Im Labyrinth des Vertrauens - Daniel Schaup - E-Book

Im Labyrinth des Vertrauens E-Book

Daniel Schaup

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Beschreibung

Das Labyrinth des Vertrauens ist eine fesselnde Erkundung der rätselhaften Welt des Vertrauens, die alltäglich und doch so schwer greifbar ist. In diesem einzigartigen Werk entführt der Autor die Leser auf eine philosophische Expedition, die tief in das Herz des menschlichen Vertrauens vordringt. Vertrauen, oft als Zauberwort bezeichnet, umwebt wie Nebel unsere alltägliche Existenz, verbirgt und verändert Wahrnehmungen. Aber was geschieht, wenn dieser Nebel sich lüftet? Das Buch beleuchtet die düstere Wahrheit, dass dort, wo Vertrauen ist, oft auch der Verrat nicht weit ist. Es durchquert die Geschichte der Philosophie, um zu zeigen, wie Vertrauen und Treue sich im Laufe der Zeit voneinander gelöst und ihre Bedeutungen gewandelt haben. Die Leser begleiten historische und literarische Größen auf ihrer Reise durch dieses Labyrinth. Sie sitzen neben Thomas Hobbes, tauchen in den Naturzustand ein, hören Gretchen aus Goethes Faust in einer hitzigen Debatte mit Immanuel Kant und erleben eine wilde Fahrt auf einer Harley-Davidson durch den Irrgarten der Komplexitätsforschung. Die Leser begeben sich auf eine spannende philosophische Entdeckungsreise, taucht ein in die Welt des Vertrauens und wird überrascht sein, was am Ende des Labyrinthes auf ihn wartet.

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Seitenzahl: 280

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Im Labyrinth des Vertrauens

Eine philosophische Expedition

Das Buch

Das Labyrinth des Vertrauens ist eine fesselnde Erkundung der rätselhaften Welt des Vertrauens, die alltäglich und doch so schwer greifbar ist. In diesem einzigartigen Werk entführt der Autor die Leser auf eine philosophische Expedition, die tief in das Herz des menschlichen Vertrauens vordringt.Vertrauen, oft als Zauberwort bezeichnet, umwebt wie Nebel unsere alltägliche Existenz, verbirgt und verändert Wahrnehmungen. Aber was geschieht, wenn dieser Nebel sich lüftet? Das Buch beleuchtet die düstere Wahrheit, dass dort, wo Vertrauen ist, oft auch der Verrat nicht weit ist. Es durchquert die Geschichte der Philosophie, um zu zeigen, wie Vertrauen und Treue sich im Laufe der Zeit voneinander gelöst und ihre Bedeutungen gewandelt haben. Die Leser begleiten historische und literarische Größen auf ihrer Reise durch dieses Labyrinth. Sie sitzen neben Thomas Hobbes, tauchen in den Naturzustand ein, hören Gretchen aus Goethes Faust in einer hitzigen Debatte mit Immanuel Kant und erleben eine wilde Fahrt auf einer Harley-Davidson durch den Irrgarten der Komplexitätsforschung. Der Leser begibt sich auf eine spannende philosophische Entdeckungsreise, taucht ein in die Welt des Vertrauens und wird überrascht sein, was am Ende des Labyrinthes auf ihn wartet.

Das Buch ist im Jahre 2014 unter dem Titel Im Nebel des Vertrauens erschienen und wird hier unverändert neu aufgelegt.

Der Autor

Daniel Schaup lebt an der schönen Elbe in Magdeburg.

Daniel Schaup

Im Labyrinth des Vertrauens

Eine philosophische Expedition

© 2024 Daniel Schaup

2. Aufl.

ISBN Softcover: 978-3-384-12735-8

ISBN E-Book: 978-3-384-12736-5

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Titelblatt

Urheberrechte

Von Müttern und Nebelmaschinen

Verraten und Vertraut

Äpfel und Spinnen

Zurück zur Natur oder vom Kosakenzipfel

Aristoteles und die Stromversorgung

Zwischen zwei Seiten der Medaille gefangen

Die Erde wankt, der Glaube fällt

Sind wir nicht alle ein bisschen Gretchen?

Die blinden Versicherungen und Russells Huhn

Weltuntergänge sind wie Sonnenuntergänge

Bruchstücke in einer komplexen und kontingenten Welt

Schleier der Schwermut und Harley-Davidson

Telepathie ist was für Schwachsinnige

Zurückspulen

Kuschliges Chaos

Abtauchen in der Definition

Kommen wir also zum Punkt

Unser Plan im Chaos

Allein in der komplexen Welt

Von robusten Lösungen

Höhenangst beim Opernbesuch

Vergangenheitsjunkies

Zur Entscheidung verdammt

Der General und der Autist

Vertrauen in einer modernen Gesellschaft

Sinnloses Vertrauen

Beschlagene Scheiben

Seid bereit! Immer bereit?

