Kriegsbriefe 1943 - 1945 an seine Frau - Heinrich Kaumann - E-Book

Kriegsbriefe 1943 - 1945 an seine Frau E-Book

Heinrich Kaumann

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Beschreibung

Die Briefe, die Heinrich Kaumann von der Ostfront 1943 - 1945 an seine Frau Hildegard wöchtlich mehrmals schrieb, haben sich trotz der Kriegswirren erhalten. Sie sind ein authentisches Dokument des ab 1943 unvorstellbar verlustreichen Kriegsverlaufs und dem zermürbenden Bangen um seine in Berlin ausgebombte Familie. Durch Einfügungen von Hintergrundinformationen entsteht ein Gesamtbild des Kriegsgeschehens in weiten Teilen Europas.

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Seitenzahl: 722

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Heinrich Kaumann, 1939

Hildegard Kaumann, geb. Noth, 1931

Herausgegeben von Herta Kaumann-Harsch und Gudrun Kaumann-Munoz

Inhalt

Vorbemerkungen

Fotoserie: Kaukasus

Kapitel

Rußland,

Kuban-Brückenkopf, August 1943

Kapitel

Krim,

November 1943

Ukraine

Nikolaijew, Dezember 1943

Kapitel

Ukraine

Nikolaijew, Januar 1944

Fotoserie: Familie, Eltern, Geschwister, Freunde

Kapitel

Rumänien

Braila, April 1944

Kapitel

Rumänien

Targu Ocna, Juni 1944

Kapitel

Ungarn

n, Sowata, Gengeß, September 1944

Kapitel

Slowakei

Tyrnau, November 1944

Anhang 1:

Zusammenfassung von Informationen aus den Briefen

Anhang 2

: Gudruns Erinnerungen an Kriegsende und Flucht Fotos: Schlutow, Gnoien, Hagen

Anhang

3: Brief Arthur Noth vom September 1945

Anhang 4

: Briefe Hildegard an Heinrich Kaumann 11/1943 - 08/1944

Vorbemerkungen

Übersichtskarte: Rückzug 1943-45 vom 1) Kaukasus/Rußland über 2) Maikop, 3) Kuban-Brückenkopf, 4) Krim, 5) Nikolajew/Ukraine, 6) Braila/Rumänien, 7) Targu Ocna/Rumänien, 8) Sowata/ Ungarn, 9) Gengeß/Ungarn 10) Tyrnau/Slowakei nach 11) Aalen-Neuler/Deutschland.

Dr. Heinrich Kaumann (1909 – 1989) schrieb während des Zweiten Weltkrieg mehrmals wöchentlich an seine Frau Hildegard, geb. Noth (1908 – 1997). Der erste erhaltene Kriegsbrief ist vom 5. 8. 1943, der letzte vom 21. 1. 1945. Die in Sütterlinschrift handgeschriebenen Briefe wurden von ihm selbst 1972 mit wenigen Schwärzungen und gelegentlichen Einfügungen (hier durch […] gekennzeichnet) versehen, offensichtlich für spätere Leser. Anmerkungen zu den Briefen von seinen Töchtern Herta und Gudrun von 2020 erscheinen kursiv. Die Informationen über Kriegsschauplätze, Personen etc. sind Wikipedia u.a. entnommen. Briefe vor Aug. 1943 existieren nicht mehr. Sie wurden vermutlich bei der Bombardierung der Berliner Wohnung Weimarische Str. 17 im August 1943 vernichtet. Die vorhandenen Briefe sind an Hildegard Kaumann in Werder/Havel adressiert, wo die Familie nach Verlust ihrer Berliner Wohnung lebte. Die Briefe, die Hildegard Kaumann an ihren Mann schrieb, sind teilweise ebenfalls erhalten, vom 3. 11. 1943 – 11. 8. 1944. Sie sind im Anhang aufgenommen. Die vorliegenden Briefe wurden mit anderen Dingen Anfang 1945 vermutlich in Werder deponiert und nach dem Krieg an die Familie nach Hagen/Westfalen gesandt. An die Tränen von Hildegard beim Öffnen dieser Pakete kann sich Gudrun noch erinnern.

Beruflicher Werdegang

Die ersten Briefe stammen aus der Zeit, als Heinrich Kaumann als Intendant beim V. Armeekorps in Rußland stationiert war. Nach dem Abitur hatte er Offizier werden wollen, was als Brillenträger nicht möglich war. Nach dem Jura-Studium in Dresden und Innsbruck entschied er sich stattdessen für die Heeresverwaltung. Nach der militärischen Grundausbildung in Stuttgart-Bad Canstatt wurde er Referent beim Oberkommando des Heeres - Heeresverwaltungsamt - im Bendlerblock in Berlin-Tiergarten von 1938 bis Sept. 1939 (Brief 12. 4. 44). Nach Beginn des zweiten Weltkriegs war er in Paris und Kopenhagen stationiert. Danach arbeitete er bei dem 1941 gegründeten Wirtschaftsstab Ost in Ostpreußen (Brief 22. 5. 44). Ab Mai 1942 ging er zur kämpfenden Truppe nach Rußland. Seine Berufsbezeichnungen variieren: zunächst war er Divisionsintendant, später wurde er Intendant beim Armeekorps, und zwar stellvertretender Heeresgruppenintendant, sein Rang war Oberstabsintendant und später Oberfeldintendant, allgemein Intendanturrat. Eine Intendantur war eine militärische Verwaltungsbehörde, die die Truppe in allen materiellen Bedürfnissen (außer Waffen und Munition) zu versorgen hatte. Intendanten waren Verwaltungsbeamte, keine Offiziere (am 1. 5. 44 geändert, Brief 11. 2. 44). Bei jedem Armeekorps bestand eine Korps-, bei jeder Division eine Divisionsintendantur. An der Spitze der ersteren stand ein Korpsintendant, die Vorstände der Divisionsintendanturen waren ihm untergeordnet. Nach Wikipedia lautete die Rangfolge beim Heer: 1 Generaloberstabsintendant (vergleichbar einem Dreisterne-General); 2 Generalstabsintendant/ Ministerialdirektor (Zweisterne); 3 Generalintendant/ Korpsintendant (Einstern)(Dr. Loosch und Dr. Geier); 4 Oberstintendant (Oberst); 5 Oberintendanturrat (Oberstleutnant).

Zum Kriegsgeschehen in Rußland seit 1942 und zum Rückzug vom Kaukasus

Am 5. April 1942 befahl Hitler als Oberbefehlshaber des Heeres: a) die den Sowjets noch verbliebene Wehrkraft endgültig zu vernichten in einem Kessel westlich von Stalingrad und b) ihnen die kriegswichtigsten Kraftquellen zu entziehen durch Einbruch in den Kaukasus und Inbesitznahme der russischen Ölfelder. Im Rahmen der Sommeroffensive des Jahres 1942 (Fall Blau) begann die Wehrmacht im Juli einen Vorstoß in Richtung Kaukasus, mit dem Ziel der Einnahme der Ölfelder von Maikop, Grosny und Baku. "Wenn ich das Öl von Maikop und Grosny nicht bekomme, dann muß ich den Krieg liquidieren", verkündete Hitler am 1. Juni 1942. Innerhalb von 2 Wochen stießen die zur Heeresgruppe A zusammengefassten deutschen Verbände bis zu 500 Kilometer vor. Anfang August gelang die Einnahme der Ölfelder von Maikop, wobei die dortigen Anlagen beim Rückzug der sowjetischen Verteidiger jedoch nachhaltig zerstört worden waren. Am 21. August 1942 wehte auf dem Gipfel des Elbrus, dem mit 5.633 Metern höchsten Berg des Kaukasus, die deutsche Reichskriegsflagge. (Am 17. 2. 43 wehte dort wieder die sowjetische Fahne). Die gewaltigen Raumgewinne hatten erhebliche Nachschubprobleme an Treibstoff und Munition zur Folge. In den unwegsamen Bergregionen konnte der Transport nur mit Maultieren erfolgen, größtenteils durchgeführt von berittenen Kosakeneinheiten, die als Hilfstruppen an der Seite der Deutschen gegen die Rote Armee kämpften. Es gelang den deutschen Einheiten nicht, sich den Weg zu den Ölfeldern von Grosny freizukämpfen. Auch scheiterte aufgrund wachsenden sowjetischen Widerstands der Versuch, über die Kaukasuspässe an die Ostküste des Schwarzen Meers vorzudringen. Mit der Einschließung der 6. Armee bei Stalingrad (Operation Uranus) entstand Ende November 42 ernste Gefahr für die südlich des Don stehenden Truppen. Nachdem auch der Entsatzangriff (Anm.: Entsatz ist eine besondere Gefechtshandlung, um eine eingeschlossene Truppe von außen zu befreien) zur Befreiung der eingeschlossenen 6. Armee in Stalingrad (Unternehmen Wintergewitter) von der Roten Armee abgewehrt worden war, erteilte Hitler den Befehl zum Rückzug aus der Kaukasusregion, der am 31. Dezember 1942 begann.

Der Rückzug vom Kaukasus in Frost und Schlamm dauerte 3 Monate. [Unvorstellbares Inferno! Ich habe im Schlamm watende, weinende Soldaten gesehen] (Konrad,S. 43). Ziel war die Auffangstellung auf der Halbinsel Taman (= Kuban-Brückenkopf, siehe unten). Im Nachlaß von Heinrich Kaumann befindet sich ein Buch von R. Konrad: „Kampf um den Kaukasus“ (Copress-Verlag Hoffmann & Hess, München 1954). Das Buch wurde ihm 1955 von Dr. Loosch (s.u.) zum Geburtstag geschenkt, er habe es aber erst 1983 gelesen und versah es mit einigen handschriftlichen Anmerkungen, so zum Beispiel:

[Unüberlegter u. deshalb völlig unsinniger! Kampf um den Kaukasus. Ich habe teilgenommen als Intendant der 4. Geb. Div. (verantwortlich für die Versorgung von ca. 10.000 Soldaten mit Verpflegung und Bekleidung sowie für das Futter (am schwierigsten das Heu!) der ca. 2.000 Tragtiere – Pferde oder Maulesel). Heinrich Kaumann. Ich wurde am 1. 5. 1942 Divisionsintendant bei der 4. Gebirgsdivision im Mius-Abschnitt (Soldbuch u. Wehrpass).- Am 14. 3. 43 verließ ich die 4. Gebirgsdivision, um Intendant des V. AK (5. Armeekorps) auf der Krim zu werden.]

