Kopflos in Cornwall - Ralf Göhrig - E-Book

Kopflos in Cornwall E-Book

Ralf Göhrig

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Beschreibung

Im Polizeirevier von South Molton hält man den Notruf zunächst für einen dummen Witz. Constable Rachel Ward geht der Sache trotzdem nach. Sie ahnt noch nicht, dass in dem Wäldchen von Whitechapel der Schlüssel zur Aufklärung eines grausigen Dreifachmordes versteckt liegt. Doch damit nicht genug: Ein junges, politisch engagiertes Mädchen wird tot in einer Hecke in North Molton aufgefunden.Der gerade erst in den Südwesten versetzte Chief Superintendent Bob Hamilton ermittelt in alle Richtungen: von Nobelinternaten zu mafiösen Bauunternehmern, von nicht ganz jugendfreien Singleportalen zu einem umschwärmten Lehrer, der sich sehr eigenartig benimmt ... Ähnlich spektakulär wie seine Entdeckungen, die nach und nach zu einer höchst überraschenden Aufklärung der Morde führen, ist übrigens die Pressesprecherin Rebecca. Da lässt sich die goldene Regel ?Kein Team im Team? nicht immer durchhalten.

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Seitenzahl: 380

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Foto: B. Danner Ralf Göhrig

Ralf Göhrig

aus Jestetten am Hochrhein, Jahrgang 1967, legt mit „Kopflos in Cornwall“ seinen ersten Kriminalroman vor. Der anglophile Förster lässt seinen Superintendenten Bob Hamilton in einer Gegend ermitteln, die er selbst kennt und liebt: Englands Südwesten. Eine mörderisch schöne Landschaft …

Ralf Göhrig

Kopflos in Cornwall

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2. Auflage

September 2013

© 2011 Ralf Göhrig

Satz und Layout: Carla Gromann, Ralf Göhrig

Lekrorat: Vita Funke

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-6883-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Die ermittelnden Personen

Robert Hamilton, Detective Chief Superintendent (DCS) Leiter der Kriminalpolizei (CID) von Devon und Cornwall

Rebecca Wynham, Police Chief Inspector (PCI)

Pressesprecherin der Polizei von Devon und Cornwall

Steve Parker, Detective Superintendent (DS) Leiter der Abteilung für Schwerverbrechen im Polizei Hauptquartier Middlemoor in Exeter

Debbie Steer, Detective Inspector (DI), Kommissarische Leiterin des Ermittlungsteams in Middlemoor

Gordon Douglas, Detective Inspector (DI), Mitglied des Ermitlungsteams in Middlemoor, Dienstältester im Team

Susan McCoy, Detective Sergeant (DS)

John Clark, Detective Sergeant (DS)

Emma Hughes, Detective Constable (DC)

Pauline Miller, Detective Inspector (DI), Leiterin der Spurensicherungsabteilung in Middlemoor

