Knalltütenwunder. Was nicht ist, kann ja noch peinlich werden! - Emma Flint - E-Book

Knalltütenwunder. Was nicht ist, kann ja noch peinlich werden! E-Book

Emma Flint

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Beschreibung

Wie erziehe ich meine Eltern zu unpeinlichen Leuten? Endlich neues Lesefutter für alle ab 10 - von Erfolgsautorin Emma Flint! Marlas Familie ist super - im Blamieren! Wo die Kampmanns auftauchen, wird es peinlich. Besonders für Marla! Ihre Mutter macht Stepptanz in der Eisdiele, der Vater kleidet sich wie ein englischer Lord, die kleine Schwester Julia hält ihre Kuscheltiere für Geheimagenten und die große Schwester Valerie ist mit ihren TikTok-Clips sowieso zum Fremdschämen. Besonders, seit sie sich wegen des neuen Nachbarsjungen Fritz in Marlas geliebten Wissenschaftsclub gedrängt hat. Und nicht mal auf ihre beste Freundin ist noch Verlass! Henrike will plötzlich eine Rockband gründen. Doch Marla ist fest entschlossen, sich nicht ebenfalls verrückt machen zu lassen. Im Gegenteil! Sie hat einen Plan: Sie muss ihre Familie zu unpeinlichen Leuten erziehen! Aber wie bringt man seinen Eltern Vernunft bei? Dieser Tagebuchroman macht selbstbewusst und gute Laune und ist perfekt für alle, die lustig-chaotische Geschichten lieben! Erfolgsautorin Emma Flint weiß genau, was sich Kinder ab 10 wünschen. Mit süßen Vignetten und einem tollen Glitzer-Cover von Eva-Schöffmann-Davidov.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 294

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Emma Flint,

geboren 1975, arbeitete schon als Hausbotin, als Bademeisterin, als Basketballtrainerin, als Regaleinräumerin im Supermarkt und als Fernseh- und Radioreporterin, bevor sie anfing, Bücher zu schreiben. Wobei ihr Letzteres eindeutig am meisten Spaß macht. Nach mehreren Romanen für Erwachsene schreibt sie nun auch für ein jüngeres Publikum. Flint lebt mit ihrer Familie in Köln.

Weitere Bücher von Emma Flint im Arena Verlag:

Jungs verstehen das nicht!Mein Leben voller Feenstaub und Konfetti (schön wär’s) Ich glaub, es glitzert! Jedes Chaos fängt mal klein an Für mein Leben seh ich kunterbunt (wenn ich nur erst den Durchblick hab)

1. Auflage 2022

© 2022 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Str. 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Innenvignetten:

Eva Schöffmann-Davidov

Lektorat: Antonia Thiel

E-Book ISBN 978-3-401-80992-2

Besuche den Arena Verlag im Netz:

www.arena-verlag.de

Donnerstag, 28. April, 17.13 Uhr

Heute habe ich einen Riesenfehler gemacht. Echt! Da passt man einmal nicht auf seine Mutter auf und schon wird man blamiert bis auf die Unterhose.* Wäre ich doch nie-nie-niemals mit ihr Eis essen gegangen …!

Donnerstag, 28. April, 17.39 Uhr

Da musste ich kurz aufhören, um mich zu sammeln. Ich hab mir nämlich geschworen, dass dieses Tagebuch nicht im typischen Chaos der Familie Kampmann endet, sondern dass ich es ordentlich und vernünftig führe. Weil: Ordnung und Vernunft sind gut. Mit Ordnung und Vernunft hab ich alles im Griff.** Deswegen wird dieses Tagebuch auch ein Forschertagebuch und ordentlich strukturiertes Dokument für:

meine Forschungen im wissenschaftlichen Bereich und

die Beobachtungen zu meinem Leben im Allgemeinen und meiner Familie im Besonderen.

Besonders beim zweiten Punkt muss ich toporganisiert sein, denn meine Familie ist eine Herausforderung. Aber ich mag Herausforderungen. Schließlich werde ich mich nach dem Abitur (in sechseinhalb Jahren, um genau zu sein) am MIT bewerben, dem Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA. Und spätestens da muss ich beweisen, dass ich zielstrebig bin und mich von nichts ablenken

Donnerstag, 28. April, 17.56 Uhr

Da kam Valerie in mein Zimmer reingestampft und hat wütend mit dem Kopf gewackelt (ihr Pferdeschwanz rotierte dabei wie ein Ventilator) und dabei hat sie rumgezetert, dass es eine Unverschämtheit wäre, dass wir meinen Wissenschaftspreis mit einem Gartenfest feiern, ihr 2.500ster Follower aber in dieser Familie niemanden interessiert.

Ich hätte ihr ja gerne gesagt, dass ich auf das Gartenfest nächste Woche zu Ehren meines ersten Platzes beim Ruth-Schmerker-Forscherwettbewerb auch verzichten kann. Aber meine große Schwester denkt leider sowieso, alles dreht sich nur um sie, und deswegen hab ich sie einfach freundlich daran erinnert, dass wir zu ihrem 2.000sten Follower bereits eine Benjamin-Blümchen-Tortenschlacht gemacht haben.* Aber Valerie hat nur geschnaubt und gesagt, 2.500 Follower wären ein Meilenstein und irgendwann wären wir alle froh, sie überhaupt zu kennen. Dann wäre sie superreich und würde haufenweise tolle Partys geben und sie würde mich gar nicht erst einladen.

Ich hab »Danke« gesagt und erleichtert aufgeatmet. Sie hat die Augen zusammengekniffen und »Pöh« gemacht, ihren Pferdeschwanz ein letztes Mal fliegen lassen und ist abgedampft.

So, und bevor ich mich schon am Anfang des Tagebuchs von meiner Ordnung abbringen lasse, hier ganz offiziell

* ACHTUNG! Hierbei handelt es sich um ein sprachliches Bild und nicht um eine realitätsgetreue Darstellung der Ereignisse. Muss man dazusagen, denn bei meiner Familie weiß man nie. In Sachen Blamagen ist alles möglich.