Angaben aus einem Artikel von Oberstabsintendant Dr. Kaumann: „Verpflegungsnachschub im Hochgebirge“ (aus: Die Heeresverwaltung, Heft 4, Berlin April 1943) über seine Tätigkeit bei der 4. Gebirgsdivision im Kaukasus: „Es wurden 9 Versorgungsstützpunkte mit Bergverpflegungsausgabestellen eingerichtet, die höchste auf etwa 1600 m, von denen aus die Truppe mit ihren eigenen Tragtieren und Trägern [russ. Kriegsgefangene] das Vorbringen der Verpflegung in die Stellungen übernahm“. Kommentar Heinrich Kaumanns von 1981: [Das von Hitler befohlene Ziel - Küste des Schwarzen Meeres bei Suchumi - konnte wegen des nicht zu realisierenden Nachschubs aus Munition, Tragtier-Futter, Verpflegung, Bekleidung, ärztl. Versorgung nicht erreicht werden. Das war dem Verfasser (Kaumann) bei der Bekanntgabe des Führerbefehls sofort klar.]

Dazu ein Artikel von Oberst Alex Buchner „Kaukasus-Kampf scheiterte am Nachschub“: „Die 4. Geb. Div. hatte im Hochkaukasus unter schwierigsten Weg- und Transportverhältnissen täglich 30 t Versorgungsgüter zu befördern... So wurden im Laufe der Zeit - größtenteils aus dem Land - 200 Ochsengespanne, 2000 Tragtiere und 900 Träger mobilisiert, wozu noch 3 Kettenkradkolonnen kamen.“ Im Brief vom 23. 2. 1981 von Heinrich Kaumann an seine Tochter Herta: „Alle die genannten Umschlagstellen u. Verpfl. Stützpunkte mit ihren von russ. Kriegsgefangenen erbauten Blockhäusern als Vorratsräume (es waren viele Hunderte) wurden befehlsgemäss von meinen eigenen Leuten im Februar 1943 an einem strahlend schönen, windstillen Wintertag (meterhoher Schnee) verbrannt. Es war eines meiner erschütternsten Erlebnisse des Krieges, als ich die riesigen Rauchsäulen auf der Rückfahrt ins Tal mit einem Kettenkrad hinter mir sah. Es war das Fanal zum Beginn des Endes“. Gudruns Frage nach dem Schicksal der Gefangenen beim Rückzug blieb von ihm unbeantwortet.

Es gibt zwei Fotos von Heinrich Kaumann, die im Winter 1942/43 im Kaukasus-Gebirge aufgenommen wurden. Es sind die einzigen privaten Fotos von ihm von der Front.

Dr. Heinrich Kaumann (links) als Intendant der 4. Gebirgsdivision mit Armeeintendant Dr. Heinrich Geier (18951975) im Kaukasus-Gebirge im Winter 1942/43 neben einem Kettenkrad-Anhänger

Winter 1942/43 Heinrich Kaumann (rechts) und Träger [russische Kriegsgefangene] auf dem Wege zum vorgeschobenen Stützpunkt 1564 m im Kaukasus. Für die Gefangenen ließ er mit Hilfe seines befreundeten Kollegen Kaldrack insgeheim festes Schuhwerk kommen.

Das Buch von R. Konrad „Kampf um den Kaukasus“ enthält einen umfangreichen Bildteil von E.W. Rümmler. Darin sind Fotos von Heinrich Kaumann handschriftlich gekennzeichnet worden als Aufnahmen von seiner 4. Gebirgsdivision. Sie sollen deshalb hier als Ergänzung zu den beiden persönlichen Fotos wiedergegeben werden.

Im Winter 1942/43 habe ich bei meinen Besuchen in vordersten Stellungen auf Skiern diese Hänge befahren.

bis zum baldigen Zusammenbruch

Inferno

Unvorstellbares Inferno! Ich habe Soldaten weinend zuückgehen sehen.

Bei der Durchsicht der Briefe 1972 wurde von Heinrich Kaumann selbst eine Liste mit den Themen einiger Briefe vorangestellt. Für das Jahr 1943: 24.08.43 Traute Kämpf, Brunhilde Flothmann; 1./2.9.43 Gudrun u. Zerbombung der Winklerstr. 17 (Weimarische Str. 17!); 08.11.43 Gedanken an Nicht-Rückkehr; 10.11.43 Nicht an eine „Wunderwende“ glauben; 28.11.43 Kritik an meinem häufigen Stellenwechsel; 05.12.43 Freude am Lernen.

Beim ersten Brief vom 5. 8. 1943 gibt es eine 1972 hinzugefügte handschriftliche Ortsangabe: [14.3.43 - 20.11.43 beim V. Armeekorps stationiert in einem Dorf bei Maikop/westlicher Kaukasus]. Diese nachträgliche Ortsangabe ist zweifellos ein Irrtum. Die Stadt Maikop liegt am Übergang vom hügeligen Kaukasusvorland in die Kubanniederung (siehe Karte). Die vom Kaukasus zurückziehenden Truppen passierten Maikop bereits am 25.1. - 28.1.1943, zogen weiter und erreichten am 3. April 43 die Halbinsel Taman an der Straße von Kertsch, den sogenannten Kuban-Brückenkopf, ein Auffanggebiet für mehr als 200.000 Soldaten. Hier gab es zwischen dem 5. Armeekorps und den russischen Truppen verlustreiche Kämpfe um die Stadt Krymsk, am 5. Mai 43 von den Sowjets erobert, und um die Hafenstadt Noworossijsk, dem südlichsten Ort des Kuban-Brückenkopfes. Sie wurde am 16. September 43 von den Russen endgültig erobert (Leonid Breschnew nahm daran teil). Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß im August 43 Heinrich Kaumann als Intendant des 5. Armeekorps nicht mehr in Maikop, sondern auf der Taman-Halbinsel, dem Kuban-Brückenkopf, in der Nähe von Krymsk oder im Raum Noworossijsk am Schwarzen Meer war.

I. Kapitel: Rußland: Kuban-Brückenkopf August 1943

5. 8. 43.(Erster erhaltener Brief)

Mein sehr geliebter Peter!

So nannte er seine Ehefrau. Mit dem Namen Peter hatte es folgende Bewandtnis: Nelly Noth, Hildegards Mutter, nannte alle ihre Kinder Peter mit diesem Kosenamen. Sie wurde mal von einem Besucher gefragt, ob wirklich alle vier den gleichen Namen hätten. Vielleicht gefiel Heinrich Kaumann dieser Kosename für seine Frau, weil er in ihr auch einen „Sportskameraden“ sah, der seine sportlichen Interessen teilte, (auch seine Mutter war eine zupackende Frau gewesen), so war Hildegard Sportlehrerin, Segelfliegerin, fuhr Ski und sogar Motorrad.

Heute danke ich Dir für 3 Deiner Briefe, v. 29.7. mit Luftpost u. vom 23. u. 25.7. mit einfacher Post. Das war wohl auch eine große u. freudige Überraschung für Dich, plötzlich Frau Oberfeldintendant geworden zu sein (Oberfeldintendant entspricht Oberregierungsrat bzw. Oberstleutnant). Ich habe mich ja stets im Stillen gefreut, daß Du, im Gegensatz zu vielen Beamten- u. Offiziersfrauen, nicht ehrgeizig auf Beförderungen wartest oder darüber sprichst. Im übrigen hattest Du es früher erfahren als ich selbst, - Dein kleiner Dienstweg über Lotti [Kaldrack] funktioniert ausgezeichnet; auch war mir die zahlenmäßige Verbesserung meines Gehalts nicht bekannt u. ich hatte nur mit 30-40 Rm monatlich mehr gerechnet.

Hellmut Kaldrack war ebenfalls bei der Heeresverwaltung, wurde stellvertretender Armeeintendant wie Heinrich Kaumann. Hellmut u. Lotti waren gute Freunde auch noch nach dem Krieg bis zu ihrem Lebensende. Gudrun: Nach dem Krieg wurden wir nach Hoffnungstal bei Köln geschickt, um Ferien zu erleben, denn das Elternhaus von Lotti Kaldrack mit einem großen Garten war nicht zerstört worden. Dort lernte Gudrun Fahrradfahren und Weihnachten 1946 oder 1947 bekamen wir einen Roller aus Hoffnungstal, der aus Soldatenhelmen zusammengeschmiedet war.

Ich danke Dir auch herzlich für Deine so vernünftigen und guten Betrachtungen über meine Eltern u. vor allem meine Mutter (Otto-Heinrich Kaumann, geb. 1868 – 1946 in Dresden, Kriegsgerichtsrat u. 1. Staatsanwalt; Pauline Kaumann, geb. 11. 8. 1872 als Gutsbesitzertochter in Wehrsdorf – 19. 10. 1944 gestorben in Dresden). Bisher hatte ich im allgemeinen vermieden, mich mit Dir darüber auszusprechen, aber ich sehe aus dem, was Du mir schreibst, daß Du der Kamerad bist, mit dem man über alles sprechen kann u. soll.

