Jason Dawn, der Vampir, Band 1: Lebensadern - Carola Kickers - E-Book

Jason Dawn, der Vampir, Band 1: Lebensadern E-Book

Carola Kickers

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Beschreibung

In das Leben des bodenständigen Hamburger Kommissars Harald Welsch bricht über den Ermittlungen zu seltsamen Morden die Erkenntnis herein, dass Vampire tatsächlich mitten unter uns existieren. Die Evolution hat sie bereits angepasst und mit neuen Eigenschaften versehen. Das Zusammentreffen mit dem jungen Vampir Jason Dawn verändert seine Welt und die seiner Partnerin Rita Hold für immer. Jason ist eine zwielichtige Gestalt, die bei einigen skurrilen Fällen aber durchaus nützlich für die Ermittler ist. Im Laufe der Zeit erfahren sie von Jason einige der Geheimnisse aus seiner Welt, die selbst in Gefahr gerät durch eine Organisation, die schon lange nach der Unsterblichkeit strebt. Jason als Vampir weigert sich, seine Verdammnis anzuerkennen. Dank Ritas Hilfe gelingt es ihm auch, sein Dasein noch einmal zu verändern. Doch dann schlägt das Schicksal wieder unbarmherzig zu …

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Carola Kickers

 

 

Jason Dawn, der Vampir

 

Band 1

 

Lebensadern

 

 

 

 

 

Roman 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Claudia Westphal, 2024

Korrektorat: Katharina Schmidt

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau (OT), Gemeinde Oberkrämer. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen , welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt bei Bärenklau Exklusiv.

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Jason Dawn, der Vampir 

Lebensadern 

Prolog 

Die Gegenwart 

Wie sterben Clowns? 

Der Engelsammler 

Mittler zwischen den Welten 

Atem der Ewigkeit 

Die Meisterschülerin 

Trilobit 

Laetitias Geheimnis 

Herzensdieb 

Vor den Augen der Engel 

Lebensadern 

Die keltische Elfe 

Im Schatten des Blutes 

Grenzgänger 

Das Herz des Vampirs 

Der Rebell 

Jäger und Gejagte 

Vampire Guide 

 

Das Buch

 

 

 

In das Leben des bodenständigen Hamburger Kommissars Harald Welsch bricht über den Ermittlungen zu seltsamen Morden die Erkenntnis herein, dass Vampire tatsächlich mitten unter uns existieren. Die Evolution hat sie bereits angepasst und mit neuen Eigenschaften versehen. Das Zusammentreffen mit dem jungen Vampir Jason Dawn verändert seine Welt und die seiner Partnerin Rita Hold für immer. Jason ist eine zwielichtige Gestalt, die bei einigen skurrilen Fällen aber durchaus nützlich für die Ermittler ist. Im Laufe der Zeit erfahren sie von Jason einige der Geheimnisse aus seiner Welt, die selbst in Gefahr gerät durch eine Organisation, die schon lange nach der Unsterblichkeit strebt. Jason als Vampir weigert sich, seine Verdammnis anzuerkennen. Dank Ritas Hilfe gelingt es ihm auch, sein Dasein noch einmal zu verändern. Doch dann schlägt das Schicksal wieder unbarmherzig zu …

 

 

***

Jason Dawn, der Vampir

Band 1

 

Lebensadern

 

von Carola Kickers

 

 

Prolog

 

1920: In Memory of Jason Dawn

Fluch der Vergangenheit

 

An einem herrlichen Frühlingsabend im Mai des Jahres 1918 verabschiedete sich der junge Jason Dawn von seiner zierlichen Verlobten Elisabeth Jane Hazelwood. Er trug bereits die schlichte, wenig kleidsame Uniform eines Infanteristen. Am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe würde es per Zug in Richtung Küste gehen, von dort aus per Schiff weiter über den Ärmelkanal in das vom Krieg gebeutelte Frankreich.

Die erst neunzehnjährige Elisabeth, eine Kaufmannstochter aus gutem Hause, unterdrückte die Tränen in ihren veilchenblauen Augen.

Mit einer unbedarften Geste strich Jason ihr über das kurz geschnittene, leicht gewellte Haar und versuchte, sie zu trösten. Sie beide kannten sich schon von Kindheit an, hatten zusammen am Fluss gespielt und sich irgendwann ineinander verliebt. Elisabeths Vater war zunächst strikt gegen diese Verbindung gewesen, denn in seinen Augen war Jason Dawn ein armer Schlucker. Die Familie lebte am Rande des Existenzminimums und verdingte sich als Tagelöhner.

Jason wurde als Jüngster von fünf Brüdern geboren, die Mutter starb kurz nach seiner Geburt. Hätte Stanley Hazelwood zudem gewusst, was Jason letztes Jahr am Sterbebett seines Vaters erfahren hatte – nämlich, dass dieser gar nicht sein leiblicher Vater war – dann wäre diese Verbindung niemals zustande gekommen. Allerdings waren allein rein äußerlich die Unterschiede zwischen Jason und seinen Brüdern gravierend. Sie alle waren von kräftiger Statur, blond oder rothaarig, hellhäutig und hatten blaue Augen.

Als einziger in der Familie war Jason dunkelhaarig und schaute mit neugierigen, tiefbraunen Augen in die Welt. Sein Ziehvater erzählte ihm kurz vor seinem Ableben, dass ihre Mutter sich wohl mit einem der Gypsies eingelassen hatte, die ab und zu als Kesselflicker und Scherenschleifer mit ihren bunten Wohnwagen und ebenso bunten Tinkerponys durch die englischen Ortschaften zogen. Als die Mutter unter Tränen diesen Seitensprung beichtete, war es bereits zu spät gewesen. Er hatte auch diesen letzten Sohn als seinen eigenen anerkannt und geschwiegen.

