Kuss der Nacht - Jeaniene Frost - E-Book

Kuss der Nacht E-Book

Jeaniene Frost

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Beschreibung

Düster, gefährlich, erotisch!

Cat jagt im Auftrag der Regierung Untote. Ihren ebenso verführerischen wie gefährlichen Exfreund Bones hat sie schon lange nicht mehr gesehen – schließlich ist Bones ein Vampir und damit eigentlich ihre Beute. Doch als ein Unbekannter ein Kopfgeld auf Cat aussetzt, ist Bones ihre einzige Chance, lebend aus der Sache herauszukommen. Aber kaum steht sie ihm gegenüber, lodert das Verlangen wieder in ihr auf – und so wird Cat beinahe zu spät klar, dass Bones ganz eigene Pläne für sie hat ...

Ein fesselnder Vampir-Roman mit einem unwiderstehlichen Liebespaar!

Der neue Shooting Star der Dark Fantasy aus den USA!

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Seitenzahl: 473

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Buch

Cat jagt im Auftrag der Regierung Untote. Ihren ebenso verführerischen wie gefährlichen Exfreund Bones hat sie schon lange nicht mehr gesehen – schließlich ist Bones ein Vampir und damit eigentlich ihre Beute. Doch als ein Unbekannter ein Kopfgeld auf Cat aussetzt, ist Bones ihre einzige Chance, lebend aus der Sache herauszukommen. Aber kaum steht sie ihm gegenüber, lodert das Verlangen wieder in ihr auf – und beinahe zu spät wird Cat klar, dass Bones ganz eigene Pläne für sie hat …

Autorin

Jeaniene Frost lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund in Florida. Obwohl sie selbst kein Vampir ist, legt sie Wert auf einen blassen Teint, trägt häufig schwarze Kleidung und geht sehr spät zu Bett. Und obwohl sie keine Geister sehen kann, mag sie es, auf alten Friedhöfen spazieren zu gehen. Jeaniene liebt außerdem Poesie und Tiere, aber sie hasst es zu kochen. Zurzeit arbeitet sie an ihrem nächsten Roman.

www.jeanienefrost.com

 

Außerdem von Jeaniene Frost bei Blanvanlet lieferbar:

1. Blutrote Küsse 2. Kuss der Nacht 3. Gefährtin der Dämmerung

 

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorinAußerdem von Jeaniene Frost bei Blanvanlet lieferbar:WidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39DanksagungCopyright

Für meinen Vater.

Du bist und warst immer mein Held.

1

Ich wartete vor Liam Flannerys großem vierstöckigen Anwesen in Manhasset. Unser Treffen sollte kein Kaffeekränzchen werden, das sah man schon an meiner Aufmachung. Meinen Mantel trug ich offen, sodass meine Pistole und das Schulterholster deutlich sichtbar waren, ebenso wie mein FBI-Abzeichen. Hose und Bluse waren weit geschnitten, damit ich das zwanzig Pfund schwere Arsenal an Silberwaffen darunter verstecken konnte, das ich an Armen und Beinen trug.

Auf mein Klopfen hin öffnete ein älterer Herr im Anzug die Tür. »Special Agent Catrina Arthur«, stellte ich mich vor. »Ich möchte Mr. Flannery sprechen.«

Catrina war nicht mein wirklicher Name, er stand nur auf meinem getürkten FBI-Abzeichen. Der Portier schenkte mir ein gekünsteltes Lächeln.

»Ich sehe nach, ob Mr. Flannery im Hause ist. Warten Sie hier.«

Liam Flannery war im Hause, das wusste ich bereits. Auch, dass er kein Mensch war, und der Portier ebenso wenig. Ich war es ja auch nicht, obwohl ich von uns dreien die Einzige war, deren Herz noch schlug.

Kurze Zeit später ging die Tür wieder auf. »Mr. Flannery ist bereit, Sie zu empfangen.«

Fehler Nummer eins. Ginge es nach mir, würde es sein letzter sein.