Wie habt Ihr Euch in Berlin wieder zurechtgefunden? Die Bequemlichkeit der Wohnung, die wir ja Beide so sehr lieben, wird Dir nicht unangenehm sein. Wie schön, daß Gudrun (erste Tochter, geb. 13. 5. 1940) schließlich so mutig in das Wasser ging. Wenn es auch eine Kleinigkeit ist, so bin ich doch manchmal davon betroffen u. muß einem gütigen Geschick dafür danken, daß Du mir immer nur Gutes berichten kannst u. uns das Glück bisher so hold war. So ist es ja auch wieder mit meiner Beförderung.

Gestern habe ich eine der uns unterstellten Divisionen eingehend auf meinem Gebiet inspiziert u. war sehr zufrieden. Wenn Ihr doch mal sehen könntet, mit welchen einfachen, ja primitivsten Mitteln hier Gutes geleistet wird. So z.B. die große Instandsetzungswerkstatt dieser Division für Bekleidung und Schuhwerk mit Wäscherei. Frauen sitzen in einer ausgeräumten Bauernkate und stopfen Strümpfe, - eine Arbeit, die sie erst lernen müssen. Stopfpilze werden selbst gefertigt. Die Regale zur Lagerung der fertigen Bekleidung in einer Lehmscheune aus unbehauenen Stämmchen, aber alles in vorbildlicher Ordnung ausgerichtet. Und ich bilde mir ein, auf diesem Gebiet nicht ohne Gedanken zu sein, sodaß ich doch manchen Rat geben kann.

Traurig ist, was man über Hamburg hört: Zwei Herren der unmittelbaren Umgebung total geschädigt. (Operation Gomorrha war der Codename für eine Serie von Luftangriffen, die von der Royal Air Force und der Air Force der USA vom 24. Juli bis zum 3. August 1943 auf Hamburg ausgeführt wurden. Begünstigt durch besondere Witterungsbedingungen entfachten die Flächenbombardements einen verheerenden Feuersturm, dem schätzungsweise 34.000 Menschen zum Opfer fielen). Ich kann nur immer wiederholen, unseren Haushalt weitgehendst zu dezentralisieren. Und solltet ihr nicht bei Anneliese unterkommen können, so hat sie sicherlich Platz für einige Koffer und Kisten voll Sachen.

Anneliese und Ernst Heinrich, Obersturmbannführer, Landrat des Kreises Namslau/Schlesien, ehem. Schulfreund (1 Jahr älter) der Dreikönigsschule Dresden, bewohnten ein großes Haus mit Garten in Namslau. Heinrich Kaumann setzte sich wohl mit der möglichen Bombardierung seiner wertvoll eingerichteten Berliner Wohnung in der Weimarischen Straße auseinander und wollte Dinge retten, falls es dazu käme wie in Hamburg. Die Absicht, Dinge nach Schlesien zu schicken, zeigt allerdings, dass er nicht voraussah, dass dieser Teil Deutschlands verloren gehen würde. Gudrun erinnert sich an Ernst und Anneliese Heinrich: Nach dem Krieg haben wir Heinrichs im Sauerland besucht. Sie hatten in ihrem Haus eine Bar, an der wir Kinder Limonade bekamen. Unser Vater hat danach endgültig den Kontakt zu ihnen abgebrochen. Er war entsetzt, dass Ernst Heinrich ein überzeugter Nazi geblieben war.

Versuche doch einfach mal anzurufen!! Kann man nicht Koffer als Reisegepäck aufgeben, wenn Gertrud hinfahren würde. Im übrigen habe ich von Anneliese auch noch nichts gehört.

Gertrud war das Hausmädchen. Alle Mädchen von 17 – 23 Jahren waren in der NS-Zeit dienstverpflichtet, die „Pflichtjahrmädel“, vergleichbar dem sozialen Jahr. Eine deutsche Mutter mit einem Kind hatte Anrecht auf eine Haushaltshilfe. Bei Gudruns Geburt war es Jutta, die hatte gekündigt, weil sie zu wenig mit dem Baby zu tun bekam. Danach wurde Gertrud engagiert, Tochter eines kinderreichen schlesischen Landarbeiters. Sie war mit in Prerow, danach in Werder).

Vielen Dank auch für den Süßstoff. Du bist mir aber bitte nicht böse, wenn ich ihn wieder beilege. Denn als ich las, daß es 550 g Zucker bedeutet, da ist mir klar geworden, daß Ihr für Einkochen usw. ihn viel nötiger braucht als ich. Wir haben ja hier alles u. leben sehr gut. Gerade mit Hinsicht auf die schweren Luftangriffe habt Ihr es viel schwerer als wir hier bei meinem Korpsstab. Wir haben jetzt Tag u. Nacht Ruhe, u. wenn Bomben kommen, krabbeln wir in unseren Bunker, der 90% sicher ist, falls überhaupt zufällig was drauf fallen sollte. Nur wenn wir mal nach vorn fahren, kann es in der Nähe donnern. Gestern stand ich auf einem Baumbeobachtungsstand, auf dem ich die ganze Front bei einem im Wehrmachtsbericht aus unserem Abschnitt sehr oft genannten Städtchen Kr. (Krymsk?) übersehen konnte mit russ. LKW.

Hast Du für September Wohnung in Prerow (Fischerdorf auf der Ostsee-Halbinsel Darß) gemietet?

7. 8. Mein Geliebtes!

Da unser bombengeschädigter Oberstveterinär auf Urlaub morgen fliegt u. in 3 Tagen in Berlin sein will, habe ich den Brief so lange zurückgehalten. Unterdessen ist sehr wenig hier geschehen, was Berichtenswert wäre u. ich Dir vor allem schreiben kann (Zensur!). Täglich sind wir in Sorge um den Wehrmachtsbericht, wie viel ist anders geworden seit dem letzten Jahr. Überall verzweifelte Abwehr gegen den schon zehnmal totgesagten Russen. Es gehört viel dazu, nicht die Hoffnung zu verlieren.

Aber wenn ich traurig bin, freue ich mich jedesmal über Deine entzückende, liebenswürdige Aufnahme, auf der Du so schelmisch, lockend u. prickelnd mich anschaust. Ich bin in dieses Bild verliebt, wie ich es in Dich bin u. zwar so, wie wohl nie. Ich küsse meine geliebte Ehefrau in großer Sehnsucht so fest und zärtlich, wie du magst, Dein Heiner.

(Alle Briefe werden mit Sehnsuchts- und Zärtlichkeitsbekundungen beendet. Das war durchaus zeittypisch und wegen der entbehrungsreichen Kriegssituation verständlich. Es könnten aber auch Wiedergutmachungsbeteuerungen gewesen sein. Denn Heinrich Kaumann hatte während der Besatzungszeit 1940/41 in Paris eine Affaire mit einer jungen Pariserin Henriette gehabt, wovon seine Ehefrau erfuhr. Henriette blieb unverheiratet und kinderlos und wurde von ihrer Familie geächtet, weil sie Kontakt mit einem Wehrmachtsangehörigen gehabt hatte. Deshalb kümmerte er sich auch nach dem Krieg um sie und traf sie regelmäßig, wenn er dienstlich in Fontainebleau war, zum Kummer seiner Ehefrau. Auf seine Bitte besorgte Henriette 1956 für Gudrun eine Ferienunterkunft in Paris. Gudrun traf sie einmal zum Spaziergang. „Sie war eigentlich so wie eine Sekretärin, schlank, dunkelhaarig, Rock und Bluse, Stöckelschuhe“).

Am Ende dieses Briefes ist ein aus einer Zeitschrift ausgeschnittenes Foto ohne Datum aufgeklebt. Handschriftliche Erklärung:

[Links Oberst Hörl Rgt Kdr 91, Rechts General Kress in Noworossijsk. Dazu Notiz am 15.8.72: Hinsichtlich General Kress (rechts) siehe Brief v. 12. 8. 43. Oberst Hörl (Ritterkreuz-träger) links degradiert zum einfachen Soldaten vom „Führer“ im Herbst 44, weil er einen völlig sinnlosen Brückenkopf am Dnjepr aufgab ohne Befehl]

Der Kuban-Brückenkopf, so genannt nach dem Fluß Kuban, der im nördlichen Kaukasus entspringt und ins Asowsche Meer mündet. Der Brückenkopf war die Taman-Halbinsel, die wie die westlich gegenüberliegende Krim, das Asowsche Meer vom Schwarzen Meer trennt. Sie liegt östlich der Straße von Kertsch. (Seit 2018 gibt es eine Brücke zwischen Taman und Krim). Die Wehrmacht besetzte Anfang August 1942 die Taman-Halbinsel beim Vormarsch auf den Kaukasus. Bis Oktober 1943 verblieb das Gebiet als Brückenkopf in deutscher Hand, um den Rückzug der Wehrmacht aus dem Kaukasus auf die Krim zu decken. Sie wurde nach dem Rückzug der Truppen aus dem Kaukasus gehalten, um einen erneuten Angriff auf die Ölquellen des Kaukasus zu ermöglichen. Nach dem allgemeinen Rückzug des deutschen Ostheeres auf die Panther-Wotan-Linie wurden die im Brückenkopf befindlichen Truppen über die Straße von Kertsch auf die Krim evakuiert.

Noworossijsk, eine Hafenstadt am Schwarzen Meer an den westlichen Ausläufern des Kaukasusgebirges, war 1942/43 Schauplatz heftiger Kämpfe. Noworossijsk war der östlichste Punkt an der Schwarzmeerküste, bis zu dem die deutsche Wehrmacht in der Sommeroffensive 1942 vordrang, die hier von den sowj. Truppen abgewehrt wurde.

12. 8. 43.

Mein geliebter guter Peter!

Heute morgens um 7 h haben wir General Kress, meinen früheren Divisionskommandeur auf dem hiesigen Heldenfriedhof begraben.