Allein Jasons Fleiß und Intelligenz war es zu verdanken, dass er nach langem Ringen um Elisabeths Hand anhalten durfte. Er lernte in einem Kaufmannskontor und wurde von seinen älteren Brüdern verspottet, weil er sich wohl für etwas Besseres halten würde. Doch dem war nicht so. Jason liebte seine manchmal etwas groben und hitzköpfigen Brüder, die keiner Prügelei aus dem Wege gingen. Allerdings erzählte er ihnen nie von dem Geheimnis, das der Vater ihm auf dem Sterbebett mitgeteilt hatte.

Und jetzt, nur sechs Monate nach seiner Verlobung, musste der gut aussehende, stille junge Mann in den Krieg ziehen. In einen Krieg, der so weit weg schien, weit weg von diesem beschaulichen, kleinen Städtchen mit den bezaubernden Fachwerkhäusern namens Stratfort-upon-Avon, in dem schon William Shakespeares Wiege gestanden hatte.

Die Herzen der beiden jungen Liebenden waren schwer vor Abschiedsschmerz. Jasons dunkle Augen sahen die hübsche Elisabeth zärtlich an.

»Ich verspreche dir, wir sehen uns wieder«, sagte Jason leise zu ihr und nahm sie in die Arme.

»Ich wünschte, ich könnte daran glauben.«

»Ich verspreche es«, wiederholte er so eindringlich, als ob er es sich selbst versprechen würde, doch die Berichte, die aus den Kriegsgebieten bis in diese abgelegene Gegend gedrungen waren, sprachen eine andere Sprache.

Diesen traurigen Blick aus Elisabeths großen, sanften Augen würde er niemals vergessen. Was er nicht wusste – nur wenige Monate später würde er sehr viel mehr vergessen haben.

 

*

 

In den stundenlangen Gewaltmärschen durch unbekanntes, von Schützengräben, Stacheldraht und Granatlöchern unterbrochenes Gelände blieb den Soldaten nicht viel Zeit für Gedanken an die ferne Heimat.

Vor Combles in der Picardie berührten sich die inneren Flügel der Engländer und Franzosen. Dauernd lag die deutsche Stellung am Tage unter dem Feuer des Feindes. Nur mühsam konnte sich die deutsche Artillerie behaupten, der noch dazu die Flugzeugbeobachtung des feindlichen Feuers fehlte. Den Deutschen gegenüber befanden sich achtzehn Feldbatterien, sechzehn schwere Haubitzen und zwanzig Mörser. Empfindlich machte sich die Überlegenheit der Engländer und Franzosen in der Luft bemerkbar.

Die deutsche Infanterie musste, dicht an ihre dürftigen Deckungen gepresst, aushalten, sie ließ den Eisensturm und die Gaswogen wehrlos über sich ergehen, wartete geduldig, bis in der Nacht das feindliche Feuer nachließ, um dann die Schäden an den Befestigungen auszubessern, Verpflegung und Kampfmittel heranzuziehen sowie Verwundete zurückzuschaffen. Jeder Versuch, am Tage zu arbeiten, hätte feindliches Artilleriefeuer herausgefordert. Beim Feinde war es ganz anders.

Er brauchte erst kurz vor dem Angriff seine Gräben aufzufüllen, während die Deutschen ihre Kampfstellungen in voller Abwehrstärke in angespannter Erwartung eines immer drohenden Angriffes besetzt halten mussten

Eintausend Meter westlich von Combles war nach wochenlangem Ringen das vom II. Bataillon des Regiments Hamburg verteidigte Guillemont verloren gegangen. Tagelang hatten die Hamburger die Trümmer des Dorfes verteidigt, dann war der Ort von Truppen und Feuer eingeschlossen. Jeder Rückzug war unmöglich geworden. Die Versuche, die Besatzung herauszuhauen, scheiterten an der Überzahl des Feindes. Als dann die Patronen ausgingen, die Brunnen durch Geschosseinschläge verschüttet wurden, da blieb schließlich dem schwer verwundeten Kommandeur, dem Hauptmann Nau, nichts anderes übrig, als die Waffen zu strecken, aber »Unbesiegt!«

Inmitten dieses Kesseltreibens kämpfte der Engländer Jason Dawn im Alter von dreiundzwanzig Jahren um ein ihm unbekanntes Dorf gegen ihm ebenso unbekannte Feinde.

Es war nur ein kleiner Moment der Unachtsamkeit, als sein Regiment einige Deutsche als Kriegsgefangene in Obhut nehmen wollte. Einer der deutschen Soldaten warf unbeobachtet eine Granate in die Nähe einer Munitionskiste, die kurz darauf hochging. Die Wucht der Explosion warf Jason und einige Kameraden in seiner Nähe zu Boden. Er verlor das Bewusstsein.

 

*

 

In einem schmutzigen Zeltlazarett kam Jason Dawn wieder zu sich. Er wusste nicht, wo noch wer er war. Er hörte Stimmen, die durcheinander sprachen, einige davon Englisch, andere Französisch. Er hörte das Stöhnen der Verwundeten. Mit zitternden Händen tastete er nach dem Verband um seinen Kopf. Die Mullbinden waren fest um seine Augen gelegt. Alle Glieder schmerzten. Er versuchte, die Binden um seine Augen vorsichtig anzuheben, doch eine Hand legte sich behutsam auf die seine.

»Pas encore, mon ami, pas encore«, sagte eine fremde Stimme.

Jason verstand nicht. Dann gab man ihm eine Spritze mit Morphium. Wieder umfing ihn eine gnädige Dunkelheit. Auf holprigen Straßen brachte man später die Schwerverletzten zu einem stationären Lazarett.

In der Nähe von Longueval lag ein alter Adelssitz, den man zum Kriegskrankenhaus umfunktioniert hatte, und das mittlerweile alle Nationalitäten an Verwundeten beherbergte. Die Nonnen aus dem nahe gelegenen kleinen Kloster kümmerten sich rührend um die verletzten Soldaten.

Jason Dawn war nun bereits über ein Jahr in ihrer Obhut. Er hatte sein Augenlicht immer noch nicht zurückgewonnen. Eine Genesung schien ausgeschlossen.

»Sie müssen versuchen, Ihr Schicksal anzunehmen. Gott hat bestimmt etwas ganz Besonderes mit Ihnen vor«, sagte einmal eine der Schwestern in holprigem Englisch.