Versuch, dem Misstrauen Fesseln anzulegen

Was wir wollen sollen

Frierende Stachelschweine

Coachingkrüppel

Absurdes Theater und Schönheitsoperationen

Wir sind auch nur Waschmaschinen

Treulose Egoisten

Herz der Finsternis

Mit Second Hand kein Vertrauen

Bildschirmflimmern oder Urteilsrauschen

Mitleid und schon wieder Aristoteles

Selbsttranszendenz

Im Labyrinth des Vertrauens

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Von Müttern und Nebelmaschinen

Selbsttranszendenz

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Von Müttern und Nebelmaschinen

Haben wir das Glück, in einem Theater eine der seltenen Aufführungen des Faust II zu erleben, wabert spätestens beim Abstieg Fausts in die Welt der Mütter Nebel über die Bühne: Faust und Mephisto hatten den Kaiser zuvor mit einem „Flammengaukelspiel“ entzückt, jetzt aber will er Helena und Paris vor sich sehn, „das Musterbild der Männer so der Frauen / In deutlichen Gestalten will er schauen.“ Da hat Mephisto ein Problem, denn das Heidenvolk der Griechen geht ihn nichts an: „Es haust in seiner eignen Hölle; / Doch gibt’s ein Mittel.“ Aber: „Ungern entdeck’ ich höheres Geheimnis. / Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit, / Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit; / Von ihnen sprechen ist Verlegenheit. / Die Mütter sind es!“

Mütter? Das klingt nicht nur wunderlich! Jeder mag das eine oder andere mit dem Wort assoziieren. Faust jedenfalls ist alarmiert. Aufgeschreckt und irritiert fragt er nach dem Weg zu den Müttern. Aber da ist kein Weg! „Ins Unbetretene, nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene, nicht zu Erbittende.“ Spätestens jetzt beginnen die Nebelmaschinen zu zischen! Mit einem kleinen Schlüssel als Navigationsgerät ausgestattet macht sich Faust auf zu den Müttern: „Dein Wesen strebe nieder; / Versinke stampfend, stampfend steigst du wieder.“ Fausts Füße sind nun von Nebel eingehüllt, er stampft und - versinkt.

Was will Goethe uns mit der Welt der Mütter zu verstehen geben? Das ist nicht nur schwer zu sagen, es bleibt nebulös. Deshalb die Nebelmaschinen! Auf der Bühne wabert Nebel, der sich langsam aber stetig bis zu den ersten Reihen des Zuschauerraums ausbreitet. Die nebulösen Worte verweben sich mit dem Maschinennebel. Die finstere Galerie, in der Mephisto die Geheimnisse der Mütter offenbarte und von wo aus sich Faust hinab zu diesen Nebelgestalten macht, verwandelt sich in einen hell erleuchteten Saal; der Nebel verfliegt und das ungeduldige Publikum des Hofes wartet auf die prunkvolle Geisterszene: den Auftritt von Helena und Paris. Die Geschichte von Faust geht weiter, die Nebelmaschinen sind aus.

Eine Nebelmaschine verdampft Nebelfluid zu Nebel. Das ganze ist nicht billig, aber die Wirkungen sind bei Regisseuren und Publikum beliebt. Am Häufigsten brummen diese Maschinen, wenn wie im zweiten Teil der Fausttragödie mythische, unbegreifliche Elemente einer Szene illustriert werden sollen - der Zuschauer weiß dann: Aha, jetzt wird es undurchsichtig!

Gern werden solche Maschinen auch bei Rock- oder Popkonzerten eingesetzt, um dem Treiben auf der Bühne eine gewisse Undurchschaubarkeit, eine Atmosphäre des Fernen, Verschwommenen zu verleihen. Oder um einen komplizierten Umbau auf der Bühne zu verhüllen! Die mühsam errichtete Illusion soll durch das Wuseln und Werkeln der Bühnentechniker nicht zerstört werden. All das Technische, die vor Schweiß triefende Realität, die hinter der Illusion lauert, sollen wir nicht sehen! Und wir lassen uns gern einnebeln, nicht wahr?

Nebelmaschinen gibt es nicht nur auf dem Theater oder bei Bühnenshows - sie sind unsere täglichen Begleiter! Wir sind Meister im Produzieren von Nebel. Wir wollen uns nicht mit der harten Realität auseinandersetzen. Da wird versucht, ein peinliches Erlebnis schön zu reden oder es ironisch zu brechen, eine reale Bedrohung ins Unwahrscheinliche zu verschieben. Wir vernebeln täglich uns und die Anderen. Die Königin unter den Nebelmaschinen unseres Alltags ist das Wort ,Vertrauen‘!

Von Vertrauen wird überall und oft geredet. Beobachten wir uns selbst, so vergeht wohl kein Tag, an dem wir entweder selbst das Wort ,Vertrauen‘ im Munde führen oder es uns von irgendwoher in die Ohren fliegt. Denken wir nur an die Werbung und all die Dinge, denen wir unser Vertrauen schenken sollen: angefangen von der Kopfschmerztablette, der Scheibe Wurst bis hin zum Auto. Bleiben wir bei der Werbung - wo hören wir dort am häufigsten das Wort ,Vertrauen‘? Bei Versicherungen („Vertrauen Sie nicht nur Ihrem Talent“) oder bei Banken („Wir sind die Bank Ihres Vertrauens“).

Schlagen wir die Zeitung auf, so lesen wir mindestens auf jeder Seite einmal, dass wir hier oder da vertrauen müssen, sollen, können - ob im Politikteil, dem Wirtschaftsteil, dem Sportbericht oder im Feuilleton. Machen wir den Test, schlagen wir eine beliebige Zeitung auf.

