Die Idylle trügt - Britta Frey - E-Book

Die Idylle trügt E-Book

Britta Frey

5,0

Beschreibung

Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Die Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Eva Durham strich sich mit einer unendlich müde wirkenden Geste das Haar aus der Stirn und warf ihrem Mann einen verständnislosen Blick zu. Er war das, was man unter einem ausgesprochen schönen Mann versteht – schlank, ohne mager zu wirken. Sein tiefschwarzes Haar kräuselte sich, seine Haut war straff und gebräunt, seine Haltung war stolz und aufrecht. Pablo Durham war ein Mann, nach dem sich die Frauen umzudrehen pflegten, weil er so phantastisch aussah. Daß sich hinter dieser makellosen Fassade ein Mensch verbarg, der an Egoismus und Herrschsucht nicht mehr zu überbieten war, wußte niemand – außer ihr natürlich. Schließlich war sie seine Frau und kannte ihn besser als irgendein anderer Mensch. Pablo war Argentinier und gehörte zum Stab des argentinischen Konsulats. Er hoffte, bald selbst Konsul zu werden, denn seit fast einem Jahr vertrat er den argentinischen Konsul, der sehr krank war und sicher bald wegen seines lädierten Gesundheitszustandes in den Ruhestand gehen würde. Er hatte sich auf einer offiziellen Party in die reizende blondhaarige Eva Warner verliebt. Sie war Studentin gewesen und hatte sich etwas dazuverdient, indem sie bei Anlässen wie diesem dolmetschte. Auch ihr war der gutaussehende Argentinier, der ausgezeichnet Deutsch sprach, aufgefallen. Sie war geschmeichelt, weil er ihr zeigte, daß er sich in höchstem Maße für sie interessierte. Schon ein paar Monate später waren sie verheiratet gewesen. Eva war sich wie im siebten Himmel vorgekommen, denn Pablo verwöhnte sie maßlos. Der einzige bittere Teil ihrer Ehe war Pablos Mutter gewesen. Sie lebte in Buenos Aires auf dem vornehmen Landsitz der Durhams und führte dort ein Regiment, wie es wohl vor hundert Jahren üblich gewesen sein mochte. Mercedes Durham hielt alle Fäden in der Hand und feuerte jeden, der wagte, ihr zu widersprechen. Sie war die absolute Herrscherin, vor der man sich neigte, die man aber nicht liebte oder gar verehrte. Als Pablo und Eva ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest in Buenos Aires verbrachten, hatte sich herausgestellt, daß Eva und Mercedes einander zwar nicht gerade haßten, sich aber auch nicht besonders sympathisch waren. Mercedes ließ durch mehr oder weniger geschickte Andeutungen spüren, daß sie nicht gerade begeistert von ihrer deutschen Schwiegertochter war.

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Kinderärztin Dr. Martens Classic – 13 –

Die Idylle trügt

in Wermutstropfen im Becher des Glücks

Britta Frey

Eva Durham strich sich mit einer unendlich müde wirkenden Geste das Haar aus der Stirn und warf ihrem Mann einen verständnislosen Blick zu.

Er war das, was man unter einem ausgesprochen schönen Mann versteht – schlank, ohne mager zu wirken. Sein tiefschwarzes Haar kräuselte sich, seine Haut war straff und gebräunt, seine Haltung war stolz und aufrecht. Pablo Durham war ein Mann, nach dem sich die Frauen umzudrehen pflegten, weil er so phantastisch aussah. Daß sich hinter dieser makellosen Fassade ein Mensch verbarg, der an Egoismus und Herrschsucht nicht mehr zu überbieten war, wußte niemand – außer ihr natürlich. Schließlich war sie seine Frau und kannte ihn besser als irgendein anderer Mensch.

Pablo war Argentinier und gehörte zum Stab des argentinischen Konsulats. Er hoffte, bald selbst Konsul zu werden, denn seit fast einem Jahr vertrat er den argentinischen Konsul, der sehr krank war und sicher bald wegen seines lädierten Gesundheitszustandes in den Ruhestand gehen würde.

