Katharina - Jakob Bergen - E-Book

Katharina E-Book

Jakob Bergen

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Beschreibung

Die kleine Margarita wird ständig beschattet. Ihre Familie geht einen schweren Weg der Bedrohung und Verfolgung. Sie bleiben aber ihrem Glauben treu und Gott belohnt sie dafür. Eine bewegende Geschichte aus dem Leben der Christen in der Sowjetunion.

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Jakob Bergen

KATHARINA

Erzählung

Originaltitel: Екатерина

© 2002 Яков Берген

Jakob Bergen

Katharina

Erzählung

© 2013 Lichtzeichen Verlag GmbH, Lage

Übersetzung: Katharina Rempel

Redaktion: Erna Wilhelm/Erna Friesen

Umschlag/Satz: Gerhard Friesen

ISBN 9783869549811

Bestell-Nr. 548981

E-Book Erstellung: LICHTZEICHEN Medien www.lichtzeichen-medien.com

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Erlaubnis des Verlegers in irgendeiner Form reproduziert werden.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1

Teil 2

Teil III

Vorwort

Es ist nicht so wichtig, wo sich diese Geschichte zugetragen hat, viel wichtiger ist, dass die Menschen, die sie lesen, daraus etwas Nützliches lernen könnten.

Die Menschheit hat im Laufe der Zeit eine Menge verschiedener Romane, Erzählungen und anderer Werke gesammelt, aber lange nicht alle bleiben bis zur nächsten Generation erhalten. Viele werden vergessen, andere dagegen vervielfältigt, gelesen und weiter erzählt. Lange erhalten bleiben Bücher, in denen Eigenschaften wie Sittlichkeit und Herzensgüte des Menschen zum Tragen kommen und zum Nachahmen anspornen.

Jemand, der mit anderen Menschen mitfühlen und mitleiden kann, wird niemals am Leid der anderen gleichgültig vorbei gehen. Er wird ebenso bestrebt sein, auf den Seiten des gelesenen Buches Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit zu finden, mit einem Wort, Helden mit starken, geistlichen Eigenschaften. Zu solchen langlebigen Werken, die noch immer mit großem Interesse gelesen werden, gehört z.B. die Erzählung Genofefa. Dieses Werk ist schon so alt, dass in einigen Auflagen bereits der Name des Autors verloren gegangen ist.

Möglicherweise gehört dieses Buch nicht zu den Bestsellern, aber beeilen Sie sich nicht, es zur Seite zu legen, ohne zu Ende gelesen zu haben. Ich hoffe, dass der Inhalt des Buches von Anfang an Ihr Interesse weckt. Für den Autor ist es eine große Freude, wenn sein Buch viele Generationen überdauert und gelesen wird.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lesezeit!

Jakob Bergen

Teil 1

Langsam, Schritt für Schritt, manchmal stolpernd und zurück schauend, ging auf den holprigen Wegen eine Frau mit ihrem Kind. Die junge Mutter, deren Alter schwer zu schätzen war, hielt in einer Hand einen Koffer und in der anderen ein kleines Bündel. Darin waren die nötigsten Sachen eingepackt: hauptsächlich Kleidung für die Tochter und etwas Lebensmittel.

Die Frau konnte kaum noch die schwere Last tragen, sie blieb öfters stehen und wechselte den Koffer in die andere Hand. Ihr liefen ständig Tränen über die Wangen, aber das kleine Mädchen merkte es nicht. Weil der Weg so holperig war, ging sie mal neben der Mutter, mal hinter ihr und wenn es möglich war, hielt sie sich an den Koffergriff, um der Mutter zu zeigen, dass sie auch beim Tragen der schweren Last mithelfe.

Die junge Frau, dessen Name Gertrud Braun war, war der Verzweiflung nahe. Sie stand große Ängste aus, dass mit ihr etwas passieren könnte und ihre kleine Tochter dann alleine als Waise zurückbleiben müsste. Diese Gedanken waren sehr schmerzhaft für sie und Gertrud versuchte, sie zu verscheuchen.

Sie selbst blieb ohne Eltern, als diese in den 20er Jahren nach Kanada emigrierten. Zu der Zeit war sie noch jung, voller Lebenskraft und verliebt in ihren Ehemann. Sie wollte nicht ihre Heimat verlassen.