** Außer meine peinlichen Eltern, natürlich. Wirklich, meine Familie ist wie eine Wundertüte – irgendeine Überraschung gibt es immer. Und manchmal denke ich: Fehlt nur noch das Zelt, dann wäre der Zirkus komplett.

* Die darin bestand, dass jeder von uns seine eigene Torte bekommen hat und es keine Anstandsregeln beim Essen gab. Ich war die Einzige, die eine Kuchengabel benutzt hat.

Kapitel 1: Familie Kampmann

1.1 Marla Kampmann

Das bin ich. Ich bin 13 Jahre alt und besuche die 7. Klasse des Hildegard-von-Bingen*-Gymnasiums. Ich bin 1,69m groß und habe dunkelblonde, glatte Haare, braune Augen und seit drei Wochen eine feste Zahnspange. Eigentlich ist alles an mir ziemlich normal – bis auf meine Familie eben. Die ist außergewöhnlich chaotisch, was mich immer wieder vor Probleme stellt. Ich meine, natürlich blamiere ich mich auch hin und wieder. Aber nicht mit Absicht. Meine Familie dagegen macht es extra! Weil es ihnen nichts ausmacht, wenn man über sie lacht. Und weil sie auch nicht so schnell rot werden wie ich. Wenn mein Gesicht sich nicht immer verfärben würde wie ein Osterei im Rote-Bete-Saft, würde mich das vielleicht auch nicht so sehr stören. Aber weil jeder sieht, dass mir etwas unangenehm ist, ist es mir noch unangenehmer, wodurch ich noch röter werde! Ein Teufelskreis!

Deswegen achte ich sehr darauf, mich nicht zu blamieren. Zum Beispiel in Sachen Flecken. Obwohl mir schon viele Leute gute Essensmanieren bestätigt haben, gelingt es mir aus bisher nicht bekannter Ursache, immer wieder Lebensmittel auf verschiedenen Körperteilen zu verteilen. Eiscreme an der Wade, Tomatensoße am Ellenbogen, Erbsenpüree am Hals. Positiv ist, dass ich das weiß und daran arbeiten kann – indem ich mich und meine Kleidung nach Mahlzeiten nach Überresten absuche. So einfach ist das.

Blamagenquellen identifizieren und meiden. Das ist mein Grundsatz. Weswegen ich morgens vor der Schule nur Wasser trinke, damit ich nicht in die Schule gehe mit irgendeinem Schnauzbart (aus Milch, Orangensaft oder, ganz schlimm: Kakao). Natürlich weiß ich, dass ich einen eventuellen Kakaobart auch einfach wegwischen könnte. Aber dabei besteht das Risiko, dass mir auf einmal was ganz Dringendes einfällt – nämlich dass ich ein neues Matheheft brauche – und ich das Kakaobart-Abwischen in der Aufbruchshektik vergesse. Daher lautet meine Blamagenvermeidungsstrategie: Wasser trinken. Fehlerquelle erkannt – Fehlerquelle gebannt!

Ich interessiere mich für Naturwissenschaften, forsche, lese und zeichne gern (besonders geometrische Figuren und wissenschaftliche Modelle). Im Moment interessiere ich mich sehr für die verschiedenen Arten von Wolken und überlege, mich später auf Meteorologie zu spezialisieren. Natürlich ist eines meiner Ziele auch, ein Anti-Rotwerde-Mittel zu erfinden.

Im Clever Kids Club (CKC) bin ich 2. Vorsitzende. Für meine wissenschaftliche Untersuchung zu Tintenkillern samt Methoden zur Selbstherstellung habe ich den Ruth-Schmerker-Jugendforschungswettbewerb gewonnen. Und damit ein Preisgeld von 150 €! Das finde ich total super. Im Moment überlege ich noch, wofür ich das Geld am sinnvollsten ausgebe. Nach dem Abitur werde ich am MIT in den USA studieren.

1.2 Valerie Kampmann

Meine große Schwester. 15 Jahre alt, 9. Klasse des Hildegardvon-Bingen-Gymnasiums.* Während meine anderen Familienmitglieder wenigstens optisch unauffällig sind, sieht man bei Valerie leider auf den ersten Blick, dass sie total peinlich ist. Was an folgenden Punkten liegt:

ihrer extrem seltsamen Kleidung, die sie mit selbst gebastelten Accessoires aufmotzt. (Sie beklebt Gürtel mit Pailletten, bemalt Sneaker, bastelt Broschen aus altem Spielzeug wie Playmobilmännchen und Gummitieren und hält sich für eine Topdesignerin.)

völlig übertriebener Schminke

dass sie beim Sprechen ihren Pferdeschwanz affektiert rumschleudert und den Mund nach vorne stülpt, besonders wenn sie in die Kamera spricht

dass sie unablässig in ihre Handykamera spricht, um die Social-Media-Welt an ihrem unglaublich wichtigen Alltag teilhaben zu lassen. Wobei sie oft einfach nur das kommentiert, was sie gerade macht. (»Ich geh jetzt in die Küche und öffne den Kühlschrank«, »Ich bürste meine Haare mit der Bürste.«) Noch schlimmer ist es allerdings, wenn sie sich als Beziehungsexpertin ausgibt und »todsichere Tipps, wie man jeden Jungen rumkriegt« verbreitet. Da ihr Schwarm Fabian bisher noch nicht angebissen hat, würde ich ja sagen, dass sie ihre Zeit verschwendet. Aber ehrlich gesagt, bin ich froh, dass sie quasi im Internet

lebt

, dann kann sie mir nicht dauernd auf die Nerven

Donnerstag, 28. April, 18.28 Uhr

Schon wieder Valerie! Sie hat sich aus meinem Schrank die Hose geholt, die ihr eigentlich nicht mehr passt. Anscheinend hat ihre komische Diät angeschlagen. Seit drei Wochen löffelt sie dauernd Naturjoghurt. Vermutlich war ihre Laune deswegen noch unberechenbarer als sonst. Aber gerade war sie gut drauf, jedenfalls hat sie mich nicht wie sonst angefaucht.