Das Wort ,Vertrauen‘ scheint ein wirklicher Alleskönner zu sein - quer durch alle Lebenswelten verwenden wir es, rücken es bewusst in den Vordergrund, ziehen es heran als Argument und Entscheidungshilfe. Ein richtiges Zauberwort! Wir sollen der Gesundheitsreform vertrauen, dem Markt, der Aktie, den Banken, den Politikern, den Managern - dem Chef, dem Betriebsratsvorsitzenden, der des Dopings bezichtigten Sportlerin, dem von der Wettmafia bedrohten Fussballspiel. Allem und jedem können oder sollen wir vertrauen!

Ziehen wir unseren Beobachtungsfokus enger - schalten also Fernseher und Computer aus, legen die Zeitung beiseite - dann sitzen wir da und … wir vertrauen unserer Alarmanlage, dem Zugfahrplan (zugegeben, das fällt schwer), wir vertrauen unserem Auto, dass es uns täglich zur Arbeit und zurück bringt. Last but not least: vertrauen wir unserem Partner, unseren Kindern, unserer Familie, unseren Freunden, den Kollegen und schließlich: uns selbst!

Haben wir uns jemals gefragt, was die Werbung, die Politik, die Wirtschaft oder unsere Familie da eigentlich von uns verlangen, wenn sie sagen, „vertrau mir bzw. uns“? Was tun wir da eigentlich, wenn wir vertrauen?

Schwere Frage - leichte Antwort? Was anstellen mit dem Alleskönner der Worte, dem Zauberwort ,Vertrauen‘, der ultimativen Nebelmaschine?

Wir wollen gemeinsam hinter die Kulissen schauen - uns fragen, wie wir vertrauen. Wir schalten die Nebelmaschinen aus und stellen uns der Realität.

Verraten und Vertraut

Landläufig meinen wir, dass Vertrauen etwas ist, das wir haben im Sinne von etwas besitzen. Wir fragen uns ja auch, ob wir zu diesem oder jenem Vertrauen haben. Was besitzen wir also, wenn wir vertrauen?

Eine Ehe zum Beispiel, so sind wir überzeugt, basiert auf Vertrauen. Nehmen wir aber an, dass unser Ehepartner eine Affäre hat. Worin bestand unser voriges Vertrauen? Was hatten wir einst besessen und nun verloren? Wir könnten antworten, dass wir uns vor dem Entdecken der Affäre in einem bestimmten mentalen Zustand befanden - einer geistigen Einschätzung unserer Lebenslage.

Handelte es sich beim Vertrauen um einen mentalen Zustand würde die Situation so aussehen: Wir sind überzeugt davon, dass ein bestimmter Mensch keine Affäre hat. Da es sich dabei nicht um unseren Nachbarn handelt, sondern um unseren Ehepartner, bleibt die Frage, was diesen Menschen als den ‚unsrigen’ auszeichnet: Eben keine Affäre zu haben und damit unser Vertrauen zu ihm zu enttäuschen. Ich vertraue ihm also, weil es mein Ehepartner ist. Das ist ein Zirkel, die Katze beißt sich in den Schwanz!

Eine andere Möglichkeit: Vertrauen ist ein Gefühl. Schließlich zeichnen sich intime Zweierbeziehungen durch ganz viel Gefühl aus! Wenn wir unserem Ehepartner über viele Jahre hinweg vertraut haben, so waren wir uns aber während der ganzen Zeit unseres konstanten Gefühls nicht bewusst! Erst dann, wenn die Affäre ans Licht kommt, sprechen wir von Vertrauen. Das heißt also, dass es sich beim Vertrauen um ein Gefühl handeln würde, dass wir nur dann wahrnehmen, wenn es uns fehlt! Somit könnten wir das Gefühl ‚Vertrauen’ nur negativ definieren. Wollten wir es positiv beschreiben, hat es doch sehr große Ähnlichkeit mit dem Gefühl der Liebe. Denken wir an die paradoxe Situation, dass wir einen Menschen unendlich lieben, er oder sie aber unser Vertrauen enttäuscht hat. Hört die Liebe mit der Enttäuschung abrupt auf?

Wenden wir uns einem anderen Beispiel zu: Wir lassen einen Freund bei uns übernachten. Weder denken wir darüber nach, noch stellt sich uns die Frage, ob unser Freund in der Nacht plötzlich vor uns steht und uns erstechen will, weil er Zugang zu den Messern in der Küche hat. Heißt das, wir vertrauen ihm? Dass ein Freund bei uns übernachtet, ist eine alltägliche, normale Situation – sie zeichnet sich dadurch aus, dass wir bestimmte Verdachtsmomente, wie den Zugang zu den Küchenmessern, nicht ernst nehmen. Täten wir es, würden wir uns in einer anormalen psychischen Situation befinden, z.B. an Paranoia leiden.

Die Situation ist für uns normal, das heißt, die Frage des Vertrauens stand schlicht und ergreifend nicht im Raum. Verändern wir das Beispiel und nehmen wir anstelle des Freundes einen Fremden bei uns als Gast auf, sehen wir sofort, dass die vormalige unreflektierte Selbstverständlichkeit zusammenbricht. Neue Fragen stellen sich plötzlich: Ist es vernünftig, diesem Menschen zu vertrauen? Ist er uns wohl gesonnen? Ist er gesund? Jetzt tritt das Wort ‚Vertrauen’ auf den Plan!