Damals konnte sie nicht ahnen, dass man sie bald zwangsmäßig aus ihrem Heimatort, aus dem eigenen Haus verbannen würde, nur weil sie mit ihrem Mann nach der Bibel leben wollte. Sie, Gertrud Braun, hing sehr an ihrer Heimat und konnte sich das Leben ohne sie nicht vorstellen. „Wie werde ich ohne meine Dorfbewohner in der Ferne leben? Ohne den Fluss und allem, was uns hier umgibt?“ fragte sich Gertrud, wenn sie an die Emigration dachte.

„Nein, nein, ohne meine Heimat kann ich nicht leben! Ein jeder hat nur eine Heimat und nur im Himmel ist für uns ein Platz vorbereitet, wo wir es besser haben werden“, dachte sie mit Wehmut.

Die Erinnerungen kamen plötzlich in ihr hoch. Ihr gut aussehender und liebender Mann hatte vor kurzem die Bibelschule beendet und sich entschlossen, als Prediger oder Missionar sein Leben Jesus zu weihen.

Dann veränderte sich alles drastisch in der jungen Familie. Zuerst verhafteten die Machtorgane Hermanns Vater, beschlagnahmten dessen Vermögen und verbannten ihn selber an einen unbekannten Ort. Später wurde auch Hermann abgeholt. Da fingen für Gertrud die schweren Zeiten an. Sie hatte keine Verwandten und ihr wurde das Haus weggenommen.

„Wie soll es weiter gehen?“ fragte Gertrud den himmlischen Vater, an den sie glaubte. Sie wusste auch, dass nur Gott, der Retter Jesus Christus, ihr helfen könne, auf ihn allein setzte sie ihr ganzes Vertrauen.

Jetzt, wo Gertrud in die unbekannte Zukunft schritt, standen ihr immer noch die letzten Ereignisse vor Augen. Das war wahrscheinlich das Allerschlimmste von dem, was sie bis jetzt erleben musste, dass ihr alles weggenommen wurde. Fremde Männer kamen und durchwühlten ihr Haus, durchsuchten die Schubläden, rissen die Kleider aus dem Schrank und warfen alles auf den Boden. Genauso wie damals, als Hermann abgeführt wurde.

Um sich von diesen schweren Gedanken zu befreien, schaute Gertrud auf ihre kleine Tochter und fragte mitfühlend: „Mein Kind, bist du müde?“

„Nein, Mama, aber ich habe Durst!“ sagte die Kleine. "Du musst dich noch etwas gedulden. Wenn wir beim Wald ankommen, dann darfst du trinken. Wir müssen uns beeilen, damit wir vor der Dunkelheit an einen Wohnort kommen, wo wir übernachten können.“

„Wie heißt dieser Ort, wohin wir gehen?“

„Das erste Dorf heißt Grünfeld“, sagte die Mutter und fügte hinzu: „Wir wissen noch nicht, wo wir eine bleibende Unterkunft finden. Es kann sein, dass wir auch noch weiter gehen müssen. Es hängt davon ab, ob uns jemand in sein Haus aufnimmt und ob ich eine Arbeit bei den Leuten finde.“

Der Mutter fiel es schwer, dem siebenjährigen Mädchen zu erklären, wohin und warum sie gehen müssten, aber Katharina begriff trotzdem vieles. Sie wusste schon, dass ihr Vater inhaftiert war, weil er von Gott weiter erzählte. Zusammen mit den Eltern betete sie stets vor jeder Mahlzeit und abends vor dem Schlafengehen. Sie erinnerte sich, dass der Vater oft laut aus der Bibel vorlas, obwohl sie nicht immer alles verstand. Nach dem Lesen erzählte der Vater herzbewegend von dem Heiland, der, um den Willen seines Vaters zu tun, für uns auf diese Erde gekommen war.

„Dieser Retter, Jesus Christus, will auch dich, liebe Katharina, aufnehmen“, sagte der Vater zu ihr.

Eine Weile gingen sie schweigend, in ihren Gedanken versunken, weiter. Die Mutter war schon sehr müde, obwohl sie erst drei Kilometer gegangen waren. Der Koffer schien immer schwerer zu werden. Der Schweiß lief ihr von der Stirn und die Kleider klebten an ihrem Körper.

