Jesus - Martin Hagenmaier - E-Book

Jesus E-Book

Martin Hagenmaier

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Beschreibung

Fast dreihundert Jahre Jesusforschung haben viele Erkenntnisse und Interessantes zu Tage gebracht und für Aufregung in den Kirchen gesorgt. Die Frage aber ist, ob sich die große Mühe auch gelohnt hat. Dass die Kirchen durch "historische Erkenntnisse" besser für die Gegenwart gerüstet wären, bleibt jedenfalls eine unerfüllte Erwartung. Warum sollte auch ein Glaube durch "historische Tatsachen" untermauert werden? Muss man statt zu glauben etwas beweisen? Einige sehen die Grundfesten des Christlichen durch die lange Forschungsgeschichte in Gefahr oder schon zerstört. Andere hoffen immer noch, das "wahrhaft Christliche" zu finden. Der Vorwurf des Betruges wird bei der Auferstehung, der Himmelfahrt und der Idee der Wiederkehr Christi immer wieder erhoben. Jesus hat gar nicht gesagt, was ihm in den Mund gelegt wurde, behaupten ernstzunehmende Forscher*innen immer wieder, um dann aber doch genau zu wissen, was er gesagt oder sogar, was er gemeint hat. Dabei stützen sie sich neben dem Neuen Testament auf zahlreiche weitere Schriften, die die Überlieferung ausgeschieden hatte. Weltweit glauben alle Glaubenden an etwas Göttliches. Sogar die Nichtglaubenden tun das merkwürdigerweise und feiern die Feste des Glaubens mit oder nehmen sie in Anspruch. Soll ausgerechnet das Christentum den Glauben aufgeben, weil angeblich dieser ganze Glaube eine einzige Täuschung ist? Manche glauben sogar, die Bibel sei "gefälscht", weil da nichts (mehr) über den letzten Propheten drinsteht. Alles, was da so umherschwirrt, sind keine uneigennützigen Äußerungen. Großenteils geht es um die "Konkurrenz" der Wahrheiten und das Argument gegen "die Kirche". Helfen kann da nur die Gelassenheit des Glaubens. Denn am Ende glauben alle, was sie wollen. Es sei denn, es wird ihnen mit allen Mitteln "der wahre Glaube" eingebläut. In diesem Punkt aber sind andere den Christen (heute) weit voraus.

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Bedeutungsmächtiges Mittelalter: Hier wird unter dem Alpha und Omega das Königspaar dargestellt, das den Dom gespendet hat. Die Pyramide zeigt die Gesellschaftsform der damaligen Zeit. (Dom zu Ribe, 13. Jahrhundert)

Inhalt

Jesus, die zentrale Figur des Christentums

1.1 Ein bisschen Verwirrung

1.2 Mehr Verwirrung

1.3 Quellen

1.4 Begriffe und Bedeutungen

Was man voraussetzen muss

2.1 Glauben oder Wissen

2.1.1 Fund im Nachrichtenmagazin

2.1.2 Folgerungen aus dem Text

2.2 Die Funktion von Religion

2.3 Glauben

2.4 Sprache

2.5 Bezeichnungen enthalten Geschichte und Macht

2.6 Quellenfälschung

2.7 Die Dramatik „neuer Erkenntnisse“ über Jesus

2.8 Aufklärung

2.9 Voraussetzungen

Phasen der Jesusforschung

3.1 Erste Phase: Vom Rationalismus zum Mythos

3.1.1 Rationalismus

3.1.2 Kann man mythisch dichten?

3.1.3 Liberale Jesusforschung: Überwindung des kirchlichen Dogmas

3.1.4 Zwischenschritt am Anfang des 20. Jahrhunderts

3.2 Zweite Phase: „Differenzkriterium“

3.2.1 Was man an einer Quelle erkennen kann

3.2.2 Folgerungen zum irdischen Jesus

3.3 Dritte Phase der Forschung

3.3.1 Soziale Jesusinterpretation

3.3.2 Historisches Plausibiltäts- statt Differenzkriterium

3.3.3 Neue Bewertung der schriftlichen Zeugnisse

3.3.4 Zwei konkurrierende Jesusbilder

3.3.5 Der echte Jesus

3.3.6 Wie sich der Zugang zu Texten verändert

3.4 Jesu zweites Leben

Was die Jesusforschung erbringt

4.1 „Geronnene Menschheitsträume“

4.2 Alles Lug und Trug?

4.3 Fazit

4.3.1 Methoden oder Kriterien der Textauslegung

Die Quellen

5.1 Biblische Quellen

5.1.1 Markusevangelium

5.1.2 Matthäusevangelium

5.1.3 Lukasevangelium

5.1.4 Johannesevangelium

5.2 Apokryphe Quellen

5.2.1 Qumranfunde

5.2.2 Thomasevangelium (Th)

5.2.3 Kindheitsevangelium des Thomas (KTh)

5.2.4 Weitere Apokryphen

5.2.5 Fazit

5.3 Nichtbiblische Quellen (außerchristliche Zeugnisse)

5.3.1 Tacitus berichtet über Schuldzuweisungen an die Christen

5.3.2 Plinius der Jüngere (ca. 61 – ca. 120) schreibt über Anzeigen gegen Christen

5.3.3 Flavius Josephus (ca. 38 - ca. 100), Antiquitates Iudaicae (Jüdische Altertümer), widmet Jesus einen kleinen Absatz (geschrieben wohl 93)

5.3.4 Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus ca. 70-122) erwähnt Christus als Unruhestifter

5.3.5 Ergebnis der außerchristlichen Zeugnisse

Die Welt, in der Jesus lebte

Jesu Anspruch – vermittelt durch die Evangelien

7.1 Menschensohn

7.2 Sündenvergebung und Menschensohn

7.3 Antithesen

7.4 Vollmacht als Neuausrichtung des Judentums

7.5 Die Frauen

7.6 Fazit

7.7 Wie Jesus auf die Vollmacht kam

7.7.1 Die Gestalt des Johannes

7.7.2 Eine Vision

Das Reich Gottes

8.1 Das Reich Gottes ist schon da

8.2 Das Gottesreich ist wie …

8.3 Das große Abendmahl – eine Gerichtsdrohung?

8.3.1 Weitere Gerichtsdrohungen

8.3.2 Die Jüngermission

8.4 Reich Gottes, End-Gericht und Wiederkunft Christi

8.4.1 Das End-Gericht – noch eine Gerichtsdrohung?

8.5.2 Warten auf die Wiederkunft Christi

8.4.3 Zeichen des kommenden Reiches

8.5 Gleichnisse als Form der Mitteilung

8.5.1 Gleichnisliste

8.5.2 Auslegung von Gleichnissen am Beispiel des Gleichnisses vom Sämann

8.5.3 Warum in Gleichnissen?

8.5.4 Auslegung des Gleichnisses vom Sämann

8.5.5 Zusammenfassung Gleichnisse

8.6 Die Wunder als Zeichen des Gottesreiches

8.6.1 Exorzismen

8.6.2 Krankenheilungen

8.6.3 Weitere Wundertaten Jesu

8.7 Die Ethik der Königsherrschaft Gottes

8.7.1 Die Antithesen

8.7.2 Das Vermeiden von religiöser Prahlerei

8.7.3 Die Fehler der anderen

8.7.4 Der Vater als Gleichnis für Gott

8.7.5 Die goldene Regel

8.7.6 Die Seligpreisungen

8.8 Bergpredigt - Reflektion

Die Kreuzigung Jesu

9.1 Unterschiede in den Geschichten von der Kreuzigung

9.2 Der Grund der Hinrichtung Jesu

9.3 Das Abendmahl

Auferstehung

10.1 Die ältesten Überlieferungen über Tod und Auferstehung

10.2 Das leere Grab

10.2.1 Mk 16

10.2.2 Mt

10.2.3 Lk

10.2.4 Joh

10.2.5 Petrusevangelium

10.2.6 Ergebnis

10.3 Deutung von Leiden, Tod und Auferstehung

10.3.1 Vom Foltertod zur ‚Kraft Gottes’: der leidende Gottesknecht

10.3.2 Weitere Stichworte zur Deutung der Kreuzigung

Der Christus und andere Hoheitstitel

11.1 Jesus, unser Herr (Kyrios)

11.2 Sohn Gottes

11.3 Christus, Messias, Davidssohn

11.3.1 Salbung Jesu

11.4 Der Logos

11.5 Folgen der Jesus-Titelei

Christus im Bekenntnis

12.1 Der Philipperhymnus (Phil 2)

12.2 Der Kolosserhymnus

12.3 Christliche Bekenntnisse

12.3.1 Apostolisches Glaubensbekenntnis

12.3.2 Das Bekenntnis von Nicäa – Konstantinopel

.