An diesem Beispiel wird deutlich, dass der Begriff Vertrauen an vorstellbare Gründe des Misstrauens gekoppelt ist. Wer die Möglichkeit eines Verdachts in Erwägung zieht, fordert die Frage des Vertrauens heraus. Über Vertrauen zu sprechen heißt, die Möglichkeit des Verrats aufzuwerfen!

Wir vertrauen also entweder, wenn wir die Möglichkeit eines Verrats zwar in Betracht ziehen, ihn aber für unwahrscheinlich halten – eine Situation kommt uns zwar verdächtig vor, schätzen aber unser persönliches Risiko als sehr gering ein. Oder aber wir meinen mit Vertrauen eine zunehmende Vertrautheit, schließlich kennen wir unseren Freund schon über viele Jahre.

Kehren wir noch einmal zur ersten Interpretation zurück. Warum kann uns eine Situation als verdächtig erscheinen? Weil wir zum Beispiel in ihr ein persönliches Risiko für uns entdecken. Um nicht erneut den bei uns nächtigenden Fremden zu bemühen, ein anderes Beispiel: Wir wollen uns mit unserem Partner einen schönen Abend zu zweit machen und brauchen einen Babysitter. Wir wollen also unsere Kinder jemandem anvertrauen. Was tun wir?

Entweder suchen wir wahllos eine Nummer heraus und machen einen Termin oder aber wir wägen sorgfältig ab, wen wir anrufen. Da es um das Wertvollste in unserem Leben geht, um unseren Nachwuchs, werden wir die zweite Variante wählen. Wir rufen zum Beispiel ein befreundetes Paar an und fragen, ob sie uns einen Babysitter empfehlen können, einen, mit dem sie bereits gute Erfahrungen gemacht haben. Wir wollen uns so viel wie möglich informieren über jenen Menschen, dem wir unsere Kinder anvertrauen. Das heißt, wir wollen alles in unserer Macht stehende tun, um das Risiko zu minimieren, dass wir einen Menschen auswählen, der unsere Kinder entweder nicht gut genug betreut in der Zeit unserer Abwesenheit oder ihnen sogar etwas Böses will.

Wovon wir hier sprechen ist kein Vertrauen! Wir sagten bereits, dass wir Vertrauen erst dann wahrnehmen, wenn es fehlt. Womit wir diese Situation beschreiben können, ist Anvertrauen. Gleiches tun wir, wenn wir zum Arzt oder einem Psychotherapeuten gehen. Wir vertrauen uns ihm an. Dabei gehen wir ein Risiko ein! Da er uns noch nicht vertraut ist, schätzen wir das Risiko sehr hoch ein. Wahrscheinlich haben wir es dadurch zu reduzieren versucht, dass wir uns gründlich über ihn informierten. Wir lasen alles über ihn im Internet, tauschten uns mit Freunden aus oder sprachen mit Personen, die bereits Erfahrungen mit diesem Arzt gemacht haben. Dennoch, wir ganz persönlich gehen ein Risiko ein! Anders ausgedrückt: Wir sind unheimlich mutig. Wir trauen uns, nicht nur uns, sondern auch dem Arzt etwas zu.

Wäre es da nicht hilfreich, wenn eine Liste existierte, die alle möglichen Varianten enthält, wie jemand anderes unser Vertrauen missbrauchen könnte? Wir vertrauen dem Arzt, was heißt, dass wir schlechte Absichten seinerseits ausschließen; zumindest halten wir sie für unwahrscheinlich, entweder aufgrund unserer eigenen Erfahrungen oder der von Bekannten oder Freunden. Neuerdings können wir uns auch an Ranking-Tabellen im Internet orientieren.

Vertrauen steht damit für die Mitte eines Kontinuums von Möglichkeiten, an dessen einem Ende das Wissen steht, am anderen bloßes Raten. Je nachdem, wo wir uns bei der Einschätzung der Situation befinden, gehen wir ein großes bzw. kleines Risiko ein, dass unser Vertrauen enttäuscht wird. Das heißt aber, dass sich hinter dem Vertrauen immer Unsicherheit versteckt! Wir wissen zwar, dass ein Betrug möglich ist, verhalten uns aber nicht dementsprechend – wir betrügen uns selbst! Unser Selbstbetrug ist um so größer je höher das Risiko ist, das wir eingehen.

Der Ehemann weiß, dass seine Frau ihm treu bleiben wird, wenn er sich am Morgen von ihr verabschiedet. Würde er sagen, er ginge damit ein Risiko ein, entstünde der Eindruck des Misstrauens. Täglich bestimmte Situationen als verdächtig anzusehen, bedeutet, eine permanente Verletzbarkeit zu akzeptieren. So gesehen wäre Vertrauen eine ‚akzeptierte Verletzbarkeit’. Im Falle des Ehemanns gibt es aber nichts, was er akzeptiert hätte. Aus seiner Sicht wird die Treue seiner Frau nicht thematisiert!

