick und kein bisschen beschädigt. Jetzt steuerte sie direkt auf ihn zu. Joel wich aus. Die Flocke kam durchs Fenster herein. Sie schwebte auf der Höhe zwischen seiner Nase und seinem Mund, als würde sie überlegen, auf welchem dieser Körperteile sie landen sollte. Oder wollte sie ihn etwa küssen?

„Nicht ganz so vertraulich bitte. Immerhin kennen wir uns erst seit ein paar Minuten“, sagte Joel mit dem Wissen, dass nichts davon echt war. Jovial fügte er an: „Wenn du meinst, du musst landen, dann setz dich bitte an den Esstisch.“

Träume selbst steuern – eine tolle Sache! Die Flocke tat, was er ihr gesagt hatte. Sie nahm allerdings ausgerechnet auf dem Stuhl Platz, auf dem er sonst immer saß, obwohl noch drei, die er nie benutzte, zur Auswahl standen. So richtig klappte das mit dem Traum-Steuern wohl doch nicht. Joel entschied, sich über so eine Kleinigkeit nicht zu ärgern.

Die Schneeflocke seufzte tief und ausgiebig.

„Was ist los?“, fragte Joel.

„Das Leben ist ganz schön schwer geworden“, sinnierte sie.

Joel überlegte. Die Flocke sprach. Klar, warum nicht? – in einem Traum. Er entschied, zu antworten. „Du meinst wegen der Erderwärmung? Ist sicher für eine Schneeflocke noch viel schlimmer, ständig in Angst zu leben, dass man schmilzt.“

„Ach bitte, mach dich nicht lächerlich! Eine Schneeflocke besteht aus gefrorenem Wasser. Die kann sowas wie Angst überhaupt nicht empfinden.“

Joel stutzte. Er neigte dazu, sich im Schlaf selbst zu verarschen? Nicht gut. Gar nicht gut! Er nahm sich vor, so sachlich wie möglich zu bleiben. „Aber dass du als Schneeflocke reden kannst, finde ich, ehrlich gesagt, ebenso lächerlich.“

„Ich bin doch keine Schneeflocke!“, echauffierte sich die Schneeflocke. Joel kniff zweifelnd die Augen zusammen. „Ach …“, murmelte die Schneeflocke. „Bin ich ja doch“, folgte dann die Selbsterkenntnis. Joel nickte nur schweigend.

„Aber das ist nur mein Reisezustand. Und ich reise gar nicht so oft, daher ist das auch für mich ziemlich ungewohnt.“ Das erklärte natürlich alles … Joel hatte keine Lust mehr auf so einen wirren Traum. Er wollte endlich aufwachen.

„Ich soll dir ein Job-Angebot überbringen – einen Auftrag, um genau zu sein.“ Die Flocke klang nun sehr geschäftsmäßig. Krasse Wendung. Vielleicht sah er sich diesen Traum doch noch eine Zeitlang an. Möglicherweise gab es ja eine Erkenntnis, die er im Wachzustand zu seinem Vorteil nutzen konnte.

„Klar, schieß los!“

„Du müsstest vor Weihnachten arbeiten.“

„Das machen doch alle.“

„Und an Weihnachten.“

„Okay, das machen nicht alle, aber immer noch genügend Leute. Kein Problem. Sofern die Bezahlung stimmt.“

„Ich bin mir sicher, dass du zufrieden sein wirst.“

„Ich bin mir da nicht so sicher.“

„Doch, wirst du“, beharrte die Schneeflocke.

„Gut, gehen wir mal davon aus, du hättest recht. Was genau soll ich denn nun dafür tun?‘“

„Zunächst einmal mit mir verreisen.“

„Mit dir? Wohin?“

„Nordpol.“

„Klar …“, sagte Joel gedehnt. Was hätte eine Schneeflocke in seinem Traum wohl auch anderes erwidern können. Obwohl Nordpol nun schon extrem war. Es wurde Zeit, den Traum erneut zu beeinflussen. „In der Schweiz soll es um diese Jahreszeit auch sehr schön sein. Und das ist nicht ganz so weit weg“, schlug er vor. Schweigen.

