Kidnapping Paul - Gisela Getty - E-Book

Kidnapping Paul E-Book

Gisela Getty

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Beschreibung

"Liebe Mutter, lieber Vater, ich habe große Angst zu sterben. Ich habe gehört, dass mein Großvater keinen Penny für mich zahlen will, aber er ist derjenige, der mir diesen Namen gegeben hat..." Rom, Juli 1973: John Paul Getty III, der Enkel des damals reichsten Mannes der Welt, wird von der Mafia entführt. Womit niemand rechnet: Sein Großvater weigert sich, das Lösegeld in Höhe von 17 Millionen Dollar zu zahlen. Erst als seinem Enkel ein Ohr abgeschnitten wird erklärt er sich zu einer Teilzahlung bereit. Hautnah dabei: Zwei junge Frauen aus Kassel. Gisela Getty, Pauls spätere Ehefrau, und ihre Zwillingsschwester Jutta Winkelmann erinnern sich an den spektakulärsten Entführungsfall der siebziger Jahre – und an ein dunkles Kapitel ihres bunten Lebens. Heute liefert die Episode Stoff für gleich zwei Hollywood-Produktionen; Anlass für Gisela Getty, einen Blick zurück zu werfen. weissbooks.com

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Seitenzahl: 183

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weissbooks.w

Impressum

Gisela Getty, Jutta Winkelmann

Kidnapping Paul.

Die Geschichte einer Entführung

Teile dieses Buches sind dem Titel

Die Zwillinge

oder Vom Versuch, Geist und Geld zu küssen

von Gisela Getty, Jutta Winkelmann und Jamal Tuschick entnommen (weissbooks.w 2008)

© Weissbooks GmbH Frankfurt am Main 2018

Alle Rechte vorbehalten

Konzept Design

Gottschalk+Ash Int’l

Umschlaggestaltung

Julia Borgwardt, borgwardt design

unter Verwendung eines Fotos von Claudio Abate

Satz

Publikations Atelier, Dreieich

Layout Bildseiten

Jutta Schneider Grafik Design, Frankfurt am Main

Foto S. 2-3 Gisela Getty, Paul Getty, Jutta Winkelmann

© Claudio Abate

Erste Auflage 2018

ISBN 978-3-86337-141-8

weissbooks.com

Autorin und Verlag haben sich bemüht, die Rechte der in diesem Band abgebildeten Fotografien zu klären, was nicht in allen Fällen gelang. Sollten sich Rechteinhaber finden, bitten wir sie, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen.

Gisela GettyJutta Winkelmann

Kidnapping PaulDie Geschichteeiner Entführung

Inhalt

Nach Rom. Eine Art Einleitung.

Ankunft in Rom

Die Misswahl

Jutta holt Gisela

Römischer Winter

Sperlonga und danach. Eine zauberhafte Truppe

Paul Drei

La Malavita. Eine erste Begegnung

Capri

Wild Horses

The Dark Side of the Moon

Unter Männern

Paul ist zurück – und verschwindet

Etwas stimmt nicht

Ein Zwischenspiel: Stash, Glauber, Kevin

Das Ohr

Sorrent – und Paul ist frei

Nach Rom. Ein Nachwort.

Nach Rom. Eine Art Einleitung.

Es ist schon lange, sehr lange her. Aber wenn es stimmt, was Jean Paul sagt, dass die Erinnerung »das einzige Paradies« ist, »aus dem wir nicht vertrieben werden können«, dann will ich doch noch einmal zurückgehen in die flirrende Stadt Rom und in die frühen Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Meine Zwillingsschwester Jutta und ich waren nach den Jugendjahren in Kassel und nach Stationen in Berlin und München in die italienische Metropole aufgebrochen, um dort unseren Traum von einem freien Leben zu verwirklichen. Unser Credo lautete: »Paradies jetzt, das Leben ist Kunst, wir selbst sind ein Kunstwerk«.

