Insel der Ponygirls - Tomás de Torres - E-Book

Insel der Ponygirls E-Book

Tomás de Torres

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Beschreibung

Luke wandte den Kopf und blinzelte. Ihm bot sich ein so bizarrer Anblick, dass er zu dem Schluss kam, dies alles - die Kraterinsel, der Tunnel, der Dschungel - sei bloße Halluzination. Er musste noch immer im Boot liegen, dem Tode durch Austrocknung nahe, und fantasieren. Ein leichter Trabrennwagen, der von einer jungen Frau gezogen wurde, fuhr direkt auf ihn zu. Die Frau war aufgezäumt wie ein Pferd und trug einen Lederharnisch. Silberne Glöckchen tanzten an ihren bloßen Brüsten. Und im Wagen saß ein Mädchen mit schulterlangen, schwarzen Haaren, das absolut nackt war und eine Peitsche in der rechten Hand hielt. Die Fahrerin erblickte Luke in der gleichen Sekunde wie er sie. Sie schrie auf, riss mit der Linken am Zügel und ließ mit der Rechten die Peitsche durch die Luft sausen. Das "Pferd" kreischte und hielt mitten im Lauf inne. Dann warf es sich herum, so dass der Sulky seitlich zu kippen drohte. Der Fahrerin gelang es gerade noch durch eine blitzartige Verlagerung ihres Gewichts, ein Unglück zu verhindern. Im nächsten Moment bereits waren die beiden aus Lukes Sichtbereich verschwunden. Die Erschöpfung übermannte Luke. Der grüne Dschungel, der braune Weg, der azurne Himmel - alles drehte sich um ihn herum. Dann vermischten sich die Farben zu wirbelnden Schlieren, die rasch dunkler wurden. Er fühlte nicht mehr, wie er auf dem Boden aufschlug. [Später im Haus eines Arztes:] Bob lachte. "Es hat ihn wohl überrascht, dass du nackt bist. Wahrscheinlich glaubte er zu halluzinieren." "Aber wie anders als nackt sollte ich sein?", fragte Gamaleh verblüfft. "Ich bin eine Frau!" Von üblen Verbrechern gejagt, war Luke einfach mit einem Schnellboot von St. Lucia geflohen - und fast am Ende seiner Kräfte und seines Sprits, als er diese geheimnisvolle Insel erreichte, die es auf den Karten gar nicht gab und auf der alles anders war: Alle Frauen liefen nackt umher, wurden gelegentlich geknebelt ("Konfuzius sagt: ›Stille Frau, glückliches Haus‹"), an Pranger gestellt, gezüchtigt, hatten Dienst als Ponygirl zu leisten - und liebten ihre Männer, die alle Entscheidungen trafen … Doch das Idyll war bedroht: Was, wenn seine Verfolger Luke auf der Insel der Ponygirls aufspüren würden?

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Tomás de Torres

Insel der Ponygirls

Insel der Ponygirls

SM-Roman

von

Tomás de Torres

MARTERPFAHL VERLAG

MMXV/MMXXI

Impressum der Ebook-Ausgabe:

© 2021 by Marterpfahl Verlag Rüdiger Happ,

Firstbergstr. 2, D-72147 Nehren

https://marterpfahlverlag.wixsite.com/erotikbuch

[email protected]

E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

Cover: Rüdiger Happ unter Verwendung desselben Bilds von s-art wie bei der Paperback-Ausgabe

E-Book ISBN 978-3-944145-83-9

Impressum der Paperback-Ausgabe:

© 2015 by Marterpfahl Verlag Rüdiger Happ,

Postfach 8, D-72147 Nehren

Omnia eius editionis iura reservantur

www.marterpfahlverlag.com

[email protected]

Einbandgestaltung: Lisa Keskin, unter Verwendung eines Fotos von S-Art (www.s-art.de)

Gedruckt in der EU

ISBN 978-3-944145-48-8

1

Als die Sonne den halben Weg zwischen Zenit und Kraterrand zurückgelegt hatte und die Hitze in der Bananenplantage ihren Höhepunkt erreichte, verabschiedete Gamaleh sich von den anderen Mädchen. Sie stieß die Machete, mit der sie die Nebensprösslinge der Bananenbäume abgeschlagen hatte, am Rand der Plantage in die Erde, tauchte eines der bereitliegenden Tücher in den Holzbottich und wischte sich damit über das Gesicht, den Hals und die bloßen Brüste. Voller Erwartung machte sie sich auf den Weg nach Hause. Ihre Mutter und ihre Schwester waren bestimmt schon da, und wenn Gamaleh Pech hatte, auch Tante Deli, die sie mit gewohnt spitzer Zunge begrüßen würde.

Begleitet vom Geschrei der Papageien und Kolibris nahm sie die Abkürzung zum Dorf, zwischen weit ausladenden, rot gesprenkelten Flammenbäumen und hohen Brotfruchtbäumen hindurch, vorbei an Reihen gelber und violetter Orchideen. Bei den Hühnerstellen herrschte Ruhe, die grauen Perlhühner hatten sich längst in die Kühle der Lavagrotte zurückgezogen.

Am Rand des Dorfes, wo im Schatten eines mächtigen Kapokbaums der mit rotbraunen Porphyrplatten gepflasterte Weg begann, blieb sie stehen und säuberte die Füße im Becken vor dem Brunnen. Eine jadegrüne Eidechse flüchtete sich in den Schutz einer Steinritze. Gamaleh füllte den auf dem Wasser schaukelnden Ledereimer und goss das angenehm kühle Nass über den Kopf und ihren nackten Körper. In dieser Hitze würde ihr schwarzes Haar, das in seidigen Wellen bis über die Schulter hinunterfiel, binnen Minuten trocknen.

Eine Spur von Nässe hinter sich herziehend, schlug sie den Weg zu ihrem Elternhaus ein. Es lag etwas oberhalb des Dorfes, halb in den bewaldeten Abhang eingebettet. Das Kiefernholz, aus dem es erbaut war, leuchtete golden im Sonnenlicht, und eine Hecke aus rotem und violettem Hibiskus umgab es wie ein Flammenring.

Gamaleh hatte Glück. Kein Sulky parkte vor der Terrasse, Deli war also noch nicht eingetroffen. Aus den offenen Fenstern drang helles Lachen, unverkennbar von Ayala, Gamalehs um ein Jahr älterer Schwester.

Die hat gut lachen, dachte Gamaleh etwas neidisch, schließlich heiratet sie in drei Tagen!

Leichtfüßig übersprang sie die beiden zur Terrasse führenden Stufen und schob sich durch den aus aufgereihten Muscheln bestehenden Türvorhang. Am runden Tisch des lichtdurchfluteten Wohnraums saßen Ayala, deren Freundin Sariyah sowie Twila, die Cousine von Gamalehs Mutter.