„Du scheinst mich nicht ernst zu nehmen“, knurrte die Schneeflocke schließlich.

„Wie sollte ich? Das ist alles nur ein Hirngespinst. Nett, aber ich muss mich ernsthaft drum kümmern, einen Auftrag an Land zu ziehen. Sonst kann ich meine Miete nämlich nicht mehr bezahlen – ganz zu schweigen von den Nebenkosten.“

„Vielleicht solltest du dann das Angebot zumindest mal anhören. Du kannst immer noch Nein sagen, wenn die Aufgabe dir nicht gefällt.“

„Okay – aber dafür müssen wir … an den Nordpol reisen?“

„Korrekt.“

„Gut. Dann packe ich ein paar Sachen zusammen.“

„Das brauchst du nicht. Es ist für alles gesorgt.“

„Ich möchte trotzdem gerne ein paar Dinge mitnehmen.“

„Das ist nicht möglich.“

„Warum wundert mich das jetzt nicht?“

„Das weiß ich nicht“, erwiderte die Schneeflocke. Joel gab einen triumphierenden Laut von sich und erklärte: „Es wundert mich nicht, weil nichts hiervon wahr ist!“

„Ist es nicht?“

„Nein.“

„Na, dann pass mal auf!“ Die Schneeflocke hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da geschah etwas mit Joel. Etwas, das nur in einem Traum passieren konnte. Er verwandelte sich ebenfalls in eine Schneeflocke.

2. Kapitel – Ganz schön voll am Nordpol

Die Reise war erstaunlich schnell vonstattengegangen. Joel hatte so etwas noch nie erlebt – was auch kein Wunder war. Denn er war zum ersten Mal eine Schneeflocke gewesen. Und noch bevor er diesen Zustand auch nur annähernd hatte erfassen können, war er bereits wieder ein Mensch. Ein frierender Mensch, inmitten einer weißen Landschaft. Scheinbar endlose Weiten, Hügel, und in der Ferne Berge – alles von leuchtend weißem Schnee bedeckt. Joel musste die Augen zusammenkneifen.

„Genieß das Tageslicht, solange es noch geht. Hier, am Nordpol, sind die Nächte lang – sehr lang.“ Joel erkannte zwar die Stimme der Schneeflocke, die ihn in seiner Wohnung aufgesucht hatte, doch nun war ihr Erscheinungsbild ein völlig anderes. Ein junger Mann stand vor ihm. Groß und schlank. Schwarzes Haar, das gerade frisch geschnitten zu sein schien. Blitzblaue Augen und reichlich spitze Ohren ließen Joels Blick deutlich zu lange auf seinem Gegenüber ruhen.

„Was ist los? Hast du etwa noch nie einen Elf gesehen?“, fragte der Mann.

„Einen Elf? So, wie im Märchen? Einem Weihnachtsmärchen?“

„Du bist alt genug, um zu wissen, dass an allen Geschichten etwas Wahres dran ist. Nun ja, an den meisten. Eure Weihnachtsmärchen sind teilweise wahr, aber einiges davon läuft in der Realität auch vollkommen anders ab.“

„Was läuft denn anders?“, wollte Joel wissen. Er blinzelte immer noch, diesmal allerdings nicht wegen des Lichts, sondern weil er hoffte, auf diese Art endlich aus dem Schlaf zu erwachen.

„Hör mal mit dem Kniepen auf! Das ist keiner deiner Träume. Die Sache hier ist echt. Und bevor du eine Entscheidung treffen kannst, musst du das begreifen. Ansonsten ist dein Einverständnis nämlich rein gar nichts wert, verstehst du?“

„Ja – ist klar.“ Nichts war klar. Der Elf schien seine Worte jedoch für bare Münze zu nehmen.

