Kopfsalat und Liebeskummer - Doris Jannausch - E-Book
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Kopfsalat und Liebeskummer E-Book

Doris Jannausch

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Beschreibung

Angelika liebt keinen Mann, sondern eine Zumutung namens Cornelius – und ist damit ziemlich arm dran. Denn eigentlich hat Angelika alles: Sie ist hübsch, nett und erfolgreich. Das nützt aber nichts, wenn sie nicht das bekommt, was sie sich am meisten wünscht: Cornelius. Der feiert gerade seine dritte Scheidung, und Angelika hat es satt, immer nur einzustecken. Ihre Freundin weiß Rat und verschreibt ihr Landluft, Arbeit und Kopfsalat – Hauptsache weit weg von Cornelius. Ein Garten voll Kopfsalat scheint tatsächlich gegen Liebeskummer zu helfen. Oder liegt es doch an Angelikas kauzigen Nachbarn?

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Doris Jannausch

Kopfsalat und Liebeskummer

Roman

Asterix und Blasmusik

Das feuchtwarme Tuch legte sich über mein Gesicht, ich schnappte nach Luft – jetzt ist es aus, dachte ich. »Na, na«, sagte eine Stimme, »wer wird sich denn so anstellen?« Dann drückte mir jemand die Nase zu. Ich röchelte. »Das muss sein«, versetzte die Stimme energisch, »wegen der Mitesser.«

Das Tuch wurde weggezogen, ich sah Marions Gesicht über mir, seitenverkehrt. Sie roch nach Pfefferminzbonbons, um den Nikotinduft der großen weiten Welt zu verdrängen, was aber nicht viel nützte. »Meine Güte, das sieht aber aus«, jammerte sie aus reiner Gewohnheit und bearbeitete mein Gesicht mit verschiedenen Instrumenten: zwecks Säuberung, Straffung und Belebung der Haut. »Wenn du diese Prozedur überstanden hast, wird Cornelius dich nicht wiedererkennen.«

»Das wäre fein«, murmelte ich mit halbgeschlossenem Mund, denn mir wurde gerade eine Gesichtsmaske aus glättender Magnolienblütenessenz aufgetragen. »Vielleicht fragt er mich dann endlich, ob ich ihn heiraten will.«

Marion lachte. »Ganz aus Versehen, wie? Warum fragst du ihn eigentlich nicht?«

»Hab ich schon«, seufzte ich durch die zusammengepressten Zähne, wie ein Bauchredner. »Aber er ist noch nicht reif für die Ehe.«

Leider konnte ich nicht mitlachen. Wegen der Gesichtsmaske – und auch sonst. Mir war recht mulmig.

»Cornelius ist der geborene Egoist«, erklärte Marion so dozierend, als spräche sie von der Kanzel. »Ein Augenblicksmensch ohne Verantwortungsgefühl.« So was sagte sie nur, wenn sie genau wusste, dass ich nichts erwidern konnte. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie mir jeden Monat in ihrem Salon Magnolia eine ausgiebige kosmetische Behandlung spendierte; so konnte sie ihrem Herzen ungehindert Luft machen. »Er lässt Leute auf ein Fingerschnippen anmarschieren und schickt sie wieder weg, wenn er genug von ihnen hat. Ganz wie es ihm passt. – Mund zu, sonst platzt die Maske.«

Es hatte keinen Zweck, sich zu wehren, ich war ausgeliefert, und wenn ich heute Abend halbwegs ordentlich aussehen wollte, war es ratsam, sie nicht zu reizen. Ich musste mir noch einiges über Cornelius anhören, ehe sie unvermittelt milde sagte: »Jetzt entspann dich endlich: Augen zu und angenehme Gedanken, wenn ich bitten darf.« Es klang wie Ironie, war aber keine. Langsam senkte sich sanfter Schlummer über mich. Ich hörte Marion in der Nebenkabine hantieren, es klang sehr weit entfernt, in meine Träume klatschten heftige Schläge: Marion kämpfte mit einem Doppelkinn. Ich wünschte ihr von Herzen, dass sie Sieger bleiben möge, und das war nett von mir – sie hatte es wahrhaftig nicht verdient.

Diese Scheidungsparty bei Cornelius lag mir schwer im Magen. Ich konnte mich beim besten Willen nicht darüber freuen, dass er nun wieder frei war, denn schon übermorgen war er ja doch von Neuem unter der Haube mit irgendeiner Zufallsbekanntschaft, bestimmt nicht mit mir. Auf die Dauer war das recht ärgerlich, und es tröstete mich nur wenig, dass die »Eintagsfrauen« schnell in Vergessenheit gerieten, während ich als unerschütterlich geliebtes, wenn auch ungeehelichtes Monument in Cornelius’ ungestümem Leben blieb. Marion hatte nicht ganz unrecht. Ich durfte es nur niemals zugeben, weil sie dann vor lauter Selbstbewusstsein aus den Nähten platzte. Und das konnte ich nicht vertragen.

Ich kam erst wieder zu mir, als sich das dampfende Tuch auf mein Gesicht legte, um die erstarrte Maske abzulösen.

»Zärtliche Träume gehabt?« Ich sah Marions feines, anzügliches Lächeln über mir, das aber gleich in eine besorgte Miene überging, als ich nichts erwiderte. »Bammel vor heute Abend?«, fragte sie leise.