Jesus und die Religionen

13.1 Jüdische Jesusinterpretation

13.1.1 Jesus im babylonischen Talmud

13.1.2 Eine konservative Auslegung der Textstellen, die die Christen auf Jesus beziehen

13.2 Islamische Sicht des „Propheten Jesus“

13.2.1 Traditionelle Sicht Jesu (Mehdi Bazargan, schiitisch)

13.2.2 Interreligiöser Ansatz (von Stosch/Khorchide)

13.2.4 Ergebnis

13.3 Hinduistisches Verständnis Jesu

13.4 Buddhismus und Jesus

13.5 Fazit Jesus und die Religionen

Alle glauben, was sie wollen

Literatur

1 Jesus, die zentrale Figur des Christentums

Zwar heißt auch mal eine Autowerkstatt so oder ein Fußballspieler beim FC Liverpool oder ein schlichter Mensch: Jesus. Vielleicht wollten die Namensgeber, also meistens die Eltern, die Großartigkeit ihres Nachwuchses hervorheben, andere haben sie so benannt oder es ist ihnen gerade mal so schön vorgekommen. Zum Modenamen aber hat er es nicht gebracht. Da sind ihm andere aus der christlichen Tradition weit voraus wie Lukas (Luca, Luke), Johannes (Hans, Janna, Jana, Johanna), Markus, Matthäus (Matteo) oder auch Jacob – ganz zu schweigen von Maria. Beim Namen Jesus gibt es dann doch eine gewisse Scheu, die damit verbundene Bedeutung auf einen gewöhnlichen oder außergewöhnlichen Menschen zu übertragen.

Um Jesus rankt sich eine Art Nebel, sofern man nicht an ihn glaubt. Auch die an ihn glauben, möchten gerne mehr Sicherheit über seine Person gewinnen, um all den umherschwirrenden Argumenten begegnen zu können, die da sagen, er sei gar nicht historisch, er sei erfunden oder er habe gar nichts Besonderes an sich. Seine Geburt sei das Ergebnis irgendeiner zumindest außerehelichen, eher aber vorehelichen, Zeugung. Seinen Vater kenne daher niemand. Einige waren aber doch dabei und wissen, dass der Vater ein römischer Soldat war. Aber Josef habe ihn als Kind akzeptiert. Warum spielt das eine Rolle – besonders heute in der Zeit der Patchworkfamilien? Weil ja die Christen bis heute behaupten, Jesus sei Gottes Sohn. Gottes Sohn könne aber nun wirklich niemand sein. Weshalb klingt da der Brustton der Überzeugung durch? Und gar, dass er jetzt im Himmel irgendwo in der Nähe Gottes herumsitzt und Daumen dreht – na ja, altes Weltbild! ‚Wer’s glaubt, wird selig.‘ „Es muss mit der Begierde des westlichen Menschen zusammenhängen, die ‚Fakten‘ zu kennen. Er will wissen, wie es wirklich gewesen ist.“1 Es mag sein, dass es diese Begierde gibt. Aber Joachim Kahl vermutete in seinem stürmischen, über fünfzig Jahre alten Buch, die Theologen im Protestantismus seien die mit der Begierde nach Fakten. „Man möchte verbindlich erklären können, was als wahrhaft christlich gelten darf.“2 Dazu brauchte man nach damaliger Meinung den historischen Jesus als das Original.

In seinem relativ kurzen Erdenleben soll er sogar verheiratet gewesen sein, was die Kirchen zur Täuschung der über zwei Milliarden als Christen geltenden Menschen verschweigen. Warum sollte man so etwas verschweigen? Weil dann die Priester umsonst ehelos bleiben müssen? Seine Frau sei Maria Magdalena gewesen, behaupten einige Forscher*innen. Jesu Tod und Auferstehung folge dem Drehbuch der Heiligen Hochzeit.3 Die beiden hätten zumindest ein Kind oder aber deren drei gehabt, deren Nachkommen irgendwann Könige in Frankreich wurden, sagt eine Legende. Man könne einen Becher vorweisen, aus dem er getrunken habe, sagt eine andere Legende. Der Becher wird in der Basilika San Isidoro in León als heiliger Gral verehrt. Er soll als Abendmahlskelch aus dem Abschiedsmahl Jesu mit seinen Jüngern stammen. Damit soll sogar das Blut Jesu aus seiner Stichwunde am Kreuz aufgefangen worden sein. Wissenschaftlerinnen halten den Achatbecher tatsächlich für einen Gegenstand aus der Zeit Jesu, was gar nichts beweist. Es gab sicher mehrere Becher aus Achat im Palästina jener Zeit. Zudem gibt es um die zweihundert Kelche, die den Anspruch auf Herkunft vom Abschiedsmahl Jesu ebenfalls erheben. Man erinnert sich dabei an den sagehaften König Artus – und heute an Parzival und Indiana Jones.

Langobardische und andere Könige schmückten sich mit der Eisernen Krone (corona ferrea), deren innerer (eiserner) Ring aus einem Nagel vom Kreuz Christi bestehen soll. Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin (306-337) und seit 324 von Konstantin in den Stand als Kaiserin berufen, soll ihn und weitere Nägel im Jahre 326 aus Palästina mitgebracht haben, so wird schon am Ende des vierten Jahrhundert von Ambrosius berichtet.4 In Dom von Monza kann die corona ferrea in einer dafür gebauten Kapelle bewundert werden. Im Petersdom wird heute das Holz vom Kreuz Jesu ausgestellt. In ganz Europa sind die weiteren Stücke vom Kreuz verteilt.5

Es ist möglich, vor allem die Legenden um die sogenannten Reliquien, zu denen auch das Grabtuch Christi in Turin gehört, in ihrer Entstehungszeit im Mittelalter zu lokalisieren. Damals gab es einen intensiven Reliquienhandel in Europa. Manche Heiligenüberreste gibt es daher mehrmals. Daher scheiden Kreuz und Nägel als Nachweise für Jesu Erdenleben vollkommen aus. Selbst wenn der Becher aus León aus der Zeit Jesu stammen sollte, wäre das kein Nachweis. Vielleicht kommt daher noch jemand auf die Idee, nach Jahrtausenden noch DNA - Material auf dem Becher zu suchen, der durch viele Hände gewandert sein, aber nicht so oft das Blut von jemandem aufgefangen haben dürfte.

Jesus ist inzwischen von so vielen Legenden, Forschungsergebnissen und Glaubenswahrheiten überwuchert, dass man viel Energie braucht, um ein wenig Klarheit darüber zu gewinnen, was man eigentlich wirklich über Jesus weiß oder wissen könnte. Die von Wissenschaftler*innen geschriebenen Jesusbücher könnten da weiterhelfen, bieten aber uns Leser*innen ebenso sehr verschiedene Jesusbilder an. Was dann wirklich historisch ist, bleibt zumeist offen. Adolf Holl hat beispielsweise zum Beginn der 1970iger Jahre geschrieben: „Welcher Jesus? … Diese Frage ist berechtigt, denn der Jesusbilder in den Köpfen der Gelehrten gibt es viele und auch die populären Vorstellungen von Jesus sind unterschiedlicher Art. Sie sind dermaßen zahlreich, daß ihre Aufzählung und Klassifizierung ermüden würde.“6 Was die wissenschaftliche Abteilung betrifft, so könne es leicht geschehen, dass das Ergebnis zur „Leerformel wird, die in ihrer Inhaltslosigkeit kaum zu interessieren vermag. Jesus verschwindet hinter dem Apparat der Gelehrten.“7 Im schlichten Alltag verschwimmt das Bild Jesu, aber auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung.

Enthüllungsbücher jeder Art wollen durch ihre angebliche Tiefenerkenntnis das Jesusproblem lösen, ganz im Stil einer Glaubensgemeinschaft. Man soll ihren geheimen Informationen unkritisch folgen. „Was uns bis heute verschwiegen wurde“ lautet der Untertitel eines relativ neuen Exemplars dieser Gattung.8 Da kommt also jemand, der das aufdeckt, was große Player wie die Kirchen zum Selbstschutz verborgen haben. Das Ergebnis der 220 Seiten: „Der Jesus, der uns überall heute aufgetischt wird, ist eine Kunstfigur, zusammengebastelt aus verschiedenen ägyptischen, persischen, jüdischen, griechischen und römischen Vorstellungen. Zu viele Beweise stellen die Originalität des Lebens Jesu infrage, und zu viele Lügner suchten sich als ‚Augenzeugen‘ zu präsentieren. Das Leben Jesu, wie es uns bislang verkauft wurde, ist religiöses Seemannsgarn, zusammengesponnen aus anderen früheren Erzählungen.“9 Was da sehr sicher auftritt, ist lediglich eine mindestens ebenso zusammengesponnene Geschichte. Wie kann man erklären, dass sich eine(r) oder eine Gruppe von Menschen diese Geschichten ausgedacht haben, um ein Sammelsurium an religiösen Elementen als neue Religion zu präsentieren? Dann mussten sie sich noch auf eine gemeinsame Kunstfigur einigen und diese absichtlich unscharf beschreiben, damit es niemand merkt. Dann mussten sie noch viele Missionare ausbilden, die diese Geschichten ziemlich originalgetreu wiedergeben konnten, sich dafür verlachen, verfolgen, steinigen, kreuzigen oder verbrennen ließen. Bis dann ein Kaiser namens Konstantin plötzlich umschwenkte und dem Christentum den weltgeschichtlichen roten Teppich ausbreitete. Eine solche Geschichte liest sich noch abenteuerlicher als die von Jesus, dem Christus. Immerhin ist das Ganze „eine unglaublich geschickte Erfindung …, weil sie so perfekt ist. … Immerhin galt es, einen Gott zu schaffen. Und das gelang den priesterlichen Märchenerzählern. Sie stellten mit ihrer künstlichen Christusfigur alles in den Schatten, was je ein Roman erfunden und zusammenfantasiert hatte.“10

Genau so liegt es bei der Behauptung, dass entscheidende Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vorenthalten wurden.11 Diese Behauptung ist schlicht falsch. Die Jungfrauengeburt wurde hin und her diskutiert, nicht nur, aber auch auf Kanzeln. Der Inhalt dieser Geschichte kann bis in den Koran verfolgt werden. Die Geschichte wird nur von zwei Evangelisten ausgemalt, die anderen, Markus und Johannes, hielten das offenbar nicht für wichtig. Wie die ‚Jungfrauengeburt‘ zu verstehen ist, soll später betrachtet werden. Jedenfalls ist das kein Tabu, das man entzaubern müsste. Die zahlreichen Jungfrauengeburten, die es sonst noch so gegeben haben soll, sind kein Argument für ein Tabu im Christentum, sondern das genaue Gegenteil. Wenn Buddha oder Zarathustra selbiges nachgesagt wird, kann man vielleicht von einer Anregung, aber nicht von einer absichtlichen Lüge zum Machtgewinn sprechen. Dass es mehrere religiös gestaltete Mahlfeiern gibt wie das christliche Abendmahl, spricht nicht für ein Tabu, sondern für Einflüsse oder Übernahmen ähnlicher Modelle bzw. deren Deutung. Das wurde in der Theologie in jeder nur denkbaren Hinsicht besprochen und dabei nichts verborgen. Die Enthüller lüften weit offene Geheimnisse.