Ayala und Sariyah unterbrachen ihr Gespräch und begrüßten Gamaleh. Die sonst so redselige Twila beschränkte sich auf eine Geste, denn sie trug eine lederne Knebelmaske, die kaum mehr als ihre großen Augen und die Nase frei ließ.

»Konfuzius sagt: Stille Frau, glückliches Haus«, zitierte Gamaleh gut gelaunt. Ihre Schwester und Sariyah lachten, und sogar Twilas Augen funkelten amüsiert.

Sariyah erhob sich. »Warte, ich bringe dir Kuchen und Limonade.« Sie ging mit wippenden Brüsten in die Küche.

Gamalehs Blick heftete sich auf ihre Schwester. »Wow, was trägst du denn heute? Habe ich ja noch gar nicht gesehen!«

Ayala stand auf und drehte sich wie eine Tänzerin mit ausgebreiteten Armen einmal um sich selbst. »Gefällt es dir? Tom hat es geschickt, es kam mit dem letzten Boot an, aber Mama hat es mir erst heute gegeben. Tom schreibt, ich solle mich schon mal dran gewöhnen, weil ich es nach unserer Hochzeit oft tragen werde.«

Das Geschirr aus schwarzen Lederriemen sah wirklich elegant aus auf Ayalas nahtloser Sonnenbräune. Von einem mindestens vier Zentimeter breiten Halsband lief ein Riemen zwischen Ayalas mandelförmigen Brüsten mit den korallenroten Warzen hindurch, die Gamaleh stets bewundert hatte. Unterhalb des Nabels mündete er in einen Querriemen, der rund um den Körper führte. Zwei weitere Querriemen liefen über und unter den Brüsten entlang und betonten diese. An jeder Kreuzung waren stabile, silbern glänzende Ringe angebracht.

Von dem Querriemen unter dem Nabel zweigten links und rechts zwei weitere Riemen ab, umrahmten Ayalas haarlose Spalte und mündeten hinten in einen etwa vier Zentimeter durchmessenden Ring. Ein weiterer Riemen führte von diesem nach oben, kreuzte die drei Querriemen und endete an der Rückseite des Halsbands, das zur Hälfte unter Ayalas schwarzen Locken verschwand. Das Geschirr war so kunstvoll gefertigt, dass es mit einem einzigen Schloss auskam, das hinten am Halsband angebracht war, strammen Sitz garantierte und ein Ablegen verhinderte.

»Mama verwahrt den Schlüssel bis zur Hochzeit«, sagte Ayala und legte die Arme auf den Rücken. »Es ist irre praktisch, siehst du? Man kann die Hände in fast jeder beliebigen Position fixieren.« Sie spreizte demonstrativ die schlanken Beine. »Und unten bin ich trotzdem frei zugänglich, vorn und hinten.« Sie strahlte Gamaleh an. Eine beinahe greifbare Aura des Glücks umgab sie. »Ich kann es kaum erwarten, bis Tom kommt! Wie er wohl aussehen mag?«

Gamaleh kicherte. »Bestimmt hat er eine Glatze und eine Warze auf der Nase!«

»Unfug!«, sagte Sariyah, deren Stundenglasfigur wieder in der Küchentür erschien. »Niemand hat mit 26 eine Glatze! Euer Vater hat ihr bestimmt einen guten Mann ausgesucht.« Sie stellte einen Becher mit Zitronenlimonade vor Gamaleh auf den Tisch und legte ein Bananenblatt daneben, auf dem sich ein Stück Limetten-Avocado-Kuchen und ein geschnitzter Löffel befanden. Gamaleh dankte mit einem Lächeln und setzte sich.

Sariyah nahm ebenfalls wieder Platz. »Ich wünsche dir, dass Tom so zärtlich ist wie mein Jeff. Natürlich ist er auch streng, ein Mann muss ja streng sein. Leider kommt er nur alle paar Monate nach Hause.«

Gamaleh nickte gedankenverloren. Die meisten Männer wohnten und arbeiteten weit weg, auf dem Festland, und kamen nur selten nach Hiva. Mit Ayalas Tom würde es kaum anders sein. Gamalehs und Ayalas Vater bildete eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel.

Ayala deutete auf Sariyahs stählernen Halsreif, von dem ein dreieckiges Plättchen herabhing. Darin waren der Name ihres Mannes und das Hochzeitsdatum eingraviert. »Nur noch drei Tage, dann bekomme ich auch einen Ring.« Ihr Blick glitt an Sariyahs Körper hinab. »Hoffentlich lässt Tom mir ein ebenso elegantes Keuschheitspiercing machen!«

Ein stählernes Schild mit eingraviertem »J«, das durch jeweils vier Ringe mit den äußeren Schamlippen verbunden war, verschloss Sariyahs Scheide, die ebenso haarlos war wie jene von Gamaleh, Ayala und fast allen anderen Frauen.

»Wer weiß«, sagte Gamaleh, »vielleicht lässt Tom dir ja auch einen Keuschheitsgürtel anpassen, von der Art, wie Mama ihn trägt.« Mit dem Holzlöffel trennte sie ein Stück von dem zartgrünen Kuchen ab. »Habt ihr gesehen? Yangshi hat jetzt einen mit Schenkelbändern!«

Ihre Schwester lachte. »Selber schuld, warum erzählt sie auch dem halben Dorf, dass sie die Finger zwischen Körper und Gürtel schieben kann, wenn sie die Beine weit genug spreizt? Sam musste einfach etwas unternehmen!«

Unter dem sehnsüchtigen Blick Twilas ließ Gamaleh das cremige Kuchenstück auf der Zunge zergehen. Sie verzog schwärmerisch das Gesicht. »Mama ist und bleibt die beste Bäckerin im Dorf. Wo ist sie überhaupt?«

»A-hang«, machte Twila und deutete an Gamaleh vorbei in den Hintergrund des Raums. Ayala und Sariyah glucksten.

Gamaleh wandte sich um. Ihre Schultern sanken herab, und sie atmete lautstark aus. »Oh, Mama, nicht schon wieder das Piratengefängnis! Was hast du diesmal angestellt? Wieder einen abgerissenen Knopf an einem von Vaters Hemden übersehen?«

Coreen, Gamalehs Mutter, lächelte säuerlich. »Diesmal war es ein Loch im Strumpf.«

Das »Piratengefängnis« war ein käfigartiges Gestell, etwas über einen Meter lag, einen halben Meter breit und gerade so hoch, dass eine erwachsene Frau darin aufrecht, aber mit angezogenen Beinen sitzen konnte. Ein zweiteiliges Brett schloss den Käfig auf der Oberseite ab, mit einem Loch darin, aus dem Coreens Kopf ragte. Sie war nicht gefesselt, aber dennoch völlig hilflos. Ihre Arme konnte sie aus dem Käfig strecken, aber wegen des Bretts war sie nicht in der Lage, die Hände zum Mund zu führen. Sie konnte nicht einmal ihre Nase putzen.