Ich nickte. Und nuschelte dumpf unter dem nun eiskalten Tuch hervor: »Ich hab so das Gefühl, dass noch irgendwas passiert.«

»Wie immer bei dem lieben Cornelius!«

Nun wurde ich eingecremt, massiert, beklopft und (»Ein Tüpfelchen Rot auf Wangen und Lippen macht eine neue Frau aus dir!«) mit Hingabe betüpfelt. »Na?« Marion hielt mir triumphierend einen Spiegel vors Gesicht. »Wie findest du dich?«

Die »neue Frau« starrte mir mit zerquetschtem, fleckigem Gesicht entgegen. »Schön verquollen!«, brummte ich. »Ein Grund, mich zu Hause einzuschließen.«

»Das wirst du gefälligst bleiben lassen!« Marion begleitete mich hinaus. »Ich hol dich gegen acht ab. Wenn ich ehrlich sein soll: Tendenz lustlos! Aber ich kann dich doch nicht allein in die Höhle des Löwen gehen lassen.«

»Der Löwe ist ja bloß ein netter Bernhardiner mit ein paar Macken«, wandte ich achselzuckend ein. Und Marion konnte sich nicht verkneifen zu antworten: »Du tust den Bernhardinern unrecht – die sind treu.«

Ich stieg in meinen Pekinesen und startete. Marion, im hellgrünen Kittel unter der Tür, winkte mir nach, sträflich gut gelaunt. Ein Mann ging vorbei, blieb verwundert stehen, betrachtete sie andächtig wie einen Kunstgegenstand und verlor die Beherrschung über sein Gesicht. Ein leichter Vorfrühlingswind fuhr in Marions langes, von einem Stirnband zurückgehaltenes Haar, schlug es wie einen Fächer auf. Dann ging sie, ohne von dem faszinierten Mann auch nur Notiz zu nehmen, in den Salon zurück.

Den Pekinesen hatte ich so getauft, weil die Kühlerhaube flach und zerquetscht aussah wie eine Pekinesennase und die Karosserie weit über die Räder hing, was ihn kurzbeinig und gedrungen aussehen ließ. Außerdem keuchte er asthmatisch, und honiggelb war er auch. Ich hatte ihn einem Studenten abgekauft, der sich verbessern wollte.

Der Kurfürstendamm war nicht übermäßig belebt, der Berufsverkehr hatte noch nicht begonnen. Durch die Abgase wehte Erdgeruch. Ganz leicht, man musste aufpassen, dass man ihn nicht verlor. Schön müsste es jetzt irgendwo auf dem Land sein, zusammen mit Cornelius. Immer wenn mir ein besonderer Duft in die Nase stieg, musste ich an Cornelius denken. Neulich zum Beispiel roch ich im Vorübergehen Kakao. Ein süßlich-bitterer Schokoladenduft aus einem Fenster. Schnuppernd blieb ich stehen und sah mich mit Cornelius in einer gemütlichen Zimmerecke sitzen und Kakao trinken, obwohl wir beide keinen mochten. Aber es roch so nach Zuhausesein. Draußen Sturm und Regen, wir beide eng zusammen, warm und wohlig. Mein töricht-verklärtes Lächeln musste aufgefallen sein, denn eine Frau sah mich verwundert an. Ich ging schnell weiter. Alles wegen einem bisschen Kakaogeruch, idiotisch! Übrigens war Cornelius kein Mann für schlechtes Wetter.

Und nun roch ich frühlingsfrische Erde, mitten auf dem Kudamm! Sah mich ausgestreckt im Gras neben Cornelius liegen, ohne was zu denken, ganz vertraut. Acht Jahre schon. Gemeinsam älter werden, etwas Ruhe, schau nur, dort drüben die Himmelschlüssel …

Ein Hupkonzert riss mich von meiner Himmelschlüsselwiese. Das einzige Grün, das weit und breit zu sehen war, leuchtete herausfordernd von der Ampel – und ich stand noch immer wie festgenagelt davor. Ein Riesenschlitten rollte an mir vorbei, dicker als der Kalauer, den mir der Fahrer zurief: »Warum fahren Sie nicht, Fräulein? Grüner wird’s nicht!«

Von Weitem schon sah ich den Oldtimer vor dem Haus: ein mausgraues Vehikel mit zurückgeschobenem Dach und halbblinden Kunststofffenstern. Ein Mann stand stolz daneben und winkte mir zu: »Hallo Anschi!«

Ich bremste. Der Pekinese kreischte empfindlich auf, ich stieg aus und stolperte in Cornelius’ ausgebreitete Arme.

»Ich wollte dir nur schnell mal den Asterix vorstellen. Komm, eine Rundfahrt machen!«

Ich wurde zum Oldtimer gezerrt, kletterte auf den hohen, steinharten Sitz, während sich Cornelius mit aufreizender Elastizität auf den Platz des Fahrers schwang.

»Was passt besser zu Asterix?« Er hielt mir zwei Kopfbedeckungen unter die Nase: eine Kreissäge à la Maurice Chevalier und eine karierte Schirmmütze.

»Keine«, antwortete ich. »Fasching ist längst vorbei.« Ich konnte es nicht ausstehen, wenn Cornelius mich überrumpelte und schon gar nicht, wenn er dann auch noch den Clown spielte.

Cornelius lachte ausdauernd. Übrigens waren seine Lachanfälle das Einzige, was er mit Ausdauer erledigte. Darin ähnelte er Marion. Aber auch nur darin!

Schwungvoll knallte er die Kreissäge aufs Haupt, setzte den Anlasser in Betrieb. Es knatterte, rüttelte und schüttelte, die Hupe schmetterte heiseres Trompetengeheul über die Straße und dann fuhren – oder besser: zuckelten – wir los. Auf dem Bayerischen Platz überholte uns ein Junge mit dem Roller.

»Dagegen ist mein Pekinese ja ein Düsenjäger!«, sagte ich, aber Asterix war lauter.

Cornelius schwenkte seinen Strohhut munter grüßend durch die Gegend, bestaunt, belacht, bewundert, nur wenige schüttelten missbilligend den Kopf. Die meisten winkten. Manche fotografierten sogar.