Aber Jason glaubte ihr nicht. Er glaubte an gar nichts mehr, erst recht nicht an Gott.

Da er unter Amnesie litt, war es den Schwestern auch nicht möglich, seine Angehörigen zu benachrichtigen. Liebevoll versuchten sie, den jungen Mann mit seinem Schicksal zu versöhnen, doch das wollte nicht gelingen, denn der junge britische Soldat war zornig, zornig auf sein Schicksal und zornig auf seinen Schöpfer. Und dieser Zorn zog Mächte an, von denen er bislang keine Ahnung gehabt hatte.

 

*

 

Nicht nur Krähen und Ratten hatten die blutigen Schlachtfelder des ersten Weltkrieges angezogen, sondern auch jene Kinder der Dunkelheit, für die Kriege der Menschen ein wahres Fest waren. Eine dieser Kreaturen war Dominique Polignac, einer der alten Vampirmeister. Er selbst war von altem französischem Adel. Während der Revolution wurde er in der Bastille von einem Marquis gebissen und als Vampir erschaffen. Der Marquis wurde im Morgengrauen geköpft, während Polignac zu einem neuen Dasein erwachte. Seinen ersten Hunger stillte er an seinen Mitgefangenen. Als die Wärter die Toten in seiner Zelle sahen, öffneten sie voller Panik die Türe. Polignac, der sich ebenfalls totgestellt hatte, konnte entfliehen und begann ein Morden durch die Jahrhunderte.

Die grausamen Schlachten des ersten Weltkrieges lieferten diesem mächtigen Vampir so etwas wie ein festliches Buffet über viele Jahre, in denen er unerkannt töten konnte. Ab und zu erschuf er aus Spaß einen neuen Vampir, der unter seinen Kameraden ein weiteres Blutbad anrichtete. Dominique Polignac war an Dekadenz kaum mehr zu überbieten.

Aber der Krieg war im November 1918 zu Ende gegangen – sehr zu seinem Bedauern - und so zog er Nacht für Nacht über die Dörfer und suchte seine Opfer wieder wie ein ganz normaler Vampir. Bis er auf den Gedanken verfiel, die Lazarette aufzusuchen, wo er meist hilflose Opfer fand. So erreichte er eines Nachts auch das Chateau in Longueval, das jetzt ein Krankenhaus war. Er streifte mit den Schatten durch die leeren, mit schwachen Gaslaternen beleuchteten Gänge. Überall roch es nach Bohnerwachs, Äther und Tod.

In einem der Mehrbettzimmer sah Polignac den jungen Mann mit dem Verband um den Kopf auf einer der mit Stroh gefüllten Matratzen liegen. Er spürte seine Gedanken. Gedanken des Zorns. Er spürte die Depressionen, die diesen Jungen von gerade mal vierundzwanzig Jahren quälten, der offensichtlich blind war. Als Polignac näher trat, nahm Jason seine Anwesenheit wahr.

»Wer ist da?«, fragte er leise.

»Ganz ruhig, mein Junge, es geschieht dir nichts. Ich möchte dir helfen.«

»Sind Sie Arzt?«

Polignac musste grinsen. »So etwas ähnliches. Was würdest du tun, um dein Augenlicht zurückzuerhalten?«

»Alles«, seufzte Jason ergeben.

»Wie ist dein Name?«, fragte Polignac.

»Ich weiß es nicht.«

»Hm, dann sollten wir dir auch dein Gedächtnis zurückgeben«, er unterdrückte ein amüsiertes Lachen.

Jason setzte sich auf. »Wollen Sie mich zum Narren halten?«

»Ssscht, du weckst ja die anderen auf. Nein, ich meine es absolut ernst. Und ich bin vielleicht der Einzige, der dir überhaupt noch helfen kann.«

Der französische Adlige liebte dieses Katz- und Maus-Spiel mit seinem Opfer.

»Dann tun Sie es bitte«, kam die flehende Stimme des jungen Mannes.

»Auch wenn du nie wieder so leben wirst, wie du es gewohnt warst? Wenn du töten müsstest, um zu überleben?«

Jason schwieg, er schien zu überlegen, wirkte unsicher. »Wie meinen Sie das?«, wollte er wissen.

Polignac legte seine kühle, blasse Hand auf seinen Arm. »Es ist so eine Art Pakt, den du eingehen wirst, so ähnlich wie Faust.«

Jason verstand. Einige Minuten verstrichen, dann nickte er. »Tun Sie es.«

Der Franzose beugte sich zu dem Engländer, strich die mittlerweile länger gewordenen Haare zurück. Seine Hand packte den Nacken des jungen Mannes, dabei ertastete er mit dem Daumen die unter der Haut pulsierende Schlagader. Das war die richtige Stelle.

Jason spürte einen kalten Atem, einen schmerzhaften Einstich in seinem Hals. Er bäumte sich auf. Die Stelle brannte wie Feuer. Er wollte schreien, doch er blieb stumm, während das Leben aus ihm herausgesogen wurde. Innerhalb von Minuten zog der Film seines Lebens vor seinem inneren Auge vorüber, als wäre er ein unbeteiligter Zuschauer. Er wunderte sich selbst, dass er keinerlei Emotionen verspürte, als seine Vergangenheit ausgelöscht wurde. Nur bei dem Bild von Elisabeth empfand er eine leichte Wehmut.

Sein Herzschlag wurde leiser und leiser, doch noch bevor er ganz verklang, hatte Polignac aufgehört und gab ihm nun aus seinen Adern zu trinken.

Ein schmerzhafter Prozess der Verwandlung begann. Es war seltsam, dass keiner der Zimmergenossen dabei aufwachte. Als ob der Vampirfürst einen Bann über sie gelegt hatte, schliefen sie alle ruhig weiter.

Nachdem die Transformation abgeschlossen war, riss Jason sich die Augenbinde ab. Er konnte sehen! Er sah in der Dunkelheit wie eine Katze. Alle seine Sinne waren geschärft. Er hörte das Atmen eines jeden einzelnen Schläfers. Sogar ihren Gesundheitszustand konnte er bestimmen und ihre Träume liefen in seinem Kopf ab wie Filme.