Als ich Liam Flannerys Haus betrat, dachte ich nur: Wow. Die Wandvertäfelung war handgeschnitzt, der Fußboden aus Marmor und bestimmt ziemlich teuer gewesen, und an allen Ecken und Enden waren antike Stücke geschmackvoll in Szene gesetzt. Auch bei den Toten war anscheinend Klotzen statt Kleckern angesagt.

Meine Nackenhaare sträubten sich, als der Raum sich mit Energie auflud. Flannery wusste nicht, dass ich sie spüren konnte. Ich sah vielleicht aus wie das nette Mädchen von nebenan, doch ich hatte noch einige Tricks auf Lager. Und haufenweise Messer natürlich auch.

»Agent Arthur«, begrüßte mich Flannery. »Gewiss geht es um meine beiden Angestellten. Die Polizei hat mich in dieser Angelegenheit allerdings schon vernommen.«

Er hatte einen britischen Akzent, der nicht zu seinem irischen Namen passte. Wenn ich ihn nur hörte, bekam ich schon eine Gänsehaut. Er weckte Erinnerungen in mir.

Ich drehte mich um. Flannery sah sogar noch besser aus als auf dem Foto in seiner FBI-Akte. Seine bleiche Alabasterhaut hob sich fast leuchtend gegen sein beigefarbenes Hemd ab. Vampire hatten einen makellosen Teint, das musste man ihnen lassen. Liams Augen waren strahlend türkisblau, und sein kastanienbraunes Haar reichte ihm bis über den Hemdkragen.

Ja, er war ein gut aussehender Typ. Mit der Nahrungsbeschaffung hatte er bestimmt keine Probleme. Das Beeindruckendste an ihm aber war seine Aura. Wie prickelnde Wellen aus Energie umgab sie ihn. Er war ganz offensichtlich ein Meistervampir.

»Ja, es geht um Thomas Stillwell und Jerome Hawthorn. Wir möchten Sie um Ihre Unterstützung bitten.«

Das höfliche Geplänkel sollte mir Zeit verschaffen, damit ich abschätzen konnte, wie viele Personen noch im Haus waren. Ich lauschte angestrengt, konnte aber nur Flannery, den Ghul-Portier und mich selbst wahrnehmen.

»Gerne doch. Wenn es Recht und Ordnung dient«, antwortete er mit leichtem Spott.

»Ist es Ihnen recht, wenn wir uns hier unterhalten?«, fragte ich, weil ich mich gerne noch weiter umgesehen hätte. »Oder möchten Sie lieber irgendwo unter vier Augen mit mir sprechen ?«

Er schlenderte auf mich zu. »Agent Arthur, wenn Sie sich privat mit mir unterhalten möchten, nennen Sie mich Liam. Und ich hoffe doch sehr, Sie wollen etwas anderes bereden als diese leidige Angelegenheit mit Jerome und Thomas.«

Oh, wären wir erst allein, würde es kaum bei einer Plauderei bleiben. Er war in den Mord an seinen Angestellten verwickelt, und ich musste mich dringend um ihn kümmern, festnehmen wollte ich ihn allerdings nicht. Der Durchschnittsbürger glaubte weder an Vampire noch an Ghule. Gerichtlich konnte man gegen mordende Untote also nicht vorgehen. Nein, eine geheime Abteilung des Heimatschutzministeriums war dafür zuständig, und mein Boss Don betraute dann mich mit der Angelegenheit. Seit ich den Job machte, kursierten unter den Untoten natürlich wilde Gerüchte über meine Person, doch nur ein einziger Vampir kannte meine wahre Identität. Und den hatte ich seit über vier Jahren nicht gesehen.

»Liam, Sie wollen doch wohl nicht mit einer FBI-Agentin flirten, die Sie wegen eines Doppelmordes vernimmt, oder?«

»Catrina, wer nichts zu verbergen hat, braucht sich keine Sorgen zu machen, wenn er die Mühlen des Gesetzes in der Ferne klappern hört. Schließlich habe ich ja beim FBI ausdrücklich darum ersucht, Sie zum Gespräch zu mir zu schicken, hübsch wie Sie sind. Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie zu kennen, aber ich würde mich gewiss erinnern, wenn ich schon einmal das Vergnügen gehabt hätte.«

»Hatten Sie nicht«, bemerkte ich sofort. »Ich würde mich ebenfalls erinnern, glauben Sie mir.«

Das war kein Kompliment gewesen, doch auf meine Feststellung hin gluckste er viel zu anzüglich für meinen Geschmack.

