Kichererbsen mit Schokolade (1). Familienchaos für Anfänger - Jana Frey - E-Book

Kichererbsen mit Schokolade (1). Familienchaos für Anfänger E-Book

Jana Frey

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Beschreibung

Die Zwillinge Alice und Pauline sind total genervt: Nicht genug, dass ihre Mutter überall in der Stadt von Wahlplakaten auf sie hinunterlächelt, nein, jetzt hat sie sich auch noch in den iranischen Besitzer des neuen Radhauses mit seinen zwei komischen Söhnen verliebt. Dagegen müssen sie unbedingt etwas unternehmen! Die Zwillingssöhne Roschan und Darius sehen das ganz genauso - und bitten ihre eher grantige Oma aus Teheran um Hilfe. Die kommt prompt persönlich angereist und schon ist das Chaos in den Zwillingsfamilien am Toben.

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Seitenzahl: 189

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Jana Frey

Kichererbsen mit Schokolade

Familienchaos für Anfänger

Mit Vignetten von Isabelle Metzen

 

 

 

 

 

 

Jana Freywurde 1969 in Düsseldorf geboren. Nach ihrer Schulzeit in Wiesbaden studierte sie in Frankfurt, San Francisco und Auckland/Neuseeland Literatur, Kunst und Geschichte. 1994 erschien ihr erster Jugendroman. Inzwischen hat sie zahlreiche von der Presse hochgelobte Bücher für Kinder und Jugendliche geschrieben. Ihr Roman Höhenflug abwärts wurde für den Jugendliteraturpreis nominiert. Jana Frey lebt mit ihren vier Kindern und dem Familiendalmatiner Luzie am Rhein. www.jana-frey.com

Isabelle Metzenzeichnet, seit sie einen Stift in der Hand halten kann – also eigentlich schon immer. Nach ihrem Diplom in Design an der FH Münster hat sie sich selbstständig gemacht und illustriert jetzt leidenschaftlich Kinder- und Jugendbücher.

 

 

 

 

Für Thomas – 20 Jahre Freundschaft. Danke für alles!

1. Auflage 2017 © 2017 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Cover und Vignetten: Isabelle Metzen Umschlaggestaltung: Juliane Hergt Satz: Goldesel, Malte Ritter 978-3-401-80714-0

Inhaltsverzeichnis

1: Ali und Pau

2: Roschan und Darius

3: Ali und Pau

4: Roschan und Darius

5: Ali und Pau

6: Roschan und Darius

7: Ali und Pau

8: Roschan und Darius

9: Ali und Pau

10: Roschan und Darius

11: Ali und Pau

12: Roschan und Darius

13: Ali und Pau

14: Roschan und Darius

15: Ali und Pau

16: Roschan und Darius

17: Ali und Pau

18: Roschan und Darius

19: Ali und Pau

20: Roschan und Darius

21: Ali und Pau

22: Roschan und Darius

23: Ali und Pau

24: Roschan und Darius

25: Ali und Pau

26: Roschan und Darius

27: Ali und Pau

28: Roschan und Darius

29: Ali und Pau

30: Roschan und Darius

31: Ali und Pau

1

Ali und Pau

»Elf«, sagte Ali düster. Pau nickte ebenso düster.

»Und er ist nicht gekommen.« Mit er meinte sie ihren Vater, der seit einer Weile nicht mehr bei ihnen wohnte.

»Obwohl er es uns fest versprochen hatte«, fügte Pau bitter hinzu.

Es war ein verregneter Julisommerferientag und die Zwillinge hatten Geburtstag. Elften Geburtstag. Und ihr Vater war es schließlich gewesen, der gesagt hatte, die Elf müsse, weil sie eine Schnapszahl sei, besonders gefeiert werden. Aber jetzt war er stattdessen, wie er ihrer Mutter am frühen Morgen in einer eiligen SMS mitgeteilt hatte, in der Nacht überstürzt nach Japan geflogen. Er arbeitete in der, wie Ali und Pau fanden, gähnlangweiligen Computerbranche und war eigentlich dauernd im Ausland unterwegs.