Jason erhob sich von dem unbequemen Krankenhausbett. Seine Gestalt war schlank und doch kräftig, die Bewegungen geschmeidig. Sein Gesicht hatte androgyne Züge angenommen und die großen, weichen Augen besaßen einen hypnotischen Ausdruck.

Polignac lächelte beeindruckt. Das war ein hübscher Sohn! Aus dem hilflosen Kriegsopfer war ein Todesengel geworden. Die spitzen Eckzähne, die der sinnliche Mund verbarg, waren von außen nicht zu sehen. Der geborene Verführer, schmunzelte Polignac in sich hinein.

»Lass uns gehen«, schlug er dann vor. »Die Nacht ist bald zu Ende, und ich muss dem Tageslicht weichen.«

Jason hatte seine Verwandlung und neuen Fähigkeiten mit Staunen an sich wahrgenommen. »Was bin ich?«, fragte er seinen Erschaffer jetzt.

»Ein Vampir, mein Sohn«, lachte dieser. Dann wurde er plötzlich ernst. Er nahm etwas anderes wahr an dem neugeborenen Kind der Nacht: Jason war ein Hybrid. Einer der Neuzeitvampire, perfekt angepasst an die Welt der Menschen, unempfindlich gegen Sonnenlicht und die alten Waffen wie Weihwasser und Kruzifixe. Polignac seufzte. Schon wieder einer! Diese neue Rasse würde bald die alten Meister verdrängt haben. Doch dann fiel ihm ein, dass diese Hybriden keine neuen Vampire erschaffen konnten. Ihre Opfer waren einfach nur tot.

»Komm schon«, befahl er jetzt ungehalten. »Du bist vielleicht besser angepasst als ich, aber du musst noch sehr viel lernen.«

Damit verließen die beiden Vampire wie Schatten das Krankenhaus und folgten dem Ruf der Dunkelheit.

 

*

 

Nicht nur Jasons Augenlicht, auch sein Gedächtnis war zurückgekehrt und das Wissen um die Verlobte in England. Doch inzwischen war sehr viel Zeit vergangen. Ob Elisabeth noch auf ihn warten würde? Jetzt konnte er sein Versprechen halten!

Noch hatte Jason selbst keinen Menschen getötet. Polignac nannte ihn einen Schwächling. Doch die Art des Franzosen, mit seinen Opfern bis zum Tode zu spielen, widerte den jungen Mann an. Trotzdem empfand er seinem Erschaffer gegenüber so etwas wie Dankbarkeit angesichts des Schicksals, aus dem dieser ihn befreit hatte.

»Früher oder später wirst du es tun«, versprach Dominique Polignac seinem Schützling. »Du musst es tun, du kannst nur die Methode wählen«, lachte er dann.

Jason wandte sich ab.

Nachdem Polignac ihn die Gesetze der dunklen Engel gelehrt hatte, verließ er Frankreich und reiste zurück in die Heimat. Jason wusste, dass sein Erschaffer ihn um seine neuen Fähigkeiten der Anpassung beneidete. Der alte Meister war gezwungen, den Tag in einem Sarg zu verbringen oder zumindest an einem lichtlosen Ort. Das galt für die Neuzeitvampire zwar nicht mehr, doch erst wenn die Dunkelheit hereinbrach, erwachten die Kräfte ihrer Rasse zu vollem Leben.

In der Chapel Street in Stratford-upon-Avon hatte sich nichts verändert. Der kleine Ort besaß immer noch seinen verträumten, leicht weltfremden Charakter. Jason Dawn kam gerade rechtzeitig – rechtzeitig zur Hochzeit seiner ehemaligen Verlobten Elisabeth Jane Hazelwood mit Charles Wheeler, dem Sohn eines angesehenen Anwalts. Stanley Hazelwood war stolz auf seine Tochter. Dieser Schwiegersohn gefiel ihm wesentlich besser als der junge Mann aus ärmlichen Verhältnissen, den sie mit neunzehn Jahren hatte heiraten wollen.

Jason Dawn galt als vermisst. Über ein Jahr hatte Elizabeth den Verlust des Geliebten betrauert, war für ihre Umgebung kaum ansprechbar gewesen. Charles hatte sich rührend um sie bemüht in dieser schweren Zeit, und aus Freundschaft war schließlich so etwas wie Liebe geworden.

Als der heimgekehrte Jason die Hochzeitsgesellschaft vor der kleinen Kirche des Ortes sah, empfand er Zorn, Eifersucht und Schmerz. Hilflos ballte er die Fäuste zusammen, war für einen Moment versucht, sich mitten in die fröhliche Gesellschaft zu stürzen und seine ehemalige Verlobte mit Vorwürfen zu überschütten! Stattdessen wandte er sich ab und ging davon.

Er begriff in diesem Augenblick den Fluch, den Polignac ihm auferlegt hatte, den Fluch der Unsterblichkeit.

Hybriden können eine Schlafperiode einlegen, sind jedoch nicht dazu gezwungen wie die Vampire der alten Generationen. Jason konnte in diesem Falle seinen Schmerz nicht anders betäuben als im Vergessen eines langen Schlafes. Wenn er aufwachen würde, wäre Elisabeth vermutlich bereits verstorben.

Mitte der 60er-Jahre erwachte Jason Dawn erneut. Es war die Zeit der Hippies, Drogen und des Rock ’n’ Roll. Ein völlig neues Lebensgefühl erfasste die menschliche Jugend. Und auch Jason war jung, vierundzwanzig Jahre alt, und die würde er bleiben.

Selbst hier in England hatten die Blumenkinder Einzug gehalten. Sie hatten mit den strengen Sitten gebrochen, lebten in Kommunen oder Wohnwagensiedlungen außerhalb der Städte, trafen sich zu Sit-ins auf den Wiesen und überall erklang Musik. Eine neue Art von Musik, die auch Jason Dawn faszinierte.

