KEMET – Der Fluch - Hanna Julian - E-Book

KEMET – Der Fluch E-Book

Hanna Julian

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Beschreibung

~ Alle drei Teile in einem Band. ~ Als David einen Horrorladen eröffnet, erfüllt er sich damit einen großen Traum. Endlich kann er sich, neben den üblichen Horrorartikeln, ausgiebig mit seinem Hang zum Mystischen beschäftigen. Seiner ohnehin schon angeschlagenen Beziehung mit Linus bekommt seine neue Betätigung allerdings weniger gut. Nachdem David von einem Kontaktmann einige okkulte Gegenstände erworben hat, geschehen seltsame Dinge. Was anfangs noch wie eigenartige Zufälle aussieht, wird schließlich zur lebensbedrohlichen Gefahr – denn ein uralter ägyptischer Fluch hat die Zeiten überdauert, um grausame Rache zu üben. David muss alles daransetzen, den tödlichen Fluch zu bekämpfen, der von ihm und seinem Freund Linus Besitz ergriffen hat. Auch seine Mitstreiter geraten immer tiefer in die Machenschaften eines grauenhaften Dämons. David muss all seine Kraft aufwenden und einen möglichst kühlen Kopf bewahren, denn wenn Linus überleben soll, gilt es herauszufinden, warum der Dämon aus dem alten Ägypten es ausgerechnet auf schwule Liebespaare abgesehen hat. Bei einer Séance begibt sich David auf eine Reise durch Zeit und Raum. Dabei wird er Zeuge einer Verwandlung, die so unvorstellbar wie grausam ist. Kann er sein Wissen aus dem alten Ägypten nutzen, um den Fluch endlich zu brechen?

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel  

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Epilog

Impressum

Leseprobe zu »Sommerglut – Tödliche Geheimnisse«

Weitere Gay Storys von Hanna Julian (Auswahl)

Prolog

 

Kemet – Das alte Ägypten

 

Wael stand am Ufer des Nils und blickte über seinen Besitz. Das Land, die Früchte auf den Feldern, das Vieh – alles gehörte ihm. Er war ein reicher und mächtiger Mann. Doch er war nicht mächtig genug gewesen, den, den er liebte, an sich zu binden. Die vielen Geschenke, die er ihm gemacht hatte, nachdem sie ihr Lager teilten, hatten den ärmlichen Bauern Fenuku nicht davon abgehalten, sich mit einem Reisenden zu vergnügen. Wie weh es getan hatte, die beiden Männer dabei zu ertappen, wie sich ihre Leiber gemeinsam wälzten ... Wael hatte sich im Zorn auf sie stürzen und mit bloßen Händen erwürgen wollen, doch zu zweit waren sie stärker als er gewesen, und so hatten sie entkommen können.

Waels einst grenzenlose Liebe war blindem Hass gewichen. Fenuku hatte ihn so schrecklich gedemütigt, dass es nur noch ein Ziel gab: grausame Rache.

Wael ließ Fenuku und den Fremden suchen, doch niemand wusste, wohin sie verschwunden waren. Wael selbst suchte tagelang das fruchtbare Niltal und darüber hinaus die angrenzende Wüste ab.

Doch Fenuku und dessen Liebhaber waren nicht mehr auffindbar gewesen. Waels Demütigung wuchs damit sogar noch. Jeder, der seinen Weg kreuzte, schien ihn insgeheim zu verspotten, weil er die Betrüger nicht hatte bestrafen können.

Aus Waels tief in Liebe entflammtem Herzen wurde ein Ort der Finsternis. Kein Sonnenstrahl vermochte es zu wärmen, kein Wort konnte die Verbitterung schmälern. Rache war alles, was er nun noch ersehnte, und so traf Wael eine grausame Entscheidung.

Er ließ den Magier Ombus rufen und beschwor ihn, seine schwarzmagischen Fähigkeiten gegen Fenuku und den Reisenden einzusetzen. Ombus willigte ein und nannte seine Bedingungen für die übersinnlichen Dienste. Er wies Wael an, zwei handliche Statuen fertigen zu lassen, die beide identisch aussahen. Als Wael sie ihm bei einem neuerlichen Treffen überließ, versah Ombus jede von ihnen mit Sigillen, die Dämonen auf den Plan riefen, Schmerz, Verderben und schließlich einen grausigen Tod über die Betrüger bringen sollten.

Dann ließ er sich aus Waels Herde zwei weiße Pferde bringen und ihnen die Augen verbinden. Nachdem er die Statuen an den Hälsen der Pferde befestigt hatte, versetzte er ihnen mit einem Stock einen festen Schlag aufs Hinterteil, sodass die Tiere in Panik davonliefen.

»Ohne sehendes Auge werden die Boten ihren Weg rasch finden. Sie bringen den Fluch zu denen, die er treffen soll. Der Rache wird Genüge getan, denn die Dämonen sind gierig danach, Fenuku und den Unbekannten zu bestrafen. Du hast deine kostbarsten Pferde gewählt, das ist gut, denn sie dienen nicht nur als Boten, sondern auch als Dankesopfer.«

Der Magier ließ sich die zuvor verlangten Waren, Tiere und wertvollen Schmuck von Wael aushändigen, dann ging er seiner Wege.

Wael wartete drei Tage und drei Nächte. Er wusste nicht worauf, doch ihn gelüstete nach einem Beweis, dass Fenuku litt, so wie er selbst gelitten hatten – ja, wie er selbst immer noch litt. Wieder und wieder blickte er über das Land, bis am vierten Tage ein weißes Pferd am Horizont auftauchte. Als es näherkam, erkannte Wael Fenuku auf dessen Rücken. Er war wohlbehalten.

Fenuku sprang vom Pferderücken und warf sich zu Waels Füßen in den Staub. Er flehte ihn um Verzeihung an und versprach, von nun an nur noch zu ihm gehören zu wollen. Von dem Fluch, den Wael über ihn ausgeschickt hatte, wusste er nichts. Er hatte nur das ihm bekannte Pferd erblickt, ihm die Augenbinde gelöst und die seltsame Statue in seiner Tasche verstaut, um sie Wael zurückzubringen. Fenuku schwor, den Reisenden, dessen Namen auch er nicht erfahren hatte, niemals wiedersehen zu wollen. Zudem erklärte er Wael, er sei wie von einem Fluch besessen gewesen, kaum, dass er den Fremden erblickt hatte. Erst das ausgesandte Pferd, von dem Fenuku dachte, Wael hätte es ihm geschickt, damit er heimkäme, hatte ihn wieder zur Vernunft gebracht.