Paul Winter, Police Sergeant (PS), Leiter des Polizeireviers von South Molton

Rachel Ward, Police Constable (PC), Steifenbeamtin

Oliver North, Polizeischüler

Inhalt

Erster Teil

4. Juli 2007, Mittwoch

2. Juli 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

2. Juli 2007, Montag; South Molton – Polizeirevier

2. Juli 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

2. Juli 2007, Montag; South Molton – Polizeirevier

2. Juli 2007, Montag; Otterton – Hamiltons Cottage

4. Juli 2007, Mittwoch; Otterton – Hamiltons Cottage

4. Juli 2007, Mittwoch; Torpoint – Polizeirevier

4. Juli 2007, Mittwoch; Cremyll – Mount Edgcumbe

4. Juli 2007, Mittwoch; Barnstaple – Rachel Wards Wohnung

4. Juli 2007, Mittwoch; Crafthole – Finnygook Inn

4. Juli 2007, Mittwoch; Torpoint – Polizeirevier

4. Juli 2007, Mittwoch; West Buckland – Postamt

4. Juli 2007, Mittwoch; auf der Straße zwischen Torpoint und Exeter

4. Juli 2007, Mittwoch; Torpoint – Polizeirevier

4. Juli 2004, Mittwoch; Exeter – Pressezentrum der Polizei

4. Juli 2007, Mittwoch; Freathy – Whitsand Bay

4. Juli 2007, Mittwoch; Ifracombe – Schwimmbad

5. Juli 2007, Donnerstag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

5. Juli 2007, Donnerstag; Millbrook – Polizeirevier

5. Juli 2007, Donnerstag; Otterton – Hamiltons Cottage

5. Juli 2007, Donnerstag; auf der Autobahn nach Bristol

5. Juli 2007, Donnerstag; Torpoint – Polizeirevier

5. Juli 2007, Donnerstag; Bristol – Baustelle

5. Juli 2007, Donnerstag; Exeter – Middlemoor

6. Juli 2007, Freitag; Barnstable – Rachels Wohnung

6. Juli 2007, Freitag; Tavistock – Pfarrkirche St. Eustachius

6. Juli 2007, Freitag; Exeter – Hamiltons Büro

6. Juli 2007, Freitag; Bristol – Wohncontainer der Ukrainer

6. Juli 2007, Freitag; Bristol – Polizeirevier

6. Juli 2007, Freitag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

6. Juli 2007, Freitag; Cremyll – Mount Edgcumbe

6. Juli 2007, Freitag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

7. Juli 2007, Samstag; Dartmoor

7. Juli 2007, Samstag; Bristol – Polizeirevier

9. Juli 2007, Montag; North Devon

9. Juli 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

9. Juli 2009, Montag; Exeter – Restaurant Ebony

Mitte Juli 2007, Exter – Hauptquartier Middlemoor

4. August 2007, Samstag; Otterton – Hamiltons Cottage

17. August 2007, Freitag; Sevenoaks in der Grafschaft Kent

17. August, Freitag; South Molton – Polizeirevier

17. August 2007, Freitag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

17. August 2007, Freitag; Exeter – Indisches Restaurant

17. August 2007, Freitag; North Molton – Burkes Haus

17. August 2007, Freitag; North Molton – Fundort der Leiche

18. August 2007, Samstag; Barnstaple – Philippas Wohnung

18. August 2007, Samstag; Sevenoaks – Haus der Blairs

18. August 2007, Samstag; South Molton – Polizeirevier

18. August 2007, Samstag; North Molton

18. August 2007, Samstag; Südengland

18. August 2007, Samstag; South Molton – Polizeirevier

18. August 2007, Samstag; Swimbridge – Adam Ryders Wohnung

18. August 2007, Samstag; North Molton – Broad Close

18. August 2007, Samstag; Barnstaple – Philippas Wohnung

18. August 2007, Samstag; Sevenoaks – Haus der Familie Blair

19. August 2007, Sonntag; South Molton – Polizeirevier

19. August 2007, Sonntag; zwischen South Molton und Swimbridge

19. August 2007, Sonntag; Sevenoaks – Haus der Blairs

19. August 2007, Sonntag; South Molton – Polizeirevier

19. August 2007, Sonntag; North Molton

19. August 2007, Sonntag; zwischen South Molton und Plymouth

19. August 2007, Sonntag; South Molton – Polizeirevier

20. August 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

20. August 2007, Montag; Wäldchen bei Whitechapel

20. August 2007, Montag; South Molton – Polizeirevier

20. August 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

20. August 2007, Montag; Wäldchen bei Whitechapel

20. August 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

20. August 2007, Montag; Bampfylde Mine bei North Molton

21. August 2007, Dienstag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

21. August 2010, Dienstag; North Molton – Bampfylde Mine

21. August 2007, Dienstag; Exeter – Polizeihauptquartier

21. August 2007, Dienstag; North Devon

21. August 2007, Dienstag; West Buckland – Internat

21. August 2007, Dienstag; North Molton – Anwesen der Hunters

21. August 2007, Dienstag; Padstow – Queens Arms

21. August 2007, Dienstag; West Buckland – Internat

21. August 2007, Dienstag; Padstow – Queens Arms

22. August 2007, Mittwoch; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

22. August 2007, Mittwoch; Penzance

23. August 2007, Donnerstag; Penzance – Trengwainton Garden

23. August 2007, Donnerstag; Penzance – Strandpromenade

23. August 2007, Donnerstag; Otterton – Hamiltons Cottage

Schlusswort

ERSTER TEIL

4. JULI 2007, Mittwoch

Diesen Tag würde Ruby Horne nie mehr in ihrem Leben vergessen. Wie aus dem Nichts tat sich an diesem 4. Juli 2007 ein endlos tiefes Loch auf, in dem sie hoffnungslos zu versinken schien. Die 23-jährige Studentin an der Universität Plymouth war früh aufgestanden. In den Semesterferien jobbte sie als Verkäuferin in einer Bäckerei. Das war ihr lieber als in irgendeiner Kneipe bis spät in die Nacht zu bedienen. Ruby Horne war Frühaufsteherin, und so kam ihr das Angebot des Bäckers in ihrem Wohnort Mill-brook gelegen, der für die Ferienzeit eine Aushilfe an der Theke suchte. Millbrook, südwestlich von Plymouth gelegen, jenseits des River Tamar, war schon Teil von Cornwall. Von ihrer Wohnung in der Lower Anderton Road hatte sie nur rund fünf Kilometer bis zur Uni. Mit dem Fahrrad fuhr sie dann die Uferstraße entlang nach Cremyll zur Personenfähre hinüber nach Plymouth. Die Bäckerei lag gleich um die Ecke. Doch auf die gewohnte morgendliche Bewegung wollte Ruby auch jetzt nicht verzichten, und daher joggte sie durch den Park von Mount Edgcumbe, einem riesigen Anwesen mit Herrenhaus aus der Tudorzeit, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Arbeit machte. Da die Sonne schon um fünf Uhr aufging, brauchte sie nicht im Dunkel der Nacht zu laufen, sondern konnte das Tageslicht ausnutzen und dennoch rechtzeitig um halb sieben beim Bäcker sein. Ruby verließ ihre Wohnung um kurz vor fünf und lief durch die menschenleeren Straßen nach Osten bis zur Mündung des Tamar. Ein Rundweg führte an der Küste entlang um den Golfplatz auf dem Parkgelände. Ruby sah Drake’s Island vor der Silhouette der großen Stadt liegen. Der Weg führte in ein Wäldchen und dann zurück nach Westen.

Ruby ließ das vergangene Semester an sich vorbeiziehen. Sie hatte ihre Ziele erreicht, sowohl im Studium als auch im Privatleben. Seit einigen Wochen war sie mit Jason Miller liiert, mit ihrer Familie hatte sie sich nach dem großen Streit zu Weihnachten versöhnt – alles war im Lot. Bis zu diesem 4. Juli 2007, zwischen fünf und sechs Uhr.

2. JULI 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

Bob Hamilton setzte sich in den Sessel am Schreibtisch seines neuen Büros. Gerade hatte der Chief Constable die Tür hinter sich geschlossen, und nun saß er alleine da. Die weiß verputzten Wände verbreiteten bis auf eine Landkarte von Devon und Cornwall eine ziemlich trostlose Leere. Der Schreibtisch war in die Ecke am Fenster gerückt. Außerdem waren da noch zwei Besucherstühle, die den Eindruck erweckten, als stammten sie aus der Zeit, bevor Elizabeth den Thron bestiegen hatte. Der schäbige PVC-Boden machte das Zimmer auch nicht gerade freundlicher.

Na ja, das passt dann auch zu diesem hässlichen Betonbunker, dachte Hamilton, als er die Schubladen seines Schreibtisches aufzog. Bis auf ein paar vergessene Büroklammern leer. Immerhin stand ein funktionstüchtiger Computer auf der dicken Eichenplatte.

Vor Jahren schon hatte er kurz vor der Rückkehr aufs Land gestanden, aber seine Exfrau wollte nichts vom Lake Distrikt in verregneten Nordwesten Englands wissen. Also stürzte er sich in die Arbeit bei der Greater Manchester Police, und ehe er sich versah, war seine Frau abhanden gekommen, und er hatte es zum Detective Superintendent geschafft.

Und dann gab es für Bob Hamilton, das Landei, noch einmal eine Chance: Die Polizei von Devon und Cornwall wollte die Kriminalpolizei umstrukturieren und suchte für die Leitung der Kriminalabteilung einen erfahrenen Polizisten. Er bewarb sich, und jetzt saß er hier im Polizeihauptquartier Middlemoor in seinem eintönigen Büro zwischen Eisenbahnlinie und Hill Barton Road in Exeter.

„Detective Chief Superintendent Robert Hamilton“, hatte er vorhin beim Eintreten in sein neues Reich lesen können. Aber fassen konnte er es noch immer nicht: Chef der Kriminalpolizei von Devon und Cornwall im Alter von vierzig Jahren!

In Gedanken verloren, die vergessenen Büroklammern aufbiegend und schließlich zerbrechend, hörte Hamilton das Klopfen an der Türe nicht sofort. Nach einem geknurrten Herein öffnete sich langsam die Tür, und eine junge Frau mit blonden, kurzen Haaren und tiefseeblauen Augen trat schüchtern ins Büro.

„Constable Hughes, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Sir, eh, Detective Inspector Steer schickt mich. Sie lässt fragen, ob Sie zur Lagebesprechung kommen wollen.“

Devon and Cornwall Constabulary – Criminal Investigation Departement

Protokoll vom 02.07.2007

Teilnehmer: Detective Chief Superintendent Bob Hamilton, Detective Inspector Debbie Steer, Detective Inspector Gordon Douglas, Detective Sergeant Susan McCoy, Detective Sergeant John Clark und Detective Constable Emma Hughes

Noch keine Spur im Kreditkartenbetrugsfall von Plymouth. Die Kreditkartenorganisationen

haben die betroffenen Karten gesperrt, der bereits entstandene Schaden beträgt rund

500.000 £. Die Kollegen in Plymouth haben die Ermittlungen aufgenommen und benötigen momentan keine Unterstützung aus Middlemoor.

Die Kirchenglocken der Methodistischen Kirche in Tavistock bleiben verschwunden. In der Nacht zum vergangenen Mittwoch sind Unbekannte in die Kirche eingedrungen und haben die Kirchenglocken entwendet. Es ist unklar, was die Täter mit den drei gestohlenen Glocken beabsichtigen. Sie stammen aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und sind weder von kunsthistorischer Bedeutung noch von hohem monetären Wert. Die Kriminalpolizei geht davon aus, dass es sich bei der Tat eher um einen üblen Scherz denn ein Verbrechen handelt.

