Jungs verstehen das nicht - Emma Flint - E-Book
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Jungs verstehen das nicht E-Book

Emma Flint

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Beschreibung

Das liebenswert-chaotische Tagebuch der elfjährigen Katinka, die es immer wieder schafft, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten … unglaublich lustig und mitten aus dem Leben! Katinka hat ein echt schlamasseliges Leben. Und seit sie ihre Lehrerin neulich mit Sonnenmilch abgeschossen hat, ist es eine ausgewachsene Katastrophe! Sogar ihrem besten Freund Mats ist sie plötzlich peinlich. Schlimmer noch: Er versteht Katinka überhaupt nicht mehr. Dabei ist er es doch, der einfach nichts mehr kapiert! Zum Beispiel, warum es manchmal lebensnotwendig ist, im Unterricht Zettel zu schreiben, Freundschaftsarmbänder zu tragen oder zu tanzen. All die Sachen eben, die Mädchen gut finden! Muss Katinka etwa ab sofort Basketball, Spinnen und Ballerspiele mögen, um ihre Freundschaft mit Mats zu retten? Warum ist das mit Jungs überhaupt auf einmal so kompliziert? Um das herauszufinden, hat Katinka ihr Tagebuch - und das Geheimprojekt "Jungs verstehen das nicht"!

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Seitenzahl: 336

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Emma Flint

Jungs

verstehen das

nicht!

Mit Illustrationen von Petra Hämmerleinova

 

 

 

 

 

 

 

 

Emma Flint,geboren 1975, arbeitete schon als Hausbotin, als Bademeisterin, als Basketballtrainerin, als Regaleinräumerin im Supermarkt und als Fernseh- und Radioreporterin, bevor sie anfing, Bücher zu schreiben. Wobei ihr Letzteres eindeutig am meisten Spaß macht. Nach mehreren Romanen für Erwachsene ist »Jungs verstehen das nicht« ihr erster Roman für ein jüngeres Publikum. Flint lebt mit ihrer Familie in Köln.

Petra Hämmerleinovawurde in Prag geboren und kam im Alter von 12 Jahren nach Deutschland. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Bayern. Bereits als Kind zeichnete sie viel, träumte aber nie von einer Künstlerkarriere. Eher hatte es ihr das Modedesign angetan. Schließlich designte sie Schuhe, bevor sie Illustratorin wurde. In ihrer Freizeit liebt sie ausgedehnte Waldspaziergänge, Tee mit Apfelkuchen und das Gesellschaftsspiel »Carcassonne«.

1. Auflage 2017 © 2017 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung und Innenillustrationen: Petra Hämmerleinova ISBN 978-3-401-80716-4

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Inhaltsverzeichnis

Jungs verstehen das nicht

Dank

Dienstag, 1. September – Der Tag des neuen Tagebuchs

Ich finde, wenn man sich Lebensziele setzt, sollte man nicht übertreiben und irgendwas Idiotisches sagen. Wie zum Beispiel: »Ich möchte eine Rakete erfinden, die einen in zwei Sekunden zur Schule bringt« (wie Patrice aus meiner Klasse). Oder: »Ich lasse mir ein zweites Paar Arme wachsen, damit ich den Lego-Technik Bagger und den Radlader gleichzeitig aufbauen kann« (wie mein Zwillingsbruder Tobi, der alte Streber). Nee. Ich finde, Lebensziele sollten realistisch, vernünftig und umsetzbar sein. Dem Alter eines fast zwölfjährigen Mädchens angemessen. Und deswegen hier ganz offiziell die total realistischen, vernünftigen und umsetzbaren Lebensziele von Katinka Peters:

1. Niemals verlieben.

2. Nie mehr blamieren. Schon gar nicht in der Schule. Und auf gar keinen Fall bei der Projektwoche! Und überhaupt: nie mehr!

3. Nur schöne Sachen in dieses neue Tagebuch schreiben, das ich von meiner Oma geschenkt bekommen habe.

(Natürlich habe ich noch mehr Lebensziele, wie zum Beispiel: herausfinden, warum ich als Einzige in der Familie rote Haare habe, Dad im Schokokuss-Wettessen besiegen und ein chinesisches Essstäbchen auf der Nase balancieren. Aber ich konzentriere mich auf die drei wichtigsten. Es soll ja einfach und unkompliziert bleiben!)

Mittwoch, 2. September

Habe ich wirklich geglaubt, meine Lebensziele wären leicht umzusetzen? Habe ich wirklich gedacht, es wäre einfacher, als vier Arme zu bekommen?! Okay, nur damit das klar ist: Ich spreche nicht von der Niemals-verlieben-Sache, die ist für mich gebongt. Ich rede natürlich von dem Nicht-Blamieren. Ich hätte doch wissen müssen, dass es da ein Problem gibt.

Nämlich mich.

Denn leider, leider bin ich ein besonderes Mädchen. »Besonders« wie in »besonders peinlich«. (Irgendwie hatte ich gehofft, mit dem neuen Schuljahr wäre ich selbst zu einer neuen Katinka geworden. Schließlich war mir seit Beginn der sechsten Klasse noch nichts Peinliches passiert – abgesehen davon, dass ich mir in der Mensa Joghurt auf die Hose gekleckert habe. Aber zum Glück war es Erdbeerjoghurt und meine hellrote Lieblingshose, weswegen die Flecken gar nicht so auffielen. Hat niemand bemerkt außer meinem besten Freund Mats, aber vor dem ist mir gar nichts peinlich.) Heute dagegen haben alle mitbekommen, was passiert ist. War ja auch kein bisschen zu übersehen. Und zu überhören auch nicht, weil unsere Englischlehrerin angefangen hat zu kreischen wie diese verrückte Opernsängerin auf der Lieblings-CD meiner Oma. Und deswegen erkläre ich den heutigen Tag zu meinem persönlichen Tag des Desasters.

Mittwoch, 2. September, auch bekannt als der Tag des Desasters

Und schon muss ich mich gleich von zweien meiner drei Lebensziele verabschieden. Ist das zu fassen? Ich wollte mich nie mehr blamieren und außerdem in dieses Tagebuch nur schöne Dinge notieren, weil ich es ja aufheben soll, bis ich alt und schrumpelig bin, um dann nachzulesen, was ich für eine unbeschwerte Kindheit hatte (hat meine Oma Irene gesagt, als sie es mir überreicht hat). Aber mal ehrlich: Manchmal sagen Erwachsene so seltsame Sachen, dass ich mich frage, ob sie überhaupt eine Ahnung davon haben, was Kinder in meinem Alter alles durchmachen! Von wegen unbeschwert!