»Da ist sie ja!«, hat Valerie geflötet und die Hose liebevoll an sich gedrückt. »Tut mir leid, Marla. Aber die bekommst du nicht.«

Ich dachte nur: Zum Glück! Eine Lederimitat-Hose, die an den Beinen klebt wie Frischhaltefolie. Gruselig! Ich hab Mama gleich gesagt, dass ich die Hose niemals anziehen werde. Aber Mama meinte, der Geschmack könnte sich ja noch ändern und außerdem wäre die zu schade zum Weggeben. Mit dieser Argumentation stopft sie immer Valeries abgelegte Klamotten in meinen Schrank, weswegen der ziemlich voll ist.* Gut, dass die Hose wenigstens weg ist. Bevor Valerie raus ist, hat sie noch gesagt: »Ich hab gehört, mit Mama war es lustig in der Eisdiele?«

Da ist mir fast der Stift aus der Hand gefallen.

»Lustig?«, hab ich gekeucht. »Das war kein bisschen lustig! Das war sooooo furchtbar peinlich und …« In dem Moment hab ich gemerkt, dass Valerie die Lippen zusammengepresst hat, um nicht laut loszulachen. Als sie merkte, dass ich gecheckt hab, dass sie mich natürlich nur provozieren wollte, hat sie sofort losgeprustet. »Ach, Marla, du bist so eine krasse Spaßbremse, ich lach mich kaputt!« Dann ist sie kichernd rausspaziert.

Echt, unfassbar. Ich meine, sie hat leicht reden! Sie war ja nicht dabei, als Mama in der Eisdiele ausgeflippt ist. Und es saßen auch nicht ihre Mitschüler am Tisch nebenan und haben die Krokantbecheraffäre live mitbekommen. Und sie muss jetzt auch keine Angst vor morgen haben, wenn ich besagte Mitschüler wiedertreffe, und sie muss sich auch nicht einen Haufen blöder Kommentare anhören, weil besagte Mitschüler immer blöde Kommentare machen, sogar wenn es gar nichts zu kommentieren gibt!

Donnerstag, 28. April, 18.42 Uhr

Musste kurz verschnaufen, weil ich bei der Vorstellung von Stephan, Baran und Moritz mit ihrem überheblichen Grinsen und den dummen Sprüchen eine leichte Panikattacke bekommen hab. Jetzt hab ich mich gefangen und bin bereit, ganz strukturiert und übersichtlich alles über die Krokantbecheraffäre aufzuschreiben. Ich beginne mit dem Kapitel über meine Mutter.

1.3 Carola Kampmann

Mama ist 45 Jahre alt und Trainerin in einem Fitnessstudio, wo sie Kurse gibt mit lustigen Namen wie Boyo, Zumba und Shape Booster. Sie liebt Radfahren, Salat und alte Schlager. Sie hat glatte braune Haare und trägt praktische Kleidung (Jeans, T-Shirts, Sneaker).

Das Erstaunliche ist, dass meine Mutter auf den ersten Blick kein bisschen peinlich wirkt. Im Gegenteil. Sie fällt überhaupt nicht auf – solange sie nicht den Mund aufmacht. Leider macht sie den Mund ziemlich oft auf. Sie sagt wildfremden Menschen im Supermarkt, dass sie eine schöne Frisur haben, schmettert jedem, den sie nicht kennt, ein fröhliches Guten Morgen entgegen, lacht in der Öffentlichkeit, als hätte sie einen Lautsprecher verschluckt, und überhaupt tut sie so, als wäre sie mit der ganzen Welt befreundet. Einmal beim Einkaufen hat sie sich 18 Minuten und 34 Sekunden* mit einem Typen über Grillkohle und die besten Rezepte für marinierten Schweinebauch unterhalten. Als wir weitergingen, hab ich gefragt, wer das war. Und Mama meinte: »Den kannte ich gar nicht.« Sie schreckt nicht mal davor zurück, Lehrern Komplimente zu machen! Meine Mathelehrerin hat sie tatsächlich für ihre »tolle Strickjacke« gelobt. Beim Elternsprechtag! Sie hatte überhaupt keine Angst, wie eine Schleimerin rüberzukommen. Mama ist das, was andere Leute denken, nämlich schnurzegal. Das behaupte ich nicht nur – das sagt sie selbst, und zwar WORTWÖRTLICH! O-Ton Mama: »Ist mir schnurzegal, was andere Leute von mir denken.«

Für mich ein ganz eindeutiger -Beweis!

Ich meine, wie kann einem egal sein, was andere Leute denken? Das ist doch wohl total wichtig! Wenn es nicht wichtig wäre, könnte man auch im Schlafanzug Brötchen holen gehen oder dudelsackspielend in die Schule marschieren. Daran, dass das kaum jemand macht, sieht man doch, dass die meisten Leute es für wichtig halten, was die anderen von ihnen denken. Das ist also normales Verhalten. Das Verhalten meiner Mutter dagegen ist nicht normal.

Es fing heute schon vor der Krokantbecheraffäre an. Mama kam in mein Zimmer, obwohl ich kurz vorher gesagt hatte, dass ich nicht gestört werden will, weil ich noch was für die Schule machen muss. Keine fünf Minuten später stand Mama in der Tür und wollte mit mir zur Eisdiele, um schon mal vorab meinen Sieg im Jugendforschungswettbewerb zu feiern. Was ja sehr lieb ist, aber ich hab ihr erklärt, dass ich noch Hausaufgaben zu erledigen hätte. Anstatt das einfach hinzunehmen, fing sie eine Diskussion an.

»Wie viel von deinen Aufgaben hast du denn noch zu machen?«, hat sie gefragt.