»Gewiss doch.«

Du selbstgefälliges Arschloch. Dein Grinsen wird dir gleich vergehen.

»Zurück zum Thema, Liam. Reden wir hier oder unter vier Augen?«

Er seufzte ergeben. »Wenn es denn unbedingt sein muss, können wir es uns in der Bibliothek bequem machen. Folgen Sie mir.«

Durch eine Reihe ebenso pompös ausgestatteter wie menschenleerer Räume gingen wir in die Bibliothek. Sie war umwerfend und beherbergte Hunderte von neuen und antiquarischen Werken. Sogar Schriftrollen waren in einem gläsernen Schaukasten ausgestellt, doch ein riesiges Kunstwerk an der Wand fesselte meinen Blick.

»Es wirkt geradezu … primitiv«, bemerkte ich.

Dem ersten Eindruck nach schien es aus Holz oder Elfenbein zu bestehen, doch bei näherer Betrachtung war es wohl eher aus Knochen. Menschlichen Knochen.

»Es stammt von den Aborigines, ist fast dreihundert Jahre alt. Ein australischer Freund hat es mir geschenkt.«

Liam kam näher, seine türkisblauen Augen begannen smaragdgrün zu funkeln. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Sexuelle Erregung und Blutgier zeigten sich bei Vampiren auf die gleiche Weise. Beides ließ die Augen grün leuchten und die Fangzähne sichtbar werden. Liam war also entweder hungrig oder scharf auf mich. Wie auch immer, ich würde ihm in beiden Fällen nicht dienen können.

Mein Handy klingelte. »Hallo«, meldete ich mich.

»Agent Arthur, sind Sie noch mit der Vernehmung von Mr. Flannery beschäftigt?«, erkundigte sich mein Stellvertreter Tate.

»Ja. In einer halben Stunde sind wir durch.«

Sollte heißen: Melde ich mich bis dahin nicht, muss das Team einschreiten.

Tate legte kommentarlos auf. Er hasste es, wenn ich einen Fall allein in die Hand nahm. Pech für ihn. In Flannerys Haus herrschte passenderweise Grabesstille, und ich hatte schon lange mit keinem Meistervampir mehr gekämpft.

»Die Polizei hat Sie sicher davon in Kenntnis gesetzt, dass die Leichen von Thomas Stillwell und Jerome Hawthorn fast blutleer waren. Sie wiesen jedoch keinerlei sichtbare Verletzungen auf, die dazu geführt haben könnten«, begann ich ohne Umschweife.

Liam zuckte mit den Schultern. »Hat das FBI eine Theorie?«

Oh ja, und ob wir eine hatten. Zweifellos hatte Liam die verräterischen Bisswunden an den Hälsen von Thomas und Jerome mit einem Tropfen seines eigenen Blutes schlicht zum Verschwinden gebracht, bevor sie gestorben waren. Schwupps, zwei ausgeblutete Leichen und nichts, was auf einen Vampir hindeuten und die Anwohner aufwiegeln könnte … es sei denn, man wusste, wonach man suchen musste.

Ich drehte den Spieß einfach um. »Sie haben eine Theorie, nicht wahr?«

»Wollen Sie sie hören, Catrina? Meine Theorie lautet, dass Sie so umwerfend schmecken, wie Sie aussehen. Seit Sie durch meine Tür gekommen sind, kann ich an nichts anderes mehr denken.«

Ich wehrte mich nicht, als Liam näher kam und mein Kinn hob. Auf diese Weise musste ich mir wenigstens keine eigenen Ablenkungsmanöver einfallen lassen.

Seine Lippen fühlten sich auf meinen kühl an und vibrierten vor Energie, was ein angenehmes Kribbeln auslöste. Er küsste wirklich gut, wusste, wann er leidenschaftlicher und wann er noch leidenschaftlicher werden musste. Einen Augenblick lang gestattete ich mir, den Kuss einfach nur zu genießen – Gott, vier enthaltsame Jahre blieben offensichtlich nicht ohne Folgen! –, und dann machte ich Ernst.

