Irrlichter und Gespenster - Max Kretzer - E-Book

Irrlichter und Gespenster E-Book

Max Kretzer

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Beschreibung

"Ja, ich will es offen gestehen, ich habe Dich mit Bewußtsein hierhergebracht, um Dir die goldene Brücke wieder zu bauen, um Dich vor dem Abgrund Deines Lebens zu bewahren! Noch hast Du nicht vor dem Altar gestanden, noch Dich nicht an ein Mädchen gekettet, das seiner Bildung und Abstammung nach nicht zu Dir paßt, das Dich elend machen wird, wenn Du erst dieselben Wände mit ihm teilst. Junge, Junge, höre auf mich. Es ist ein alter Mann, der zu Dir spricht. Mein Herz blutet in diesem Augenblick, wenn ich daran denke, daß mein Einziger, der Stolz seiner Eltern blindlings ins Verderben rennen will ..." Das Drama um Eberhard Treuling zwischen zwei Frauen spitzt sich zu. Sein Vater will ihn von der Ehe mit Hannchen abbringen, der Eberhard das Eheversprechen gegeben hat, aber sie ist "nur" eine ehemalige Arbeiterin, während Hertha Bandel die Tochter eines reichen Industriellen ist, mit dem der alte Treuling Millionengeschäfte machen will, und so treibt er sein Lieblingsprojekt der Verbindung der Familien Treuling und Bandel durch eine Ehe der Kinder weiter voran. Doch Eberhard hat seine Entscheidung bereits gefällt. Aber ist sie wirklich so unwandelbar, wie er am Anfang noch glaubt? – Max Kretzers großer bitterer Volksroman nimmt mit diesem dritten Band ein illusionsloses Ende.-

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Max Kretzer

Irrlichter und Gespenster

Volksroman

Bilderschmuck von Richard Lotter und Hans W. Schmidt

Dritter Band

Saga

Irrlichter und Gespenster

© 1892 Max Kretzer

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711502693

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Störung, Missverständnis und Wirrung.

Heinz befand sich im Gesellschaftsanzuge. Entgegen der Verabredung, am Abend mit Freudenfeld zusammenzutreffen, hatte er seinen Plan geändert. Er hatte sich über den Bankier geärgert und war, nachdem er sich von Hipfel getrennt hatte, auf den Gedanken gekommen, den Abend hier zu verbringen. So war er denn nach seiner Wohnung gefahren, hatte sich schleunigst ungezogen und war hier herausgeeilt. Als Hausfreund, der stets willkommen war, durfte er es sich gestatten, selbst zur ungelegenen Stunde zu erscheinen. Anton, in der Meinung, die Familie und Gäste seien nach wie vor in diesem Zimmer beisammen, hatte ihn auf die Thür gewiesen, durch welche er hereingetreten war.

Was Heinz besonders bewogen hatte, Bandels auch heute seinen Besuch zu machen, war die Ahnung kommender grosser Ereignisse, die sich hier hinter seinem Rücken abspielen könnten, hauptsächlich aber der bereits gehegte Verdacht, Eberhard könnte wirklich ein falsches Spiel treiben und die alten Beziehungen zu der Familie seines Gönners aufnehmen. Hinzu kam, dass ihn nicht zuletzt die Absicht drängte, bei Gelegenheit etwas über das, was er am Nachmittage über die geschäftlichen Verhältnisse der Firma Treuling erfahren hatte, fallen zu lassen. Stets darauf bedacht, Vorteil für seine liebe Person herauszuschlagen, witterte er, dass ihm das nur von Nutzen sein werde.

Schliesslich hatte er sich auch vorgenommen, Bandel um Rat darüber zu fragen, was er thun solle, um Hannchen vor dem Verluste ihres Geldes zu bewahren. Über diese Neuigkeit würde man jedenfalls am meisten in Staunen geraten und ihm infolgedessen das grösste Bedauern entgegenbringen. Alles natürlich zum Nachteile der von ihm gehassten Treulings!

Sein unverhofftes Erscheinen brachte Hertha zur Besinnung. Fast unbewusst stiess sie einen leichten Schrei aus, zog die Hände zurück und erhob sich.

Treuling, der einen ihm völlig fremden Herrn erblickte, that dasselbe. Er wusste nicht, ob er sich über den Störenfried ärgern oder freuen sollte. Von der Seite mass er ihn mit einem Blick, der nicht viel Gutes enthielt.

Heinz, der Treuling ebenfalls nicht kannte, das unbestimmte Gefühl aber hatte, einen gefährlichen Nebenbuhler vor sich zu haben, verbeugte sich und sagte höflich, aber mit unverkennbarem Spotte:

„Bitte um Entschuldigung, wenn ich gestört haben sollte ... aber ich hoffte, Ihre Eltern hier zu finden,“ fügte er, zu Hertha gewendet, hinzu. „Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen, Fräulein Hertha?“

Ganz vertraulich streckte er ihr die Hand entgegen mit der Absicht, dem anderen verstehen zu geben, was er sich hier erlauben dürfe.

Hertha, hochrot im Gesicht, beachtete diese Form der Begrüssung gar nicht; in diesem Augenblicke fand sie dieselbe mehr unverschämt als keck, trotzdem sie die Empfindung hatte, aus einer qualvollen Lage befreit worden zu sein.

Sie zitterte am ganzen Körper und hatte die dunkle Ahnung von einer ihr angethanen Schmach, gegen welche sie wehrlos wie ein Kind sei; sie nahm aber alle ihre Kraft zusammen, um sich zu beherrschen.

„Wenn Sie erlauben, ziehe ich mich sogleich wieder zurück,“ sagte Heinz wieder, von Ingrimm erfüllt über ihre Zurückhaltung.

„Bitte, bleiben Sie nur, Sie haben durchaus nicht gestört,“ presste sie mühsam hervor. „Darf ich Sie bekannt machen? Herr Tetzlaff — Herr Treuling.“

Heinz zuckte zusammen und verneigte sich leicht. Dann aber wollte er sich beliebt machen und zu gleicher Zeit den Herausforderer spielen. Er streckte Eberhard die Hand entgegen und sagte mit etwas unbeholfener Verbindlichkeit:

„Ah, freut mich ungemein. So habe ich doch endlich ’mal das Vergnügen, meinen zukünftigen Herrn Schwager kennen zu lernen ... Hannchen hat mir bereits viel von Ihnen erzählt.“

Nur mit Mühe bezwang er sich; am liebsten hätte er eine ganz andere Sprache führen mögen.

Er log; Eberhard, der das wusste, fiel sofort ein:

„Ich bedaure, Ihnen gestehen zu müssen, dass ich über Ihre Beziehungen zu Ihrem Fräulein Schwester etwas anders unterrichtet bin.“

Er beachtete die ihm dargereichte Hand ebenfalls nicht, hatte auch keinen Grund, sich über diese Begegnung besonders zu freuen. Unwillkürlich wandte er sich nach Hertha um. Völlig fassungslos stand diese gegen den Tisch gelehnt. Die flammende Röte in ihrem Gesichte war einer Blässe gewichen; stürmischer als zuvor klopfte ihr Herz, und es war ihr, als stürzte sie aus einer Tiefe in die andere. Noch immer vermochte sie den ganzen Vorgang nicht zu begreifen. Hatte sie sich doch getäuscht, Eberhard missverstanden? Sollte der kalte Ton, den er jetzt anschlug, der Beweis dafür sein, dass er mit der Familie Tetzlaff vollständig gebrochen habe? Vielleicht wollte er vorhin nur seine Grossmut zeigen, ihr beweisen, dass er unter dem Zwange der Verhältnisse sein bisheriges Verhältnis zu der anderen aufgebe, diese aber trotzdem noch für würdig halte, von ihr, Hertha, beachtet zu werden. ...

Ihre Neigung zu ihm war so gross, dass sie sich mit der Einfalt eines verliebten Mädchens nur zu gern jeder Möglichkeit hingab, die zu ihren Gunsten gesprochen hätte.

Heinz that so, als fühlte er sich durchaus nicht getroffen. „Wie soll ich das verstehen?“ fragte er lächelnd.

„Ich überlasse es Ihnen, den Sinn meiner Worte ganz nach Belieben zu deuten,“ erwiderte Treuling ruhig. „Ich meinerseits glaube nicht die Verpflichtung zu haben, mich in eine längere Erörterung darüber einzulassen.“

Dann wandte er sich kurz an Hertha:

„Darf ich um Ihren Arm bitten, gnädiges Fräulein? Ich bin überzeugt, dass man uns bereits erwartet.“

Hertha nickte nur; sie wusste kaum, was sie that. Und so legte sie denn ihren Arm in den seinigen und liess sich von ihm hinausführen.

Langsam schlenderte Heinz hinterher, mit der verbissenen Wut eines Menschen, der sich beiseite gesetzt fühlt und vergeblich nach Worten sucht, um seinem Groll Luft machen zu können.

Im Ecksalon war niemand, aber im Rauchzimmer standen Treuling der Ältere, Bandel und dessen Frau zusammen und unterhielten sich laut. Zufällig drehten sie alle drei Eberhard und Hertha die Rücken zu, so dass diese von ihnen nicht bemerkt wurden.

„Dass der auch heute gerade kommen muss!“ brachte Hertha atemlos hervor, eigentlich nur, um etwas zu sagen. „Haben Sie irgend etwas mit ihm vorgehabt?“ setzte sie dann hinzu.