„Gut. Ich führe dich mal rum, dann wird das schon. Und wegen deiner Frage: was anders läuft, als du es aus euren Märchen gewohnt bist, wirst du ganz sicher sehen, wenn du den Job annimmst und dich länger hier aufhältst.“

„Wenn ich mich länger hier aufhalte … “, echote Joel mit bibbernder Stimme. Der Elf sah ihn kritisch an, dann entschied er: „Jetzt werden wir dich erstmal ordentlich einkleiden. Ihr Menschen seid ja solche Frostbeulen!“ Da er selbst nur einen dünnen, hautengen Anzug trug, der der Kleidung eines Skispringers ähnelte, schien er keine Frostbeule zu sein, wie er sich ausgedrückt hatte. Der Anzug war grün mit goldenen Einlässen. Joel genoss den Anblick des körperbetonten Einteilers trotz seiner eigenen Friererei. Dieser Elf war attraktiv! Schlanke, muskulöse Beine und Arme. Ein flacher Bauch, breite Brust. Und im Schritt ließen die Konturen auf ebenfalls ansehnliche Geschlechtsteile schließen. Elfen hatten Genitalien? Der Elf bemerkte Joels Blick und senkte seinen eigenen zur Körpermitte. „Siehst du, da ist schon eine Sache, die anders ist als in den meisten eurer Geschichten. Elfen sind keine Neutra. Ich bin männlich, so wie du. Keiner eurer Barbie-Kens, sondern ein Kerl mit Glocken und Seil.“

„Glocken und Seil?“ Joel musste lachen. So langsam begann er tatsächlich zu glauben, dass das, was geschah, nicht seiner eigenen Fantasie entsprang. Denn solche Ausdrücke hatte er für Hoden und Penis noch nie benutzt – andere schon … aber an diese schien der Traum-Elf wiederum nicht mal im Geringsten zu denken.

„Folge mir! Ach, und nur falls es dich interessiert: mein Name ist Atik.“

„Atik? Das ist ein ungewöhnlicher Name.“

Der Elf zuckte mit den Schultern. „Du wirst dich schon dran gewöhnen. Die meisten Elfen haben Namen von Sternen.“

„Oh, das wusste ich nicht“, erwiderte Joel, während er versuchte, dem Elf im Schnee zu folgen.

„Seien wir doch ehrlich. Was diesen Ort angeht, weißt du so gut wie nichts.“

„Über die Arktis weiß ich schon so einiges“, widersprach Joel. Atik blieb stehen und fixierte ihn aus diesen unglaublich blauen Augen. Sanfter Spott lag darin. Und auch seine Stimme ließ gutmütigen Tadel anklingen. „Es geht doch nicht um die Arktis. Nicht mal wirklich um den Nordpol. Es geht um … den Arbeitsplatz. Das Drum und Dran. Du musst das alles noch kennenlernen, denn du hast keine Ahnung.“

Joel dachte nach, rutschte aus und konnte sich so gerade noch fangen. „Stimmt, von all dem habe ich keine Ahnung. Woher auch? Aber du wirst mir sicher alles erklären.“

„Nein, das meiste macht der Chef selbst.“

„Der Chef?“

„Ja.“

„Und wie heißt er, der Chef?“

Atik blieb erneut stehen und blickte ihn an. Diesmal war da keine Spur von Gutmütigkeit, sondern unverhohlener Spott. „Wenn du mich das ernsthaft noch fragst, kann es mit deiner Intelligenz nicht allzu weit her sein.“ Wow, das hatte gesessen! Joel lächelte peinlich berührt und sagte dann zaghaft: „Du willst jetzt nicht von mir hören, ich würde denken, es wäre der Weihnachtsmann, oder?“

„So blöd bist du anscheinend doch nicht“, erwiderte der Elf auf seltsame Weise erleichtert. Joel schüttelte innerlich den Kopf, doch er traute sich nicht, eine ablehnende Geste zu machen. Das alles war einfach zu skurril, um echt zu sein. Aber er war offenbar so verzweifelt, sich totalen Blödsinn zusammen zu fantasieren. Auf geradezu bedenkliche Art! Vermutlich war er ein Fall für die Klapse, wenn man das Ganze mal bei Licht betrachtete.