Rom war dafür der richtige Ort. Alles, was in den verschiedensten kulturellen Szenen seinerzeit berühmt und berüchtigt war, traf sich dort in einem Klima, das der Phantasie, ungehemmten Kunst- und Lebensentwürfen und nahezu unzähligen Visionen von einer besseren Welt Raum gab. Jutta und ich (die ich damals meinen zweiten Vornamen, Martine, bevorzugte), fühlten uns im Zentrum eines Kraftstroms, dessen Motoren wir selbst waren, begleitet von Freunden, die an uns glaubten. Wir waren sicher, dass wir »Gott auf unserer Seite« hatten und, unbescheiden formuliert, »seine Lieblingskinder« waren.

Über die so reiche, wilde, ungestüme und überbordende Zeit in Rom haben wir in dem Buch Die Zwillinge oder vom Versuch, Geist und Geld zu küssen erzählt, das 2008 bei weissbooks.w als erstes Buch des neuen Verlags von Anya Schutzbach und Rainer Weiss herauskam. Dieses Buch, das wir zusammen mit unserem Co-Autor Jamal Tuschick schrieben, der sich wie kein anderer in unsere Welt einfühlen konnte, war der Versuch, den Glanz und das Elend der Jahre zu schildern, in denen wir von einem Abenteuer zum anderen, von einer Herausforderung zur nächsten jagten, getrieben von unersättlichem Erfahrungshunger und der Sehnsucht, uns endlich selbst zu finden. Rom war dafür nur eine von vielen Stationen.

Heute, zehn Jahre nach Erscheinen dieses »Memoirs«, rückt ein Kernstück unseres Lebens wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses: die Entführungsgeschichte meines späteren Mannes Paul Getty. Alles Geld der Welt, der neue Film von Ridley Scott, beleuchtet Pauls dramatischen Leidensweg mit den Scheinwerfern Hollywoods, der Oscar-prämierte Regisseur Danny Boyle greift dasselbe Thema auf und verfilmt die Entführung als zehnteilige TV-Serie unter dem Titel Trust. In Amerika munkelt man derzeit sogar von einem dritten Film; ich selbst bin von verschiedenen Produktionen angesprochen worden.

Dieses plötzliche und geballte Auftauchen eines Themas, das Jutta und mich vor weit über 40 Jahren in Atem hielt, zwingt mich, unsere Geschichte – die Geschichte von einem Zwillingspaar und einem Milliardärsenkel – noch einmal anzuschauen und zu reflektieren. Ich muss dies vor allem deshalb tun, weil zwei der drei Protagonisten des Dramas, Jutta und Paul, schon über das große Wasser gegangen sind. Beide starben im Monat Februar, getrennt durch sechs Jahre: Paul am 5. Februar 2011 und Jutta am 23. Februar 2017.

Als wir Paul trafen, war er – mit gerade 16 Jahren – von zu Hause ausgezogen und wohnte in einer alten Kellerwohnung in Rom, gemeinsam mit zwei Freunden, Marcello und Philipp. »Pauls place« wurde frequentiert von dunklen Typen der Malavita, kleinen und größeren Gangstern, die wie selbstverständlich rund um die Uhr ein und aus gingen.

Für Paul waren wir, zwei nahezu identische junge Frauen, die endlich ersehnten Gefährten und der Zutritt in eine andere Welt, die er suchte. Paul, ein auffallend schöner Junge mit raphaelitisch kupferfarbenen Locken und einem überaus wachen Verstand, verweigerte seiner Familie jegliche Anpassungsfähigkeit. Bereits als Schüler hatte er versucht, seine Schule in Brand zu setzen. Für ihn war die Welt dumm, schlecht, korrupt – und deswegen verachtungswürdig. Eine neue Welt musste her. Die meinte er durch seine Beziehung zu einigen – auch führenden – Mitgliedern der Malavita zu finden; dort konnte er, wie er sagte, freier spielen. Klüger als die Malavita und alle anderen Mafiosi fühlte er sich allemal. Hier gab es Drogen, Anerkennung, Zugehörigkeit und hier war er, was ihm wichtig war, außerhalb der Norm, entbunden von Lügen, falschen Erwartungen und Lieblosigkeiten. Paul, der alle Chancen dieser Welt hatte und dem seine Familie alles ermöglicht hätte, suchte etwas anderes. Was er nicht sah: dass er sich wieder einer Familie angeschlossen hatte, in der es klare Regeln gab, in der man Teil eines hierarchischen Systems war, dem man nie entkam. Denn große Familien bewahren ihre Macht durch die Loyalität und Zugehörigkeit ihrer Mitglieder, durch Einordnung in ein Familiensystem. Und über allem lag und liegt die Pflicht zu schweigen – »l’omertà«. Hier wie dort.