Da ist mir die Wahrheit rausgerutscht. »Keine. Ich hab meine schon fertig.«

»Prima. Dann können wir ja los.«

Tja. Das war das Problem: Das konnten wir nicht, weil ich zur Sicherheit noch für Henrike eine abgewandelte Version des Englischaufsatzes schreiben wollte. Meine liebe beste Freundin vergisst nämlich im Moment gerne mal ihre Hausaufgaben, weswegen sie schon etliche Fünfen für die mündliche Mitarbeit kassiert hat. Und weil sie auch in den Klassenarbeiten einen Durchhänger hat, steht sie ziemlich auf der Kippe. Ich kann natürlich nicht zulassen, dass sie sitzen bleibt! Deswegen helfe ich ihr mit den Hausaufgaben, was natürlich eine absolute Beste-Freundinnen-Geheimsache ist. Daher hab ich das auch Mama nicht verraten, sondern eine andere Wahrheit gesagt.

»Nein. Ich kann jetzt noch nicht Eis essen. Sechzig Minuten stehen auf dem Plan. Ich hab aber noch nicht sechzig Minuten gearbeitet.«

So gesehen, ist es sogar ganz praktisch, dass ich Henrikes Hausaufgaben mitmache – dann halte ich wenigstens die Zeitvorgaben von der Schule ein. Ich weiß, dass das ein bisschen albern ist, aber mir gibt es nun mal ein gutes Gefühl, wenn ich mich an die Regeln halte. (Also, abgesehen von der Regel, dass jeder seine eigenen Hausaufgaben machen soll.) »Papperlapapp«, hat Mama strahlend widersprochen. »Das ist doch Quatsch, du süße Erdbeere. Auf geht’s. Wir fahren jetzt Eis essen, keine Widerrede!«

Ist das zu fassen? Ich werde von meinen eigenen Eltern zum Regelbrechen erzogen! Aber immerhin ging es ums Eisessen und da gebe ich zu, dass ich schnell schwach werde. Ich liebe Spaghettieis!

Wir sind also zur Eisdiele geradelt. Ich hab natürlich Spaghettieis bestellt, Mama den Krokantbecher. Mama isst nur selten Süßigkeiten. Normalerweise beschränkt sie sich auf ein Stück Zartbitterschokolade oder mal einen Keks. Und wenn sie Kuchen backt, reduziert sie die Zuckermenge im Rezept um die Hälfte. Sie sagt immer, zu viel Zucker wäre schädlich. Ich persönlich finde das jetzt nicht, aber bei ihr hat Zucker offensichtlich eine durchschlagende Wirkung.

Schon als der Kellner mit dem Tablett kam, hat Mama angefangen, seltsam zu kichern. Der Krokantbecher war riesig. Mit einem Berg Sahne über den vier Kugeln Vanilleeis und mit Haselnusskrokant und Karamellsoße und gleich drei Eiswaffelröllchen. Mamas Augen blitzten und sie murmelte: »Oh mein Gott. Oh mein Gott, das ist ja der Hammer. Köstlich. Der köstliche Hammer.«

Spätestens »der köstliche Hammer« hätte bei mir Alarm auslösen müssen. Aber ich war von meinem Spaghettieis abgelenkt, das nämlich mit der roten Erdbeersoße und den weißen Schokoraspeln auch so lecker aussah, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief. Ich schob den Löffel von der Seite Richtung Eisberg, sodass sich erst Erdbeersoße, dann Eis, Sahne und am Schluss Schokostreusel darauftürmten.

Diese Eislöffel mit der flachen, schaufelartigen Form sind wirklich praktisch, weil man damit so systematisch futtern kann. Ich war leider so abgelenkt, dass ich nur nebenbei mitbekam, dass Mama noch extra Karamellsoße bestellte. Dann nahm das Drama seinen Lauf. Mama tauchte ihren Löffel in das Eis und steckte ihn unter Hmmm-Gesumme in den Mund.

Stephan, Baran und Moritz kamen rein und setzten sich an den Tisch gegenüber. Sie winkten kurz zu mir rüber, ich winkte auch und fühlte mich auf einmal beobachtet. Erdbeersoße tropfte mir aufs Kinn, die ich schnell mit der Serviette abwischte. Ich habe mich wirklich bemüht (wie immer), nicht zu kleckern. Aber in Blickweite von meinen Mitschülern fand ich es auf einmal noch schwieriger, unfallfrei zu essen. Mama dagegen schaufelte unbekümmert und hatte schon eine Höhle in ihr Vanilleeis gegraben, die immer wieder von Karamellsoße geflutet wurde. Mama gluckste vergnügt, zog das erste Waffelröllchen heraus und biss die Spitze ab, an der ein Haufen Sahne klebte. Sie fing an, auf dem Stuhl zu wippen, und schlug auf einmal mit dem Eislöffel gegen den Glasrand des Bechers, dann auf den Metalltisch und die Eiskarte, es entstand ein Trommelrhythmus, den sie mit Bissen in ihr Waffelröllchen ergänzte.

Klong-patsch-kling-krach. Klong-patsch-kling-krach.

Dazu wackelte sie mit dem Kopf wie ein durchgeknallter Rockstar. Ich sah, wie die Jungs aus meiner Klasse rüberguckten und Stephan zu seinen Freunden was sagte. Moritz prustete los und auch Baran grinste hämisch. Ich wurde natürlich sofort rot. Mama trommelte immer weiter. Da hab ich versucht, sie abzulenken. Ich wollte sie in ein vernünftiges Gespräch verwickeln, das sie von weiteren Irrsinnsaktionen abhielt. Leider machte ich einen Fehler. Denn die einzige Frage, die mir auf die Schnelle einfiel, war, wie es mit ihrem Stepptanzkurs voranging, ihrem neuen Hobby.

Donnerstag, 28. April, 19.11 Uhr

Musste mir gerade mal was zu trinken holen. Als ich an Mama und ihre Steppeinlage mitten auf der Terrasse der Eisdiele gedacht hab, hatte ich auf einmal schon wieder so einen trockenen Mund.* Immerhin hab ich gerade eine gute Idee für eine Experimentreihe bekommen. Da sieht man es mal wieder: Wissenschaft fängt direkt vor unserer Nase an. Das ist das Motto vom Clever Kids Club. Herr Schnabel, der den Club leitet, fordert uns immer wieder auf, den Alltag und unsere normale Umgebung als Forschungsgebiet zu betrachten. Ein Grund, weswegen ich Wissenschaft so spannend finde: Sie ist überall! Auch in der Küche, wo ich eben meine kleine Schwester getroffen hab.