Wael glaubte Fenukus Worten und verzieh ihm. Sein Herz entbrannte augenblicklich erneut in Liebe zu ihm. Sie gaben sich einander stürmisch auf seinem Lager hin und liebten sich ein ums andere Mal. Als Fenuku schließlich, von der anstrengenden Reise und dem ausgiebigen Liebesspiel erschöpft, fest eingeschlafen war, nahm Wael die Statue und schlich sich aus dem Gemach.

Er warf die unheilvolle Skulptur im hohen Bogen in den Nil, auf dass sie auf ewig versinken möge.

Als Fenuku am nächsten Morgen erwachte und sein Augenlicht verloren hatte, versprach Wael, ihm immer zur Seite zu sein.

Er hielt dieses Versprechen auch als Fenukus Haut ein paar Tage später aufplatzte und Eiter aus den Wunden hervorquoll. Fenuku fieberte so heftig, dass er den Verstand verlor. Er schrie lange am Stück, bevor er schließlich das Bewusstsein verlor.

Wael hielt ihn, obwohl sein Geliebter erbärmlich stank und kaum noch wie ein menschliches Wesen aussah. Natürlich hatte er gewusst, dass es der von ihm erbetene Fluch war, der Fenuku dahinraffte.

Wael schickte nach Ombus aus, doch der war nicht aufzufinden. Daraufhin sandte er Boten, die andere Magier auftreiben sollten. Jeder, der Fenukus Schicksal abwenden könnte, wäre ihm recht gewesen.

Doch die Ausgesandten fanden niemanden rechtzeitig, der ihnen helfen konnte, und so starb Fenuku in Waels Armen. Als er am nächsten Morgen den Leichnam seines Geliebten zum Nil brachte, ging Wael mit ihm ins Wasser – und er kehrte nie wieder zurück.

 

 

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1. Kapitel

 

Der Raum war staubig, die Regale standen leer. An der Decke kämpfte eine inzwischen im Handel verbotene Glühbirne um ihr Überleben. Wo der Vorbesitzer die wohl noch ausgegraben hatte? Immerhin brachte sie ausreichend Helligkeit in das Ladenlokal, denn der Frühling wollte nicht so richtig in Fahrt kommen, und so blieb der Tag in tristes Grau gehüllt.

»Ist mein zukünftiges Geschäft nicht wundervoll?«, fragte David und drehte sich mit ausgestreckten Armen langsam im Kreis, um den ganzen Raum mit dieser Geste zu umfassen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals – vor Freude, aber auch vor Nervosität, was sein Lebensgefährte Linus zu alldem sagen würde.

»Es ist äh ...« Linus versuchte offensichtlich eine diplomatische Antwort zu finden. »Es ist eine Katastrophe«, stieß er dann hervor. Diplomatie war noch nie seine Stärke gewesen.

»Es ist ein Juwel«, wies David ihn mit einem milden Lächeln zurecht. Linus seufzte und sah seinem Freund in die strahlenden, grünen Augen.

»Sei doch bitte nur einmal ehrlich zu dir selbst. Vor allem, wenn es um so etwas Wichtiges geht. Du kommst mir vor, als würdest du planen, den Buckingham Palast zu mieten. Aber das hier ist nur ein ziemlich fürchterliches Ladenlokal, das seit Jahren leer steht, weil niemand in dieser Gegend ein Geschäft eröffnen will.«

»Doch. Ich. Ich will ein Geschäft eröffnen!«

Linus ließ sich auf einen Hocker mit zerfetztem Sitzpolster sinken, den der Vorbesitzer offenbar nicht entsorgt hatte. »Ich kann einfach nicht fassen, dass du den Mietvertrag schon unterschrieben hast, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen.«

David verschränkte die Arme vor der Brust, seine halblangen, blonden Haare fielen ihm vor die Augen. Er spürte Groll in sich aufsteigen. Linus hatte treffsicher den wunden Punkt angesprochen – den, den er hätte meiden sollen. Ein Grund mehr, ihm jegliche Fähigkeit zur Diplomatie abzusprechen. David tat es nicht gerne, aber es wurde Zeit, seinem Freund mal ein paar klare Worte um die Ohren zu hauen.

»Das Geld, das ich in die Einrichtung und die Miete des Ladens stecke, ist ja schließlich mein Erbe, nicht deines. Wenn deine Eltern mal sterben, werde ich dir auch nicht reinreden, was du mit dem Geld machst. Aber wie du weißt, ist mein Vater schon lange tot, und das Erbe meiner Mutter kann ich so anlegen, wie ich es möchte. Und ich möchte nun mal diesen Laden eröffnen.«

»Einen Laden eröffnen … Ob du es hören willst oder nicht, ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Für eine Kleinstadt gibt es hier wirklich schon genug Boutiquen.«

»Boutiquen?« David war sprachlos. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Dennoch wurde seine Stimme ein wenig schrill, als er schließlich hervorstieß: »Du denkst, ich will eine Boutique eröffnen? Wie kommst du denn auf so was?«

Linus hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Na, weil du doch so auf Klamotten stehst. Und du hast auch wirklich einen guten Geschmack, das muss ich dir lassen. Aber deshalb gleich eine Boutique zu eröffnen, wo hier doch im Grunde jeder nur in Jeans und T-Shirt oder Pullover herumrennt ...«

»Verdammt nochmal, ich will keine Boutique eröffnen! Danke für das Kompliment, was meinen Kleidungsstil angeht, aber du solltest dir manchmal vielleicht doch etwas mehr Gedanken machen, bevor du sprichst. Aber Schwamm drüber. Ich gebe dir einen Tipp: Denk mal nach, was mein größtes Hobby ist! Dann kommst du bestimmt drauf, welches Geschäft ich eröffnen will.«

»Dein größtes Hobby? Ich dachte, das bin ich.« Linus lächelte verführerisch, musste jedoch husten als er den in der Luft herumwirbelnden Staub einatmete, was den sexy Effekt zunichtemachte. David wartete geduldig.