Und deswegen (und weil es ja sowieso alle mitbekommen haben), werfe ich jetzt auch den Plan mit dem Nurschöne-Erinnerungen-Aufschreiben über Bord und erzähle schonungslos, was passiert ist:

Ich habe unsere Englischlehrerin Miss Hattonfield mit Sonnenmilch abgeschossen und bin schuld an ihrer vorübergehenden Erblindung.

Auweia. Jetzt, wo das hier SCHWARZ AUF WEIß steht, wird mir schon wieder schlecht. Viel lieber hätte ich so was geschrieben wie: Liebes Tagebuch, unsere Klassenlehrerin hat mich heute für mein gutes Benehmen so gelobt, dass sogar Madison die Schleimerin blass vor Neid geworden ist. Oder: Liebes Tagebuch, heute bekomme ich das Bundesverdienstkreuz verliehen, weil ich meinem Zwillingsbruder Tobi nicht seinen Schokopudding weggegessen habe, obwohl er mir meinen gestohlen hat. Ja! So ein heldenhafter Satz sollte hier stehen! Der würde hier auch garantiert stehen, wenn ich jemand anders wäre. Bin ich aber nicht. Leider.

Wobei ich direkt klarstellen muss, dass ich Miss Hattonfield nicht absichtlich abgeschossen habe. Erstens konnte ich nicht ahnen, dass die Sonnenmilch so weit spritzen würde. Ich meine, wer erfindet solche Dinge, die als harmlose Sprühflasche daherkommen und sich dann als gemeingefährliche Waffe entpuppen? Zweitens ist es Mats gewesen, der »Los, erschieß mich!« und »Du triffst mich nicht, du triffst mich nicht!« gerufen hat. Leider hat sich meine lebendige Zielscheibe namens Mats im allerletzten Moment geduckt – und Volltreffer! Mitten in Miss Hattonfields Gesicht. Und drittens ist es doch nun wirklich nicht meine Schuld, dass Miss Hattonfield neuerdings Kontaktlinsen trägt. Seit sie die hat, rollt sie immer so die Augen herum und kneift die Lider dabei auf und zu, als ob sie irgendwelche Morsezeichen machen würde. Ich habe ihren Augenblink-Code natürlich längst entschlüsselt. Er heißt: I-c-h b-i-n v-e-r-k-n-a-l-l-t u-n-d m-a-c-h-e m-i-c-h l-ä-c-h-e-r-l-i-c-h. Miss Hattonfield hat sich nämlich in Herrn Lechner, den Mathelehrer, verknallt und nur deshalb macht sie jetzt einen auf Klimperauge. Das mit dem Lächerlichmachen, weil man sich verknallt hat, kommt übrigens gerade richtig groß in Mode in meiner Klasse, nicht nur bei den Lehrern. (Mats meint ja, das wäre Quatsch. Aber das liegt nur daran, dass er neuerdings in der Fünf-Minuten-Pause dauernd irgendeinen Blödsinn mit Joshua, Niklas und den anderen Jungs macht und dann die wesentlichen Dinge nicht mitbekommt. Wie zum Beispiel, dass Greta immer knallrot wird und anfängt, Herzchen in ihr Heft zu kritzeln, wenn dieser neue Referendar reinkommt.)

Jedenfalls: Hätte Miss Hattonfield ihre große Hornbrille getragen wie bisher, dann wäre die Sonnenmilch aufs Glas gespritzt und nicht in ihr Auge und dann hätte sie nicht so rumgeschrien.

Mats setzte sich schnell auf seinen Platz und tat so, als hätte er mit der ganzen Sache nichts zu tun. Ich glaube, er winkte mir hektisch zu, dass ich mich hinsetzen sollte, aber ich war irgendwie gelähmt und stand einfach da. Mit der Sprühflasche in der Hand. Was Miss Hattonfield mit ihrem einen Auge trotzdem noch erkennen konnte.

Madison sprang sofort auf, um ihr zu helfen. »Kommen Sie, Sie müssen es mit Wasser auswaschen«, kommandierte sie und wollte die kreischende Miss Hattonfield Richtung Tür führen. Doch die blieb wie angewurzelt stehen und keuchte zwischen zwei Kreischern wutentbrannt: »Katinka, zum Direktor!« Dann setzte sie sich in Bewegung nach draußen. Madison warf mir einen strafenden Blick zu, weswegen sie abgelenkt war und nicht verhindern konnte, dass Miss Hattonfield mit ihrer eingeschränkten Sehfähigkeit gegen den Türrahmen knallte. Dann war Miss Hattonfield weg und einen Moment lang war es ruhig. Eine beunruhigende Ruhe, wie vor einem richtig heftigen Gewitter. Und dann sagte Fabian: »Wie eine Speikobra hast du sie fertiggemacht. Die spritzen ihren Gegnern auch das Gift ins Auge.«

Und dann brach es los. »Krass, Alter, krass!«, schrie Vincent und gab sofort eine Parodie zum Besten, hielt sich ein Auge zu und taumelte durch den Klassenraum. Die anderen Jungs fingen an, ihn johlend mit Papierkugeln zu bewerfen, was Vincent zum Anlass nahm, noch lauter zu kreischen. Ich stand in dem Tumult immer noch da, mit der Sprühflasche in der Hand, und als ich eine Bewegung machte, um sie wegzustellen, schrie Emil: »Alle in Deckung! Die Kobra greift an!« Die Jungs grölten im Chor: »Die Kobra! Haut schnell ab!«

Benommen setzte ich mich auf meinen Platz an dem Vierertisch, den ich mir mit Mats, Greta und Jule teilte. Die beiden Mädchen starrten mich an, als hätte ich irgendeinen ansteckenden Ausschlag. Ich könnte schwören, dass sie ein Stück von mir weggerückt sind. Auch Mats sah nicht gerade glücklich aus. Besonders als Emil schrie: »Hey, Mats. Hast du ein Gegengift geschluckt oder wie hältst du es neben der Kobra aus, ohne tot umzufallen?«

Mats warf ihm einen leicht gequälten Blick zu, dann wandte er sich an mich. »Am besten gehst du sofort«, stieß er hervor, »bevor Miss Hattonfield beim Direktor petzen kann.«

»Stimmt«, sagte ich und musste schlucken bei dem Gedanken daran, dass Miss Hattonfield aus der kleinen Sache garantiert einen gemeingefährlichen Anschlag machen würde.