Als die müden Wanderer endlich den Wald erreichten, ließ Gertrud die schwere Last herunter und sagte zu ihrer Tochter: „So, mein Kind, jetzt können wir trinken, denn mein Mund ist auch ausgetrocknet.“

Essen wollte die Mutter nicht, sie trank nur begierig ein wenig aus der Flasche, holte einen kleinen Becher für die Tochter hervor und gab auch ihr zu trinken. Gertrud beobachtete mitleidend ihr Mädchen, schaute sich um und sagte entschlossen: "Jetzt, liebe Katharina, wollen wir noch beten.“

Gertrud kniete nieder und sagte zu ihrer Tochter: „Mein Kind, komm, beten wir zusammen unseren Retter an, er wird uns den Weg zeigen, den wir gehen sollen.“ Katharina kniete gehorsam neben ihrer Mutter nieder und so beteten sie wie zwei Waisenkinder unter Tränen zu Gott: „Du, unser himmlischer Vater und Retter, Jesus Christus, bist unser einziger Wegweiser, wir legen alles in deine Hand und bitten dich, heiliger Gott, verlasse uns nicht. Du bist unsere ewige Stütze auf dieser Welt, sei du uns gnädig, großer Gott!“

In einer Viertelstunde war Gertrud mit ihrer Tochter im dunklen Wald. Die Mutter entschloss sich, den kürzesten Weg zu gehen, aber das war nicht so einfach. Auf dem Pfad lagen öfters umgefallene Bäume, Wurzeln und Äste, die ein großes Hindernis für die schwere Last waren. Gertrud wollte sich beeilen, aber sie musste Rücksicht auf ihre Tochter nehmen, denn die Kleine war bereits sehr erschöpft. Als die verzweifelte Frau mit ihrem Kind schon eine Weile gegangen war und der Wald immer dichter wurde, erkannte sie plötzlich, dass sie sich verirrt hatten. Katharina merkte nichts davon. Sie lief vergnügt neben der Mutter her und stellte verschiedene Fragen: „Mutter, warum sind diese Bäume so groß und wer hat sie gepflanzt?“

Gertrud hatte kaum eine Frage beantwortet, so kam auch schon die nächste: „Wer füttert die Vögel im Walde und warum haben einige Bäume Blätter und die anderen Nadeln?“

Gertrud versuchte, so gut wie möglich, alles richtig zu antworten. „Dieses alles hat der große Gott dafür geschaffen, damit wir Menschen es hier auf Erden gut haben und uns an dem schönen Vogelgesang und an den hübschen Blumen, die der Herr geschaffen hat, erfreuen können.“

„Warum sind dann auf Erden solche böse Menschen, die uns aus unserem Haus vertrieben haben?“ fragte unerwartet Katharina.

Die Mutter musste erst kurz überlegen, dann sagte sie: „Das kommt daher, weil die Menschen Gott ungehorsam sind. Sie wollen nicht nach seinen Geboten leben, wie der Allmächtige es uns verheißen hat.“

Nach einer Weile fragte Katharina: „Wird Gott diese schlechten Menschen bestrafen?“

„Ja, mein Kind, Gott wird jeden strafen, der gesündigt hat, wenn er seine Sünden nicht vor ihm bekennt, aber wie und wann Er es tun wird, beschließt er allein.“

Katharina merkte, dass die Mutter ungern auf ihre Fragen antwortete und mit anderen Gedanken beschäftigt war, darum fragte sie: „Mama, warum schaust du dich die ganze Zeit um, hast du etwa Angst?“

Es folgte keine Antwort. Katharina sah die Mutter fragend an und Angst kroch in ihr Herz.

„Mein Kind, wir haben uns verirrt“, sagte die Mutter nach einer Weile und stellte das Gepäck ab.