Er hatte sich auf einer offiziellen Party in die reizende blondhaarige Eva Warner verliebt. Sie war Studentin gewesen und hatte sich etwas dazuverdient, indem sie bei Anlässen wie diesem dolmetschte. Auch ihr war der gutaussehende Argentinier, der ausgezeichnet Deutsch sprach, aufgefallen. Sie war geschmeichelt, weil er ihr zeigte, daß er sich in höchstem Maße für sie interessierte. Schon ein paar Monate später waren sie verheiratet gewesen. Eva war sich wie im siebten Himmel vorgekommen, denn Pablo verwöhnte sie maßlos. Der einzige bittere Teil ihrer Ehe war Pablos Mutter gewesen. Sie lebte in Buenos Aires auf dem vornehmen Landsitz der Durhams und führte dort ein Regiment, wie es wohl vor hundert Jahren üblich gewesen sein mochte. Mercedes Durham hielt alle Fäden in der Hand und feuerte jeden, der wagte, ihr zu widersprechen. Sie war die absolute Herrscherin, vor der man sich neigte, die man aber nicht liebte oder gar verehrte.

Als Pablo und Eva ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest in Buenos Aires verbrachten, hatte sich herausgestellt, daß Eva und Mercedes einander zwar nicht gerade haßten, sich aber auch nicht besonders sympathisch waren. Mercedes ließ durch mehr oder weniger geschickte Andeutungen spüren, daß sie nicht gerade begeistert von ihrer deutschen Schwiegertochter war. Sie erzählte immer wieder, welch ungeheure Chancen Pablo gehabt hätte, in die oder jene bekannte argentinische Familie einzuheiraten. Ja, man hätte ihn sogar mit Kußhand als Schwiegersohn akzeptiert. Und nun stieß er alle seine Landsleute vor den Kopf und hatte sich für eine kleine, unbekannte deutsche Studentin entschieden, die allein auf der Welt stand und nicht einmal den Nachweis erbringen konnte, daß sie einer angesehenen Familie entstammte. Zuerst hatte Eva das amüsiert, aber dann fühlte sie sich zurückgesetzt und minderwertig gemacht. Als sie sich deswegen einmal schüchtern bei Pablo beschwert hatte, hatte er sie nur lächelnd in die Arme gezogen und erklärt: »Wozu regst du dich auf, mi amor? Ich bin ihr einziges Kind, und nichts und niemand wäre ihr gut genug für mich gewesen. Laß dich nicht beirren, mein Liebes. Schließlich und endlich bist du ja nicht mit ihr verheiratet, sondern mit mir. Sie bleibt in Argentinien, wenn wir wieder nach Deutschland zurückkehren. Drück also Augen und Ohren zu, ich bitte dich.«

Das hatte Eva dann auch getan. Sie hatte Augen und Ohren ganz fest zugedrückt und nicht ein einziges Mal dem Wunsch nachgegeben, ihrer stolzen und hartherzigen Schwiegermutter die Meinung zu sagen. Heute war sie überzeugt davon, es sei besser gewesen, ihr von Anfang an klarzumachen, daß sie keinerlei Einmischung in ihre persönlichen Belange dulden werde. Aber das heute nachzuholen, dazu war es viel zu spät. Außerdem hatte Pablos Benehmen sich ihr gegenüber auch sehr verändert. Er konnte ihr immer noch nicht verzeihen, daß sie ihm keinen Sohn, sondern »nur« eine Tochter geschenkt hatte. Daß er die kleine, jetzt vierjährige Jasmina abgöttisch liebte, spielte dabei keine Rolle. Sie war und blieb ein Mädchen. Ein echter Mann aber mußte einen Sohn haben, der seinem Besitz einmal vorstand und seinen Namen weitergeben würde, damit das stolze Geschlecht der Durham weiterbestehen konnte.

Im Augenblick jedoch sah es keineswegs so aus, als wenn sich noch ein Sohn einstellen würde, denn Pablo und Eva hatten sich so entfremdet, daß sie nur noch nebeneinanderher lebten. Eva wußte, daß Pablo sie nach Strich und Faden betrog – aber das störte sie nicht. Sie war zufrieden, daß er sie in Ruhe ließ. Einmal hatte sie ihm die Scheidung angeboten. Er hatte nichts darauf erwidert, sondern sie nur auf eine Weise angesehen, die deutlicher war als alle Worte. Er brauchte gar nicht mehr zu betonen, daß eine Scheidung für ihn nicht in Frage kam.

Und jetzt das!

Aber diesmal hatte Pablo sich getäuscht, wenn er sich einbildete, sie würde zustimmen. Das würde sie ganz bestimmt nicht tun. Sie würde kämpfen.