»Soll ich mitkommen?«, fragte er mit flackerndem Blick.

»Nee, schon gut«, sagte ich tapfer. »Du hast ja nicht geschossen.« Er nickte erleichtert und ich atmete tief durch und machte mich durch das Kobra-Geschrei auf zum Direktor.

Immer noch der Tag des Desasters

Musste eine kurze Schreibpause einlegen. (Wusste gar nicht, dass Tagebuchschreiben so anstrengend ist! Wenn man es gründlich und schonungslos machen möchte, jedenfalls.) Weiter geht’s: Ich ging also zum Direktorzimmer und klopfte zögerlich. Die Sekretärin sagte mir, der Direktor würde mich reinrufen. Also setzte ich mich auf den Stuhl, der seltsam verloren dort rumstand. Vermutlich hat der Direktor ihn hierhingestellt, damit man beim Warten auf die Vitrine mit den goldenen Pokalen der Rudermannschaft und des Mathe-Teams und des Schachklubs schauen muss, und einem klar wird, wie viel einen von den beliebten und erfolgreichen und großartigen Schülern dieser Schule trennt.

KOBRA! Geht’s noch? Ich meine, Keulen-Kati ist doch als Spitzname schon schlimm genug, aber Kobra-Kati? Ich stöhnte leise auf und nahm mir vor, die Liste meiner Lebensziele sofort neu zu schreiben. (Weil ich heute mein Tagebuch nicht mit in die Schule genommen hatte, musste ich mir meine neuen Lebensziele merken – und schreibe sie also jetzt endlich auf.)

Katinka Peters’ neue Lebensziele, die zwar etwas weniger realistisch, aber dafür extrem VERNÜNFTIG sind:

1. Eine Liste mit Ländern aufstellen, in die ich auswandern kann.

2. Lernen, im Erdboden zu versinken.

3. Ein Vergessens-Elixier entwickeln, das ich in eine Wasserpistole fülle. Alle, die ich damit treffe, werden sofort vergessen, was ich wieder Peinliches angestellt habe.

Am besten fange ich sofort damit an, diese neue Liste umzusetzen. Auf jeden Fall sollte ich sie noch vor der Projektwoche abgearbeitet haben. Ich meine: Wenn ich es schon schaffe, mich an einem stinknormalen Schultag derart zu blamieren, was kann da alles bei der Projektwoche passieren! (Ich weiß es natürlich. So einiges kann passieren! Siehe letztes Jahr!)

Bei der Projektwoche denken sich die Lehrer immer so einen Blödsinn aus, den wir Schüler machen und am Tag der offenen Tür präsentieren müssen, und das Ganze halten sie auch noch für unheimlich kreativ und fördernd für den Teamgeist und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Schüler. (Lehrer! Wirklich. Ich frage mich, ob die überhaupt einen blassen Schimmer haben, wie schmal der Grat ist zwischen kreativ und peinlich.)

In dem Moment ging die Tür vom Direktorzimmer auf und Miss Hattonfield kam heraus. Sie funkelte mich aus rot unterlaufenen Augen an und zischte: »Der Direktor erwartet dich.«

Ich schluckte und stand auf. »Es tut mir leid«, stammelte ich.

»Das sollte es auch«, sagte Miss Hattonfield eisig und dann wäre sie beinahe in die Vitrine mit den Pokalen gelaufen. Sie bremste gerade noch rechtzeitig, warf mir noch einen wütenden Blick zu und stakste davon.

Dann ging ich ins Direktorzimmer. »Äh, hallo.«

Herr von Grünfeld verzog keine Miene und deutete nur knapp mit der Hand auf den Stuhl vor seinem mächtigen Schreibtisch. (Wirklich, der Schreibtisch ist fast so groß wie unsere Tischtennisplatte und man fühlt sich ganz klein, wenn man auf dem Stuhl davorsitzt.) Man nennt unseren Direktor auch »die Sphinx von Köln«. Jedenfalls die Schüler, die Sphinx richtig aussprechen können und auch wissen, was das ist, nämlich diese riesige ägyptische Statue mit der Löwenmähne und ohne Nase. Die anderen bevorzugen den Spitznamen Diktator. Und die meisten meinen damit nicht nur seine Vorliebe für unangemeldete Diktate.

Egal – jedenfalls weiß man bei ihm nie, was er denkt, bis er dann auf einmal mit einer Strafpredigt loslegt und einen total zur Schnecke macht oder den Eltern einen unangenehmen Brief schreibt. Aber davor – einfach ewig langes Schweigen. Wie so eine steinerne Statue eben. Und das macht mich total nervös. Das ist wahrscheinlich seine Taktik, denn so schaffe ich es nicht, einfach den Mund zu halten und zu warten, bis er was sagt. »Es war wirklich keine Absicht«, fing ich also an. Er rührte sich kein bisschen. »Ja, es war meine Sonnenmilch«, erklärte ich eifrig, obwohl er gar keine Frage gestellt hatte. »Sie sehen ja meine helle Haut und auch meine Haare«, ich deutete auf meinen Karottenkopf, »ich bin nun mal sehr sonnenempfindlich, einmal zu lange draußen und schwupps!, habe ich einen Sonnenbrand, selbst bei bewölktem Himmel, und meine Mutter liegt mir jeden Tag damit in den Ohren, dass ich mich eincremen soll, und da hat sie mir diese neue Milch gekauft in der praktischen Sprühflasche, aber dass die so verdammt flüssig ist, das wusste ich nicht.«

Aber warum hast du damit auf Miss Hattonfield gezielt, stellte ich mir vor, dass er gefragt hätte.

Auch das konnte ich überzeugend erklären: »Miss Hattonfield ist mir einfach zufällig in die Schussbahn geraten.«

Jetzt änderte sich seine Miene doch, seine Augen verengten sich und er musterte mich argwöhnisch.

Und da wurde ich KNALLROT, weil mir einfiel, dass ich exakt dieselbe Ausrede schon mal benutzt hatte. Als ich schon mal hier war. Wegen eines Unfalls. Mit … ähem … Miss Hattonfield. Aber der Vorfall im Winter war nun wirklich überhaupt keine Absicht gewesen. Miss Hattonfield war telefonierend vom Parkplatz gekommen und hatte gar nicht bemerkt, dass wir gerade den einzigen Schnee des Winters zusammenkratzten, um zu erfahren, wie sich eine Schneeballschlacht überhaupt anfühlt. Und ich, ich hatte auch nur einen einzigen Schneeball geworfen. Natürlich sind Schneeballschlachten streng verboten an unserer Schule. Aber du meine Güte, Schnee ist so eine Rarität geworden, da flippen wir Schüler nun mal aus, wenn es ein paar Flocken schneit. Und da kann man im Eifer des Gefechts doch mal die eine oder andere Schulregel vergessen, oder?