Ich hatte die Arme um ihn gelegt, sodass er nicht mitbekam, wie ich einen Dolch aus dem Ärmel zog. In diesem Augenblick wanderten seine Hände zu meinen Hüften und ertasteten die harten Konturen unter meiner Hose.

»Was zum Teufel …?«, murmelte er und wich zurück.

Ich lächelte. »Überraschung!« Dann stieß ich zu.

Der Stoß hätte tödlich sein können, aber Liam war schneller, als ich erwartet hatte. Ich hatte schon ausgeholt, da zog er mir die Füße weg, sodass die Silberklinge sein Herz um ein paar Zentimeter verfehlte. Ich versuchte gar nicht erst, mich auf den Beinen zu halten, ließ mich einfach fallen und rollte mich zur Seite, als er nach meinem Kopf trat. Er wollte erneut losschlagen, zuckte aber zurück, als drei meiner Wurfmesser in seiner Brust landeten. Verdammt, ich hatte schon wieder sein Herz verfehlt.

»Verfluchte Scheiße! «, brüllte Liam. Er hatte aufgehört, sich als Mensch zu geben, ließ es zu, dass seine Augen einen smaragdgrünen Glanz annahmen und seine Fangzähne sichtbar wurden. »Du musst die legendäre Gevatterin Tod sein. Was führt den Schrecken aller Vampire in mein Haus?«

Er wirkte fasziniert, aber nicht eingeschüchtert. Allerdings war er jetzt vorsichtiger und umkreiste mich, als ich aufsprang und meinen Mantel abstreifte, um leichter an meine Waffen heranzukommen.

»Das Übliche«, antwortete ich. »Du hast Sterbliche auf dem Gewissen. Ich räche sie.«

Liam verdrehte doch tatsächlich die Augen. »Glaub mir, Kleines, Jerome und Thomas hatten es nicht besser verdient. Das dreckige Diebesgesindel hat mich bestohlen. Heutzutage ist es ja so schwer, gutes Personal zu finden.«

»Sprich ruhig weiter, Hübscher. Nur zu.«

Ich ließ den Kopf auf den Schultern kreisen und griff mir noch ein paar Messer. Vollkommen reglos warteten wir darauf, dass der andere den Anfang machen würde. Mir war klar, dass Liams Helfer schon unterwegs war, ich konnte hören, wie der Ghul leise näher schlich und dabei kaum ein Geräusch machte. Liam ahnte allerdings nicht, dass ich das mitbekam. Sein Geplapper war reine Verzögerungstaktik.

Er schüttelte den Kopf, als sei er über sich selbst enttäuscht.

»Ich hätte es gleich merken müssen. Die berüchtigte Gevatterin Tod hat blutrote Haare und rauchgraue Augen, und deine Haut … mmm, das hätte mir wirklich zu denken geben sollen. Noch nie habe ich einen Menschen mit einem so makellosen Teint gesehen. Herrgott, Mädchen, ich wollte dich noch nicht einmal beißen. Jedenfalls nicht so, wie du denkst.«

»Ich bin ja so geschmeichelt, dass du mich erst ficken und dann umbringen wolltest. Wirklich, Liam, wie reizend von dir.«

Er grinste. »Valentinstag war ja gerade erst letzten Monat.«

Er drängte mich in Richtung Tür, und ich ließ es zu. Ganz langsam zog ich mein längstes Messer, praktisch ein kleines Schwert, aus dem Hosenbein hervor und nahm es statt der Wurfmesser in die rechte Hand.

Bei seinem Anblick wurde Liams Grinsen noch breiter. »Beeindruckend, aber du hast meine Lanze noch nicht gesehen. Schmeiß den ganzen Plunder weg, und ich zeige sie dir. Du kannst sogar mit deinen Messern spielen, wenn du willst. Gibt der Sache Pep.«

Er machte einen schnellen Schritt auf mich zu, aber ich ließ mich nicht an der Nase herumführen. Mit den Messern in meiner Linken zielte ich auf ihn. Dann wirbelte ich herum, um dem Ghul auszuweichen, der hinter meinem Rücken zum Schlag auf mich ausgeholt hatte. Mit einem einzigen Hieb, den ich im ganzen Arm spüren konnte, schlug ich meinem Angreifer den Kopf ab.