Dies alles war uns anfangs nicht klar. Als Jutta und ich Paul kennenlernten und dann mit ihm zusammengezogen waren, fragten wir uns immer wieder, warum dieser auffallend hübsche und intelligente Junge mit diesen »komischen Leuten« befreundet war. Sicher spukte in seinem Kopf wie in den Köpfen vieler noch die Meinung herum, bei der Malavita handele es sich um eine Geheimgesellschaft, die sich gegen die Willkür der besitzenden Klasse und der Justiz wehrt. Als seien die in unseren Augen »komischen Leute« die Nachfahren von Robin Hood.

Wahrscheinlicher aber ist, dass Paul sich von seinen dunklen Freunden Drogen und Geld erhoffte. Das mag zunächst spielerisch gewesen sein, war aber auch von der Arroganz seiner Herkunft begleitet: Ich kann alles tun, was ich will, ich kann von niemandem zu etwas genötigt werden. Obschon er sich der Malavita weit überlegen fühlte, konnte er sich der von ihr ausgeübten Gewalt nicht entziehen und wurde, ohne vorgreifen zu wollen, letztlich zum Opfer ihrer Gewaltspirale. So zart und sensibel er auf der einen Seite war, so gab es in ihm doch auch eine dunkle, gewalttätige Seite; von Gewalt fühlte er sich oft unwiderstehlich angezogen. Oft genoss er es geradezu, ein Getty-Erbe und goldener Hippie zu sein, er badete in Arroganz und stieß alle vor den Kopf: »Was wollt ihr von mir. Ich mache nur, was ich will. Mir ist doch egal, was mit euch passiert.« Doch ebenso oft brodelten in ihm Wut, Verachtung und Enttäuschung.

Die Männer, die sich um Paul scharten, waren anders als unsere bunten Freunde, mit denen wir unterwegs waren, eine schöne neue Welt zu bauen, eine Welt der Liebe und des Lichts, an deren Schwelle wir just zu stehen glaubten. Jutta und ich hatten, vor allem nach einer unglaublichen LSD-Erleuchtung am Strand von Sperlonga, die Mission, Liebe in die für uns muffige und dämliche Welt zu bringen. Unsere Vision zielte auf die Errichtung eines ekstatischen weiblichen Orts, einer Denk- und Ideenfabrik, eines philosophischen Salons und spirituellen Ashrams in einem – Gipfel unserer Träume – marokkanischen Palazzo. Den Schlüssel dafür glaubten wir in der Hand zu haben. Paul. Als wir uns begegneten, wussten wir: Wir bleiben zusammen.

Paul zog unsere weibliche und nach »außen« erst einmal unsichtbare Geschichte, die fortan als Hintergrund unseres gemeinsamen Tuns mitgewirkt hat, vehement an. Die Geschichte unserer verrückten Suche nach unserer Blauen Blume konfrontierte ihn mit zwei Frauen, die als »Täterinnen« agierten und sich keinenfalls als Opfer begriffen. Wir waren froh, uns gefunden zu haben. Er ein »Freak« als Erbe eines Imperiums mit der erdrückenden Last, die Erwartungen der Dynastie zu erfüllen, wir »Freaks« sowieso als Zwillinge, zumal vor diesem spezifisch deutschen Hintergrund: Kinder von Nazieltern, Hitlers Kinder, die ebenfalls traumatisiert waren – anders als er, aber doch vergleichbar. Nun waren wir ein Dreigestirn.