Ich sah mir den albernen Mann neben mir an und überlegte, warum ich ausgerechnet mit ihm auf irgendwelchen Himmelschlüsselwiesen herumliegen und kakaotrinkend alt werden wollte. Sein Haar war für einen seriösen Herrn im Glencheck-Anzug eine Spur zu lang, aber entschieden zu kurz für den dummen Jungen, den er gerade spielte.

»Wem willst du das Schmuckstück denn andrehen?«, brüllte ich in den Motorlärm.

»Mir!«, brüllte Cornelius begeistert zurück. »Ist eine Mordsreklame für die Firma, du wirst schon sehen. Wozu habe ich denn mein Grafikgenie?«

»O Gott, was willst du denn schon wieder von mir?«

Ich ahnte Schlimmes. Cornelius beutete mein Zeichentalent hemmungslos aus. Mir ging es wie dem Wanderburschen im Märchen, dem der König unmögliche Aufgaben stellt, meistens drei, mit dem knappen Hinweis: »Wenn du es schaffst, kriegst du die Prinzessin. Wenn nicht – Kopf ab!« Im Märchen klappte es immer, denn irgendein hilfreiches Zauberwesen erbarmte sich im letzten Augenblick des Wanderburschen und ging ihm zur Hand. Ich musste es allein schaffen.

Natürlich – ich hatte es ja gewusst: »Du machst zwei große Plakate mit einer verrückten Karikatur und dem Text: Alle Welt liebt Grissinger! Damit schicken wir Asterix auf Werbetour. Heute Abend bringst du …«

»Heute Abend?!«, rief ich entgeistert. »Da sind ja noch nicht mal die Farben trocken!«

»Heute Abend«, wiederholte Cornelius unerbittlich, »bringst du mir zwei Entwürfe zur Auswahl mit, nur Skizzen, aber so deutlich, dass ich mir ein Bild machen kann. Lass dir was Lustiges einfallen! Die Leute sollen neugierig werden.«

»Wie Sie wünschen, Herr Grissinger«, murmelte ich und sah auf die Uhr. Ich hatte knapp zwei Stunden Zeit, mir etwas einfallen zu lassen und es gleich zu skizzieren. »Dann fahr mich schnell nach Hause, sonst musst du deine Scheidung allein feiern!«

Cornelius wendete das Vehikel. Ich fühlte mich wie nach einem Dreitageritt durch die Wüste, meine Sitzfläche tat weh. Nun begann auch noch schlagartig der Berufsverkehr, und wir gerieten in einen Stau.

»Wer kommt denn heute Abend alles?«, fragte ich in der Hoffnung, Cornelius’ Winkerei zu stoppen: Tatsächlich, er ließ sie sein. »Eine Menge Leute!«, antwortete er. »Terry Larsen natürlich. Evelyn und Katja. Die Hartmanns, die Hendersons …«

»… die Treuters, die Muxeneders, die Steinhügels«, leierte ich resigniert herunter, ich hätte ebenso gut sagen können: »Die Jasminduftstreichhölzers, die Puderdosenspieluhrens, die Wellenbettens, die Badewannenspringbrunnens, die Horrorsparkassens«, denn diese monströsen Scheußlichkeiten stellten jene netten Leute her; das heißt: ließen sie in ihren Betrieben herstellen. Und Cornelius, von allen ausgefallenen Dingen hell begeistert, vertrieb ihre Kuriositäten bis nach Amerika. Alle Welt liebt Grissinger.

Nun ja, mit allem hätte ich mich abgefunden, nur nicht mit den drei Blasmusikanten … »Und die Seibolds!«, platzte Cornelius in meine Gedanken.

»Was ist los?«

»Die Seibolds kommen auch. Zum ersten Mal. Büstenhalter mit eingebautem Duftbeutel. Vollwaschbar.«

»Wie praktisch«, sagte ich pflichtschuldigst. »Lässt du mich bitte aussteigen? Ich bin zu Hause.«

Asterix blieb schnaufend stehen.

»Steig doch!«, forderte mich Cornelius auf, nahm den Strohhut ab, um nun die Karoschirmmütze aufzusetzen. Rötliches Wellengewuschel fiel in die Stirn. Dann hupte er anhaltend und ließ seinen ganzen Charme explodieren. Die Leute blieben stehen. Ich bekam einen herzhaften Abschiedskuss.

»Bravo!«, rief ein Mann beifällig. »Wird das gefilmt?«

»Nee«, lachte Cornelius.

»Fürs Fernsehen?«, fragte ein Mädchen hoffnungsvoll.

»Auch nicht. Das ist alles ganz ernst gemeint.« Ich kletterte von Asterix, der leise blubbernd vor sich hin kochte, ich hoffte, er tat es nicht aus Wut. Cornelius warf mir einen Handkuss zu und rief so laut, dass man es bis zum Grunewald hören musste: »Übrigens: warum bist du eigentlich so fleckig? Kriegst du die Masern?«

Alle sahen mich an, ich wäre am liebsten in die Erde versunken.

Ein Motor heulte auf, schwarze Auspuffwolken umhüllten uns, ich fühlte mich erschöpft und glücklich zugleich. Was war das? Das war Cornelius – eine Naturgewalt. Bei aller verbreiteten Helligkeit viel Regen, viel Nebel, nur wenig Sonne. Wenig für mich. Zu wenig.

»Solange du Cornelius für eine Naturgewalt hältst, kriegst du weder dich noch ihn in den Griff!«

Marion, im zartgrünen Flatterchiffonkleid, mit hochgestecktem Haar, hockte vor meinem Kühlschrank und suchte vergeblich nach einem Leckerbissen. Sie war, genau wie ich, noch nicht zum Essen gekommen, denn sie hatte nach Geschäftsschluss zwei Kundinnen besucht und hasste es, hungrig auf eine Party zu gehen. Sie meinte, es sei unfein, fast den ganzen Abend lang begehrliche Blicke auf das kalte Buffet zu werfen, das falle auf, und es sei nun mal so: je vornehmer die Party, umso später das kalte Buffet. Das wisse schon der Säugling an der Mutterbrust.