Vertrauen kann also weder eine Art akzeptierter Verletzbarkeit sein noch das Eingehen eines Risikos. Das Beispiel des bei uns übernachtenden Freundes weist in eine andere Richtung: Wir schließen aus, besser es kommt uns gar nicht erst in den Sinn, dass unser Freund des nachts mit einem Messer vor unserem Bett stehen könnte. Gehen wir vielleicht unbewusst doch ein Risiko ein? Nein, wir ziehen die Möglichkeit, dass unser Freund uns ersticht, gar nicht erst in Erwägung.

Aber sollten wir nicht einräumen, dass die Möglichkeit besteht? Damit stellt sich die Frage, was es heißt, ein Ereignis als „möglich“ zu bezeichnen. Der englische Philosoph David Hume (1711-1776) würde sagen: Alles, was vorstellbar ist, können wir für möglich halten, wenn es nicht durch logische Widersprüche ausgeschlossen werden kann. Für jede Situation müsste es demnach Kriterien geben, um ein Szenario als möglich bzw. unmöglich einzustufen. Eine Möglichkeit anzunehmen hieße damit, sich eine Verbindung innerhalb eines Gesamtzusammenhanges vorzustellen, der unverändert bleibt. Was uns sinnvoller Weise als möglich erscheint, hängt aber von unterschiedlichen Variablen ab: Welche wir davon berücksichtigen, ist keinesfalls festgelegt! Die Entscheidung hängt allein davon ab, welche Ereignisse wir als vernünftig, akzeptabel oder wünschenswert betrachten. Unser Gast hat die Möglichkeit, uns zu erstechen. Dass wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, heißt, wir vermuten, er könne dies wollen! Es liegt an unserem Standpunkt, ob wir bestimmte Möglichkeiten als vernünftige bzw. unvernünftige einstufen!

Eine Frau könnte es für absolut ausgeschlossen halten, dass ihr Mann einen anderen Menschen brutal ermordet haben soll. Natürlich ist der Fall vorstellbar, dass ein Mann einen Mord begeht und er die Tat vor seiner Frau verheimlicht. Die Ehefrau hält es aber für unmöglich, dass ihr Mann zu so etwas fähig sei. Wir könnten nun einwenden, dass sie sich schlicht weigert, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Aus der Sicht der Frau gibt es aber keine weiteren Möglichkeiten, die in Betracht zu ziehen sind! Im Gegensatz zu ihr aber kann die Polizei es sehr wohl für möglich halten, dass ihr Mann ein Mörder ist.

Allgemein lässt sich anhand dieses Beispiels zeigen, dass wir im Falle eines Zweifels alle vernünftigen Möglichkeiten berücksichtigen und alle unvernünftigen ausschließen. Es liegt jedoch an unserem Standpunkt, wie wir die Möglichkeiten sortieren! Die Ehefrau ordnet die Täterschaft ihres Mannes auf der Seite ‚unmöglich’ ein, wohingegen die Polizei genau das Gegenteil tut. Es kommt also auf den Standpunkt an, den wir gegenüber einer Situation einnehmen.

Bisher haben wir gezeigt, dass Vertrauen weder eine geistige Aktivität (mentaler oder emotionaler Zustand) noch ein Vorhaben, wie etwa das Eingehen eines Risikos ist. Dann erkannten wir, Vertrauen hängt vom Standpunkt ab: Es existiert nur in der Unterscheidung der Perspektive eines Handelnden und der eines Beobachters. Der Handelnde nimmt seine Haltung nicht als eine des Vertrauens wahr. Etwas als Vertrauen wahrzunehmen heißt, die Möglichkeit eines Verrats zu erwägen; zu vertrauen heißt aber gerade, von dieser Möglichkeit abzusehen. Das heißt: Vertrauen liegt im Auge des Betrachters, es ist nicht ‚da’ wie ein neutral erkennbarer und analysierbarer Zustand.

Kehren wir noch einmal zu der Frau zurück, dessen Mann des Mordes beschuldigt wird: Vor diesem Ereignis hätte niemand gesagt, „sie vertraue“ darauf, dass ihr Mann keinen Mord begeht. Sie „vertraut“ ebenso wenig darauf, dass ihre Kinder in der Nacht nicht das Haus anzünden! Plötzlich aber ist sie mit Menschen konfrontiert, die ihren Mann in einem anderen Licht sehen. Erst an dieser Stelle gewinnt der Vertrauensbegriff Kontur! Erst in dem Moment als die Polizei sie befragt, vertraut sie ihrem Mann. Ebenso bürgen wir für unseren bei uns übernachtenden Freund, wenn ein Verdacht gegen ihn aufkommt. In diesem Sinne gibt es nichts ‚Objektives’, das wir als Vertrauen bezeichnen können, da die Beschreibung von der Perspektive abhängt. Der Handelnde nimmt typischerweise seine Haltung nicht als eine des Vertrauens wahr. Etwas als Vertrauen wahrzunehmen heißt, die Möglichkeit eines Verrats in Erwägung ziehen; tatsächlich zu vertrauen heißt aber gerade, von der Möglichkeit eines Verrats abzusehen.