Gamaleh schüttelte den Kopf. »Du lernst es wohl nie! Soll ich dir ein Kissen bringen? Es ist bestimmt unbequem mit dem Keuschheitsgürtel auf dem nackten Holzboden.«

Coreen, die die gleiche schwarze Lockenfrisur trug wie Ayala, zögerte einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf. »Lieber nicht, es wird sonst nur nass. Ich muss bis Sonnenuntergang hier drin bleiben, hat dein Vater gesagt.«

»Sind ja nur noch drei Stunden.«

Gamaleh wandte sich wieder ihrem Kuchen zu, doch bevor sie den nächsten Bissen tun konnte, waren das Klingeln von Glöckchen und das Knirschen von Rädern auf Kies zu hören. Ein kurzes »Brr!«, dann das Hämmern nackter Füße auf den Bohlen der Terrasse. Der Muschelvorhang teilte sich, und Deli trat ein. Die gelöste Atmosphäre, die soeben noch geherrscht hatte, vereiste.

Ebenso wie ihrer Schwester Coreen sah man Deli nicht an, dass sie die 40 bereits überschritten hatte. Ihr Haar war immer noch schwarz, ihre Brüste fest, und keine einzige Falte verunzierte ihr Gesicht. Nur der verkniffene Ausdruck um die blutleeren und die meist zusammengepressten Lippen ließen sie älter erscheinen als Coreen, obwohl sie tatsächlich zwei Jahre jünger war.

Delis Blick heftete sich auf Twila. »Stille Frau, glückliches Haus.« Ihre Stimme klirrte.

Diesmal lachte niemand. Twila verdrehte die Augen. »A-ha-hang!« Etwas Speichel rann unter der Knebelmaske hervor und tropfte auf ihre linke Brust.

»Ganz deiner Meinung.« Deli nickte in Richtung ihrer Schwester. »Abgerissener Knopf?«

Coreen kicherte. »Loch im Strumpf. Nimm Platz. Du entschuldigst, wenn ich dich nicht selbst bediene, aber im Moment kann ich meinen Gastgeberpflichten leider nicht nachkommen.«

Ayala stand auf, um Kuchen für ihre Tante zu holen, und Deli schnalzte mit der Zunge. Neid blitzte in ihren Augen.

»Na, dein Tom stürzt sich ja schon vor der Hochzeit in Unkosten. Was für ein Geschirr! Sieht so aus, als hättest du das große Los gezogen. Vor 15 Jahren, als ich heiratete, konnte man von so was nicht mal träumen.«

Es war, als ob die Atmosphäre mit einem Mal keine Schallwellen mehr transportierte. Sie aßen schweigend, während Twila entsagungsvolle Blicke auf den rasch dahinschwindenden Kuchen warf. Gamaleh hatte sich die Knebelmaske einmal heimlich ausgeliehen und wusste daher, dass ein stattlicher Gummipenis tief in Twilas Mundhöhle ragte. Mit Sicherheit hatte sie ihren Mann Jack wieder mit Dorftratsch gelangweilt.

Erst als das letzte Stück Kuchen verspeist war, fragte Ayala: »Hat eigentlich schon jemand Irina nach der genauen Uhrzeit des Vollmonds gefragt?«

Es war Sitte, dass die Vermählungszeremonie zur Stunde des Vollmonds stattfand, und es galt als böses Omen, wenn diese Vorgabe nicht exakt eingehalten wurde.

Gamaleh erhob sich und sammelte Becher, Bananenblätter und Löffel ein. »Ich erledige das. Ich wollte mir sowieso wieder ein oder zwei Bücher holen.«

»Nimm meinen Wagen«, sagte Deli. »Ich warte auf euren Vater, es gibt noch eine Menge zu besprechen.«

Gamaleh trug Blätter und Geschirr in die Küche und verabschiedete sich dann. »Wir sehen uns.«

»Wir sehen uns«, klang es vielstimmig zurück.

Delis Sulky parkte vor der Terrasse, die Zügel des Ponygirls waren ein paarmal um das Geländer geschlungen. Suhani, ein weißhäutiges Mädchen mit kurzen roten Haaren und schweren Brüsten, kauerte zwischen den Holmen. Es trug die übliche Ponygirlausrüstung: Kopfgeschirr einschließlich Trense, ein eng anliegender Lederharnisch, der Brüste und Schamgegend frei ließ, sowie die zur Trittfestigkeit mit eisernen Hufen beschlagenen Lederstiefel. Suhanis Unterarme waren hinter ihrem Rücken zusammengefesselt, was für eine gerade Haltung und vorgereckte Brüste sorgte. Silberne Glöckchen klemmten an den rosafarbenen Brustwarzen.

Gamaleh löste die Zügel und stieg in den Sulky. Sie ergriff die Peitsche und ließ sie schnalzen, jedoch ohne Suhani damit zu berühren. Drei feuerrote Striemen zogen sich bereits quer über beide Pobacken. So, wie Deli die Ponygirls behandelte, konnte man fast glauben, sie wäre nie selbst zwischen den Holmen getrabt und hätte die Peitsche am eigenen Leib gespürt.

Suhani wieherte übermütig, und der Sulky ruckte an. Die Schreie auffliegender Vögel übertönten das Knirschen des Kieses und das Klingeln der Glöckchen. Eine Fahrt begann, die Gamaleh mitten hinein in das größte Abenteuer ihres 18-jährigen Lebens tragen würde.

2

Etwas hatte sich verändert.

Luke Martin nahm das feuchte Tuch von seinem Gesicht und hob den Kopf. Irgendein Geräusch, fern und regelmäßig, hatte sich in das monotone Brausen des Motors gemischt.

Brandung? Mitten auf dem Meer? Unmöglich!

Mit einem Ruck zog er sich an der Reling empor und blinzelte nach achtern, wo das Kielwasser einen gerippten Keil in den Horizont trieb. Keine Spur von einem Verfolger.

Luke entspannte sich wieder.

Wie sollten sie mich auch finden?

Das Boot war eines der schnellsten konventionellen Motorboote, die Luke je gefahren hatte. Außerdem hatte er nach dem Verlassen des Hafens den GPS-Tracker deaktiviert, der seine Position an den Bootseigner weitermeldete. Nur an die Notschaltung, die beim Kontakt mit Salzwasser ein Signal senden würde, kam er ohne Spezialwerkzeug nicht heran. Doch solange das Boot nicht sank …

Immer noch auf die Reling gestützt, stemmte Luke sich hoch. Die Vibrationen des Bootes pflanzten sich durch seinen ganzen Körper fort. Er vermied es, nach oben zu sehen. Der lodernde Feuerball der Nachmittagssonne ließ Lukes Schädeldecke glühen, und seine Zunge, beinahe ebenso trocken wie seine Kehle, schien auf das Doppelte ihrer normalen Größe angewachsen zu sein.