Als er kurz nach dem Erwachen auf das Camp einer kleinen Gruppe Hippies stieß, hießen diese ihn willkommen wie einen lange vermissten Bruder. Er zog mit ihnen weiter. Vielleicht war es auch das Romablut, das er in sich trug und was diese innere Unruhe auslöste.

Bald trug auch er Jeans, ein buntes Hemd und ein Stirnband in den halblangen Haaren. Es wäre eine unbeschwerte Zeit gewesen, wäre da nicht dieser unbarmherzige Hunger gewesen. Er würde nicht für immer ohne menschliches Blut überleben können. Und das von Tieren spendete nur wenig Lebenskraft.

Yasmine, eine hübsche Zwanzigjährige mit langen roten Haaren, hatte von Anfang an Gefallen an dem attraktiven Neuankömmling gezeigt. Die Welt war offener geworden, in jeder Beziehung, und was Jason zunächst verwirrte – dass eine Frau ihm Avancen machte – begann nun, ihm Spaß zu machen. Der Jagdinstinkt in ihm erwachte.

Wie jeden Abend saß die kleine Gruppe vor einem Lagerfeuer. George, der Anführer der Gruppe, spielte auf seiner Gitarre den Song San Francisco. Einige der Hippies sangen mit, andere schliefen bereits ihren LSD-Rausch aus.

Yasmine nahm plötzlich Jasons Hand und zog ihn lachend mit sich fort. Der Schein des Lagerfeuers war bald nur noch von Ferne zu erkennen. Die junge Frau hielt inne, lächelte Jason an und schlang ihre Arme um ihn.

Sie begann, ihn zu küssen, und Jason ging auf sie ein. Yasmine konnte nicht ahnen, dass sie den Tod umarmte. Als Vampir folgte der junge Mann jetzt nur noch seinen Instinkten. Für einen Vampir hatte der Begriff »freie Liebe« eine ganz andere Bedeutung, denn er war keinen weltlichen Einschränkungen unterworfen.

Er schenkte ihr das, was sie begehrte – er kostete das aus, was sie ihm schenkte und nahm ihr dafür – das Leben. Jason Dawn tötete sein erstes Opfer.

Das süße Blut, dass durch seinen Körper rann und ihn wärmte, ließ sein Herz schneller schlagen und ihn erneut zu voller Kraft erblühen. Dies waren seine Droge und seine Verdammnis.

Er hätte nie gedacht, dass sein Erschaffer Polignac Recht gehabt haben könnte. Es war im Grunde so einfach, und es erschien ihm fast, als hätte es ihr gefallen. Von dieser Nacht an genoss Jason die Jagd.

1967, im Sommer der Liebe, erwachten viele der Blumenkinder nicht mehr aus ihrem Rausch. Jason und einige seiner Artgenossen schenkten ihnen den Frieden, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatten.

 

*

 

Die Einsamkeit seines Daseins quälte den jungen Vampir. Er fühlte sich wie ein Beobachter. Er beobachtete die Menschen, ihre gefühlsmäßigen und politischen Verstrickungen, doch er gehörte nicht dazu. Alles schien ihn zu langweilen, wäre da nicht die Musik gewesen. Das war etwas, was seinem Dasein so etwas wie einen Sinn gab.

Nach einer weiteren längeren Schlafperiode erwachte Jason Dawn im Jahre 2004 in London. In einem der Clubs begegnete er schwarz gekleideten Menschen, die gerne so sein wollten wie er, und das verwunderte ihn.

Hier fiel er überhaupt nicht auf. Diese Menschen nannten sich Goths oder Gothics, sie hörten teils recht laute, metallische Rockmusik mit düsteren Texten. Jason gab zu, dass auch ihn die melodramatischen, düsteren Texte ansprachen, und er versuchte zu ergründen, warum Menschen sich so sehr nach der dunklen Seite sehnten. Für einige war es Show, für andere eine Lebensphilosophie, wieder andere hatten der heuchlerischen, kommerziellen Welt den Rücken gekehrt oder protestierten einfach gegen das Spießertum ihrer Eltern.

Jason Dawn begann, Menschen in anderem Licht zu sehen. Er wurde neugierig. Fast jeden Abend war er hier mitten unter den Ahnungslosen. Er flirtete und scherzte mit ihnen, ließ sie in seinen hungrigen Augen versinken.

An einem dieser Abende spürte er die Anwesenheit eines anderen Vampirs. Suchend blickte er sich um. Dort drüben hinter der Säule stand sie, gekleidet in ein langes, schwarzes Gewand, die schlanke Taille durch ein Mieder betont. Rabenschwarzes Haar floss wie ein dunkler Strom über den schmalen Hals in ein reizvolles Dekolleté. Zum ersten Mal begegnete er einem Wesen seiner Rasse: der Hybriden-Vampirin Laetitia. Sie grüßte ihn mit einem Nicken, als er sich ihr näherte.

Auch die schöne Italienerin hatte seine Gegenwart gespürt. Wie er es aus alter Tradition gewohnt war, neigte er den Kopf und begrüßte die Schönheit mit einem angedeuteten Handkuss.

Laetitia lächelte amüsiert. »Willkommen in unserer Zeit.«

Auch Jason musste lächeln. »Ich habe mich nur vor deiner Schönheit verneigt.«

»Charmeur, doch das meinte ich gar nicht. Ich bin sehr erfreut, dass es in unserer Rasse noch Wesen mit Niveau gibt.«

Jason hob die Augenbrauen. »Wie soll ich das verstehen?«

»Ganz einfach, die meisten der neu erschaffenen Hybriden sind ziemlich rohe Zeitgenossen. Du musst lange geschlafen haben«, meinte sie nachdenklich.

Jason nickte.

»Ich verstehe. Ich denke, ich habe ein paar Neuigkeiten für dich.« Mit diesen Worten winkte die schöne Gothiclady ihn aus dem Club.

Draußen in der kühlen Nachtluft gingen sie eine Zeitlang nebeneinander her, und Laetitia erklärte ihm, dass ihre Rasse seit einigen Jahren künstliches Blut beziehen konnte. Sie gab ihm einen Zettel mit einer Telefon-Nummer. Dort konnte er sich als »Bezugsperson« registrieren lassen. Jason blickte die junge Frau staunend an.