Die zweiundzwanzig Kerzen flackerten, als Runtervomsofa (die eigentlich Prinzessin Sakura hieß) auf den Tisch sprang. Pau nahm die Wahnsinnige rasch auf den Arm, ehe sie sich womöglich noch vor Schreck verkokelte und in Flammen aufging.

»Jetzt macht doch keine Gesichter wie sieben Tage Regenwetter«, sagte Isabella, ihre Mutter, in diesem Moment und schwang das Küchenmesser, als habe sie vor, in der nächsten Sekunde einen Mord zu begehen. »Welche soll ich anschneiden? Deine? Oder deine? Oder beide?«

Sie sah von Alice zu Pauline und wieder zurück zu Alice. Alis Torte war, wie immer, eine Rosentorte, rosa und bedeckt mit massenhaft schnörkeligen Marzipanrosen, während Paus Torte, ebenfalls wie immer, ein Fußball aus Biskuitteig war. Früher hatte Olga, ihre Großmutter, diese Geburtstagstorten Jahr für Jahr gebacken und da hatten sie auch perfekt ausgesehen, aber in diesem Jahr hatte ihre Mutter sich erstmals daran versucht. Das war auch der Grund dafür, dass die Rosentorte ziemlich platt und irgendwie zerzaust aussah und die Fußballtorte eher eiförmig als rund ausgefallen war.

»Und Oma ist auch nicht mehr da«, murmelte Ali gereizt, mit einem wehmütigen Blick auf ihren strubbelig geratenen Rosenkuchen. »Auswandern – also echt …« Sie zog das Wort »Auswandern« verärgert in die Länge. Genau das hatte Olga nämlich getan. Statt wie eine normale Oma für ihre Enkel da zu sein, wie es sich gehörte, war sie vor ein paar Wochen lieber mit drei Freundinnen in ein kleines Haus auf Mallorca übergesiedelt. Das musste man sich mal vorstellen! Sie hatten dort – direkt am Meer – eine Yogaschule für alte Schachteln eröffnet und wollten für immer auf der Insel bleiben!

Isabella sah erneut von einem Zwilling zum anderen. »Jetzt hört gefälligst mal auf, diese Gesichter zu machen, die ihr immer macht, wenn ihr wollt, dass ich euch nicht auseinanderhalten kann. – Du bist Alice, Alice! Ich sehe es an deinen empört aufgeblähten Nasenlöchern!«

Pauline schnaubte. War das zu glauben? Und diese Frau wollte ihre Mutter sein? »Ich bin Pau«, sagte sie mit gerunzelter Stirn und sah noch einmal auf ihren gerade ausgepackten Geschenketisch. Wie sie es beinahe erwartet hatte, lag dort kein Smartphone! Und auch kein iPad! Und schon gar kein Gutschein für ein Zungenpiercing! – Natürlich war der neue Fußball prima! Und das neue Longboard und die schwarzen Chucks auch! Aber hatte sie sich nicht ausdrücklich ein Smartphone, ein iPad und ein Zungenpiercing gewünscht? Mehr als alles andere. Eine Menge ihrer Freundinnen, vor allem Lea und Isi, hatten längst eigene Handys und iPads! Die schrieben dauernd Whatsapps hin und her, surften im Internet rum und knipsten lustige Sachen, die sie dann online stellten! Und das Zungenpiercing? Das wäre eben einfach cool und der Hammer gewesen! Das Leben war wirklich unperfekt! Und das, obwohl die Elf eine Schnapszahl war und darum besonders gefeiert werden musste!