Aber auch aus der neueren Universitätstheologie kommen ähnliche Aussagen. „Die frühen Christen haben sich, historisch geurteilt, Jesus so zurechtgemacht, wie er ihren Wünschen und Interessen entsprach und wie er ihnen im Kampf gegen Abweichler und Andersgläubige am nützlichsten zu sein schien. ... So ist Jesus unter den Übermalungen des Neuen Testaments über weite Strecken bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden.“12 Gerd Lüdemann stimmt der Vokabel „Betrug“ im Blick auf die Urchristenheit ausdrücklich zu, „Jesus – fromm, aber skrupellos eigene Meinungen in den Mund zu legen“.13 Damit schließt er sich auch ausdrücklich dem Betrugsvorwurf der jüdischen Zeitgenossen Jesu an. Aber auch hier gilt der schlichte Einwand, dass Betrug bewusst täuschendes Handeln voraussetzt. Wen aber sollten die ersten Christen als Opfer der Täuschung anvisiert haben? Etwa die ganze Menschheit? Oder ihre judäischen Mitmenschen, den Kaiser in Rom oder seine Stellvertreter in Syrien? Oder nur die Tempelregierung in Jerusalem? Der Betrugsvorwurf unterstellt eine Absicht, sich einen Vorteil zu verschaffen, sich zu bereichern, sich etwas auf Kosten anderer zu sichern. Und das kann nicht der Fall sein. Warum sollten Menschen aus Jerusalem diese Täuschung unternommen haben? Hieß ihr Lebenszweck: Wir täuschen doch so gerne; lasst uns mal was Neues probieren …! Dann waren sie nach ein paar hundert Jahren froh, dass ihr Plan aufgegangen ist.

Was sollte man sich durch die Verkündigung Jesu Christi sichern? Sollte die Sündenvergebung etwa ein Vorteil sein, den man sich durch Phantasien sichern kann? Was ist der Nachteil dessen, der daran nicht glaubt? Wem tut es weh, wenn der eine an die Hölle glaubt, die eine andere weit von sich weist? In der Debatte um Jesus werden falsche Begriffe benutzt, wenn von Betrug, Hinterlist oder Lüge gesprochen wird. Es handelt sich eher um die üblichen Differenzen der Wahrnehmung, die jede denkbare menschliche Situation betreffen. Ein Motiv der Täuschungen wird auch bei der folgenden Zusammenfassung nicht sichtbar: (Denkende Mitmenschen) „wären entsetzt gewesen, die frühen Christen zu beobachten, wie sie den charismatischen Exorzisten Jesus zu einem Vollbringer von geradezu monströsen Wundertaten machten, wie sie den jüdischen Gleichniserzähler zu einem mißgünstigen Antisemiten erklärten, der von ‚denen da draußen‘ gar nicht verstanden werden wollte, und wie sie schließlich den unstetig umherziehenden Wanderprediger zum Weltenherrscher erhoben, der über Tote und Lebende Gericht halten wird.“14 Erstens: Wie soll ein Jude Antisemit sein, wenn er außerhalb des Judentums nicht verstanden werden will und nur intern redet? Zweitens: Wer den Jesus hinter den frühen Christen so genau kennt, dass er sie der Fälschung bezichtigt, kann sich unmöglich auf das Neue Testament (NT) berufen, das er für ein Buch voller Fälschungen hält. Drittens: Woher weiß ein heutiger Theologe, dass Jesus charismatisch und ein Exorzist war? Und Viertens: Weltenherrscher und Endzeitrichter geistern überall herum und regen die Phantasie der Menschen an. Damit wird klar, auch diese Exegese lebt von Phantasietätigkeit, selbst wenn sie sich moderner Methoden bedient. Gerd Lüdemann hat dennoch den „echten Jesus“ gefunden und beschreibt ihn in seinen echten Worten und Taten.15

Es gibt auch ganz andere Zugänge. Der Archäologe Shimon Gibson resümiert: „Der historische Jesus war ein Mann aus kultivierten, wohlhabenden Verhältnissen im ländlichen Galiläa, der von Johannes dem Täufer mit den Praktiken der rituellen Reinigung vertraut gemacht wurde. Er war von der Effizienz neuartiger Heilmethoden und in gewisser Weise auch von Magie überzeugt und jagte mit seinen hitzigen Reden und seiner unkonventionellen Lehre den jüdischen und römischen Behörden solche Angst ein, dass sie sich zu dem radikalen Schritt entschlossen, ihn zum Tode zu verurteilen. Nach dem, was der jüdische Historiker Josephus schrieb, konnte man damals schon wegen sehr viel geringerer Vergehen hingerichtet werden.“16

Diese Einschätzung ohne theologische oder exegetische Komplikationen aufgrund langjähriger Erfahrung mit der Archäologie des „heiligen Landes“ geht ohne Zweifel von der Historizität Jesu aus. Man kann ihn an den im NT erwähnten Orten sozusagen nachverfolgen. Machen sich Theologen aller Art allein anhand von Texten etwa zu viele Gedanken über den historischen Jesus und den himmlischen Christus? Oder geht es da in der Hauptsache um die Bewahrung der Glaubensaussagen, mit denen heute einiges an Status und Einfluss verbunden ist? Sind sie unter den Institutionen und Gruppen der ‚christlichen Welt‘ aus diesem Grund so umstritten? Oder stehen sie unter einem (eingebildeten) Druck wegen des (schein-) aufklärerischen Gehabes ihrer Gegner*innen, zu denen selbstverständlich auch andere Religionen gehören, auch wenn die Christen den ‚Wettbewerb‘ ihrerseits eingestellt haben?

Nein, so kompliziert soll der Einstieg in die Jesusgeschichte gar nicht werden. Es geht im Gegenteil ganz einfach los.

1.1 Ein bisschen Verwirrung

Ich muss zugeben, als ‚normaler Mensch‘ wird man schon von der Namensgebung Jesu verwirrt. Auch die mit ihm zusammenhängenden Namen sind inzwischen erklärungsbedürftig.

Jesus von Nazareth bezeichnet Jesus nach seinem (wahrscheinlichen) Geburtsort, der aber in zwei der Evangelien (aus theologischen Gründen) Bethlehem sein soll. Der Name Jesus war offenbar in der Zeit sehr gebräuchlich und enthält keine Besonderheiten, außer vielleicht, dass er bei den Israeliten J(eh)oschua hieß und dieser latinisierte Josua der Nachfolger des Mose war, der die Israeliten in das „gelobte Land“ führte, was dem Moses versagt blieb. Wer da einen Zusammenhang sehen möchte, der die Mutter Jesu zur Namensgebung veranlasst hätte, kann das tun. Dann müsste er oder sie aber erklären, warum dann auch vier Hohepriester (oberste Geistliche) in Jerusalem und viele ihrer Gegner zwischen 37 und 70 den Namen J(eh)oschua trugen.

Der irdische Jesus ist der, der in dem Ort Nazareth aufgewachsen ist. Wer seine Mutter war, ist eigentlich unumstritten, wie das bei Menschen ja im Allgemeinen, außer vielleicht bei Wirren oder Katastrophen während oder kurz nach der Geburt, der Fall ist. Um den Vater rankt sich eine Geschichte, die später besprochen wird.

Jesus Christus sind nicht etwa Vor- und Nachnamen. Christus (griechisch) ist vielmehr ein von den Theologen so genannter Hoheitstitel und bedeutet dasselbe wie Messias (hebräisch), nämlich „der Gesalbte“. Der Gesalbte hat wieder eine Bedeutung, die aus dem Alten Testament stammt, aber auch in anderen Kulturen vorkam. Der König der Israeliten wurde zunächst von einem Heiligen Mann, dem Richter, im Namen Gottes mit heiligem Öl gesalbt, bevor ihm durch Akklamation (Zustimmung) des Volkes die Macht übertragen wurde. Der Ehrentitel bedeutet also eigentlich: Der von Gott ausgewählte König. Weitere nicht so bekannte Ehrentitel werden später erklärt.