„Persönlich nie etwas. Ich habe ihn heute zum erstenmale gesehen, Sie müssen das ja gemerkt haben.“

„Ich habe es ganz überhört ... Entschuldigen Sie nur — ich war im Augenblick so zerstreut.“

„Dann möchte ich Ihnen vorschlagen, in diesem aufgeregten Zustande sich lieber nicht Ihren Eltern zu zeigen. Bleiben wir noch ein wenig zurück, man scheint uns noch nicht gesehen zu haben,“ erwiderte er leise.

„Sie haben recht.“

Sie liess sich auf einem Sessel nahe dem Fenster nieder, und er lehnte sich hinter ihr gegen die Wand. Beide sprachen kein Wort; er hatte keine Lust dazu, und sie wartete auf irgend etwas, was er sagen würde und was eine Folge seiner Erörterung von vorhin sein könnte. Er sah aber, wie sie tief Atem holte und wie sie noch immer ganz ausser Fassung war.

Unter dem Vorhange der Thür, die auf der anderen Seite ins Musikzimmer führte, tauchte nun Heinz auf, ohne dass sie es bemerkten. Als er sie abermals beisammen sah, lächelte er spöttisch, hatte aber nicht den Mut, an ihnen vorüberzugehen. So zog er sich denn zurück und ging, da er die Stimmen der Alten gehört hatte, auf den Korridor hinaus, um von hier aus nach vorn zu gelangen. Es machte ihm nicht viel Umstände, da er sehr genau Bescheid wusste. Bevor er es aber wagte, einzutreten, erkundigte er sich bei Anton, der im Garderobenraum herumlungerte, wer alles anwesend sei.

„Der alte Treuling auch? Ach was!“

„Ja, die Herrschaften waren lange nicht hier,“ gab Anton ehrerbietig zur Antwort. Er hatte mit der Zeit die guten Trinkgelder des Künstlers schätzen gelernt und benutzte daher jede Gelegenheit, sich entgegenkommend zu erweisen. Und so fuhr er gleich fort, leise und unterdrückt, mit der Unverschämtheit eines schlauen Schlingels, der sich beliebt machen möchte:

„Die Herrschaften waren etwas gespannt, jetzt scheint aber die Versöhnung gekommen zu sein. Herr Treuling junior und das gnädige Fräulein kennen sich schon von Jugend auf.“

„So?“ warf Heinz gleichgiltig ein. Er hielt es unter seiner Würde, noch weitere Fragen zu stellen, trat vor den Spiegel, zupfte an seiner Krawatte und musterte sich von allen Seiten. Was er vernommen hatte, genügte ihm vollständig. Er überlegte einige Augenblicke, ob er ohne weiteres hineingeben sollte, dann aber sagte er:

„Wissen Sie, Sie könnten mich lieber anmelden.“

Anton blickte ihn verwundert an. „Wie Sie wünschen, Herr Tetzlaff,“ sagte er, trat an die Thüre, die ins Rauchzimmer führte und klopfte leise.

Hertha war allmählich ruhiger geworden. Wo steckt er denn nur? dachte sie und blickte hinter sich in der Meinung, Heinz werde ihnen gefolgt sein. Einige Augenblicke wartete sie; dann, als er nicht kam, wandte sie sich zu Eberhard:

„Sie sehen mich in einer grenzenlosen Verlegenheit — wollen Sie mir eine Frage geradezu beantworten?“ flüsterte sie.

„Verfügen Sie ganz über mich, Fräulein Hertha. Was es auch sei — Sie sprechen zu jemand, der Ihnen vollste Diskretion zusichert.“

Es lag etwas in seiner Stimme, was sie aufs neue zurückschreckte. Plötzlich erhob sie sich und ranschte ein paar Schritte von ihm weg.

„Nun?“ fragte er erstaunt.

„Nein, lassen wir es lieber!“ sagte sie leise wie zuvor. „Es sollte auch gar nichts besonderes sein — es ist ja alles dummes Zeug.“

Ihr Stolz empörte sich bei dem Gedanken, es könnte zwischen ihnen ein Missverständnis herrschen und sie die Gedemütigte sein ... Er soll nichts merken, niemals soll er die Gewissheit haben, falls man mir wirklich die Unwahrheit gesagt haben sollte! Entschlossenheit kam über sie; der Mut eines gekränkten Weibes, das mit Verzweiflung im Herzen es für notwendig hält, die Gleichgiltige zu spielen. Wenn wirklich alles für sie verloren war, dann brauchte er nicht anzunehmen, dass sie sich ihm aufdrängen wollte.

„Nun will ich Ihnen auch die Antwort auf Ihre Frage von vorhin geben,“ begann sie wieder, indem sie ihn fest anblickte und sich Mühe gab, ihre Haltung zu bewahren. „Ja, ich willige ein, treue Kameradschaft mit Ihnen zu halten. Schlagen Sie ein!“

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die er herzlich drückte, dann an die Lippen zog und küsste. Dabei fühlte er, wie ihr ganzer Körper erbebte.

„Sie sind gut und edel, Fräulein Hertha. Es mag viel Tugenden geben, aber die grösste ist doch die, Verzeihung zu üben und auch einem anderen Gutes zu gönnen. Haben Sie vielen Dank! Vielleicht bin ich anmassend, wenn ich behaupte, ich wäre Ihnen nie ganz gleichgiltig gewesen. Aber Sie können auch überzeugt sein, dass ich stets Verehrung für Sie gehabt habe.“

Er küsste ihre Hand aufs neue, und sie liess es ruhig geschehen. Widerstandslos durchkostete sie die ganze Seligkeit, die ihr seine Nähe bereitete.

Noch immer hörte man die Stimmen der übrigen aus dem Arbeitszimmer hereinschallen, das durch einen grossen Salon von diesem Zimmer noch getrennt war. Plötzlich kam sie zum Bewusstsein ihrer Lage. Sie entzog ihm die Hand und sagte einfach:

„Ihre Anerkennung meiner Tugenden ehrt mich sehr, aber ich bin nicht viel besser als Sie.“

„Finden Sie es wenigstens ehrenwert, Fräulein Hertha, dass ich ein Mann bin, der sein Wort hält! Ich weiss, Sie werden das Ihrige auch halten,“ erwiderte er, ganz betroffen von ihrem Aussehen.

Sie wusste genug, konnte sich aber nicht mehr bemeistern. Ihm abgewendet stand sie am anderen Fenster, stumm und unbeweglich. Das Zucken ihrer Schultern verriet, was in ihr vorging. Vorsichtig trat er auf sie zu; er sah die Thränen, die an ihren Wimpern hingen. Dieser Anblick rührte ihn, so dass er sie einige Augenblicke betrachtete, ohne etwas zu sagen.

Zum ersten Male fiel ihm ihre ganze, merkwürdige Schönheit auf: ihre herrliche Gestalt, der Glanz ihres Haares, die ganze Vornehmheit ihrer Erscheinung, die unzertrennbar von ihrer Umgebung war. Bisher hatte er sie immer nur als heiteres, leicht durchs Leben tänzelndes Geschöpf kennen gelernt, das ihm keiner tieferen Regung fähig erschien; nun aber glaubte er ein ganz anderes Wesen vor sich zu haben, mit anderen Sinnen und anderen Gedanken. Wie taktvoll sie sich benommen hatte, wie zurückhaltend sie sich zeigte, wie natürlich ihr die ganze Entwickelung des Verhältnisses zwischen ihr und ihm vorkam! Und doch konnte sie ihren Schmerz um das verloren gegangene Glück nicht verbergen. Wie tief musste sie ihn also lieben! ...

Merkwürdig — es war, als wollte sie ihn behexen. Und zum zweiten Male konnte er einen Vergleich zwischen ihr und Hannchen nicht zurückdrängen ... Wie würde sich diese Kleine wohl in einer ähnlichen Lage zurechtfinden, war der Anfang der stillen Betrachtung, die er austellte. Und plötzlich sah er sie im Geiste hier herumlaufen, sich ungeschickt benehmen, und sich selbst sah er als Hausherrn, der ihr ärgerlich Vorwürfe machte.

Dann nahmen seine Gedanken eine andere Richtung ... Du bist ein schlechter Kerl! ... Er verwünschte nun die Stunde, die ihn hierher geführt hatte und Vorstellungen und Bedenken in ihm wach rief, welchen er längst entgangen zu sein glaubte.

Endlich hielt er sich für verpflichtet, ein paar tröstende Worte zu sagen. Abermals ergriff er sanft ihre Hand und rief ihr mit gedämpfter Stimme zu:

„Fassen Sie sich, Hertha! Es thut mir im Herzen weh, dass ich die Veranlassung zu dieser Stimmung gegeben habe.“

Sie schämte sich ihrer Schwäche, aufs neue fühlte sie sich entschlossen. Sie richtete sich auf, fuhr mit dem feingewebten Taschentuch über die Augen, lächelte und sagte mit erzwungener Heiterkeit:

„Es ist schon vorüber. Sehen Sie, es ist mein Unglück, dass ich solche dumme Anwandlungen habe. Es wäre thöricht, Ihnen gegenüber zu heucheln. Ich war Ihnen gut, ich will es nicht leugnen ... Aber nun wieder lustig und guter Dinge! Ich bin Ihnen nicht böse, wahrhaftig nicht.“

Nochmals reichte sie ihm die Hand, die er nun in aufrichtiger Freundschaft drückte.

„Ich möchte mich jetzt nicht Ihrem Papa zeigen. Wollen Sie die Güte haben und Mama sagen, dass ich sie gern sprechen möchte?“

„Aber selbstverständlich.“

Er wollte forteilen, sie hielt ihn aber zurück.