Ali blätterte unterdessen bereits versunken in ihrem neuen, dicken Ratgeber in Sachen Bienenzucht. Sie hatte im Hinterhof des Hauses, in dem sie wohnten, ihr eigenes Bienenvolk und ihre Bienenkiste, die sie selbst gebaut hatte. Ihre Bienen und Rosen waren ihr heilig. Dass Isabella ihr keinen Rosentatoo-Gutschein zum Geburtstag geschenkt hatte, war zwar ärgerlich, aber Ali hatte, wenn sie ehrlich war, auch nicht ernsthaft damit gerechnet. Das neue Rosenlexikon und der Bienenratgeber, dazu die rosa Chucks und der neue Imkerschutzanzug waren super!

»Ich gehe mal runter, nach Lady Gaga sehen!«, rief sie jetzt und sprang auf. Lady Gaga war die Königin ihres Bienenvolkes und Ali liebte sie sehr.

2

Roschan und Darius

Darius schnupperte alarmiert, kaum dass er die Türschwelle übertreten hatte. »He, was stinkt hier denn so?« Er ließ seinen Rucksack fallen und rümpfte die Nase.

Roschan, der dicht hinter ihm war, ließ seinen Rucksack ebenfalls fallen und schnupperte auch. »Ich rieche nichts – außer dem üblichen Müffelfüßegeruch, den deine Schuhe hier immer verbreiten.«

Er schaute vielsagend zu dem kleinen Bord neben der Wohnungstür, auf dem sich auf einem alten abgewetzten Perserteppich, in einer Art Pyramidenform, ihre vielen Schuhe stapelten.

»Wie – du riechst nichts?« Darius drehte sich ungläubig nach Roschan um, während er seine Sneakers von den Füßen kickte und vage in Richtung der Schuhpyramide schoss. »Hast du abgestorbene Nasennerven, oder was?«

Roschan grinste und schnupperte erneut.

»Doch, stimmt! Jetzt rieche ich es auch.« Er verzog das Gesicht. »Irgendwie igitt …«

Es hing wirklich ein übler Geruch in der Luft. Ibrahims Wasserpfeife? Nein, die roch anders. Sein komisches orientalisches Räuchergefäß? Nein, auch nicht. Das miefte zwar auch ziemlich, aber nicht so … Vielleicht sein vorsintflutliches Haarwasser aus Kümmelsud, auf das er so schwor? Nein, sogar das roch geradezu göttlich im Gegensatz zu dem Gestank, der hier heute in der Luft hing.

»Würg – was ist das bloß?« Darius sah seinen Bruder fragend an. »Kotze? Oder am Ende eine … – Leiche?«

Die beiden tappten vorsichtig durch den Flur, als erwarteten sie jeden Moment, in eine gruselige Kotzpfütze oder – noch gruseliger – auf einen Toten zu treten. Als beides nicht passierte, das Gemüffel aber nicht nachließ, versuchten sie, systematisch vorzugehen.

»In der Küche ist schon mal nichts«, rief Darius ein paar Augenblicke später. »Absolut kein Gestank dort! Mülleimer unauffällig und auch keine Töpfe mit Schimmelinhalt auf dem Herd!«

»Wohnzimmer auch in Ordnung!«, rief Roschan aus dem vollgestellten Wohnzimmer zurück.

Sie trafen sich im Flur wieder, wo der gruselige Geruch immer noch eindeutig durch die Luft waberte.

»Bleibt unser Zimmer – oder Paps’ Chaosbude …«

Roschan spähte besorgt durch die angelehnte Tür ihres eigenen Zimmers. Er schnupperte vorsichtig. »Dadrin ist die Luft rein, glaube ich«, verkündete er erleichtert.

Zusammen betraten sie zuletzt das Zimmer ihres Vaters, der noch nicht zu Hause war.