Er rotierte einen Augenblick lang auf dem Stumpf und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an, dann fiel er zu Boden. Einen Ghul konnte man nur auf eine Art töten, und zwar auf diese.

Liam riss sich die Silbermesser aus dem Leib, als wären sie Zahnstocher.

»Du kleines Miststück, jetzt kriegst du es mit mir zu tun! Magnus und ich waren über vierzig Jahre lang befreundet!«

Das Vorgeplänkel hatten wir also hinter uns. Blitzschnell stürzte Liam sich auf mich. Sein Körper und seine Zähne waren seine einzigen Waffen, die aber waren nicht zu verachten. Liams Faust traf mich mit Wucht, und ich schlug genauso verbissen zurück. Einige Minuten lang droschen wir so aufeinander ein. Lampen und Tische, die uns in den Weg gerieten, wurden einfach niedergewalzt. Am Ende schleuderte Liam mich quer durch den Raum, und ich landete direkt neben dem ausgefallenen Kunstwerk, das ich eben noch bewundert hatte. Liam wollte mich schnappen, aber ich trat zu, sodass er rücklings in den Schaukasten mit den Schriftrollen krachte. Ich riss die Skulptur von der Wand und zielte auf seinen Kopf.

Liam duckte sich fluchend, als das gute Stück hinter ihm in die Brüche ging.

»Hast du überhaupt keinen Respekt vor antiken Kunstschätzen? Das Ding war älter als ich! Und warum zum Teufel hast du auf einmal solche Augen?«

Ich wusste genau, was er meinte. Gerade waren meine Augen noch grau gewesen, aber jetzt leuchteten sie offensichtlich genauso grün wie die von Liam. Kämpfte ich, konnte ich nicht verbergen, dass mein unbekannter Vater ein Vampir gewesen war.

»Dieses Knochenpuzzle war älter als du, hm? Dann bist du also erst zweihundert Jahre alt ? Zweihundertfünfzig? Dafür bist du ziemlich stark. Ich habe schon siebenhundertjährige Vampire aufgespießt, die weniger hart zuschlagen konnten. Dich umzulegen wird Spaß machen.«

Gott steh mir bei, aber das war kein Scherz. Einen Vampir bequem abzustechen und meinem Team den Rest zu überlassen war einfach keine Herausforderung.

Liam grinste mich an. »Zweihundertzwanzig, Kleines. In pulslosen Jahren, versteht sich. Die übrigen bestanden nur aus Armut und Elend. London war ein einziges Dreckloch damals. Heute ist dort alles viel besser.«

»Zu schade, dass du nicht mehr hinkommen wirst.«

»Das bezweifle ich, Kleines. Du glaubst, es wird dir Spaß machen, mich umzubringen? Dich flachzulegen wird mir einen Heidenspaß machen, jede Wette.«

»Dann zeig mal, was du drauf hast«, spottete ich.

Ich konnte ihm nicht mehr ausweichen, so schnell war er bei mir und hatte mir einen brutalen Schlag gegen den Schädel verpasst. Ich sah Fünkchen stieben, für jeden Normalsterblichen wäre jetzt der Deckel zugegangen. Normal war ich allerdings nie gewesen, und so kämpfte ich gegen die Übelkeit an und reagierte prompt.

Ich ließ meinen Körper schlaff werden, den Mund offen stehen und sank mit verdrehten Augen zu Boden, den Hals verführerisch dargeboten. Meine schlaffe Hand lag direkt neben einem der Wurfmesser, das er aus seiner Brust entfernt hatte. Würde Liam weitermachen, wenn ich am Boden lag, oder nachsehen, wie schwer es mich erwischt hatte?

Mein riskantes Spiel zahlte sich aus. »Schon besser«, murmelte Liam und kniete sich neben mich. Er fuhr mir mit den Händen über den Körper und schnaubte dann amüsiert.