Eva wappnete sich mit allem Stolz, der ihr zur Verfügung stand, und richtete sich hoch auf. Dann sagte sie schneidend und ironisch: »Ich nehme an, das sollte ein schlechter Scherz sein, Pablo.«

»Wie kommst du denn darauf?« Er warf ihr einen beinahe mitleidig zu nennenden Blick zu. »Dinge, die mit Jasmina zusammenhängen, meine ich nie scherzhaft. Ich habe es nun einmal so beschlossen.«

»Meinst du nicht, daß ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden habe? Schließlich bin ich Jasminas Mutter. Hast du das vergessen?«

»Warum dramatisierst du das alles? Das ist in unserer Familie so üblich. Ich denke nicht daran, mich dagegenzustellen.«

»Das kannst du halten, wie du willst, Pablo. Du darfst nur nicht erwarten, daß ich mich von Jasmina trennen werde, damit deine Mutter sie erzieht. Ich bin ihre Mutter, ich, ich! Und ich werde dir beweisen, wozu ich fähig bin, wenn du versuchen solltest, mich von meinem Kinde zu trennen. Ich werde sie erziehen, wie es hier üblich ist. Und dazu brauche ich deine Mutter nicht. Jasmina braucht Liebe und Nestwärme, um zu einem lebenstüchtigen und lebensbejahenden Menschen heranwachsen zu können. Das alles bekommt sie von mir – und nicht von ihrer Großmutter, die sie kaum kennt, und vor der sie Angst hat, weil sie nicht daran gewöhnt ist, mit so herrschsüchtigen Menschen zusammen zu sein.«

Pablo schob die Hände in das helle Jackett und ging durch das große Wohnzimmer auf Eva zu, blieb dicht vor ihr stehen und betrachtete sie mit ausgesprochen lüsternen Blicken.

»Fast hatte ich schon vergessen, wie schön meine Frau ist«, murmelte er und beugte sich zu ihr. Geschickt wich sie ihm aus und hob abwehrend die Hände.

»O nein, Pablo, so haben wir nicht gewettet. Versuche es also nicht auf diese Tour. Das funktioniert nicht mehr, seit ich weiß, daß du keine Gelegenheit ausläßt, dich mit anderen Frauen zu – amüsieren.«

Das ernüchterte ihn augenblicklich. Sein hübsches Gesicht verfinsterte sich.

»Ich weiß nicht, was du willst. Es liegt schließlich in der Natur eines Mannes, jede Chance, die sich ihm bietet, wahrzunehmen.«

»Mag sein, daß man in Argentinien so darüber denkt. Hier aber nicht. Und ich denke schon gar nicht so darüber. Aber darüber brauchen wir uns nicht mehr zu unterhalten, das führt zu nichts. Nimm zur Kenntnis, daß ich nicht dulden werde, daß deine Mutter Jasmina erzieht. Auf gar keinen Fall.«

»Wir werden sehen, meine Liebe. In dieser Angelegenheit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«

Damit streifte Pablo sie mit einem vernichtenden Blick und verließ den hohen Raum. Eva stand mit hängenden Armen da und schaute auf die Tür, die er unbeherrscht hinter sich zugeschlagen hatte.

Er wird mir immer unerträglicher, dachte sie. Bisher habe ich mich nicht sonderlich gewehrt, aber wenn er wirklich versuchen sollte, mir Jasmina zu nehmen, werde ich ihn mit dem Kind verlassen.

Es war, als verleihe dieser Entschluß ihr neue Kraft. Eva atmete tief durch und warf den Kopf nach hinten.

Pablo würde sich wundern, welche Kraft sie entwickeln konnte, wenn es um Jasmina ging…

*

Pablo Durham liebte es sehr, wenn man ihn mit »Herr Konsul« anredete. Zwar war er nur Vize, aber er versah das Amt des Konsuls nun schon seit vielen Monaten und hatte sich so gut eingearbeitet, daß es für seine Begriffe eigentlich nicht mehr als recht und billig war, wenn man ihn weiterhin so anredete.

Heute bedeutete es regelrecht Balsam für seine Seele. Er war immer regelrecht geschockt, wenn Eva ihm deutlich zeigte, daß sie ihn ablehnte. Ihn, Pablo Durham, nach dem alle Frauen wild waren, ihn lehnte die eigene Frau ab. Das verzieh er nicht. Wie konnte man etwas verzeihen, das man nicht begreifen konnte? Und daß ihn eine Frau ablehnte, begriff Pablo nicht. Das ging einfach über sein Fassungsvermögen. Es verunsicherte ihn und machte ihn zugleich auch schrecklich wütend.

Es wurde Zeit, daß Mama herkam und Jasmina abholte. Nichts ging mehr nach seinen Wünschen innerhalb der Familie. Er mußte Eva endlich deutlich zeigen, wer der Herr im Hause war. Sie sollte daheim bleiben, nicht mehr ihre Damenkaffees besuchen und auch keine Einkäufe mehr tätigen. Sie sollte nur noch daheim sein und ihn erwarten. Dann würde sie schon begreifen, daß er die Hauptrolle in ihrem Leben spielen wollte. Er würde sich ihre Liebe eben erzwingen, wenn sie sie ihm nicht freiwillig geben wollte.