Offensichtlich erinnerte sich Herr von Grünfeld auch an meine winterliche Attacke auf Miss Hattonfield, der mein Schneeball paff! voll ins Gesicht geklatscht war. Eigentlich hatte ich Joshua abwerfen wollen, den albernsten Angeber aus meiner Klasse, der nämlich gerade versucht hatte, mich zu treffen. Was ihm auch gelungen war, weswegen ich ziemlich genau wusste, wie es sich anfühlt, wenn einem Schnee in den Kragen rutscht. (Für alle, die es wegen des Schneemangels auch vergessen haben: MIES! Es fühlt sich so richtig mies an und nass und eisig.) Aber weil Joshua fünf Meter weit entfernt von Miss Hattonfield gestanden hatte, musste sie ja denken, dass ich tatsächlich sie hatte treffen wollen. (Dabei hatte ich einfach nur zu wenig Erfahrung mit den Flugeigenschaften von Schneebällen!)

Auch Herr von Grünfeld hatte offensichtlich beschlossen, dass alles gegen mich sprach. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du es auf Miss Hattonfield abgesehen hast«, schlussfolgerte er, als er sich alles bis zum Ende angehört hatte.

»Aber nein!«, rief ich und meinte es wirklich ernst. »Ich meine, wieso sollte ich es ausgerechnet auf Miss Hattonfield abgesehen haben? Da gäbe es doch ganz andere Lehrer, die es viel mehr verdient …«

An dieser Stelle änderte sich abermals seine Miene, er senkte das Kinn noch etwas mehr und funkelte mich von unten an wie ein Pitbull. Da stutzte ich, klappte endlich den Mund zu und biss mir auf die Lippen. Verdammt. Irgendwann wenn ich groß bin, werde ich nur noch Dinge sagen, die ich vorher gut durchdacht habe. Die ich nach reiflicher Überlegung ganz in Ruhe vorbringe. Und nicht diesen Schwachsinn, der einfach aus meinem Mund schwappt, ohne dass ich es verhindern kann. »Nein, so war das nicht gemeint«, versuchte ich mich rauszureden.

Aber er stierte mich weiter böse an und fragte: »Hat deine … Attacke … etwas damit zu tun, dass ihr heute eine Englischarbeit schreiben solltet?«

»Was? Nein! Natürlich nicht!«, rief ich schnell. Wobei der Verdacht nicht von ungefähr kam: Die Englischarbeiten von Miss Hattonfield sind von allen gefürchtet, und das schon Wochen vorher.

»Wie gesagt«, versicherte ich noch einmal, »es war einfach ein Unfall. Sie wissen schon, zur falschen Zeit am falschen Ort.« Ich versuchte mich an einem treuherzigen Lächeln.

Er kniff seine hellgrauen Augen zusammen und holte dann Luft – und weit aus. Er schwafelte was von »mangelndem Respekt vor dem Lehrkörper« und »wiederholter Störung des Unterrichts« und »so was darf nicht wieder vorkommen« und dann verdonnerte er mich »als Gedankenstütze für zukünftiges Verhalten« zu einem vierseitigen Aufsatz mit dem Thema »Private Schusswaffen in den USA«, als ob ich irgendwie ein bekloppter Waffennarr wäre, der geläutert werden müsste. Also wirklich!

Ich hätte ihm gerne gesagt, dass der Spott meiner Klassenkameraden an Bestrafung für alle Zeiten ausreichen würde, da bräuchte er mir nicht noch mit Aufsätzen kommen, aber vor lauter Erleichterung, die Standpauke überstanden zu haben, unterdrückte ich jeden Protest und schlich zurück zu unserem Klassenraum. Eilig hatte ich es nicht. Ganz im Gegenteil. Am liebsten wäre ich sofort nach Hause gegangen. Mir tat richtig der Bauch weh bei der Vorstellung, wie sich wieder alle über mich lustig machen würden, weil so ein Mist einfach immer mir passierte! (Ist »Peinlichkeitsschmerz« eigentlich eine Krankheit, die man auf eine Entschuldigung schreiben kann? Meine Tochter hat sich so blamiert, dass sie für ein paar Tage zu Hause bleiben muss, bis sie nicht mehr ausgelacht wird.)

Ich konnte nur hoffen, dass die Sonnenmilch-Attacke nicht zufällig jemand mit dem Handy aufgenommen hatte und überall rumschickte, sodass sie wochenlang ein Thema blieb. (Vergleiche mein Auftritt beim Abschluss der Projektwoche im letzten Jahr.) Ich musste Mats sofort fragen, ob er davon was mitbekommen hatte. Mats war auch der einzige Grund, warum für mich nicht infrage kam, einfach abzuhauen und zu schwänzen. Nicht nur, dass er mich niemals auslachen würde. Er würde auch erleichtert sein, dass ich natürlich nicht verraten habe, dass er mich angestiftet hatte. Und dann würde er mir versichern, dass alles halb so wild war, und dann würden wir vielleicht schon heute Nachmittag drüber lachen. Für so was sind beste Freunde doch da. Bei dieser Vorstellung ging es mir schon wieder etwas besser.

Natürlich immer noch der Tag des Desasters

Passend zu dem Namen dieses Tages hat mein Stift gerade eben den Geist aufgegeben und ich musste mir einen neuen leihen. (Tobi hat so viele säuberlich aufgereihte Bleistifte und Kugelschreiber auf seinem Schreibtisch, dass er ja wohl einen davon entbehren kann!)

