Kreuz und Geißel - Max Kretzer - E-Book

Kreuz und Geißel E-Book

Max Kretzer

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Beschreibung

Max Kretzer, dessen lebendige Romane stark von Zola, Dickens und Freytag beeinflusst wurden, war überzeugter Sozialist. Auch in seinen pointiert geschriebenen Gedichten thematisiert er die Welt der Arbeiter und kleinen Leute, der ewig Betrogenen. Die vorliegende Sammlung enthält im ersten Teil während des Ersten Weltkriegs verfasste Werke, die allerdings auf Grund der militärischen Zensur erst 1919 erscheinen konnten. Sie sind eine wichtige Ergänzung zu allen im Jubiläumsjahr 2014 erschienen Sachbüchern und Monografien für unsere im Frieden aufgewachsene europäische Generation. Den Krieg kennt sie nur als volltechnisiertes Geschehen in der Ferne. In Max Kretzers Gedichten können wir nacherleben, was einer der grausamsten Kriege für den Einzelnen bedeutete. Die sich anschließenden Zeitsatiren und Revolutionsgedichte sind so kritisch und frech wie witzig, verfolgen aber die gleiche politische Perspektive: Der Bürgersozialist, dem die Revolution heute Abend gerade nicht passt, wird genauso aufs Korn genommen wie die Dichter-Kollegen, z. B. Wedekind, Hauptmann und Ibsen. Es lohnt sich, diesen außergewöhnlichen Schriftsteller wiederzuentdecken.Max Kretzer (1854–1941) war ein deutscher Schriftsteller. Kretzer wurde am 7. Juni 1854 in Posen als der zweite Sohn eines Hotelpächters geboren und besuchte bis zu seinem 13. Lebensjahr die dortige Realschule. Doch nachdem der Vater beim Versuch, sich als Gastwirt selbstständig zu machen, sein ganzes Vermögen verloren hatte, musste Kretzer die Realschule abbrechen. 1867 zog die Familie nach Berlin, wo Kretzer in einer Lampenfabrik sowie als Porzellan- und Schildermaler arbeitete. 1878 trat er der SPD bei. Nach einem Arbeitsunfall 1879 begann er mit der intensiven Lektüre von Autoren wie Zola, Dickens und Freytag, die ihn stark beeinflussten. Seit dem Erscheinen seines ersten Romans "Die beiden Genossen" 1880 lebte Kretzer als freier Schriftsteller in Berlin. Max Kretzer gilt als einer der frühesten Vertreter des deutschen Naturalismus; er ist der erste naturalistische Romancier deutscher Sprache und sein Einfluss auf den jungen Gerhart Hauptmann ist unverkennbar. Kretzer führte als einer der ersten deutschen Autoren Themen wie Fabrikarbeit, Verelendung des Kleinbürgers als Folge der Industrialisierung und den Kampf der Arbeiterbewegung in die deutsche Literatur ein; die bedeutenderen Romane der 1880er und 1890er Jahre erschlossen Schritt für Schritt zahlreiche bislang weitgehend ignorierte Bereiche der modernen gesellschaftlichen Wirklichkeit für die Prosaliteratur: das Milieu der Großstadtprostitution (Die Betrogenen, 1882), die Lebensverhältnisse des Industrieproletariats (Die Verkommenen, 1883; Das Gesicht Christi, 1896), die Salons der Berliner "besseren Gesellschaft" (Drei Weiber, 1886). Sein bekanntester Roman, "Meister Timpe" (1888) ist dem verzweifelten Kampf des Kleinhandwerks gegen die kapitalistische Konkurrenz seitens der Fabriken gewidmet. Während Kretzer anfangs der deutschen Sozialdemokratie nahestand, sind seine Werke nach der Jahrhundertwende zunehmend vom Gedanken eines "christlichen Sozialismus" geprägt und tragen in späteren Jahren immer mehr den Charakter reiner Unterhaltungsliteratur und Kolportage. Er starb am 15. Juli 1941 in Berlin-Charlottenburg.-