Wir trauen dem Arzt beispielsweise zu, unsere Gesundheit wieder herzustellen. Erst wenn jemand auftaucht, der dies massiv bezweifelt und er jemand ist, den wir schätzen, entstehen die oben aufgezeigten zwei Perspektiven: Die des Handelnden, also unsere und die des Beobachters. Der Beobachter fragt uns, warum wir zu diesem Quacksalber gehen, es wisse doch jeder, dass der keine Ahnung habe. Wir antworten: „Ich vertraue darauf, dass seine Methoden mir helfen.“ Wenn wir die Formulierung verwenden „Ich vertraue …“, also uns bewusst wird, dass wir vertrauen, dann tun wir dies immer, wenn durch eine andere Person, also eine andere Perspektive auf die Situation, ein möglicher Verrat ins Spiel kommt oder zumindest ein Verdacht laut wird. Erst jetzt benutzen wir die Formulierung „Ich vertraue …“ und sind uns damit unserer speziellen Perspektive auf die Situation bewusst geworden.

Das heißt, dass das, was wir üblicherweise als ‚Vertrauen’ bezeichnen immer nur im Kontrast auftaucht zu einem möglichen Verrat oder Verdacht. Vertrauen ist also immer etwas, dass gewissermaßen die andere Seite der Medaille mitzeigt: Indem wir von Vertrauen sprechen, reden wir auch vom möglichen Verrat, erleben unsere Situation oder die eines anderen als verdächtig! Daraus können wir ableiten: Wird auf Vertrauen insistiert, befinden wir uns in einer verdächtigen Situation.

Wir neigen zunehmend dazu, selbst die dritte Person, den Beobachter, zu spielen: Wir wollen sicher sein, dass unser Vertrauen nicht enttäuscht wird - und zwar bevor wir einem Anderen unser Vertrauen schenken. So gesehen gehen wir ein Risiko ein, wenn wir vertrauen, nämlich dann, wenn wir aus der dritten Person heraus vertrauen: Wir sagen nicht „ich vertraue“, sondern „es (dritte Person!) ist vernünftig diesem Menschen zu vertrauen“.

Wir verhalten uns so, weil Vertrauen immer nur dann existiert, wenn ein Verrat möglich ist, ein Verdacht besteht, wenn wir potentiell enttäuscht werden können! Das erklärt vor allem die Häufung des Wortes in Krisenzeiten - es zaubert förmlich die Bedrohung weg. Die Verwendung des Wortes ,Vertrauen‘ fungiert als Seismograf für den Ernst der Lage. Blättern wir einmal alte Zeitungen durch und achten auf die Vertrauens-Phrasen, so erkennen wir: Sie häufen sich in Zeiten großer Bedrohungen.

Die Rede vom Vertrauen wird zumeist dazu eingesetzt, einen potentiellen Verdacht oder Verrat zu vernebeln! Vertrauen kommt erst ins Spiel, wenn eine dritte Person, eine Beobachterperspektive aktiviert wird. Es ist interessant, dass wir heute die Rolle des Beobachters unseres Verhaltens gleich mit übernehmen. Auch hier sind wir Meister im Multitasking.

Beim Vertrauen handelt es sich also weder um ein Gefühl noch um einen mentalen Zustand. Von Vertrauen sprechen wir nur dann, wenn ein Verdacht besteht, den ein Beobachter ins Spiel bringt. Weil wir zunehmend selbst als Beobachter handeln, also nur noch selten spontan, viel lieber wohl überlegt agieren, beziehen wir die Möglichkeit des Verrats ein, wenn wir in Beziehung zu einem anderen Menschen treten. Das heißt, wir müssen mit einer guten Portion Selbstvertrauen ausgestattet sein, wenn wir das Risiko des Vertrauens wagen oder aber wir sehen angesichts des so wohlklingenden Wortes ,Vertrauen‘ den Verrat und das Risiko nicht - wir sind eingenebelt vom schönen Schein. Dennoch vertrauen wir jenem Menschen diesem aber nicht. Welchen Maßstab verwenden wir, anhand dessen wir entscheiden, ob ein Mensch vertrauenswürdig ist oder nicht?

Äpfel und Spinnen

Mühelos und schnell antworten wir auf die Frage, wann ein Mensch vertrauenswürdig sei: Wenn er tut, was er sagt. Unseren Politikern zu vertrauen, gelingt uns daher immer seltener, schließlich sagen sie im Wahlkampf meist etwas anderes als sie nach der Wahl tun!

In der Antike galt jener als vertrauenswürdig, der sich an traditionell festgelegten Praktiken hielt. Wer sich nicht beteiligte, musste gehen - ihm wurde das Vertrauen entzogen. Jener, der nicht den Göttern opferte, verscherzte es sich mit der Polis-Gemeinschaft, mit ihm gab es keine gemeinsame Vertrauensbasis.

Dagegen war der christliche Anspruch der Vormoderne inklusiv. Die soziale Vertrauensbildung erstreckt sich im christlichen Weltbild auch auf die, die nicht an den von der Tradition überkommenen Praktiken teilnehmen. Somit schenkt das christliche Abendland auch dem Ketzer Vertrauen, wenn er vor seiner Hinrichtung seine Bekehrung öffentlich bekennt! Aus dem Begriff Autodafé, der Glaubensbezeugung bedeutet, wurde ein Synonym für die Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen. Dieses Weltbild trieb die Missionstätigkeit an: Auch jene Menschen, die von Jesus Christus noch nichts wussten, wurden als Teil des Ganzen gesehen und sollten das Geschenk des Glaubens an den Erlöser erhalten; sie wurden mit einbezogen. Jeder Mensch ist ein potentiell Glaubender!