1.4 Julia Kampmann

Sieben Jahre alt, 3. Klasse der Sankt-Nikolaus-Schule. Dafür, dass Julia noch so klein ist, ist sie bereits ziemlich abgedreht. Und wenn sie dabei nicht so fröhlich wirken würde, würde ich mir vielleicht Sorgen um sie machen. Weil: Seit Wochen spricht sie schon nicht mehr selbst, sondern lässt nur noch ihre Kuscheltiere für sich reden, die sie für eine Bande von Geheimagenten hält.

Jedem ihrer Kuscheltiere leiht Julia eine andere Stimme, was schon ziemlich lustig klingt. Um sie immer bei sich zu tragen, steckt sie sich die Tiere in ihren Gürtel. So eine Art Kuscheltierpatronengürtel. Da wären:

Rickie, der Waschbär. Er ist der Anführer und kann Gedanken lesen.

*

Rappelhase. Er trägt eine rot-orange gestreifte Hose und hat superlange Ohren, mit denen er Regenwürmer husten hören kann.

**

Er ist sehr schnell. Nur anschleichen kann er sich nicht, wegen der Klickerkugeln in ihm drin, die bei jeder Bewegung rappeln.

Affe Bubu. Er hat sehr lange, biegsame Beine und Arme, und weil er überall raufklettern kann, ist er ein erfolgreicher Spion. (Sagt Rickie.)

Schorsch der Jodelbär. Er trägt Hut, Latzhose und eine grüne Strickjacke. Wenn man auf seinen Bauch drückt, jodelt er. »Holla-di-a-holla-di-a-jo.« Das ist alles, was Schorsch der Jodelbär von sich gibt. (Was für einen Geheimagenten ziemlich wenig ist. Aber Rickie meint, das reicht. Denn Schorsch der Jodelbär bringt damit alle zum Lachen und deswegen ist er bei der Bande dabei.)

Als ich gerade eben in die Küche kam, stand Julia am Fenster und ließ Rickie hinausspähen. Ich hab gefragt, was es denn da draußen zu sehen gäbe. Rickie sagte (mit seiner krächzenden Stimme): »Herr Wolz plant etwas Böses.« Ich guckte nach draußen. Unser Nachbar Herr Wolz fegte die Straße vor seinem Vorgarten. Ich schaute ihm eine Weile zu, um einen Anhaltspunkt für verdächtiges Verhalten erkennen zu können. Konnte ich nicht. Was aber nur daran lag, dass ich keine Gedanken lesen kann, wie Rickie mir erklärte. Um meine Schwester zu überrumpeln, damit sie mir antwortete und nicht Rickie, griff ich zu einem Trick. »Julia, willst du ein Eis?«

Julia fiel nicht darauf herein. »Holla-di-a-holla-di-a-jo«, sagte Schorsch der Jodelbär.

»Ist das ein Ja?« Ich seufzte.

Julia zückte Rappelhase aus ihrem Gürtel, ließ ihn aufgeregt vor mir auf- und abspringen und quiekte: »Ja, natürlich ist das ein Ja!«

Ich holte ein Fruchtwassereis aus dem Eisfach und drückte es Julia in die Hand, obwohl gleich Abendessenszeit war.* Sie packte es aus, wobei Wasserdampf um das Eis herumwaberte. Winzige Wassertröpfchen, mit Gas gemischt. Im Grunde eine Mini-Version einer Wolke. Faszinierend! Julia bot das Eis erst all ihren Kuscheltieren an, streckte dann genüsslich ihre Zunge aus und blieb damit am Eis kleben. Julia machte komische Geräusche (klang fast wie der Jodelbär), während ich mir folgende Fragen stellte:

Warum friert die Zunge an Wassereis fest, nicht aber an Schokoeis?

Wie lange müsste man warten, bevor man Wassereis ungefährdet mit der Zunge berühren kann?

Wie lange wird es dauern, bis Julias Zunge sich von selbst lösen würde?

Ich wollte gerade meine Stoppuhr-App einschalten, da riss Julia das Eis weg und ein Blutstropfen zierte die orangene Eisspitze. »Aua«, jammerte Affe Bubu.

»Was ist los, Spätzelein?«, fragte Mama, die mit einem Haufen Gemüse im Arm in die Küche kam.

»Bin kein Spatz, bin ein Affe«, nuschelte Affe Bubu (wegen der Zungenverletzung).

»Und was für ein toller Affe«, lobte Mama. Dabei sollte man Julia in dem Quatsch doch wohl nicht auch noch bestärken! Ich jedenfalls würde gerne mal wieder mit meiner Schwester persönlich reden. Und nicht mit einem ihrer pelzigen Stellvertreter. Ich werde das beim Abendessen mal auf die Tagesordnung setzen.

Donnerstag, 28. April, 20.26 Uhr

Leider konnte ich das Thema beim Abendessen nicht ansprechen, weil mein Vater jetzt offensichtlich auch beschlossen hat, sich dauerhaft vom gesunden Menschenverstand zu verabschieden.

Wir hatten extra mit dem Abendessen auf ihn gewartet, weil er noch bei seiner Hobby-Theatergruppe war. Als er nach Hause kam, dachte ich erst: Wer ist denn dieser komische alte Mann?

Wie sich herausstellte, war der komische alte Mann mein Papa in seinem neuen Bühnenoutfit.

1.5 Thorsten Kampmann

44 Jahre, Vermessungstechniker und neuerdings der George O’Connor in dem Bühnenstück Der tragische Hund.

Mein Vater hat einen »furztrockenen Beruf« (sein O-Ton!) und deswegen muss er selbst für den Spaß sorgen. Denn »die Arbeit kommt von ganz allein, der Spaß aber nicht« sagt er immer. Am liebsten sorgt er für Spaß, indem er Geschichten erzählt, die völlig übertrieben sind. Er liebt es, Leute zum Lachen zu bringen. Weswegen er bevorzugt lustige Sachen erzählt. Oder was er dafür hält.