Er richtete den Blick nach vorn. Der Fahrtwind ließ seine Augen tränen.

»Unmöglich!«

Er schloss die Augen, dann riss er sie wieder auf. Die Insel war immer noch da und schwebte über dem Bug wie eine Fata Morgana. Doch im Unterschied zu einer Luftspiegelung besaß sie scharfe Konturen und flimmerte nicht. Eine dunkle Steilwand, die aus dem Meer emporragte. Da Luke keine Ahnung hatte, wie hoch die Wand war, konnte er die Entfernung kaum abschätzen, die ihn von der Insel trennte.

Barbados?

Er schüttelte den Kopf. Undenkbar, dass er so weit nach Südost abgedriftet war. Ein Blick auf den Kompass zeigte ihm, dass er immer noch Ostkurs hielt, mit einer minimalen Abweichung nach Norden.

Luke versuchte sich zu erinnern. Was befand sich östlich der kleinen Antillen-Insel Saint Lucia, von der er im Morgengrauen geflüchtet war?

Nichts! Nichts als offenes Meer, über 4000 Kilometer. Dann die Kapverdischen Inseln und dahinter, auf dem westafrikanischen Festland, Senegal.

Die Seekarte konnte er nicht zu Rate ziehen, denn die hatte er kurz nach seinem Aufbruch ins Meer geworfen, zusammen mit seinem Mobiltelefon. Dort, wohin er fuhr, benötigte er weder Telefon noch Karte.

Dort benötigte er gar nichts mehr.

Aber die Insel erweckte seine Neugierde. Da sie rasch anwuchs, konnte sie nicht allzu groß sein. Sie musste vulkanischen Ursprungs sein, vielleicht nicht mehr als ein im Lauf der Jahrtausende erodierter Krater. Die untere Hälfte der Wand war von einem erdigen Braun, oben überzog dunkelgrüner Bewuchs den Steilhang.

Luke Martin bückte sich nach dem Taschentuch, befeuchtete es erneut mit Spritzwasser und breitete es über sein sandfarbenes Haar. Sofort ließen die Kopfschmerzen nach, verschwanden jedoch nicht vollständig. Seine Kehle brannte, und das Schlucken schmerzte.

Er ließ sich auf den Pilotensitz fallen, drosselte die Geschwindigkeit und änderte den Kurs leicht nach Backbord, um links an der Insel vorbeizufahren. Sie war jetzt so nahe, dass Luke anhand der Pflanzen ihre Höhe schätzen konnte: drei- bis vierhundert Meter, vielleicht sogar mehr. Ein Vulkankrater, kein Zweifel. Wahrscheinlich war die Insel annähernd kreisförmig. Er beschloss, sie zu umrunden.

Er hatte nichts anderes vor, weder heute noch irgendwann.

In einer Entfernung von 150 Metern fuhr er an der Kraterwand vorbei und hielt dabei vergeblich Ausschau nach einer Bucht oder einer anderen Landemöglichkeit. Der Kegelstumpf stieg überall mit einem Winkel von 70 bis 80 Grad aus dem Atlantik. Weiter nördlich erstreckte sich jenseits des Kraters eine bewaldete Landzunge, vergleichsweise flach auf ihrer Oberseite, aber zum Meer etwa 100 Meter steil abfallend. Durch sie erhielt die Insel einen ovalen Grundriss.

Luke umrundete ein spitzes Kap, steuerte wieder nach Ost und dann nach Südost. Überall bot sich das gleiche Bild: kahle Lavahänge bis auf eine Höhe von 100 oder 200 Metern, darüber Bewuchs. Keine Spur von Bewohnern, nicht einmal auf der flachen Nordseite. Keine Häuser, keine Sendemasten auf dem Kraterrand – und keine Strände, Buchten oder Anlegestellen.

Keine Landemöglichkeit.

Die Antilleninseln waren fast alle vulkanischen Ursprungs, dennoch hatte Luke noch niemals eine so unzugängliche Insel gesehen. Er schätzte ihre Ausdehnung auf zweieinhalb mal dreieinhalb Kilometer, wobei die lange Achse von Nordnordwest nach Südsüdost verlief.

Kein Zeichen von Menschen …

Auch eine Insel, die so weit abseits aller Schifffahrtsrouten lag, musste vom Menschen erobert worden sein, selbst eine so unwirtliche wie diese. Der Mensch setzte sich überall fest, und hatte er dies erst einmal getan, war er nur sehr schwer wieder zu vertreiben.

Wahrscheinlich ist das Kraterinnere eine sonnendurchglühte Geröllwüste, dachte Luke.

Er lenkte das Boot noch näher an die Wand heran und fuhr auf einen Vorsprung zu, ein kleines Kap. Plötzlich überkam ihn die Vision von Palmen und Strohhütten am Ufer einer weit geschwungenen Bucht. Rote, blaue und grüne Fischerboote, die man an den Strand gezogen hatte …

Dann hatte er das Kap passiert, aber da war nichts, nichts als der Steilhang; kein Strand. Luke sah nicht einmal Vögel.

Halt! Was ist das?

Halb verborgen im harten Schatten eines Felsvorsprungs war etwas, das nicht hierher passte. Eine Struktur, die zu regelmäßig war, um auf natürliche Weise entstanden zu sein.

Er fuhr näher heran und kniff die Augen zusammen.

Ein Gitter!

Ein dickes Eisengitter, dessen Farbe aufgrund des Rostes beinahe identisch war mit jener des Vulkangesteins. Etwas zurückgesetzt, mindestens fünf Meter breit und ebenso hoch verschloss es auf Meeresniveau einen Zugang – oder besser gesagt: eine Zufahrt. Es sah aus, als ob ein Kanal in den Berg hineinführte.

Luke zwang das Boot in eine enge Kurve und steuerte es mit Unterstützung der Brandung bis zum Gitter. Mit einem dumpfen Ton, der etwas Endgültiges an sich hatte, stieß die Backbordseite gegen das Metall. Er stand auf, nahm eines der Taue in die linke Hand, streckte die rechte aus und lehnte sich über die Bordkante. An einem der Gitterstäbe verknotete er das Tau.

Die Augen mit den Händen gegen die Sonne abgeschirmt, spähte er ins Innere, konnte aber nur wenige Meter weit sehen. Der Kanal schien so breit und hoch zu sein wie das Gitter, mit annähernd rundem Querschnitt. Kein Licht am Ende; wahrscheinlich reichte er nur ein Stück weit in den Berg.