»Dein größtes Hobby … Moment mal«, sagte Linus und kratzte sich an der Stirn. »Du meinst doch nicht etwa … Oh, nein, David, sag mir, dass du hier keinen Horrorfilm-Verleih aufmachen willst!« Er sah seinen Freund flehentlich an. David zuckte mit den Schultern.

»Nein, will ich nicht. Also, keinen DVD-Verleih oder so. Aber einen Horrorladen, der außerdem noch mystische Sachen zu bieten hat, werde ich hier eröffnen.«

Linus fasste sich an den Kopf. Sein braunes, kurzes Haar lag so perfekt wie immer, aber seine Stirn wies nun tiefe Falten auf.

»Du machst Scherze. Das hoffe ich zumindest!«

David schüttelte nur stumm den Kopf. Nun lachte Linus leicht hysterisch. »Der kleine schwule Horrorladen, oder wie? Ich glaube wirklich, du hast zu viele Horrorfilme gesehen. Oder in diesem Fall eher Horrorkomödien. Willst du dir auch eine fleischfressende Pflanze zulegen? Eine, die nur Tucken frisst?«

»Sehr lustig, Linus …«, grollte David. »Es wäre mir lieb, wenn du jetzt langsam mal anfangen würdest, meinen Plan ernst zu nehmen. Ich habe nämlich schon alles Mögliche bestellt, das in den nächsten Tagen geliefert wird. Vor allem natürlich die Einrichtung. Hier müssen jede Menge neuer Sachen her. Eine gebrauchte Computerkasse habe ich auch erstanden. Und außerdem habe ich in den nächsten Tagen einige Termine mit ein paar sehr interessanten und vielversprechenden Kontakten.«

Linus starrte seinen Freund an. Es war deutlich, dass er das alles zunächst verarbeiten musste. »Interessante, vielversprechende Kontakte … Und wo hast du die gefunden? Auf GayRomeo?«

»Heißt es jetzt nicht PlanetRomeo?«

»Für mich wird es immer GayRomeo heißen. Also, hast du die Kontakte von dort?«

»Was soll denn die bescheuerte Frage? Du weißt doch, dass ich dort nicht mehr online war, seit wir zusammen sind. Ganz im Gegensatz zu dir – also schließe nicht von dir auf mich, verdammt nochmal!«

Sie schwiegen beide eine ganze Weile, denn das Thema hatte sie schon mehr als einmal zum Streiten gebracht, weil David Linus zu Anfang ihrer Beziehung mit etwas zu viel Nachdruck gebeten hatte, seinen Account auf der schwulen Dating-Plattform zu löschen. Der hatte sich jedoch strikt geweigert, aber immerhin seine wichtigsten Daten herausgenommen – was hieß, dass niemand mehr auf Anhieb sehen konnte, welche Größe sein Schwanz hatte und welche Sexpraktiken er bevorzugte. Aber David wusste, dass Linus sich dort immer noch einloggte, um seine Chancen abzuchecken. Er brauchte das wohl für sein Ego, und David war es leid, ihn noch einmal um die Löschung des Accounts zu bitten.

Wenn er ehrlich war, hatte er seinen ja selbst nicht gelöscht, sondern ließ ihn dort verwaisen, während ihn vermutlich täglich hunderte von notgeilen Kerlen anschrieben, die nur danach lechzten, ihm einen blasen zu dürfen. Vielleicht schrieb ihn auch niemand an – es war ihm einfach egal.

Dass Linus ihm jetzt aber unterstellte, er würde dort immer noch Kontakte knüpfen, war fast noch schlimmer als dessen Herablassung, was den Laden anging.

»Ich habe die Kontakte übers Internet geknüpft. Aber nicht über GR, oder PR, falls es die Abkürzung inzwischen auch gibt, sondern über eine okkulte Webseite.«

»Na, das beruhigt mich jetzt aber … Ganz ehrlich, David, manchmal wäre es mir lieber, du würdest dich mit einem anderen Kerl zum Ficken treffen, statt deine Gedanken mit all diesem düsteren Zeug vollzustopfen.«

»Nur, weil du es nicht verstehst.«

»Was gibt es da zu verstehen? Eiserne Jungfrauen, Kristallkugeln, Amulette und verbotene Bücher über schwarze Magie? Du stehst auf so einen Scheiß, David!«

»Und auf was stehst du? Willst du, dass ich dir einen Freibrief gebe, dich mit anderen Typen zu vergnügen?«

Linus atmete tief durch. »Nein, diesen Freibrief will ich nicht. Mehr als ein Chat ab und an läuft nicht, das schwöre ich dir! Aber das hat mit deinem Plan ja wohl auch nicht das Geringste zu tun. Ich möchte gerne verstehen, warum es ein Laden sein muss … Und vor allem, warum ausgerechnet ein Horrorladen?«

David blickte sich noch einmal im Raum um, dann wies er auf die Tür.

»Okay, ich erkläre es dir. Aber erst zuhause, nachdem wir etwas gegessen haben. Ich verhungere nämlich jeden Moment.«

 

*

 

Linus goss Apfelsaft in ihre Gläser, während David ihnen Lasagne auf die Teller legte.

»Also, dann erzähl mal, wie du auf die Idee mit dem Horrorladen gekommen bist«, forderte Linus, als sie sich gegenübersaßen. David griff zu Messer und Gabel. Er nahm erst mal einen Bissen und kaute in Ruhe, bevor er zu sprechen begann. 

»Wie du weißt, überlege ich mir schon seit ein paar Monaten, wie es beruflich bei mir weitergehen soll. Ich habe inzwischen so viele Dinge ausprobiert, aber so richtig glücklich war ich doch nie.«

»Wer ist schon glücklich in seinem Job?«, fragte Linus.

»Na du, dachte ich!«

»Ich sitze den ganzen Tag am Schreibtisch und bearbeite Anträge.«

»Du sagst doch selbst immer, dass du froh bist, nicht bei Wind und Wetter in der Gegend rumrennen zu müssen. Und dass du keine Lust auf Laufkundschaft hast. Außerdem hast du mit deinen Kollegen echt Glück, weil die meisten doch ganz gut drauf sind. Immerhin geht ihr sogar regelmäßig zusammen einen trinken.« Das war der beinahe schon legendäre Freitag zu Monatsbeginn, an dem Linus immer erst spät in der Nacht nach Hause kam. David fand das okay, und er war sogar mal mitgegangen, aber da es nicht seine Kollegen waren, fand er es unpassend und hatte in Zukunft darauf verzichtet mit von der Partie zu sein.