»Booooaaaah!«, stöhnte Darius, kaum dass sie die Fußspitzen über die Türschwelle gesetzt hatten, und schlug sich mit der Hand die Nase platt. Zwischen seinen gespreizten Fingern hindurch nahm er Ibrahims vollgestopfte Bude ins Visier. Okay, es war so chaotisch wie immer. So weit war alles klar. Zuerst fiel sein Blick auf die heiß geliebte Riqq seines Vaters – eine fischlederbespannte (!) Trommel – dann waren da zwei alte Gitarren und die kleine Ukulele, dazu ein Berg von Hanteln, mit denen Ibrahim manchmal abends ein paar Minuten seine Muckis trainierte, und ungefähr zwei Millionen persische Bücher. Darius’ Blick wanderte weiter. Natürlich, der nicht wegzudenkende Berg aus getragenen, zusammengeknüllten Klamotten, dann die zweite Harfe, der alte Samowar und Ibrahims Wasserpfeife. Außerdem mehrere offene Tüten Nuqol – seine heiß geliebten Kichererbsen mit Zuckerkruste – und diverser anderer Kram türmte sich an allen möglichen und unmöglichen Stellen – aber woher kam, verdammt noch mal, der irre Geruch?

»Ob Paps vielleicht im Affekt Herrn Müller-Mueller gekillt und ihn anschließend im Schrank verstaut hat?«, überlegte Roschan und zog probeweise die Tür des alten Schrankes auf. Aber nicht ihr bösartiger Vermieter, der ihnen dauernd mit Kündigung drohte, weil er nichts weiter als ein mieser Ausländerfeind war, kippte ihm entgegen, sondern eine alte Pappschachtel, die anscheinend wackelig auf dem obersten Regalbrett gestanden hatte. Wie ein Regen ergoss sich der Inhalt der Kiste über seinem Kopf.

»Mist …«, murmelte Roschan, während Darius unterdessen auf die Idee kam, probeweise mal den im Zimmer herumsurrenden Fliegen zu folgen. Es waren drei oder vier geschäftig brummende Schmeißfliegen und sie alle flogen immer wieder aufgeregt unter Ibrahims Bett, als sei dort eine Oase des Glücks versteckt!

Darius bückte sich, um herauszufinden, was es damit auf sich hatte.

»Verdammte Oberoberoberkacke!«, rief er, kaum dass er einen Blick riskiert hatte. Angeekelt zerrte er im nächsten Moment mit spitzen Fingern eine flache Schachtel ans Tageslicht. Pizzeria Alessio stand auf dem Deckel und darin befanden sich …

»… die Reste von Paps’ Meeresfrüchtepizza von letzter Woche, o Mann!«

Darius betrachtete den schimmeligen Fladen eingehend. »Wenn man sich Mühe gibt, kann man noch was erkennen … Das Knubbelige mit den grünen Haaren drauf könnte ein Stück … Thunfisch sein? Oder ein Schnipsel Tintenfischring? Oder, warte, ich glaube, es ist ein Stück Anchovis …!«

Er schüttelte ergriffen den Kopf. Dann sah er zu seinem Bruder hinüber. »Was geht, Roschan? Warum starrst du wie ein Irrer vor dich hin? So eklig ist ein bisschen Gammelpizza nun auch nicht. Los, schmeißen wir das haarige Ding in den Müll und machen das Fenster auf – dann geht’s gleich wieder, schätze ich …«

Aber Roschan starrte immer noch auf die alten Sachen aus der Pappkiste, die ihm da auf den Kopf geregnet waren.

Es waren alles Bilder von … Yaz, seiner – Mutter. Hier hatte ihr Vater sie also versteckt. Eine einsame Träne rollte über Roschans Wange, die er ärgerlich wegwischte, ehe Darius sie entdecken würde. Aber Darius war ja nicht blind. Er hatte sie längst gesehen. Ohne ein Wort zu sagen, öffnete er rasch das Fenster, ließ einen Schwall frische Luft ins Zimmer und brachte anschließend die verdorbene Pizza in die Restmülltonne im Hof.