Ein Jubelschrei verkündete, dass Marion den Rest Mettwurst gefunden hatte. Auch die zwei einsamen Ölsardinen.

»Ich will Cornelius gar nicht in den Griff bekommen«, sagte ich, tief über die Asterix-Skizzen gebeugt, um ihnen den letzten Schliff zu geben. »Dazu ist er eine viel zu starke Persönlichkeit.«

»Dass ich nicht lache!« Marion kostete von dem schalen Bier, schüttelte sich – ich konnte es von meinem Arbeitsplatz mit Genugtuung sehen! – und fuhr gutgelaunt fort: »Er ist bloß geschickt und hat einen Riecher fürs Geschäft. Und er spielt furchtbar gern den süßen Jungen.«

»Den spielt er nicht, er ist es!«, verteidigte ich Cornelius.

»Also auch noch infantil.« Marion aß Ölsardinen, und ich bedauerte einen Augenblick lang, dass sie nicht mit Zyankali präpariert waren. »Außerdem hört der Goldjunge schwer.«

»Cornelius hat Ohren wie ein Luchs«, widersprach ich entrüstet. »Der und schwer hören! Du suchst immer nur nach Fehlern bei ihm. Mag sein, dass er eine kleine Macke hat, aber keinen Fehler.«

Es schnurpste. Marion hatte sich die Mettwurst auf ein Knäckebrot gestrichen und verzehrte es mit Behagen, kam ins Zimmer geschlendert, steckte mir ein Stück in den Mund und ließ sich mit einem wohligen Grunzlaut in den Sessel fallen. Ich sah unruhig zur Uhr: die Zeit wurde knapp.

»Du solltest dich anziehen«, meinte Marion. »Tief Luft holen und dann auf zur Scheidungsfeier!«

Ich packte die Skizzen in eine Mappe und streckte mich erst mal ausgiebig. Mir tat der Rücken weh, am liebsten wäre ich ins Bett gegangen. Ich spürte Marions besorgten Blick. Sie hatte nie irgendwelche Schwierigkeiten. Liebeskummer oder ähnliche »unproduktive Dinge« kannte sie nicht. Sie blieb allein, und das aus purer Überzeugung. Ihr Kosmetiksalon ging ihr über alles. Und so würde es auch bleiben, egal, ob sie heiratete oder nicht. Marion wusste immer, was sie wollte.

»Wie lange willst du das noch durchhalten?« Damit meinte sie natürlich nicht meine Arbeit, sondern die Geschichte mit Cornelius. »Kratzt so was nicht mächtig am Selbstbewusstsein? Ich meine, dauernd weggeschubst zu werden?«

Ich begann meine Nägel zu feilen und versuchte, ihnen einen eleganten Schliff zu geben, was ziemlich aussichtslos schien, denn sie waren gespalten wie mein von Cornelius geplagtes Herz. Aber dafür gab es leider keine Feile.

»Kein Mensch wird hier weggeschubst«, antwortete ich bockig. »Und ums Heiraten geht es mir nicht, das weißt du.«

»Ja«, nickte Marion, nicht sehr überzeugt.

»Na ja, ein bisschen stört es mich manchmal schon, wenn sich Cornelius Hals über Kopf in irgendein Mädchen verliebt und vom Fleck weg heiratet.«

»Und sich im gleichen Tempo scheiden lässt«, ergänzte Marion. »Eine aufregende Freundschaft, das muss ich sagen!«

»Er liebt seine Eintagsfrauen eben nicht.«

Marion grinste. »So gesehen ist es eine Ehre, von Cornelius nicht geheiratet zu werden! Können wir bald abmarschieren?«

Ich merkte, dass sie außer dem Brotrest noch etwas anderes hinunterschluckte: eine bissige Bemerkung über Cornelius. Sie mochte ihn nicht, weil er – wie sie behauptete – ihr Gerechtigkeitsempfinden verletzte. Sie hasste Selbstherrlichkeit und patriarchalisches Gehabe. Doch sie tat ihm unrecht. Cornelius hatte nichts von einem Patriarchen; er respektierte die Eigenheiten anderer, vor allem meine, soweit sie seinen Lebenskreis nicht einengten. Gerade Marion hätte das verstehen müssen, denn in diesem Punkt war sie ihm sehr ähnlich. Aber nein, sie konnte ihn eben nicht leiden. Na gut. Und wenn sie sich auf den Kopf stellte: für mich blieb Cornelius der einzige Mann, um den es sich lohnte. Warum? Schwer zu sagen. Dass er zärtlich war, das allein machte es nicht. Oder doch? Nein, bestimmt nicht. Da war noch einiges mehr: gleiche Wellenlänge vielleicht. Sich durchschaut fühlen und doch nicht verspottet – wenn er nicht gerade seine biestige Tour bekam! Als wir das erste Mal miteinander ausgingen, in ein beängstigend feines Lokal, in dem ich mir wie in einem luftleeren Raum vorkam, sagte er plötzlich, als hätte er meine Gedanken erraten: »Bisschen steril hier, nicht?« Und dann gingen wir in eine gemütliche Kneipe, steckten die Köpfe zusammen und quatschten bis zur Polizeistunde. Cornelius passte nicht in diese Umgebung, er tat es meinetwegen und hätte es keinem anderen zuliebe getan. Er saß gern in gepflegten Räumen, immer mit dem Verlangen nach bester Qualität, in jeder Beziehung, nicht aus Snobismus, nein, möglicherweise aus einem bestimmten ästhetischen Empfinden. An ihm gemessen, besaß ich einen barbarischen Geschmack. Früher hatte ich den für einigermaßen erlesen gehalten. Ehrlich gesagt: ich habe nie begriffen, warum mich Cornelius liebte, wenn er mich überhaupt …

Ich sah Marion wartend an, kampfbereit, aber sie schüttelte den Kopf: »Ich sage kein Wort mehr gegen den Göttlichen. Meine Lippen sind versiegelt.«

Mein Widerspruchsgeist lief leer. »Er hat mich gefragt, ob ich die Masern habe«, sagte ich niedergeschlagen. »Das verdanke ich dir.«

Marion stand auf, nahm meinen Kopf zwischen ihre langen, schmalen Hände und meinte: »Aber jetzt bist du schön, Anschi. Glatt und frisch.« Es klang sehr herzlich. Trotzdem ärgerte es mich, dass Marion nicht zu erschüttern war. Eine Säule aus Marmor mit einem rosa Herzen, warm und weich.