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Max Kretzer

Kreuz und Geißel

Soziale Auferstehungsgedichte und Zeitsatiren

1. bis 3. Tausend

Saga

Kreuz und Geißel

German

© 1919 Max Kretzer

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711502945

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Vorbemerkung

Die markanten der hier folgenden Sozialen Auferstehungsgedichte sind, wie die beigefügte Jahreszahl ergibt, schon während des Krieges entstanden, konnten aber mit Rücksicht auf die militärische Zensur erklärlicherweise nicht erscheinen. Die Gedichte sind als Niederschlag meiner immer rein gebliebenen Empfindungen für die Armen und Bedrückten zu betrachten, wie ich sie im Laufe von 40 Jahren in meinen grossen sozialen Romanen „Die Verkommenen“, „Die Betrogenen“, „Drei Weiber“, Meister Timpe“, „Die Bergpredigt“, „Das Gesicht Christi“ usw. und in zahlreichen Erzählungen und Skizzen zum Ausdruck gebracht habe.

Die als zweiter Teil beigefügten Zeitsatiren wolle man freundlich als Gelegenheitsverse gelten lassen. Die zum Teil scharfen Revolutionsvierzeiler entheben mich des Verdachtes, vor den sozialpolitischen Auswüchsen meine Verbeugung zu machen. Dagegen habe ich von jeher den Standpunkt vertreten, dass die Arbeiter, in weitestem Sinne auch die geistigen, ewig die Betrogenen bleiben werden, so lange sie sich nicht selbst aus eigener elementarer Kraft von der ökonomischen Fesselung befreien. Hier ist das Wort von der kompakten Masse einfach eine ethische Notwendigkeit. Braucht man sich zu wundern, dass diese kompakte Masse, der man Jahrelang mit aller schmeichelhaften Überredungskunst das Paradies versprochen hat, nun, da sie am Erlösungstage die Pforte verschlossen findet, den Versuch unternimmt, sich mit Gewalt Eingang zu verschaffen, um sich die Früchte ihrer Gutgläubigkeit zu holen? Um diese Pforte mit einem goldenen Schlüssel zu öffnen — dazu hätte es allerdings eines zweiten Lassalles bedurft. Sein Flammengeist hätte den historisch sowohl wie sozial missbrauchten Empörungsnamen Spartakus zur Sonne führen können. Seine Epigonen als bequeme Bodenkleber sind dazu nicht im Stande.

Charlottenburg, Ostern 1919.

Max Kretzer.

Erster Teil:

Soziale Auferstehungsgedichte

Widmung.

An die Befreier.

(1919)

So steig ich denn in der Erinnerung Schacht,

Wo Dämm’rung liegt auf meinen Jugendtagen,

Und hol’ ans Licht aus harter Arbeitsnacht,

Was früh in Fron erstickte meine Klagen.

Novemberstürme fegten durch die Stadt,

Tief schwarz in Nebel reckte sich der Morgen,

Und was von Abendvöllerei noch satt,

Das träumte süss, noch ledig aller Sorgen.

Scheu ging die Dirne ihren letzten Weg,

Der Bäckerjunge pfiff sich warm beim Trotten,

Ein Bummler taumelte auf trunk’nem Steg,

Ernüchtert durch der Männer rauhes Spotten.

In langen Wogen zogen sie dahin,

Die dunkle Flut geformt aus Menschenleibern,

Noch sprach der schwere Schlaf aus ihrem Sinn,

Der kurze Abschiedsgruss von gramverhärmten Weibern;

Der flücht’ge Kuss auf blassen Kindermund,

Der, traumbefangen, lächelnd sich beklagte,

Wenn sich des Vaters Seele, trennungswund,

Mit Bangen nach dem Wiedersehn befragte.

Denn das war des Enterbten Sklavenfest:

Dass er am Ruhetag erst seinen Namen hörte,

Weil früh und spät im warmen Kindernest

Bei Fort- und Heimgang ihren Schlaf nichts störte.

So wollt’s von Geldes Gnaden alter Brauch,

Der lange Tagesschicht aus Macht begehrte.

Weit war der Weg von Schlot zu Herdesrauch

Und kurz die Nachtrast, die an Kräften zehrte.

Das Tor der Arbeitsfeste klaffte weit,

Dem hohlen Maul des Untiers zu vergleichen,

Das seinen Schlund zur Beute hält bereit,

Sobald die Pfeife gellt als Sammelzeichen.