„Einen Augenblick noch ... Sie versprechen mir doch, noch hier zu bleiben und zu thun, als wäre nichts Besonderes zwischen uns vorgefallen?“

„Sie können sich fest darauf verlassen.“

Nun wollte er gehen, als er unwillkürlich nochmals zögerte. Bandels Stimme war sehr laut geworden.

„Wer ist angekommen?“ schrie der Färbereibesitzer, mehr als er sagte ... „Herr Tetzlaff?“

Dann sprach er gedämpfter. Er sagte zu dem Diener etwas, was man hier nicht verstehen konnte. Dann klappte die Thür wieder ... wahrscheinlich war der Diener hinausgegangen.

„Das ist mir heute aber sehr unangenehm,“ sagte Bandel dann wieder laut. „Geh doch, Marie, und lootse ihn nach hinten! Wo bleibt denn nur unser Pärchen? ...“

Treulings Stimme wurde dann vernehmbar: „Du musst mich schon entschuldigen, wenn ich aufbreche, aber ich möchte dem jungen Mann wirklich aus dem Wege gehen.“

„Aber deswegen doch nicht? Thorheit! — Du bleibst hier. Jetzt soll’s ja erst gemütlich werden ... Das sind nun die Folgen von unserem Entgegenkommen. Jetzt kommt er schon ungerufen!“

Frau Bandel fiel ein: „Sei doch nur nicht so lant, er könnte Dich sonst hören ... Mein Gott, wir haben ihn ja verwöhnt ...“

„Nimm mir es nicht übel, aber Du allein hast die Schuld daran ... Du wolltest ein Wundertier haben. Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen.“

„Sei doch nicht so aufgebracht — was soll denn Herr Treuling denken!“ erwiderte sie.

„Meinetwegen keine Umstände! Wie gesagt, ich ziehe mich bald zurück,“ sagte Treuling abermals. „Jedenfalls möchte ich eine Begegnung mit ihm vermeiden — auf alle Fälle. Denken Sie deshalb nicht geringer von mir, beste Frau Bandel.“

„Du sollst ja auch mit ihm nicht in Berührung kommen ... gar keine Ursache zur Erregung, warf Bandel wieder ein. „Wie die Verhältnisse sich nun einmal gestalten, halt’ ich es auch fürs Beste, ihm einen Wink zu geben, für die Zukunft etwas weniger aufdringlich zu sein.

„Aber wir können ihn doch nicht hinauswerfen — ich verstehe Dich gar nicht!“ liess sich Frau Bandel aufs neue, lauter als zuvor, vernehmen. Man hörte, wie sie unruhig auf- und abging.

„Das wird nun davon abhängen, wer uns näher liegt, liebes Kind. Schliesslich hat das Kunstbeschützertum auch seine Grenzen. Dass Du einen Narren an ihm gefressen hast, weiss ich schon lange.“

„Sei so gut und mässige Dich ein wenig in Deinen Ausdrücken in Gegenwart eines Gastes.“

„O, betrachten Sie mich ganz als Nebensache,“ fiel Treuling ein.

„Entschuldigen Sie, wenn ich Zuhörer dieser Unterhaltung sein muss, Fräulein, aber es geschieht ja unfreiwillig — wie Sie sehen,“ sagte Eberhard, indem er sich wieder zu Hertha wendete. „Ich bin wirklich im Zweifel, was ich thun soll.“

„Ich wusste, dass diese Auseinandersetzung zwischen Papa und Mama einmal kommen würde,“ erwiderte sie. „Es ist doch wirklich eine sehr unangenehme Situation, um so mehr, da Sie selbst eine Aversion gegen ihn haben. Wirklich unangenehm, sehr unangenehm ... Da kommt ja Mama schon!“

In der That kam Frau Bandel angerauscht, rot vor Aufregung im Gesicht und mit dem deutlichen Ausdruck verhaltenen Ärgers.

„Denk Dir nur an, Tetzlaff ist hier!“ sagte sie sofort, indem sie Eberhard ganz übersah. „Ich werde irgend eine Ausrede gebrauchen, um ihn bald zum Gehen zu bringen.“

„Wir hatten bereits das Vergnügen, Mama ... Er war heute gerade so unausstehlich.“

„Das sagst Du auch mit einem Mal?“

Jetzt erst schien sie Eberhard zu bemerken und sich wieder bewusst zu werden, was für eine grosse Aufgabe sie und ihr Mann heute zu erfüllen habe. Und als sie beide anscheinend so gemütlich beisammen sah, glaubte sie, alles sei im schönsten Fluss und die erhoffte Aussprache zum Glücke der jungen Leute bereits erfolgt. Sofort bekam sie ihre Laune wieder.

„Sie werden erwartet, lieber Eberhard ... Entschuldigen Sie uns beide nur auf ganz kurze Zeit. Wir werden bald wieder auf der Bildfläche erscheinen.“

„Bitte sehr, gnädige Frau!“

„Lassen Sie doch endlich das ‚gnädige Frau‘. Es kleidet Sie jetzt wirklich nicht mehr.“

Sie nickte ihm wohlmeinend zu, nahm Hertha am Arm und rauschte mit ihr ins Musikzimmer.

Eberhard blickte ihnen einige Augenblicke nach. Diese Freundlichkeit fängt nun beinahe an, unheimlich zu werden, dachte er. Was mein zufälliges Auftauchen doch alles machen kann! Das sieht ja beinahe so aus wie eine Familienkomödie, die meinetwegen in Scene gesetzt worden ist. Plötzlich starrte er vor sich hin, mit halbgeöffnetem Munde, als hätte er die Lösung eines grossen Rätsels vor sich. Er wollte den Gedanken, der in ihm aufgetaucht war, von sich abwehren, aber es gelang ihm nicht. Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

War er denn vernagelt, trug er denn eine Binde vor seinen Augen, vermochte er nicht mehr richtig zu hören, dass ihm diese ganzen Vorgänge, dieses Wechselspiel von Entgegenkommen und Verständnislosigkeit unklar geblieben waren? Keine Frage — man hatte ihn hierher gelockt, um in letzter Stunde noch den alten Heiratsplan zustande zu bringen! Und die Angaben seines Vaters waren nur der Vorwand dazu, um ihn allmählich in die goldenen Fesseln hinüberzuleiten.

„Fein ausgeheckt, wirklich sehr sein!“ sagte er zu sich. Diese unblutige Verschwörung erschien ihm im Augenblick so komisch, dass er hätte auflachen mögen, wenn er allein gewesen wäre. Aber merkwürdig — schon im nächsten Augenblick dachte er viel ruhiger darüber, fand er gar nicht die Neigung, seinem Vater irgend welche Vorwürfe zu machen. Etwas Gutes würde er doch mit nach Hause nehmen, und das war die Enthüllung eines Mädchencharakters, wie er sie überraschender nicht erwartet hatte. Sonderbar, dass er nicht umhin konnte, immer aufs neue an Hertha zu denken. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ihm in diesen Minuten Hannchen ganz aus dem Gedächtnis gekommen.

Voll innerer Unruhe, die er sich nicht zu erklären vermochte, ging er längs der beiden Fenster, die nach der Strasse führten, auf dem weichen Teppich auf und ab, unsichtbar für die beiden Alten, die laut zusammen sprachen. Er hörte gar nicht darauf, dachte an nichts Weiteres als an seine Unterhaltung mit Hertha. War sie auf sein Erscheinen vorbereitet gewesen, oder war sie ahnungslos geblieben? Das war die Frage, die er sich wiederholt vorlegte. Die ganze Art und Weise des Empfanges sprach für die erstere Annahme, und doch hielt er sie einer unschönen Koketterie nicht für fähig. Schliesslich war er geneigt, sie auch in diesem Falle zu entschuldigen.

Konnte man es einem jungen Mädchen verdenken, wenn es alles aufbot, um den Mann zu erringen, den es liebte? Würde er als Mann in einem derartigen Falle nicht ebenso gehandelt haben? Und sie liebte ihn, wahr und aufrichtig mit jener Herzensgesinnung, die Unverfälschtheit heisst, weil sie sich auch in die Entsagung zu finden vermag. Alles das war ihm nun ausser allem Zweifel.

Seltsame Sprünge, die seine Auffassung machte! Auf was für einem Wege befand er sich denn, er, der den Verlobungsring bereits trug und allen Ernstes eine Verbindung fürs ganze Leben eingeben wollte, die er für unwiderruflich hielt? — eine Verbindung, über welche man im geheimen bereits zur Genüge gespöttelt hatte!

Und unwiderruflich deswegen, weil er als Mann von ausgeprägtem Ehrgefühl das Wort, das er im Liebesrausch gegeben hatte, zu halten gedachte? ... Und war das seine vielgerühmte Stärke, dass er so kurz vor dem Ziele wankelmütig wurde?

„Schlechter Kerl, Du!“ murmelte er vor sich hin, „schäme Dich. Hält man Dich für borniert, so ertrage es wenigstens mit Anstand und Würde.“

Endlich fand er es an der Zeit, diesen Einflüsterungen zweier unsichtbarer dunklen Gewalten ein Ende zu machen und sich bei den Alten sehen zu lassen. In dem Glauben, neugefestigt zu sein in seinen alten Anschanungen, schritt er auf sie zu.

„Na, wo haben Sie denn Hertha gelassen, lieber Eberhard?“ redete ihn Bandel sofort an.