DS McCoy wird Kontakt zur örtlichen Polizei aufnehmen und gegebenenfalls logistische Unterstützung leisten.

Debbie Steer, DI

Bob Hamilton war gelangweilt, fast sogar enttäuscht. Hatte er als Sonderermittler in Manchester täglich mit Mord, Drogendelikten und ähnlich schweren Straftaten zu tun gehabt, sah es nun so aus, als ob er sich fortan mit kriminalistischer Hausmannskost begnügen müsste. Für einen kurzen Moment zweifelte er daran, dass seine Entscheidung in den Südwesten zu kommen, richtig gewesen war.

2. JULI 2007, Montag; South Molton – Polizeirevier

Zur gleichen Zeit, als Hamilton bei der Besprechung in Exeter saß, thronte Police Sergeant Paul Winter fünfzig Kilometer weiter nördlich im Polizeirevier von South Molton hinter seinem Schreibtisch und versuchte, unfallfrei einen Hamburger zu essen. Er ärgerte sich gerade über einen großen Soßenfleck auf einer Anzeige, die er am Morgen aufgenommen hatte, als das Telefon klingelte. Mürrisch legte er den Hamburger aus der Hand, kaute hastig, schluckte den Bissen der Pampe – einer Mischung aus Sägemehl und Styropor – und griff zum Hörer.

„Polizeirevier South Molton, PS Winter am Apparat, was kann ich für Sie tun?“, meldete er sich vorschriftsmäßig.

Die ängstliche Stimme einer jungen Frau war am anderen Ende der Leitung zu vernehmen:

„Sir, im Wäldchen bei Whitechapel ist was passiert. Ich hörte Schreie …“

„Nennen Sie bitte Ihren Namen und erzählen mir dann ganz in Ruhe, was Sie gesehen haben“, unterbrach sie Winter.

„Da ist was passiert, ich habe es gehört. Ich war mit dem Hund spazieren, im Wald und da habe ich es gehört.“

„Was haben Sie gehört, Miss …?“

„Komische Geräusche, ein Keuchen, Rascheln, ich bin sofort weggerannt. Da ist was passiert. Bitte schauen Sie nach.“

Rascheln im Wald, die tickt wohl nicht richtig, dachte sich Winter und begutachtete den Fleck auf den Unterlagen.

„Dürfte ich nochmals nach Ihrem Namen fragen, Miss?“

„Susan Johnson. Bitte schauen Sie nach.“

Doch bevor Winter weiter nachfragen konnte, hatte die Frau den Hörer aufgelegt.

Nachdenklich kratzte sich Winter auf seiner ausladenden Glatze. Natürlich raschelte es im Wald. Winter machte sich kurz Notizen über den eingegangenen Anruf, doch wollte er die Sache nicht weiter verfolgen.

„Da hat eine angerufen, weil es im Wald geraschelt hat“, sagte er zu seinem Kollegen Ian Harte, der gerade von der Mittagspause zurück ins Büro gekommen war und sich mit hochgezogenen Augenbrauen das Chaos auf Winters Schreibtisch ansah.

„Wie geraschelt, Mäuseinvasion?“

„Vielleicht, im Wäldchen bei Whitechapel. Was hältst du davon?“

„In welchem Wäldchen? Dem im Norden oder im Süden? Oder dem im Osten?“

„Gute Frage. Du, ich hatte den Eindruck, die Gute sieht zu viel fern. Klar, dass es im Wald raschelt.“

„Vielleicht hast du recht. Na ja, machen können wir ohnehin nicht mehr viel. Vielleicht sollte sich Rachel dort mal umsehen. Sie ist doch noch mit diesem Hilfssheriff unterwegs.“

„Ich ruf sie mal an.“

Police Constable Rachel Ward stand gerade neben ihrem Polizeiauto, einem Ford Focus, den sie aufgrund seiner Fahreigenschaften „The Snail“ nannte, und blickte auf die Einöde des Exmoors, als sie die Funkmeldung hörte.

„Komm, Ollie“, rief sie dem Polizeischüler Oliver North zu, der ihr in noch bis Ende August zugeteilt war. „Wir suchen Gespenster im Wald.“

Über Oakford und Boltreax Mill nach Osten stießen sie auf die A 361. Kurz vor South Molton bog die Schnecke nach rechts ab, in Richtung Whitechapel.

„Und was sollen wir jetzt hier?“

„Keine Ahnung, irgendwer hat es im Wald rascheln hören. Vielleicht ist ja wirklich was dahinter. Und da wir gerade nichts Besseres zu tun haben, fahren wir hier mal eben durch den Wald.“

Zunächst nahmen die beiden sich den südlichen Teil vor.

„Winter hätte auch besser nachfragen können. Das ist ja wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass eine da ist. Nach was sollen wir eigentlich suchen?“

„Na, hier ist nichts. Fahren wir mal nach Norden.“

Im Norden von Whitechapel erstreckte sich ein schmaler Streifen Wald, etwa 200 Meter breit und einen Kilometer lang.

„Vom Auto aus sehen wir überhaupt nichts. Komm, Ollie, wir steigen aus.“

Die beiden ließen das Fahrzeug hinter sich und marschierten quer durch den Bestand. Der Bewuchs war ziemlich dicht, und so kamen sie nur langsam vorwärts.

„Wo willst du eigentlich hin, Rachel?“

„Einfach der Nase nach. Wenn wir nur einen Hund hätten …“

Der Waldbestand war durch die Stürme der vergangenen Winter ziemlich zerzaust. Die Baumkronen lagen noch zum großen Teil unaufbereitet dort, wo sie hingefallen waren. Die beiden kletterten fluchend über die Äste und krochen unter oder zwischen ihnen hindurch. Ein starker Brombeerwuchs hinderte sie zusätzlich beim Vorankommen.

„Jetzt habe ich irgendwo meine Mütze verloren“, stöhnte North nach einer Weile.

„Warum hast du das blöde Ding überhaupt mitgenommen? Wir drehen hier keinen Ausbildungsfilm über praktische Polizeiarbeit.“

„Ich muss zurück, sie suchen.“

„Du weißt doch gar nicht, wo du sie verloren hast, das hat doch keinen Zweck.“

„Meine Jacke ist auch zerrissen.“

„Jetzt hör auf zu jammern, Ollie. Sieh zu, dass du herkommst.“

Sie bewegten sich durch eine leichte Senke und versuchten, das Gelände zu überblicken, kamen aber bald zur Überzeugung, dass sie in diesem Dschungel nichts finden würden. Sie kämpften sich weiter nach Norden.

Die Sonne glühte unbarmherzig an einem wolkenlosen Himmel. Obwohl die Polizisten erst vor einer halben Stunde ihr Auto verlassen hatten, waren sie schweißdurchnässt.

„Eine solche Aktion könnten wir mal als Alternative für die dämlichen Sportnachmittage vorschlagen. Bringt sicherlich mehr Kondition und praktische Erfahrung“, schlug Oliver North vor, bevor er einen weiteren Fluch durch den grünen Forst schleuderte. „Jetzt hat auch meine Hose ein Loch!“

„Na, immerhin haben wir jetzt die praktische Erfahrung gemacht, dass unsere Polizeiuniformen zum Repräsentieren wohl geeignet sind, nicht aber für den Einsatz im Gelände. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass du dich nicht geschmeidig genug durchs Unterholz bewegst.“

Rachel schwang sich über einen dicken Eichenast und lächelte ihren Kollegen an. Zwar sah ihre Uniform nicht mehr ganz ausgangfähig aus, war aber ansonsten immerhin heil geblieben.