„Und was machen wir jetzt?“ fragte Katharina und weinte leise los. „Wo werden wir schlafen, wenn wir nicht aus dem Wald heraus kommen?“

„Keine bange, meine Liebste, Gott wird uns nicht allein lassen, er weiß, wohin er uns führt, denn er macht nie einen Fehler!“

Gertrud schaute von einer Seite zur anderen und war sich nicht sicher, wohin sie gehen sollte. Die minderjährige Tochter überlegte eine Weile und nahm wieder den Faden von vorhin auf: „Mama, wenn Gott uns liebt, warum hat er dann zugelassen, dass sie uns den Vater weggenommen haben? Warum schützt er uns nicht vor den bösen Menschen, die uns aus unserem Haus verjagt haben?“

„Meine Liebste, solche Fragen dürfen wir nicht stellen. Gott liebt uns, das ist wahr. Er möchte alle Sünder retten, dazu ist er auf diese Erde gekommen, aber manchmal straft er uns auch. Das tut er, damit wir über unser Leben nachdenken und uns ändern sollen. Wie irren hier im Wald nicht einfach so herum, sondern gehen den Weg, den Gott für uns bestimmt hat. Wir sind ein Werkzeug in seiner Hand und nur er alleine weiß, was für uns gut ist und was er mit uns vorhat.“

Plötzlich hörten sie in der Nähe ein Knistern und blieben erschrocken stehen. „Mama, ich habe Angst“, sagte Katharina, sich an die Mutter anschmiegend.

Bevor die Mutter antworten konnte, sah sie im Gebüsch ein Reh. Dieses friedliche Tier bahnte sich ruhig einen Weg durch den Wald, wahrscheinlich ahnend, dass diese beiden keine Jäger waren, sondern einfache Wanderer. Nur Katharina, die dieses Tier zum ersten Mal sah, erschrak.

„Hab keine Angst“, sagte die Mutter beruhigend, „das Reh tut uns nichts böses, denn es fürchtet sich selber vor uns.“ "Finden wir denn wirklich keinen Weg aus dem Wald?“ dachte bei sich Gertrud und stellte wieder einmal den Koffer ab.

„Wie soll es weiter gehen, hilf uns, Herr“, seufzte Gertrud leise und merkte dabei, wie Katharina sie anschaute. Die Mutter ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie es der Tochter nur noch schwerer machte. „Ich muss ruhig bleiben und nicht verzagen, aber wie soll ich es tun, wenn ich den Ausgang aus dem Wald nicht finde?“

Ihr Fehler war, dass sie vom Weg zum Dorf abgekommen waren. Gertrud hatte mit Absicht den direkten Weg eingeschlagen, in der Hoffnung, schneller am Ziel zu sein. Die Mutter nahm aus dem Koffer ein Stück Brot heraus und reichte es dem Kind.

„Nimm und iss, wir müssen uns beeilen, aus dem Wald heraus zu kommen, solange es hell ist. Fürchte dich nicht, meine Liebste, glaube mir, Gott wird uns nicht alleine lassen.“

Die Tochter schaute sie mit einem verstehenden Blick an und schwieg. Sie näherte sich ihrer Mutter und gab damit zu erkennen, dass sie bereit war, weiter zu gehen. Über den Bäumen kreisten die Vögel, die ein Nachtlager suchten, aber diese beiden wussten nicht, wo sie übernachten würden. Im Wald wurde es immer dunkler und der schmale Pfad war kaum noch zu sehen. Ihre Schritte wurden immer kürzer.

„O Herr“, hörte Katharina die leise Stimme der Mutter. Sie betete vor sich hin. Im Wald war jedes Geräusch und das Knistern der Äste unter ihren Füssen zu hören.

Es wurde immer dunkler, nur wo die Bäume nicht so dicht aneinander standen, konnte man noch den hellen Himmel sehen. Dunkle Gewitterwolken schoben sich übereinander. Sie schritten weiter durch den Wald und plötzlich erschien vor ihren Augen ein Bauwerk. Die Mutter blieb stehen, das Herz wollte ihr vor Überraschung aus der Brust springen. Vor ihnen stand nicht nur eine Hütte, sondern ein richtiges Haus.

„Mama, wir sind aus dem Wald heraus gekommen und hier ist ein Haus, in dem wir übernachten können“, freute sich das Mädchen.

„Ja, Katharina, du hast wohl Recht, aber wir wissen nicht, wer in diesem Haus wohnt und ob uns die Bewohner Einlass gewähren zu dieser späten Stunde“. Als sie näher kamen, merkte Gertrud, dass das Haus vermutlich unbewohnt sei, denn vor der Tür wuchs hohes Gras. In einigen Fenstern fehlte das Glas.