„Sie versprach, sogleich wieder zu erscheinen — Ihre Frau Gemahlin hat sie in Anspruch genommen.“

„So. Dann entschuldigen Sie mich wohl auch auf einige Augenblicke — Ihr Papa weiss, warum. Ich bin sogleich wieder hier.“

„Bitte sehr, Herr Bandel, lassen Sie sich nicht abhalten.“

Eberhard blickte ihm nach, bis er hinten verschwunden war. Dann ging er einigemale im Zimmer auf und ab.

Treuling merkte sofort, was in seinem Sohne vorging, that aber so, als berührte ihn das nicht. Im Gegenteile warf er mit heiterer Miene leicht hin:

„Findest Du nicht, dass die Damen heute besonders aufgelegt sind?“

„Den Grund dazu wirst Du wohl am besten wissen,“ erwiderte Eberhard freundlich, aber kurz.

„Wenn man bedenkt — nach alledem, was zwischen uns vorgefallen ist,“ fuhr der Alte unbeirrt fort. Er hatte sich gegenüber der geöffneten Thür gesetzt und liess die Zimmer, die vor ihm lagen, nicht aus den Augen.

„Gerade das hat die grösste Verwunderung in mir erregt,“ siel Eberhard ein.

„Wie kann man sich über das höfliche Entgegenkommen gebildeter Leute wundern?“

„Unter so eigentümlichen Verhältnissen wohl, Papa. Hätte ich geahnt, dass dieser Besuch eine derartige Ausdehnung annehmen würde, so hätte ich es doch lieber vorgezogen, die freundliche Einladung abzulehnen.“

„Du hattest gar keinen Grund dazu — Beweis: die Liebenswürdigkeit, mit der man Dir wie in früheren Zeiten entgegengekommen ist.“

„Deren Zweck Du wohl ebenfalls kennen wirst.“

Treuling der Ältere that auch diesmal so, als verstände er seinen Sohn nicht. In demselben leichten Ton wie zuvor fuhr er fort:

„Die Hauptsache ist, dass Dich diese Liebenswürdigkeit nicht peinlich berührt hat.“

„Das gerade aber ist der Fall gewesen. Mir scheint es, als habe man hier gewisse Vorbereitungen getroffen.“

„Gewiss — zu unserm Empfang. Die Sache ist sehr einfach. Bandel hatte herübergeschickt hinter meinem Rücken. Es ist doch auch ganz selbstverständlich, dass man alte Bekannte würdig zu empfangen pflegt.“

Plötzlich blieb Eberhard vor ihm stehen und sagte eindringlich: „Höre, Papa, Du willst mich nicht verstehen — wir wollen uns doch keine Komödie vorspielen!“

Noch immer blieb der Alte unbeweglich, den Blick geradeaus gerichtet. „Wenn ich Dich bitten darf, sei nicht so laut, man könnte uns hören. Wir besinden uns nicht in unserem Hause.“

„Das weiss ich. Ich werde Dir auch nicht viel zu sagen haben. Sei nur so freundlich und beantworte mir die eine Frage: Hattest Du die bestimmte Absicht, mich hier wieder mit Bandel zusammen zu bringen?“

„Aber sei doch nicht komisch! Ich hatte Dir doch telephoniert, dass Du hier sein möchtest.“

„Ja, aber nur rein geschäftlich.“

„Aber lass mich doch nicht wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe. Es hatte sich eben alles so gemacht.“

„Ich habe aber den Eindruck empfangen, dass Mutter und Tochter der Ansicht lebten, ich wollte die alten Beziehungen wieder anknüpfen.“

„Ach was! Haben sie Dir das etwa in zarter Weise zu verstehen gegeben? Junge, dann könntest Du Dich ja glücklich schätzen, und Du wärst der grösste Narr dieses Jahrhunderts, wenn Du nicht noch in letzter Stunde zur Besinnung kämst.“

„Papa — es ist ja nicht zu glauben! Ja, jetzt verstehe ich alles! Also ein richtiges Komplott, um Dein Lieblingsprojekt verwirklicht zu sehen?“

Er trat ein paar Schritt zurück, verschränkte unwillkürlich die Hände und starrte seinen Vater gross an. Er wollte weiter sprechen, aber der Alte hatte sich mit Leichtigkeit erhoben, war auf ihn zugetreten und legte beide Hände auf seine Schultern. Und mit unterdrückter Stimme sagte er:

„Ja, ich will es offen gestehen, ich habe Dich mit Bewusstsein hierhergebracht, um Dir die goldene Brücke wieder zu bauen, um Dich vor dem Abgrund Deines Lebens zu bewahren! Noch hast Du nicht vor dem Altar gestanden, noch Dich nicht an ein Mädchen gekettet, das seiner Bildung und Abstammung nach nicht zu Dir passt, das Dich elend machen wird, wenn Du erst dieselben Wände mit ihm teilst. Junge, Junge, höre auf mich! Es ist ein alter, welterfahrener Mann, der zu Dir spricht. Mein Herz blutet in diesem Augenblick, wenn ich daran denke, dass mein Einziger, der Stolz seiner Eltern blindlings ins Verderben rennen will ... Nein, wende Dich nicht ab, höre mich weiter an! Es ist ein Verzweiflungs- und Warnungsruf zu gleicher Zeit, der aus mir schallt. Du bist ein Phantast, ein Schwärmer, aber kein vernünftig denkender Mensch — ein idealer Revolutionär, der im engen Kreise einen Ausgleich der gesellschaftlichen Unterschiede schaffen möchte! Aber Du wirst Dir den Schädel dabei einrennen, verlass Dich darauf. Geliebte und Frau sind zwei ganz verschiedene Wesen, zwei entgegengesetzte Pole, die man weit auseinanderhalten muss, wie die Natur es verlangt. Die Geliebte ist nur der Körper, die Frau ist aber die Seele und der Geist dazu.

„Und so wahr es ist, dass Feuer und Wasser sich nicht vertragen, so wird ein Mann von Deiner Erziehung und Deiner gesellschaftlichen Bildung niemals aus einer ehemaligen Arbeiterin eine Frau nach seinem Geschmacke machen. Du wirst sie nicht emporziehen, sondern sie wird Dich herunterziehen, sie wird nicht Deine Eigenschaften annehmen, sondern Du die ihrigen. Es ist nun einmal so im Leben: das Schlechte tötet das Gute im Menschen zehnmal eher als umgekehrt. Eberhard, Herzensjunge, unterliege nicht der Schwäche aus falschem Ehrgefühl, sondern zeige Dich als Mann, der mit den Thatsachen rechnet, wie sie sind! ... Ich strecke Dir die Hände förmlich entgegen, um Dich an die Brust zu ziehen und nicht mehr zu lassen.“

Noch niemals hatte Eberhard ihn so sprechen hören: mit bebenden Lippen und einem Ausdruck im Auge, wie ihn ein Verzweifelter hat, der die letzte Bitte seines Lebens ausspricht. Das war nicht mehr der kalte Geschäftsmann, der nur mit Zahlen rechnet, wie an jenem Abend, als sich das Gespräch um denselben Punkt gedreht hatte — das war der Vater, der mit übervollem Herzen zu seinem Sohne spricht.

Das bestimmte ihn, sanft zu antworten:

„Es thut mir herzlich leid, Papa, dass Du aufs neue darüber in Erregung gerätst. Lassen wir doch jetzt die ganzen Auseinandersetzungen — versuchen wir lieber, sobald als möglich uns zu empfehlen. Es betrübt mich wirklich, Dir nicht so danken zu können, wie Du als Vater es von mir erwarten könntest. Und das soll nicht etwa heissen, dass Deine Anschauungen unrichtig sind — im Gegenteil, ich bin gerecht genug, sie für richtiger als die meinigen zu erklären, wenigstens dem landläufigen Begriffe nach.“

„Nun, dann müsstest Du wahnsinnig sein, wenn Du nicht das thätest, was tausend andere Menschen in derselben Lage thun würden.“

Treuling der Ältere hatte das mit etwas schwacher Stimme gesagt, nachdem er die Hände von seinem Sohne zurückgezogen hatte. Es klang gerade so, als hielte er nun selbst seine Redekunst für erschöpft.

Eberhard war durch das Zimmer gegangen, blieb nun wieder stehen und fragte ruhig:

„Bandels wissen doch um Deine Absichten, nicht wahr? Jetzt kannst Du es mir ja gestehen ...“

„Ja, Du sollst nun auch alles wissen. Ich habe dem Alten gesagt, dass Du wieder vollständig frei seist, man hätte Dir das Jawort zurückgegeben.“

„Also hast Du Ihnen die Unwahrheit gesagt, Papa?!“

„Wenn Du es so nennen willst ...“

Eberhard ging wie ausser sich im Zimmer umher. Stumm rang er die Hände; dann rief er erregt aus: „Mein Gott, in was für eine Situation bin ich geraten! ... Und Hertha ist derselben Meinung, dass ich —?“

„Möglich, dass ihr Andeutungen darüber gemacht worden sind ... wahrscheinlich sogar.“

„Ja, jetzt ist mir ja alles begreiflich! Aber wie konntest Du nur —“

„Seid ihr denn zu irgend einer Aussprache gekommen?“

„Das kannst Du Dir doch denken ... wenn ihr die Sache so leicht gemacht wird ... Zum Glück hat unsere ganze Unterhaltung nur aus Andeutungen bestanden.“

„So? Sie ist also sozusagen aus Dir nicht klug geworden?“

„Was heisst klug geworden! Wir sind uns beide wie zwei grosse Rätsel vorgekommen.“

„Dann kann also die Lösung immer noch folgen,“ warf Treuling, nun wieder ruhig geworden, in einer Anwandlung von Heiterkeit ein.