Er sah auf die Uhr, rechnete sich die Zeitverschiebung aus und beschloß, gleich nach dem Abendessen in Buenos Aires anzurufen und mit seiner Mutter zu sprechen. Er würde es nicht mehr länger hinausschieben.

Eva hatte sich, als sie Pablo heiratete, von allen früheren Bekannten zurückgezogen, weil er eifersüchtig darauf bedacht war, daß sie ihre Zeit nur mit ihm verbrachte. Und so stand sie jetzt ziemlich einsam da. Sie hatte niemanden, mit dem sie ein vertrauliches Gespräch hätte führen, dem sie sich hätte anvertrauen können. Sie mußte alles mit sich allein ausmachen. Manchmal fühlte sie sich trotz der vielen Leute, die ständig um sie waren, sehr einsam und allein. Der Mensch braucht dann und wann einen anderen, dem er sich anvertrauen, mit dem er über Dinge reden kann, die einen tief innerlich berühren, mit denen man ohne den Rat und den Beistand eines guten Freundes kaum allein fertigzuwerden weiß.

All das hatte Eva nicht. Sie hatte es noch niemals so heftig vermißt wie eben jetzt. Aber da sie nicht der Mensch war, der sofort die Flinte ins Korn warf und beim ersten Widerstand aufgab, würde sie auch jetzt nicht die Flügel hängenlassen wie ein krankes Vögelchen, das keine Kraft hat, zu entfliehen. Sie würde kämpfen und sich und allen anderen beweisen, wie stark sie sein konnte!

Sie spielte, nachdem sie Jasmina aus dem Kindergarten abgeholt hatte, den ganzen Nachmittag mit dem Kind. Es war ein herziges Bild, Mutter und Tochter miteinander zu beobachten. Eva war blond und hellhäutig, während Jasmina das tiefschwarze Haar und den dunklen Teint ihres Vaters geerbt hatte. Aber sonst war sie Eva wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hatte die gleichen grünblauen Augen wie ihre schöne Mutter, die gleichen schmalen Glieder und den gleichen Gesichtsausdruck. Alles, was an Eva hell war, erschien an ihrer kleinen Tochter dunkel. Und doch sah jeder auf den ersten Blick, daß es sich um Mutter und Tochter handelte. Und sie verstanden einander, hingen aneinander wie die Kletten und waren nur voneinander getrennt, wenn Jasmina morgens in den Kindergarten ging, zu dem Eva sie brachte und von wo sie sie auch wieder abholte. Dann lachten sie miteinander, und Jasmina erzählte in ihrer lebhaften Art, was sie alles gespielt und gesungen hatten.

Und das alles wollte Pablo ihr nehmen! Niemals! Niemals würde sie das dulden oder zugeben. Sie würde ihm und seiner herrschsüchtigen Mutter schon zeigen, zu was eine Mutter fähig sein konnte.

Pablo kam erst zum Abendessen in die Privatwohnung herüber. Er küßte Eva, weil sich das so eingebürgert hatte, auf die Stirn und lächelte ihr zu.

»Was macht Jasmina?« wollte er gewohnheitsmäßig wissen. Und Eva erwiderte in dem gleichen Ton: »Sie schläft bereits.«

Dann saßen sie einander gegenüber, durch den langen, schmalen Tisch getrennt. Pablo legte sich die Damastserviette auf die Knie und sagte wie beiläufig: »Kann ich damit rechnen, daß du deinen Standpunkt noch einmal überdacht hast, Eva?«

»Nein.« Nur das eine Wort sagte sie. Aber sie sprach es so bestimmt aus, daß Pablo fragend die linke Braue emporzog und sie ansah. Als sie sich nicht weiter äußerte, fragte er: »Wie soll ich das verstehen, meine Liebe?«

»Ist das nicht eindeutig?« erwiderte sie ruhig. Sie sah ihn aus großen Augen an. »Eine Mutter trennt sich nicht von ihrem Kind. Freiwillig schon gar nicht. Ich werde nicht meine Zustimmung dazu geben, daß man mir Jasmina fortnimmt, um sie in Südamerika nach völlig veralteten Traditionen zu erziehen.«

»Veraltete Traditionen? Sie haben etwas für sich, Eva. Meine Mutter ist ebenso erzogen worden. Und niemand kann behaupten, daß es schlecht gewesen ist.«

»Seit der Erziehung deiner Mutter sind schon einige Jahrzehnte ins Land gegangen, Pablo. Die Zeiten haben sich geändert, das kann selbst dir nicht verborgen geblieben sein.«

»Gleichgültig, wie du darüber denken magst – ich habe entschieden, daß Jasmina von Mutter erzogen wird und mit nach Buenos Aires geht.«

»Ich akzeptiere deine Entscheidung nicht!«

»Was würdest du dagegen unternehmen?« erkundigte er sich mit der Sicherheit eines Mannes, der gewohnt ist, daß alle seine Anordnungen sofort befolgt werden.