Christus, der Herr (griechisch Kyrios), sagt ähnliches aus. Er ist der Herr, dem die Ehre der Menschen gebührt. Sie gebührt nicht den Herren dieser Welt, die sich die Ehre anmaßen oder sie allenfalls verliehen bekommen. Alle weltliche Herrschaft wird dadurch als begrenzt und vorläufig gekennzeichnet und gegenüber Jesus oder auch „Gott, dem Herrn“ abgewertet. Die Kyrios – Bezeichnung war in der hellenistischen Welt bekannt.

Ob der historische Jesus die Hoheitstitel auf sich selbst angewendet hat, ist umstritten. Deshalb sind sie als Titel dessen zu verstehen, den man den Jesus des Glaubens nennt. Denn sie sind Glaubensäußerungen von Menschen verschiedener Zeiten und Gegenden.

Schließlich ist im Zusammenhang mit dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens noch ganz wesentlich zu wissen, dass Jesus schon in seinem irdischen Leben nicht alleine gewesen ist, sondern, wie im Neuen Testament beschrieben, eine Gruppe um sich gesammelt hat. Das sind die so genannten Zwölf Jünger, die später schon im Urchristentum Apostel genannt wurden und noch heute werden. Elf von diesen waren die, die die Botschaft Jesu weitergaben, also, wenn man so will, die ersten Gemeinden gründeten oder ihre Gründung begleiteten. Ihre Namen sind: Simon (Petrus), Jacobus (Sohn des Zebedäus), Johannes (Bruder des Jacobus), Andreas, Philippus, Bartholomäus, Simon (Kananäus), Matthäus (Levi), Thaddäus, Thomas und Jacobus (Sohn des Alphäus). (Markus 3,16-19) Der zwölfte namens Judas ist als der Verräter Jesu bekannt geworden und soll durch Suizid geendet sein, was allerdings nur Matthäus berichtet (Mt 27,3-5). An seine Stelle trat der Apostel Matthias, der nach Apostelgeschichte (Apg) 1,15-26 durch Los zum 12. Apostel gewählt wurde.

Paulus wird auch Apostel genannt. Er war Jesus nicht zu Lebzeiten begegnet, sondern hatte auf dem Weg nach Damaskus eine Vision und fühlte sich fortan von Jesus zur Verkündigung seiner Botschaft beauftragt, religiös gesagt ‚berufen’. Auf dem Weg nach Damaskus war er eigentlich, um Christen gefangen zu nehmen (Apg 9,1-19). Von ihm stammen die Paulusbriefe als erste und wohl älteste christliche Schriften. Paulus war vor seiner Bekehrung ein jüdischer Pharisäer und trug den Namen Saulus. Daher stammt die Redewendung „vom Saulus zum Paulus“. Wenn von den ‚Lehren der Apostel’ die Rede ist, sind also diese zwölf bzw. dreizehn gemeint. Sie sind – bis auf Paulus - für die frühe Christenheit Zeitzeugen, die Jesus mit eigenen Augen gesehen und mit ihm gelebt haben. Dazu kommen natürlich noch die Schreiber der Evangelien. Wir kennen Jesus eigentlich nur aus ihrer Perspektive.

Kirchenväter werden Personen genannt, die vom 2. Jahrhundert an die Schriften der apostolischen Zeit bereits kommentiert oder zitiert haben. Sie wurden von der Kirche später heiliggesprochen. Die frühen aus dem 2. und 3. Jh dienen auch als Zeugen für das Vorhandensein der Schriften die heute im NT oder als Apokryphen gelesen werden können. Ebenso kennen wir durch sie die theologischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit.

Zum Nachdenken regt an, dass unsere Zeitzählung mit dem Jahr 1 als Geburtsjahr von Jesus beginnt. So sicher waren sich Generationen von Menschen, dass das eigentlich bis heute nie jemand in Frage gestellt hat. Die Zählung nach Christi Geburt kam im 6. Jahrhundert auf. Sie wurde erst im 11. Jahrhundert von der katholischen Kirche übernommen. Die Jesusforschung ist sich jedoch einig, dass das Jahr 1 wohl nicht das Geburtsjahr Jesu gewesen ist. Das genaue Geburtsjahr konnte auch die Forschung (noch) nicht ermitteln.

Zuletzt noch eine Bemerkung dazu, wie Texte im Alten und Neuen Testament gefunden werden können. Sie werden nach dem Schrifttitel (‚1. Mose’ oder ‚Markus’ oder ‚Offenbarung’…), Kapitel und Vers genannt. Kapitel und Vers werden durch Komma getrennt. Wenn zwei Verse gemeint sind, wird hinter der Verszahl ein f. für folgender gesetzt. Wenn mehr als zwei Verse in Frage kommen, wird das kleine f. verdoppelt: ff. Es gibt keine Seiteneinteilung. So kann man in jeder beliebigen Sprach- oder Druckausgabe die gleiche Stelle finden, selbst wenn man die Sprache nicht lesen oder verstehen kann.

1.2 Mehr Verwirrung

1.2.1 Weitere Verwirrung entsteht durch verschiedene Arten des Glaubens an Jesus Christus. Die einen sagen, es sei vor allem entscheidend, zu beten. Dann würde Gott durch oder mit Jesus „alles zum Besten kehren“. Man muss als Mensch selbst alles durch sein Handeln im Sinne der Nächstenliebe zum Besten wenden, sonst tut es niemand. Dazu fordert uns Jesus auf, sagen die anderen. Wer hat Recht?

1.2.2 Menschen winkt das ewige Leben nach dem Erdenleben, glauben die einen, die anderen glauben an ein Gericht und an eine zumindest sehr lange Buße, von der man einige Jahre abkaufen kann durch die Sündenvergebung der Kirche und / oder gute Taten. Sündenvergebung versprach auch die Teilnahme an den Kreuzzügen (von 1095 an), heute das Pilgern in (vom Papst ausgerufenen) heiligen Jahren.

1.2.3 Jesus war / ist Gottes Sohn steht gegen: Jesus war ein außergewöhnlicher Mensch mit großen Begabungen. ‚Jesus wollte die Welt verändern und kam den Mächtigen ins Gehege. Deshalb wurde er mit dem Tod am Kreuz ‚bestraft’ gegen: ‚Jesus verkündigte ein Reich Gottes, das diese Welt ersetzen, nicht verändern sollte. Menschen kann man nicht ändern, nur von ihrem verdorbenen Wesen erlösen.’

1.2.4 Jesus hat die Menschenwelt erlöst. Dazu musste er zu Gottes Genugtuung am Kreuz sterben. Daher ist der Kreuzestod keine Strafe, sondern ein göttliches Erlösungshandeln. Jesus war das Lamm, dessen Opfer Gott haben wollte, um gnädig sein zu können. Diese Opfertheorie steht der anderen Theorie gegenüber, dass der Mensch Jesus nicht für unsere Sünden, sondern an unseren Sünden gestorben ist: ‚Hier zeigt sich, was der Mensch dem Mit-Menschen anzutun im Stande ist und es auch immer wieder tut. Er tut es selbst dann noch, wenn er es eigentlich zu vermeiden im Stande wäre. Daher muss ihm dieser sinnlose Tod jedes Jahr wieder vorgeführt werden – zur Läuterung und Besserung.’

1.2.5 Im christlichen Glauben kann man der Ansicht sein, persönlicher Reichtum sei ein Zeichen göttlicher Gnade, obwohl Jesus die Worte zugeschrieben werden: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt.“ (Mk 10,25; Lk 18,25; Mt 19,24, auch im Nazaräerevangelium, einer Schrift, die nicht im Neuen Testament steht und daher zu den „apokryphen Schriften“ gerechnet wird.)

Man könnte für diese Gegensätzlichkeiten noch viele Beispiele anführen. Für die Einleitung muss das reichen.

1.3 Quellen

Was man über Jesus weiß oder glaubt, beruht im Wesentlichen auf den Schriften des Neuen Testaments. Über das Leben Jesu berichten die vier Evangelien Matthäus (Mt), Markus (Mk), Lukas (Lk) und Johannes (Joh). Sie wurden wohl zwischen 60 und 110 geschrieben. Die ersten drei nennt man wegen ihrer inhaltlichen Ähnlichkeit auch die Synoptiker (=die zusammen schauen; heute würden man wohl sagen: Sie haben eine gemeinsame Optik oder einen gemeinsamen Blickwinkel). Dazu kommen mindestens zehn „verbotene Evangelien“, ansonsten aber bis zu 100 weitere Schriften.17 Sie werden in der Tradition Apokryphen („dunkle oder verborgene“ Schriften) genannt. Davon liegen meistens kleine oder größere Textstücke vor. Man nimmt ihre Entstehung zwischen dem 2. und

5. Jahrhundert an. Die Geschichte ihrer Auffindung liest sich bisweilen wie ein Abenteuer. Über ihren Wert als nicht zum „Kanon“ des NT gehörende Schriften wird weiter gestritten. Darüber hinaus gibt es einige (wenige) Texte mit der Erwähnung Jesu in der allgemeinen Geschichtsschreibung.