Wo war ich stehen geblieben? Ach so: vor der geschlossenen Tür des Klassenraums. An dem Krach dahinter hörte ich natürlich sofort, dass kein Lehrer drin war. Ich wusste nicht, was besser gewesen wäre: Der biestigen Miss Hattonfield unter die blutunterlaufenen Augen zu treten oder mich ins Chaos einer unbeaufsichtigten Schülerhorde zu wagen, die nur darauf wartete, sich auf mich zu stürzen: KOBRA-KATI MIT PEINLICHKEITSBAUCHSCHMERZEN.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, dann stieß ich die Tür auf und heftete sofort meinen Blick auf unseren Tisch, in der Hoffnung, dass mich Mats aufmunternd angucken würde. Aber sein Platz war leer. Er hing nämlich bei Niklas und Joshua rum. Die drei schauten sich auf dem Handy ein Video an. Eine Schrecksekunde lang dachte ich, es wäre die Aufnahme meiner Sonnenmilch-Attacke. Aber in dem Moment rief Joshua bewundernd: »Das ist so ein geiler Typ.«

Und dann passierte etwas Seltsames: Es wurde plötzlich still und alle Augen wanderten zu mir in der Tür. Paul fing an zu grölen: »Englischarbeit fällt aus!«

»Dank deines aufopfernden Einsatzes«, rief Vincent. Und dann fingen alle an zu applaudieren und zu johlen. Joshua pfiff auf zwei Fingern und Emil, Niklas und Patrice lachten erleichtert. Sogar die eingebildete Yvi grinste und daher grinsten auch ihre Freundinnen, die sie umringten. Ich verstand erst nicht, was los war, aber dann erzählte mir Mats begeistert, dass Miss Hattonfield von Herrn Lechner nach Hause gebracht worden war, weil sie die sonnenmilchgetränkte Kontaktlinse hatte wegschmeißen müssen, weswegen sie nicht mehr erkennen konnte, ob wer abschreibt oder nicht, und überhaupt konnte sie so nicht unterrichten, weil ihr Auge höllisch brannte. Eine Vertretung hatte so schnell nicht organisiert werden können und so hatten wir eine Freistunde – und ich … ich war auf einmal der Held der Klasse!

»Wie krass, Mann!«, dröhnte Paul bewundernd. »Ich habe genau gesehen, wie du auf sie gezielt hast.«

»Na ja«, sagte ich bescheiden. »Das war ja mehr ein Unfall gewesen.«

»Hey, Katinka«, rief Niklas. »Kannst du bitte in der nächsten Stunde auch den Heini abschießen? Habe nämlich meine Physikhausaufgaben vergessen.« Der Heini war Herr Heinrich, unser Physiklehrer, ein Griesgram der griesgrämigsten Sorte.

»Mal sehen«, sagte ich und war ziemlich geschmeichelt, dass sogar einer von den coolen Jungs das Wort an mich richtete (Niklas und Joshua sind BMX-Fahrer und bilden sich ziemlich was drauf ein). Auch Greta und Jule waren wieder ganz normal nett und zeigten mir ihre neuen Freundschaftsarmbänder, die sie aus Baumwollfäden und Perlen selbst geknüpft hatten und die sie jetzt als Beste Freundinnen für immer auszeichneten.

Ich war unfassbar erleichtert. Das schien ja gerade noch mal gut gegangen zu sein für mich. (Mal abgesehen von dem blöden Aufsatz.) Was für ein Glück für mich, dass dieser Tag doch noch schön endet! Erstaunlicherweise hat mich die Sonnenmilch-Aktion sogar … beliebt gemacht. Ein bisschen jedenfalls. Ist das zu fassen? Und deswegen ist der 2. September ab jetzt vielleicht doch nicht der Tag des Desasters, sondern der Tag, der als Desaster anfing und sich dann wundersamerweise in den Tag des Beifalls verwandelte.

Donnerstag, 3. September

Wenn ich die letzten Sätze lese, kann ich nur lachen. Von wegen Glück! Von wegen Beifall! Von wegen beliebt!SCHLAMASSELIG ohne Ende ist mein Leben! Noch schlamasseliger geht es gar nicht! (Da kann Mats noch so sehr behaupten, dass es das Wort gar nicht gibt! Dieser Tag heute beweist doch, dass es das Wort schlamasselig geben muss!) Und weil er eben so schlamasselig ist, streiche ich ihn hiermit offiziell aus dem Kalender. Und aus meinem Tagebuch sowieso. Zack!

Der aus dem Kalender gestrichene Tag

Eigentlich müsste ich dann auch den gestrigen Tag streichen, weil da das ganze Schlamassel ja angefangen hat. Hm. Wenn man Tage im Nachhinein streichen kann, dann streiche ich am besten gleich auch noch den 6. Oktober vom letzten Jahr, ich sage nur: oberpeinlich! Projektwochenabschluss! Tag der offenen Tür! Damit wäre dann auch der Spitzname Keulen-Kati gestrichen und die Tatsache, dass Rocco Schmitz, der Muskelberg aus der Achten, mir den Hals umdrehen will. Ja genau. Der Tag wird auch gestrichen. Ha!

Immer noch der aus dem Kalender gestrichene Tag

Wenn ich es mir recht überlege, wird bei meinem Hang zu Fettnäpfchen mein Kalender auf Dauer ziemlich löchrig.

Außerdem funktioniert das irgendwie nicht. Ich kann den Tag vielleicht aus meinem Tagebuch streichen, aber leider nicht aus meinem Leben. Denn ich fühle mich immer noch supermies! Und ich weiß nicht, ob ich zu Mats rübergehen soll. Wir haben uns nämlich in der Schule gestritten. Zum allerersten Mal haben wir uns richtig gestritten! Und seitdem kein Wort mehr miteinander geredet. Ausgerechnet heute! Wo ich ein echt dickes Problem habe. Zusätzlich zu denen, die ich sowieso schon hatte. Und das sind auch nicht gerade wenig!

Wenn ich mir das ebenfalls recht überlege, türmen sich gerade so viele Probleme vor mir auf, dass ich langsam den Überblick verliere. Deswegen liste ich sie mal auf. Hier also die aktuellen Charts meiner Probleme:

1. Mats und ich haben uns gestritten und ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Wobei es natürlich mit Punkt zwei zu tun hat. (Aber nicht nur!)

2. Miss Hattonfield hat uns heute die Nachhol-Klassenarbeit schreiben lassen, in der sie ganz fiese Grammatik abgefragt hat.

3. Alle in meiner Klasse geben mir die Schuld an der hammerschweren Englischarbeit, wegen der Sache mit der Sonnenmilch. Und jetzt sind alle total sauer auf mich. (Auch Mats!!!)

4. Mein Zwillingsbruder Tobi. Da brauche ich gar keine Einzelheiten aufzulisten – der Typ an sich ist ein Problem! (Auch wenn er in eine andere Klasse geht! Die siebte! Der Streber hat nämlich in der Grundschule eine Klasse übersprungen.)