„Ich begreife nicht, wie Du wieder eine lustige Miene zeigen kannst, Papa ... Ich muss mich nur schämen, ihr unter die Augen zu treten. Was werden die Alten dazu sagen, wenn sie von ihr die Aufklärung erhalten!“

„Wenn sie aus Dir nicht ganz klug geworden ist, so wird sie sich hüten, gleich alles verloren zu geben. Junge Mädchen sind darin etwas wunderlich, sie geben die Hoffnung nicht eher auf, bis der Prediger über den Scheitel der anderen den Segen ausgesprochen hat.“

Die leichte Art, mit der nun der Alte die unerquickliche Angelegenheit behandelte, reizte Eberhard zum Widerspruch:

„Mir wird nun weiter nichts übrig bleiben, als ihnen die Wahrheit zu sagen. ...“

„Damit ich vor ihnen als Lügner dastehe, was?“ warf nun sein Vater im Flüstertone ein. „Ich will Dir etwas sagen ... Gott ist mein Zeuge, dass ich’s nur gut gemeint habe. Bandels sind der Meinung, dass sich alles thatsächlich so verhält, wie ich es ihnen gesagt habe. Hinzu kommt, dass ich dabei bin, mit ihm ein grosses Geschäft zu machen, das mir Hunderttausende einbringen kann. Ich bin überzeugt, dass er sich nicht dazu entschlossen hätte, wenn er gewusst hätte, dass mit Dir noch alles beim alten wäre. Wenn Du mich aber sozusagen als Lügner hinstellen willst, der unter Vorspiegelung falscher Thatsachen Vorteil erlangen wollte, so wirst Du Deinen Vater heute zum letzten Male vor Augen gehabt haben. Das schwöre ich Dir bei dem Blut, das in meinen und Deinen Adern fliesst! So — und nun thue, was Du nicht lassen kannst!“

Der fürchterliche Ernst, der aus seiner Miene sprach, schüchterte Eberhard ein. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass sich das bewahrheiten könne.

„Gut! So bleibt mir denn nichts anderes übrig, als zu gehen. Wahrscheinlich werden die Herrschaften hinten noch eine Weile zurückgehalten werden. Du kannst ja irgend eine Entschuldigung gebrauchen. Meinetwegen sage, ich sei unwohl geworden, oder was Du willst ... nun ist ja doch alles aus!“

Er wollte der Thür zuschreiten, als der Alte ihn zurückhielt. „Du wirst bleiben!“ sagte er in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete.

„Nun gut, so mach mich zum Lumpen! Vielleicht gefällt es Dir besser, wenn ich mit Dir um die Wette henchle.“

„Was soll dieser Ton? ... Du hast Dich nach wie vor liebenswürdig zu benehmen — weiter verlange ich nichts! Wir werden bald aufbrechen, und dann wird sich vielleicht eine Ausrede finden ... Ruhig, es kommt jemand!“

Es war Bandel, der eiligst hereinkam und sich im Zimmer umsah.

„Ich dachte schon, er wäre hier,“ begann er ganz ausser Atem. „Wo steckt er denn eigentlich, der Mensch? Wir sitzen schon eine ganze Weile hinten und warten auf ihn. Wir haben nämlich jetzt beratschlagt, was wir heute für eine Ausrede gebrauchen werden, um ihn los zu werden. Entschuldigt beide meine Offenheit, aber die ganze Situation bringt es so mit sich. Hertha ist auch in einer Stimmung, dass sie sich nicht viel mit ihm unterhalten möchte. Ist ja auch ganz erklärlich — heute gerade. Nun möchte ich wirklich wissen — — ich sagte doch Anton, er sollte ihn nach hinten führen. Vielleicht ist er nach oben gegangen. Er hat nämlich die Unverfrorenheit, sich hier wie zu Hause zu fühlen. Treff’ ich ihn doch neulich, wie er oben dem hübschen Stubenmädel in die Wange kneift! Kriegt er alles fertig! Entschuldigt nur nochmals. Es wird nicht mehr lange dauern. Bitte, genieren Sie sich nicht, lieber Eberhard, greifen Sie in die Kiste und rauchen Sie!“

Nach diesen Worten drehte er sich um und ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Gegenseitige Abrechnung.

Kaum war Bandel wieder unsichtbar geworden, als es an der geschlossenen Thür klopfte und Heinz hereintrat. Er hatte eine Weile in dem kleinen Vorzimmer gesessen, in welches ihn Anton auf Wunsch des Hausherrn hereingebeten hatte unter der Ausrede, „Herr Bandel habe eben eine wichtige Konferenz“, war dann ärgerlich über diesen ungewohnten Empfang geworden und in ein kleines Seitenkabinet geraten, wo er sich einige ausgelegte Prachtwerke vorgenommen hatte. Und während man ihn hinten suchte, war er gerade wieder auf den Korridor und ohne weiteres ins Rauchzimmer getreten. In seiner Urwüchsigkeit glaubte er hier niemals viele Umstände machen zu brauchen, was wohl auch zum Teil daher kam, dass man ihn daran gewöhnt und sich befleissigt hatte, ihm selten etwas übel zu nehmen.

Als er die beiden Treulings erblickte, die er hier nicht mehr erwartet hatte, war aber ebenso verblüfft wie vor einer halben Stunde, als er Eberhard und Hertha überrascht hatte. Sofort aber fand er mit der Sorglosigkeit, die ein Hauptzug seines Wesens war, den richtigen Ton.

„Guten Abend! ... Bitte um Entschuldigung,“ begann er mit einer Verbeugung, die diesmal nur Treuling dem Älteren galt; „aber ich glaubte soeben, die Stimme des Herrn Bandel zu vernehmen ... Haben Sie ihn vielleicht gesehen?“

Der Alte drehte ihm den Rücken zu mit der deutlichen Absicht, sich seiner Aufdringlichkeit auf diese Art zu entledigen. Dafür erwiderte Eberbard kalt und gemessen:

„Allerdings war Herr Bandel soeben hier ... er suchte Sie. Wenn ich mich nicht täusche, so werden Sie von den Herrschaften hinten im Familienzimmer erwartet.“

„So?“ fiel Heinz mit einem spöttischen Lächeln ein.

„Ja ... Man wird sich jedenfalls sehr freuen, Sie zu sehen,“ fügte jener noch mit leichtem Spotte hinzu. Die letzten Vorgänge hatten ihn dermassen erregt, dass ihm ein ernstlicher Zusammenstoss mit Heinz gleichgiltig gewesen wäre.

Dieser war blass geworden, weniger infolge der Nichtachtung, die man ihm hier zu teil werden liess, als ans Gründen, die mit seiner Furcht vor kommenden Ereignissen zusammen hingen. Er hatte das unbestimmte Gefühl, als ginge hinter seinem Rücken etwas vor, was seinen Beziehungen zu diesem Hause ein für allemal ein Ende bereiten könnte.

„Also man erwartet mich? ... Ach, ich weiss schon — zu einer wichtigen Unterredung in Familienangelegenheiten!“ sagte er dann nach einer Pause der Verlegenheit. Die letzten Worte hatte er stark betont; sie klangen wie eine versteckte Drohung.

Er war schon bis zur Thür gekommen, als zum grossen Erstaunen Eberhards Treuling der Ältere plötzlich sagte:

„Irre ich mich nicht, so wollte Herr Bandel sofort zurückkehren, um Sie hier zu sprechen ... Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, uns einstweilen Gesellschaft zu leisten.“

Er war wie umgewandelt, zeigte die freundlichste Miene von der Welt und schob sogar Heinz einen Sessel entgegen. Diese Änderung seiner Gesinnung hing eng mit dem in ihm aufgetauchten Verdacht zusammen, der junge Bildhauer könnte Bandel die trübe Lage des Hauses Treuling enthüllen. Er traute diesem Menschen nicht, der bereits heute nachmittag einen so unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht hatte und nun hier mit einer Miene herumlief, als müssten sich alle vor ihm fürchten. Heinz stutzte; dann aber, ersichtllich geschmeichelt durch dieses Entgegenkommen, erwiderte er mit einer höflichen Verbeugung: „Wenn Sie erlauben, bin ich so frei.“ Aha, er hat Angst! dachte er dabei .. Meinetwegen, so bleibe ich hier und warte, was nun kommen wird. Vielleicht gehen sie bald, und dann bleib’ ich allein hier.

Was ihn besonders zurückhielt, war der verschlossene Hass, den er Eberhard entgegenbrachte, und den er zu gern durch irgend etwas zum Ausdruck gebracht hätte. Er wartete förmlich auf den Augenblick, wo er mit ihm irgend ein Wortgefecht hätte vom Zaun brechen können, um ihm die Larve vom Gesicht zu reissen ... So ein Spitzbube, steht vor der Hochzeit mit meiner Schwester und versucht hier das alte Verhältnis wieder aufzunehmen, waren immer dieselben feindlichen Gedanken, die er seit einer Viertelstunde gegen jenen hegte. Trotzdem freute er sich darüber, dass seine Annahme vom Nachmittage sich nun verwirklicht hatte.