General Hermann Kreß (1895-11.8.1943) führte ab Oktober 1942 als Nachfolger von General Eglseer die 4. Gebirgs-Division beim Einbruch im Kaukasus und beim fehlgeschlagenen Angriff auf Tuapse an der Schwarzmeerküste. Ab April 1943 führten seine Truppen im Rahmen des V. Armeekorps Abwehrkämpfe im Raum Noworossijsk, wo General Kreß im August 1943 Opfer eines sowjetischen Scharfschützen wurde. Er wurde in Krassno Medwedowskaj, 20 km nordwestl. von Noworosysk, beigesetzt. Foto: rechts Internet, links Rümmler in R. Konrad: „Kampf um den Kaukasus“

Wenn ich einen Vorgesetzten, außer Heufer (Paul Heufer (1886 – 1968) Generalstabsintendant seit 1.11.41) [Generalintendant u. Abt.-Leiter f. Bekleidung des Heeres im Obkdo des Heeres-Heeresverw. Amt-Berlin] wie einen väterlichen Freund vermißt habe, so war er es; stets heiter, auch in den schwierigsten Tagen des Rückzugs, immer zu sprechen und hilfsbereit, ein warmes Herz auch für den jüngsten Landser, kurz Eigenschaften, die sehr selten sind bei einem Kommandeur. Wenn ich mich bei ihm meldete u. den vorgeschriebenen Vers, z.B. „Oberstabsint. Dr. Kaumann meldet sich gehorsamst zum AK versetzt“, herunterbetete, so kam ich nur bis zu den ersten Worten, bei denen er einem schon die Hand zum Gruß hinhielt und herzlich einen festen und kameradschaftlichen Händedruck gab. War ich zum Vortrag bei ihm, so kam er mir vor wie ein treusorgender Hausvater, der bis in alle Einzelheiten mit seiner Hausmutter (das war ich) Verpflegung und Kleidung seiner Kinder besprach und sich beraten ließ. Ihm verdanke ich mit meine vorzeitige Beförderung und wollte ihm dafür in diesen Tagen danken.

Er fiel vorn in der vordersten Stellung. Mit einem rum. (rumänischen) Oberst beim Besuch dessen Truppen ging er dort, wo sonst am Tage der Landser wegen Feindeinsicht u. Beschuß von den nur 400 m entfernten Stellungen im allgemeinen nicht geht. Als die ersten Kugeln der Scharfschützen pfiffen, sagte er noch lachend zu dem Rumänen: „Jetzt wirds erst interessant“ und nicht weit davon traf ihn eine Kugel mitten in den Kopf. Ohne Bewußtsein starb er nach ganz kurzer Zeit. Gottlob ist er nicht verheiratet, sondern lebt mit seiner Schwester in Füssen. Er war begeisterter Bergsteiger, u. ich weiß noch gut, als er 8 Tage nach der Übernahme der Division mich lobte, weil ihm die Btls-Kde (Batallions-Kommandeure) von meinen so häufigen Besuchen oben im Gebirge erzählten. Ich hatte nur mehr Glück im Gang durch die Stellungen. Es sind an einem Grab wohl selten so ehrlich dankbare Worte gesprochen worden wie an diesem; packend die in deutscher Sprache vorgetragene Schilderung des rum. Oberst u. div. Kdr., wie General Kress fiel.

Bei nochmaligem Lesen Deines Luftpostbriefes vom 4. d. M. fällt mir ein, daß ich Kaldrack gern für seine kameradschaftliche Hilfe für Dich danken möchte, weiß aber seine F.P. (Feldpost) Nr. nicht, bitte schreibe sie mir doch.

Nach dem Begräbnis war ich zum Baden an der Steilküste [des Schwarzen Meeres]. Das Meer war fast spiegelglatt. Immer wieder tauchte ich mit offenen Augen draußen, wo die See etwa 10 m tief ist u. war begeistert, mit welcher Schönheit u. Farbigkeit man die Tangbäume, dann gleichsam dunkle Schluchten, aber leider keinen Fisch sah. Von solcher Klarheit erlebte ich nur mit Dir das Wasser an der Adria (auf der Hochzeitsreise in Jugoslawien): „O wärst Du da“.

14. 8. 43. Ich wartete auf Post von Dir, um Dir dafür zu danken; deshalb verzögerte sich die Absendung des Briefs. Nun kam heute ein Nachzügler, der vom 28. 7., der so anschaulich die Lehrmeisterei K.`s (Kaldracks) schilderte. Seine Frau wird es einmal später, wenn sie noch mehr erwachsen ist, nicht leicht haben u. kann sich hoffentlich durchsetzen. Wie von mir vermutet, stellt er die Wichtigkeit seines Postens beim Korps entsprechend heraus; dabei ist es dort ebenfalls nicht anders wie hier, d.h. bestimmt nicht mehr Arbeit, oder aber er macht sich krankhaft welche.

Ich wäre Dir dankbar, wenn Du mir etwas über Deine Wohnung in Prerow schreiben würdest: Ist`s eine abgeschlossene Wohnung mit einer offenen oder geschlossenen Veranda, ist Platz für Gertrud da; wie wird es mit dem Heizen, oder soll es kein Winterquartier werden; wer achtet auf unsere Berliner Wohnung usw. Nimmst Du nicht auch die Schreibmaschine mit nach P., denn etwas ausführlicher werden dann Deine Briefe.

Bei uns ist z.Zt. wieder eine schauderhafte Hitze. Mein Fieberthermometer zeigte heute um 13 h im Schatten 36 C an. Früher gab es bei 24 C im Schatten hitzefrei in der Schule. So gehe ich fast nur noch in Badehose, obwohl mein Rücken darüber nicht begeistert ist u. mit leichtem Ziehen reagiert. Die geringste Bewegung läßt einen sofort stark schwitzen, sodaß ich mich fast 5 mal täglich völlig abwasche. Auch nachts fehlt die Kühlung.

Durch den langen Aufenthalt an der See müßten sich doch Gudrun u. Herta famos entwickelt haben. Und Du Dich sicherlich auch. Ich bedaure, daß ich Dich in Deiner Bräune nicht besichtigen u. erleben kann. Ich habe oft unbändige Sehnsucht nach einem „Urlaub“ (nicht Erholung) bei Dir wie im Mai. Seewasser soll ja für die Schönheit des weiblichen Körpers besonders vorteilhaft sein, - nach Guy de Maupassant.

Mit diesen Gedanken (Schwärzung) Dein Heiner. Eine Frage: denkst Du an meinen völlig verschlissenen Waschlappen?

16. 8. 43.

Mein geliebter Peter!

Morgen früh fährt wieder ein Urlauber ab; es sind solche, die erst im Januar das letzte Mal in der Heimat waren. So sind die Urlaubsaussichten besser geworden. Da ich weiß, daß Du in diesen Tagen in Berlin sein wolltest, verfolge ich besonders den Wehrmachtsbericht, der ja gottlob von einem Angriff auf Berlin noch nichts berichtet. Das wesentliche Interesse muß sich nach wie vor auf Sizilien konzentrieren; ich sehe dort den Angelpunkt des künftigen Geschehens, u. jeder Tag, den wir doch halten können, ist gewonnen. Geht man von der Annahme aus, daß sich der Russe bei seinem Anstürmen erschöpfen wird, so würden dann Kräfte, vor allem Luftwaffe für den ital. Schauplatz frei. Die nächsten 4 Wochen werden über vieles entscheiden.

Italien im Zweiten Weltkrieg: Im Oktober 1922 hatte Benito Mussolini und seine Gefolgsleute (Fascisti) nach dem Marsch auf Rom die Macht übernommen. Mussolini wandelte das Königreich in einen totalitären Staat um und setzte sich selbst als Duce (Führer) an die Spitze des Staates. Durch verschiedene Abkommen verbündete Mussolini sich mit dem Deutschen Reich und Adolf Hitler. Im Juni 1940 trat Italien auf der Seite Deutschlands und Japans (Achse Berlin-Rom-Tokio) in den Zweiten Weltkrieg ein.

Landung der Alliierten auf Sizilien August 1943

Die deutsche Haltung gegenüber dem ehemaligen Bündnispartner war von Vergeltung geprägt. Die NS-Führung reagierte auf den „Verrat“ Italiens mit der Gefangennahme der italienischen Armeeeinheiten und der Besetzung Nord- und Mittelitaliens sowie der italienisch besetzten Gebiete in Frankreich, in Griechenland und auf dem Balkan. Die Regierung unter Badoglio floh nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Rom in den bereits von den Alliierten befreiten Teil Süditaliens. Italien wurde durch die militärische Lage faktisch geteilt. Über 600 000 italienische Kriegsgefangene wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt. Schwere Misshandlungen, schlechte Ernährung und Unterbringung führten zum Tod von mehr als 25 000 der Italienischen Militärinternierten in deutscher Gefangenschaft. Tausende italienische Militärangehörige wurden in Konzentrationslager deportiert. Bei italienischen Truppen, vor allem auf den griechischen Inseln und auf dem Balkan, die Widerstand leisteten und sich den Partisanen anschlossen, erfolgte die Ermordung der Offiziere und ganzer Verbände der italienischen Armee, allein auf der griechischen Insel Kefalonia ermordete die Gebirgsjägerdivision „Edelweiß“ mehr als 5000 italienische Militärangehörige.

In 14 Tagen ist das vierte Kriegsjahr zu Ende, in einem Kriege, der nun wieder die gesamte Welt umfaßt. Vielleicht hat der Pfarrer, der Herta taufte, doch recht, daß Gott mit dieser wahnsinnigen Welt nichts mehr zu tun haben wolle. Es ist wohl auch vermessen, an ihn wegen des Ausgangs dieser Wahnsinnshandlungen zu beten.