»Hast wohl irgendwelche Gaunereien vor, Junge?«, knurrte Herr Müller-Mueller, der in diesem Moment ebenfalls durch den Hof gewatschelt kam, misstrauisch. »Ich sehe gleich nach, ob dein Vater schon seine Miete überwiesen hat! Euch Ausländer kennt man doch! Nichts als Halunken und Gauner!«

3

Ali und Pau

»Es ist so peinlich!«, sagte Pau mit düsterer Stimme. Ali gab darauf keine Antwort. Sie sah stattdessen nach ihren Rosen, die wie in jedem Sommer den gesamten Balkon zuwucherten.

»Von hier oben sind tatsächlich drei zu sehen!«, fuhr Pauline entsetzt fort und spähte hinter einer von Alis Edelrosen – innen orange, außen pink – hervor über die schnörkelige Balkonbrüstung. »Eins vor der Bäckerei, eins an der Kreuzung – und eins am Haus direkt gegenüber! Das ist so was von mega-mega-megapeinlich, aber wirklich!«

Alice gab ihren Kletterrosen Wasser. Seit fast zwei Wochen waren jetzt schon Sommerferien und seit einer Woche schien die Sonne knallheiß vom blauen Julihimmel. Da musste man mit den Rosen höllisch aufpassen.

Klar war das mit den Plakaten peinlich, aber im Moment gab es wirklich Schlimmeres, über das man sich aufregen konnte. Zum Beispiel dass alle ihre Freundinnen verreist waren! Nur sie selbst und ihre Zwillingsschwester waren zu Hause geblieben! Wie öde und uncool war das denn? Und dazu die Sache mit ihrem Vater. Rein zufällig hatte Ali einen geflüsterten Streit mitbekommen, den Isabella mit ihm an ihrem alten Telefon mit straff gespannter Ribbelschnur geführt hatte. Es war noch am Abend ihres Geburtstags gewesen, als Ali spät noch mal aus dem Zimmer gehuscht war, um erstens auf Toilette zu gehen und zweitens nach Runtervomsofa zu sehen.

Isabella hatte mit gerunzelter Stirn zwischen den Rosen auf dem Balkon gesessen (wo sie immer saß, wenn sie nicht gehört werden wollte) und ärgerlich »Das ist wirklich das Allerletzte, Lars! Es ist der Geburtstag deiner Töchter und du hattest ihnen fest versprochen, da zu sein! Stattdessen fliegst du mit irgendeiner deiner vielen Freundinnen auf die Malediven! Hättest du das nicht noch eine Woche später tun können?«, in den altmodischen Telefonhörer gezischt.

Alice hatte sehr leise geseufzt bei diesen Worten. Und weil sie nicht noch mehr traurige Wahrheiten hören wollte, war sie auf leisen Sohlen weitergehuscht und versuchte seitdem, das Gehörte so tief wie möglich in ihr Unterbewusstsein zu verdrängen. Nicht mal Pau hatte sie davon erzählt.

»… und warum lächelt sie auch noch so blöde?«, fuhr Pau unterdessen aufgebracht fort. Sie drehte sich um. »So lächelt sie doch sonst nie!«

Da musste Alice ihrer Schwester recht geben. Das Lächeln ihrer Mutter auf den Plakaten wirkte wirklich alles andere als echt. Eher wie auf einer Zahnpastawerbung sah es aus.

Ich setze auf Natur!, stand unter Isabellas lächelndem Gesicht an der Kreuzung. Und auf dem Plakat vor der Bäckerei versprach sie Ich liebe Kinder!. Und am Haus gegenüber hieß es sogar Ich habe Neustadt im Herzen!.

Herrjemine, was sollte das denn heißen? Wie konnte man eine Stadt im Herzen haben?

Pau hatte natürlich recht. Diese Plakate waren megapeinlich!