Aber welchen Sinn hatte er dann?

Luke musterte seine Hände, mit denen er sich am Gitter festgeklammert hatte. Sie waren rotbraun gefärbt von feuchtem, salzgetränktem Rost. Das Tor, das die Zufahrt versperrte, musste uralt sein.

Er rüttelte an dem Gitter. Es gab nach, aber nur wenige Zentimeter. Dabei entdeckte er, dass es in der Mitte geteilt war. Eine Eisenkette verband in Kopfhöhe zwei Gitterstäbe und wurde durch ein schweres Schloss gesichert. Weder Kette noch Schloss wiesen Spuren von Rost auf, nur etwas Salz hatte sich daran festgesetzt. Der Schluss lag auf der Hand.

Das Tor mag uralt sein, aber es wurde in jüngster Zeit benutzt!

Eine Erregung ergriff Luke, die ihn Kopfschmerzen und Durst vergessen ließ. Er ahnte, dass er einem Geheimnis auf der Spur war, und Geheimnissen hatte er noch nie widerstehen können.

Das Tor war an beiden Seiten im Vulkangestein verankert. Nur oben, wo der Stollen unregelmäßig ausgehauen war, gab es eine kleine Lücke, die jedoch groß genug für einen erwachsenen, nicht zu dicken Menschen schien.

Luke war nicht zu dick. Er war groß, kräftig und durchtrainiert. In den 29 Jahren seines Lebens hatte sein Körper noch kein Fett angesetzt.

Ich will wissen, was es mit dem Stollen auf sich hat!

Er legte Hemd und Unterhemd ab und bückte sich, um die Schnürsenkel zu öffnen, doch dann überlegte er es sich anders und behielt die Schuhe an. Die Gitterstäbe wiesen zueinander einen Abstand von etwa 25 Zentimetern auf, was den Aufstieg vereinfachte. Oben machte Luke sich so dünn wie möglich; dennoch schrammte ein messerscharfer Lavazacken an seinem Rücken entlang und hinterließ eine feurige Spur. Kaum dass er sich durchgezwängt hatte, sprang Luke ins Wasser.

Jetzt, wo das Auge nicht durch die Grelle des Sonnenlichts beeinträchtigt wurde, konnte er mehr erkennen: Ein Kai aus Beton bildete die linke Seite des Stollens. Luke schwamm daran entlang.

Es muss eine Leiter geben. Der Tidenhub in der Karibik ist zwar gering, aber doch vorhanden. Wenn … ah, da!

Er zog sich empor und fand sich auf dem Kai wieder, drei Meter breit und so lang, dass er sich in der Dunkelheit verlor. In regelmäßigen Abständen waren Poller zum Vertäuen von Schiffen angebracht.

Luke wartete, bis das Wasser aus seiner Hose geronnen war, und leerte dann die Schuhe aus. Nachdem er sie wieder angezogen hatte, schritt er den Kai entlang. Dunkelheit senkte sich über ihn. Nach annähernd 50 Schritten konnte er gerade noch erkennen, dass der Kai in einen Tunnel mündete, während rechts davon der Stichkanal endete.

Ein Hafen im Vulkan! Es kann kein besseres Versteck geben. Aber wofür? Schmuggler, die hier ein Lager oder eine Art Umladestation eingerichtet haben?

Er beschloss, dem Tunnel zu folgen, soweit das in der Dunkelheit möglich war. Vielleicht fand er einen Lichtschalter.

Er untersuchte die Wände zu beiden Seiten, jedoch ergebnislos. Aber kaum war er drei Schritte in den Tunnel eingedrungen, ertönte ein knatterndes Geräusch, wie wenn ein Motor gestartet wurde. Kaltes Neonlicht flackerte auf und warf Lukes diffusen Schatten auf einen groben Betonboden. Er erstarrte mitten in der Bewegung wie ein ertappter Einbrecher.

Dann entspannte er sich wieder. Nichts als das entfernte Nageln des Generators war zu hören. Wahrscheinlich hatte ein batteriegetriebener Bewegungsmelder den Generator und damit das Licht automatisch angeschaltet. Luke ging weiter.

Der Tunnel, mit etwa drei Metern ebenso breit wie hoch, führte schnurgerade ins Innere des Berges und somit wohl ins Innere des Kraters. Luke zählte seine Schritte. Als er bei 430 angekommen war, endete der Tunnel in einem zweiflügligen Stahltor. Luke rüttelte an der breiten Klinke. Es war verschlossen.

Die Enttäuschung ließ ihn seine Erschöpfung spüren. Er lehnte sich an die aus nacktem Fels bestehende Tunnelwand – und zuckte mit einem Schmerzenslaut zurück. Mit der linken Hand tastete er seinen Rücken ab. Als er sie zurückzog, war sie rot von Blut.

Er sah sich um. Rechts von dem Tor öffnete sich eine Felsspalte, breit genug für einen Mann. Kurzentschlossen betrat er sie.

Abermals flammte Licht auf. Es enthüllte eine eiserne Wendeltreppe, die sich in eine nicht abschätzbare Höhe schraubte.

Vielleicht führt sie bis auf die Spitze? Hoffentlich endet sie nicht ebenfalls in einer verschlossenen Tür!

Er begann mit dem Aufstieg, doch nach etwa zehn Höhenmetern erfasste ihn ein Schwindel, der ihn zum Stehenbleiben zwang. Feuerringe kreisten vor seinen Augen, und er klammerte sich so fest an das Geländer, dass seine Finger schmerzten. Die Erschöpfung aufgrund des Wassermangels und des Blutverlusts war zu groß. Doch er wollte nicht aufgeben.

Er öffnete die Augen und sah nach oben. Die enge Treppe schien zu tanzen.

Eine Stufe … dann noch eine … Ich will herausbekommen, welches Geheimnis diese Insel birgt, auch wenn es das Letzte ist, was ich tue!

Was in Anbetracht seiner Lage durchaus möglich war.

Stufe um Stufe schleppte er sich empor, wobei er jegliches Gefühl für Zeit und Raum verlor. Irgendwann hob er den Fuß, aber da war keine Stufe mehr, auf die er ihn hätte setzen können. Er stolperte und schlitterte einen Meter abwärts. Doch die Erkenntnis, dass er das Ende der Treppe erreicht hatte, verlieh ihm neue Kräfte. Er stemmte sich hoch und fand sich auf einer kleinen Plattform wieder, die in einer Tür endete.

Luke sandte ein Stoßgebet zum Himmel, legte die Hand auf die Klinke und drückte sie nieder.

Die Tür schwang auf.