Solch Gedanken kommen einem, wenn es Sonntag ist, der sich durch nichts von einem Wochentage unterscheidet, u. den nur die russische Zivilbevölkerung fröhlich erlebt. Sie haben Arbeitsruhe, sitzen vor ihren Häusern und singen ununterbrochen ihre zugleich schwermütigen u. fröhlichen Lieder, in ihrer getragenen Melodie, die so weit über das Land klingt u. deshalb zu diesen großen Räumen paßt. Wenn dieser Krieg uns nicht gezwungenermaßen hierher führen würde, so würde ich im Frieden sehr gern hier leben. Es gibt wohl keine fruchtbarere , schönere u. klimatisch angenehmere Landschaft wie diese hier. Fast jeder Tag ist sonnig, monatelang fällt kein Regen u. doch genügten die Frühjahrsregen, um alles gedeihen zu lassen. Und nachts ist es meist so kühl, daß man angenehm schlafen kann. Zu alledem auch noch die Nähe des Meeres, in dem bis Mitte Oktober gebadet werden kann.

Heute nachmittags will ich zusammen mit dem Quartiermeister [ein Major] zur Armee [milit. Führungsstab mit einem General als Befehlshaber] mit dem Storch fliegen; es ist nur knapp 20 Minuten weit, während der PKW etwa 3 ½ Std auf nicht sehr guter u. schrecklich staubiger Straße braucht.

Fi 156, Fieseler “Storch”, ein propellergetriebenes Flugzeug der Gerhard-Fieseler-Werke in Kassel, das erstmals 1936 flog. Der “Storch”, wie er wegen seines hochbeinigen, starren Fahrgestells genannt wurde, wurde im gesamten Zweiten Weltkrieg als Verbindungs-, Beobachtungs- und Sanitätsflugzeug an allen Fronten eingesetzt. Seine großzügig verglaste Kabine erlaubte ausgezeichnete Rundumsicht. Der Fieseler ”Storch” ist bekannt durch seine extremen Kurzstart- und Landeeigenschaften. Die Mindestfluggeschwindigkeit lag unter 50 km/h; zum Starten reichten bei Gegenwind 50 Meter aus und zum Landen 20 Meter. Aufgrund des hochbeinigen Fahrwerks konnte der Storch auf fast jedem Gelände landen. Bei entsprechendem Gegenwind konnte der Storch sogar in der Luft stehen und sich rückwärts bewegen. Nach Einsätzen im spanischen Bürgerkrieg flog die Fi-156 von 1939 bis 1945 in allen Wehrmachtstellen.

Nachdem nun auch mein 1. Mitarbeiter vom Urlaub zurück ist, ist die Abteilung vollzählig u. damit verteilt sich die Arbeit nochmals. Ich setze aber immer einen von beiden Mitarbeitern für auswärtige Sonderaufgaben ein, vor allem Schulung von Beamten. - Mit unserer Ordonnanz [Gefreiter oder Unteroffizier] war ich in letzter Zeit sehr unzufrieden, er war lustlos u. träge. So riß mir die Geduld u. ich tauschte ihn mit einem Mann des Verpfl. Amts meiner alten Div. aus, wo er zum richtigen Arbeiten Gelegenheit hat. So was ist in dem Stab, wo die Gefreiten, Ordonnanzen, Fahrer sich z. T. (zum Teil) seit vor Kriegsbeginn herumdrücken, noch nicht dagewesen u. hat ziemlich Staub aufgewirbelt. - Mangels positiver Arbeit habe ich Schach spielen gelernt, verliere aber noch meist. Wie verbringst Du in Prerow Deine Abende? Hast du Bekanntschaften geschlossen? Mit meinem Quartiermeister vertrage ich mich jetzt recht gut; es ist günstig, daß ich nun ranghöher bin, u. er auch zur Kenntnis genommen hat, da ich ihm jede Anmaßung genau so zurückgebe, wie er sie versucht anzubringen.

Z. Zt. wird ein Bunker für mich u. meinen 2. Mitarbeiter, mit dem ich dort eines von den beiden Häusern [= Bauernkaten (Holz mit Strohdach)] bewohne unter das Haus miniert. Ein 4 m tiefes Loch als Eingang wird gegraben u. von dessen Boden aus eine 2 m x 1,80 m große Kammer, in der wir bequem schlafen können; dann haben wir über 2 m gewachsenen Boden über uns, den auch eine 500 kg Bombe kaum durchschlägt.

Um 20:30. Nun bin ich vom Flug schon wieder zurück, der herrlich war. Der „Storch“ ist wirklich eine Luftdroschke, - ein freies Feld, u. schon landet er. Am Abend erhielt ich noch den Kartengruß von Kaldrack, Lotti u. Dir, anscheinend von einer gemütlichen kleinen Feier. „O wär ich da“. Sicher wird Kaldrack auch längst wieder draußen sein. Der Wehrmachtsbericht lautete heute doch etwas günstiger, u. wie ein … am Strohhalm gewinnt man wieder Auftrieb. Küsse meine sehr von mir geliebten Töchter statt meiner sehr lieb, grüße sie herzlich u. nimm viele zärtliche und sehnsüchtige Küsse von Deinem Heiner

20. 8. 43.

Mein liebster Peter!

Als man uns gestern abends den Film „Opernball“ (gedreht 1939, mit Paul Hörbinger, Theo Lingen, Hans Moser u.a.) vorführte, wurde ich durch die entzückend spielende Heli Finkenzeller sehr an Dich erinnert. Sie trägt das Haar hoch gekämmt, und wenn ich sie von hinten sah, glaubte ich Deinen Rücken u. denselben Haaransatz in Nacken wie bei Dir vor mir zu haben. Es sind die wenigen widerspenstigen u. flaumigen Häarchen im Nacken, die ich so liebe, wenn Du kurz vor dem Ausgehen Dein Haar hochkämmst. Einige kurze Bilder in solch einem Film können einem nach der Wirklichkeit so sehnsüchtig machen, daß man fast traurig wird.

Morgen, am Samstag, starte ich nach der Krim [über die Meerenge von Kertsch] u. komme etwa am Mittwochabend zurück. Hoffentlich hat die Reise den gewünschten Erfolg (sein Wunsch nach Versetzung). Das Wetter ist seit Wochen ohne Tropfen Regen und die täglichen Wettermeldungen sprechen kurz nur „weiterhin Hochdruckwetter“.

Von Vater (Otto-Heinrich Kaumann) erhielt ich Glückwünsche zu meiner Beförderung. Er hatte ja bei Dir anzurufen versucht, um Dir anläßlich der Räumung Berlins ein Asyl anzubieten. Da aber Flatows noch dort sind u. auch bleiben werden, ist der augenblickliche Zustand idealer. Dann berichtete er vom Tode des Mannes von der Tochter v. d. Trenks, der vor Orel gefallen ist. Die Verluste reißen doch in fast jeder Familie empfindliche Lücken. (Orel oder Orjol, 350 km sw. von Moskau, war von 1941 bis 1943 von den Deutschen besetzt; am 5. August 1943 von der Roten Armee zurückerobert. Die Stadt wurde beim Rückzug der deutschen Truppen im Rahmen der Taktik der Verbrannten Erde vollständig vernichtet).

Z. Zt. ist bei uns die Traubenernte im Beginnen. Gestern erhielt meine Abteilung (5 Mann) 36 kg, die wir in wenigen Tagen verzehren werden. Es bekommt uns ausgezeichnet. Auf die Krim werde ich mein Zelt mitnehmen u. gedenke an der Steilküste eine Nacht darin zu bleiben. Dann schicke ich es aber mangels Bedarfs als Dienstpaket nach Haus, allerdings nach der Winklerstraße, da Du ja nicht da bist, oder besser noch nach Dresden. Dann bin ich bei einer etwaigen Versetzung beweglicher, die mich ja nur zu ortsfesteren Dienststellen führen könnte.

Mein Allerliebstes, eben erhalte ich Deinen so ausführlichen Luftpostbrief v. 15. d. M., der im allgemeinen so zuversichtlich schreibt. Ich danke Dir für all diese umsichtigen Vorbereitungen u. Maßnahmen. Deinen Bericht über Annelieses Brief im Einzelnen habe ich noch nicht. Aber es wird doch besser sein, wenn Ihr im Winter dorthin (Namslau, Schlesien) flüchtet. Ihr habt Euch doch bisher gut verstanden u. werdet es künftig auch. Bei gegensätzlichen Meinungen wirst Du so klug sein, vieles zurückstecken zu müssen, denn wir sind nun mal auf Gastfreundschaft angewiesen. Immerhin schlage ich vor, daß Ihr in Prerow bei Euren Spaziergängen regelmäßig etwas Leseholz mit nach Haus nehmt, sofern das erlaubt ist. Es sind das ungewöhnliche Maßnahmen, aber wir können von den Russen lernen, wie lange man auf solche Weise erträglich leben kann.

Dieser Hauptmann Fest (ehem. Nachbar in der Weimarischen Str.) ist wirklich rührend, wie er für uns mit sorgt. Ist Frau Müller (ehem. Nachbarin) auch „geflohen“? - Hoffentlich nahmst Du die Schreibmaschine mit nach Prerow, damit ich noch mehr solch ausführliche Briefe erhalte.

Nimm tausend liebste u. zärtliche Küsse von Deinem Heiner, der dich unendlich lieb hat. Küsse unsere beiden Töchter ganz lieb von mir.

24. 8. 43.

Mein über alles geliebter Peter!

Soeben komme ich von der viertägigen Reise auf der Krim zurück und finde Deine Briefe v. 9. u. 18. 8. mit samt den netten Fotos, für die ich Dir herzlichst danke. Am 18. 8. schreibst u. sagst Du mir, daß Du mich lieb u. Sehnsucht nach mir hast: Ich wollte Dich schon bitten, mir das wieder einmal schriftlich zu bestätigen, wenn man es auch fühlt u. weiß, so liest`s sich doch gern. Nach den Fotos haben sich unsere Töchter ganz prächtig entwickelt u. daß nicht etwa nur … ein hübsches u. fröhliches Bild von Dir zaubern kann, beweist die Aufnahme in Nellys Garten (Berlin, Winklerstraße). Es waren ja auch so frohe Tage für uns!