Die Paulusbriefe sind die ältesten erhaltenen neutestamentlichen Schriften. Paulus schreibt an die Gemeinden, in denen er sich gerade nicht aufhält, vielleicht weil er gefragt wurde, wie man sich entscheiden soll, wenn Streit ausgebrochen ist. Vielleicht auch will er aus der Entfernung seine Interpretation des Glaubens einschärfen, einfach Kontakt halten oder andere Missionare auf Abstand halten. Über das Leben Jesu schreibt er nahezu nichts. Der Apostel Paulus ist an einer Glaubenswelt, die von Jesus ausging, orientiert, schrieb darüber theologische Grundsatzüberlegungen und formulierte Konsequenzen aus diesem Glauben. Einige Briefe wurden vielleicht nicht von Paulus verfasst, sondern ‚in seinem Namen‘. Eventuell haben Paulusschüler da Dinge aufgeschrieben, die sie für wichtig hielten. Die Forschung kann ‚echt‘ und ‚in seinem Namen‘ gut voneinander unterscheiden, meint sie. ‚In seinem Namen‘ zu schreiben, war eine auch anderswo übliche Praxis in jener Zeit, um dem eigenen Schreiben Bedeutung und Autorität zu verleihen. Geschrieben wurden die unechten Paulusbriefe (z.B. die Briefe an die Kolosser oder Epheser) wohl zwischen 70 und 100. Die echten Paulusbriefe sind die ältesten schriftlichen Zeugnisse der Christenheit (48-61).

Daran kann man sehen, wie rasch sich nach dem Kreuzestod im Jahre 30 oder 33 eine Theologie bilden konnte. Es dauerte keineswegs Jahrhunderte, theologisches Denken über Jesus auszuarbeiten. Es hatte – das ist in der heutigen Stimmungslage wichtig zu sagen - im Falle des Paulus keine Hintergründe von Macht, Korruption oder Täuschung zum persönlichen Vorteil, noch war diese Theologie dazu da, bestimmte Machtkonstellationen zu unterstützen. Weder gab es eine ‚Kirche‘ als Institution, noch gab es Herrscher, die eine Ideologie zum Machterhalt brauchten und dazu bestimmte Formulierungen ausarbeiten lassen hätten. Dass man ausgerechnet im Namen Jesu Macht gewinnen konnte oder wollte, das kam erst sehr viel später zum Zuge. Wer sollte einem am Kreuz gestorbenen und als auferstanden geglaubten Jesus irgendwelche Macht zugestehen? Paulus schreibt dazu: „Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit“ (1. Korinther 1,23). Da war nichts von gesellschaftlicher Bedeutung als Hintergrund von schriftlichen Darlegungen. Es wurde im Gegenteil wohl eher über solche Aussagen gelacht oder geschimpft oder aus Glaubensgründen dagegen angegangen. Förderung von Theologie der Jesusbewegung oder des beginnenden christlichen Glaubens zum Machterhalt jedenfalls war zu Paulus Zeiten noch nicht einmal zu erahnen.

Jedoch spielte eine andere Entwicklung eine große Rolle: Die Ausbreitung des christlichen Glaubens durch Wandermissionare brachte „Ortsgemeinden“ hervor, deren Gründer und Organisatoren die Wanderprediger waren. Ihr „Wanderradkalismus“ konnte daher nicht die einzige Form ihres Auftretens bleiben.

„Ihre Radikalität war bei der Lösung der praktischen Gemeindeprobleme nicht zu gebrauchen. Das Verhaltensmuster des Liebespatriarchalismus mit seiner Bindung an Haus und Familie widersprachen den Verhaltensweisen des synoptischen Wanderradikalismus. Wo dennoch bei wie bei Paulus die Jesusüberlieferungen vereinzelt zur Lösung praktischer Probleme herangezogen werden, werden sie uminterpretiert: Gegen die Überlieferung gestattet Paulus in gewissen Fällen die Ehescheidung (1. Kor. 7,8ff), gegen die Überlieferung ernährt er sich von seiner Hände Arbeit (1. Kor. 9,3ff), gegen die Überlieferung trennt er Abendmahl und allgemeine Mahlzeit (1. Kor. 11,2ff).“18

Der Gang der Überlieferung wird also auch von den Umständen geprägt, in oder unter denen die Beteiligten leben und wie sie ihr Leben organisieren. Das ist bei aller historischen Forschung zu beachten.

1.4 Begriffe und Bedeutungen

Jesus hat unterschiedliche Interpretationen erfahren. Welche bestehen zu Recht, welche nicht und wie lässt sich das entscheiden? Vor allem, was sollte geschehen, wenn sich Interpretationen als ‚unrichtig‘ erweisen. Wer sollte darüber richten und Konsequenzen anordnen? Gerade ist ein mächtiger Präsident aus dem Amt geschieden, der einfach so lange gelogen hat (und noch weiterlügt), bis er wohl selber glaubte, was er sagt. Nicht einmal in diesem Fall war es möglich, eindeutig und nachweislich Falsches aus der Welt zu schaffen, obwohl nahezu alle – bis auf seine Anhänger - überzeugt waren, dass es falsch ist. Insofern haben die Recht, die wissen, dass man mit Macht als Hintergrund alles behaupten kann.

Zuerst müssen daher einige Begriffe und Bedeutungen geklärt werden. So benutzen wir die Worte „glauben“ oder „wissen“, „historisch“, „wissenschaftlich“, „Wort Gottes“. Bei „Religion“ setzen wir selbstverständlich etwas voraus, was den einen nicht vernünftig erklärbar scheint, für die anderen aber auch vernünftigen Maßstäben genügen muss. „Kirche“ scheint eine selbstverständliche Größe zu sein – meist repräsentiert durch den Papst oder durch ihre historischen Kirchengebäude. Das Christentum wird nach wie vor daran gemessen, inwieweit es der Vernunft widerspricht. Ob man also glauben kann, dass Jesus der war, der er zu sein scheint, oder wie seine Botschaft in Wirklichkeit war. Damit kommt auch oftmals die Frage auf, warum sich das Christentum in seiner Geschichte lange Zeit hindurch aggressiv nach außen (Kreuzzüge, Kolonialismus) und innen (Inquisition, Hexen) gebärden konnte. Erscheint es doch heute als äußerst friedlich, ja sogar „zahnlos“.

Andere Religionen wehren sich eher gegen Infragestellungen auf die eine oder andere Art. So kann es heftigste Folgen auch für Autoren in den eigenen Reihen haben, wenn einer sich anmaßt, Mohammed zu karikieren oder seine im Koran und in den Hadithen (=Überlieferungen über Mohameds Leben) erkennbare Gestalt einer Kritik zu unterziehen. Das gilt auch für jede Art von Interpretationen der Figur Mohammed. Manche fühlen sich berechtigt oder sogar beauftragt, Menschen zu töten, die den Koran oder Mohamed angeblich beleidigt haben. Dass man das gar nicht kann, weil Mohamed schon lange tot ist, spielt dabei keine Rolle. Die Beleidigung fühlen dann eben die, die sich mit Mohamed identifizieren.

Gegenüber dem Judentum entlädt sich immer wieder generell unerklärbarer antisemitischer Hass, der sich mit Kritik an der Politik des Staates Israel mischt. Auch der mündet häufiger in Attentate. Dem wird aber von Seiten der jüdischen Verbände und vom Staat Israel robust entgegengetreten. Von arabischer Seite werden „die Juden“ als der erste der Feinde betrachtet, da sie auch stets mit dem „christlichen Westen“ im Bunde seien oder umgekehrt. Dabei spielt die Entstehungsgeschichte des Staates Israel eine Rolle. Die fernöstlichen Religionen bringen keine Auseinandersetzungen bei uns hervor und finden ganz ruhig ihren Platz in Westeuropa. „Zuhause“ sind aber auch sie bisweilen aggressiv gegen Andersgläubige.

Religionen stehen also in verschiedener Hinsicht im Fokus. Nirgendwo aber geht es stets zentral um das Grundsätzliche wie in der christlichen. Darin wieder konzentriert sich alles auf die Gestalt Jesus.

Wir werden uns zuerst auf die Frage konzentrieren, um was es geht, wenn in der Öffentlichkeit vom Glauben geredet wird und wie das zu verstehen ist. Das erscheint zunächst etwas theoretisch, bahnt aber den Weg zu den Einzelfragen um Jesus. Diese werden später dann mit der Interpretation der Gestalt Jesus in den anderen nahöstlichen sowie in den fernöstlichen Religionen komplettiert.

1 Gerhard Lohfink, Jesus von Nazaret. Was er wollte. Wer er war, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, 3. Auflage 2012, 13.

2 Joachim Kahl, Das Elend des Christentums, Marburg: Tectum Verlag 2014, 85. (erstmals erschienen 1968 im Suhrkamp Verlag)

3 Walter-Jörg Langebein, Maria Magdalena. Die Wahrheit über die Geliebte Jesu, Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag 2006, 69ff. Der Artikel: War Jesus verheiratet? | Sonntagsblatt - 360 Grad evangelisch vom 30.09.2012 (zuletzt aufgerufen am 10.03.2020) erklärt die Zusammenhänge und Hintergründe dieser Spekulationen.

4 Ambrosius, Oratio de Obitu Theodosii. Patrologiae cursus completus (documentacatholicaomnia.eu). Aufgerufen 06.02.2020.

5 Angelika Franz, Mythos um die Heilige Helena: Was geschah mit dem Kreuz, an dem Jesus Christus starb? 04.04.2021, 09:01 Uhr: Ostern | Was geschah eigentlich mit dem Kreuz, an dem Jesus starb? (t-online.de)

6 Adolf Holl, Jesus in schlechter Gesellschaft, München: Deutscher Taschenbuch Verlag1974, 16.

7 Holl, 18.

8Frank Fabian, Die geheime Geschichte von Jesus Christus, München: Bassermann Verlag 5. Aufl. 2019.