„Sei mal still, Ollie! Wir suchen ja nach Geräuschen, was auch immer sich dahinter verstecken soll. Vielleicht ist ja noch was zu hören.“

In der brütenden Hitze, vor der der lichte Wald nur wenig Schutz bot, herrschte eine eigentümliche Stille. Das einzig Bemerkenswerte war der süßliche Geruch einiger Stauden, die den beiden unbekannt waren.

Sie kamen zu einer Lichtung und beschlossen dann, nach rechts zu gehen. Nach etwa 100 Metern kamen sie an einen Weidezaun, hinter dem zahlreiche Schafe friedlich grasten.

„Vielleicht könnte man die Schafe als Zeugen befragen“, meinte North.

„Vielleicht sind sie auch das Opfer des Verbrechens. Komm, Ollie, gehen wir zum Auto zurück.“

Über die Weide kamen die Polizisten zu einer Farm, und von dort gingen sie über die Whitechapel Lane zurück in südliche Richtung, wo „The Snail“ im Schatten unter einer alten Linde stand.

„Ich weiß nicht …“, sagte Rachel Ward beim Einsteigen, „irgendwas gefällt mir an der Sache nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand bei der Polizei nur wegen eines Raschelns anruft. Ist doch eigenartig.“

Sie schüttelte ihren Kopf. Ihr Verstand sagte ihr, dass es sich um einen der Fehlalarme handelte, wie sie täglich bei der Polizei eingehen. Ihr Gefühl tendierte stark in die gegenteilige Richtung. Das hatte mit einer prägenden Erfahrung in den ersten Tagen ihrer Polizeikarriere zu tun. Damals war ein junges Mädchen entführt worden und ein Zeuge gab – zugegebenermaßen wirre –Hinweise über das mutmaßliche Versteck der Entführten. Der Sergeant, der den Anruf entgegengenommen hatte, vermutete einen durchgedrehten Zeitgenossen oder einen der vielen Wichtigtuer, die in solchen Fällen die Telefonleitungen unsicher machen, und so entschied der Polizist, diesen Hinweis nicht weiter ernst zu nehmen. Später hatte sich herausgestellt, dass das Mädchen an dem von dem Zeugen beschriebenen Ort versteckt worden war und noch gelebt hätte, wäre dem Hinweis sofort nachgegangen worden. So fand man nach quälend langen Tagen nur noch ihre Leiche.

Dieser Vorfall hatte Rachel nachhaltig getroffen und machte sie vielleicht manchmal etwas übervorsichtig. Aber mit der Zeit hatte sie ein Gespür dafür entwickelt, ob ein Hinweis wichtig war.

Und hier hatte sie das ganz starke Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

„Du weißt doch, manche Leute geraten schnell in Panik, und dann rufen sie nach der Polizei.“

„Nein, das Problem ist eher, dass sich die Leute zu selten an die Polizei wenden. Und wegen eines undefinierbaren Raschelns wählt niemand die Nummer eines Polizeireviers. Die Leute wollen sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen, und sie wollen sich vor allem nicht lächerlich machen mit Behauptungen, die ziemlich gewagt sind.“

„Aber wenn es jemand war, der sich wichtig machen wollte?“

„Möglich, aber ich glaube es nicht. Das Problem ist, dass wir zu wenige Anhaltspunkte haben. Es gibt hier drei Wäldchen, eines ist noch im Osten …“

„Nein danke“, fiel ihr North ins Wort. „Ich habe die Schnauze voll.“

„Ja, vielleicht sollten wir Winter hinter seinem Schreibtisch aufscheuchen und in diesen Wald schicken.“

Beide begannen herzhaft zu lachen.

„Wenn wir im Polizeirevier sind, versuche ich nochmals nachzuhaken. Winter wird ja wohl die Adresse und Telefonnummer der Zeugin aufgeschrieben haben. Vielleicht ergibt sich noch was.“

Sie fuhren in südwestliche Richtung, überquerten die A 361, und über die Folly Lane und die East Street ging es in das Revier an der North Road in South Molton.

2. JULI 2007, Montag; Exeter – Polizeihauptquartier Middlemoor

Bob Hamilton lief nach der Besprechung zurück zum Parkplatz und stieg in seinen Rover. Er musste weg – zumindest bis zur nächsten Besprechung, die für den Nachmittag angesetzt war. Also fuhr er über die Sidmouth Road zur M 5 in Richtung Süden. Hamilton wollte ans Meer. In den CD-Spieler seines Autos war „Leftoverture“ von Kansas eingelegt. „What’s on my mind?“, sang Steve Walsh, als sänge er für den Chief Superintendent, dem der Kopf ein wenig schwirrte. Hamilton fegte über den Asphalt und hoffte, dass die Kollegen von der Verkehrspolizei keine Geschwindigkeitskontrolle aufgebaut hatten. In Dawlish Warren hatte er den Ärmelkanal erreicht. Er parkte den Wagen auf einem großen Parkplatz und ging zu Fuß an den Strand.

Das Rauschen des Meeres hatte eine beruhigende Wirkung. Mit geschlossenen Augen lag er im Sand, fühlte den Wind und sog die salzige Luft in seine Lungen. Er genoss es, hier zu liegen und schon bald spürte er eine Wärme durch den Körper fließen, und sie war unabhängig von den Strahlen der heißen Julisonne.

Eigentlich hatte er immer schon irgendwo im Lake District ein ruhigeres Leben führen wollen. Gerne hätte er Kinder gehabt – Lucy, seine Ex-Frau allerdings wollte weder vom Leben auf dem Lande noch von Kindern etwas wissen. Sie war durch und durch eine Großstadtpflanze – und mittlerweile fragte sich Hamilton, wie es eigentlich dazu hatte kommen können, dass sie geheiratet hatten.

Nun, sie waren ein vorzeigbares Paar. Der erfolgreiche Polizist und die Tochter eines stadtbekannten Anwaltes, ebenfalls Juristin und sehr sicher auf öffentlicher Bühne. Sie öffnete ihm Türen, die ansonsten verschlossen geblieben wären. Und wenn er ehrlich war, hatte seine Karriere sehr von dieser Verbindung profitiert.

Doch die hatte nicht von Dauer sein können. Mehr und mehr ging Lucy in ihrer Welt der Reichen, Schönen und juristischen Spitzfindigkeiten auf, während Hamilton von seinem Job aufgezehrt wurde. Sie sahen sich selten, und wenn, dann stritten sie sich. Und als Bob Hamilton überraschenderweise sehr früh nach Hause kam und Lucy mit einem anderen Paragraphenreiter im ehelichen Bett erwischte, setzte er beide vor die Türe und reichte die Scheidung ein. Nacheinem zehntägigen Whiskydelirium stürzte er sich noch mehr in seine Arbeit, war noch verbissener, noch zielstrebiger und zunehmend unausstehlich.

Vor einem Jahr verbrachte Hamilton einen intensiven Sommerurlaub bei seinem Bruder Neville und dessen Familie auf den äußeren Hebriden, danach kaufte er sich einen Weimaranerwelpen namens Duke, einen der letzten Rover 75 Kombis und wusste, dass er Manchester verlassen wollte.