Die antike und die christliche Welt gleichen sich dahingehend, dass es für beide ein aufs Ganze gehendes Vertrauen gibt. Sowohl die antike Tugendlehre als auch das Christentum basieren auf einem von allen geteilten ethischen Fundament. Aus diesem leiten sich die Rechte und Pflichten ab, die Regeln und Gesetze. Es existierte nur ein Entweder-Oder und kein Sowohl-als-auch!

Heutzutage basiert unsere Entscheidung, ob wir jemandem vertrauen, nur auf einem Konvolut von anerkannten Verhaltensregeln, die nicht zwingend ethisch fundiert sind. Dennoch ist weiterhin ein durch Regeln strukturiertes Leben notwendig, da es uns ermöglicht, das Verhalten der Anderen zu berechnen. Hält sich jemand nicht an die Regeln, wird er unberechenbar und erweist sich als unseres Vertrauens unwürdig. Der englische Philosoph Bernard Williams (1929-2003) brachte dies so auf den Punkt: „Wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass der andere einen nicht umbringt, kann man sich erst recht nicht darauf verlassen, dass er sein Wort hält.“

Wenn wir nicht wissen, ob unser Gegenüber sich an die Regeln und Gesetze unseres Zusammenlebens hält, wie sein Verhalten berechnen - was wird er tun, wenn wir ihm vertrauen? Eine umfassende Kenntnis des Bürgerlichen Gesetzbuches oder des Strafgesetzbuches hilft auch nicht weiter. Uns fehlt ein von allen geteiltes ethisches Fundament, in der modernen Gesellschaft gibt es keinen übergeordneten moralischen Code mehr.

Dennoch versuchen wir permanent, dass Verhalten eines Anderen zu berechnen. Aber, dass wir das Verhalten eines Anderen berechnen können, macht ihn noch lange nicht zu einem vertrauenswürdigen Menschen! Nennen wir den, der uns Gewalt androht und seinem Versprechen folgend auch antut etwa vertrauenswürdig? Können wir uns darauf verlassen, dass er in diesem Moment das Strafgesetzbuch berücksichtigt? Welche Regeln oder welche Praktiken sind es also, die den Rahmen vorgeben? Gibt es sie und wann greifen sie?

Zur Vertrauenswürdigkeit gehört nicht nur, dass einer tut, was er sagt, sondern auch, dass er bestimmte Dinge nicht sagt und nicht tut - unabhängig von irgendwelchen Regeln! Jemand, der uns mit einem Lächeln und in angenehmem Tonfall sagt, er werde uns jetzt nicht mit diesem scharfen Messer in Stücke schneiden, können wir weder als vertrauenswürdig bezeichnen noch fühlen wir uns in seiner Gegenwart wohl. Diesem Menschen Vertrauen gegenüber zu haben, fällt nicht nur schwer, es ist unmöglich, auch wenn wir uns auf ein wie auch immer ausgearbeitetes Regelwerk verlassen. Dass wir im Straßenverkehr mit dem Leben davon kommen, liegt nicht nur an der Straßenverkehrsordnung; oder anders gesagt: wir verlassen uns lieber auf das im Fahrsicherheitstraining Gelernte als auf die StVO.

Was das sei, einem anderen Menschen zu vertrauen, können wir mit dem Hinweis auf Regeln oder der Teilnahme an bestimmten Praktiken nicht beantworten. Es gibt kein das ganze Leben tragendes und bestimmendes Gesetz des Zusammenlebens, sei es nun religiös oder moralisch begründet. Wir müssen uns auf unsere eigene Einschätzung verlassen. Der Maßstab, anhand dessen wir entscheiden, wem wir vertrauen, liegt in uns selbst. Bevor wir einem anderen vertrauen, müssen wir uns selbst vertrauen, unserer Einschätzung des Anderen. Bevor wir aber einem anderen Menschen vertrauen, müssen wir zunächst der Welt als Ganzes vertrauen: Wir vertrauen darauf, dass die Welt morgen noch genauso aussieht wie heute und alles nach denselben Spielregeln abläuft. Wir wissen, es gibt Naturgesetze, die wir nicht ändern können und von denen wir nicht erwarten, dass sie sich ändern.

Jeden Morgen geht die Sonne im Osten auf und im Westen unter. Dementsprechend richten wir unsere Terrasse aus. Der über den Tisch rollende Apfel fällt an der Kante angekommen zu Boden und nicht etwa zur Decke. So erscheint uns die Welt als normal. Im Film wird mit diesen Erwartungen gespielt, wenn beispielsweise der Apfel eben nicht zu Boden fällt, sondern durch die Luft weiter rollt. Wenn also nicht das passiert, was wir als normal erwarten, entsteht entweder Magie oder Komik.