Eberhard war über die Aufforderung seines Vaters so verblüfft, dass er kein Wort zu sagen vermochte. Erst als er sah, dass Heinz ohne Zwang Platz nahm, die Hände in die Hosentaschen vergrub und ein Bein übers andere schlug, fiel er, zu dem Alten gewendet, ein:

„Du hast Dich wohl geirrt, Papa. Herr Bandel erwartet den Herrn bestimmt hinten ...“

„Aber nicht doch, Du irrst Dich,“ erwiderte Treuling und zwinkerte ihm mit den Augen zu. In seiner Erregung bemerkte Eberhard das nicht, und so sagte er aufs neue:

„Aber ich begreife Dich nicht! ... Die Damen erwarten den Herrn ja ebenfalls.“

„Ganz recht, aber zuvor wollte Herr Bandel bier erscheinen.“

„Aber streiten Sie sich doch nicht meine Herren,“ warf Heinz keck dazwischen. „Das ist ja auch schnuppe, wer von Ihnen recht hat. Ich kann mir wohl denken, dass Herr Bandel mich mit Ihnen bekannt machen wollte. Er weiss gewiss nicht, dass ich bereits das grosse Vergnügen hatte.“

Er machte eine leichte Kopfneigung nach rechts und links und fuhr fort: „Ich bitte also um die Vergünstigung, Ihre Gesellschaft so lange teilen zu dürfen.“

Neben ihm auf einem kleinen Tische stand die Kiste mit Zigarren. Er griff hinein, langte eine der „ausgewählten“ hervor, schnitt die Spitze ab und gab sich Feuer. Alles das that er mit einer Ruhe und Gelassenheit, als brauchte er nicht die geringste Rücksicht zu nehmen.

„Soviel ich weiss, liegt Herrn Bandel sehr wenig daran, diese Bekanntschaft zu vermitteln,“ fiel Eberhard rücksichtslos ein.

„Ihretwegen wohl?“ fragte Heinz herausfordernd. Seine Zuversicht schwand, seine Ahnung, dass man gegen ihn etwas im Schilde führe, verwandelte sich sofort in Gewissheit. Nur mit Mühe bewahrte er seinen Gleichmut, als er die ersten Rauchwolken von sich stiess.

„Wenn diese Bemerkung eine Beleidigung enthalten soll, so muss ich Ihnen zu meinem Bedauern hierauf erwidern, dass Sie mich gar nicht beleidigen können,“ erwiderte Eberhard mit einem Achselzucken, das seine Verachtung andeuten sollte.

„Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit,“ warf Heinz ein, ohne seine Lage zu verändern. „Da Sie diesen Ton anschlagen, so kann ich Ihnen dreist sagen, dass mir durchaus wenig daran liegen kann, offiziell Ihre Bekanntschaft zu machen. Ihren Wert habe ich bereits zur Genüge erkannt.“

„Ah, Sie sind ein ganz — —“

Die übrigen Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Gleich einer Sprungfeder war Heinz emporgeschnellt und dicht vor ihn hingetreten.

„Was soll ich fein? Sprechen Sie es aus!“ schrie er ihn, seiner Sinne kaum mehr mächtig, an. Er überragte Eberhard um Kopfeslänge, unwillkürlich trat dieser einen Schritt zurück.

„So wagen Sie es doch auszusprechen, wenn Sie den Mut dazu haben!“ brachte Heinz abermals ohne Mässigung hervor.

Treuling trat dazwischen.

„Aber ich muss doch bitten!“ sagte er in der Absicht, sie auseinander zu bringen. „Ich kann mir ja denken, dass mein Sohn keine Veranlassung hat, Sie allzu höflich zu behandeln. Sie werden sich wohl noch der Äusserung erinnern, die Sie über ihn in meinem Hause gemacht haben.“

„Sehr liebenswürdig von Dir, lieber Papa, aber ich werde mit diesem Herrn schon allein fertig werden. Ich werde einfach den Diener zu meinem Schutze herbeirusen. Ich war allerdings nicht darauf vorbereitet, hier einem Rowdy zu begegnen, der auf seine Körperlänge zu pochen scheint.“

Er wollte wirklich auf den Knopf der elektrischen Klingel an der Wand drücken, als sein Vater ihn davon abhielt. „Um Himmels willen, nur kein Aufsehen machen! Wir müssen ihn auf andere Weise los werden,“ raunte er ihm zu.

„Und ich war nicht darauf vorbereitet, einem ehrvergessenen Menschen zu begegnen, der seine Braut auf das gemeinste betrügt und hintergeht, indem er alte Beziehungen hier wieder aufzunehmen gedenkt.“

Eberhard war bleich wie Wachs geworden. Er zitterte am ganzen Körper. Beide standen sich gegenüber und massen sich mit ihren Blicken wie zwei Gegner, die sich im nächsten Augenblick entgegenstürzen wollen. Plötzlich aber sagte sich Eberhard, dass ihm die grösste Ruhe allein zum Siege verhelfen könne. So bezwang er sich mit aller Gewalt, drehte ihm den Rücken zu und sagte im wegwerfenden Tone:

„Sie sprechen wirres Zeug, das ich nicht verstehe. Fräulein Bandel sowohl als ich stehen zu hoch gewissen Leuten gegenüber, als dass diese imstande wären, durch ihre unnoble Gesinnung etwas zu erreichen.“

„Es wird Ihnen nicht gelingen, sich rein zu waschen,“ fuhr Heinz fort. „Oder wollen Sie bestreiten, dass Sie vorhin mit Fräulein Bandel Hand in Hand in einer Situation von mir betroffen wurden, die sich für einen Bräutigam, der mit einer anderen vor den Altar treten will, durchaus nicht schickt? Nur Menschen, die schon sehr vertraut miteinander sind, pflegen so beieinander zu sitzen und sich Liebenswürdigkeiten zu sagen.“

In diesem Augenblick hatte Treuling der Ältere die Empfindung, als hätte man ihm soeben die Nachricht gebracht, seine Börsenschuld sei nur eine eingebildete gewesen und der Verkauf seiner Grundstücke an die Stadt habe bereits mit einem ungeheuren Nutzen für ihn stattgefunden.

Ei, so weit waren sie also schon gekommen! dachte er. Nun verstehe ich auch die Aufgebrachtheit dieses Burschen. Natürlich ist er eifersüchtig und wütend darüber, dass man ihn jetzt beiseite schiebt.

Treuling der Ältere nahm plötzlich eine sehr ernste Miene an und sagte, nachdem er einen Blick in die Nebenzimmer geworfen hatte:

„Ich kann meinem Sohn nur völlig recht geben, wenn er es von sich weist, sich mit Ihnen in eine längere Auseinandersetzung einzulassen, die gar keinen Zweck hätte. Wenn Sie sich schon davon überzeugt haben, wie die Dinge liegen, so begnügen Sie sich gefälligst mit der genommenen Kenntnis und warten Sie die weitere Entwicklung ab. Ich glaube nicht, dass es Herrn Bandel angenehm berühren wird, zu hören, in was für einen Ton Sie hier verfallen sind.“

„Wissen Sie was, mein Herr?“ fiel Heinz ihm schnell ins Wort, indem er sich nun zu ihm wandte, „behalten Sie Ihre Belehrungen und Weisheiten für sich! Dass Sie die schmähliche Handlungsweise Ihres Herrn Sohnes verteidigen werden, das ist nur ganz selbstverständlich. Sie stecken eben beide unter einer Decke. Aber hören Sie ...,“ wandte er sich wieder alt Eberhard, „wenn Sie wirklich die Absicht haben sollten, meine Schwester noch im letzten Augenblicke sitzen zu lassen, um sich hier wieder heranzumachen, dann thue ich doch noch das mit Ihnen, was ich Ihrer Frau Mama bereits angekündigt habe: ich schlage Sie windelweich, wo ich Sie finde. Merken Sie sich das!“

Er zeigte sich durchaus nicht eingeschüchtert, that vielmehr so, als hätte er einen kleinen, ungezogenen Jungen vor sich, den er mit Erziehungsmassregeln drohen müsse. Gleichmässig stiess er den Dampf seiner Zigarre von sich. Die Hände in den Hosentaschen, hatte er sich wieder breitbeinig mit herausfordernder Miene vor Eberhard hingepflanzt.

„Ich glaube, Ihnen bereits einmal angedeutet zu haben, dass ich nicht gewohnt bin, auf einen derartigen Ton näher einzugehen,“ erwiderte dieser möglichst ruhig und gefasst. „Ich will zu Ihren Gunsten annehmen, dass Sie im Augenblicke nicht genau wissen, was Sie sprechen. Bei näherer Prüfung werden Sie selbst zu dieser Erkenntnis kommen müssen.“

„Ja, ich begreife gar nicht, wie Du Dich noch über die Tonart dieses Herrn wundern kannst,“ platzte nun Treuling sen dazwischen, der jede Gelegenheit benutzen wollte, nur seinem Ziele näher zu kommen: „Du hast doch wirklich Zeit genug gehabt, um Deine zukünftige Verwandtschaft näher kennen zu lernen. Eben wieder bekamst Du einen Beweis ihrer Gesellschaftsfähigkeit.“ Er lachte kurz und unterdrückt auf.

Eberhard fühlte diesen Stich und presste die Lippen aufeinander. Schweigend wandte er sich ab. Es geschah zum erstenmal, dass er sich nicht veranlasst fühlte, seinem Vater unrecht über diesen Punkt zu geben.