Laetitia musste lachen. »Du scheinst wirklich nicht von dieser Welt zu sein. Die Menschen sind inzwischen soweit in ihren Forschungen, dass sie Hämoglobin künstlich herstellen können. Vorläufig nicht in allzu großen Mengen, daher sollten wir alle registriert werden«, erklärte sie ihm.

Jason blieb dennoch misstrauisch. Er wusste nur nicht, wem er dieses Misstrauen entgegenbringen sollte: Laetitia oder den Menschen.

»Natürlich können wir nicht ständig unsere Instinkte unterdrücken«, gab sie leise zu. »Aber manchmal hilft es, den schlimmsten Hunger zu stillen. Es muss nur kühl gestellt und rasch verbraucht werden.« Mit diesem Tipp verschwand sie von seiner Seite.

Gerne hätte er sich noch weiter mit ihr über die »neue Zeit« unterhalten. Aber er würde sie erst viel später in Deutschland wieder sehen. Den Zettel warf er achtlos fort.

Wesentlich mehr Interesse zeigte Jason dagegen an der Musik, die unter anderem in seinem Club lief. Jeden Freitag traten dort Livebands auf. So begegnete er eines Tages drei Musikern - Steve, Danny und Mike. Die hatten gerade eine neue Band gegründet und nannten sich viel versprechend »The Damned« – die Verdammten.

Dabei haben die überhaupt keine Ahnung von der wahren Verdammnis, dachte Jason, als die Drei ihm bei einem Glas Bier erzählten, dass sie noch auf der Suche nach einem neuen Leadsänger waren. Sie hatten bereits einige Songs für ihr geplantes Album geschrieben.

»Wie wäre es denn mir dir?«, fragte Mike aus einer Bierlaune heraus und zeigte auf Jason.

Jason grinste. »Käme auf einen Versuch an. Wo probt ihr denn?«

»Bei Steve in der Garage, da stört uns niemand. Ist ein ziemlich abgelegener Hof.«

»OK, ich höre mir das Ganze mal an«, versprach Jason und verließ den Club.

Der junge Vampir traf die drei Musiker am nächsten Nachmittag in einem Garagenhof, der zu einem anonymen Wohnblock gehörte. Hier störten sie wirklich keinen Menschen. Im Gegenteil, ab und zu kamen sogar ein paar Mädels aus der Nachbarschaft, um der Band zuzuhören.

Nachdem Jason einige Songs mit ihnen geprobt hatte, stand fest, dass die Band ihren Sänger gefunden hatte. Das erste Demo ihres Albums »Vampire Lovers« ging an ein Londoner Independent Label, das die Jungs ohne große Verhandlungen unter Vertrag nahm. Der Siegeszug der »Verdammten« nahm seinen Lauf. Zunächst traten sie in kleineren Clubs in England auf, später in ganz Europa. Ihre CD war recht erfolgreich in der Szene und einige Songs liefen sogar auf verschiedenen Radiosendern. Niemand der Zuhörer ahnte auch nur, dass der gut aussehende Sänger ein echter Vampir war, der von der Bühne aus sein nächstes Opfer anvisierte.

Jason Dawn befand sich auf einem Rachefeldzug gegen Gott.

 

 

Die Gegenwart

 

Perlen aus Blut

 

»Dieser Mörder hat eine romantische Ader«, sagte Hauptkommissar Harald Welsch zu seiner Assistentin, als er die Fotos der Leiche betrachtete.

Tamara Hansen kam hinzu. Die Neunundzwanzigjährige arbeitete bereits seit drei Jahren mit diesem manchmal sehr introvertierten Polizisten zusammen und fragte sich, ob sie ihn jemals wirklich kennen würde. Doch insgeheim bewunderte sie seinen kriminalistischen Spürsinn.

»Sie haben Recht, er drapiert sie mit roten Rosenblättern und einer Perlenkette.« Tamara betrachte das Foto der Toten näher. Eine blonde junge Frau in ihrem Alter, die Augen geschlossen, das Gesicht bleich, die Augen von tragischen blauen Schatten umrahmt. »Das ist Hämatit.«

Welsch sah sie an. »Wie bitte?«

Tamara erklärte: »Hämatit ist ein ganz beliebter Halbedelstein, auch Blutstein genannt. Beim Schleifen entsteht ein roter Staub.«

»Wie passend«, schnaubte Welsch verächtlich. »Prüfen Sie mal nach, ob es ähnliche Fälle gibt.«

Tamara verließ das Büro und der Kommissar blieb mit den Fotos und den Stapeln an Papieren zurück. Laut pathologischem Bericht fehlten der Leiche einige Liter Blut. Es waren keine Spuren von Gewalteinwirkung zu erkennen, bis auf zwei kleine, runde Löcher am rechten Handgelenk.

Ich möchte nur wissen, wohin das Blut verschwunden ist. Was, zum Teufel, hat er damit gemacht?, dachte Welsch gerade, als Tamara wieder ins Büro kam und mit ein paar Blättern Papier winkte. »Chef, in Kopenhagen und Moskau hat es vor einigen Wochen genau das gleiche Tatmuster gegeben.«

Welsch nahm den Bericht von Interpol entgegen, den Tamara ihm reichte.

»Rosen und Perlen. Und alles sehr junge, hübsche Frauen. Na, wenn das nicht romantisch ist«, meinte er lapidar, nachdem er ihn kurz überflogen hatte.

Tamara lächelte verächtlich. »Wie man’s nimmt.«

»Kein erkennbares Motiv, keine erkennbare Verbindung zwischen den Opfern, alle im Abendkleid, alle in einem Nobelhotel, immer an einem Wochenende …« Der Kommissar sprach mehr zu sich selbst als zu seiner Assistentin, die für sie beide gerade Kaffee besorgt hatte.

»Und die Hotelangestellten können sich weder an die Frauen noch an einen geheimnisvollen Fremden erinnern. Wirklich seltsam«, meinte sie.