Warum wollte ihre verrückte Mutter auch ausgerechnet – Bürgermeisterin werden? Zum Glück waren Lea und Isi in den Ferien und würden es erst später mitbekommen. Hatte Isabella auch nur einen Moment darüber nachgedacht, wie peinlich es für Ali und Pau sein musste, überall, egal wo sie hingingen, auf Schritt und Tritt diesen Plakaten zu begegnen? Vermutlich nicht. Isabella war immer ziemlich wuschig im Kopf, wie die Zwillinge es nannten. Immerhin hatte sie schon Botanik, Zoologie, Sprachen, Kunstgeschichte und Psychologie studiert, ehe sie auf die Idee gekommen war, es auch mal mit Politik zu versuchen. Zwischendurch hatte sie gekellnert, in einem Laden, der Kosmische Energie hieß, Edelsteine verkauft und zuletzt für einen kleinen Radiosender gearbeitet. Und seit einer Weile arbeitete sie eben als Frauenbeauftragte oder wie das hieß im Rathaus. Da musste man ja wuschig im Kopf von werden.

»O Mama …«, hatte Pau gestöhnt, als Isabella ihnen die Neuigkeit vor ein paar Wochen mitgeteilt hatte. »Warum denn das? Bürgermeisterin? Du? – Warum schaffen wir uns nicht lieber einen Hund an? Oder ein paar neue Topfpflanzen?«

Isabella hatte gelacht. »Ich will es einfach mal versuchen«, erklärte sie vergnügt und schnippelte weiter Radieschen für das Abendessen. »Ich glaube, ich wäre ziemlich gut als Bürgermeisterin.«

Pau und Ali warfen sich einen entnervten Blick zu.

»… und habt ihr euch mal die Nase vom aktuellen Bürgermeister angesehen?«, fuhr Isabella fröhlich fort und vollendete ihren Radieschensalat mit einem Schuss Zitronensaft, etwas Olivenöl und einer Menge frischen Kräutern. »Auf ihr wachsen all diese Härchen. Es sieht aus, als habe er Insekten im Inneren seiner Nase gefangen und alle wollen fliehen mit ihren winzigen, wackeligen Beinchen …«

»Mama! So redet man nicht!«, unterbrach Ali sie ärgerlich. »Ist doch egal, wie seine Nase aussieht. Hauptsache, er ist ein guter Bürgermeister, oder etwa nicht?«

»Du hast hundertprozentig recht, mein Schatz«, gab Isabella freundlich zu. »Aber er will ja sowieso aufhören.« Sie sah mal wieder von Ali zu Pau und von Pau zurück zu Ali. »Haha, diesmal falle ich nicht auf diesen Wer-ist-wer-Unsinn rein. Ihr braucht euch gar keine Mühe zu geben, gleich zu gucken …«

Damit tippte sie Ali auf die Nasenspitze. »Du bist Pauline Schmidthuber, erstgeborener Zwilling!«

Pauline schnaubte. »Und so jemand Verpeiltes will Bürgermeisterin werden! Ich bin Pauline Schmidthuber, o Mann, Mama!«

»Tatsächlich«, lenkte Isabella ein, nachdem sie Pau noch eine Weile eingehend gemustert hatte, und verteilte Geschirr und Besteck auf dem Küchentisch. »Ihr seid aber auch die gleich aussehendsten Zwillinge, die ich kenne.«

Sie betrachtete ihre Töchter zufrieden. »Und ihr seid mir wahrhaft gut gelungen.«

Schwungvoll füllte sie drei blaue Teller mit tanzenden Chinesen darauf mit großen Salatportionen. Unnötig zu erwähnen, dass Isabella diese Teller selbst getöpfert und bemalt hatte. Tanzende Chinesentellertage waren gute Tage. An stressigen Tagen servierte Isabella das Essen auf den rosa Tellern mit den dünnen, goldenen, ineinanderfließenden Energieschnörkeln.

Immer an den Tagen, an denen ihr Vater versprach, die Zwillinge abzuholen, und dann doch nicht vorbeikam, servierte Isabella das Mittagessen mit enorm gerunzelter Stirn auf besagten rosa Energieschnörkeltellern.