„Bleib hier stehen, Katharina, ich schaue zuerst nach, was es für ein Haus ist. Habe keine Angst, ich gehe einmal um das Haus herum, schaue es mir an und kehre wieder zu dir zurück.“

Als Gertrud sich das Haus von allen Seiten angeguckt hatte, war sie beruhigt, atmete leicht auf und sagte zu ihrer Tochter: „Katharina, Gott hat unsere Gebete erhört, komm, wir gehen hinein, es scheint mir, dass da niemand drin wohnt.“

Als Gertrud die Tür öffnete, knarrte diese laut. Die Frau schaute sich erschrocken um, blickte die kleine Tochter an und trat über die Schwelle. Wie ein Blitz gingen ihr Gedanken durch den Kopf: „Wer hat hier gewohnt? Warum haben die Bewohner das Haus verlassen? Wo sind sie jetzt?“

Es war alles verstaubt und roch nach Schimmel. Das Haus wirkte sehr alt, es hatte nur zwei Zimmer und eine kleine Küche. Die Möbel fehlten, ausgenommen einer hölzernen selbstgebauten Liege. Diese stand im kleinen Zimmer, das wohl als Schlafzimmer benutzt wurde.

„Nun, mein Kind, jetzt sind wir mit einer Unterkunft versorgt“, sagte die Mutter und fügte hinzu: „Siehst du, Gott hat für uns gesorgt. Wir sind nicht im Wald verirrt, sondern gingen den Weg, den Gott uns führte.“

Katharina freute sich nicht weniger als die Mutter, dass sie eine Unterkunft gefunden hatten und sagte: „Komm, lass uns unserem Gott und Retter danken, dass er uns in dieses Haus geführt hat.“

„Ja, Katharina, das wollen wir gleich tun.“ So knieten sie beide hin und lobten und dankten dem großen Gott für seine Gnade und Liebe.

An der Vorderseite des Hauses waren die Bäume nicht groß, aber der ganze Platz, der früher einmal den Hof bildete, war ganz mit Gebüsch und hohem Gras zugewachsen. Gertrud stellte fest, dass hier seit längerer Zeit kein Fuß den Hof betreten hatte. Vielleicht wohnte in diesem Haus früher einmal der Förster. Wie auch immer, jetzt boten diese alten Holzwände und das halbverfaulte Dach den beiden einen Schutz. Nach einer Weile wurde es im Haus dunkel. Die Wanderer aßen noch ihr kärgliches Abendbrot und begaben sich zur Ruhe. Die Mutter machte für sich aus einem Armvoll Heu ein Lager auf dem Fußboden. Für Katharina machte sie die Liege fertig.

Zu Hause schliefen sie in weichen, weiß bezogenen Betten, jetzt aber waren sie gezwungen, in diesen Verhältnissen zu übernachten und waren noch froh darüber. Gertrud hatte Schmerzen in den Armen von der schweren Last, die sie zu tragen hatte, und auch die Füße schmerzten ihr vom langen Wandern. Sie gab nicht viel Acht darauf, ihre Gedanken kreisten sich um Katharina, ihre Tochter.

Sie konnte lange nicht einschlafen, immer wieder machte sie sich Gedanken über die Zukunft ihres Kindes. Gertrud bemühte sich, sich ruhig zu verhalten, um die Kleine nicht beim Schlafen zu stören. Katharina konnte auch nicht gleich einschlafen, sie ging ihren eigenen Gedanken nach. Es hatte sich in den letzten drei Tagen zu vieles ereignet. Sie hörte draußen jedes Geräusch, den Wind in den Bäumen und das Rollen des Donners in der Ferne. Dann wurde alles still. Sie fiel in einen unruhigen Schlaf. Es war ihr, als ob Straßenräuber das Haus umlagerten, mit Fackeln und Trommeln herum schlichen und laut schrieen. Sie wachte auf und merkte, dass es nur ein Traum war und sie die Donnerschläge für eine Trommel gehalten hatte. Katharina hatte Angst und fühlte sich einsam:

„Mama“, rief sie nach ihrer Mutter, „schläfst du?“

„Nein, mein Kind, aber mach dir keine Gedanken und schlafe.“

„Mama, ich habe Angst alleine und kann nicht schlafen.“

„Vor wem hast du Angst? Die Tür ist geschlossen und zudem bewachen uns die Engel, die Gott uns gesandt hat. Wir brauchen uns nicht zu fürchten.“

„Ich habe aber trotzdem Angst.“

„Dann komm zu mir herüber.“ Katharina stieg von ihrer Liege herunter und schmiedete sich an ihre Mutter. Nach kurzer Zeit hörte die Mutter, wie ihr Atem ruhiger wurde und die Kleine einschlief, aber sie selbst fand keinen Schlaf.