„Dann möchte ich jetzt gerne mit ihm sprechen“, sagte Joel, in der Hoffnung, dass die Traumblase damit endlich platzen würde. Denn sich einen Elfen zusammen zu fantasieren, der körperlich reizvoll war, mochte ja durchaus in seinem unterbewussten Interesse liegen, aber ein dicker Mann mit weißem Rauschebart ging dann doch zu weit.

„Nicht jetzt“, erwiderte Atik dann auch. Joel grinste. „Jetzt hab ich dich!“, triumphierte er. Der Elf sah ihn verwirrt an. „Wir spielen doch kein Fangen. Und selbst wenn wir das täten, du würdest mich nie haben, denn du bewegst dich auf Schnee und Eis viel zu langsam und unsicher. Aber ich denke, ich habe da etwas für dich …“ Damit wandte sich Atik einer immens großen Hütte zu, die wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien. Das Gebäude bestand aus dicken Baumstämmen, die so angeordnet worden waren, dass sie einen imposant großen Innenraum bieten konnten. Am Giebel der Hütte war ein Schild angebracht: Elfenbedarf. Als Joel den Blick wieder senkte, tauchten vor seinen Augen weitere Gebäude auf. Sie waren ausnahmslos ebenfalls aus Holz erbaut. Manche groß, manche klein, einige geradezu winzig. Und nun tauchten auch Wege zwischen diesen Häusern und Hütten auf. Wege, auf denen unzählige Gestalten unterwegs waren. Die meisten trugen wie Atik enganliegende Anzüge mit Rot und Gold, Blau und Silber, Grün und Gelb, Lila und Zartrosa. Männer und Frauen. Nur Kinder konnte Joel keine ausmachen. Und zwischen all diesen Personen waren Tiere zu sehen. Schneehasen gingen neben Polarfüchsen. Drei Walrosse saßen Pfeife rauchend auf einer Veranda – das Schild am Gebäude wies darauf hin, dass es sich um ein Café für kolossale Lebewesen handelte. Eine Horde Rentiere spielte auf einem weitläufigen Platz Eishockey. Eine Menge Eisbären standen am Rand und winkten mit Fähnchen. Joel fiel der Unterkiefer runter. So viel Infantilität hatte er sich bei seiner Vorstellungskraft gar nicht zugetraut. Er träumte ja wie ein Grundschüler es tun würde … oder ein Kindergartenkind. - Als eine Gruppe Pinguine an ihm vorbeiwatschelte, lachte er erleichtert auf.

„Jetzt hattest du mich wirklich fast. Aber eben nur fast!“ Er wies mit dem Zeigefinger anklagend auf Atik.

„Ich habe dich immer noch nicht zu fangen versucht“, erwiderte der Elf ein wenig genervt.

„Hah! Mich legst du nicht mehr rein! Soll heißen, ich selbst lege mich nicht länger rein.“

„Keine Ahnung, was du meinst.“

„Ich fantasiere! Und nun habe ich auch den Beweis.“

„Nämlich?“

„Die Pinguine! Jedes Kind weiß doch, dass die nicht am Nordpol, sondern am Südpol leben!“

„Klar leben die am Südpol! Hat doch auch keiner gesagt, dass die hier leben würden! Das sind Touristen. Hast du die Fotoapparate denn nicht gesehen, die sie um den Hals tragen?“

Joel sah der Gruppe hinterher. Das Watscheln endete abrupt. Unisono hoben die Tiere ihre Kameras und fotografierten einen Laden, dessen Schild die Aufschrift Fisch-Shop trug.

„Fisch-Shop?“ Joel kratzte sich an der Stirn. „Ist wohl eher ein Restaurant für die“, sinnierte er.

„Nein. Nicht hier. Schau, sie gehen rein.“ Die Pinguine watschelten in den Laden. Als sie ihn wieder verließen, hielt jeder von ihnen einen Fisch an der Leine, der sich in eleganten Schwimmbewegungen durch den Schnee bewegte und dabei keine noch so mickrige Wasserstelle ausließ, um sich darin zu suhlen.