»Nun, wir können zumindest davon ausgehen, dass es ein Mann war, der nicht gerade arm ist.«

»Dann hätte er ja auch echte Perlen spendieren können«, sagte Tamara zynisch.

Welsch blickte sie mit seinen stahlgrauen Augen fast väterlich-strafend an.

»Tschuldigung.«

»Machen wir weiter mit den Fakten. Alle drei Damen kommen aus gutem Hause, eine davon war sogar adelig – die in Moskau – …« Welsch nahm sich noch einmal den Interpolbericht vor.

Tamara unterdrückte ein Gähnen. Seit der Entdeckung der Toten in den frühen Morgenstunden waren sie beide auf den Beinen, und jetzt hingen sie über diesem Fall, sortierten, verglichen und versuchten, irgendwo einen Zusammenhang zwischen den Mordfällen zu entdecken. Die junge, sportliche Frau war eher der aktive Typ, der sich vor Ort ein Bild machte. Die Büroarbeit langweilte sie recht schnell. Welsch dagegen war ein Maulwurf. Er konnte sich stundenlang in Akten vergraben. Wie Indiana Jones, dachte Tamara und lächelte in sich hinein.

Im Laufe der Jahre hatten die ungleichen Typen sich zusammengerauft. Welsch war damals nicht gerade begeistert gewesen von der Blondine. Wahrscheinlich, weil die hübsche Frau ein Klischee bediente, das man in seinem Alter nicht einfach ablegen konnte.

Trotzdem lernte er ihre manchmal brillanten Einfälle und ihre Tatkraft zu schätzen.

»Lassen Sie uns morgen weitermachen«, sagte Welsch bestimmt. »Gehen Sie nach Hause, Tamara. Sie haben schon genug Überstunden angesammelt. Wir werden morgen noch mal die Listen der Hotelgäste durchgehen, die an den besagten Wochenenden eingecheckt haben.«

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen.

Timothy, der dicke rote Perserkater, begrüßte Tamara, als diese ihre gemütliche kleine Zweizimmerwohnung betrat. Sie hatte unterwegs noch einige Einkäufe erledigt.

»Hallo, mein Dicker«, begrüßte sie das schnurrende Fellknäuel, das um ihre Beine strich. »Du hast wohl auch Hunger, was?« Sie packte ihre Einkäufe aus, öffnete eine Dose Katzenfutter und schaltete das Radio an. Ein Stück von Chopin wurde gerade meisterhaft gespielt. Dann ging sie ins Badezimmer, um sich ein Vollbad einzulassen, legte eine Pizza in den Backofen und zog sich einen bequemen Hausanzug an. Ein begnadeter Pianist, dachte sie kurz, als der letzte Akkord verklungen war. Tamara liebte Klassik, aber auch Jazz und Blues. Die moderne Musik aus den Charts lehnte sie eher ab.

Es wurde einer der seltenen, ruhigen und entspannten Abende, die sie so sehr schätzte.

 

*

 

Dafür hatte es dann der nächste Morgen in sich.

»Schon wieder eine«, begrüßte Kommissar Welsch seine Assistentin, als diese gerade das Büro betrat.

»Wo?«

»In Berlin. Kommissar Heffner rief mich gerade an. Er schickt mir gleich den Bericht und die Fotos per E-Mail. Aber seiner Beschreibung nach ist es der gleiche Täter.«

»Unser Blutsammler?«, fragte Tamara.

»Genau!«

»Fehlt nur noch, dass der für das Deutsche Rote Kreuz sammelt«, murmelte sie vor sich hin.

»Wie bitte?«

»Äh, nichts. Ich habe nur laut gedacht.«

»Gut. Ihr Zynismus ist hier wirklich nicht angebracht. Der Kerl reist kreuz und quer und nicht eine einzige Beschreibung von ihm haben wir vorzuweisen.«

»Ich mach mich gleich an die Liste mit den Hotelgästen.« Tamara goss sich einen Kaffee ein, bevor sie sich an ihren Schreibtisch setzte.

»Gut, sobald ich die aus Berlin habe, bekommen Sie die auch noch.«

»Da vergeht einem doch glatt das Frühstücken.« Welsch betrachtete die Fotos auf seinem Computer. Wieder eine schöne, junge Frau mit langen, diesmal schwarzen Haaren und bleichem Gesicht. Wieder die gleichen Merkmale an dem rechten Handgelenk. Wieder blutleer. Wieder Rosenblüten und eine Perlenkette aus schwarzglänzendem Hämatit. Wieder keine Spur und keine Zeugenaussagen.  

»Vielleicht habe ich ja was. Aber ich bin mir nicht sicher.« Tamara hatte die Namenslisten der Gäste aus den Nobelhotels aus Kopenhagen, Moskau, Hamburg und Berlin vor sich liegen. Ein oder zwei Namen hatte sie Gelb markiert. »In Kopenhagen und hier in Hamburg taucht der Name Stefan Schwarz auf. Ein Medienberater, der für internationale Fernsehsender arbeitet. Aber in allen vier Städten finde ich nur einen Namen, den von Richard Tabatha.«

»Der Künstler?«, fragte Welsch.

»Genau, er befindet sich zurzeit auf Europatournee und tritt in nahezu allen großen Konzerthallen auf.«

»Der Typ ist doch weltbekannt. Wenn man den mit den Opfern gesehen hätte, das wäre sofort in der Presse gewesen. Lassen Sie sich von seinem Management mal den Tourplan geben.« Kommissar Welsch runzelte die Stirn. Irgendwie schien das nicht zusammen zu passen.

Das Gesicht von Richard Tabatha prangte von allen Konzertplakaten in diesen Städten, ganz zu schweigen von seinen TV-Auftritten. Der Pianist war eine weltmännische Persönlichkeit mit einer umwerfenden Ausstrahlung auf Frauen.

»Naja, wir könnten ihn uns ja mal anschauen«, meinte Welsch.

»Das dürfte schwierig werden. Der nächste Auftritt ist in Wien«, antwortete Tamara.