Tatsächlich wurde in dieser Konstellation erstmals über den Plan einer Entführung Pauls gesprochen: Sie war Pauls wahnwitzige Idee, der sich ausrechnete, dass, wenn er sich entführen ließe, seine Familie für seine Befreiung bezahlen würde – und dass damit endlich Geld da wäre, um seine Bedürfnisse befriedigen, aber auch unsere Vision mit finanzieren zu können. Er sagte, das sei alles schon mit anderen besprochen worden, er habe »connections«. Gleichzeitig betonte er, dass diese Idee nie wieder und vor niemandem jemals erwähnt werden dürfe. Wer diese »connections« waren, konnte man sich denken.

Für die finsteren Gesellen der Mafia waren wir bezaubernde und unbegreifliche Außerirdische, die sie nicht fassen konnten. Und doch, so meinten wir, waren auch sie berührt von unseren Ideen, von unserer Begeisterung für eine neue Welt der Freiheit und der Liebe. Allerdings unterschätzten wir den Ernst des »Spiels« und die Regeln, die in der Malavita herrschten. Nach einer schrecklichen Erfahrung, die wir »Unter Männern« machten – und die man im gleichnamigen Kapitel dieses Buches nachlesen kann – brachen wir alle Kontakte zu diesen Leuten ab, mit denen wir uns lange befreundet geglaubt hatten. Uns saß jetzt die Angst in den Knochen, und schlimmerweise hatten wir Paul in Verdacht, uns in diese grausige Situation gebracht zu haben – weshalb wir auch Paul verließen.

In dem Buch von Charles Fox (The Ear) ist nachzulesen, dass Paul mit Marcello noch versucht hatte, uns aus dieser Situation herauszuholen: »A day after, I said to Marcello that something was happening and we had to go back to the girls. We took his Citroën and went there but they opened the shutters and shot at us. After about three days Martine and Jutta arrived at the door. They had escaped. They were really furious. They thought I had organized the whole thing.«*

Mehrere seiner Versuche, mich zur Rückkehr zu bewegen, blieben über Wochen erfolglos, bis Paul eines Nachts bei uns auftauchte, um, wie er sagte, für immer bei mir und in Juttas Nähe zu bleiben. Er hatte Schluss mit seinem alten Leben gemacht und mit der Malavita, die er jetzt primitiv und unerträglich dumm fand; er wolle, beteuerte er, bei uns bleiben, nur mit uns ginge es für ihn weiter, sähe er eine Zukunft für sich.

Dann passierte es. Die Mafia holte sich ihren verlorenen Sohn zurück und präsentierte eine oder mehrere unbeglichene Rechnungen. Paul wurde entführt, mitten im Sommer, der ein Sommer der Liebe war.

Fünf Monate war Paul in der Gewalt seiner Peiniger, von Juli bis Dezember 1973. Fünf Monate lang weigerte sich das Oberhaupt der Getty-Familie, Pauls Großvater Jean Paul, seinen Enkel mit Geld freizukaufen. In einem Brief für seine Eltern, den er an die italienische Zeitung Il Messagero richtete, schrieb Paul:

Liebe Mutter, lieber Vater, ich wünsche mir zu leben und ich habe große Angst zu sterben. Ihr habt mich in diese Welt gebracht, von euch habe ich diesen Namen, und der Grund, warum ich jetzt in dieser Situation bin, ist, weil ich diesen Namen trage. Ich glaube, es ist eure Pflicht, mich aus dieser Situation zu befreien. Ich bitte euch und bete, mir mein Leben wiederzugeben. Ich habe im Radio gehört, dass meinen Großvater keinen Penny für mich zahlen will, aber er ist derjenige, der mir diesen Namen gegeben hat.

Die hartnäckige Weigerung des Großvaters, Paul freizukaufen, führte dazu, dass die Entführer, um ein blutiges Zeichen zu setzen, ihrem Opfer ein Ohr abschnitten und es, gemeinsam mit einer Haarlocke, in einem Päckchen an den Messagero schickten. Doch selbst dieses Zeichen stimmte Jean Paul Getty nicht um. Erst nach einigen Tagen, als die Entführer verlauten ließen, sie würden den Milliardärsenkel, sollte kein Lösegeld fließen, »in kleinen Stücken« an seine Familie zurückschicken, ließ sich das Oberhaupt der Familie erweichen, über den Freikauf von Paul nachzudenken.