5. Mein großer Bruder Oskar hat jetzt eine Freundin. Er ist zwar immer noch nett, aber das nützt mir nichts, weil ich ihn so gut wie nie mehr zu Gesicht bekomme. (Und ihn deswegen jetzt auch nicht um Rat fragen kann.)

6. Rocco Schmitz, der Muskelberg aus der Achten, der mir den Hals umdrehen will. Bisher konnte mich Oskar vor ihm beschützen, aber der ist ja jetzt beschäftigt.

7. Bald ist wieder Tag der offenen Tür und ich muss mir dringend einen Plan machen, wie ich neue peinliche Auftritte verhindern kann. Und ein Aufeinandertreffen mit Rocco Schmitz.

8. Ich habe rote Haare und eine Million Sommersprossen. Das wäre ja an sich auszuhalten, wenn irgendjemand in meiner Familie auch rote Haare hätte. Hat aber keiner! Nicht mal Großcousine Roberta aus Bristol. Oder sonst irgendeiner der englischen Familie von Dad. Oder Tobi, mein Zwillingsbruder.

9. Ich habe noch ein rotes Haar entdeckt. Und zwar nicht am Kopf.

Ich finde absolut, dass das mindestens acht Probleme zu viel sind für ein elfjähriges Mädchen. (Auch wenn ich schon bald zwölf werde, es sind zu viele!)

Und ist es nicht total mies, dass gestern mein Leben noch in Ordnung schien und heute alles so unfassbar blöd ist?

Miss Hattonfield hat nämlich in der Arbeit Grammatik abgefragt, die wir nur ganz oberflächlich durchgenommen haben, mit Zeitformen wie Present Perfect und Present Progressive und Present Perfect Progressive … und ja, das ist so kompliziert, wie es sich anhört. Zudem hat sie wie ein Schießhund durch ihre dicken Brillengläser gestarrt und bei jedem Stuhlwackeln oder Durch-die-Gegend-Gucken hat sie einen fast mit ihrem Hornbrillenblick aufgespießt.

»Danke, Katinka«, zischte Paul, nachdem wir abgegeben hatten.

Ich habe erst überhaupt nicht kapiert, was er meinte, und starrte ihn nur verwirrt an. Greta und Jule warfen mir hasserfüllte Blicke zu, Madison streckte mir die Zunge raus, Jill sah aus, als ob sie gleich anfangen würde zu heulen, Vincent brabbelte irgendwas von der »Rache der Lehrerin« und Emil streckte mir den Mittelfinger entgegen. Zu der Clique von Yvi am anderen Ende der Klasse wagte ich erst gar nicht mehr zu schauen. »Was ist denn mit denen los?«, fragte ich Mats leise.

Er zischte: »Ist doch klar. Die sind sauer auf dich, weil wegen dir Miss Hattonfield die Klassenarbeit extra schwer gemacht hat.«

Klar war ich da ziemlich baff und in meinem Magen brannte es auf einmal, als hätte ich Säure getrunken. »Wie wegen mir?«, fragte ich. »Du meinst, wegen der Sache mit der Sonnenmilch?«

Er verdrehte die Augen. »Wegen was sonst?«

»Aber du hast doch gesagt, ich solle schießen.«

»Das war doch nur Spaß! Ich habe nicht damit gerechnet, dass du es auch machst.«

»Aber …«, stammelte ich und wusste nicht weiter. Mats holte sein Pausenbrot raus und stand auf. »Warte«, rief ich und fing an, in meinem Schulrucksack zu kramen, »wir gehen doch zusammen in die Bücherei.«

Er seufzte und guckte irgendwie ertappt.

»Ey, Alter, was ist? Willste Wurzeln schlagen?«, rief Niklas von der Tür, und weil Mats sofort zu ihm schaute, wusste ich, dass er gemeint war.

»Nee, tut mir leid, heute nicht«, sagte Mats zu mir und sah mich dabei nicht an. »Ich will mit Joshua und Niklas Basketball spielen.« Er deutete auf die beiden Jungs, die am Eingang warteten.

Da fiel mir aber bald die Kinnlade runter. »Aber freitags sind wir immer in der Bücherei«, stammelte ich verwirrt. Er druckste ein bisschen rum und sagte dann: »Komm doch mit zum Freiplatz.«

Ich überlegte einen Moment, aber erstens hatte ich echt nicht den Eindruck, als ob er sich freuen würde, wenn ich mitkäme. Und Joshua und Niklas würden sich sowieso bedanken, wenn sie mich am Hals hätten. Zweitens ist Basketball so gar nicht mein Fall. Und drittens konnten wir auf dem Freiplatz sowieso nicht reden. »Nee«, sagte ich deswegen und schob als Grund noch schnell hinterher: »Ich muss ein Buch abgeben.«

Und da schien er tatsächlich erleichtert zu sein, denn er war schneller durch die Tür, als ich »Bis später« sagen konnte. Und dann war Mats also weg und ich stand alleine da. Mich alleine stehen zu lassen, hatte er erst zweimal gemacht. Einmal im dritten Schuljahr, weil uns eine Zeit lang dauernd irgendwer auf dem Schulhof hinterherrief: Mats und Katinka sind verlie-hiebt, Mats und Katinka sind verlie-hiebt. Da waren Mats und ich ein paar Tage in der Pause getrennte Wege gegangen, um allen zu beweisen, dass es nicht so ist. In der Grundschule war es ohne Mats in der Pause aber nicht so schlimm, weil es genug Mädchen gab, die Schlümpfefangen oder 1,2,3 das Telefon gespielt haben, wo ich einfach mitmachen konnte.

Aber jetzt in der Gesamtschule ist die ganze Sache schwieriger, weil der Schulhof viel größer und unübersichtlicher ist. Und wenn man da nicht genau weiß, zu wem man gehört, irrt man ziemlich blöd herum. Das habe ich im letzten Schuljahr gemerkt, nach der Sache mit Mister Ed. Das ist Mats Lieblingsstofftier. Das war das zweite Mal gewesen, dass Mats mich in der Pause allein gelassen hatte, um mit Joshua und Niklas bei den Tischtennisplatten abzuhängen. Er war nämlich sauer auf mich, weil ich beim Klassenausflug in den Zoo erzählt habe, dass Mister Ed immer noch bei Mats im Bett schläft. Das hatte ihn total aufgeregt! Aber woher hatte ich denn wissen sollen, dass seine Kuscheltiere auf einmal nicht mehr in der Öffentlichkeit erwähnt werden dürfen? Dass seine Kuscheltiere plötzlich TOP SECRET sind? Von mir kann jeder wissen, dass meine Kuscheltiere ihren Platz in meinem Bett haben. Ich finde das völlig normal! Und schön!