»Und wir können nicht warten, bis dort ein weiterer Mord geschieht. Buchen Sie uns einen Flug. Wir gehen in ein Konzert!«

Tamara schaute erstaunt von ihren Papieren auf. So bestimmt kannte sie ihren Chef nur, wenn dieser eine Witterung aufgenommen hatte.

»Ach ja, und informieren Sie unsere Kollegen in Österreich. Ich möchte nicht, dass es dort Kompetenzschwierigkeiten gibt.«

Tamara griff zum Telefon.

Der Kursalon Wien in der Johannesgasse war ausgebucht. Die Kollegen in Österreich hatten dafür gesorgt, dass Tamara und ihr Chef Plätze in der ersten Reihe bekamen und auch, dass sie nach dem Konzert den Künstler ungehindert besuchen konnten.

Das Orchester, das den heutigen Pianoabend begleiten sollte, stimmte gerade seine Instrumente. Ein Raunen und Tuscheln erfüllte den Raum. Die gut gekleideten Gäste waren voll spannungsgeladener Erwartung. Genauso ging es Tamara. Dagegen hatte ihr Chef, der neben ihr saß, einige Probleme mit dem eleganten Anzug, der ihn überall zu kneifen schien.

Am liebsten wäre Kommissar Welsch wieder gegangen, denn er hasste solche gesellschaftlichen Auftritte. Nervös rutschte er auf seinem Sitz hin und her. Für seine hübsche Assistentin hatte er keine Augen. Diese fühlte sich dagegen recht wohl in dem eng anliegenden schwarzen Abendkleid mit dem tiefen Rückenausschnitt und der perlenbestickten Seidenstola. Die blonden, langen Haare waren hochgesteckt und mit zwei Strasskämmen gehalten. Sie sah bezaubernd aus und genoss die bewundernden Blicke der anwesenden Herren.

Endlich! Richard Tabatha betrat die Bühne im obligatorischen Frack. Er verbeugte sich vor dem applaudierenden Publikum und nahm auf dem Hocker vor dem imposanten Bösendorfer Flügel Platz. Tabathas Hände flogen über die schwarz-weißen Tasten und erweckten die Noten vor ihm zum Leben. Melodien schwebten durch den Raum, hoben und senkten sich wie zarte Schleifer um die Zuhörer. Der Künstler selbst schien verloren in der Musik, weit weg von den Menschen und ihren Alltagssorgen. Über neunzig Minuten lang hielt der Pianist sein Publikum in seinem Bann. Ein tosender Applaus beendete seine Vorstellung.

Noch ganz erfüllt von der Musik machte Tamara sich nach dem Konzert auf den Weg zur Künstlergarderobe. Der Security brauchte sie nur ihren Polizeiausweis zu zeigen. Ihr Chef wollte nachkommen und war in sein Hotel geeilt, um endlich seinen unbequemen Anzug loszuwerden. Im Gegensatz zu ihrer sonst forschen und selbstbewussten Art stellte Tamara Hansen sich eher schüchtern dem Pianisten vor und erklärte in knappen Worten ihr Anliegen.

Richard Tabatha begrüßte sie dagegen galant mit einem Handkuss. »Was macht eine so bezaubernde junge Frau nur bei der Polizei?«, schmeichelte er ihr mit einem leichten, undefinierbaren Akzent in der Stimme.

Und nachdem er den Grund ihres Besuches wusste und die Fotos der Opfer gesehen hatte, die Tamara ihm zeigte, meinte er nur völlig desinteressiert: »Ich bedaure, aber diese Damen sind mir nicht bekannt. Mein Hotelaufenthalt ist immer nur sehr kurz während einer Tournee, und ich achte selten auf andere Gäste. Ich hoffe doch, Sie verdächtigen nicht mich.« Der spöttische Unterton in seiner Stimme war unüberhörbar.

Tamara musterte ihn aufmerksam mit ihren meergrünen Augen. Sie wusste nicht, ob sie ihm Glauben schenken sollte. Er wirkte kühl und doch irgendwie anziehend auf sie. Tabatha hielt ihrem Blick stand und seine schwarzen Augen blickten sie herausfordernd an.

Es waren Augen wie schwarze Spiegel, kalt und leer. Hämatit, dachte Tamara unwillkürlich. Das sind keine Augen, in denen man die Seele sehen kann. Die junge Polizeibeamtin war selbst verwirrt wegen dieser Gedanken.

»Kann ich noch etwas für Sie tun? Darf ich Sie vielleicht zum Essen einladen?«, fragte der Künstler sie jetzt.

Fast war sie versucht, diese Einladung anzunehmen, doch dann kam ihr der Kommissar in den Sinn. »Nein, danke. Ich werde noch erwartet.«

»Oh, wie bedauerlich.« Tabatha lächelte. »Ich bin aber überzeugt, wir sehen uns wieder. Sie entschuldigen mich, mein Fahrer wartet. Ich brauche noch etwas Ruhe vor der Abreise zu meinem nächsten Auftritt.« Mit diesen Worten verbeugte sich der elegante Mann vor ihr und verließ die Garderobe. Tamara kam sich vor wie ein Schulmädchen. Was sollte sie bloß dem Kommissar erzählen?

 

*

 

Welsch sprach auf der Rückreise kaum ein Wort mit seiner Assistentin.

»Der Manager hat mir den Tourneeplan kopiert. Tabatha ist bereits seit einigen Monaten auf Tournee. Aber nicht in jeder Stadt, in der er bisher aufgetreten ist, geschah ein Mord.« Tamara wollte irgendwie die Atmosphäre zwischen ihr und ihrem Chef auflockern.

Welsch schaute sie kurz an.

»Das hört sich ja fast an, als wollten Sie ihn verteidigen«, sagte er.

»Haben wir ihn denn überhaupt unter Verdacht?«, konterte sie.

»Nun ja, im Augenblick bietet sich kein weiterer Verdächtiger an. Wir gehen Montag noch mal alles durch.«

Dann herrschte wieder gemeinsames Schweigen.

Am Montag begann die Woche mit Regen und einem Strauß roter Rosen auf Tamaras Schreibtisch.

---ENDE DER LESEPROBE---