Aus seinen Briefen während der Gefangenschaft sprach die reine Verzweiflung, tiefste Not. Der allerletzte Brief, wieder an die genannte italienische Zeitung gerichtet, lautete:

Ich bitte Dich, Großvater, vergiss meine Launen und meine Dummheiten. Du bezahlst, und ich werde stets tun, was Du von mir verlangst. Und Du auch, Papa. Vergiss unsere Streitigkeiten. Vergib mir und hilf beim Bezahlen. Ich appelliere auch an meine anderen Großeltern. Lasst mich hier nicht zurück. Lasst mich nach Hause kommen und euch alle umarmen. Habt Vertrauen. Übergebt das Geld dort, wo es die Kidnapper von euch verlangen, und ich werde nach Hause kommen … Wenn meine Entführer mit dem Geld in Sicherheit sind, werden sie mich freilassen … Ich flehe euch an, bezahlt. Lasst nicht zu, dass ich weiter verstümmelt werde. Ich habe erfahren, wie es ist, wenn man verblutet … Nur mein Lebenswillen hat mich am Leben gelassen und weil ich sicher war, dass ihr bezahlen würdet, wenn ihr mein Ohr seht. Wenn ich das noch einmal durchmachen muss, weiß ich nicht, ob ich das noch einmal schaffen werde … Wenn ich nach diesem Brief von euch keine guten Nachrichten höre, werde ich mich dem Tod hingeben – nach nur 17 Lebensjahren. Ich werde mich damit abfinden, vergessen zu werden wie der Sohn eines Niemand. Ich bin verzweifelt …

Das einzige, was mich im Moment froh sein lässt, ist, dass mir das passiert ist und nicht einem meiner kleinen Brüder, die ich so sehr liebe und die ich so gerne umarmen würde. Ich bitte euch nochmals, zu bezahlen und das zu tun, was sie von euch verlangen. Ich bitte euch zu bezahlen, und ich werde das tun, was ihr von mir verlangt …

Und endlich, kurz vor Weihnachten 1973, floss Geld – ein freilich erheblich geringerer Betrag als gefordert – und Paul wurde an der Autobahn südlich von Neapel, abgemagert und in erbarmungswürdigen Zustand, aufgefunden. Frei, aber für immer gezeichnet.

Auch heute weiß ich nicht, was in jenen Monaten der Entführung geschehen ist. Paul schwieg darüber. Er hatte es ihnen versprochen und er hielt sich daran. Zwar gab er dem Rolling Stone und auch Charles Fox, der ein Buch über ihn schreiben wollte, ein Interview – aber das war es dann auch. Nie ein Wort über die Leute, die ihn gekidnappt hatten, nie eine Erklärung, und auch über eine mögliche Beteiligung seinerseits wurde nie wieder gesprochen. L’omertà.

Ich selbst glaube, dass Paul zwar mit der Idee einer Entführung gespielt und sich darüber auch mit ein paar Männern besprochen hat, doch am Ende haben sie das Spiel nach ihren eigenen Regeln gespielt. Wahrscheinlich war die Entführung schon lange Plan der Malavita gewesen. Er wusste, dass er aus seiner Verbindung mit seiner »anderen« Familie nicht ungeschoren davon kommen würde – zu tief steckte er im Unterbau der Malavita. Und immer ging es ja ums Geld. Bei beiden Familien. Die eine wollte nichts von ihrem Geld abgeben, um ihn zu retten, die andere fing an, ihn zu zerstückeln, um den »Deal« endlich zum Erfolg zu führen.

Für Jutta und mich endete mit Pauls Freilassung ein Abschnitt unseres Lebens. In Rom ging es nicht mehr weiter. Waren wir gestern noch Lieblingskinder Gottes, war das, was geschehen war, der tiefe Sturz in eine Realität, die mit unseren Träumen, unseren Visionen, die wir gleichwohl nie opfern wollten, nichts mehr zu tun hatte.