„Wenn Sie glauben, mich damit zu treffen, so irren Sie sich, alter Herr,“ wandte sich jetzt Heinz dem Fabrikbesitzer zu. „Ich habe mich längst für eine derartige Verwandtschaft bedankt.“

Er mass den Alten mit einem langen Blick von unten bis oben und fuhr fort: „Sie scheinen vieles mit jenen Leuten gemein zu haben, denen es mehr auf das Geld ankommt, als auf die Person. Als es sich darum handelte, uns fünfzigtausend Mark abzunehmen, war Ihnen die Verwandtschaft wohl gut, he? Und jetzt, da das Geld so gut wie flöten ist, möchten Sie sich von der Verwandtschaft drücken. Aber Sie werden mir morgen Rechenschaft abzulegen haben — verstehen Sie?!“

Er wollte noch etwas hinzufügen, aber ein kurzes, heiseres Lachen des Fabrikbesitzers, das wie ein schriller Aufschrei klang, liess ihn nicht dazu kommen:

„Da hast Du’s, da hast Du’s!“ rief dieser laut aus, ganz vergessend, wo er sich befand. „So etwas muss ich mir nun ins Gesicht sagen lassen, und Du warst es, der mir das Geld ins Hans gebracht hat. Förmlich aufgedrängt hat man es uns! Gehen Dir jetzt noch nicht die Augen auf?“

Ganz verstört im Gesicht, lief er im Zimmer umher. In diesem Augenblick fühlte er sich tödlich verletzt, empfand er doppelt die Schmach, die mit einer Verbindung der Familie Tetzlaff drohte. Ganz ausser sich vor Aufregung warf er sich dann in einen Sessel, holte tief und lang Atem, erhob sich wieder und blieb unentschlossen stehen.

Er wusste nicht, was er thun sollte. Jeden Augenblick konnte Bandel wieder auftauchen, und dann musste er gewärtig sein, noch weit schlimmere Dinge von diesem zudringlichen Menschen zu hören zu bekommen.

Eberhard merkte, was in ihm vorging. Dieselbe tiefe Entrüstung hatte ihn gepackt, die aufrichtig war, weil er nicht ahnte, was für eine Anklage sich unter Heinzens Worten verberge. Plötzlich hielt er es an der Zeit, dem unerquicklichen Auftritt ein Ende zu machen.

„Es thut mir leid, Papa, Dich so aufgeregt zu sehen. Aber Du hättest wirklich gar keine Ursache dazu gehabt. Dieser Herr hat gar nicht das Recht, seine Familie zu vertreten, die eine durchaus achtbare ist. Er gehört ebensowenig noch in sie hinein, wie er in die anständige Gesellschaft überhaupt hineingehört. Und deshalb wird er die Freundlichkeit haben, auf der Stelle dieses Haus zu verlassen, bevor ich sofort Herrn Bandel nebst Frau und Tochter hierher bitte, um ihnen die Geschichte von einem entarteten Sohn zu erzählen, der seinen Vater auf dem Totenbette bestahl, seine Brüder und Schwestern betrog und bei Nacht und Nebel wie ein richtiger Dieb ausrückte, um das gestohlene Gut so schnell als möglich an den Mann zu bringen! ... Seltsame Widersprüche im Leben: ein Mensch, der den Idealen nachstrebt, baut seine ganze Zukunft auf einer niederträchtigen That auf! Und das schlimmste ist, er täuscht alle Welt: er hat immer ein gewinnendes Lächeln auf seinen Lippen, wo er schamvoll in eine Ecke kriechen sollte. Er schleicht sich in anständige Familien ein, nistet sich in den Herzen edeldenkender Menschen fest, beutet ihre Schwächen aus und benimmt sich zum Dank dafür wie ein Strassenkehrer. ... Haben Sie mich nun verstanden? Oder soll ich noch deutlicher sein?“

Heinz hatte alle Farbe verloren. Ihm war zu Mute, als risse man ihm stückweise die Kleider vom Leibe, um ihn dem öffentlichen Hohne preiszugeben. Er fand zuerst gar nicht die Kraft, irgend etwas zu erwidern, starrte vielmehr mit dem Ausdrucke eines Verrückten, der die Sprache verloren hat, halb geöffneten Mundes auf Eberhard. Auf alles das war er nicht vorbereitet gewesen. Und er fand auch nicht den Mut, sich vom Fleck zu rühren, um sich Eberhard gegenüber zu einer Thätlichkeit hinreissen zu lassen, wie er es diesem erst vor wenigen Minuten angedroht hatte.

„Wer hat Ihnen denn das alles aufgebunden?“ presste er endlich, heiser vor erstickter Wut, hervor. .. „Wohl meine Schwester, hä?“ fügte er dann nach einer Pause hinzu.

„Da Sie es wissen, brauche ich es Ihnen ja nicht erst zu sagen ... Wollen Sie nicht die Güte haben, uns schleunigst zu verlassen — im anderen Falle würde ich mich genötigt sehen, Herrn Bandel herzubitten!“

„Ich glaube im Interesse dieses Hauses zu handeln, wenn ich die Aufforderung meines Sohnes unterstütze,“ fiel Treuling ein, dem nichts willkommener erschien als die Entfernung Heinzens, bevor Bandel käme.

„Was Sie betrifft, ehrenwerter Herr, so habe ich Ihre Schliche bereits durchschaut!“ schrie Heinz ihn wie besinnungslos an. „Sie haben eine Viertelmillion an der Börse verloren, stehen vor der Pleite und wollen diese Heirat hier nun einfädeln, um sich mit der Mitgift aus der Patsche zu helfen. Ja, blicken Sie mich nur so gross an, ich habe ebenfalls meine Beziehungen zur Börse. Aber man wird Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen!“

„Unverschämter!“ brachte Treuling der Ältere zitternd vor Erregung hervor. Das Angstgefühl trieb ihn an die geöffnete Thür, um abermals einen Blick in die Nebenzimmer zu werfen. Dazu gesellte sich die Ohnmacht eines Menschen, der einen fürchterlichen Schlag empfangen hat, ohne sich dagegen wehren zu können. Weil er im Augenblicke nichts Besseres zu thun wusste, so drückte er auf den Knopf der Klingel.

Anton erschien.

„Dieser Herr wünscht seine Garderobe zu haben,“ sagte er, indem er sich den Anschein gab, als handelte er mit Ruhe und Überlegung.

„Was wollen Sie?“ schrie ihn Heinz abermals an.

„So geben Sie dem Herrn die Garderobe lieber draussen, wenn er es durchaus wünscht,“ wandte sich Treuling der Ältere aufs nene dem Eingetretenen zu.

Anton blickte beide einige Augenblicke an, als hätte er zwei Menschen vor sich, die ihren Verstand verloren haben. Dann aber begriff er und erwiderte unterthänig: „Wie die Herren befehlen.“

Im Bewusstsein seiner steten Pflichterfüllung öffnete er die Thür zum Korridor, um Heinz zuerst hinauszulassen.

„Es hat keine Eile, Anton,“ fiel Heinz mit der herablassenden Handbewegung eines hohen Offiziers ein, der die Ehrenbezeugung einer Schildwache abwinkt.

„Wie Sie befehlen,“ sagte der Diener arglos und zog sich zurück. Schliesslich habe ich doch nur einem Herrn zu dienen, und nicht dreien, dachte er.

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als Eberhard ausrief: „Ah, da kommt ja Herr Bandel! ...“

Er sah ihn nicht, aber er griff zu diesem Mittel, um Heinz aufs neue einzuschüchtern. Dieser machte eine Bewegung, als wollte er sich auf einen von beiden stürzen. Dann mass er sie zu gleicher Zeit mit Blicken von oben bis unten und sagte im Tone der Verachtung: „Rette Gesellschaft — Vater und Sohn!“ — lachte kurz auf und ging hinaus.

Eine Minute lang herrschte Stille im Zimmer. Man hörte ihn draussen ein paar Worte mit Anton wechseln, vernahm seine gedämpften Schritte und dann das Schliessen einer Thür.

Treuling der Ältere atmete auf, wie von einer Last befreit. Aber er wollte die volle Überzeugung haben. Er öffnete die Thür und steckte den Kopf in den Vorraum. Anton, der an einem kleinen Tische sass, gewärtig jeden neuen Befehls, erhob sich sofort und sagte, um sich entgegenkommend zu zeigen:

„Wenn Sie nach Herrn Tetzlaff suchen — er ist bereits fort. Er war sehr erregt und hatte grosse Eile.“

Mit unverschämter Liebenswürdigkeit lächelte er und blickte den Gast mit einem Ausdruck an, als wollte er sagen: O, ich weiss, was hier vorgeht. Halte mich nur nicht für dumm! Erinnere Dich meiner gefälligst beim Fortgehen. Er machte aber sofort ein langes Gesicht, als Treuling einfiel:

„Danach wollte ich gar nicht sehen. Mir schien es nur — —“

Befriedigt klappte er die Thür wieder zu und überliess es Anton, sich über den Zweck der Rengierde den Kopf zu zerbrechen.

Ehe er mit Eberhard noch irgend etwas sprechen konnte, vernahm man Bandels Kommen. Er räusperte sich laut, um seine Anwesenheit zu verkünden; dann trat er mit ernster Miene herein und sah sich ebenso erstaunt nur wie zuvor.