»Stimmt schon. Im Grunde bin ich echt glücklich mit meiner Arbeit.«

»Na also. Aber ich brauche auch mal irgendwas, das mir wirklich Spaß macht. Und die Erbschaft ermöglicht mir, die Sache mit dem Horrorladen auszuprobieren. Ich glaube, es gibt genügend Kunden, wenn ich die Werbung nicht nur auf den näheren Umkreis fokussiere. Über das Internet kann ich viele Interessenten finden, die bereit sind, jede Menge Kohle für Dinge auszugeben, die nur schwer zu finden sind. Klar, ich werde meinen Laden auch mit Sachen vollstopfen, die man allgemein in einem Horrorladen erwartet. Aber das ist nicht das, was mich daran so fasziniert. Ich möchte zugleich eine Art Antiquitätenhändler für okkulte Gegenstände sein. Und die werden hier durchaus nicht einfach so in den Regalen stehen. Also, ich bin nicht nur darauf angewiesen, dass Leute in den Laden kommen und etwas aussuchen. Um es mal so zu sagen: Mein Geschäft wird sich von einer Boutique oder einem Geschenke-Laden sehr unterscheiden.«

»Okay, das begreife ich. Ist wohl auch besser so, denn ich habe nicht den Eindruck, dass jemand hier durch die Straßen rennt und nach dem Einkauf bei Aldi denkt: Hey, ich habe ja noch gar keinen Holzpflock mit roter Farbe dran gekauft, bei dem auf dem Schildchen steht, dass damit irgendwo in Transsylvanien einem von Draculas Erben der Garaus gemacht wurde.«

David verdrehte die Augen. Wie hatte er auch erwarten können, dass Linus der Sache endlich den Wert beimaß, den er dem Thema selbst in seinem Leben einräumte? Es hatte angefangen, als er noch recht jung war. In der Bücherei war er auf einen Bildband über okkulte Gegenstände und geheime Riten gestoßen.

Damals war er darin gedanklich völlig versunken. Die Bibliothekarin – eine alte Frau, die in Davids Augen größeren Wert auf ihre eigene Zensur legte, als auf das literarische Interesse ihrer Bücherei-Besucher – hatte ihm das Ausleihen des Buches verweigert. Er sei noch zu jung, um so etwas richtig einschätzen zu können, hatte sie behauptet. Vermutlich meinte sie damit, er müsse erst älter werden, um es als Humbug zu erkennen. Aber sie hatte falsch gelegen – wie so viele Unwissende. David wusste schon damals, dass er selbst bereit war, Dinge zu akzeptieren, die von anderen geleugnet wurden. Ja, der Großteil der Menschen würde niemals lernen, übernatürliche Kräfte zu erkennen und zu akzeptieren. Deren Macht bereitete ihnen Angst. Und ganz sicher war es auch bei Linus so. David verzieh ihm. Vermutlich war es nicht leicht, mit einem Menschen zusammen zu sein, der das Böse akzeptierte. Vor allem nicht für jemanden, der eigentlich immer nur Schönes sehen und erleben wollte, wie Linus. Alles, was neu war, verunsicherte ihn: So wie Davids Pläne, was den Laden betraf. Aber dieser wusste, wie er seinen Freund zumindest teilweise beruhigen konnte. Und so schenkte er ihm für den Rest des Tages all die Zärtlichkeiten und sexuellen Höhepunkte, die Linus ebenso zu brauchen schien, wie David seine düsteren Momente.

2. Kapitel

 

»Stellen Sie es einfach dort ab. Ich kümmere mich später darum.« David unterschrieb für die Lieferung und fuhr sich dann mit der Hand durchs Haar. Er war gerade erst damit fertig geworden, die Möbel für den Kassenbereich zusammenzubauen, da kamen bereits neue Aufsteller und die Regale für das Büro. Die Kasse, der Computer und das EC-Cash-Gerät mussten auch noch angeschlossen werden. Aber er hatte ja noch Zeit. Die Eröffnung würde erst in drei Tagen stattfinden. Dennoch lugten bereits jetzt Neugierige zu den beiden großen Schaufenstern herein, die David auch noch dringend würde putzen müssen. Natürlich fragten sich die Kleinstadtbewohner, welches neue Geschäft ihnen demnächst zur Verfügung stehen würde. David verstand das. Aber er befürchtete auch, dass viele enttäuscht sein würden, wenn sie herausfanden, was er anbot. Bislang hatte er darauf verzichtet, kundzutun, dass er die wirklich überschaubare Stadt mit einem Horrorladen bereichern würde. Nur die wenigsten würden es wohl auch wirklich

als Bereicherung verstehen. David war es egal. Hier ging es weder um die Erfüllung von Linus' Träumen noch um die irgendwelcher Leute, die lieber einen Optiker oder einen asiatischen Supermarkt um die Ecke erreichen wollten. Es ging einzig und allein um seine eigenen Träume. Und einer davon würde sich noch heute erfüllen. David blickte aufs Handy. Keine Absage bisher. Das hieß, er würde gleich losfahren und Ben treffen. Den Nachnamen wusste er nicht, und er war sich nicht mal sicher, ob der Vorname richtig war, aber das war auch egal, denn Ben bot ihm ein paar Stücke an, deren Herkunft überaus interessant war. Sie waren alt – sehr alt. Dennoch fand man sie in keinem der üblichen Geschichtsbücher. Sehr wohl aber im »Almanach der mystischen Gegenstände und Begebenheiten«. Die Stücke, die darin aufgeführt waren – aber vor allem die Geschichten dazu – ließen einem das Blut in den Adern gefrieren. Und Ben bot David gleich drei Stücke an, die laut dem Almanach als unauffindbar galten. David wusste noch nicht, wie er ihre Echtheit prüfen sollte, aber er wusste, dass er ein gutes Bauchgefühl hatte, und wenn ihn jemand übers Ohr hauen wollte, dann spürte er das.