Wenn er einmal in Fahrt ist, kann es nämlich passieren, dass er rumposaunt, dass ich mal im Stadtmuseum die Museumsführerin so lange mit Fragen gelöchert hätte, bis sie mir eine Dauerkarte geschenkt hat, damit ich wann anders wiederkomme. Oder dass ich im Kindergarten geweint habe, wenn die Erzieherin mich mit dem Argument, dass die Bastelzeit um wäre, gezwungen hat, mit dem Prickeln/Ausschneiden/Kleben aufzuhören, obwohl meine Bilder oder Bastelarbeiten noch gar nicht fertig waren. Und wenn ich Papa dann anstarre, um ihn zum Schweigen zu bringen, knufft er mich in den Oberarm und sagt lachend, das wäre »Original-Marla, einfach spitzenmäßig«.

Als wäre das alles bisher noch nicht peinlich genug gewesen, hat er sich jetzt einen buschigen Backenbart ins Gesicht geklebt und trägt einen Spazierstock, einen hohen, glänzenden Zylinder, einen matschbraunen Frack aus grob gewebtem Stoff und eine kleine, runde Brille, die vermutlich über hundert Jahre alt ist. (So sieht sie jedenfalls aus.) Anstatt das Kostüm im Theater zu lassen, wie es normale Menschen machen würden, will er es jetzt so oft wie möglich tragen, um sich »in seine Rolle einzufühlen«.

George O’Connor ist ein Lord aus dem 19. Jahrhundert mit tadellosem Auftreten, das ja heutzutage »leider aus der Mode gekommen ist«. Keine Ahnung, wie Papa darauf kommt, dass er sich beim Abendessen tadellos benehmen würde. Er hat nämlich die ganze Zeit mit dröhnender Stimme seltsame Sachen gesagt wie »Das Essen mundet mir vorzüglich, werte Gattin« und »Eure Durchlaucht, mich dünkt, ihr seid eine hochwohlgeborene Lady«.

Valerie hat sogar vor Schreck ihr Handy ausgeschaltet.

Manchmal überlege ich, ob Mama und Papa heimlich Vorsitzende sind im Club der peinlichen Eltern. Oder ob sie an einem Ratgeber schreiben: Wie man erfolgreich seine Kinder blamiert. Genug Material hätten sie auf jeden Fall zusammen!

So, jetzt lege ich das Tagebuch weg. Schlafenszeit. Es ist bewiesen, dass Kinder in meinem Alter neun bis zwölf Stunden Schlaf brauchen. Ich finde zehn Stunden am besten. Das ist eine schöne glatte Zahl. Ich könnte sie natürlich besser erfüllen, wenn meine Eltern feste Abendessenszeiten einhalten würden und nicht auf einmal alles nach hinten schieben, weil wir zum Beispiel auf George O’Connor warten müssen. Vor allem, wo ich wegen der festen Klammer jetzt viel länger zum Zähneputzen brauche.

Donnerstag, 28. April, 21.16 Uhr

Kann nicht einschlafen, weil ich mir ausmale, wie meine Mitschüler mich morgen mit blöden Sprüchen bombardieren und dann alle wissen, wie peinlich meine Mutter sich benommen hat. Cool wäre natürlich, wenn ich einen super Spruch hätte, den ich ihnen entgegenschleudern könnte.

Ich könnte sagen: »Haha. Du bist lustig. Kann ich dich kaufen?«

Nein. Uargh.

Ich könnte sie ganz ungerührt anstarren und sagen: »Ja. Und?«

Nein. Könnte ich natürlich nicht. Weil ich leider in solchen Situationen so rot werde wie eine Tomate mit Sonnenbrand. Und ich außerdem noch zu einer weiteren peinlichen Eigenheit neige: dass mir manchmal die Stimme mitten im Satz wegbleibt und ich nur noch ein Krächzen rausbringe. Der berüchtigte VOICE CRACK. Auch so eine miese Sache.

Echt, ich werde gerade ein bisschen sauer. Bin doch nur in der Situation, weil meine Eltern mich dauernd blamieren!

Donnerstag, 28. April, 21.35 Uhr

Ein erschreckender Gedanke ist mir gerade gekommen: Was, wenn meine Familie mich verrückt machen will? Alleine heute ist so viel passiert, dass man den Eindruck bekommen könnte. Die Krokantbecheraffäre, Papas Bühnenkostüm. Und obendrauf der von ihnen verursachte Schlafentzug. (Wenn man zu wenig schläft, dreht man durch! Das ist wissenschaftlich bewiesen.)

Ich meine, Valerie und Julia sind beide ziemlich durchgeknallt. Wollen meine Eltern etwa, dass ich auch so werde wie sie? Damit ich nicht die Einzige bin, die normal ist in unserer Familie. Bin ich etwa ein Forschungsobjekt in einem biologischen Experiment, ohne es zu wissen?! Muss das morgen sofort mit Henrike besprechen.

Donnerstag, 28. April, 21.44 Uhr

Ich würde ja Henrike jetzt sofort eine Nachricht schreiben, aber Handylicht verhindert, dass im Körper Schlafhormone gebildet werden, was das Einschlafen noch schwieriger macht. Andererseits ist rumwälzen auch nicht gerade schlafförderlich.

Donnerstag, 28. April, 22.01 Uhr

Gerade kam endlich die Antwort von Henrike. Ich hab ihr ellenlang geschrieben, wie meine Familie heute versucht hat, mich auf DIE DUNKLE SEITE DES WAHNSINNS zu ziehen, und sie gefragt, ob sie glaubt, dass ein biologisches Experiment dahinterstecken würde. Und was schreibt sie zurück? Nope.

Mehr nicht. Sie hat noch nie NOPE geschrieben. Aber jetzt schreibt sie NOPE und geht offline!