„Ja, zum Tenfel — ich sehe ihn ja noch nicht,“ brachte er ganz überrascht hervor. „Es sind noch keine fünf Minuten her, da sagte mir Anton, er sei hier herein gegangen.“

Eberhard gab ihm die nötige Aufklärung. Kaum war er zu Ende, so fiel sein Vater ein:

„Entschuldige, wenn wir Dich mit diesen peinlichen Dingen belästigen, aber es blieb uns kein andrer Ausweg. Wir hätten sonst selbst geben müssen, und da ich glaubte — —“

Bandel unterbrach ihn:

„Aber das wäre ja noch schöner gewesen! Ihr seid heute meine Gäste, meine liebsten Gäste, und er ist völlig Nebensache.... Ich kann Dir gar nicht sagen, was Du mir für einen Dienst erwiesen hast. Du hast mir eine Erleichterung geschaffen, eine wirkliche Erleichterung!“

Nach einer Pause rief er entrüstet aus: „Eine derartige Unverschämtheit ist mir noch nicht vorgekommen! Meine Gäste in meinem eigenen Hause zu beleidigen ... ganz zu vergessen, wo er sich befindet! Nun hat er sich natürlich gekränkt gefühlt und ist davon gelaufen. Ich werde ihm morgen einige Zeilen schreiben, und dann hat die ganze Sache ein Ende.“

Man hatte ihm die Einzelheiten des Streites verschwiegen, ihm vielmehr nur mitgeteilt, dass Heinz sich flegelhaft benommen habe. Er war auch gar nicht in der Verfassung, auf Einzelheiten einzugehen. Glücklich darüber, von einem ihm plötzlich lästig gewordenen Menschen befreit zu sein, brach er in ein lautes Lachen aus und sagte wiederholt:

„Er lief hier schon wirklich wie mein Sohn herum, wie mein eigner Sohn.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Nun werden auch endlich meiner Frau die Augen aufgegangen sein. ... Jetzt aber soll’s erst gemütlich werden!“

In seiner freudigen Erregtheit merkte er gar nicht, dass Eberhard sehr schweigsam geworden war und wiederholt nach der Uhr sah. Ganz verwundert blickte er auf, als er plötzlich zu hören bekam:

„Sie werden es mir nicht übel nehmen, werter Herr Bandel, wenn ich jetzt aufbreche. Haben Sie die Güte, mich den Damen bestens zu empfehlen.“

Bandel hatte dafür sofort eine Auslegung bereit, was unzweideutig aus seiner Antwort hervorging:

„Aber machen Sie doch keine Geschichten — Sie bleiben noch. Sie werden sich doch deswegen nicht die gute Laune trüben lassen — das fehlte gerade! Meine Frau und Hertha erwarten uns hinten. Oder warten Sie ’mal — ich werde sie hierher bitten lassen. Mir auch angenehmer. Dann befindet sich meine Frau sozusagen am Schauplatz der That. Und wenn sie dann von dem nichtswürdigen Benehmen dieses Menschen erfährt, so wirkt das überzeugender.“

Er wollte schon nach dem Diener klingeln, aber Eberhard fiel aufs neue ein:

„Seien Sie überzeugt, Herr Bandel, dass ich Ihre Liebenswürdigkeit zu schätzen weiss, aber vielleicht wird es auch den Damen nach Kenntnisnahme dieses peinlichen Vorganges erwünscht sein, allein zu bleiben.“

„Im Gegenteil — sie werden jetzt erst recht etwas Zerstreuung wünschen,“ hielt Bandel ihm mit Zähigkeit entgegen.

„Aber so bleibe doch, Du siehst ja, wie geringe Bedeutung man dem Verschwinden dieses Herrn beilegt!“ warf nun auch Treuling ein. „Es wäre unbescheiden von uns, jetzt noch lange in uns dringen zu lassen.“

„Recht so, Alter, rede ihm nur zu! ... Da kommen sie ja schon selbst!“

Es waren wirklich Mutter und Tochter, die nun ebenfalls sichtbar wurden.

„Unser Herr Künstler ist plötzlich unpässlich geworden und nach Hause gegangen!“ rief Bandel ihnen entgegen.

Beide bemerkten sofort, dass etwas Besonderes vorgegangen war, hielten es aber nicht für angebracht, näher darauf einzugehen, um so weniger, da Bandel so that, als wäre alles ohne Aufregung abgegangen. Im Innern waren sie ebenfalls über diesen Ausgang befriedigt.

Und da Hertha durch nichts verriet, dass sie Eberhard irgend etwas übel genommen habe, so hielt es dieser für unartig, die erneuerte Einladung, zu bleiben, abermals abzulehnen.

Eine Stunde etwa blieb man noch zusammen. Als man sich jedoch trennte, hatten alle die Überzeugung, dass die Stimmung zuletzt eine sehr drückende gewesen sei.

Wahrheit und Dichtung.

Als Heinz sich auf der Strasse befand, hatte er die Empfindung eines Menschen, dem etwas passiert ist, was er niemals überwinden werde. Ohne sich umzublicken, stürmte er mit derselben Eile weiter, mit der er das Haus verlassen hatte.

Einmal blieb er stehen und überlegte, ob es nicht besser wäre, wieder umzukehren, um sich mit der Faust Genugthuung zu verschaffen. Dann ging er weiter, erfüllt von Rachegedanken, die in seinem Gehirn brüteten gleich einem Gewitter, das der Entfesselung harrt. Die ohnmächtige Wut erdrückte ihn fast. Erniedrigt und beleidigt, wie er sich vorkam, dachte er an weiter nichts, als an eine befreiende That, die er heute noch vollführen müsse, um befriedigt sich schlafen legen zu können.

Sein Gesicht glühte. Das Herz hämmerte dumpf. Er kam sich wie losgelöst vor von allem, worauf er seine Hoffnungen gesetzt hatte. Er wusste: die Brücke zur Rückkehr in Bandels Haus war ihm abgebrochen worden für ewige Zeiten. Nun wollte er wenigstens beweisen, dass er die Macht habe, das Glück anderer zu zertrümmern, wie er es bereits einmal gethan hatte, als die schiefe Ebene seines Lebens zum erstenmal von ihm betreten wurde. Und nicht nur die Macht, sondern auch die natürlichen Anlagen dazu, die ihn fast willenlos zum Bösen trieben.

Während er dahinschritt, ohne auf die Menschen zu achten, kam er sich einsam und verlassen vor. Noch niemals, seitdem er von seinen Angehörigen fort war, hatte er einen gleichen Eindruck empfunden. Sehnsucht kam über ihn, tiefe Sehnsucht nach irgend etwas, was er bisher niemals kennen gelernt hatte, das seinem Gewissen Entlastung und seinem aufgeregten Gemüte Ruhe gegeben hätte. Etwas Besseres erwachte in ihm, von dem er nur dunkle Vorstellungen hatte, das einen merkwürdigen Gegensatz zu seinen schlimmen Eigenschaften bilden sollte.

Er sah nach der Uhr. Es war erst acht, also konnte er noch nach dort, wohin es ihn mit aller Macht drängte, und wo er die einzige Erlösung für heute zu finden hoffte. Was war auch natürlicher, als dass Hannchen plötzlich im Geiste vor ihm auftauchte, um deren ferneres Schicksal sich seiner Meinung nach die Erlebnisse der letzten Stunden allein gedreht hatten!

Er besann sich nicht lauge, stieg in eine Droschke und gab Strasse und Hausnummer an, die er von Robert erfahren hatte. Während der Fahrt wurde er ruhiger, siegesbewusster.

Was wird sie zu allem sagen? Gewiss wird sie aus allen Himmeln fallen, dachte er dann. Besser aber, sie erfährt es durch mich als durch ihn, so kann sie ihm zuvorkommen und zuerst mit ihm brechen. Eine unglückliche Heirat wäre das ja doch geworden — da hat der Alte ja nun ganz recht, wie Robert mir erzählt hat. ... Und morgen schicke ich diesem früheren Färbergesellen einen Brief, in dem ich ihm mitteile, dass Treuling vor dem Bankerott steht. Dann wird er seinen Daumen wohl auf den Beutel halten, denn die Freundschaft geht bei Dem auch nur bis zum Geldsack. Die Gesichter möchte ich dann einmal sehen! Ich glaube, die holen mich noch mit vier Pferden zurück! ... Und gleich danach gebe ich dem Schuft Freudenfeld einen Wink, damit er seinen Freund, den Börsenstipper, benachrichtigt. Die können nachher doch wie die Hyänen die letzten Krempen von den Strohhüten auffischen, denn mehr wird wohl von der ganzen Herrlichkeit da draussen nicht übrig bleiben.

Seine Stimmung änderte sich nun. Befriedigt darüber, so nahe vor der Vergeltung zu stehen, pfiff er leise vor sich hin.

Frau Baumann, Hannchens ehrsame Wirtin, machte grosse Augen, als sie zu später Stunde noch einen Herrn erblickte, der Fräulein Tetzlaff zu sprechen wünschte. Ehe sie noch eine Antwort geben konnte, war Hannchen bereits in der geöffneten Zimmerthür sichtbar geworden. Jedesmal wenn es klingelte war sie der Meinung, es könnte Eberhard sein. Klopfenden Herzens war sie herbeigesprungen.

„Heinz — Du?“ rief sie erstaunt aus, als sie näber gekommen war und ihn erkannt hatte.

„Ja, ich habe Dich ganz notwendig zu sprechen.“

„Mein ältester Bruder nämlich, der Bildhauer, von dem ich Ihnen schon erzählt habe, Frau Baumann,“ sagte sie dann.

„Ah, freut mich sehr, Sie kennen zu lernen. Treten Sie nur näher! ... Wenn Sie noch etwas wünschen sollten, Fräulein, ich stehe selbstverständlich zu Diensten.“

Die Witwe des seligen Postsekretärs machte eine Verbeugung und liess ihn durch, ganz verblüfft darüber, eine derartig einnehmende Erscheinung vor sich zu haben.

Dann befanden sich Bruder und Schwester allein. Einige Minuten sagten sie nichts. Ihr Wiedersehen nach so langer Zeit machte im Augenblick alles vergessen, was zwischen und hinter ihnen lag. Sie umarmten und küssten sich stummbewegt. Und das wiederholte sich eine Weile, ehe sie zu Worte kamen. Hannchen war so gerührt, dass ihre Augen feucht wurden.