»Das ist mal eine Ein-Mann-Armee. Die Gute hat ja ein ganzes Waffenarsenal am Leib.«

Zuerst öffnete er den Reißverschluss meiner Hose. Vermutlich wollte er mir die Messer abnehmen; wäre naheliegend gewesen. Als er mir die Hose jedoch über die Hüften gezogen hatte, hielt er inne. Seine Finger fuhren über die Tätowierung, die ich mir vor Jahren hatte stechen lassen, kurz nachdem ich mein altes Leben in Ohio hinter mir gelassen und mein jetziges begonnen hatte.

Ich packte die Gelegenheit beim Schopf, schloss die Hand um den neben mir liegenden Dolch und stieß Liam die Klinge ins Herz. Er sah mich schockiert an und erstarrte.

»Und da habe ich immer geglaubt, wenn die Alexander mich nicht umbringt, könnte mir nichts mehr etwas anhaben …«

Ich wollte das Messer gerade in der Wunde herumdrehen, um die Sache zu Ende zu bringen, da fügte sich plötzlich das letzte Teilchen ins Puzzle. Ein Schiff namens Alexander. Liam stammte aus London und war vor zweihundertzwanzig Jahren gestorben. Er besaß ein Kunstwerk der Aborigines, das ihm ein australischer Freund geschenkt hatte …

»Welcher von ihnen bist du?«, fragte ich ihn, das Messer fest gepackt. Bei der geringsten Bewegung würde es ihm das Herz zerfetzen. Hielt er still, würde er nicht sterben. Noch nicht.

»Was?«

»Im Jahr 1788 wurden vier Strafgefangene auf einem Schiff namens Alexander nach Neusüdwales überführt. Einer entkam bald nach der Ankunft. Ein Jahr später kehrte er ins Straflager zurück und erschlug alle Wärter und Häftlinge bis auf seine drei Freunde. Einer von ihnen wurde freiwillig zum Vampir, die beiden anderen zwang man dazu. Ich weiß, welcher von ihnen du nicht sein kannst, also sag mir, welcher du bist.«

Falls das überhaupt möglich war, wirkte Liam jetzt sogar noch erstaunter als in dem Augenblick, als ich ihm die Klinge ins Herz gestoßen hatte. »Nur wenige kennen diese Geschichte.«

Drohend versetzte ich dem Messer einen Stoß, sodass es sich ein kleines bisschen tiefer bohrte. Er hatte schon verstanden.

»Ian. Ich bin Ian.«

Verfluchte Scheiße! Auf mir lag der Mann, der vor fast zweihundertzwanzig Jahren die Liebe meines Lebens in einen Vampir verwandelt hatte. Welche Ironie!

Liam, oder Ian, war laut eigener Aussage ein Mörder. Zugegeben, seine Angestellten hatten ihn vielleicht bestohlen; die Welt war eben voller Idioten. Wenn es um ihr Eigentum ging, spielten Vampire nach besonderen Regeln. Sie hatten ein geradezu absurdes Besitzdenken. Hatten Thomas und Jerome gewusst, wer ihr Arbeitgeber war, und ihn dennoch bestohlen, mussten ihnen die Konsequenzen bewusst gewesen sein. Doch das war es nicht, was mich zögern ließ. Letztendlich lief alles auf eine einfache Tatsache hinaus: Ich hatte Bones zwar verlassen, sah mich aber außerstande, denjenigen umzubringen, der dafür gesorgt hatte, dass er überhaupt in mein Leben hatte treten können.

Ja, nennen Sie mich ruhig sentimental.

»Liam, von mir aus auch Ian, wenn dir das lieber ist, du hörst mir jetzt ganz genau zu. Wir beide werden gleich aufstehen. Ich ziehe dir das Messer aus der Brust, und dann machst du, dass du wegkommst. Dein Herz hat etwas abbekommen, aber das wird wieder. Jemand hat für mich einen Menschen gerettet, und du bist der Glückliche, an dem ich meine Schuld wiedergutmache.«

Er starrte mich an. Unsere Leuchtblicke begegneten sich.