Wirklich. Die Welt ist ein verrückter Ort. Besonders für die normalen Leute!

Freitag, 29. April, 6.34 Uhr

Ich bin wach. Was man daran merkt, dass ich schon was in mein Tagebuch schreibe. Haha-haha. Hammerwitz, der beweist: Der Wahnsinn hat schon begonnen.

Die andere Möglichkeit wäre natürlich, dass ich einfach nur besser drauf bin als erwartet. Denn Folgendes ist mir klar geworden: Egal, was Stephan, Baran und Moritz für blöde Sprüche machen, ich werde es überleben. (Vermutlich.) Ich lasse es über mich ergehen und wende den Trick an, mit dem man verhindert, dass man seekrank wird: Man starrt auf den Horizont. (Wir sind mal im Urlaub mit einer winzigen Fähre gefahren. Mir war soooo schlecht! Ich hab nachher starr aus dem Fenster geguckt und es wurde etwas besser.)

Und wenn die Jungs heute anfangen, mich zu verspotten, konzentriere ich mich einfach auf die Zukunft. Denn heute passieren noch zwei schöne Dinge: In Mathe (4. Stunde) wiederholen wir Prozentrechnen für die Arbeit nächste Woche. Ich finde Prozentrechnen toll. Alleine das %-Zeichen ist schon so lustig. (Das findet selbst Henrike und die hasst Mathe.) Aber noch viel besser als Prozentrechnen ist, dass heute Nachmittag das Frühlingsfest beginnt. Das ist wie eine Kirmes. Da gehe ich mit Henrike hin. Oh, jetzt muss ich mich beeilen. Müssen ja pünktlich los zum Bus!

Freitag, 29. April, 13.18 Uhr

Mimik ist eine sehr interessante Sache. Mit seinem Gesicht kann man sehr viel ausdrücken. Das nennt man auch nonverbale Kommunikation und dieisteinfach sooo lustig!

Freitag, 29. April, 13.26 Uhr

Ich bin gerade bei dem Versuch, wissenschaftlich zu beschreiben, was heute passiert ist, von einem Lachanfall übermannt worden. Konnte kaum noch den Stift halten! Also schreibe ich doch lieber einfach, wie es war: Die Gesichter von Baran, Stephan und Moritz waren einfach SENSATIONELL!

Überrascht und betreten – und ihnen ist jeder weitere dumme Spruch im Hals stecken geblieben. Henrike hatte nämlich so eine gute Idee! Und gleich zwei meiner Probleme gelöst.

Wenn es eine Rangliste der besten Besten Freundinnen der Welt gäbe, würde Henrike locker Platz 1 bis 10 belegen.

1.6 Henrike Sperlich*

Sie ist fast 13 Jahre alt und seit der Grundschule meine Sitznachbarin, Forscherkollegin und beste Freundin. Henrike ist ein Einzelkind. Ihre Mutter ist Anwältin und ihr Vater Biochemiker in einem Labor (sehr spannend!). Henrike hat blonde lange Haare, eine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen und ihre Lieblingsfarbe ist Grün. Passend dazu hat sie einen grünen Gürtel in Judo. (Nicht weil es ihre Lieblingsfarbe ist, sondern weil sie die Prüfung zum Grüngurt bestanden hat!)

Sie hört neuerdings gerne Rockmusik, wobei sie mit dem Kopf ruckt und eine imaginäre Gitarre spielt. Sie mag Marvel-Filme und ist ein bisschen verliebt in Thor, während ich ein Riesenfan von Loki bin (aber nicht verliebt!!!). Abgesehen von Filmabenden mit Popcornbergen, haben Henrike und ich immer eine Menge Spaß, zum Beispiel:

bei Tierexpeditionen, wo wir rausfinden, wie Libellen miteinander kommunizieren und warum Feuerwanzen immer alle auf einer Stelle hocken. (Henrike meint, es wären einfach Herdentiere

*

. Ich hab so gelacht!)

beim Züchten von Schimmel-Fingerabdrücken auf Käsescheiben. (Bisschen eklig, aber auch interessant, wenn dort, wo man mit dem Finger draufgedrückt hat, nach einiger Zeit Schimmelsporen sprießen.)

beim Bau einer DNA-Doppelhelix aus Modellierschokolade (ein unvollendetes Projekt, weil wir ziemlich viel von der Baumasse gegessen haben)

In letzter Zeit zeichnen wir oft zusammen dreidimensionale geometrische Figuren. Die Winkel und alles richtig hinzukriegen, ist nicht so einfach und macht echt Spaß. Bis Henrike auf einmal dem Würfel ein Horn gemalt hat. Sie meinte, das wäre ein Einhorn-Würfel.

Ich: »Es gibt keine Einhorn-Würfel.«

Sie: »Jetzt schon.«

Ich: »Das geht nicht.«

Und dann sagte sie: »Stimmt. Wenn ein Würfel ein Horn hat, muss er auch ein Gesicht haben.«

Entsetzt hab ich zugesehen, wie sie den Stift angesetzt hat.

Ich muss leider zugeben, dass ich vielleicht eine klitzekleine Macke hab, was geometrische Figuren angeht. Ich finde sie deswegen so schön, weil man sie so exakt zeichnen kann. Man bestimmt Winkel und Längen und dann muss man sich daran halten und kann nicht einfach kritzeln, wie man lustig ist.

Wenn man kritzeln will, wie man lustig ist, sollte man lieber einen Baum malen oder ein Kaninchen oder einen Postboten mit abstehenden Ohren. Aber Henrike hatte sich in den Kopf gesetzt, den Würfel mit Mund und Nase und Horn auszustatten! Das hat mich ganz kirre gemacht. Ich wollte mich mit einem Radiergummi auf ihr Bild stürzen, aber sie hat es weggerissen und an meine Pinnwand gepinnt und mit strenger Stimme gesagt, ich wäre nicht mehr ihre Freundin, wenn ich es abhängen würde. Als sie weg war, habe ich auf den Einhorn-Würfel gestarrt. Ein würfelförmiges Einhorn ohne Beine, mit Horn, Ponyfransen und Glupschaugen. Mit Wimpern!!! Das geht doch nicht. Ein Einhorn ist ein Einhorn und ein Würfel ist ein Würfel. Es gibt ja auch keine Hundvögel. Aber ich hab mein Versprechen gehalten. Es hängt immer noch an der Pinnwand. Unter einer wunderschönen Liste mit meinen Lieblingslateinvokabeln.