Aber Mats hatte mir erklärt, dass es für Mädchen vielleicht normal wäre, aber für Jungs natürlich nicht. Und obwohl ich mich entschuldigt habe, war er ein paar Tage eingeschnappt gewesen, weswegen er auch nicht mit mir zusammen zur Schule gefahren und in die Pause gegangen war. Und das Ohr von Mister Ed hatte ich in der Woche drauf aus der Mülltonne der Poggendorfs raushängen sehen. (Mats wohnt ja ein paar Häuser weiter in unserer Straße.)

Seit diesem Streit weiß ich jedenfalls: Von den Sachen, die wirklich richtig blöd sind, steht Alleine in die Pause gehen ganz weit oben. Noch vor Lauchsuppe und Bettenabziehen. Man muss dringend noch im Klassenraum jemanden finden, dem man sich anschließen kann. Das Gefühl, alleine auf den Schulhof zu treten, ist schrecklich. Man fühlt sich von tausend Augen beobachtet. Und wenn irgendwo einer lacht, dann meint man sofort, man selbst würde ausgelacht. (Ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht, aber mir geht es jedenfalls so!) Deswegen passte es mir gar nicht, dass Mats mich einfach stehen ließ. Gerade heute nicht! Ich meine, alle waren sauer – zu wem sollte ich mich denn hinstellen?!

So blieb mir nichts anderes übrig, als alleine in die Bücherei zu schleichen (mit Buch unter dem Arm, damit jeder sehen konnte, dass ich was Dringendes zu tun hatte). In der Bücherei lieh ich mir ein neues Buch und hockte mich in die Ecke und tat so, als ob ich total vertieft wäre (damit jeder sehen konnte, dass ich was Dringendes zu tun hatte). Dabei dachte ich darüber nach, warum Mats sich so abweisend verhalten hatte. Ich meine, nur an der Klassenarbeit kann es ja nicht gelegen haben, denn offensichtlich hatte er sich schon vorher mit Joshua und Niklas verabredet. Aber warum hatte er mir das denn nicht auch vorher gesagt? Dann hätte ich mich um andere Pausengesellschaft kümmern können.

Und wie ich da so auf dem Boden saß, fühlte ich mich auf einmal total einsam und allein. Und traurig. Da fiel mir das neue Mädchen aus meiner Klasse auf, diese seltsame Florentina. Sie war auch da und saß mit einem Buch auf einem der begehrten Sofas. Neben ihr war der Platz frei, aber das ist auch kein Wunder. Sie ist nicht besonders beliebt. Ein paar Mädchen aus meiner Klasse behaupten sogar, sie wäre eine Satansanhängerin. Oder ein Rabe in Menschengestalt. Wegen ihrer schwarzen Fransenfrisur und den schwarzen Klamotten, die sie immer trägt.

Ich habe noch kein Wort mit ihr geredet. Wobei das Schuljahr auch erst vor zwei Wochen begonnen hat. Als ich mich weiter umschaute, stellte ich fest, dass nur Mädchen hier waren. War mir vorher gar nicht so aufgefallen! Aber nur zwei waren alleine: Florentina und ich. Die anderen Mädchen waren alle mindestens zu zweit oder zu dritt.

Greta und Jule aus meiner Klasse hockten dicht nebeneinander auf einem Sofa und hatten die Englischarbeit offensichtlich schon vergessen, jedenfalls blätterten sie zusammen irgendein Buch durch und kicherten wie verrückt. Mal wieder! Die beiden hängen immer aufeinander und quatschen ununterbrochen und im Unterricht schieben sie sich Zettelchen hin und her. Ich kann das immer genau beobachten, weil sie schließlich mit bei uns am Tisch sitzen. Mats nennt sie die »Turtelhühner« und verdreht dabei genervt die Augen. Ich hätte aber jetzt auch gerne jemanden gehabt, mit dem ich zusammen hätte lachen können.

Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen wegen der Englischarbeit, immer noch, während ich das hier schreibe. Sogar Mats war offensichtlich auch der Meinung, dass ich daran schuld war. Das war das Blödeste daran. Deswegen nahm ich mir vor, das gleich in der nächsten Stunde wieder aufzuklären. Wie sagt Mama immer: »Streiten ist nicht schlimm, solange man sich wieder verträgt.« Und obwohl sie jede Menge unterirdische Sprichwörter auf Lager hat (bei Gelegenheit schreibe ich mal die Top Ten ihrer beknacktesten Sprüche auf), ist das ausnahmsweise mal ein weiser Satz!

Immer noch der Tag, den ich am liebsten aus meinem Leben streichen würde (was aber leider nicht funktioniert)

Wenn man sich noch nie gestritten hat, hat man sich logischerweise auch noch nie versöhnt. (Damals nach der Sache mit Mister Ed hat sich Mats nach ein paar Tagen einfach eingekriegt und dann war alles wieder okay. Aber dieses Mal wollte ich nicht abwarten, ob das wieder so funktioniert!) Ich habe also keine Übung darin, einen Streit mit Mats beizulegen. Das mal als Rechtfertigung für meinen verunglückten ersten Versöhnungsversuch heute in der Schule, der es leider nur schlimmer gemacht hat. Dabei habe ich mir echt Mühe gegeben.

Direkt in der nächsten Stunde nach der Pause startete ich mein Projekt »Mit Mats vertragen«. Wir hatten Mathe und Herr Lechner erklärte uns gerade, wie man Brüche ausrechnet und das Ergebnis auf einem Zahlenstrahl einträgt. Dazu kritzelte er auf der Tafel rum. Und weil er uns so schön den Rücken zudrehte, riss ich aus meinem karierten Collegeblock eine Seite raus und schrieb darauf mit meinem Glitzerstift und in schönster Schrift:

Bitte ankreuzen Bist du noch sauer auf mich? Ja [] Nein []

Anstelle der i-Punkte malte ich Blümchen, damit es noch freundlicher aussah. Ich faltete den Zettel und schob ihn zu Mats rüber. Aber Mats lauschte tatsächlich ganz aufmerksam dem Geschwafel von Herrn Lechner und beachtete den Zettel gar nicht. Ließ ihn einfach auf dem Tisch liegen! Ich schob ihn noch ein paar Zentimeter weiter zu Mats. Da streckte er die Hand nach dem Zettel aus. Endlich! Doch was machte er? Er steckte ihn einfach in die Hosentasche. Ohne auch nur einen Blick drauf zu werfen!