In dieser Nacht ist Gertrud um Jahre älter geworden. Ihr viel ihre Kindheit ein. Damals lebten die Menschen noch alle glücklich miteinander. Jeder hatte eine eigene Wirtschaft und sonntags fuhren sie mit der Droschke ins Nachbardorf Ferndorf zum Gottesdienst. Damals konnte jeder auf seinem Hof machen, was er wollte, alle lebten frei und glücklich! Gertrud erinnerte sich an die Zeit, als sie ihren zukünftigen Mann, Hermann, kennen lernte. Es war auf einer Hochzeit. Zu der Zeit war sie noch jung und durfte zum ersten Mal zu einer Festlichkeit mitfahren. In ihrem Dorf, wo es den Kindern erlaubt war, zu Hochzeiten zu gehen, hatte sie sogar mit allen anderen am Tisch gesessen, aber das war nur bei Angehörigen, wo sie sich alle untereinander kannten.

Als Gertrud 18 Jahre alt war, erlaubten ihr die Eltern, auch ins Nachbardorf zur Hochzeit zu fahren. Während der Fahrt saß sie neben ihrer Mutter im Wagen. An dem Tag hatte sie Hermann kennen gelernt. Sie musste lächeln, als sie an diese Zeit zurück dachte. Sie vergaß sogar für einen Moment die schreckliche Gegenwart.

Was war das für eine schöne Zeit gewesen! Sie ging in Gedanken Tag für Tag, Jahr für Jahr durch und wollte an nichts anderes denken. Nun bewegte sich neben ihr Katharina und brachte Gertrud für einen kurzen Moment in die unerfreuliche Gegenwart zurück.

Die guten Erinnerungen wollten sie nicht loslassen. Sie dachte an die Zeit, als Katharina klein war und mit Mühe ins Elternbett kroch. Die Kleine drängte sich dann zwischen sie und ihren Mann und umarmte beide. Es schien damals, dass es für sie drei kein größeres Glück gäbe! Jetzt aber befanden sie und ihre Tochter sich in einem fremden Haus, mussten hier auf dem schmutzigen Fußboden liegen und wussten nicht, was ihnen die kommende Zeit bringen würde.

Wenn Gertrud sich noch vor einer Minute in die glückliche Vergangenheit versetzt hatte, so wurde ihr jetzt in einem Nu ihre schwere Lage bewusst und sie seufzte still.

„Mein armes Kind, was wird aus uns werden? Wie wird dein Leben verlaufen, wenn Gott mich zu sich nehmen sollte?“

Daran wollte sie nicht denken. „Nein, nein, das darf nicht sein! Es ist schon schlimm genug, dass sie dir, meine liebe Tochter, den Vater geraubt haben. Ich werde immer für dich beten und wenn ich nicht mehr da bin, sollst du hier auf Erden Gott dienen, wie es dein Vater wollte. Er versuchte immer, den Menschen behilflich zu sein und ihnen den Weg zum Herrn zu zeigen. Der Herr wird es uns auch möglich machen, seine Diener zu sein.“

Dann schlief sie ein. Früh am Morgen, als es erst anfing zu grauen, wachte Gertrud auf und ging leise aus dem Haus. Sie schaute sich die Umgebung näher an, um festzustellen, in welche Richtung sie gehen musste. „Ich weiß nicht, wie lange und wie weit ich noch gehen muss, bis ich zu einem Wohnort komme. Es wird für die Kleine zu schwer sein“, dachte sie, gleichzeitig aber hatte sie Angst, das Mädchen allein zurück zu lassen. Als die Mutter noch am Überlegen war, was zu tun sei, kam die Tochter zu ihr und sagte:

„Mama, bleiben wir hier für immer zusammen?“

„Nein, mein Liebes, hier können wir nicht bleiben. Wir haben wenig zum Essen mit und müssen einen Ort suchen, wo ich eine Arbeit und eine Unterkunft für uns beide finden kann.“

„Also gehen wir jetzt weiter?“

„Katharina, hör mal aufmerksam zu und sei mir nicht böse, denn du muss vorerst einmal hier bleiben und ich suche einen Weg aus dem Wald heraus, um den nächsten Wohnort zu finden.