Ein Sonnenstrahl bohrte sich in sein Sehzentrum und ließ ihn aufstöhnen. Er schwankte und konnte sich gerade noch am Türgriff festklammern. Zwei-, dreimal atmete er tief durch, dann blinzelte er und legte die Hand über die Augen. Die Sonne stand ein Stück über dem jenseitigen Kraterrand, was bedeutete, dass er sich nun im Inneren des ehemaligen Vulkans befand.

Luke trat zwei Schritte vor, bis an den Rand eines Abgrunds. Er wandte den Kopf von links nach rechts und wieder zurück, unfähig zu glauben, was ihm seine Augen vermittelten.

Er blickte in ein Paradies.

Dunkle, gezackte Bergrippen erhoben sich über einen fast geschlossenen Teppich aus grünen Baumkronen. Vogelstimmen erfüllten die absolut windstille Luft. Halbrechts, einen bis anderthalb Kilometer entfernt, ragte die Caldera eines kleineren Kraters aus dem Dschungel auf. Baumreihen zogen sich fast bis zu ihrer Spitze empor, militärisch exakt wie eine Schlachtordnung. Links davon eine Lichtung im Dschungel, auf der helle, rechteckige Strukturen zu erkennen waren.

Häuser!, durchzuckte es Luke. Also wohnen doch Menschen hier!

Gewaltsam riss er sich von dem unglaublichen Anblick los und sah sich um. Rechts von der Tür, die hinter ihm zugefallen war, begann ein Trampelpfad. In engen Serpentinen führte er nach unten.

Luke sammelte seine letzten Kräfte und machte sich auf den Weg.

Bald umfingen ihn die schier unendlich vielen Grünschattierungen des Dschungels, die nur vereinzelt durch bunte Blüten unterbrochen wurden. Alle Farben schienen hier intensiver als gewohnt, alle Geräusche schärfer – die unterschiedlichen Rufe von einem halben Dutzend Vogelarten, das Zirpen von Grillen sowie ein Keckern, das Luke nicht einordnen konnte. Sogar die Luft erschien dichter, aromatischer, und ihr fehlte der salzige Beigeschmack des Meeres, der Luke seit dem Morgen begleitet hatte.

Schließlich, nach einem Weg von mehreren hundert Metern, erreichte Luke den Kratergrund. Torkelnd wie ein Betrunkener folgte er dem Pfad, der unter seinen Füßen zu tanzen und zu bocken schien.

Eine Änderung in Farbe und Konsistenz des Untergrunds ließ ihn innehalten. Er stand mitten auf einem Weg aus festgestampfter und von Bewuchs befreiter Erde, und seine Ohren vermittelten ihm ein Geräusch, das nicht in die natürliche Kulisse passte: das engelhafte Klingen von Glöckchen.

Es kam rasch näher.

Luke wandte den Kopf und blinzelte. Ihm bot sich ein so bizarrer Anblick, dass er zu dem Schluss kam, dies alles – die Kraterinsel, der Tunnel, der Dschungel – sei bloße Halluzination. Er musste noch immer im Boot liegen, dem Tode durch Austrocknung nahe, und fantasieren.

Ein leichter Trabrennwagen, der von einer jungen Frau gezogen wurde, fuhr direkt auf ihn zu. Die Frau war aufgezäumt wie ein Pferd und trug einen Lederharnisch. Silberne Glöckchen tanzten an ihren bloßen Brüsten; und im Wagen saß ein Mädchen mit schulterlangen, schwarzen Haaren, das absolut nackt war und eine Peitsche in der rechten Hand hielt.

Die Fahrerin erblickte Luke in der gleichen Sekunde wie er sie. Sie schrie auf, riss mit der Linken am Zügel und ließ mit der Rechten die Peitsche durch die Luft sausen. Das »Pferd« kreischte und hielt mitten im Lauf inne. Dann warf es sich herum, so dass der Sulky seitlich zu kippen drohte. Der Fahrerin gelang es gerade noch durch eine blitzartige Verlagerung ihres Gewichts, ein Unglück zu verhindern. Im nächsten Moment bereits waren die beiden aus Lukes Sichtbereich verschwunden.

Die Erschöpfung übermannte Luke. Der grüne Dschungel, der braune Weg, der azurene Himmel – alles drehte sich um ihn herum. Dann vermischten sich die Farben zu wirbelnden Schlieren, die rasch dunkler wurden.

Er fühlte nicht mehr, wie er auf dem Boden aufschlug.

3

Der Kies spritzte, als Gamaleh den Sulky vor dem Haus ihrer Eltern zum Stehen brachte. Suhani sank hechelnd auf die Knie und fiel nach vorn, die Glöckchen verstummten. Mit einem Sprung war Gamaleh auf der Terrasse, ein zweiter brachte sie durch den Muschelvorhang in den Wohnraum.

»Ein Mann!«, rief sie. »Auf dem Weg zu Irina!«

Für einige Herzschläge war die Stille absolut. Dann ließ Tante Delis spöttischer Blick Gamaleh zusammenschrumpfen.

»Auch wenn Männer hier selten sind, solltest du dich mittlerweile an ihren Anblick gewöhnt haben.« Schneidend fügte Deli hinzu: »Kein Grund, hier hereinzustürmen und herumzuschreien!«

»Aber …« Gamaleh gestikulierte mit beiden Händen, auf der Suche nach den richtigen Worten. »Ein Fremder!«, brachte sie schließlich hervor. »Ein fremder Mann!«

Das ließ sogar Deli verstummen. Gamaleh blickte in weit aufgerissene Augen. Sariyah und Twila saßen stocksteif da, und Tante Delis Arm schien mitten in der Bewegung eingefroren.

Ayala brach den Bann. »Tom?« Ihre Stimme klang schrill. Sie sprang auf. »Ist es Tom? Ich muss zu ihm, ich muss ihn begrüßen!«

Im nächsten Moment redeten alle durcheinander, mit Ausnahme von Twila, die dem Tumult mit ratlosem Blick zusah.

»Sind die Schiffe schon angekommen?«

»Mein Mann hat doch gesagt …«

»Das ist völlig unmöglich.«

»Ich muss ihn begrüßen!«

Der Muschelvorhang klapperte, als ihn eine Hand teilte – eine sehnige, sonnengebräunte Männerhand mit schorfigen Knöcheln und hervortretenden Adern. Ein Schatten füllte den Rahmen der Tür beinahe aus.

Die Frauen verstummten, senkten die Köpfe und führten die aneinandergepressten Handflächen zur Stirn. Sogar Coreen in ihrem Käfig legte die Handflächen aneinander, wenn sie die Geste auch nicht zu Ende führen konnte.