Unser Dreigestirn musste sich erst einmal trennen. Jutta ging nach München, nachdem sich ihre Zukunftspläne mit dem Maler Mario Schifano zerschlagen hatten. Und der Rat der Familie Getty entschied, dass Paul mit mir nach Kalifornien übersiedeln sollte.

Wenn Sie nun eintauchen in jene römische Zeit, die wir auch in Die Zwillinge oder Vom Versuch, Geist und Geld zu küssen beschrieben haben, springen Sie mitten hinein in unser Leben von damals. In den Moment, in dem uns klar wurde, dass unsere Zeit in Deutschland – zwischen Berlin und Kassel – passé war. Wir wollten in die Welt, und die Welt hieß Rom. Wir fühlten uns wie »zwei abgeschossene Pfeile«, die »mit hoher Geschwindigkeit in der Luft unterwegs« waren, auch wenn Vater und Mutter in Kassel sich um ihre »abgerutschten Kindchen« sorgten.

Der erste Zwischenstopp auf der Reise dorthin war München. Dann ging es weiter nach Rom, wo mein damaliger Mann, der Schauspieler Rolf Zacher, uns erwartete.

Gisela Getty

München, im Januar 2018

*»Einen Tag später sagte ich zu Marcello, dass da etwas nicht stimmt und dass wir zurückmüssten zu den Mädchen. Wir setzten uns in seinen Citroën und fuhren hin, aber sie (= die Männer der Malavita [Anm. d. Übers.]) öffneten die Fensterläden und schossen auf uns. Etwa drei Tage später standen dann Martine und Jutta vor der Tür. Sie konnten fliehen. Sie waren außer sich. Sie dachten, ich hätte das alles eingefädelt.«

Ankunft in Rom

Jutta: Bereits die Reise erscheint uns wie ein Heldenstück. Kurz vor München, unserer ersten Etappe, werden wir Zeuginnen eines Unfalls: an einem fahl leuchtenden Bahnübergang in einer gottverlassenen Ortschaft. Mit dramatischem Begleitlärm prallt ein Fahrzeug gegen das Schrankenwärterhaus. Eine Frau wird aus dem Wagen geschleudert und landet wie nach einem missglückten Kunststück auf ihren vier Buchstaben. Sie gefriert im Schock, jedenfalls sieht das so aus. Ich fahre erstmal weiter, halte dann aber doch an. Ein Fenster geht geräuschvoll auf, ein Mann kommt im Schlafanzug auf die Straße. Aus dem Unfallwagen steigt der Fahrer, offenbar unverletzt. Die Szene ist so unwirklich, dass wir uns zu keiner Intervention entschließen können. Ich fühle mich, als sei ich am Steuer eingeschlafen und würde nun träumen.

Vor uns liegt die Zukunft … und ein weiter Weg. Brennero, Modena, in Verona übernachten wir. Bologna, Firenze, Roma.

Und Rom nimmt uns sofort ein, obwohl wir gar nicht wissen, wo wir gelandet sind. Wir taumeln vor Glück. In der ersten Nacht schlafen wir bei Paola. Paola ist Psychologin, nicht mehr jung, eine reife, berufstätige Frau. Nachdem ihr die Reaktion ihres Mannes auf die Zwillinge nicht sehr gefallen hat, meint sie, dass wir vielleicht doch zu viele im Haus sind. Sie bittet uns, eine andere Bleibe zu suchen.

Die findet sich schnell. Enzo Ungari, ein italienischer Kritiker und Drehbuchautor, ein Mann von überschwänglicher Gastfreundschaft, tritt uns freudig ein Zimmer ab, mal sehen, was alles geschehen mag. Es ist der Sommer der Liebe.