9 Fabian, 219f.

10 Fabian, 213f.

11 Fabian, das Buch insgesamt.

12 Gerd Lüdemann, Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat, Springe: zu Klampen Verlag, 5. Auflage 2011, 122f. (1. Auflage 1998)

13 Lüdemann, 8.

14 Lüdeman, Betrug, 122.

15 Gerd Lüdemann, Der echte Jesus. Seine historischen Worte und Taten, Springe: Zu Klampen Verlag 2013.

16 Shimon Gibson, die sieben letzten Tage Jesu. Die archäologischen Tatsachen, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2012, 193.

17 Die 27 Schriften des Neuen Testaments und weitere 57 frühchristliche Schriften findet man bei: Klaus Berger; Christiane Nord als Übersetzer und Kommentatoren, Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag 2005.

18 Gerd Theißen, Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen: J.C.B Mohr (Paul Siebeck), 3. Auflage 1989, 19

2 Was man voraussetzen muss

2.1 Glauben oder Wissen

Muss man definitiv einzelne Aussagen für wahr halten, um als Christ zu gelten? Die Spiegelredaktion glaubt das offenbar. Denn sie machte mit den Antworten auf solche ja/nein Fragen z.B. ihr Heft 17/2019 auf. Titel: „Wer glaubt denn so was? Untertitel: „Warum selbst Christen keinen Gott mehr brauchen.“ Da werden Schlagworte aus dem Bereich des Christlichen aufgereiht, die angeblich keiner mehr glaubt: „Unter Protestanten und Katholiken gelten die Wundererzählungen und Prophezeiungen des Christentums heute weitgehend als ausgeschmückte Geschichten, gespickt mit Metaphern, die alles Mögliche bedeuten können. Eine Person, die Mensch und Gott zugleich ist? Eine Jungfrau, die ein Kind bekommt? Auferstehung der Toten? Ganz schön schwierig.“ Zeigen Metaphern an, dass etwas falsch ist? Dann wäre alles falsch, denn Sprache besteht aus Metaphern. „Ausgeschmückte Geschichten“ bedeutet wohl etwas Ähnliches wie, da hat aber jemand kräftig herumphantasiert – kaum glaubhaft. Jedenfalls glauben nach dieser Stichprobe aus unserer Bevölkerung

54% an die Auferstehung Jesu 61% Katholiken (Ka), 58 % Protestanten (P), 22 % Konfessionslose (o.K.)),

55%, dass Jesus als Mensch zugleich Gott war (Ka 63%. P 57%, o.K. 27%.),

66 % an Wunder, mehr Frauen (75%) als Männer (57%),

55% an einen Gott (Ka 75%, P 67%, o.K. 20%),

Diese Ergebnispräsentation soll einen Schwund anzeigen, so als ob es irgendwann eine höhere Zustimmung zu einzelnen Glaubenssätzen gegeben habe. Hat jemand vor dreihundert oder vor eintausendfünfhundert Jahren solche Umfragen veranstaltet? In früheren Zeiten reichte es wohl eher aus, wenn der jeweilige Herrscher behauptete, das alles wortwörtlich zu glauben. Wenn ein Priester die Messe nach dem Ritus zelebrierte, wusste niemand, ob er den Inhalt der Messe glaubte. Schließlich wurde er vorher nicht befragt. Aus dem „Befund“ der Spiegel-Befragung folgt nicht, wie zu erwarten wäre, ein allmähliches Aussterben von Religiosität, sondern ein Schwund bzw. „Erkalten“ der Kirchen, wie der folgende Textausschnitt zeigt.

2.1.1 Fund im Nachrichtenmagazin

„Zur Erfüllung spiritueller Sehnsüchte gibt es außerhalb der Kirchen schon lange einen großen Markt. Von klassisch fernöstlichen Weisheitslehren bis zu schamanischen Zeremonien dürfte kaum eine Nische unbesetzt sein.

Es passt in dieses Bild, dass die Deutschen des 21. Jahrhunderts einen Hang zum Wunderglauben haben. Zwei Drittel von ihnen zeigen sich überzeugt, dass es Wunder auf der Welt gibt, bei den Frauen sind es sogar drei Viertel, eine deutliche Diskrepanz zu den offenbar rationaleren Männern. Auffallend ist außerdem, dass die weitgehend gottlosen Ostdeutschen in dieser Hinsicht fast genauso viel Fantasie aufbringen wie ihre Landsleute im Westen. An die Existenz von Engeln glauben im deutschen Osten mehr Menschen als an Gott – Wunder überall.

Religionsforscher beobachten ein Erkalten des Christentums vor allem in hoch entwickelten Ländern. Über einen längeren Zeitraum betrachtet sind die Veränderungen dramatisch; sie fallen meist nur deshalb nicht auf, weil sie sich langsam und stetig vollziehen.

‚Seit ungefähr zwei Jahrhunderten ist jede Generation weniger religiös als die vorherige’, sagt Jörg Stolz, Professor für Religionssoziologie an der Universität im schweizerischen Lausanne. Einer seiner Fachbegriffe ist der ‚Kohorteneffekt’, Stolz erklärt ihn so: ‚Die religiöseren Leute sterben aus. Die Jungen werden immer weniger religiös sozialisiert, das nehmen sie durchs Leben mit.’

Um zu den tiefer liegenden Ursachen dieses epochalen Wandels zu kommen, definiert Stolz erst einmal, welche Funktion der Glaube hauptsächlich habe. ‚Religion kann man beschreiben als ein großartiges System der symbolischen Problembewältigung. Sie hilft dabei, Enttäuschungen und Leid zu ertragen.’

Allerdings gibt es in modernen Gesellschaften viele Instanzen, die nicht bloß symbolisch helfen, selbst wenn sie niemals perfekt sind: In Deutschland, der Schweiz und vergleichbaren Ländern vertrauen die Bürger auf den Sozialstaat, auf Versicherungen, die Medizin, die Psychotherapie.

Stolz sagt: ‚Wenn Sie das Feld durchgehen, sehen Sie, wie groß die Konkurrenz zur Religion geworden ist.’ Wer seine Therapie von der Kasse bezahlt bekommt, braucht keinen Seelsorger mehr.

Global betrachtet gehe die Tendenz jedoch in die entgegengesetzte Richtung ‚Die Welt wird nicht säkularer, sondern immer religiöser.’ Der entscheidende Faktor ist Stolz zufolge die demografische Entwicklung in ärmeren Ländern wie Nigeria oder Afghanistan. Eine hohe Geburtenrate in einem Umfeld, von dem wenig konkret Lebenshilfe zu erwarten ist, führe wie von selbst zum Aufblühen von Religion. Unglaube ist also, soziologisch gesehen das Ergebnis des zivilisatorischen Fortschritts.“19

2.1.2 Folgerungen aus dem Text

1) Definition von Religion

Religion ist ein „großartiges System symbolischer Problemlösung“. Sie dient dem nicht nur spirituellen Bedürfnis, Enttäuschungen, Rückschläge, aber auch Erfolge zu verkraften. Symbolisch bedeutet hier, dass sie diese nicht wirklich verarbeitet, sondern sie auf eine andere – geistliche – Ebene gehoben werden. Da sind sie praktisch bereits gelöst und werden dadurch zumindest befriedet. Symbolische Lösungen helfen, das Problem anders zu betrachten, wären also eine Art von Psychotherapie.

2) Warum sind es die so genannten hochentwickelten Staaten, in denen die symbolische Problemlösung nicht mehr gebraucht wird?

Die sozialen Systeme der Gesellschaften lösen viele Probleme konkret und nicht symbolisch. Krankenversicherungen übernehmen den Krankheitsfall. Er muss äußerlich gesehen nicht mehr durch Gottvertrauen ertragen werden. Wirksame Behandlung geschieht durch Fachleute, die sich nachweisbar wirksamer Methoden bedienen. Für Menschen, die wegen Alter oder Krankheit aus dem Erwerbsleben ausscheiden, gibt es die Rente. Sie müssen also nicht hungern oder auf Kosten der Familien leben, weil alle zusammen vorgesorgt haben. Wer sozial unterm Radar angekommen ist und zu wenig zu Essen hat, muss nicht mehr auf die barmherzige Hilfe der anderen hoffen, die damit für ihre Seele und deren Überleben sorgen. Er hat vielmehr das Recht, von der Gesellschaft ernährt zu werden. In diesen für jedes Individuum bedeutenden Fällen wird aber nur die ‚leibliche‘ Existenz gesichert. Für die ‚psychische Verarbeitung‘ ist weiterhin jede/r allein zuständig. So kann also das Versickern der Kirchen nicht erklärt werden. Das funktioniert auch nur in geregelten gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen Rechtssicherheit und Vertragstreue herrschen. (In früheren Zeiten wären diese Verhältnisse dem Paradies nahegekommen.)

Je unsicherer die Lebensverhältnisse, desto symbolischer die Lösungswege, heißt: Wer keine Rechte in schwierigen Lebenssituation hat, verlässt sich auf symbolische Zusagen spiritueller Art und braucht das auch zum Überleben. Die Welt wird religiöser, weil die Mehrheit der Menschen ohne zivilisatorische Errungenschaften des sozialen Ausgleichs leben muss. Dieses soziologische Argument müsste auch sehen, dass in sozial nicht regulierten Gesellschaften ein religiöses Sozialsystem diese Funktion innehat. Wo der Staat nichts garantiert, hilft der gemeinsame Glaube, der mehr oder weniger regelmäßige „Gaben“ an die sozial Schwachen vorsieht.