»Was ist hier los?«

Da der Blick ihres Vaters auf ihr zu ruhen kam, antwortete Gamaleh, nun wesentlich gefasster: »Ich war mit Tante Delis Sulky auf dem Weg zu Irina, als ein Mann auf den Weg trat. Ein Fremder! Und er hatte kein Hemd an!«

Bob, Gamalehs Vater, trat vollends in den Raum. Ein Mann um die 45 mit einer beginnenden Glatze, einem gepflegten schwarzen Vollbart und einem ruhigen, stählernen Blick. Er trug einen blauen Arbeitskittel über einem weißen T-Shirt.

»Wo war das?«

»Etwa zwei Kilometer von hier, jenseits des Reservoirs.«

Etwas blitzte in Bobs braunen Augen auf. »In der Nähe des Hafens?«

Gamalehs Kopf ruckte hoch. »Ja, genau!«

»Ein einzelner Mann? Was tat er?«

»Er … stand einfach nur da. Ich bin sofort umgekehrt.«

Bob überlegte nur kurz. »Ich hole Sam und Dave. Gamaleh, du fährst voraus zu den Ställen. Schirre drei Ponygirls an – nein, vier, du wirst ein frisches brauchen. Du begleitest uns.« Er wandte sich an Deli und Sariyah: »Ihr geht nach Hause – jetzt.«

Die beiden standen sofort auf. Ayala wagte einen Einwand: »Wenn es Tom ist, sollten wir …«

»Tom kann es nicht sein, die Schiffe kommen erst übermorgen.«

Mehr hörte Gamaleh nicht mehr. Zwei rasche Schritte brachten sie auf die Terrasse, zwei weitere zu Delis Sulky. Koko, der Papagei, der neugierig herbeigeflogen war und sich auf dem Geländer niedergelassen hatte, musterte sie mit schiefgelegtem Kopf.

»Tut mir leid«, sagte Gamaleh zu Suhani und schwang sich auf den Sitz. »Wir müssen zu den Ställen. Es eilt.«

Die Glöckchen klingelten, das Ponygirl stemmte sich hoch. Sein heller Körper glänzte von Schweiß, und es atmete immer noch schwer. Aber Gamaleh musste es nur sacht mit der Peitsche am Rücken berühren, um ihm zu zeigen, dass sie es ernst meinte. Der Sulky wendete und preschte in Richtung der Ställe am Südrand des Dorfes, wo auch der Rundweg begann, der an der Innenseite des Kraters entlangführte.

Dort angekommen, verschwendete Gamaleh keine Zeit damit, Suhani auszuschirren, sondern klinkte nur eine der Ketten, die am Wassertrog befestigt waren, in ihr Halsband ein. Während das Ponygirl den Kopf ins Wasser tauchte und gierig soff, lief Gamaleh durch die offen stehende Stalltür. Düsternis und der charakteristische Stallgeruch empfingen sie. Sie rümpfte die Nase. Es war hoch an der Zeit, die Boxen auszumisten, und sie wusste, wen es treffen würde: Sie selbst hatte ab morgen Stalldienst.

Der langgestreckte Holzbau verfügte über zehn Boxen, davon waren derzeit sieben belegt, Suhani eingerechnet. Gamaleh entriegelte hastig die ersten vier Boxen, kettete die Ponygirls los und führte sie hinaus. Die Harnische trugen sie stets, daher musste sie ihnen nur die Kopfgeschirre und die beschlagenen Stiefel überstreifen und sie vor die Sulkys spannen, die im Schuppen nebenan lagerten. Auf die Glöckchen verzichtete Gamaleh.

Kaum standen die vier Gefährte bereit, kamen Gamalehs Vater sowie Sam und Dave im Laufschritt herbei. Beide trugen eine ähnliche Arbeitskleidung wie Bob.

Die Männer verloren keine Zeit. Bob gab Gamaleh einen Wink vorauszufahren, schwang sich in den zweiten Sulky und ergriff die Peitsche. Sekunden später waren die drei Männer und das Mädchen unterwegs.

Sie benötigten kaum 15 Minuten für die Strecke, und sie fanden den Fremden sofort. Gamaleh entfuhr ein Ausruf des Schreckens: Er lag verkrümmt auf dem Weg, sein Rücken war dunkel von verkrustendem Blut.

Während Gamaleh wortlos im Hintergrund wartete, wie es sich für eine Frau im Beisein von Männern geziemte, untersuchte Bob den Fremden kurz.

»Er lebt«, sagte er dann, »aber er ist bewusstlos.« Er wandte sich zu seiner Tochter um. »Wir bringen ihn ins Gästehaus, hol den großen Wagen. Rasch! Und ihr beide kontrolliert den Tunnel. Irgendwo muss sein Boot sein, vielleicht ist noch jemand an Bord.«

Aufgewühlt und erfüllt von düsteren Gedanken, jagte Gamaleh zurück zu den Ställen. Soweit sie sich erinnern konnte, war noch niemals ein Fremder auf Hiva erschienen. Boote kamen in unregelmäßigen Abständen und brachten Güter, die hier nicht hergestellt werden konnten, sowie Männer, die hier verheiratet waren. Manchmal befanden sich Besucher an Bord, aber wie Tom, Ayalas zukünftiger Ehemann, waren diese stets angemeldet.

Was mag er hier wollen?, dachte Gamaleh. Und wie hat er den Eingang gefunden?

Furcht stahl sich in ihr Herz. Was hatte das Erscheinen des Fremden zu bedeuten? War die Insel entdeckt worden? Falls dies geschähe – das hatte sie in der kleinen Schule des Dorfes gelernt –, würde sich das Leben aller Bewohner radikal ändern, und nicht zum Besseren.

Doch als das Stallgebäude in Sichtweite kam, beruhigte Gamaleh sich wieder. Das Vertrauen in ihren Vater und die anderen Männer war grenzenlos. Noch nie hatte es ein Problem gegeben, das die Männer nicht hatten lösen können.

Der große Wagen, mit einem Kutschbock und einer offenen Ladefläche, erforderte vier Ponygirls. Gamaleh schirrte ihr eigenes und Delis, das noch an den Trog gekettet war, aus und spannte sie neu ein. Dann holte sie die beiden letzten Ponys aus dem Stall, schirrte sie ebenfalls ein und sprang auf den Kutschbock. Sie ließ die Peitsche schnalzen.

»Hü!«

Sam und Dave waren noch nicht zurück, als Gamaleh wieder bei ihrem Vater eintraf. Gemeinsam hoben sie den bewusstlosen Fremden auf die Ladefläche. Er war groß, aber nicht so schwer, wie Gamaleh befürchtet hatte.