Streitende Möwen schreckten ihn aus seinen Gedanken auf. Sie hatten ein altes Brötchen im Sand gefunden, und jetzt stritten sie sich darum und veranstalteten einen ohrenbetäubenden Lärm. Hamilton stand auf und ging zum Auto zurück nachdem er sich den Sand aus seinen Klamotten geklopft hatte.

Der Rover flog die Strecke nach Exeter zurück, und Hamilton eilte in sein Büro. Er wollte sich für die Besprechung noch umziehen und die allzu legere Kleidung des Vormittags gegen formellere austauschen. Immerhin hatten die Kriminalpolizisten das Privileg, Zivil tragen zu dürfen und mussten sich nicht in die schwarzweißen Uniformen quetschen.

2. JULI 2007, Montag; South Molton – Polizeirevier

„Wo ist denn der Dicke?“, fragte Rachel Ward ihren Kollegen Ian Harte.

„Schon gegangen, hat irgendwas von Überstunden erzählt und dass doch nichts los sei. Er wollte mit seinen Kindern noch ins Schwimmbad.“

Harte war der stellvertretende Leiter des Polizeireviers in South Molton und das genaue Gegenteil seines Chefs. Groß, schlank, bedächtig, fast sogar zurückhaltend, jedoch sehr gewissenhaft.

„Diese Freiheiten wollte ich mir mal nehmen. Es ist doch gerade mal halb vier!“

„Er ist eben erst gegangen, und es ist wirklich nichts los. Ich bin schließlich auch noch da, um das Telefon zu hüten.“

Rachel hob kritisch ihre Augenbrauen und zog die Mundwinkel nach unten.

„Und, habt ihr was gefunden?“, fragte Harte, um das Gespräch in eine weniger konfliktträchtige Richtung zu lenken.

„Nein! Was sollten wir auch finden, wir wussten ja nicht mal, nach was wir suchen. Aber komisch finde ich die ganze Sache schon.“

Sie ließ sich in einen Stuhl in der Ecke des Büros fallen.

„Hast du die Aufzeichnungen des Dicken irgendwo?“

„Mal sehen“, Harte durchwühlte einen Papierstapel auf der linken Ecke des Schreibtisches. „Ja, hier.“

Er überflog die Aufzeichnungen seines Chefs und schüttelte langsam den Kopf.

„Na, das ist ja nicht viel. Eigentlich gar nichts. Hier steht nur der Name: Susan Johnson. Keine Adresse, keine Telefonnummer. Die wäre noch herauszufinden. Aber das ist doch ziemlich dürftig. Immerhin die Uhrzeit: 11:30. Aber wahrscheinlich war es wirklich nur eine Frau, die beim Joggen oder Hundespaziergang etwas erschrocken ist.“

„Das glaube ich jetzt eigentlich nicht mehr. Irgendwas ist hier faul. In diesen Wäldchen kannst du weder joggen noch den Hund Gassi führen. Die Feldwege sind zu weit weg, um wirklich zu hören, was im Wald vor sich geht. Und warum sagt die Frau nicht, wo sie wohnt oder gibt ihre Telefonnummer an? Susan Johnson – Adam Smith, das sind doch die Namen, die in Hotels angegeben werden, wenn man sich heimlich mit der Geliebten trifft.“

„Machst du das so?“

„Idiot“, gab Rachel zurück.

„Na ja, vielleicht hat er auch nicht alles mitbekommen, was die junge Frau gesagt hat. In der letzten Zeit habe ich das Gefühl, Winter ist lediglich physisch anwesend. Mir ist ohnehin ein Rätsel, wie er die Sergeantprüfung bestehen konnte.“

„Wahrscheinlich wollten sie ihn von der Straße haben, weil er zu blöd war, den Verkehr zu regeln. Ein typischer Fall von: Wegen Unfähigkeit weggelobt“, meinte Rachel.

Sie war so etwas wie der Traum aller Polizisten in North Devon. Lange, schwarze Haare, blaue Augen, eine markante, aber nicht zu groß geratene Nase und ein dunkler Teint. Rachel war 23 Jahre alt, schlank und knapp 1,80 groß. Sehr viele hatten schon versucht, mit ihr auszugehen – leider alle ohne Erfolg. Von ihrem Privatleben war allgemein nicht viel bekannt. Außer dass sie bei ihrer Großmutter in einem Reihenhaus in Barnstaple lebte. In ihrer Rolle als Polizistin war sie kompetent und sehr zuverlässig, ehrgeizig und gewissenhaft. Umso mehr war ihr Privatleben ein Mysterium.

„Also, ich glaube“, fuhr Rachel fort, „dass sich diese Frau bei der Polizei gemeldet hat, weil sie große Angst vor dem hatte, was sie gesehen oder gehört hat. Vielleicht ist sie sogar in das Ganze involviert. Jedenfalls wollte sie die Polizei informieren. Wäre sie eine Wichtigtuerin, hätte sie Winter die Ohren voll gelabert und natürlich ihre Telefonnummer und Adresse angegeben und vermutlich verlangt, dass sofort eine Streife bei ihr vorbeischaut. Ich bin mir sicher, wir finden keine vernünftige Telefonnummer bei der Rückverfolgung des Gesprächs. Kein Handy, kein Festnetz, vermutlich eine Telefonzelle. Aber das wäre ein Anhaltspunkt?“

„Rachel, wir haben gar nichts. Weder eine Spur noch konkrete Hinweise auf ein Verbrechen. Kein Verbrechen, kein Fall, keine Ermittlungen. Wonach meinst du, sollten wir suchen? Du und der junge North habt doch die Wälder durchsucht. Ich denke, wir haben schon mehr getan, als wir tun müssen.“

„Meine Nase sagt mir etwas anderes.“

„Aber wo willst du anfangen zu suchen?“

„Bei der Telefonzelle.“

„Na schön, ich veranlasse, das Gespräch zurückzuverfolgen. Vielleicht ergibt sich ja was. Ich denke auch, eine Susan Johnson zu suchen, wäre nicht ganz zielgerichtet.“

„Du bist ein Schatz, Ian. Noch was: Bitte sag dem Dicken nichts. Der stellt alle Ermittlungen sofort ein.“

„Na, so schlimm ist er auch nicht.“

„Doch“, erwiderte Rachel knapp, erhob sich von ihrem Stuhl, schwebte durchs Büro und entschwand geräuschlos durch die große Schwenktüre in den Flur, um den Personalraum aufzusuchen, wo Oliver North bei einer Tasse Kaffee schon auf sie wartete.

2. JULI 2007, Montag; Otterton – Hamiltons Cottage

Duke, der Weimaraner, begrüßte freudig seinen Herrn, als dieser müde und erschöpft von seinem ersten Arbeitstag nach Hause kam. Eigentlich war der Hund sein ständiger Begleiter, aber am ersten Tag hatte er ihn noch nicht mit ins Büro nehmen wollen, und im Auto wäre es zu heiß gewesen. So hatte Hamilton entschieden, den jungen Hund im Cottage zu lassen, um seine Kollegen nicht schon von Anfang an mit all seinen Eigenheiten zu irritieren. Jetzt wollte er aber einen ausgiebigen Spaziergang entlang der Küste unternehmen. Dabei konnte er abschalten und vergessen, dass er leitender Polizist war. Vielleicht würden ihm trotzdem Ideen kommen, wie er seine Arbeit richtig anpacken sollte.