Eva spürte, daß er sie provozieren wollte, aber sie beherrschte sich, nahm sich eisern zusammen, wie sie es im Verlaufe der letzten fünf Jahre gelernt hatte. Sie brachte sogar ein freundliches Lächeln zustande, auf dessen Grund aber eine geradezu wilde Entschlossenheit zu lesen war.

»Das wirst du sicher zu gegebener Zeit feststellen können, mein lieber Pablo. Und jetzt entschuldige mich. Ich möchte gern den Film sehen, der nachher im Fernsehen kommt. Du hast sicher noch zu arbeiten, oder?«

Sie erhob sich. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als das gleiche zu tun und ihr die Tür zu öffnen, als sie hinausging. Aber am Ausdruck seiner Augen konnte Eva deutlich sehen, daß er zornig war.

Fast hätte sie gelacht, so fröhlich war sie plötzlich. Ja, sie gestand sich selbst ein, daß es sie freute, ihm getrotzt zu haben. Das wirst du jetzt öfter erleben, mein Lieber, nahm sie sich vor und ging hinüber in den kleinen Raum, den sie das Kabinett nannten. Hier stand ein großer Fernsehapparat, hier waren bequeme Sessel gruppiert um einen Tisch mit einer Marmorplatte. Sonst enthielt das Zimmer nichts, außer einem Kamin, in dem jedoch kein Feuer brannte, weil es Sommer war.

Es war noch zu früh, den Apparat einzuschalten. Eva saß ganz still in ihrem Sessel. Dann hörte sie, wie Pablo sein Arbeitszimmer aufsuchte. Und gleich darauf hörte sie, wie er sich an den Schreibtisch setzte. Nachdenklich schaute sie auf den weißen Fernsprechapparat, der auf dem Tisch stand. In jedem Raum befand sich ein Apparat. Eva beugte sich ein wenig nach vorn und nahm den Hörer ab, als sie merkte, daß die kleine rote Lampe aufglühte, die anzeigte, daß jemand telefonierte. Hoffentlich merkt er nicht, daß ich mithören will, dachte sie angespannt und schaltete mit der freien Hand den Fernseher ein, überlegte es sich aber wieder anders, weil sie fürchtete, man könne das hören, und schaltete ihn wieder aus.

Zuerst hörte sie nur das Knacken, als Pablo eine Nummer anwählte. Es war eine ziemlich lange Telefonnummer. Also rief er wahrscheinlich in Buenos Aires an. Jetzt war Eva nichts als gespannte Aufmerksamkeit. Wie gut, daß sie so gut Spanisch konnte. Es war für sie kein Problem, alles zu verstehen.

Jemand meldete sich am anderen Ende. Pablo, der Majordomo, wußte sie. Sekunden später hörte sie die energische Stimme ihrer Schwiegermutter, die sofort zärtlich wurde, als sie erkannte, wer sie da zu sprechen wünschte.

»Querido, du bist es!« sagte sie schmeichelnd. »Hast du mit deiner Frau gesprochen?«

»Das habe ich, Mutter. Du kannst dir vorstellen, daß Eva nicht einverstanden ist.«

»Ja – und? Hat eine Frau auch etwas zu sagen, wenn der Mann etwas bestimmt hat? Wann also kann ich kommen und Jasmina mit mir nach Buenos Aires nehmen?«

»Wann immer du willst, Mutter. Je eher, desto besser. Desto schneller wird auch das Kind sich an dich und die veränderte Umgebung gewöhnen.«

»Das soll das kleinste Übel sein. Man kann den Willen eines vierjährigen kleinen Mädchens brechen. Ich kenne da verschiedene Mittel.« Mercedes Durham lachte.

Eva mußte an sich halten, um nicht laut aufzuschreien vor Entsetzen. Vorsichtig legte sie den Hörer auf und schaltete den Fernseher ein. Sie mußte nachdenken. Viel Zeit zum Handeln blieb ihr ohnehin nicht mehr. Wie sie ihre Schwiegermutter kannte, würde es nicht mehr allzu lange dauern, bis sie plötzlich vor der Tür stand…