Mir war plötzlich ganz jämmerlich zumute. »Was soll ich denn bloß machen?«, fragte ich ratlos.

»Schluss mit Cornelius«, erwiderte Marion. »Alpträume muss man verdrängen.«

Nein, ich wollte nichts verdrängen, wollte nur diesen Abend endlich hinter mich bringen. Ich zog mein »nachempfundenes Jugendstilkleid« an: gelbe Schmetterlinge auf tiefblauem Grund, alles schön bewegt, flatterhaft wie Cornelius’ Heiratsgedanken.

»Er hat bestimmt aus seinen Erfahrungen gelernt«, erklärte ich mit Entschiedenheit. »Machst du mir mal den Reißverschluss zu?«

Das Palais lag am Kleinen Wannsee, an einer ruhigen Allee, versteckte sich in einem parkähnlichen Garten und gab sich arrogant. Wenn man es aber näher kennenlernte, merkte man, dass es im Grunde ein netter Kerl war: kein Prachtbau, sondern ein anmutiges, einstöckiges Haus mit breiten Fenstern und zwei ausladenden Terrassen. Eine führte zum Garten, eine zur Auffahrt. Marion hatte das Haus einmal spöttelnd »das Palais« genannt. Dabei war es dann geblieben.

Als wir mit Marions Wagen vorfuhren, strahlte das Palais in festlicher Beleuchtung. Ein viel zu großes Haus für einenJunggesellen, der immer nur für wenige Monate Ehemann spielte!

Auf dem Weg zur Treppe hagelten Marions Ratschläge auf mich herab: »Halte dich zurück! Trink dir nicht gleich einen an, wenn Cornelius mit irgendeiner Jule herumflirtet.«

»Julen sind heute keine da«, sagte ich. »Nur der übliche Kreis von Geschäftsfreunden.«

Wir kannten uns alle einigermaßen, trafen uns regelmäßig zu Cornelius’ Hochzeiten und Scheidungen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb! – wäre ich am liebsten wieder umgekehrt, zurück zu meinem Zeichentisch, den Stiften und Pinseln. Plötzlich erstarrte ich: »Asterix!«

»Wie bitte?«

»Ich habe die Plakatentwürfe vergessen. Sie liegen auf dem Tisch.«

»Du vergisst noch mal deinen Kopf!«, stöhnte Marion. »Gib mir den Schlüssel, ich hole das Zeug.«

Marion brauste ab. Ließ mich mutterseelenallein vor dem Palais zurück, halbnackt in einem albernen Flatterkleid, mit lose umgehängtem, gepumptem Samtmantel, hungernd und frierend … Das Selbstmitleid feierte Triumphe.

»Hallo, Mäuschen!«

Terry Larsens Brille funkelte im Laternenlicht auf, er hakte sich unter und marschierte mit mir zum Palais.

»Die wievielte Scheidung feiern wir zusammen?«

»Die dritte«, antwortete ich. »Hoffentlich die letzte.«

»Das wäre fein, Mäuschen.«

Terry nannte alle Frauen, ob jung oder alt, dick oder dünn »Mäuschen«. Er war ein riesig netter Kumpel, Junggeselle aus Überzeugung (»Ein Junggeselle ist ein Mann, der eine Frau lieber im Kopf als am Hals hat – hahaha!«), und alles, was er anfasste, wurde zum Knüller. Ob er Bücher illustrierte, Kalender zeichnete, Gemälde oder Plakate malte, konservativ oder supermodern, Terry war immer eine Sensation. Er hatte genau das, was Cornelius an Menschen liebte: Erfolg.

Terry drückte verliebt meinen Arm – eine alte Masche von ihm, mehr Gewohnheit als Gefühl – und meinte geheimnisvoll: »Die nächste Hochzeit kommt bestimmt. Man munkelt, dass eine gewisse bildhübsche Grafikerin die endgültige Favoritin ist.«

»Bildhübsch? Dann können Sie mich wohl nicht meinen«, sagte ich.

Terry lachte. »Typisch Anschi!«, rief er amüsiert. »Alles immer unterspielen.«

Cornelius trat aus dem Haus, malerisch umflossen vom herausscheinenden Licht: lila Samtanzug mit gelber Schleife dazu, dezent und auffallend zugleich, Corneliuslook. Er war großartig – und leider wusste er das.

»Meine zwei liebsten Freunde!« Er kam uns mit weitausgestreckten Armen und dem, was man einen »federnden Schritt« nennt, entgegen. In Gedanken sah ich Marions ironisches Lächeln. Ich wischte es unwillig weg.