Hamiltons Cottage stand am Rande von Otterton, und so konnte man rasch ins Grüne entschwinden, was im ländlichen Südwesten ohnehin keine Schwierigkeiten bereitete. Otterton, im Nordosten von Budleigh Salterton gelegen, war genau der Ort, den Hamilton sich als Wohnort erträumt hatte. Klein, umgeben von viel grüner Landschaft aus Weiden, Wiesen und kleinen Wäldchen. Daneben das Meer, das eine endlose Weite versprach und ein Bewusstsein davon vermittelte, dass es irgendwo da draußen noch viel mehr gab als das tägliche Einerlei.

Das Cottage, reetgedeckt und aus dem 18. Jahrhundert stammend, bestand aus einem großen Raum im Erdgeschoss, der gleichzeitig Küche, Wohn- und Esszimmer war. Lediglich ein kleiner Vorraum, der als Garderobe diente, bildete einen Abschluss zur Haustüre. Nach oben, wo zwei kleine Räume unter der Dachschräge eingerichtet waren, führte eine alte, knarrende Holztreppe. Der eine Raum war das Schlafzimmer, der zweite von Hamilton als Büroraum vorgesehen. Das Badezimmer befand sich in einem kleinen Anbau neben der Küche und war erst in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet worden.

Von der Küche ging eine Türe in den großen, von einer alten Steinmauer umgebenen Garten. Dieser war in früheren Zeiten einmal als Gemüse- und Obstgarten angelegt gewesen, jetzt war er ziemlich verwildert. Die Obstbäume, teilweise faul und in sich zusammengebrochen, ragten wie Mahnmale aus hohen Dornenhecken, doch Hamilton störte sich nicht daran. Er hatte sich einen kleinen Sitzplatz geschaffen, wo er ins Grüne blicken und bei einem Glas Lagavulin den Tag ausklingen lassen konnte. Vielleicht würde er im Laufe der Zeit den Gemüsegarten reaktivieren und die Dornen ausreißen. Aber das hatte Zeit.

Hamilton ging zum Briefkasten, nahm die Post heraus und setzte sich auf seinen alten Ledersessel, den er von seinem Großvater geerbt hatte. So sah man diesem guten Stück an, dass es schon einigen Generationen Hamiltons als Sitzgelegenheit gedient hatte, aber er war immer noch sehr bequem und der unbestrittene Lieblingsplatz des Chief Superintendents.

Allerdings machte Duke ihm diesen in der letzten Zeit streitig. Der stupste ihn nun penetrant mit seiner feuchten Nase, und das veranlasste Hamilton, sich aus seinem bequemen Sessel zu erheben und endlich mit seinem Vierbeiner in Richtung Meer zu marschieren.

4. JULI 2007, Mittwoch; Otterton – Hamiltons Cottage

Der Notruf war um 5:39 Uhr bei der Polizei in Plymouth eingegangen. Die war zwar nicht direkt zuständig, weil der Tatort in Cornwall lag, übernahm jedoch zunächst einmal die Federführung, da es sich um ein Schwerverbrechen handelte. Um 5:48 Uhr erreichte die Nachricht das Hauptquartier, und keine drei Minuten später war Debbie Steer als Leiterin des Einsatzteams informiert. Sie machte sich schnellstens auf den Weg zu Hamilton.

Um 6:23 Uhr klingelte es an Hamiltons Haustüre, Duke schlug Alarm, als ginge es darum, einen Einbrecher zu stellen, und der Chief Superintendent stürzte nass und mit noch reichlich Schaum in den Haaren aus der Dusche, schnappte das erstbeste Handtuch, das er erwischte und eilte zur Haustüre.

„Sorry, Sir“, sagte eine gut gelaunte Debbie Steer, die den Eindruck machte, als wecke sie jeden Morgen den Kripochef persönlich, „aber es hat ein schweres Verbrechen gegeben, und ich denke, Sie sollten sofort miteinbezogen werden.“

„Was ist los? Die Kurzversion, bitte.“

„Auf der Halbinsel gegenüber von Plymouth hat eine Joggerin drei Leichen gefunden. Eigentlich nur deren abgetrennten Köpfe, die auf Pfählen aufgespießt waren.“

„Großer Gott. Ich ziehe mir schnell was an, und dann fahren wir zum Tatort.“

Hamilton verschwand wieder im Bad.

Debbie sah sich um. Irgendwie war alles sehr ordentlich.

Die Bücher standen der Größe nach geordnet in den Regalen, die CDs alphabetisch nach Interpreten. Oh je, dachte die Detective Inspektorin, hoffentlich ist der Alte nicht in allen Dingen so pedantisch.

„Wir nehmen meinen Wagen, und der Hund geht mit. Ich fahre selbst.“

Hamilton hatte eine Jeans und ein schwarzes, kurzärmliges Hemd angelegt. Dazu Sandalen ohne Socken. Debbie sah ihren Chef fragend an.

„Schlagen Sie hier keine Wurzeln, einsteigen, anschnallen.“

Hamilton grinste.

„Debbie, noch kennt mich hier niemand. Ich bin noch nicht mal offiziell vorgestellt. Und das ist gut so. Nehmen Sie mich einfach mit an den Tatort und tun so, als ob ich irgendeiner Ihrer Sergeants wäre.“

Nun grinste Debbie Steer.

„Und jetzt bitte, die längere Version.“

Der Rover flog über die A 38 in Richtung Plymouth, vorbei am Dartmoor, dem sagenhaften Platz mystischer Gruselgeschichten, hin zu einem realen Verbrechen. Viel wusste Debbie allerdings auch nicht zu berichten.

„Es gibt nicht viel, was ich bislang weiß, Sir. Eine Studentin war auf ihrer alltäglichen Morgenrunde joggen, und da stieß sie auf drei auf Pfähle aufgespießte Köpfe. Mehr konnten die Kollegen aus Plymouth nicht sagen. Die junge Frau rannte jedenfalls panisch schreiend aus dem Wäldchen. Ein Mitarbeiter des Golfplatzes, der schon die Arbeit aufgenommen hatte, griff sie auf und verständigte die Polizei.“

„Na ja, wir werden sehen. Hört sich spannend an. Ist noch jemand vom Team vor Ort?“

„Ja, Sir. Ich habe Susan und Gordon sofort hingeschickt. Die sind für die Arbeiten vor Ort am besten geeignet.“

„Debbie?“

„Ja, Sir?“

„Zunächst lassen Sie diesen Sir, wo er hingehört – in die Öffentlichkeit. Wie soll ich mit Polizisten zusammenarbeiten, die mich ständig Sir nennen?“

„Aber Sir.“

Hamilton legte seine Stirn in Falten und blickte nach links, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. „Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Ich bin der Chef. Und ich heiße Bob.“

Detective Inspector Debbie Steer wunderte sich noch mehr über ihren neuen Chef. Was war das für ein Typ? Höflich und zuvorkommend, vielleicht sogar nett, und dennoch ein deutlich spürbarer Hauch von Arroganz. Bislang hatte sie nur Gerüchte und Geschichten über den Superbullen aus dem Norden gehört. Manche erschienen übertrieben, andere abenteuerlich. Doch jemand, der mit 35 schon Superintendent wurde, war entweder ein wahnsinnig ehrgeiziger Streber oder eine echte Spürnase. Wahrscheinlich beides zusammen. Hamilton war jedenfalls anders als alles, was Debbie bei der Polizei bislang untergekommen war. Das stand jetzt schon fest.