Es zog auch mich in seinen finstern Bauch,

In seiner Räderwerke hast’ges Treiben,

Wo stickerfüllt in Qualm und Rauch

Sich stiessen Mensch und Ding bei hartem Reiben.

So ging ich auf denn in der schwarzen Masse

Als schwache Welle in der Sklavenflut,

Ein Knabe noch, doch der Enterbten Klasse

Als Glied nun eingefügt zum Schachergut.

Aus Not. Von Unrechtswegen deklassiert,

Dem Spiel der freien Kräfte preisgegeben;

Noch hat kein Reicher je sich echauffiert,

Wenn rauh sein Fuss zertrat den Keim im Leben.

Und dreizehn Stunden ging die Tagesfron,

Von morgens sechs bis Feierabends sieben,

Und wog ich dann den Taler Wochenlohn,

So war die leere Schale mir geblieben.

Denn schwerer wog die Arbeit meiner Hände,

Die zehnfach häuften an dem Silberschatz

Des strengen Herrn, der stolz inmitten seiner Wände

Nur suchte für den Reichtum einen neuen Platz.

So wurde meine Jugend früh zertreten,

An Gott gesündigt, den der Reiche trog;

Und wenn mir Zeit blieb, still zu beten,

War’s nur mein zäher Glaube, der nicht log;

Der Glaube an den ewigen Erlöser

Der Armen, die das Kreuz ihm abgenommen,

Und der als seines Wundenmals Entblösster

Die Ausgleichsstunde selig hiess willkommen!

Heilandsaugen.

Als Christus ward ans Kreuz geschlagen,

Da hörte sterbend man ihn sagen:

„Es ist vollbracht.“ Der Himmel wurde finster,

Und in dem fahlen, blutgetränkten Ginster

Erstarb der Blumen frische, bunte Pracht.

Verstummt war rings der Vögel heller Sang,

Der noch zuvor der Knechte Hohn durchdrang.

Der letzte Stern erlosch, die Welt war Nacht.

Drauf stand die Erde still. Das Leben schwand,

Und alles starb, was Gottes Zorn gekannt.

Das Blut des Heilands war zur hellen Flamme,

Die feurigrot sich nährt am Marterstamme.

Und lodernd über kleinlichem Gewimmel

Ragt’ schreckhaft gross das Kreuz zum Himmel.

Der Geist entfloh. Am weltenöden Schacht

Hielt brünstig betend noch Maria Wacht.

Die Liebe blieb! Wenn auch im Kreis umher

Die Welt nur starrte als ein Totenmeer.

Doch Aschefunken, die das Kreuz durchglühten,

Verweht vom sanften Wind, — sie trieben Blüten.

Die „Heilandsaugen“ wuchsen aus der Erde,

Ihr Duft verkündete eine neues „Werde“:

Die heisse Frucht vom Golgatha-Erbarmen,

Ein Ostern für die Elenden und Armen!

Der gemeine Mann.

(1915)

Saht Ihr mich liegen in der Sonnenglut,

Auf der Strasse die Mittagsruh halten?

Mein Bett war ein Brett, der Schirm nur mein Hut,

Mein Leib gut, die Hände zu falten.

Es qualmte der Asphalt rings um mich her,

Mir träumte von rosigen Gärten,

Zwei Augen voll Schlaf im Häusermeer

Verscheuchten des Tagesfrons Härten.

Es rasten vorüber wie Wirbelflut

Die fauchenden Rosse am Wagen;

Wer nennte mein Leben noch höchstes Gut,

Wenn funkend ihr Huf mich erschlagen?

Ihr ginget in Putz den Bürgersteig lang,

Eure Frauen und Töchter lachten,

Mir schlug währenddessen das Herz so bang,

Weil Weib und Kind an mich dachten.

An den Vater, der auf hartem Gestein

Die Glieder im Sonnenbrand streckte,

Wenn Euch im kühlen Hausschatten der Wein

Und das Mahl gar prächtiglich schmeckte.

Zwischen Euch und mir war nur ein schmaler Raum,

Doch schied er wie immer zwei Welten,

Ihr saht den ermatteten Schläfer kaum,

Ich will Euch deswegen nicht schelten.