„Ist das nicht alles etwas schräg?“, fragte Joel. Er hatte seine Worte nicht an Atik gerichtet, sondern an sich selbst. Dennoch antwortete der Elf. „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du diesen Ort erst kennenlernen musst?“ Er klang wieder sanft. Joel war ihm dankbar. Er wusste nicht, ob er dabei war, den Verstand zu verlieren, aber ein meist gütiger Elf war immer noch ein besserer Begleiter im Irrsinn als ein durchgeknallter Psychopath, der Schwule in einem dunklen Keller bei lebendigem Leib in kleine Scheibchen schnitt.

3. Kapitel – Erstmal shoppen!

„Das alles sieht aus wie die perfekte Welt.“ Joel ließ den Blick schweifen. Die Walrosse stopften ihre Pfeifen neu. Auf dem Eishockeyspielfeld machte ein Rentier mit grüner Nase ein Tor. Ziemlich genau die Hälfte der Zuschauer-Eisbären lag sich jubelnd in den starken Armen, während die andere Hälfte ihre großen Tatzen verzweifelt vor die Augen hob. Sie hatten ihre Fähnchen in den Schnee fallen lassen – das Spiel war mit dem Tor wohl entschieden worden. Joel sah wieder zur Straße. Die Pinguine waren mit ihren neuen Haustieren bereits ums Eck verschwunden. Joel ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie sie hoffentlich nicht fernab der Öffentlichkeit verspeisten. Dabei wäre das doch normal! Aber hier war wirklich so einiges anders. Denn es war auch höchst unwahrscheinlich, dass Eisbären ein Eishockeyspiel von Rentieren verfolgten – ausschließlich Eisbären sogar. Joel atmete tief durch. Verrückte Gegend hier! Wie im Traum … aber wohl kaum sein eigener. So einen Unsinn hatte er wirklich noch nie geträumt, warum sollte er es also jetzt tun? Ein Schneehase hoppelte ihm gegen das Bein und holte ihn damit in die Realität zurück – die Realität … ein guter Witz! „Tut mir leid, Fremder. Ich wollte nicht unhöflich sein, aber meine Freundin entbindet jeden Moment, und ich muss doch zu ihr!“

„Ja – sicher. Schon gut. Viel Glück und so“, sagte Joel. Der Hase lief dankend mit der Pfote winkend weiter.

„Der soll mal nicht so tun, als wäre er besonders aufgeregt. Sind immerhin inzwischen schon so rund hundert Junge, die seine Häsin bekommen hat. Sind fleißig, die beiden.“

„Oh … Hasen. Klar“, brachte Joel hervor.

„Ja. Und hier leben die besonders lange. Sind aber auch ganz niedlich, das muss ich schon zugeben. Kommst du nun rein?“, fragte Atik, er wies auf den Laden mit dem Elfenbedarf. Joel nickte und folgte ihm. Das Holzhaus war mit allem vollgestopft, was ein Elf wohl so brauchte. Das waren erstaunlich viele Dinge. Angefangen von den typischen Anzügen, über spitze Schuhe mit und ohne Glöckchen, bis hin zu Wohnaccessoires und Körperpflegebedarf. Letzteres war allerdings erstaunlich übersichtlich. Weder Shampoo noch Cremes oder Deos. Lediglich Zahnpasta, Rasierzeug und Kernseife standen zur Auswahl bereit. Joel nahm sich vor, Atik später danach zu befragen.

„Such dir einen aus!“ Atik wies auf eine recht kurze Stange mit hautengen Anzügen. Obwohl es an den umliegenden Stangen eine riesige Auswahl gab, schien Atik diese nicht für Joel in Betracht zu ziehen. Die, die er erwog, waren alle ausnahmslos schwarz mit hellgrauen Einlässen. Lediglich die unterschiedlichen Formen der grauen Stoffstellen sorgten für ein wenig Abwechslung.

„Kann ich nicht auch einen von den bunten nehmen?“ Joel war sich nicht sicher, ob er das überhaupt wollte, aber es ging ihm ums Prinzip. Atik schüttelte entschieden den Kopf. Doch bevor er Joels Frage beantworten konnte, erklang eine andere Stimme hinter Joel.