Warum meint die christliche Seite, den historischen Nachweis ihrer Glaubhaftigkeit erbringen zu müssen, während andere Religionen und der „Religionsersatz“ durch schamanische oder andere Rituale auf Nachweise weitgehend verzichten kann? Der ‚Ersatz‘ wird allein durch die Gegenwart eines Gurus oder der durchführenden Person wirksam. Könnte deren Wahrheit eine andere sein? Die Zahlungen von Sozialkassen brauchen natürlich keinen weiteren Nachweis, d.h. man muss sie nicht glauben, sondern erhalten.

2.2 Die Funktion von Religion

Die Funktion der Religion wird in der Theologie sehr viel differenzierter beschrieben. Es ist nicht nur eine stabilisierende Symbolik, die durch konkrete Lösungen ersetzt werden könnte. Über die symbolische Aufräumungsfunktion hinaus, die die Benachteiligten und Betroffenen im Zaum hält, den Bevorzugten ihre Privilegien sichert und Restbestände wie Trauer, Wut und Zorn bewältigen hilft, wirkt Religion begründend, bewältigend und provokativ in menschlichen Gesellschaften. Sie kann nicht dadurch ersetzt werden, dass Problemzonen des gesellschaftlichen Daseins materiell geglättet, oder dass Beratungen bei Lebensproblemen angeboten werden.

So beschreibt Gerd Theißen Religion als „Verheißung von Lebensgewinn“: „Wichtig ist, dass man sich von jeder einseitigen Funktionsbestimmung der Religion frei macht. Sie dient nicht nur der Stabilisierung von Denken, Fühlen und Handeln, sie dient nicht nur der Bewältigung von Krisen. ‚Lebensgewinn‘ kann auch darin liegen, dass Menschen schweren Erschütterungen ausgesetzt werden, dass sie durch ‚Prüfungen‘ und ‚Versuchungen‘ geläutert werden und zu einem neuen Leben gelangen.“20 Das veranschaulicht folgende Tabelle:

Religion als ordnende Kraft

Religion als Krisenbewältigung

Religion als Krisenprovokation

kognitiv

Aufbau emotionalen Grundvertrauens in eine legitime Ordnung

Bewältigung kognitiver Krisen: Die Irritation durch Grenzerfahrungen

Provokation kognitiver Krisen: Der Einbruch des Ganz-Anderen

emotional

Aufbau einer kognitiven Ordnung: Platzanweisung des Menschen im Kosmos

Bewältigung emotionaler Krisen: Angst, Schuld, Versagen, Trauer

Provokation emotionaler Krisen durch Angst, Schuldbewusstsein usw.

pragmatisch

Aufbau akzeptierter Lebensformen, ihrer Werte und Normen

Bewältigung von Krisen: Umkehr, Sühne, Erneuerung

Provokation von Krisen: durch das Pathos des Unbedingten

21

Darüber hinaus ergeben sich bei weiterer Betrachtung soziale Funktionen. Das religiöse Symbolsystem wirkt nicht nur in einer Weise, die mit dem Zustand der jeweiligen Gesellschaft zu tun hat. Krisenhafte Entwicklungen und deren Bewältigung, die Verankerung gesellschaftlicher Normen oder Werte, die Selbstdefinition der Individuen in ihrer Gesellschaft, der Entwurf von Zukunftsszenaren, die Verarbeitung der Erfahrung der Kontingenz (prinzipielle Offenheit, Zufälligkeit) des Lebens – all das findet in Religionen Platz. Auch das hat Gerd Theißen in eine Tabelle gefasst:

Ordnungslegitimation

Krisenbewältigung

Krisenverschärfung

Sozialisation des Einzelnen

Einführung in die soziale Ordnung: rites de passage, Wertevermittlung

Stabilisierung in Theodizeekrisen

Gegenkulturelles Aussteigen

Konfliktregulierung von Gruppen

Legitimation eines minimalen Konsenses zwischen Konfliktgruppen

Kompensation für soziale Schäden

Protest und Utopie von Gerechtigkeit

22

Die Funktionen Ordnung, Krisenbewältigung und Krisenverschärfung tauchen im christlichen Glauben von Anfang an auf. Kritiker stoßen sich daran, dass der Glauben nicht eindeutig zum Ende der Sklaverei geführt hat, dass die Kirche ihre Mitglieder durch das Verbot der Ehescheidung gequält hat, dass Christen Kriege gerechtfertigt und geführt haben, dass man gehorsamer Staatsbürger sein soll, dass Frauen unterdrückt wurden/werden. Sie stützen sich auf das Nonkonforme, gar revolutionäre oder anarchistische Tendenzen, Friedensvisionen, den abweichenden Lebensstil der Jesusgruppe, vielleicht auf die ethische Anmutung, wie Gott zu handeln (manche sagen „aristokratische“ Lebensweise für Menschen der Unterschicht).

Wer wie Theißen die religiösen Formen als Mythos, Ritus und Ethos sieht, braucht als Umsetzungsriemen die Rollen, Symbole und Normen: „Durch Rollen, Symbole und Normen werden einige wenige Axiome und Grundmotive in immer wieder neuen Variationen vermittelt: also jene Elemente einer Grammatik der religiösen Zeichensprachen, die wir in, mit und unter den religiösen Erzählungen, Riten und Normen internalisieren. Wir verinnerlichen sie so stark, dass sie, obschon sie kulturell gelernt sind, wie ein Apriori des Verhaltens und Erlebens wirksam sind.“23 Wenn also die Erzählungen, Riten und Normen von Religionen zur DNA des sozialen Lebens gehören, kann es nicht verwundern, dass der Glauben nicht mit einzelnen Stichworten einer Liste abgearbeitet werden kann. Das gilt insbesondere für eine Religion, die diametrale Gegensätze bearbeitet und formuliert wie ewiges Leben und Tod, biedere Bürgerlichkeit und abweichendes Leben, Sesshaftigkeit und wanderndes Gottesvolk, Leben als Opfer und Leben ohne Opfer, Sünde, Strafe, Feindesliebe, Gott und Mensch.

2.3 Glauben

Nun richtet sich das Interesse auf das Stichwort „glauben“. Glauben heißt beim Guru oder beim Wunderheiler, diesem und seiner Methode zu vertrauen, weil man es selber am eigenen Leib als tatsächliche Hilfe gespürt hat. Wer ein zumeist teures Seminar besucht oder an einer Meditationsübung teilgenommen hat, schätzt das hoch, wenn oder weil es andere Lebens-, Denk- oder Gefühlweisen hervorrufen kann. Gefühle oder Gedanken brauchen die Bestätigung durch Wissenschaft oder historische Richtigkeit nicht.

Das Christentum wurde dagegen oft als Legitimationshintergrund für Machterwerb, Machterhalt, Herrschaft über andere, Über- und Unterordnung in der Gesellschaft, kirchliche Machtentfaltung, Bevormundung in ethischen Fragen, ja Leben und Tod herangezogen. Glauben hieß zunehmend, sich als zugehörig (zur Gemeinschaft / Gesellschaft, zum Kaiser, zur Kirche) auszuweisen. Es war damit kein persönliches Bekennen zu dem eigensten inneren Vertrauen mehr, sondern eine öffentliche Deklamation als christlich. Dazu kam Glauben als „Nichtwissen“.

Das Wort „glauben“, mit der der ‚Spiegeltext’ operiert, bedeutet eigentlich „für wahr halten, dass“. Das heißt eben nicht, ich vertraue auf Gott oder auf Jesus in meinem ganz persönlichen Erleben und Ergehen. Die angesprochenen „Metaphern“ werden als Metaphern mit einer Bewertung versehen. Eine Metapher, die „alles Mögliche bedeuten kann“, könnte ich auch, ganz neutral, eine Bezeichnung nennen. Alle Worte einer Sprache sind Bezeichnungen für Dinge, die man anfassen und sehen kann, oder aber für Denkvorgänge oder Verknüpfungen, die man nicht anfassen, aber aufgrund bestimmter Voraussetzungen nachvollziehen kann. Gefühle muss man mit Worten umschreiben, die wieder Bezeichnungen sind. Ansonsten kann man darüber nicht miteinander sprechen. Die Voraussetzungen liegen z.B. in gemeinsamer Sprache, ähnlicher Erfahrung, gemeinsamem Lebensraum, Tradition und einer „Hirnfunktion“, von der wir glauben, dass alle Menschen sie besitzen.

2.4 Sprache

Das wiederum bedeutet: Alle Bezeichnungen muss man zunächst verstehen, was bei „Stuhl“ und „Tisch“ relativ eindeutig zu bewältigen scheint. Es wird vermutlich kaum „Missverständnisse“ geben, wenn ich jemand anbiete, sich auf einen Stuhl zu setzen, der an einem Tisch steht, um z.B. etwas aufzuschreiben. Da braucht es keine definitorische Debatte, was gemeint sein könnte. Wenn aber die Bezeichnung ein Gefühl betrifft wie „niedergeschlagen“ oder „fröhlich“, kommt ein sehr viel komplizierterer Interpretationsprozess in Gang. Das Gegenüber wird (sich) dann vielleicht nach dem Grund für diese Gefühle fragen und möglicherweise sogar eine „Berechtigung“, „Nachvollziehbarkeit“ oder „Falschheit“ annehmen. Je danach fällt dann die Antwort aus: „Es gibt keinen Grund, jetzt fröhlich zu sein, denn …“ Oder „Ich kann nachvollziehen, dass dich das jetzt nicht gerade glücklich macht.“ Die Interpretation der Begriffe hat viel damit zu tun, in welchem Verhältnis die/der eine zu der/dem anderen steht, von der Art der Beziehung, von der Stellung in der Gesellschaft usw.