Nun bin ich seit der heutigen Meldung vom Luftangriff auf Berlin um Dich in Sorge, denn ich weiß u. glaube nicht, daß Du schon wieder in Prerow warst. Ungeduldig warte ich auf Deine Nachricht, hoffentlich mit Luftpost. Nun hat mir Major Lessing, im Zivilberuf Gutsbesitzer in Gegend Kottbus, eine Ausweichunterkunft für Euch angeboten. Bestechend ist die Nähe u. gute Verbindung nach Berlin. Das Nähere, wieviel Zimmer, genaue Lage usw. schreibe ich Dir noch. Er hatte in meiner Abwesenheit hier angerufen u. Deine Anschrift erbeten. Lessing u. ich kennen uns von gemeinsamen schweren Aufgaben im Kaukasus; er ist Divisionsnachschubführer, d.h. Gewaltiger über alle motorisierten und bespannten (?) Kolonnen der Div., so daß wir viel miteinander zu tun hatten. Er war ein großer Gegner von Kullak, der wohl sehr umständlich u. bürokratisch gewesen sein muß. Auch jetzt nach meinem Ausscheiden aus der Division bin ich mit Lessing oft u. gern zusammen. Du mußt Dich sicherlich nun entscheiden, wo Ihr über Winter bleiben wollt: Annelies, Prerow oder Lessing. Das Beste wird sein, Du siehst Dir die Unterkunft bei Lessing einmal an.

Nun ein kurzer Bericht über meine Reise [über Meerenge Kertsch zur Krim].

Deutsche Eroberung der Krim 1941/42

Am 8. April 1783 wurde die Krim formell von Katharina II. „von nun an und für alle Zeiten“ als russisch deklariert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Sewastopol zum Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte ausgebaut. 1921 wurde die Krim zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) innerhalb Sowjetrusslands ausgerufen. Sie blieb somit vom Festland, der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik, verwaltungstechnisch getrennt. Schon kurz nach Beginn des Deutsch-Sowjetischen Krieges ordnete Stalin am 18. Juli 1941 die Vertreibung von fast 53.000 Krimdeutschen „auf ewige Zeiten“ an, um deren befürchtete Kollaboration mit den Invasoren zu verhindern. In aller Eile mussten sie das Nötigste zusammenpacken und wurden, zusammengepfercht in Viehwaggons, hauptsächlich nach Kasachstan transportiert. Viele starben schon an den Strapazen der tagelangen Fahrt.

Die Schlacht um Sewastopol 1941- 42: Im Herbst 1941 besetzte die deutsche Wehrmacht auf ihrem Feldzug Richtung Osten die Halbinsel Krim. Einzig die Festung Sewastopol konnte von der Roten Armee gehalten werden. Zwischen dem 30. Oktober und Anfang November 41 versuchten deutsche Truppen erfolglos, Sewastopol einzunehmen. 250 Tage vermochten die russischen Verteidiger der Belagerung zu widerstehen. Anfang Juni 1942 wurde der zweite großangelegte Versuch zur Eroberung der Festung Sewastopol gestartet. Nach äußerst verlustreichen Kämpfen wurde Sewastopols am 4. Juli 1942 erobert. Ein Berliner Korrespondent berichtete wenige Tage später: „Die Stadt Sewastopol, die an der Reede prachtvoll gelegen ist, bietet das Bild trostloser Verwüstung. Sie muss von Grund auf neu gebaut werden. Es steht kein Haus mehr, das bewohnbar wäre. Die Häuser sind entweder ausgebrannt oder nur noch Trümmerhaufen.“ Als Berichte von Frontsoldaten über den Widerstand der Sowjetsoldaten auch in Rundfunk und Presse erschienen, verbot Propagandaminister Joseph Goebbels kurzerhand jede positive Hervorhebung des sowjetischen Gegners, unter dem Hinweis, dass es sich „beim Widerstand der Bolschewisten überhaupt nicht um Heldentum und Tapferkeit“, sondern allein um die „durch einen wildwütigen Terror zur Widerstandskraft organisierte primitive Animalität des Slawentums“ handele. Und er fand es „außerordentlich gefährlich,“ daß zum Ausdruck gekommen sei, „daß auch die Sowjets eine Idee hätten, die sie zum Fanatismus und heroischem Widerstand begeisterten und sie vor keinen Entbehrungen und Anstrengungen im Interesse der Kriegführung zurückschrecken ließen.“ Mehr als 10.000 sowjetische Soldaten fielen in diesem Kampf und vom 7. Juni bis 4. Juli 42 gingen etwa 97.000 russische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Insgesamt kostete die Eroberung der Krim vom Angriff auf Perekop bis zum Fall von Sewastopol der deutschen Wehrmacht über 96.000 Mann, darunter neben 21.600 Toten und Vermissten, etwa 74.000 Verwundete. Wenn etwa 19.000 Opfer der rumänischen Armee hinzukommen, kann man die Verluste der Achsentruppen 1941–1942 auf der Krim auf etwa 115.000 Mann festlegen. Tausende sowjetische Soldaten und Zivilisten leisteten noch bis in den Spätherbst 1942 erbitterten Widerstand gegen die Wehrmacht.

Ab dem 11. Dezember 1941 ermordete die Einsatzgruppe D der Sicherheitspolizei und des SD in Zusammenarbeit mit Wehrmachtseinheiten u. a. im Simferopol-Massaker oder im Massaker von Feodossija fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Krim. Die Krim sollte mit Bezug auf die germanischen Krimgoten als Gotengau annektiert und mit Südtirolern besiedelt werden, wozu es infolge des Kriegsverlaufs allerdings nicht kam.

Nach dem Übersetzen fuhr ich mit dem Volkswagen gen Westen, die große Straße. Bei einem Versuch, in (der Stadt) Kertsch Hans Kaumann, den Sohn der jetzigen Gäste meiner Eltern oder besser nur meiner Tante zu besuchen, traf ich ihn nicht mehr, da seine Einheit seit 7. 5. verlegt wurde. Zwischenunterkunft für eine Rast machte ich in der ersten großen Hafenstadt der Südküste [Feodosia]. Die Ortskommandantur hat dort eine vorzügliche Unterkunft für höhere Offiziere geschaffen, sogar mit einem Badezimmer mit ordentlicher Badewanne, das ich auch auf der Rückfahrt nach den staubigen Straßen gern benutzt habe. Am nächsten Morgen Start um ½ 6 h nach der Hauptstadt [Simferopol]. Der Weg führt durch wundervolles Gebirge u. alte Dörfer, alle eingerahmt von riesigen Pappeln auf recht guten Asphaltstraßen, die noch aus der Russenzeit [Zaren!] stammen. Nach meinen Verhandlungen mit einem vorgesetzten Intendanten (Generalintendant Loosch s.u.), die wohl Erfolg haben werden (Wunsch nach Versetzung), hatte ich einen freien Nachmittag, den ich zur Fahrt nach dem nur 30 km entfernt gelegenen Bachtschissaraj, der früheren Hauptstadt der Tartaren benutzte. Es ist dort ein vor etwa 400 Jahren gebauter Khanpalast, dessen Inneneinrichtung mit feinen Haremszimmern, verschwiegenen Höfen u. Repräsentationsräumen interessant u. sehr schön ist. Herrlich die aus Gold geschnitzten u. gemalten Facettendecken, Fenster mit venezianischer Glasmalerei usw.

Tschufud-Kale auf der Krim (Fotos: Internet)

Ebenso interessant die alte Burg von B., genannt Tschufud-Kale (tote Stadt), auf einer großen, wild vorspringenden Bergnase mit wilden Abbrüchen nach allen Seiten. 4000 Menschen haben dort seit 800 n. Chr. gewohnt, vor den Tartaren auch Goten; erstere haben die Festung um etwa 1300 erobert. Die Räume sind zum Großenteil in den Sandsteinfels gehauen.

Skizze Heinrich Kaumann Tschufut-Kale/Krim: Kapelle (tatarisch), Osttor, Westtor, Wald, Straße

Nach Osten zu schützte eine große Mauer die Burg. Im Norden führt ein alter Weg in einem 200 m tiefen Tal vorbei. Von diesem aus sieht man die schwarzen Fensterhöhlen unter der oberen Begrenzung der Felsen. Es wirkt fast schauerlich, vor allem wenn (man) erfährt, daß sie ihre geköpften Leichen dort hinuntergestürzt haben, z. B. untreue Haremsfrauen. Etwa 1800 ist die Stadt von seinen Bewohnern verlassen worden.

Auf der Rückreise führte mein Weg erst nach Norden in die Ebene der Krim, die recht fruchtbar, z. Zt. aber auch versteppt ist. Es war eine wahnsinnige Hitze. Obwohl ich schon braun im Gesicht war, bin ich jetzt rot verbrannt, sodaß ich mit Rasieren aussetzen muß. Wieder Übernachten in F. [eodosia] u. gestern nach Haus. Der Wehrmachtsbericht macht mir große Sorge nach dem Aufgeben von Charkow. Es kann sich auch auf uns auswirken.

Charkow im Nordosten der Ukraine ist nach Kiew die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Im Oktober 1941 von den Deutschen erobert war Charkow als Verkehrsknotenpunkt und wegen seiner Rüstungsindustrie mehrmals heftig umkämpft. Die letzte Schlacht um Charkow (Belgorod-Charkower-Operation) begann am 12. August 1943 mit einer Offensive der Roten Armee. Hitler forderte, die Stadt „unter allen Umständen“ zu halten. General Kempf, der schon am 14. August für eine Räumung der Stadt plädierte, wurde durch Hitler seines Kommandos enthoben und durch General Wöhler ersetzt, der aber auch für eine Evakuierung votierte. Die heftigen Kämpfe forderten auf beiden Seiten hohe Verluste (70.000 russ. Soldaten tot oder vermisst, 10.000 deutsche Soldaten tot oder vermisst). Hitler hatte die unbedingte Verteidigung der Stadt gefordert, wurde aber im Generalstab überzeugt, die Erlaubnis für den Rückzug zu erteilen. Die russ. Truppen versuchten am 22. August vergeblich, die Evakuierungsrouten der deutschen Verbände zu blockieren und konnten den relativ geordneten Rückzug der Wehrmacht nicht verhindern. Am 23. August wurde schließlich das weitestgehend geräumte Charkow von Truppen der Roten Armee endgültig eingenommen. Das von beiden Seiten als Prestigeobjekt angesehene Charkow hatte während des Krieges mehrmals den Besitzer gewechselt. Diese letzte Schlacht um Charkow wird auch als „Vierte Schlacht um Charkow“ bezeichnet.