An der Piazza Venezia rammt ein nervöser Italiener Rolf Zachers Wagen, die Polizei nimmt sehr umständlich einen Bericht auf. Das zieht sich furchtbar hin, obwohl nicht viel passiert ist. Die Carabinieri vernehmen Gisela und ihren Mann im Dienstfahrzeug. Aus Langeweile übt Jutta mit Rolfs Zigaretten den Lungenzug. Nach zwei Stunden wankt sie benommen und vergiftet aus dem Polizeiauto. Jetzt kann sie rauchen wie ein Weltmeister, also mithalten und so wie alle anderen schön schnell breit werden.

Jutta: Amandos Apartment wird zum Schauplatz meiner Initiation in das große Rauchritual. Amando, ein schöner Junge, dem wir begegnet sind, bewohnt eine Kammer in einer Ruine. Wunderbar sind die bemalten hölzernen Renaissancedecken. Ansonsten beherrscht Bauschutt das Bild. In Amandos Bude wähne ich mich wie an einem Lagerfeuer in der marokkanischen Wüste. Wir hocken im Duftnebel der Räucherkerzen auf dem Teppich.

Amando ist explosiv und sieht Dylan frappierend ähnlich. Wenn er geraucht hat, kann er wie Dylan singen – und auch wie Joe Cocker und Neil Young. Seine heisere Stimme wird für mich zum Erlebnis. Ich vernehme männlichen Trotz und Virilität pur. Seine Freunde grölen ausgelassen mit. Nur Franco schweigt sich aus. Amando übertrifft sich. Ich beschließe, die Nacht mit ihm zu verbringen.

Franco ist Amandos Bruder. Er verbirgt sein grünäugiges Interesse an mir. Er geht mit den anderen, ohne ein Wort des Abschieds, und hinterlässt mir eine Ahnung seines Kummers.

Ich kann mich damit jetzt nicht aufhalten, Amandos Aufregung zieht mich an mit Haut und Haaren. Er liegt auf der Matratze, mit dem Rücken zu mir. Ich soll die Initiative ergreifen … aus Achtung vor dem seltsamen Mädchen, sagt er, das unerwartet vom Himmel gefallen und in seiner Ruine gelandet ist. Ich klebe mich wortlos an seinen Rücken. Meine Hand kriecht auf Amandos Brust, ich fühle den raschen Herzschlag. Ich kann kein Wort Italienisch und Amando vielleicht sechs englische Sätze.

»You, kiss?« fragt er, sich mir zuwendend. Er wartet meine Antwort nicht ab. Mit hastigen Bewegungen entgehen wir unserer Angst voreinander. Wir haben beide keine Zeit für Zweifel …

An Schlaf ist nicht zu denken. Amando schweigt neben mir. Wir verschweigen uns unsere Verwirrung. Ich denke an Gisela, die mit Rolf in Enzos Wohnung zurückgekehrt ist, während ich die erwachende Stadt belausche.

Auf dem Hügel über Trastevere überblicke ich die rosagold schimmernde Stadt und glaube, meinen Ort der Seligkeit gefunden zu haben. Es fällt schwer, sich etwas noch Schöneres vorzustellen. Hier möchte ich LSD nehmen, um endlich richtig sehen zu können, so wie Gisela es mir versprochen hat. Ich werde mir LSD besorgen. Aber zuerst muss ich Italienisch lernen.

Das geht fix. Ich besorge mir eine Grammatik und lerne das Buch auswendig. Ich kriege eine richtig große Klappe. Zum ersten Mal im Leben fluche ich. Porca miseria. In der Fremdsprache kommen mir Schmähreden leicht über die Lippen. Gisela, Rolf und ich fallen auf. Zwei ungezähmte Mädchen und ein großspuriger Schauspielerschlaks, der wie ein Italiener aussieht und doch kein Wort Italienisch spricht.

Enzo stellt uns seinen Freunden vor: Schriftsteller, Filmemacher, Künstler aus dem linken Movimento oder aus der italienischen Avantgarde. Enzo legt mir nah, meine Kontakte zu den Straßenjungs um Amando abzubrechen. Er denunziert sie als Angehörige der Malavita. Malavita hört sich aufregend nach Brigantentum an, nach Revolution und Abenteuer.