„Es tut mir leid, mein Herr, aber nur diese Kollektion ist für Gäste bestimmt.“ Joel drehte sich um. Er war bereits auf Krawall gebürstet, denn er fand es reichlich unverschämt, ihm vorschreiben zu wollen, was er zu tragen hatte. Als er den Mann jedoch erblickte, der ihn angesprochen hatte, blieb ihm seine harsche Antwort im Halse stecken. Er sah sich einem weiteren Elf gegenüber. Ein blonder, zartgliedriger Kerl, der in etwa seine Größe hatte. Die Ohren waren weniger spitz als die von Atik, aber eindeutig ebenfalls nicht menschlich. Seine Augen waren so grün wie ein Bergsee im Sonnenschein – ein Funkeln von Türkis blitzte in der Iris auf. Seine Haare reichten ihm bis ans Kinn und erinnerten von der Farbe her an ein reifes Kornfeld. Dieser Gedanke schien Joel an diesem ständig schneebedeckten Ort selbst ein wenig zu abwegig. Aber eines ließ sich nicht leugnen: Elfenmänner waren verdammt hübsch anzusehen! Und dieser wirkte so zart, dass er unwillkürlich den Wunsch in Joel weckte, ihn beschützen zu wollen. Wie ein Blitz hatte dieser Gedanke ihn getroffen. Der abrupte Wechsel seiner Emotionen machte Joel stumm – Atik schaltete sich ein.

„Matar, danke für deine Erklärung. Zeig doch bitte unserem Gast, wo er sich umziehen kann.“ An Joel gewandt fügte er hinzu: „Das Material ist ziemlich dehnbar. Nimm am besten eine Nummer kleiner, als du es gewohnt bist. Während du die Sachen anprobierst, sehe ich mich schon mal nach Schuhen für dich um. Welche Größe brauchst du?“

„Vierundvierzig“, erwiderte Joel. „Aber meine Schuhe sind okay. Ich denke, ich brauche keine neuen.“

„Du brauchst welche“, urteilte Atik rigoros. „Okay, wenn du das sagst …“, erwiderte Joel. Er ärgerte sich, dass sein Begleiter ihn so bevormundete – und das ausgerechnet vor dem Verkäufer, der ihn so verwirrte … Matar … Ein schöner Name, fand Joel. Er konnte sich vom Anblick des Verkäufers nicht losreißen. Matar schlug die Augen nieder, als Joel ihn fixierte. „Darf ich Ihnen ein paar Anzüge in die Kabine bringen?“, fragte er. „Sicher … aber dazu müsste ich erst mal wissen, wo die Kabine ist. Davon abgesehen, sehen die Anzüge doch ohnehin fast alle gleich aus. Ich weiß nicht, ob diese Art der Garderobe etwas für mich ist.“ Joel bezweifelte das wirklich. Der hautenge Look erinnerte ihn ans Ballett. Für ihn sah das Ganze eine Spur zu tuntig aus.

„Es mag ungewohnt für Sie sein, aber ich denke, Sie werden sich darin sehr wohl fühlen.“ Der Verkäufer schien sich sicher zu sein. Oder er war einfach nur erpicht darauf, etwas zu verkaufen. Und wer konnte ihm das übelnehmen? Der Laden schien nicht gerade zu brummen. Denn immerhin waren Atik und er die einzigen Kunden in dem großen Geschäft.

„Ich bringe Sie zu den Kabinen.“ Matar machte eine Geste in Richtung Wand. Joel, der dort rein gar nichts erkennen konnte, zögerte. „Sollte ich nicht lieber schon den ein oder anderen Anzug selbst aussuchen und direkt mitnehmen? Vielleicht passt ja schon einer, und Sie können sich die Mühe sparen, weitere bringen zu müssen.“

„Ich mache das wirklich sehr gerne … außerdem ist es mein Job“, gab der Verkäufer ein wenig hilflos zurück. Sein Gesicht färbte sich rötlich, was sein Unbehagen noch deutlicher machte.

---ENDE DER LESEPROBE---