Große Begrüßung mit Schulterklopfen zwischen Cornelius und Terry. Innige Umarmung für mich, kurz, aber heftig. Ich gab ein schnelles Kommando an meine Knie, gefälligst nicht zu zittern, sie hatten sich das leider angewöhnt, seitdem ich Cornelius kannte. Acht Jahre Zitterknie …! Seit jenem Tag, an dem ich das verdammte Zeitungsinserat gelesen und mich gleich daraufhin vorgestellt hatte: »Alle Welt liebt Grissinger. Wir suchen jungen Grafiker oder Grafikerin für Werbeaufträge«. Es hatte auf Anhieb gefunkt. Auf beiden Seiten. Ich wurde »freiberufliche Werbegrafikerin« und freie Freundin. »Ein freies Leben führen wir …« Das ist aus den Räubern. Ich habe das Stück noch nie gemocht.

Cornelius sah sich um. »Wo ist unsere reizende Giftnudel?« Er meinte Marion, die er immer nur mir zuliebe einlud und die aus dem gleichen Grund mitkam. Die gegenseitige Antipathie wuchs mit den Jahren.

»Sie holt meine vergessenen Skizzen«, erklärte ich, legte den Kopf zurück und schritt die Treppe zwischen den beiden Männern hinauf, der einladend geöffneten Tür entgegen: ein Augenblick, wie aus meiner heimlichen Kitschecke. Rechts drückte Terry, links Cornelius meinen Arm. Alle drei waren wir feingemacht, wie geschaffen für die Reportage eines exklusiven Gesellschaftsmagazins: »Die bekannte Werbegrafikerin Angelika Benz, von ihren Freunden kurz Anschi genannt, in Begleitung des erfolgreichen Malers Terry Larsen und des Chefs der Grissinger-Company«.

Das Licht spielte auf meinem Gesicht, eine verwegene Locke wippte in die Stirn – und da rutschte mir der Samtmantel von den Schultern. Er gehörte Marion und war mir zu groß. Die beiden Männer gingen auf Tauchstation und wären fast mit den Köpfen aneinander geknallt. Ich stand wie ein begossener Pudel da, versuchte die Situation mit einem albernen Lachen zu retten, was alles noch schlimmer machte. Um das Unglück zu vervollkommnen, trat nun auch noch Adrian auf die Terrasse.

Adrian war Butler, Gärtner, Koch, Kammerdiener und Leibgarde, alles zusammen. Seine ständig demonstrativ zur Schau getragene Würde irritierte mich. Er merkte das und nützte das unfairerweise aus, was bewies, dass er doch nicht das war, wofür er gern gehalten werden wollte: ein Herr. Auch wenn er schon – wie er öfter durchblicken ließ – in sehr noblen Häusern gearbeitet hatte. Zwischen ihm und mir vibrierte immer eine feindselige Spannung; keine Ahnung, warum.

Cornelius hatte mir den Samtmantel wieder über die Schultern gehängt. Als Adrian ihn mir abnahm, bemerkte er den Staub, den der Mantel auf der Treppe abbekommen hatte, hängte ihn mit betonter Sorgfalt, aber angewidertem Gesicht auf einen der eindrucksvollen Brokatbügel in der Garderobe und blickte gelangweilt über mich hinweg.

Terry flatterte geschwätzig in den Trubel des Zimmers. Cornelius legte seinen Arm um mich und führte mich herum: zu den Hartmanns, den Hendersons, Treuters, Muxeneders, Steinhügels und – ja, auch zu den Neuen, den Seibolds. (Büstenhalter mit eingebautem Duftbeutel, vollwaschbar!)

Die Seibolds kamen aus Wien und benahmen sich auch so. Sie begrüßten mich mit überschwänglicher Herzlichkeit und lauten Entzückensrufen, beide weißhaarig (oder blond?), rundlich, mit vergnügten braunen Augen. Sie hatten Janne mitgebracht, ihre Tochter. Das störte mich etwas, denn Janne, von ihren Eltern »Jannitschku« genannt, war genau der Typ, auf den Cornelius flog: lebhaft, attraktiv und ständig über etwas hell begeistert.

Doch Cornelius wich keinen Schritt von meiner Seite. Was war in ihn gefahren?

»Anschi!«

Wie rührend, da waren sie wieder friedlich vereint: Evelyn und Katja, die beiden Ex-Ehefrauen, ehemals heftig streitende Rivalinnen. Evelyn war mir bei einem Faschingsball in die Quere gekommen, Katja während einer Segelregatta. Etwas später wurden sie »Frau Grissinger«, nacheinander natürlich, während ich unerschütterlich die Freundin des Hauses blieb. Auch als Cornelius Uschi kennenlernte. Das war auf einem Flug nach Amerika, den er ohne mich unternahm. Ich reiste nie mit Cornelius, weil ich meine Auftragsarbeiten pünktlich erledigen wollte. Außerdem brauchte ich das Geld, ich konnte mich schließlich nicht von Cornelius aushalten lassen. Damals war er freudestrahlend mit einem guten Geschäftsabschluss aus New York zurückgekommen. Und mit Uschi. Auf dem Flugplatz hatte er sie mir vorgestellt: »Fräulein Kaulechner, die Tochter des Weißwurstkonzerns in München.« Uschi sah aus wie eine glückliche Indianerin, doch sie sprach bayerischen Dialekt, was nur bedingt zusammenpasste. Trotzdem bekam sie Cornelius und ich zum Trost einen Werbeauftrag der Firma Kaulechner. Nach einigen Wochen begann der bayerisch-indianische Kontrast zu stören. Die Scheidung folgte auf dem Fuße. Uschi bekam eine großzügige Abfindung und ich meinen Cornelius zurück.

»Ist Uschi nicht hier?«, fragte ich.

»Sie leidet ein bisschen.« Evelyn und Katja machten verständnisvolle Gesichter. »Du weißt ja, wir waren bei unseren Scheidungspartys auch nicht dabei.«

Wie wahr, wie wahr!

Cornelius tätschelte beiden freundschaftlich die Wange und schob mich weiter.