Abgesehen von unseren unterschiedlichen Vorstellungen von geometrischen Figuren, verstehen wir uns super. Und auch wenn sie im Moment in den meisten Fächern nicht besonders erfolgreich ist, finde ich sie ziemlich schlau. Als ich sie heute noch mal gefragt hab, ob sie sicher ist, dass meine Eltern mich nicht verrückt machen wollen, meinte sie ganz klar: »Nicht mit Absicht jedenfalls.«

Und dann hat sie mich daran erinnert, wie meine Mutter kocht. Sie schmeißt nämlich alles zusammen und singt dabei »Oh Pardon, sind Sie der Graf von Luxemburg?« in ihr Kochlöffelmikrofon, und wenn ich nicht aufpasse, vergisst sie die Erbsen in der Erbsensuppe.* »Siehst du«, sagte Henrike. »Deine Mutter kann kaum ein Rezept nach Anleitung kochen. Wie sollte sie eine Versuchsanordnung auf die Reihe kriegen? Sie würde eine Versuchsanordnung nicht mal erkennen, wenn eine sie anspringt.«

Das stimmt natürlich. Für eine systematische Aktion sind meine Eltern viel zu chaotisch. Ich bin direkt erleichtert gewesen, dass da kein Plan hintersteckt, sondern nur die normale Verrücktheit meiner Familie.

Dann mussten wir aussteigen und ich sah Baran, Stephan und Moritz schon von Weitem und ich wurde vorsorglich rot, damit ich nicht erst rot werde, wenn sie anfangen zu lachen. Denn wenn sie merken würden, dass ich wegen ihnen rot werde, würde mich das noch unsicherer machen und dafür sorgen, dass ich NOCH röter werde.

Die drei haben ziemlich fies gegrinst und sich gegenseitig in die Seite gestoßen.

»Hey, Marla. Mir ist so nach Fremdschämen. Tanz uns doch mal was vor!«, rief Stephan.

»Wo Marla ist, da steppt der Bär!«, steuerte Baran bei. Ich hab die Schultern hochgezogen und den Kopf gesenkt.

»Lasst sie«, ermahnte Moritz da, »es ist doch nett, dass Marla was mit ihrer Mutter unternimmt. Wenn die Ausgang aus der Anstalt hat.« Die drei lachten und klatschten sich ab.

Das fand ich voll gemein, aber ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Weil ich schon fast an ihnen vorbei war, hoffte ich einfach, dass sie von selbst aufhören würden.

In dem Moment ist Henrike zu den Jungs hin. »Hört mal, ihr Pappnasen. Ich weiß ja, dass ihr kein Gespür für gutes Benehmen habt. Deswegen sage ich es euch: Marlas Mutter kann nichts dafür, dass sie so drauf ist. Sie leidet unter Saccharitis. Also reißt euch zusammen, sonst reiß ich euch den Kopf ab.«

Da waren sie auf einmal still.

»Und entschuldigt euch gefälligst!«, hat Henrike geschimpft. »Für Marla ist das schwer genug!«

Die Jungs murmelten, es wäre nicht so gemeint gewesen und sie hätten auch nicht über meine Mutter gelacht, sondern mit ihr, weil es gestern so lustig war.

Ich hab genickt und gesagt, das wäre okay, und dann sind Henrike und ich schnell weg. Ich musste total kichern. Saccharitis!* Was für ein super Einfall von ihr.

Freitag, 29. April, 13.59 Uhr

George O’Connor kam gerade rein und hat mir Geld für den »Jahrmarkt« gegeben. »Zerstreuungen dieser Art sind für ein junges Fräulein von unschätzbarem Wert«, hat er posaunt. Ich hab nur die Augen aufgerissen, damit ich sie nicht verdrehen muss.

Papa ist sonderbar, aber auch sehr nett. Zehn Euro Kirmesgeld hab ich bekommen! Das ist super. (Weil mein Wissenschaftspreisgeld werde ich nur für etwas wirklich Sinnvolles ausgeben!) Am Freitagnachmittag gibt es eine Happy Hour, wo alle Fahrgeschäfte für Kinder nur die Hälfte kosten. Aber das Beste am Frühlingsfest ist: Henrike und ich gehen nur zu zweit. Da kann mich auch niemand blamieren, weil keiner von meiner Familie

Freitag, 29. April, 14.25 Uhr

Eben gab es auf einmal Geschrei auf dem Flur und ich musste nachgucken, was los ist. Es war Valerie. Sie hat auf dem Weg vom Bad in ihr Zimmer einen Jubeltanz gemacht, bei dem sie ihren »Knackarsch« besungen hat. Sie ist überglücklich, weil sie in ihre alte Fake-Lederhose reinpasst. Ich freue mich für sie. Und bin gespannt, ob sie genauso erfolgreich auch wieder rauskommt. Die Hose ist so eng! Sieht ein bisschen aus wie eine Pellwurst, wenn man mich fragt. Aber wie sagt Valerie immer: Ich verstehe von Mode weniger als ein Dackel vom Purzelbaumschlagen. Eine der wenigen Aussagen von Valerie, die ich so stehen lassen kann.

Freitag, 29. April, 16.51 Uhr

Bin wieder zu Hause und kann vermelden: Diese Familie ist mein Untergang! Das zweite Mal an einem Wochenende wurde ich bis auf die Unterhose blamiert.* Wobei ich leider gestehen muss, dass ich dieses Mal selbst mit schuld war. Weil ich dumme Nuss versucht habe, Valerie vor einer grandiosen Blamage zu bewahren. Und dann ist alles schiefgegangen!