Isabella hatte seit der Trennung insgesamt eine ziemliche Wut auf Lars Schmidthuber, wie sie ihn jetzt fast immer nannte.

Ali und Pau dagegen nannten ihn weiterhin »Papi«, wie sie es schon immer taten. Denn immerhin war er ja weiterhin ihr Vater. Auch wenn er in der letzten Zeit vielleicht … etwas unzuverlässig war …

4

Roschan und Darius

Die Kasse vier bei ALDI war in der Regel die schnellste im ganzen Laden, denn an ihr saß – fast immer – die schöne Elvira. Roschan hatte sie so getauft – auf ihrem kleinen hellblauen Namensschildchen stand allerdings nur Elvira Schöne. Elvira hatte lange helle Ringellocken und Roschan machte oft Witze darüber, dass Darius in Elvira schwer verknallt sei. Darius bestritt das immer sehr empört. Es stimmte, er mochte Elvira. Sie war hübsch und nett und lustig und sie schaffte es eben schneller als jede andere Kassiererin im Laden, die Lebensmittel, die man ihr auf das Laufband legte, über den Scanner zu ziehen. Piep – piep – piep – piep … jagte sie Zwiebeln, Basmatireis oder was man eben gerade einkaufte, über den Schriftcode-Erfasser. Heute waren es die besagten Zwiebeln, dazu je eine Dose Kreuzkümmel und Kardamom, Koriander, Hammelfleisch, Knoblauch, Zucchini, Auberginen, Weißweinessig, Joghurt, schwarze Schuhputzcreme, Küchentücher, Zahnpflegekaugummis, neue Wäscheklammern, ein Sixpack Wasser und Olivenöl. Auf dem Kassendisplay erschienen in rasendem Tempo die Preise der gekauften Sachen. 1,79 € – 2,99 € – 1,78 € – 1,95 € – 8,99 € – 0,95 € – 2,69 € – 1,29 € – 1,12 € – 0,99 € – 2,59 € – 1,09 € – 1,11 € – 1,29 € – 4,79 € – 3,89 €.

Elvira hob den Kopf in dem Moment, als sie das letzte Produkt gescannt hatte. Sie grinste Darius erwartungsvoll an.

»Und …?«

Ihr Finger schwebte über der Taste, die die Endsumme verraten würde.

»39,30 €!«, sagte Darius, ohne zu zögern und wie aus der Pistole geschossen.

Elvira, die Schöne, ließ ihren Finger gespannt auf die Entertaste ihres Kassengeräts sinken. 39,30 € leuchtete es augenblicklich in roten Ziffern auf.

»Ich sag’s ja! Du bist, verdammt noch mal, ein wahres Rechenwunder«, rief Elvira begeistert wie jedes Mal, wenn Darius an ihrer Kasse auftauchte. »Ach ja, auf Schuhcreme gibt es heute 15 Prozent Rabatt.«

Sie zwinkerte Darius auffordernd zu.

»Dann sind es …« Darius grinste zurück, »… genau 38,92 €!«

Elvira drückte ein zweites Mal auf die Endsummentaste, nachdem sie den Rabatt des Schuhputzmittels eingegeben hatte. 38, 92 € leuchtete nun auf dem Display.

»Wissen deine Eltern eigentlich, was für ein Genie du bist?«, fragte sie, während sie das Geld in Empfang nahm, das Roschan ihr in die Hand drückte. »Ich meine, du gehst doch bestimmt auf so ein Elite-Irgendwas für Schlauberger? Oder nicht? – Ich meine, eigentlich müsstest du im Fernsehen auftreten …«

Darius zuckte mit den Schultern. »Nee, ich gehe aufs Otto hier um die Ecke. – Meine Mutter ist schon lange tot«, sagte er und stopfte dabei das Hammelfleisch und die Aubergine in einen Einkaufsbeutel, den Roschan ihm zugeworfen hatte. »Und mein Vater findet – äh Musik viel wichtiger als Mathe … Mathe ist ihm eigentlich ziemlich egal …«

Er stopfte den Rest des Einkaufs in die Tasche, während Roschan das Mineralwasserpack schulterte.