 

*  

 

»Wie ich es mir schon bei unserem Kontakt im Internet dachte – Sie sind ein Seelenverwandter. Das ist wichtig, denn nur Menschen, mit denen mich eine Art von Gemeinschaftsgeist verbindet, biete ich meine Errungenschaften an.«

Der Mann, der David gegenübersaß, war jünger als er gedacht hätte – kaum älter als er selbst. Aus irgendeinem Grund hatte er geglaubt, jemand, der mit alten Gegenständen handelt, müsste recht betagt sein. In Wahrheit war Ben ein ziemlich attraktiver Mittdreißiger, der ein sehr einnehmendes Lächeln hatte. Vermutlich ging es ihm wie David selbst: Die meisten waren überrascht, wenn sie von seiner Begeisterung für das Düstere hörten. Auf gewisse Weise fühlte David sich ihm daher ganz besonders verbunden. Sie einigten sich rasch darauf, einander zu duzen. Ben kam umgehend auf den geschäftlichen Teil ihres Gesprächs zurück.  

»Damit wir uns richtig verstehen: Ich biete dir Dinge an, die man sonst nirgendwo bekommt.  Im Gegenzug möchte ich, dass du niemals nachfragst, woher ich sie habe. Überhaupt mag ich Fragen nicht besonders. Jeder meiner Kunden hat höchstens drei, bevor ich den Kontakt abbreche. Bei bestimmten Fragen tue ich das jedoch umgehend.«

»Gehört die Frage, wie es dir geht, dazu?«

»Mir geht es immer großartig. Das muss man mich also nicht fragen.« Ben grinste. David grinste zurück.

»Okay, ich stelle keine Fragen. Dann gehe ich aber davon aus, dass du mir alles von selbst mitteilst, was ich wissen muss. Zum Beispiel zum Thema Bezahlung, Übergabeort und so weiter.«

»Ja, davon kannst du ausgehen. Ich sehe schon, wir werden gute Geschäftsbeziehungen haben.«

»Das denke ich auch.«

Sie hatten sich in einer Bahnhofskneipe getroffen und saßen an einem Tisch in der Ecke. Ben hatte einen Koffer dabei, und David rechnete eigentlich damit, die Ware sofort zu bekommen, nachdem er sein Geld in einer Zeitung auf den Tisch gelegt hatte. Als Ben die Zeitung einsteckte, sagte er jedoch: »Der Koffer ist nur Tarnung. Da ist nichts drin. Aber im Schließfach.« Er schob ihm einen Schlüssel zu. »Gut, das war es dann fürs Erste. Nur eins noch ...«

Er sah David so lange tief in die Augen, dass dem die Knie ganz weich wurden.

»Bist du schwul?«

David war über die Frage normalerweise nicht allzu überrascht, weil er schon oft gesagt bekommen hatte, man würde es ihm anmerken. Diesmal war er jedoch verwundert, weil er nicht geglaubt hatte, für seine Geschäfte mit Ben würde das irgendeine Rolle spielen. Irgendwie ärgerte er sich darüber, dass es offenbar anders war. »Äh … für dich gilt das mit den Fragen aber auch!«, stellte er klar. Ben machte eine anerkennende Geste. »Okay, der Punkt geht an dich. Im Grunde ist es mir auch ziemlich egal, denn ich bin es nicht!«

Obwohl er sich dagegen wehrte, verspürte David ein tiefes Bedauern.

»Ich habe nur gefragt, weil es für meine Auswahl, was ich dir anbiete, interessant sein könnte.«

»Ich glaube nicht, dass das einen Unterschied macht«, sagte David. Er hoffte, dass Ben die Enttäuschung nicht aus seiner Stimme heraushörte und gab sich deshalb besonders viel Mühe, ärgerlich zu klingen.

»Dann stimmt es also. Okay … Und ich wette, es macht einen Unterschied! Ansonsten – wie gesagt – ist es mir egal auf welcher Seite des Ufers du dich rumtreibst. So, ich gehe dann mal. Du zahlst für die Getränke. Das nächste Mal übernehme ich das. Bis dann, und pass auf dich auf!« Damit stand Ben auf, nahm den Koffer und verließ die Kneipe so schnell, dass David keine Möglichkeit hatte ihm zu folgen, ohne dabei die Zeche zu prellen.

 

*  

 

David stand im zukünftigen Büro seines Ladens und hatte die Tür geschlossen. Es war der einzige Ort, der von der Straße aus nicht einsehbar war. Mit einem Gefühl als wäre Weihnachten, öffnete er das Paket, das er im Schließfach am Bahnhof vorgefunden hatte. Im Grunde war der Inhalt ja nicht mal illegal, aber er war auch alles andere als üblich. David fühlte sich fast wie ein Geheimagent, der eine äußerst wichtige Operation durchführte und das dafür notwendige Equipment sichtete. Als er die Klebestreifen und das Packpapier entfernte, schlug sein Herz immer schneller. Er entnahm dem Paket zwei kleinere Verpackungen und einen Umschlag. David öffnete die erste Verpackung. Zum Vorschein kam ein Amulett mit einem Cauac-Siegel – dem blauen Sturm, der für Beschleunigung, Selbstverwirklichung und Energie stand. Für einen Esoterikladen wäre der Anhänger mit dem Maya-Symbol genau das Richtige, aber David wusste nicht, ob auch er einen Käufer dafür finden würde. Außer dem Amulett befand sich noch ein kleiner, schwarzer Samtbeutel in der Verpackung. David öffnete auch ihn. Ein weiteres Amulett befand sich darin, es trug die Reste eines silbernen Skorpions und stark beschädigte Schriftzeichen, die David nicht entziffern konnte. Vielleicht würde er im Almanach mehr über die Hintergründe dieser Gegenstände erfahren, die sie für ihn doch noch lohnend machten. Ben schien immerhin überzeugt davon zu sein, dass sie in seinen Interessenbereich fielen. David machte sich über die weiteren Gegenstände her. Im zweiten Paket fand er ein altes Buch über Chaosmagie. Ob er es zu Recherchezwecken nutzen würde, oder weiterverkaufen, wusste David noch nicht. Aus dem Umschlag zog er ein altes Foto, auf dem eine übernatürliche Erscheinung zu erkennen war. Es war eine Frau, durchscheinend und von hagerer Gestalt, als hätte sie lange Hunger leiden müssen. Sie befand sich im Hintergrund eines historischen Familienbildes, direkt neben einem alten Mann, der Kleidung des frühen 20. Jahrhunderts trug. Auch die beiden Mädchen neben ihm trugen Kleider, die zu dieser Zeit üblich waren. Vermutlich war der Mann ein Großvater, der seine Enkeltöchter im Arm hielt, er lächelte gütig und strahlte Stolz aus. Es war das Inbild einer Familienidylle, die jedoch durch die Gestalt im Hintergrund brachial zerstört wurde. Denn wenn man genau hinsah, erkannte man einen Strick um den Hals der jungen Frau. David nahm die Lupe, die neben ihm auf dem Tisch lag, und schaute sich den Hals der Frau in Vergrößerung an. Da waren sogar die Druckstellen des Seils zu erkennen, das sie zu Tode stranguliert hatte! David legte die Lupe wieder fort und blickte nochmals in den Umschlag. Ein Brief, der offenbar auf einer alten Schreibmaschine getippt worden war, lag dem Kuvert ebenfalls bei. David schlug ihn auf und begann zu lesen:

 

Aufnahme vom 08. Mai 1908, Richter Chesterfield mit seinen Enkelinnen Rosalie und Celia. Am 09. Mai 1908 verschwanden die drei abgelichteten Personen spurlos. Ihre Leichen wurden etwa einen Monat später in einem Brunnenschacht in der Nachbarschaft aufgefunden. Als Todesursache stellte der Leichenbeschauer Verhungern fest. Wie die drei Personen in den Schacht geraten sind, blieb ungeklärt. Das Foto deutet jedoch darauf hin, dass sie von der gehängten Frau – die hier als Geist zu sehen ist – verflucht wurden. Recherchen ergaben keinen eindeutigen Sachverhalt, legen jedoch den Verdacht nahe, dass Madeline Yorkshire – die Gehängte – die Geliebte des Richters war. Nachdem er sie geschwängert hatte, hielt er es wohl für besser, sich ihrer zu entledigen, bevor seine Frau Wind von der Sache bekam. Er ließ sie festnehmen und hinrichten, als sie halb verhungert war.

Das Foto hat sämtliche Tests hinsichtlich einer eventuellen fototechnischen Manipulation bestanden – somit dürfte die Echtheit einer Geisterfotografie hinreichend bewiesen sein.

Entdeckung des Fotos und weiteres, siehe »Almanach der mystischen Gegenstände und Begebenheiten«.

Gezeichnet: Joshua T. Jamerson.

   

Joshua T. Jamerson, der Name war David nicht unbekannt. Es musste sich um Aufzeichnungen handeln, die er nach der Prüfung des Bildes für seine Unterlagen notiert hatte. Leider war der Fachmann für paranormale Vorgänge bereits seit gut vierzig Jahren verstorben. David wusste nicht, ob die Geschichte mit dem Foto stimmte, aber wenn Jamerson dazu Nachforschungen angestellt hatte, war es sehr wahrscheinlich, dass seine Erkenntnisse daraus resultierten, dass er das Foto nach dem Wissen der damaligen Zeit überprüft, und es den Tests standgehalten hatte. Außerdem war die Frau auf dem Foto ganz sicher keine einfache Fotomontage, denn dafür war das Bild zu alt. Natürlich konnte man heutzutage auch alte Bilder verändern, aber der Almanach selbst, in dem das Foto bereits erwähnt wurde, bevor Jamerson es untersucht hatte, war schon vor rund hundert Jahren erschienen – und damals hätte man Photoshop und Co vielleicht sogar noch für Teufelswerk gehalten. David atmete erleichtert durch, seine Investition hatte sich gelohnt. Diese Gegenstände waren ihren Preis mehr als wert. Ob er sie wirklich verkaufen konnte, wusste David noch nicht, aber er fühlte sich in seinen Plänen bestärkt, nun, da er so seltene Dinge besaß, die noch alle möglichen Geheimnisse in sich bergen konnten. Er stand am Anfang einer ganz besonderen Reise – und sie versprach wirklich aufregend zu werden!

 

 

3. Kapitel

 

»Kein Mensch. Niemand kommt in deinen Laden. Echt mal, David, das hättest du dir auch selbst denken können. Wer will denn auch schon solchen Krempel, außer vielleicht für Halloween?«

Linus deutete auf die Einmachgläser mit den originalgetreu aus Kunststoff nachgebildeten Gehirnen und Herzen. Dann nahm er eines der Skelette, die an einer Stange hingen, bei der knochigen Hand und schüttelte sie, während er mit begeisterter Stimme ausrief: »Oh, da haben wir ja unseren ersten Kunden! Ich muss sagen, Sie haben einen ganz vortrefflichen Geschmack, mein Lieber! Darf ich Ihnen vielleicht ein paar blutunterlaufene Kontaktlinsen anbieten? Ihre Augenhöhlen erscheinen mir allerdings ein wenig, nun ja, zu leer für Kontaktlinsen. Dann finden wir sicher etwas anderes, das besser für Sie infrage kommt. Wie wäre es also mit so einem formidablen Gehirn?« Linus nahm zwei Gläser aus dem Regal und schüttelte sie. »Okay, zugegeben, die sehen alle gleich aus. Bis auf … das hier. Das sieht ganz anders aus.« Er legte die Stirn in Falten und hielt ein Glas hoch, das er aus dem Regal genommen hatte. Die Masse darin bewegte sich träge. »Scheiße, was ist das?«, wandte Linus sich mit angeekelter Miene an David. Der atmete tief durch. »Stell es bitte erst mal wieder hin!« Linus kam der Aufforderung nach. »Das ist doch nicht echt, oder?«, fragte er mit einem nervösen Lächeln.

»Doch, ist es. Es stammt von einem Serienkiller aus den USA. Und eigentlich sollte es gar nicht hier im Laden stehen, sondern hinten im Büro.« David suchte etwas in der Schublade unter der Ladentheke.

»Ah, da ist er ja.« Er holte einen Schlüssel hervor und hob das Glas vorsichtig hoch. Dann ging er an Linus vorbei ins Büro, zu dem Schrank, der dort stand. Nachdem er das Glas darin untergebracht hatte, schloss er die Schranktür wieder ab. Linus war David gefolgt und sah ihn immer noch entgeistert an. Sein Gesicht verzog sich ansatzweise zu einem Lächeln, aber es wirkte dabei sehr verkrampft. 