Von v. d. Trenks fand ich auch einen sehr netten Brief vor. Sie waren von Dir und den Kindern sehr angetan. Ihre Hanneli hat ja, wie ich schon schrieb, nun auch ihren sehr geliebten Bonso verloren, um den sie gegen ihre Schwiegereltern früher einmal sehr kämpfen mußte. Sie haben jetzt eine fabelhafte Haltung. Von Traute Kämpf, meiner alten Freundin, schrieben sie, daß sie sich verheiraten werde in Erfurt, sie muß etwa 38 oder 39 Jahre alt sein. Ich freue mich sehr darüber, denn ein wenig ein schlechtes Gewissen hatte ich ihr gegenüber, war sie doch ein famoser Kerl. Nun sind glücklich meine beiden langjährigen Freundinnen, auch Br. (Brunhilde) Flothmann, verheiratet. Auf beide mußt Du nicht eifersüchtig sein. Ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin. Sie haben mich erst fertig erzogen.

Eine Aufforderung an die H. Kl. K. wegen des Offizierskoffer lege ich bei. Gehe aber bitte damit nach der Budapesterstr. zu Herrn Sadowski oder Zellner u. lege sie ihnen vor. Dann bekommst Du bestimmt das Gewünschte.

Küsse unsere beiden Töchter statt meiner und lasse dich ganz zärtlich und fest küssen von Deinem Heiner, der dieselbe Sehnsucht nach Dir hat.

27. 8. 43.

Feldpost mit Stempel 28. 8. 43. An Frau Hildegard Kaumann, Prerow/Darss, Schulstr. 11 bei Schüssler. Absender: Dr. Kaumann, Oberfeldintendant 18063

Mein liebster Peter!

Obwohl ich sehr müde bin, sollst Du doch Deinen Brief erhalten. Ich bin in Sorge wegen des Angriffs am 23./24. d. M. auf Berlin. Ob Du noch dort warst? (Bei diesem Bombenangriff wurde wahrscheinlich die Wohnung in der Weimarischen Str. 17 getroffen, siehe unten, manchmal wird das Datum 26. 8. 43 genannt). Unterdessen wirst du vielleicht schon den Vorschlag von Lessing´s Frau, zu ihr nach Görlsdorf über Luckau/N. Laus. (Tel. Luckau 203) zu ziehen. Wieviel Zimmer dort verfügbar sind, wußte Maj. Lessing nicht genau, etwa 2-3, allerdings gemeinsame Küche. Das Beste wird sein, Du siehst´s Dir mal an, wenn Du Dich noch nicht fest für Annelies entschlossen hast. Zu letzterer kannst Du u. U. (unter Umständen) auch einige Möbel mitnehmen, denn sie hatten ja in Namslau einige Zimmer leer stehen. Ich kann Dir aus der Ferne so schwer raten u. Du hast wieder ganz allein die Entscheidung über alles. Ich wäre froh, Dir helfen zu können.

Bei uns ist ziemliche Ruhe, auch nachts, wo wir völlig ungestört schlafen. Unterdessen wird der tiefe Bunker fertig, sodaß wir für alle Fälle gerüstet sind. Beschäftigung habe ich, aber ich verlange nach wirklicher Arbeit. Das habe ich auch dem Heeresgruppenintendant [Generalintendant Dr. Loosch] bei meinem Besuch (auf der Krim) gesagt u. er machte mir etwas Hoffnung, daß ich als Oberfeldint. u. U. anders verwendet werden könnte.

Generalintendant Dr. Loosch links

1968 Loosch li, Verteidigungsminister Blank re

[Dr. Loosch, - mein Vorgesetzter von 1943-45 als Generalintendant bei der Heeresgruppe Süd sowie von 1951-1957 als Abt. Leiter der Dienststelle Blank bzw. Bundesverteidigungsministerium, - stets mein verehrter u. väterlicher Freund.]

Gerhard Loosch (1894 - 1965) war während seines Studiums 1913 Mitglied der Leipziger Burschenschaft Germania. Er war nach einem Jurastudium mit Promotion ab 1924 Intendanturbeamter in der Reichswehr sowie der Wehrmacht und im Zweiten Weltkrieg Militärverwaltungsoffizier, zuletzt im Rang eines Generalintendanten (Beförderung am 1. Dezember 1943) und Heeresgruppenintendant. Nach einer bis 1947 andauernden Kriegsgefangenschaft war er bis 1950 selbständiger Rechtsanwalt und danach Verwaltungsbeamter in der Dienststelle Blank. Von 1956 bis 1959 war er Präsident der Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden.

Sonst ist herzlich wenig zu berichten, gemessen an der Unruhe, ob Ihr lebt u. unsere Wohnung noch heil ist. Dieses Warten ist scheußlich u. eine große seelische Belastung. Ich hab Euch ja alle so sehr lieb. Wie geht es Deinen Eltern (Arthur und Nelly Noth)? Bitte bewahre Dir doch für solche Ereignisse stets einige Luftpostmarken, um mir sofort am nächsten Tage Nachricht geben zu können.

Schwiegereltern Arthur Noth (1881 Leipzig – 1947 KZ Sachsenhausen) und Nelly Noth, geb. Hintzpeter (1881 Hamburg – 1962 Hagen/Westf.) Arthur Noth war Syndikus (= Geschäftsführer) verschiedener Industrieverbände, so 1929 geschäftsführendes Präsidialmitglied des Zentralverbands der Blech-, Eisen-Metall- und Stahlwaren Industrien, 1935 Vorsitzender der Fachgruppe Blechwarenindustrien, Berlin, Kielganstr. 2. (Sein Sohn Dr. jur. Herbert Noth und sein Enkel, RA Dr. Johann Peter Noth wurden ebenfalls Geschäftführer von Verbänden, u.a. für Blechwaren, Verkehrszeichen, Heizungs- und Klimatechnik; u.a. war Jan 27 Jahre lang Geschäftsführer für die Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft.) Ziel eines Industrieverbands ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsunternehmen zu steigern und Unternehmenskooperationen zu unterstützen. Ein Verband vertritt das Ziel einer wirkungsvollen Vertretung gegenüber Politik, Kunden, Wissenschaft und anderen Akteuren. Aus diesem Grund war Arthur Noth mit seinem Büro (mit sehr vielen, auch weiblichen Angestellten, siehe Foto) nicht in Hagen, sondern in Berlin, der Reichshauptstadt, ansässig. Er war während des Krieges beruflich oft in Rußland (laut Jochen Noth, Gründe?). Er brachte es zu einem ansehnlichen Wohlstand. Seine vier verheirateten Kinder bekamen von ihm je 1000,- Rm monatlich als Zuwendung. Er kaufte eine große Villa in Berlin-Grunewald, Winklerstr. 17 (Grundbucheintrag 18.1.1938, Vorbesitzer: Dr. Fritz Weinberg), in der er, seine Frau und drei seiner vier Kinder (Herbert, Ilse, Artur) mit ihren Ehepartnern und 9 Enkeln wohnten. Heinrich und Hildegard kamen mit Gudrun zu Besuch. In Gudruns Erinnerung war der strenge Großvater und der riesige lange Eßtisch mit blütenweißem Tischtuch furchteinflößend. Das Spielzimmer war überwältigend mit der Fülle an Spielzeug, z. B. einem rotlackierten Auto und einem Kinder-Elektroherd. Arthur Noth legte sein Geld in Immobilien an (angeblich besaß er 17 Häuser in Berlin, z.B. in der Speyererstr. im Bayerischen Viertel, siehe Brief A.N. 26.12.43), die im Krieg zerstört wurden und wohl aus jüdischem Besitz stammten, weshalb er sie nach dem Krieg verlor.

Waschlappen Nr. 1 ist angekommen, gerade als der alte sich auflöste. Bekommst Du dort noch Borax; ich könnte wieder etwas brauchen. - Morgen will ich nach vorn fahren, um mich über die Wünsche der Truppe zu orientieren. Bei uns ist ein Tag wie der andere so blau u. wolkenlos; was gäben wir für einen Tag richtigen Landregen.

Ich habe so große Sehnsucht nach Dir und Deinen Kleinen, träume nur vom Urlaub, der noch so unbestimmt. Laß Dich ganz zärtlich, fest u. oft küssen von Deinem Heiner

28. 8. 43.

Feldpost mit Stempel: Chemnitz 04.9.43-13. An Frau Hildegard Kaumann, Prerow/Darss, Schulstr. 11 b/ Schüßler. Absender: Dr. Kaumann, Oberfeldintendant 18063

Meine Geliebte!

Mir ist ganz heiß geworden, als ich las, daß Du mich liebst u. ich diese Liebe „erleiden“ müsse, wenn ich bei Dir wäre. Ich weiß so gut, wie dieses „Leiden“ ist, - aus dem letzten Urlaub -, u. was gäbe ich darum, wenn ich es bald wieder täglich erleben dürfte. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß mein Urlaub nicht bis zum nächsten Frühjahr sich verzögert u. unsere geliebte Wohnung dann noch heil ist; wir werden uns, ganz gleich wo Du sein magst, dort treffen u. 3 Tage ganz für uns erleben. (3 Zeilen geschwärzt). Nur hatte ich geglaubt, daß das Seewasser an Dir gezehrt hätte, - aber Du bist für mich auch so sehr schön. - Es war Dein Brief v. 17. d. M., der mich so durcheinander brachte, - auf die angenehmste Weise. Nun warte ich nur sehnlichst auf Nachricht wegen der Bombennacht.