Die uns umgebende Wirklichkeit als vernünftig geordnet und deshalb für berechenbar zu halten hieße, den Zufall aussperren. Auf dieser Weltsicht basiert jene Philosophie, die wir die stoische nennen. Sie entstand etwa 300 vor Christus und Cicero (106-43 v. Chr.), Seneca (1-65 n. Chr.) und der römische Kaiser Marc Aurel (121-180) sind ihre bedeutendsten Vertreter. In der stoischen Naturphilosophie steht die Idee einer universalen Gesetzmäßigkeit der Natur im Zentrum. Da die Gesetze allgemein gültig sind, kann es nach stoischer Ansicht keinen Zufall geben - alles geschieht mit Notwendigkeit. Wer diese Ordnung erkennt und sich ihr unterwirft, vermag sich über die als zufällig erscheinenden Wirrnisse des Lebens zu erheben. Deshalb bezeichnen wir heute noch eine Haltung als „stoisch“, die sich durch Gelassenheit angesichts jeglicher Widrigkeiten des Schicksals auszeichnet und sich nicht von den Leidenschaften gefangen nimmt.

Einen Weisen nennen die Stoiker jenen, der Vertrauen in die Vernünftigkeit der Weltordnung hat, sich aber nicht von seiner Umgebung isoliert, sondern die Bindungen in Gesellschaft und Familie anerkennt, ohne sich von ihnen gefangen nehmen zu lassen. Chrysipp (281/76 - 208/4 v. Chr.) schreibt: „Ein tugendhaftes Leben ist gleichbedeutend mit einem Leben auf Grund der Erfahrung von dem, was natürlicherweise geschieht. Denn unsere eigene Natur ist ein Teil der Gesamtnatur. Darum ist das höchste Gut ein naturgemäßes Leben, d.h. ein Leben, in Übereinstimmung mit unserer eigenen und der Gesamtnatur, so dass wir nichts tun, was das allgemeine Gesetz zu verbieten pflegt, nämlich die richtige, alles durchdringende Vernunft.“ Cicero sprach davon, dass wir uns mit allem, was natürlich ist, anfreunden müssen - in ein harmonisches Verhältnis treten. Innerhalb des stoischen Denkens fällt Weltvertrauen im Sinne von rationaler Berechenbarkeit der Welt also nicht besonders schwer - es wird zu einer Frage des Intellekts und der Zeit, die einem für das Studium der Natur zur Verfügung steht.

Unser Vertrauen, dass wir der Welt gegenüber aufbringen, geht über die reine Berechenbarkeit hinaus. Wenn uns eine mittelgroße schwarze Spinne über den Arm krabbelt … ja, was dann? Panik? Gelassen wegschnipsen? Je nachdem. Sitzen wir in einer Gartensparte am Rande Berlins, so haben wir die Wahl, es kann uns nichts passieren. Aber in Australien sieht die Sache schon anders aus! Hier in Europa gehen wir davon aus, dass die Spinne ungiftig ist, in unserer Welt wie wir sie kennen, gibt es keine giftigen Spinnen. Dagegen gehört in Australien die schwarze Witwe zum Alltag. Es gibt eben Grade der Normalität, was in Europa als ungefährlich gilt, kann in Australien bedrohlich sein.

Berechenbarkeit, ob nun im Zusammenleben mit anderen Menschen oder der Welt gegenüber ist sicherlich eine Komponente dessen, was wir Vertrauen nennen. Allerdings beschreibt sie das Phänomen nicht vollständig. Was passiert, wenn der Zufall die Bühne betritt? Wie der Welt vertrauen, wenn sie kontingent ist? Immanuel Kant (1724-1804) ersetzte den Begriff Kontingenz durch Zufall, aber dass die Welt, so wie sie ist, nicht notwendig so sein muss, beschäftigte auch den Philosophen aus Königsberg.

Für unseren Alltag spielt es keine Rolle, ob die Welt zufällig so ist wie sie ist: Haben wir uns beim Einkaufen je gefragt, ob diese Kekssorte aus einer Notwendigkeit heraus existiert? Sie schmeckt einfach. Es interessiert uns ebenso wenig, ob die Erfindung des Weichspülers genauso unwahrscheinlich war wie unsere Zeugung. Sind wir deshalb vertrauensselige Zeitgenossen, nur weil wir die Welt so hinnehmen wie wir ihr alltäglich begegnen?

Zurück zur Natur oder vom Kosakenzipfel

Tatsächlich leben wir heute in ziemlich vertrauensseligen Gesellschaften. Wir vertrauen in unserem Alltag vielen Menschen ohne darüber nachzudenken, dass wir gerade vertrauen. Wir betätigen den Lichtschalter und das Licht geht an, wir denken nicht darüber nach. Dabei vertrauen wir in diesem Moment unserer Stromversorgung und den hart arbeitenden Menschen im Atomkraftwerk. Wir pflegen Freundschaften, obwohl wir ab und zu enttäuscht oder ausgenutzt werden, aber an der Möglichkeit von Freundschaften zweifeln wir nicht. Die Kriminalitätsstatistik steigt, Gewaltexzesse von Jugendlichen nehmen zu, aber niemand sieht ernsthaft einen Krieg aller gegen alle bevorstehen. Sicher, wer hat noch nicht über die Anschaffung einer Alarmanlage nachgedacht oder sie bereits installiert. Trotzdem, wir gehen davon aus, dass sie permanent mit Strom versorgt wird!