»Du hast nur einen Scherz gemacht, gib's zu!«

»Nein, habe ich nicht.«

Nun entgleisten Linus' Gesichtszüge völlig. »Aber, wo hast du so was denn her? Und sag mir nicht, du hättest es bei Ebay ersteigert!«

»Natürlich nicht. Ich sagte dir doch, dass ich interessante Kontakte habe.« David versuchte Linus' total entsetzten Blick zu ignorieren. Das war mal wieder typisch für seinen Freund, dass er über alles, was ihm wichtig war, nur Scherze machte, und ihm nicht mal richtig zugehört hatte. Und jetzt fiel er natürlich aus allen Wolken.

»Ist so etwas denn erlaubt?«

Gerade als David ihm antworten wollte, ging die Ladentür auf. Ein Mann Anfang zwanzig betrat das Geschäft, grüßte kurz und schaute sich dann in aller Ruhe um. Linus blickte David wieder fragend an, doch der sah sich nicht länger genötigt, auf dessen Frage zu antworten. Er war wütend auf Linus, der ihm anscheinend alles vermiesen wollte. Erneut wurde die Tür geöffnet, und nun betraten drei Jugendliche den Laden. Sie alle trugen Käppis und Dreitagebärte.

»Wow, wow, wow, guck dir das mal an, Dennis! Wie geil! Das schenken wir Tobi, okay?« Einer der drei hatte ein H.R. Giger Tarotkarten-Set vom Verkaufstisch genommen und zeigte es seinem Kumpel. »Ja, das ist echt super! Na, das ging schnell. Hätte nicht gedacht, dass wir für ihn auf Anhieb ein Geburtstagsgeschenk finden«, erwiderte der Angesprochene. Dann sah er zu dem Dritten im Bunde, der zustimmend nickte. »Ja, coole Sache. Aber ich will mich noch ein bisschen umsehen. Die haben ja echt abgedrehtes Zeug hier.«

David spürte, wie gut ihm diese Worte taten. Das war besser als jedes geheuchelte Interesse eines Bekannten oder Freundes … Echte Kunden, die seine Sachen mochten! Die Leute hatten zwar nicht Schlange gestanden als er den Laden eröffnet hatte, aber die Hauptsache war doch, dass sie jetzt kamen und etwas kauften. David hoffte, dass das Internetgeschäft ebenfalls gut anlaufen würde – denn er rechnete gerade über diesen Verkaufskanal mit den höchsten Umsätzen. Im Gegensatz zu den Artikeln im Laden waren die Dinge, die er dort auf speziellen Seiten für okkulte Gegenstände anbot, um einiges teurer. Ob es Interessenten gab, die bereit waren, so viel Geld zu investieren, würde sich allerdings erst noch zeigen müssen.

Die Jugendlichen hatten jetzt ihr Augenmerk auf ein Athame gerichtet. »Mit dem kannst du dein Steak schneiden«, alberte der, der das Tarot-Set kaufen wollte.

»Dieser Ritualdolch wird in Zeremonien lediglich zum Lenken von Energien genutzt. Er ist zweischneidig, damit man nicht vergisst, dass jede Handlung sich auch gegen einen selbst richten kann. Wenn ihr etwas zum Schneiden von Fleisch sucht, geht ihr besser in ein Haushaltswarengeschäft«, sagte David. Nicht nur die drei Jugendlichen sahen ihn überrascht an, sondern auch der Kunde, der zuerst den Laden betreten hatte; er beäugte David mit einigem Interesse. Am heftigsten war jedoch die Reaktion von Linus. Zwar sprach er leise, aber er klang überrascht und auch ein wenig schockiert.

»Woher weißt du solche Sachen eigentlich? Kommt das nur von deinem Horrorfilm-Konsum?«

»Nein, das hat mit Horrorfilmen nichts zu tun. Ich lese auch Bücher zu mystischen Themen – und das schon seit einiger Zeit. Schön, dass das offenbar immer an dir vorbeigegangen ist.«

»Aber du bist plötzlich ein halber Esoteriker! Entschuldige, aber das habe ich wirklich nie mitbekommen. Ich erkenne dich gar nicht mehr wieder.«

»Vielleicht hast du mich eben nie wirklich gekannt«, sagte David. Seine Stimme klang so verbittert, wie er sich fühlte.

»Ja, vielleicht nicht. Du lässt momentan ja keine Gelegenheit aus, mich das spüren zu lassen. Ich denke es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Bis später.«

David hielt Linus nicht auf. Er wusste nicht mal, ob es ihm lieber wäre, wenn sein Freund blieb. Tatsächlich schien die Eröffnung seines Ladens noch etwas ganz anderes bewirkt zu haben – es hatte ihm die Augen geöffnet, dass sie möglicherweise ein zu ungleiches Paar waren, um zusammen zu bleiben. Die Tür hatte sich gerade hinter Linus geschlossen, da kamen die Jugendlichen zur Kasse. Sie kauften das Tarot-Set, das Athame und ein Ouija Brett. Insgesamt gaben sie einen stattlichen Betrag aus, der David erneut in seinem Bestreben stärkte, diese Sache durchzuziehen – ob mit oder ohne Linus' Segen. Nachdem die Jugendlichen den Laden verlassen hatten, kam auch der junge Mann zu David an die Ladentheke. Er hatte jedoch nichts in der Hand, das er kaufen wollte. David witterte seine Chance, vielleicht dem ersten Kunden die eher unüblichen Dinge zu zeigen, die er anzubieten hatte. Die meisten davon hatte er im Büro, in dem gut verschlossenen Schrank untergebracht. Der junge Mann hatte blaue Augen und sehr helle Haut, die ein paar hektische Flecken aufwies. Er wirkte nervös und unschlüssig, doch dann brachte er endlich heraus, was er zu sagen hatte.

»Hey, ich bin Mark. Und, um ehrlich zu sein, bin ich hergekommen, weil ich einen Job suche. Das heißt, ich bin sehr interessiert an mystischen Dingen, Ritualen, und ich stehe total auf paranormales Zeugs. Deshalb kam ich her, als ich hörte, dass hier ein Horrorladen aufmacht. Ich meine, die Grenzen sind ja fließend, und ich verkaufe gerne auch Plastikzeugs, das eigentlich nur kleine Mädchen erschreckt, obwohl Sie auch echt coole Sachen hier haben. Und ich … na ja … scheiße, Mann … Ich brauche den Job, um mein Studium zu finanzieren, und würde mich freuen, wenn ich hier aushelfen dürfte.«

David fühlte sich wie überfahren. Mit so etwas hatte er absolut nicht gerechnet. Vor allem hatte er sich bislang noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ob er eine Aushilfe brauchen könnte. Aber wenn dieser Mark wirklich so viel Interesse an Mystischem und Okkultem hatte, dann war er die perfekte Ergänzung, um ihm ab und an zur Hand zu gehen. Manchmal passierten solche Dinge nun mal – jemand kam vorbei, fasste sich ein Herz und war eine Bereicherung fürs Leben. Im Grunde hatte David genau diese Art von Magie gesucht, die ihm gerade widerfuhr. Er wollte Gleichgesinnte kennenlernen. Dennoch kam das alles sehr überraschend.