Katja streckte die beringte Hand nach mir aus und bat: »Lass sie doch noch ein bisschen bei uns, wir haben uns lange nicht gesehen.«

Cornelius vertröstete sie: »Später, Kinder, später! Jetzt brauche ich sie dringend selbst.« Er küsste mich, und ich bekam wieder Kaugummiknie. Evelyn und Katja kicherten anzüglich. Das brachte mich noch mehr durcheinander. Adrian trug ein Tablett mit Getränken vorbei. Ich griff nach einem Glas Champagner und schüttete den Inhalt in mich hinein. Cornelius amüsierte sich darüber wie Bolle. Als ich das nächste Glas nehmen wollte, erinnerte ich mich an Marions Warnung und ließ es stehen. Was war nur mit Cornelius los?

Den Arm um meine Schulter gelegt, bugsierte er mich durch das Esszimmer, das sich in kerzenflammender Vornehmheit angeberisch spreizte, vorbei an Adrians Meisterwerk, dem kalten Buffet. Ich schielte sehnsüchtig nach dem saftigen Schinken, den appetitlichen Salaten. Mein Magen knurrte aufsässig.

Cornelius drängte mich weiter, strebte mit mir seinem Arbeitszimmer zu, was ich mit allerhand Tricks zu vermeiden suchte. Es nützte nichts: wir näherten uns dem Alptraum meines Lebens. »Ich muss dir etwas Wichtiges sagen, Anschi.« Cornelius öffnete die Tür, und wir standen zwischen den Blasmusikanten.

Das mit den Blasmusikanten hatte eine besondere Bewandtnis: Cornelius vertrieb nicht nur jasminduftende Streichhölzer, Puderdosen oder ähnliches, er handelte auch mit Kunst. In diesem Fall mit naiver Malerei. Eine Schar emsiger Künstler produzierte unermüdlich für Cornelius, vorausgesetzt, sie waren alle verrückt genug, Absonderliches zu malen. Er sorgte dafür, dass ihre Bilder als Originale oder handsignierte Serigraphien in alle Welt gingen, genau wie die vielen anderen Produkte, deren sich die Grissinger-Company annahm. Im ganzen Palais hingen sie herum, die naiv gemalten Bilder. Und was man da alles zu sehen bekam: in schreiendem Lila gemalte Rhododendronblütenmeere, auf denen Schiffe schaukelten, durch Vexierbilder krauchende, prähistorische Drachen und vor allem – die drei Blasmusikanten! Cornelius’ Lieblingsbilder. Meistgehandelte Werke eines offensichtlich närrischen Malers, der mit dem albernen Pseudonym »Hopsy« signierte. Alle seine Bilder zeigten die drei Blasmusikanten: einen Klarinettisten, einen Trompeter und einen Posaunisten. Immer dieselben! Man entdeckte sie malerisch gruppiert auf märchenhaften Zwiebeltürmen, fliegenden Teppichen, Drahtseilen, Mondraketen und Autodächern, an der Wiege eines holden nackten und darum erkennbaren Knäbleins, am Krankenbett einer moritatenähnlich gezeichneten sterbenden Mutter, man sah sie im Urwald, am Meeresstrand und in den Wolken schwebend, immer mit aufgeblasenen Wangen und riesigen Kalbsaugen in knallbunten Phantasiekostümen.

»Cornelius!«, flehte ich schwach und sank in einen Sessel. Keine Stelle an der Wand, an der diese Wahnsinnsgestalten nicht hingen! Sie verfolgten mich bereits im Schlaf, saßen nachts auf meiner Brust und machten lautlose Musik. »Können wir uns nicht woanders unterhalten?«

Cornelius tat, als hätte er nichts gehört. Er öffnete eine Sektflasche, es knallte gefährlich, dann goss er ein. Und sagte feierlich: »Du weißt, was mir Hopsy bedeutet.«

»Ja, ich weiß«, seufzte ich und kippte das zweite Glas Sekt. Cornelius litt zweifellos an einer Hopsy-Neurose! Sein größter Kummer war, dass er diesen Maler nicht kennenlernen konnte, ja nicht einmal seinen richtigen Namen wusste, denn Hopsy arbeitete mit einem Agenten namens Flusenberg. Und der hielt dicht. Darum vermutete Cornelius, dass sich hinter dem Pseudonym eine bekannte Persönlichkeit verbarg. Der Bundespräsident vielleicht? Der Kanzler? Karajan? Wer weiß, wer weiß.

Und dann sagte Cornelius mit ungewohnt samtiger Stimme: »Du musst dich an die Bilder gewöhnen, denn sie werden jetzt immer um dich sein. Tag für Tag.«

Das klang wie eine Drohung, war aber eindeutig ein Heiratsantrag. Heiliger Pinsel …

»In deinem Arbeitszimmer kannst du aufhängen, was du willst«, antwortete ich mit standhaftem Lächeln, »aber auf dem oberen Gang und im Schlafzimmer sollten die Hopsys verschwinden.« Hiermit hatte ich den Antrag angenommen.

Cornelius zog mich aus dem Sessel, umarmte mich, wusste nicht, wohin mit seinem Glas, stellte es auf den Schreibtisch, nahm mir das meine ab, setzte noch einmal zur Umarmung an, trat unvermittelt einen Schritt zurück, ließ die Arme sinken, sah mich anklagend an und sagte: »Nein!« Sein Blick bekam etwas Feindseliges. »Nein, nein, nein!«

»Was nein?«

»Die Bilder bleiben, wo sie sind. Sie gehören zum Charakter des Hauses wie –«, und dann etwas leiser: »Wie du zu mir.«

»Darauf kann ich mir aber nicht viel einbilden«, sagte ich enttäuscht und goss mir noch ein Glas ein.

Und er: »Darauf kannst du dir sogar eine Menge einbilden! Denn ich würde lieber auf das Haus verzichten als auf die Bilder.«

»Und auf mich ebenfalls, nicht?«

»Ja«, gab Cornelius zu. Vielleicht mehr aus Trotz als aus Gleichgültigkeit, aber genau wusste ich es nicht.