„Aber Mutter! Willst du von mir weggehen?“

Diese Worte gingen Gertrud wie ein Messer durchs Herz. Sie ließ sich vor der Tochter nieder, schaute ihr in die Augen und sagte: „Liebstes Kind, merke es dir, deine Mutter wird dich niemals alleine lassen, aber jetzt sind wir in so einer schwierigen Lage, jetzt musst du tapfer sein. Du bist mir gegenüber immer gehorsam gewesen und deswegen hoffe ich, dass du es einsehen wirst. Hör mal genau zu: Du musst hier eine kurze Zeit alleine zurück bleiben und ich gehe währenddessen den Weg suchen.“

„Warum darf ich nicht mitgehen?“

„Weil ich noch nicht weiß, wie lange ich brauche, um aus dem Wald heraus zu finden. Vielleicht muss ich bis in die Nacht wandern und das wird zu viel für dich. Du hast schon gestern über deine Füße geklagt, dass sie schmerzen.“

„Mama, ich habe Angst alleine, lass mich mit dir gehen.“

„Nein, Kind, es ist zu riskant, glaub mir, du bist hier in Sicherheit. Geh nur nicht aus dem Haus, bis ich wieder komme. Ich komme auf jeden Fall zu dir zurück.“

Damit schieden sie voneinander. Katharina blieb im alten Haus zurück und die Mutter begab sich auf den Weg. Das Mädchen hatte große Angst, aber sie beherrschte sich, um nicht zu weinen. Sie kletterte auf das Fensterbrett und schaute der Mutter nach, bis diese hinter den Bäumen verschwunden war. Katharina war gut erzogen, so dass sie den Eltern immer gehorsam war. Das gab der Mutter eine gewisse Sicherheit und Ruhe.

Das Mädchen schloss die Tür ab, wie es ihr die Mutter verordnet hatte, und untersuchte im Hause alle Ecken. Von Zeit zu Zeit schaute sie auf die Sonne, ob sie schon untergehe, denn dann hatte die Mutter versprochen zurück zu kommen. Aber die Zeit kroch so langsam dahin! Wenn Katharina geahnt hätte, dass die Mutter zum Sonnenuntergang nicht zurück sein würde, hätte sie sich noch mehr geängstigt. Aber sie vertraute ihrer Mutter und glaubte an ihr Versprechen. Im Hause war es so langweilig! Als die Sonne dann endlich hinter den Bäumen verschwand, ging sie nicht mehr vom Fenster weg. Es wurde ganz dunkel, aber die Mutter kam noch immer nicht. Als es noch später wurde, setzte sich Katharina auf die Liege, stützte ihren Kopf auf die Knie und jammerte los.

Nach einer oder zwei Stunden, als sie all ihre Hoffnung verloren hatte, ihre Mutter jemals wieder zu sehen, sprach sie immer wieder das eine Wort: „Mama! Mama!…“ Wenn sie schwieg, dann entstand im Haus solche unheimliche Stille, dass die Angst das Mädchen überfiel. Als sie nicht mehr weinen konnte und ihre Stimme heiser geworden war, hörte es sich wie ein leises Wimmern an.

Wie lange das Kind so saß, weiß nur der liebe Gott. Katharina zitterte am ganzen Leib vor Angst und Müdigkeit und hatte darüber ihren Hunger vergessen. Überwältigt von den Anstrengungen des Tages, rutschte sie auf die Seite und schlief ein…

Es war ein Krachen und Donnern zu hören und irgendwo bellten die Hunde. Unzählige Pferde trappelten und Menschenmengen schrieen. Man hatte den Eindruck, als habe der Krieg angefangen. In diesem Getümmel hörte Katharina ein starkes Klopfen an der Tür. Die Tür sprang auf und sie sah einen groß gewachsenen Mann. Er hielt in der Hand einen Säbel und rund um den Gürtel war er mit Gewähren bewaffnet. Seine Augen funkelten wütend und er schrie laut: „Hier bist du ja!“ „Mama, Mama, hilf mir!!!“ rief sie und von ihrer eigenen Stimme wachte sie auf.