»Klar … äh, ich denke drüber nach. Kann ich mir Ihre Telefonnummer notieren? Ich würde Sie dann anrufen, wenn ich mich entschieden habe.«

Ein wenig enttäuscht schien dieser Mark ja zu sein, dass er nicht vom Fleck weg eingestellt wurde, aber er versuchte es zu überspielen. Während er ihm seine Nummer sagte, wurde David klar, wie dringend der junge Mann den Job wohl wirklich brauchte. Er nahm sich vor, ihm so schnell wie möglich Bescheid zu geben. Doch dann fasste Mark sich offensichtlich erneut ein Herz und sagte:

»Also, ich will mich ja nicht anbiedern, aber auf den anderen Typen würde ich an Ihrer Stelle nicht zählen.« Er lächelte, um seinen Worten ein wenig die Schärfe zu nehmen.

»Welcher andere Typ?«, fragte David verwundert. 

»Na, dieser Kerl, der sich im Grunde über all das hier nur lustig macht. Mag ja sein, dass er ein Freund von Ihnen ist, aber ich finde immer, dass man auch Freunden nicht zu viel durchgehen lassen sollte.«

David starrte den jungen Mann nun regelrecht an. Einerseits fand er dessen offene Worte ziemlich unverschämt, andererseits gab er ihm jedoch völlig recht. Und im Grunde seines Herzens wusste er jetzt schon, dass er Mark einstellen wollte, also konnte er ihm ebenso gut sofort reinen Wein einschenken, bevor er es zu einem späteren Zeitpunkt tun müsste, der vielleicht nicht so passend war.

»Dieser andere Typ ist nicht nur irgendein Freund, sondern mein Lebensgefährte.«

Mark biss sich auf die Lippe. Es war offensichtlich, dass er damit nicht gerechnet hatte.

»Echt? Oh … okay. Also äh … Ich bin nicht schwul. Aber ich habe kein Problem, wenn Sie es sind! Wirklich nicht! Und es tut mir leid, wenn ich Ihren Freund beleidigt habe.«

Es war beinahe rührend, wie er aus dem Konzept geraten war, denn vermutlich hatte er sich vorgenommen, so selbstbewusst wie möglich rüberzukommen. David nahm es ihm nicht übel, dass er nun aus der Bahn geworfen war – ganz im Gegenteil! Dieser Mark schien echt okay zu sein.

»Ich bin mir sicher, dass ich Sie für ein paar Stunden in der Woche beschäftigen kann, wenn Ihnen das reicht. Erst mal muss ich sehen, wie der Laden läuft. Wäre das okay?«

»Ja! Ja, klar! Mehr als okay. Das klingt super!«

»Schön. Und wie sieht's aus, wollen wir du sagen? Ich heiße David.«

Sie reichten sich die Hände. »Gerne David. Ich freue mich sehr!«

 

 

»Kaum Ladenbesitzer, schon hast du den Erstbesten eingestellt? Das geht ja wirklich schnell mit den Veränderungen.«

Sie saßen im Wohnzimmer auf der Couch; der Fernseher lief, aber sie hatten den Ton so runtergedreht, dass er nur noch ganz leise zu hören war. David hatte geahnt, dass Linus auf die Neuigkeit mit Mark kaum begeistert reagieren würde, aber langsam wurde die Situation unerträglich. Seit Wochen schon herrschte dicke Luft zwischen ihnen. Und nun, da der Laden endlich eröffnet war, wurde die Lage nicht besser, sondern sogar noch schlimmer. Es wurde Zeit für eine Aussprache, auch wenn David dazu im Grunde absolut keine Lust verspürte.

»Ich hatte gehofft, du freust dich irgendwann auch mal mit mir. Darüber, dass ich meine Träume umgesetzt habe. Es müssen ja nicht deine sein, das erwarte ich nicht, aber dass du mir gönnst, dass ich mich gut fühle, das erwarte ich schon in einer Beziehung!«

So, nun war es raus. Vielleicht hätte er es schon viel eher in Worte fassen sollen. David war sich sicher, dass Linus nun aufbrausen würde. Es wäre so typisch für ihn, doch diesmal tat er es nicht. Und noch während David zu ergründen versuchte, ob dies ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, wurde ihm die Frage zumindest teilweise beantwortet.

»Wir sollten wohl wirklich mal reden, wenn uns unsere Beziehung wichtig ist. Also, mir ist sie das.«

Linus schaltete den Fernseher aus und sah David erwartungsvoll an.

»Ja, ich denke auch, es wird Zeit, dass wir miteinander sprechen. Irgendwie läuft in letzter Zeit alles schief, und ich begreife einfach nicht, woran das liegt. Es kann doch nicht nur damit zu tun haben, dass ich den Laden gemietet habe.«

Linus kratzte sich an der Stirn. Offensichtlich dachte er darüber nach, wie er seine Antwort am besten formulierte.

»Es liegt nicht unbedingt an dem Laden. Aber ich finde, du hast dich ziemlich verändert. Als wir uns kennenlernten, waren die Rollen irgendwie viel besser definiert. Klar, wir waren schon immer unterschiedlich, aber das bedeutete auch, dass wir uns ergänzten. Ich mochte das.«

»Ich mag es auch, wenn wir uns ergänzen. Allerdings finde ich nicht, dass unsere Rollen bislang definiert waren. Ich glaube, dass du das nur gedacht hast.«

»Das verstehe ich nicht«, gab Linus zu.

»Nun, es ist doch so, dass du dich immer als den Realisten gesehen hast, während ich der Träumer war. Du mit deinen Zahlen, festen Arbeitszeiten und geregeltem Einkommen.

---ENDE DER LESEPROBE---