Ich setzte mich wieder, um nachzudenken. Merkwürdig! Da nimmt man jede noch so unzumutbar scheinende Schwierigkeit auf sich, ohne aufzumucken, nur weil man glaubt, jemanden zu lieben. Vielleicht ist es die Hoffnung, die flexibel macht. Erfüllt sich aber diese Hoffnung, schaltet sich ein Störsender ein. Alles, was einem der andere getan hat, steht plötzlich überdeutlich vor Augen, wie von grellen Scheinwerfern beleuchtet; Empörung vernebelt den Verstand, Halsstarrigkeit setzt sich durch wie bei einem alten Esel. Drei Rivalinnen hatten mich nicht umgeworfen, doch mit ein paar lächerlichen Bildern konnte ich angeblich nicht leben! Ein Vorwand? Oder eine Art von Machtprobe?

»Sie oder ich!«, forderte ich eigensinnig. Und ahnte, was Cornelius antworten würde. Er konnte gar nicht anders:

»Schade, Anschi!« Und wandte sich ab. Nie hatte weniger zwischen uns gestanden als in diesem Augenblick, und nie war das Wenige unüberwindlicher.

Schade, Cornelius.

Ich betrachtete kummervoll seine Rückseite: leicht gewelltes Haar im Kupferton, ein wenig nach rechts geneigter Kopf – ja, er hörte wirklich ein bisschen schwer, aber nur auf dem einen Ohr, und er überspielte es meisterhaft –, lila Samtanzug über breiten Schultern; Schultern zum Anlehnen, Arme zum Wegstoßen. Cornelius.

Im Esszimmer nebenan Gelächter, zwischen uns eisige Stille. »Es weht ein kalter Wind, wo wollen wir unsere Herzen wärmen?« Keine Ahnung, wer das mal gesagt hat! Drei Musikanten blasen die Backen auf und spielen an einem Grab. Ihre weit aufgerissenen Augen sehen mich hämisch an.

Ich versuchte es zum letzten Mal. »Nur auf dem oberen Gang«, bat ich. »Oder wenigstens im Schlafzimmer. Bitte, Cornelius!« Keine Antwort. Ich ging hinaus.

Gedrängel um das kalte Buffet.

»Anschi, die Krabben lassen bitten!« Katja und Evelyn winkten mir zu, Neugier im Blick. »Was ist mir dir und Cornelius? Seid ihr euch einig?«

Keine spürbare Eifersucht der Ex-Ehefrauen. Keine Liebe mehr für Cornelius? Wie ist das möglich? Wie kann so etwas aufhören? Wie –?

»Ja, wir sind uns einig.«

»Also da wollen wir doch von ganzem Herzen …« Sie stellten die Teller ab, um mir zu gratulieren, ihr Eifer hatte etwas Rührendes; ich unterbrach ihren Begeisterungsausbruch.

»Wir sind uns einig, dass es mit uns nicht klappt.«

»Wie bitte? Woran liegt denn das?«

»An den Blasmusikanten«, erwiderte ich knapp. »Und überhaupt …« Ich flüchtete mich in die Garderobe und stand plötzlich vor Adrian. Er fragte mich lediglich durch erstaunt hochgezogene Augenbrauen, ob ich gehen wollte. »Ja«, antwortete ich auf die stumme Frage. Und da klingelte es Sturm: Marion!

Sie merkte gleich, dass etwas nicht in Ordnung war. »Kaum lässt man dich allein, gibt’s auch schon eine Katastrophe!« Sie war außer Atem, als wäre sie zu Fuß quer durch Berlin gelaufen. »Doch nicht wieder eine neue Heiratsjule?« So pflegte sie die zukünftigen Grissinger-Frauen zu nennen.

»Nein«, erwiderte ich.

Adrian stand hochaufgerichtet neben uns, wartete mit ausdruckslosem Gesicht auf Marions Mantel und rührte sich nicht. Sie machte ihm ein Zeichen zu verschwinden, was er umgehend tat. Das grenzte an ein Wunder und konnte nur von Marion vollbracht werden.

Wir zogen uns tiefer in die geräumige Garderobe zurück, umgeben von Tapeten-Paradiesvögeln.

»Wo hast du nur so lange gesteckt?«, fragte ich nervös.

Marion war noch schnell mal in ihre Wohnung gegangen, um ihre Magentabletten zu holen. Sie bekam oft Sodbrennen, und wenn sie die Absicht hatte, sich tüchtig »den Wanst vollzuschlagen«, musste sie vorher und nachher je eine Tablette nehmen.

»Und warum hat das so lange gedauert?«

»Weil das Telefon klingelte, gerade als ich gehen wollte. Und wer, glaubst du, war dran?«

»Günter Grass?«, fragte ich ins Blaue, weil ich wusste, dass Marion eine Schwäche für ihn hatte.

»Tante Melanie«, erwiderte sie.

»Tante Melanie?«

»Aus Kunkelsbeuren. Die dort das alte Haus hat, in dem ich als Kind in den Ferien war. Ich habe dir schon oft von ihr erzählt.«

»Keine Ahnung.«

»Weil du nie zuhörst.«

Ich bekam eine gepfefferte Moralpredigt, weil ich nicht wusste, wer Tante Melanie war und wo Kunkelsbeuren lag. Da stand ich mit einem Messer in der Brust und musste mir die Lebensgeschichte einer alten Tante anhören!

»Tante Melanie hat ihren Jugendfreund wiedergetroffen, den Friedemann Gadischke, der sie damals verlassen hatte. Und jetzt wollen sie heiraten.«

»Herzlichen Glückwunsch. Wer –?«

»Tante Melanie und Friedemann Gadischke.«