Wenn ich also gefragt werde, ob ich an Gott glaube, antworte ich so, dass mir durch die Antwort meiner Meinung nach kein „Schaden meiner Reputation“ entsteht: ich richte mich nach der vermuteten Mehrheit, nach der gegenwärtigen „Vernünftigkeit“, Rückständigkeit, nach dem „modern sein wollen“ oder bestätige meinen Anspruch, unabhängig von anderen Denkweisen zu sein.

Dazu kommt dann die Frage, ob man denn überhaupt etwas wissen kann, wenn es über die allgemein anerkannte Wissensart „zwei mal zwei ist vier“ oder „die Elbe/Donau ist ein Fluss“, „Paris ist die Hauptstadt von Frankreich“ hinausgeht. Auch da kann es bei den Attributen schon große Unterschiede geben: „Die Elbe ist ein großer Fluss. Paris ist eine schöne/interessante/verpestete Stadt, in der man gewesen sein muss!“ Kann ein Mensch glücklich sein, der noch nie in Paris war? Die Elbe wandelt sich möglicher Weise in Hamburg zu einem großen Fluss. Bis auf den reinen Fakt, den man sehen kann, ist alles andere eine attributive Bewertung eines Eindruckes derer, die über das Faktum sprechen. Schon bei Fakten oder Gegebenheiten geht es also um mehr als Fakten. Mit dem Theologen Paul Tillich (1886 – 1965) kann man sagen, religiöse Sprache sei im Wesentlichen symbolisch zu verstehen. Sie ist also immer Hinweis auf etwas, das „dahinter steht“. Sie ist Hinweis auf etwas Größeres, was uns „unbedingt angeht“. Das Größere kann man nicht anders als symbolisch in Worte fassen. Mit der Bezeichnung wird das Gemeinte aber festgelegt und erhält so eine Bedeutung in Raum und Zeit. „Klima“ wird z.B. zum Symbolwort einer ganzen Generation und drückt eine Bedrohung der Lebenswelt ebenso aus wie eine Aufforderung, etwas dafür oder dagegen zu tun.

2.5 Bezeichnungen enthalten Geschichte und Macht

So haben Bezeichnungen oder Begriffe eine Tradition in ihrer Definition, in die man sich ohne Nachdenken einordnet. Dabei setzt man voraus, dass der/die andere derselben Tradition folgt. Wer widersprechen möchte, steuert auf eine Definitionsdebatte zu, zumindest aber auf Missverständnisse. Viele Bezeichnungen werden als Vorurteile verstanden und damit als abwertend. Waren die Bezeichnungen „Frau“ und „Mann“ einmal für alle ungefähr gleichbedeutend mit einer unverrückbaren natürlichen Ordnung, die gesellschaftliche Einordnungen, Bewertungen, Positionen und Klassifizierungen mit sich brachte, versteht man sie heute beinahe als Vorurteile, die Menschen durch Sozialisation (Einübung in die Lebensweisen der Gesellschaft, in der man aufwächst) an ihrer freien Entfaltung hindern. Was man hinnehmen kann, ist ein äußerlich gesehen männlicher oder weiblicher Mensch. Selbst das kann schon Diskriminierung bedeuten, wenn man versehentlich jemand trifft oder meint, der sich als divers versteht. „Mensch“ kann heute bedenkenfrei als Rechtssubjekt verstanden werden. Ein Mensch hat „Menschenrechte“ und ist als solcher „gleich“, egal, woher er kommt und wohin er geht. Ein Mensch lebt jedoch nicht allein, sondern stets im Verbund mit allen anderen auf dieser Welt. Da tritt „plötzlich“ ins Bewusstsein: Alle menschenrechtsbegabten Menschen müssen mit allen anderen zurechtkommen. Wie lassen sich da Vorteile auf der einen Seite mit Nachteilen auf der anderen rechtfertigen? Kann man schädigendes Verhalten dort von hier aus „abstellen“? Wer bestimmt, was andere schädigt? Warum ist die Arbeit auf der Welt ungleich verteilt? Warum verwandeln sich ganze Staaten in lebensfeindliche Gebiete oder soziale Wüsten?

Das zu verstehen ist, wie gesagt, nur das Stichwort notwendig: Klima. Die Menschheit ist sich noch nicht einmal in ihrem schädigenden Einfluss aller auf alle einig, obwohl alle darunter leiden könnten oder bereits leiden. Manche lehnen sogar das mit der Bezeichnung „Klima“ gemeinte als Unsinn und politisches Ränkespiel ab. In den Augen vieler ist bereits das Wort gleichbedeutend mit der Aufforderung, weniger zu heizen, weniger Auto zu fahren, aufs Flugzeug zu verzichten, grünen Strom zu beziehen, den Güterverkehr auf die Schiene zu bringen …. Das bloße Wort enthält geradezu weltanschauliche und politische Programme.

Ein anderes Beispiel wäre ‚Rassismus‘. Irgendwann einmal bezeichnete man mit Rasse Menschen verschiedener Hautfarben. Dadurch bekam es einen merkwürdigen Sinn, als sei eine Rasse besser als die andere. Aber jetzt wird wohl bald die Farbe schwarz verboten werden, weil sie Menschen diskriminieren könnte. Rassismus der Weißen ist schon in ihrem Lebenskonzept vorausgesetzt. Sie können gar nicht anders als Rassisten zu sein. Da braucht es keinen beleidigenden Kontext. Man spricht sogar vom ‚religiösen Rassismus‘, ohne zu beachten, dass Religion mit einer wie immer verstandenen Rasse gar nichts zu tun haben kann, weil sie stets von Menschen handelt. Eigentlich, so sagen manche, gibt es keine Rassen. Menschen sind eine ‚Rasse Mensch‘. Warum es dann Rassismus geben kann, leuchtet auch nicht allen ein. Das wäre einfach die Unterscheidung von Menschen und ihre (negative) gegenseitige Bewertung.

Jedenfalls kann man religiösen Fragen nicht verhandeln, diskutieren oder verstehen, wenn man die Veränderung von Sprachweisen oder Sprachmoden nicht mitdenkt. Schon eine Bezeichnung ist eine Klassifizierung und ‚diskriminiert‘. Sie unterscheidet einen Gegenstand oder eine Gefühlslage von anderen und das ist lebensnotwendig oder zumindest lebensförderlich. Es wäre nämlich bei all den ‚Dingen‘, die herumstehen, -liegen oder –fliegen gar nicht möglich, sich ohne Definitionen zu verständigen. Erst recht könnte man sich kaum über ‚Dinge‘ austauschen, die keiner sehen kann. Mit ‚das Ding da oben‘ kann eine Fliege, eine Mücke, eine Biene, ein herabfallender Stein, ein Berg, ein Gebäude, das Fenster im ersten Stock, ein Mensch, der aus dem Fenster schaut, ein Flugzeug, eine Raumstation oder Gott gemeint sein. Erst die Diskriminierung oder in manchen Fällen der Zeigefinger machen Verständigung möglich.

Das so zu betrachten, kann auch verwirren. Es tritt immer nur als Hintergrundphänomen auf, dessen wir uns nicht auf Schritt und Tritt bewusst sind. Aber nur auf diesem Hintergrund kann man verstehen, warum es so wesentlich sein kann, wie man ein Wort von oder über Jesus versteht und was es jeweils auszusagen hat.

2.6 Quellenfälschung

Dazu kommen wissenschaftliche Grundkriterien, was in der historischen Wissenschaft als „gesichertes Ergebnis“ gelten kann. Alle „gesicherten“ Erkenntnisse können diesen Rang nur als bestätigte Hypothesen beanspruchen, wenn alle Schritte zur „Verifizierung“ („wahr machen“) nachvollziehbar und ihre (Bezugs-)Quellen einsehbar sind. Die Quellen müssen aber nach Echtheit / Unechtheit beurteilt werden, denn sie könnten gefälscht bzw. mit bestimmten Interessen „erfunden“ sein. Das zeigt das berühmte Beispiel der „Konstantinischen Schenkung“: Nach heutigem Wissenstand wurde um 800 eine Urkunde erstellt, die, auf das Jahr 315/317 zurückdatiert, dem Papst die geistlich gerichtete, aber politisch wirksame, Oberhoheit über Italien, das römische Westreich und die gesamte Erde durch Schenkung zusprach (Constitutum Constantini). Diese Urkunde wurde im 15. Jahrhundert als Fälschung entlarvt, was sich aber erst in der Reformation weiter verbreitete. Die Entlarvung erfolgte mit dem Sprachargument, das Latein der Urkunde passe nicht in die Zeit Konstantins, und mit dem Namen „Konstantinopel“, den es 315 noch nicht gab. (Konstantinopel wurde erst nach dem Tod Konstantins 337 so benannt.)