Und als ich ihm zuflüsterte: »Lies den Zettel«, schüttelte er nur ganz kurz den Kopf und starrte weiter gebannt nach vorne zu Herrn Lechner, der wiederum genau in dem Moment zu uns guckte. Genauer gesagt zu mir. Und zwar ziemlich streng. Vermutlich hat ihn seine Liebste, Miss Hattonfield, schon gegen mich aufgehetzt. Jedenfalls merkte ich, dass er mich auf dem Kieker hatte, und verhielt mich bis zum Ende der Stunde still, was mir außerordentlich schwerfiel. Doch kaum hatte es geklingelt, fragte ich Mats: »Warum hast du den Zettel nicht gelesen?« Ich gebe zu, dass es auch in meinen Ohren etwas vorwurfsvoll klang.

»Weil es Leute gibt, denen der Unterricht wichtiger ist als blöder Zettelkram«, gab er patzig zurück. »Und ausgerechnet du solltest dich etwas mehr auf den Unterricht konzentrieren.«

»Boah, was ist denn mit dir los?«, platzte es da aus mir heraus. »Du redest ja schon wie der Diktator!«

»Es ist halt nicht jedem egal, welche Noten er schreibt!«, zischte Mats.

Das fand ich echt unfair, weil es mir natürlich auch nicht egal ist, welche Noten ich habe. Und deswegen giftete ich zurück: »Wusste ja gar nicht, dass du unter die Streber gegangen bist!«

»Und ich wusste nicht, dass du unter die Tussis gegangen bist!«, knurrte Mats, packte seine Sachen und zog ab zu den Jungs, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.

Danach hatten wir Sport und auch da bekam ich keine Gelegenheit, mich mit Mats zu vertragen. Es war nämlich mal wieder eine Sternstunde des Chaos. Das fing schon damit an, dass unsere Sportlehrerin einen CD-Spieler mit in die Halle brachte, woraufhin die Jungs anfingen zu schreien, als hätte ihnen jemand gesagt, sie müssten nackt über den Schulhof laufen. Dabei stand einfach nur Tanzen auf dem Programm. Was für Jungs offensichtlich genauso schlimm ist, wie nackt über den Schulhof zu laufen. Mindestens.

Als die Musik anfing und Frau Schnabel eine einfache Drehung vormachte, zappelten die Jungs rum, als ob sie Zwangsjacken anhätten und gleich in die Gummizelle gebracht werden müssten. Alle Versuche von Frau Schnabel, sie zum vernünftigen Mitmachen zu bewegen, scheiterten. Sie sagten so Sachen wie: »Tanzen sieht behindert aus.« Und »Wer tanzt, ist total bescheuert«. Aber als Emil sagte: »Ich tanz auf keinen Fall, ich bin doch kein Spasti!«, reagierte Frau Schnabel ziemlich gereizt und hielt den Jungs einen Vortrag über ihre unmögliche Wortwahl und dass sie gute Lust hätte, ihre Eltern einzubestellen.

Selbst danach war ein normaler Unterricht nicht möglich. Irgendwann fand einer von den Jungs (ich glaube, es war Emil) einen vergessenen Ball hinter einer Bank und schoss ihn quer durch die Halle, und alle Jungs stürzten sich darauf, als würde jeder, der den Ball auch nur berührte, reich und berühmt. Frau Schnabel sah aus, als ob sie gleich ausrasten würde. Und das tat sie dann auch. »Ihr kriegt alle eine Sechs wegen Arbeitsverweigerung«, schrie sie, aber selbst das konnte die Jungs nicht überzeugen, mitzumachen.

»Ich dachte, deine Noten wären dir so wichtig«, sagte ich zu Mats, der gerade den Ball zu Joshua zurückgeschossen hatte.

»Aber doch nicht fürs Tanzen!«, schnaubte Mats und rannte zu Joshua und klatschte sich mit ihm ab. Irgendwann seufzte Frau Schnabel, stellte die Musik aus und ließ uns Zombieball spielen, woraufhin wir Mädchen ziemlich enttäuscht waren. »Nur weil die Jungs nicht mitmachen, müssen wir jetzt Zombieball spielen«, beschwerte sich Alenka, unsere stellvertretende Klassensprecherin.

Frau Schnabel seufzte und sagte, im nächsten Schuljahr würde das alles einfacher, da hätten Jungs und Mädchen getrennten Sportunterricht. Aber jetzt wäre es so und basta. Also wirklich. Was ist am Tanzen so schlimm, dass man sich derart anstellen muss? Jungs spinnen, so viel steht mal fest.

Ich meine, im Prinzip ist mir das ja egal. Nur eben bei Mats nicht. Und normalerweise spinnt er auch gar nicht, sondern ist total nett! Und mein bester Freund!

Mittlerweile ist schon Nachmittag und ich habe mich immer noch nicht mit ihm vertragen. Er hat sich nach der Schule noch so lange mit Joshua und Niklas unterhalten, dass es mir irgendwann zu blöd war, auf ihn zu warten. Da bin ich alleine mit dem Rad nach Hause. Aber jetzt ist er sicher daheim. Deswegen gehe ich rüber und rede mit ihm. Das geht einfacher, wo die anderen Jungs nicht mehr um ihn herum sind. Ich hoffe sehr, dass wir uns wieder vertragen!

Noch später an dem Tag, den ich am liebsten aus meinem Leben streichen würde

Geht doch. Mats und ich sind wieder Freunde. Ich bin sooo froh und total erleichtert.

Wenn da nur nicht diese eine Sache wäre, die er gesagt hat.

Die liegt mir nämlich quer im Magen wie die Buttercreme-Torte, die Großtante Gwendolyn uns beim letzten Englandbesuch aufgezwungen hat. (Die sah zwar lecker aus mit ihren Marzipanrosen und den Cremekringeln obendrauf, aber schon nach der dritten Gabel fühlte ich mich, als hätte ich Steine im Bauch.) Und so geht es mir jetzt auch. Deswegen muss es einfach raus. Ich schreibe es auf, dann geht es mir HOFFENTLICH besser.

Es war so: Ich habe bei Poggendorfs geklingelt. Zweimal kurz hintereinander. Das mache ich immer, dann weiß jeder, dass ich es bin. Aber Mats hat nicht selbst aufgemacht, sondern seine Mutter. Mats hing in seinem Zimmer rum, mit seinem Handy, natürlich.

»Hi«, sagte ich.