Sie musterte sein bartloses Gesicht. Das sandfarbene Haar bildete einen harten Kontrast zu der sonnenverbrannten Haut, die sich straff über eine breite Stirn und hohe Wangenknochen spannte: ein nordisches Gesicht. Ansätze von Fältchen entdeckte Gamaleh nur in den Augenwinkeln. Für sie, die in ihrem ganzen Leben kaum mehr als zwei Dutzend Männer gesehen hatte, war es schwer, sein Alter zu schätzen. In jedem Fall war er deutlich jünger als ihr Vater und älter als Dave mit seinen 21 Jahren.

Eine bislang unbekannte Wärme durchströmte Gamaleh, während sie den Fremden betrachtete.

Welche Farbe mögen seine Augen haben?, fragte sie sich.

Blau, dachte sie dann. Ganz gewiss. Zu diesem Gesicht passen nur blaue Augen.

In diesem Moment schlug er die Augen auf, und Gamaleh erschrak so sehr, dass sie mit einem Aufschrei zurückzuckte. Ein Blick aus klaren blauen Augen traf sie und glitt an ihr hinab. Seine Lippen bewegten sich.

»Verrückt!«, verstand Gamaleh.

Sein Kopf fiel zur Seite. Er hatte erneut das Bewusstsein verloren.

Gamaleh sah ihren Vater an. Was meinte er?, lautete ihre stumme Frage. Eine Frau sprach in Gegenwart eines Mannes nur, wenn sie dazu aufgefordert wurde.

Bob lachte. »Es hat ihn wohl überrascht, dass du nackt bist. Wahrscheinlich glaubte er zu halluzinieren.«

»Aber wie anders als nackt sollte ich sein?«, fragte Gamaleh verblüfft. »Ich bin eine Frau!«

Ihr Vater antwortete nicht, sondern schwang sich auf den Kutschbock. Gamaleh nahm neben ihm Platz.

»Wir bringen ihn ins Gästehaus. Deli soll die Wunde am Rücken versorgen. Sie ist nicht tief; ein paar Tage Ruhe sollten ihn wiederherstellen. Hü!«

Die vier Ponygirls stemmten sich ins Geschirr und trabten los.

4

Eine Flamme durchdrang die Dunkelheit, gelb und flackernd. Der Geruch von Olivenöl schwebte im Raum.

Luke schlug die Augen vollends auf. Er lag auf dem Bauch, den Kopf der Lampe zugewandt, die auf einem Nachttisch stand. Dumpfer Schmerz strahlte von seinem Rücken aus, und seine Kehle war trocken wie Salz. Zwischen seinen Schläfen schienen glühende Drähte gespannt zu sein.

Sein Blick irrte durch den Raum. Ein heller Fleck am Rand des Lichtkreises der Öllampe zog seine Aufmerksamkeit an. Er blinzelte die Schlieren aus den Augen.

Dort, auf dem bloßen Holzboden, saß mit untergeschlagenen Beinen eine nackte Frau.

Luke schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Die Drähte hinter seiner Stirn glühten stärker. Er stöhnte. Als er die Augen wieder öffnete, war die Frau verschwunden.

Verrückt!, dachte er. Entweder ich bin verrückt oder ich halluziniere. Vielleicht bin ich auch tot …

Er stützte sich auf beide Arme und hob den Oberkörper an, doch sofort erfasste ihn ein Schwindel. Seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr, und er fiel zurück in die Laken. Sein Geist trieb zurück in das Nichts, aus dem ihn ein Geräusch, ein Geruch oder der Schmerz gerissen hatte.

Er erwachte, als ihn jemand am Arm packte. Ein tiefer, röchelnder Atemzug füllte seine Lungen. Er hustete.

Diesmal war es heller in dem Raum. Zwei schalenförmige Öllämpchen, verziert wie altrömische Museumsstücke, standen auf dem Nachttisch, daneben ein Becher. Und über Luke schwebte das bärtige Gesicht eines Mannes. Die nahtlos in eine Halbglatze übergehende Stirn war in Falten gelegt.

Luke fuhr auf. Wieder drehte sich der Raum um ihn, aber diesmal glitt er nicht in die Bewusstlosigkeit zurück.

»Wo bin ich?« Jedes einzelne Wort schmerzte in seiner Kehle und in seinem Kopf.

Die Augenbrauen des Mannes vor ihm hoben sich. Er blickte kritisch, aber nicht unfreundlich auf Luke herab. »Wissen Sie das nicht?«

Eine Bewegung lenkte Lukes Aufmerksamkeit auf den Hintergrund des Raums. Eine zweite Gestalt schob sich in den engen Lichtkreis, gedrungen und breitschultrig, mit einem blonden Bürstenhaarschnitt. Dieser Mann war deutlich jünger als der andere, seine Haltung angespannter. Beide trugen bunte T-Shirts und kurze Hosen.

Luke wälzte sich herum und unterdrückte mühsam einen Aufschrei. Erst jetzt bemerkte er den Verband, der mindestens die Hälfte seines Rückens bedeckte.

Der Mann mit der Halbglatze machte eine beschwichtigende Geste. »Sie haben sich verletzt. Nicht schlimm, aber Sie haben viel Blut verloren. Was suchen Sie hier?«

Luke hob den Kopf, die einzige Bewegung, die er sich im Moment zutraute. »War das wirklich eine nackte Frau vorhin, oder habe ich geträumt?«

»Deli, meine Schwägerin. Sie hat Sie verarztet.«

»Klar.« Luke ließ den Kopf auf das Kissen zurücksinken. Er war noch nicht überzeugt, dass all dies Wirklichkeit war. Er schloss die Augen, wartete ein paar Sekunden und öffnete sie dann wieder. Die beiden Männer standen immer noch vor seinem Bett. Seine Hände glitten nach unten: Unter der dünnen Decke war er nackt.

Der Mann mit der Halbglatze deutete auf den anderen. »Das ist Sam, und mein Name ist Bob.« Er sah Luke an.

»Einfach nur Bob?«, fragte Luke und hustete abermals.

Bob nickte.

»Mein Name ist Luke.«

»Einfach nur Luke?«

Luke brachte ein Grinsen zustande. Er deutete auf den Becher. »Wasser?«

Bob reichte ihm den Becher. Er war aus Holz geschnitzt und mit klarem, kühlem Wasser gefüllt. »Langsam«, mahnte er, als Luke gierig danach griff. »Deli wird Ihnen gleich etwas zu essen bringen. Wie fanden Sie die Insel?«

In drei großen Zügen leerte Luke den Becher. Beinahe sofort fühlte er sich besser. Mit einem dankbaren Nicken gab er Bob den Becher zurück.

»Ich bin von Saint Lucia ge… aufgebrochen, heute Morgen. Oder war es gestern?«

»Wir fanden Sie am späten Nachmittag. Jetzt ist es zwei Stunden nach Sonnenuntergang. Also heute.«