Der Golfplatz war weiträumig abgesperrt. Hamilton parkte den Rover auf einem der zahlreichen Parkplätze. Sie stiegen aus, Hamilton öffnete die Heckklappe und ließ den Hund hinaus.

„Wollen Sie den Hund wirklich mitnehmen? Ich weiß ja nicht …“

„Erstens muss der Hund auch mal irgendwo sein Geschäft verrichten, und da ist doch so ein exklusiver Golfplatz ideal, finden Sie nicht? Außerdem ist er derjenige, der die Täter fängt. Ich sonne mich nur in seinen Erfolgen.“

„Dann müsste er an Ihrer Stelle sitzen. Jetzt verstehe ich, er ist eigentlich der Boss.“

„Apropos Boss. Sie sind der Chef hier, vergessen Sie das nicht. Ich bin nur ein Hundeführer.“

Debbie war offensichtlich bei den Beamten, die den weiteren Tatortbereich sicherten, nicht unbekannt, denn sie konnten unkontrolliert passieren und näherten bald sich dem Wäldchen. Inzwischen war es schon wieder warm geworden. Die Sonne hatte sich über das Meer erhoben und ließ ihre unbarmherzigen Strahlen auf das Geschehen herunterbrennen.

4. JULI 2007, Mittwoch; Torpoint – Polizeirevier

Ruby Horne war zwischenzeitlich ins Polizeirevier von Torpoint in der Ferry Road gebracht worden, wo sie in einem Büro auf ihre erneute Befragung wartete.

Gegen 9:15 Uhr trafen DS John Clark und DC Emma Hughes in der Ferry Road ein. Die beiden waren üblicherweise für die Befragungen zuständig.

Emma parkten den silberfarbenen Rover vor dem zweistöckigen Gebäude.

„Ich frage mich manchmal, ob die Polizei einen Preis für die hässlichsten Dienstgebäude in Großbritannien anstrebt“, sagte Clark, als die Kriminalbeamten durch die gelbe Eingangstür gingen.

„Manchmal könnte man es wirklich glauben.“

Sie schauten sich im Flur um und fanden eine große Orientierungstafel an der türkisgrünen Wand.

„Versuchen wir es mal im Zimmer 4“, meinte Emma Hughes.

Clark folgte ihr in ein antik wirkendes Büro. Drei Schreibtische standen hinter einem hohen Tresen. Ein glatzköpfiger Beamter, sicher schon Anfang 60, saß als einziger in den Raum und vermied es, von seiner alten, mechanischen Schreibmaschine aufzublicken. Offensichtlich war hier schon vor Jahrzehnten die Zeit stehen geblieben. Es fehlte lediglich ein Bild von König Georg VI.

„Entschuldigung, Sir. Detective Sergeant Clark und ich kommen vom Hauptquartier und sollen die junge Frau verhören.“

Der Alte tippte weiter auf seinem Schreibgerät, Clark und Hughes sahen sich gegenseitig an.

„Können Sie sich ausweisen?“

Clark hielt ihm seinen Ausweis unter die Nase.

„Gut. Dann möchten Sie bitte mitkommen.“

Sie folgten dem Alten, der mit trippelnden Schritten das Büro verließ, den Flur entlang bis zum Treppenhaus schlich und dann nach oben keuchte.

Der zweite Stock war in einem aufdringlichen Pissgelb gehalten. Lampen gab es keine, die Glühbirnen hingen einfach an den Kabeln aus der Decke.

„In dieser Hütte muss man ja blödsinnig werden“, raunte Clark seiner Kollegin zu.

Der Alte öffnete geräuschvoll eine Tür und wies die beiden an, einzutreten. Dann drehte er sich wortlos auf dem Absatz um, wohl um an seine Schreibmaschine zurückzukehren.

Die Polizistin, die man Ruby Horne zur Seite gestellt hatte, war eine ältliche Matrone, die jederzeit Margret Rutherford in ihrer Rolle als Miss Marple hätte doubeln können. Man hätte sich auch nicht gewundert, wenn sie gestrickt hätte. Sie hockte vor einem Kreuzworträtsel, während Ruby Horne auf einem Sessel saß und ins Leere starrte.

„Guten Morgen. Ich bin PC Ellis, Sie müssen die Beamten aus Exeter sein.“

„Guten Morgen. DC Hughes und DS Clark. Ich glaube, Sie können gehen. Vielen Dank.“

Clark und Hughes wendeten sich der jungen Frau zu, die zusammengekauert auf ihrem Sessel saß. Das lange, blonde Haar hing in Strähnen um ihr blasses, von Sommersprossen übersätes Gesicht. Die grauen Augen waren stumpf und ängstlich. Die Knie hatte sie angewinkelt und mit ihren Armen umfasst. Sie trug noch ihren Adidas-Jogginganzug, die Laufschuhe lagen am Boden.

„Miss Horne? Ich bin Emma, darf ich Ruby zu Ihnen sagen?“

Sie nickte.

„Ruby. DS Clark und ich würden gerne genau erfahren, was Sie heute Morgen gesehen haben. Ich weiß, dass es etwas sehr Schreckliches war. Aber bitte, versuchen Sie, sich genau zu erinnern.“

„Könnte ich eine Tasse Tee haben?“

„Natürlich. John, hol doch bitte mal eine Kanne und drei Tassen.“

„Womit soll ich denn beginnen?“

„Ganz am Anfang. Also, Sie standen auf und wollten joggen?“

„Ja. Ich habe in den Semesterferien einen Job bei Mr Rosenzweig in der Bäckerei … Oje, der wartet wohl noch auf mich. Ich konnte mich nicht entschuldigen.“

„Wir geben ihm Bescheid. Ich denke, er hat Verständnis für die Umstände. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“

„Ja, und vor der Arbeit wollte ich noch joggen. Am Nachmittag ist es zu heiß, und am Abend habe ich auch keine Lust mehr. Verstehen Sie?“

Emma nickte.

„Und heute Morgen war alles so wie sonst auch?“

„Ja. Ich verließ um etwa fünf Uhr die Wohnung und war auf dem Weg zum Golfplatz.“

„Ist Ihnen da etwas Besonders aufgefallen? Ein Auto, etwas, das sonst nicht so ist?“

„Nein. Es war noch kein Verkehr, hier ist ja ohnehin nie viel los und um diese Uhrzeit sowieso nicht. Am Golfplatz waren zwei Fahrzeuge abgestellt, soweit ich mich erinnere. Die stehen immer schon ab fünf Uhr da. Das sind Arbeiter, die in der Frühe den Rasen mähen.“

Ruby stockte.

„Fällt Ihnen was ein?“

Die Tür öffnete sich quietschend, und Clark brachte ein Tablett mit drei Tassen, einer Kanne Tee, Milch und Zucker herein.

Nachdem er eingegossen hatte, bat Emma Ruby fortzufahren.

„Ich lief zum Wäldchen.“

Sie schlug sich die Hände vors Gesicht.