Hinter den Brüdern warteten bereits eine Menge andere Kunden. Das Laufband war schon wieder voll mit Lebensmitteln.

»Na, dann bis zum nächsten Mal, du Einstein, du!«, sagte Elvira darum, zwinkerte Darius zum Abschied zu und wandte sich dem nächsten Kunden zu.

Am Ende der Warteschlange standen Ali und Pau.

»Hast du diesen Jungen vorne an der Kasse gerade gesehen?«, fragte Pauline beeindruckt ihre Schwester.

»Welchen Jungen?«, fragte Alice zerstreut zurück und hob den Kopf. Bis eben hatte sie die Pflegehinweise auf dem großen Beutel Hornspäne studiert, der in dieser Woche zufällig im Angebot war. Hornspäne, was immer das eigentlich war, waren überaus wichtig, wenn man, wie sie, Rosen züchtete, hatte letzte Woche der Rosenzüchter auf dem Wochenmarkt behauptet, bei dem sie eine seltene Rose bestellt und gekauft hatte.

Pauline winkte ab. »Egal, vergiss es«, sagte sie nur und beließ es dabei. Wahnsinn, in welchem Tempo dieser dickliche schwarzhaarige Junge im Kopf gerechnet hatte!

»Warum müssen eigentlich dauernd wir die Einkäufe machen?«, brummte Roschan, während sie, bepackt wie sie waren, durch das Treppenhaus stapften. »Kannst du mir das vielleicht mal sagen, denn ich kapier’s nicht!«

Nein, darauf wusste Darius auch keine vernünftige Antwort. Er verkniff es sich allerdings, Roschan darauf hinzuweisen, dass sie sechs lange Wochen Sommerferien hatten, und da sie wegen andauernder Geldknappheit ohnehin nicht in den Urlaub fahren würden, auch ohnehin jede Menge Zeit dafür hatten.

»Pa-haps? Wir sind zurü-hück!«, rief er nur, als sie schnaufend das oberste Stockwerk erklommen hatten und mit den Einkäufen in die Küche gestolpert waren. Hatte ihr Vater nicht eigentlich brandeilig dieses megateure Mountainbike reparieren wollen, das er heute früh als Eilauftrag in den Laden bekommen hatte? Die Wohnung war jedenfalls in Klavierklänge getaucht, dabei hatten sie nicht mal ein Klavier. Dafür war von einem megateuren Mountainbike nicht die Spur zu entdecken …

»Psssst, ich arbeite«, kam es gedämpft aus dem Wohnzimmer. Darius schob mit dem Fuß misstrauisch die angelehnte Tür auf. Mitten im Raum stand ihr Vater und dirigierte mit geschlossenen Augen und einem Kugelschreiber in jeder Hand Chopins Revolutionsetüde. Die Musik dazu war eine wertvolle Aufnahme und drang aus Ibrahims CD-Spieler, der in einer der vollgestopften Ecken des Raumes stand. Es war die Mekka-Ecke genannte Ecke des Zimmers – also die Ecke, die himmelsrichtungstechnisch nach Osten ging. Ihre Großmutter Hedia in Persien hatte das bei ihrem allerersten Besuch in Neustadt mit einem eigens dazu mitgebrachten Kompass herausgefunden. Seitdem betete sie bei ihren Besuchen immer Richtung CD-Spieler!

Jetzt öffnete Ibrahim gerade gnädig ein Auge und betrachtete seinen Sohn im Türrahmen.

»Hallo, Knabe Sohn«, sagte er und lächelte. »Habt ihr alles bekommen? Auch das Fleisch?«

Darius nickte.