Heute war ich auf Fahrt an der Front, bei den Rgt-s= (Regiments-) u. Bataillonskommandeuren. Jeder war auf meinem Gebiet ohne Sorgen, nur mit einigen Wünschen versehen, die meist zu erfüllen sind. Von 6:30 bis 18:30 war ich ständig unterwegs, im Kübelwagen u. zu Fuß. Es war ziemlich ruhig, aber doch kracht es ständig u. überall. Russ. Stellungen waren gut auf 1,5 km zu erkennen. Mit vielen Anregungen versehen kam ich zurück.

Nun scheinst Du doch einen Tropenkoffer bekommen zu haben. Hast Du Land (?) nochmals angegangen?

Es küßt Dich nochmals sehr lieb, Dein Heiner.

Nimmst Du nicht die Schreibmaschine mit nach Prerow.

Küsse bitte meine Töchter an meiner Stelle!

O. U., am 1. 9. 43.

Mein heißgeliebter Peter!

Da war gestern abends ein Brief an Dich schon fertig geschrieben, aber heute morgens um 5 h muß ich ihn zerreißen u. Dir einen anderen schreiben. Denn ich lag schon seit 21 h im Bett, als um 23 h meine Ordonanz mir Deinen Luftpostbrief v. 27. 8. brachte; er ist der rascheste Brief überhaupt gewesen. Nun bin ich doch recht erschüttert über ihn.

[26. 8.: Zerstörung des Hauses Winklerstr. 17 total durch eine Luftmine unmittelbar vor dem Hauseingang] Diese Anmerkung von 1972 enthält einen Irrtum! Nicht die Villa der Schwiegereltern Noth in Berlin-Grunewald, Winklerstr. 17 traf am 26. 8. 43 eine Bombe (erst im März 1945!), sondern seine eigene Wohnung in Berlin-Wilmersdorf, Weimarische Str. 17, 3. Stock rechts. Es war eine gemietete große Altbauwohnung in einem Mehrparteienhaus aus den Gründerjahren, das einzige Haus, das getroffen wurde, während die benachbarten, ebenfalls prächtigen Gründerjahrehäuser noch heute erhalten sind. Hildegard mit den beiden Töchtern waren in Prerow an der Ostsee und kamen dadurch mit dem Leben davon.

Du machst Dir doch Vorwürfe über Dinge, die Du versäumt hättest. Mein Liebstes, Du hast alles getan, was man nur tun konnte, denn keiner von uns hätte je daran gedacht, daß der erste Angriff schon uns einen Totalverlust bringen würde. Wir sind ja auch wirklich garnicht so entblößt: hast Du denn vergessen, daß ich damals 2 große Koffer mit zu meinen Eltern (nach Dresden) nahm, die ich dort in die Eisenkiste umpackte. Da sind 2 vollständige Anzüge für mich mit Wäsche u. Schlips, ein Mantel, ich glaube auch eine Deiner Pelzmäntel darin. Und einen Hut werden wir Beide wohl noch in Berlin kaufen können! Was meine Uniformen u. die Stiefel betrifft, so weißt Du, daß ich so gute Beziehungen zur Heereskleiderkasse habe, die mir schon noch einen anständigen Stoff verkaufen wird u. Schneider haben wir hier draußen genug. Also liebster Peter, laß den Kopf nicht hängen; Deine Eltern haben uns früher so aufopfernd geholfen u. werden uns auch diesmal helfen. Und andere Freunde haben wir auch.

Nun hast Du auch die Frage meines Urlaubs angeschnitten. Ich hatte nach Deinem ersten Brief vor, sofort um 3 Wochen Urlaub zu bitten. Aber eine fast schlaflose Nacht ließ oder besser mußte mich zu folgender Entscheidung kommen lassen: Z. Zt. ist der Armeeintendant auf Urlaub u. ich hier in weiter Runde der älteste Intendant. Mein an sich vorgesehener Vertreter, Ob. Stabsint. Heilmann, der einzige aktive Div.Intendant ist ebenfalls auf Urlaub. Zugleich habe ich aber das Gefühl, daß sich hier in nächster Zeit einiges entscheiden muß, wobei ich im ungünstigen Falle wenigstens einen vollwertigen Vertreter haben möchte. Das kann nicht vor Mitte September sein. Sei gewiß, daß ich im ersten möglichen Augenblick losfahre, aber augenblicklich kann u. darf ich nicht. Ich wäre sicherlich nötig, zum Buddeln (nach Verwertbarem in dem zerbombten Haus), aber das kann ich vielleicht auch noch etwas später tun. Im übrigen überlegte ich mir, daß man nicht unbedingt zur Tür der Garage hinein muß. Wenn zufällig einer der Lichtschächte im Hof oder bei Papenfuß erreichbar ist, kann man die Abdeckung sicher entfernen u. sich dann leicht hinabseilen lassen.

Und nun zur Wohnungsfrage. Ich bin dafür, nicht noch einmal in Berlin aufzubauen, u. bitte Dich inständig, Dich mit Annelies sofort telefonisch in Verbindung zu setzen. Sie hatten in Namslau so viele fast völlig leere Zimmer, die sie uns vielleicht abtreten könnten. Oder aber versuch in Prerow zu bleiben. Meine Eltern (Otto-Heinrich und Pauline Kaumann) blieben als letzte Möglichkeit, wenn auch garnicht feststeht, daß eines Tages [nicht auch] Dresden bombardiert wird. Mit neuen Angriffen auf Berlin ist sicher zu rechnen. Wenn Du nach Namslau ziehen würdest, schlage ich vor, alle unsere wenigen Habseligkeiten, auch das Silber aus dem Haus Deiner Eltern, mit dorthin zu nehmen. An Ernst (Heinrich) schreibe ich noch heute, bzw. lege Dir einige Zeilen an ihn bei, die Du bitte abschickst.

Gestern war ich in einem sehr schwierigen Abschnitt meiner alten Division und besichtigte dort eine ganz vorn eingesetzte Abteilung. Das Gelände ist dort steil gebirgig u. dicht bewaldet. Von einer 1 ½ km entfernten Artillerie-B-Stelle sah ich im Scherenfernrohr den feindlichen und unseren Graben, die nur 50 - 80 m auseinander liegen, etwa so:

Skizze H. Kaumann: Art. B.-Stelle - Russ.Bunker - Deutscher Graben - Gefechtstand, den ich besuchte

Der Russe kann von oben bequem die Handgranaten werfen, aber wir nicht nach oben. Da dachte ich, in welcher großen Sicherheit sitze ich hier beim Korps. Du darfst also, so lange Du, die Kinder und ich frisch munter leben, nicht klagen. Der Verlust von Sachen, auch wenn man noch sehr an ihnen hing, läßt sich verschmerzen u. zum Leben haben wir das Nötige. Wir müssen beten, daß die Dinge im Großen günstig sich für Deutschland wenden, wozu viel Glück gehört, denn wenn eine schlechte Wendung eintritt, würde uns unser Besitz auch nichts nützen. Hier draußen ist die Stimmung tadellos, während Urlauber von der Heimat Trauriges berichten.

Was hat Gudrun nun zu Alledem gesagt; sie hat sich doch sicherlich weise geäußert. Gib ihr einen lieben Kuß. Grüße bitte Deine Eltern herzlich u. in Dankbarkeit von mir. - Und selbst lasse ich Dich ganz lieb u. zärtlich küssen von Deinem Heiner, der alles das, was Du für uns u. die Kinder getan hast, voll u. ganz anerkennt.

2. 9. 43

Mein über alles geliebter, guter Peter!

In den beiden Luftpostbriefen schrieb ich Dir nur von Koffern, neuer Wohnung, Bezugsscheinen u. mehr dergleichem Materiellem; ihm gilt doch stets zuerst unsere Sorge. Im übrigen brachte ich zunächst meinen Galgenhumor u. Gleichgültigkeit auf, die Dr. Buchka [Oberstarzt beim V. AK] mit der eines Chinesen verglich. Bis gestern.

Vielleicht war es die neue Sorge durch den wiederholten Luftangriff, die mir gegen Abend plötzlich das Gefühl gab, daß wir in einer Sekunde alles das verloren haben, was uns bisher als das Schönste dünkte u. wo wir unsere glücklichsten Tage verlebt hatten. Woran wir unsere Freude hatten, - an Deinen hübschen Kleidern, meinen französischen Anzügen, unserer Wäsche -, alles ist für lange Zeit unwiederbringlich fort. Auch Du schreibst ja im ersten Brief von dem Besitz, der Dich sicher machte und dessen Du nun beraubt bist. - Da war es mir, als sei alles für uns freudlos geworden u. mit diesem bitteren Gefühl schlief ich ein. Doch heute morgen habe ich mich gefangen u. gleichsam des Rätsels Lösung, wie es in Zukunft sein wird, gefunden.

Mein lieber Peter! Was wir bisher für schön, behaglich, für Sicherheit hielten, waren äußere, zwar angenehme Dinge. Aber ich weiß von Dir wie von mir, daß wir ohne das, nur in uns, das Glück u. die Erfüllung finden werden, nach der wir suchen. Wenn ich auf Urlaub komme, ist´s ganz gleich, wo wir ihn verbringen, ob in wenigen dürftigen Zimmern oder bei Deinen Eltern. Deine Liebe, die Freude an unseren Kindern, die zu besitzen wir nicht dankbar genug sein können, werden all die früheren Vergnügungen, Theater, Kino usw. leicht vergessen lassen. Wo Du bist, ist´s schön und dort bin ich heimisch, u. unsere Töchter werden für unsere Erheiterung sorgen. Wir sind reicher als mancher Besitzer eines noch intakten Palastes.