„Ich hätte es fast nicht gesehen. Aber ein Eichhörnchen rannte über den Pfad, und ich schaute ihm nach. Und da sah ich drei Pfähle am Wegrand. Es war so unwirklich. Da waren die drei Köpfe aufgespießt. Ich wusste gar nicht … Es war so schrecklich. Ich bin einfach losgerannt. Irgendwohin, aus dem Wald, quer über den Golfplatz, wo ich einem der Arbeiter in die Arme gelaufen bin. Der hat dann auch die Polizei verständigt. Mehr weiß ich eigentlich nicht. Irgendwann sah ich in einem Krankenwagen, einen Notarzt und später wurde ich hierher gebracht.“

„Ruby, können Sie sich an sonst irgendwas erinnern? Haben Sie die Toten erkannt?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Vielen Dank, Ruby. Haben Sie jemanden, der sich um sie kümmern kann?“

„Meinen Freund, Jason Miller, oder Beverley Saunders, eine Studienfreundin.“

„Wir werden Sie nach Hause bringen. Wenn Ihnen etwas einfällt, melden Sie sich doch bitte sofort. Hier, ich gebe Ihnen meine Karte.“

4. JULI 2007, Mittwoch; Cremyll – Mount Edgcumbe

Das kleine Wäldchen wirkte gespenstisch. Abgesperrt mit blauweißem Band. Innerhalb des Areals huschten zahlreiche Menschen wie weiße Mumien durch das Unterholz und durchsuchten jeden Quadratmeter. Inzwischen war es schon wieder heiß geworden, und ein süßlicher Kiefernduft durchmischte sich mit der salzigen Luft des Meers. Rechts und links der Pfade wuchs übermannshoher Adlerfarn, in dem das Schimpfen von Fasanen zu hören war. Dazu das Kreischen der Möwen und das Rauschen der Brandung.

Hamilton und Steer gingen zu einem der Einsatzfahrzeuge und legten ebenfalls die weißen Schutzanzüge an. Sie stiegen über das Band und gingen schweigend den Pfad weiter ins Innere des Wäldchens. Bald waren sie am Ziel. Drei grauenvoll entstellte Schädel, an denen nichts Menschliches mehr zu erkennen war, aufgespießt auf hölzernen, in den Waldboden gerammten Pfählen. Offensichtlich zwei Männer und eine Frau. Die Augen waren ausgestochen. Hamilton hatte schon viel gesehen, das gehörte jedoch mit zu seinen heftigsten Erlebnissen. Er merkte, wie ihm das Blut aus dem Kopf entwich und spürte einen leichten Schwindelanfall. Der Chief Super holte tief Luft, schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Rauschen des Meeres. Dann fixierte er Debbie, die ebenfalls kreidebleich auf die Szenerie starrte. Nach einem weiteren tiefen Atemzug hatte er seine Nerven wieder im Griff.

Inzwischen war DS Susan McCoy zu den beiden gestoßen.

„Guten Morgen, wenn man einen solchen an so einem Tag wünschen kann.“

„Morgen, Susan, weiß man schon was Näheres?“

„Drei Tote, zwei Männer, eine Frau. Alter so zwischen 25 und 35. Vermutlich handelt es sich um Osteuropäer.“

„Wie kommt ihr denn darauf?“

„Die Zähne oder vielmehr die zahnärztliche Arbeit sieht nach Ostblock aus, was man auf den ersten Blick sagen kann.“

„Sonstige Spuren?“

„Bis jetzt noch nichts, was verwertbar wäre. Aber irgendwie sind die ja hierher gekommen.“

„Wie lange sind die Opfer schon tot, und wie lange hier aufgestellt?“

„Dr. Alford meint, sie sind noch keine 24 Stunden tot. Vermutlich wurden sie irgendwann in der Nacht hierher gebracht. Aber mehr bekommen sie aus dem nicht heraus. Üblicherweise wird er den Obduktionsbericht direkt an Sie übergeben.“ Der letzte Satz war an Hamilton gerichtet.

Dr. Walter Alford war seit Menschengedenken Pathologe in Middlemoor. Er stand kurz vor seiner Pensionierung, ein Gedanke, den er jedoch weit von sich schob. Alford war groß gewachsen, korpulent, hatte volles, graues Haar und buschige, zusammengewachsene Augenbrauen. Er hatte zu jeder Zeit eine dicke und qualmende Zigarre im Mund. Die Tatsache, dass in öffentlichen Gebäuden Rauchen seit geraumer Zeit verboten war, hatte ihn noch nicht erreicht – oder er ignorierte sie konsequent.

„Wurden die beiden Golfplatzarbeiter schon verhört?“

„Ja, das hat Gordon übernommen. Die konnten aber auch nichts sagen.“

„Mann, irgendwer muss doch was gesehen haben“, raunte Debbie. „Ich lasse das ganze Kaff ausfragen. Irgendwo steht doch immer ein Kampfrentner am Fenster auf der Lauer, wie er einen Nachbarn ärgern kann.“

„Wahrscheinlich ist das vernünftig“, warf Hamilton ein, der bislang noch nichts gesagt hatte.

„Mit der Fähre wird der Täter wohl nicht gekommen sein. Die Köpfe hätte er schon mitnehmen können, aber die Pfähle sind immerhin fast zwei Meter lang. Das wäre ja jemanden aufgefallen.“

Hamilton sah sich um. Wie mit dieser Situation umgehen? Bei der Tat schien es sich seiner Erfahrung nach um einen Racheakt zu handeln, wahrscheinlich sollte sie auch abschreckenden Charakter haben. Warum sonst diese Inszenierung? Aber wo ansetzen?

Und die Presse?

Die würde das Ganze genüsslich auswalzen. Es musste so schnell wie möglich eine Pressekonferenz geben. Die Polizei musste das Heft in der Hand behalten. Nichts war schlimmer, als von den Medien und der Öffentlichkeit getrieben zu werden.

Hamilton nahm sein Handy und wählte eine der einprogrammierten Nummern.

„Ja, hier ist Hamilton. Ich bin gerade in Millbrook bei Torpoint. Rebecca, könnten Sie eine Pressekonferenz für achtzehn Uhr einberufen? Ich lasse Ihnen alle Informationen zukommen. Debbie Steer wird ebenfalls zur Pressekonferenz kommen.“

„Das geht klar. Und Sie, Sir?“

„Ich werde hier noch etwas inkognito ermitteln. Meine Physiognomie wird noch früh genug vervielfältigt werden. Außerdem sehen Sie beide besser aus als ich.“

4. JULI 2007, Mittwoch; Barnstaple – Rachel Wards Wohnung

Als PC Rachel Ward am frühen Morgen des 4. Juli das Haus ihrer Großmutter in Barnstaple verließ, war es schon wieder außergewöhnlich warm. Die morgendliche Dusche hätte ich mir glatt sparen können, dachte sie, während sie den Autoschlüssel in ihrer orangefarbenen Handtasche suchte.

Die Großmutter lebte in einem der großzügigen Häuser an der ringförmig angelegten Sunset Heights. Die Eltern der jungen Polizistin waren vor etlichen Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Seit Rachel vier Jahre alt war, wohnte sie bei ihren Großeltern. Der Großvater war im vergangenen Jahr nach langer Krankheit gestorben. So waren die beiden Frauen nun alleine in den großen Haus mit dem schön angelegten Garten. Rachel liebte die Gartenarbeit und half ihrer Großmutter, wann immer sie Zeit fand.