»Crispin.« Bones’ echter Name hing zwischen uns in der Luft, aber ich reagierte nicht. Ian stieß ein gequältes Lachen aus. »Es kann nur Crispin gewesen sein. Das hätte ich schon an deinem Kampfstil erkennen müssen, ganz zu schweigen von der Tätowierung, die seiner zum Verwechseln ähnlich sieht. Fieser Trick, sich bewusstlos zu stellen. Er wäre nie darauf reingefallen. Er hätte auf dich eingetreten, bis du deine Scharade aufgegeben hättest.«

»Stimmt«, pflichtete ich ihm freundlich bei. »Das war das Erste, was er mir beigebracht hat. Man muss zutreten, wenn der Gegner am Boden liegt. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Du nicht.«

»Na so was, die kleine Gevatterin Tod. An dir liegt es also, dass er seit Jahren so schlechte Laune hat.«

Prompt machte mein Herz einen freudigen Sprung. Gerade hatte Ian bestätigt, worüber ich nie nachzudenken gewagt hatte. Bones lebte. Er hasste mich vielleicht dafür, dass ich ihn verlassen hatte, aber er lebte.

Ian versuchte, seinen Trumpf auszuspielen. »Crispin und du, hm? Ich habe schon einige Monate nicht mehr mit ihm gesprochen, aber ich kann ihn ausfindig machen. Ich könnte dich zu ihm bringen, wenn du das möchtest.«

Die Vorstellung, Bones wiederzusehen, löste einen Ansturm von Gefühlen in mir aus. Um mir nichts anmerken zu lassen, lachte ich höhnisch.

»Nicht für Geld und gute Worte. Bones hat mich als Lockvogel für die Typen missbraucht, die er im Auftrag anderer umlegen sollte. Sogar die Tätowierung hat er mir aufgeschwatzt. Wo wir gerade von Geld sprechen: Wenn du Bones siehst, kannst du ihm ausrichten, dass er mir noch welches schuldet. Er hat mir meinen Anteil nie ausgezahlt. Dass heute dein Glückstag ist, hast du nur dem Umstand zu verdanken, dass er mir irgendwann mal geholfen hat, meine Mutter zu retten. Ich schulde ihm also noch was, und du bist die Bezahlung. Wiedersehen möchte ich Bones aber höchstens, um ihn abzustechen.«

Jedes Wort schmerzte, aber es ging nicht anders. Auf keinen Fall würde ich Bones in Gefahr bringen, indem ich eingestand, dass ich ihn noch liebte. Bones würde wissen, dass alles gelogen war, falls Ian ihm meine Worte zutrug. Er hatte mir nie die Bezahlung vorenthalten wollen, die mir für unsere gemeinsame Arbeit zugestanden hätte … ich hatte mich geweigert, das Geld anzunehmen. Auch zu der Tätowierung hatte er mich nicht überreden müssen. Ich hatte mir die überkreuzten Knochen stechen lassen, weil ich mich so nach ihm gesehnt hatte.

»Du bist ein Vampirmischling. Ist ja klar, so wie deine Augen leuchten. Erzähl … wie kommt’s?«

Ich wollte mich schon weigern, da dachte ich, dass es jetzt auch egal war. Ian kannte mein Geheimnis ja schon. Das Wie und Warum war nur die Dreingabe.

»Ein Typ, der gerade erst zum Vampir geworden war, hat meine Mutter vergewaltigt. Zu ihrem Pech waren seine Spermien noch aktiv. Ich weiß noch nicht, wer es war, aber eines Tages werde ich ihn finden und umbringen. Bis dahin muss ich mich eben mit anderen Halunken begnügen.«

Irgendwo am anderen Ende des Zimmers klingelte mein Handy. Ich redete hastig weiter.

»Das ist mein Team. Wenn ich nicht rangehe, stürmen meine Männer die Bude. So schwach wie du im Augenblick bist, kannst du es mit ihnen nicht aufnehmen. Steh langsam auf. Sobald ich das Messer rausgezogen habe, siehst du zu, dass du Land gewinnst. Bleib nicht stehen. Ich lasse dich am Leben, aber du verlässt dieses Haus und kehrst nie zurück. Abgemacht? Überleg dir die Antwort gut, ich bluffe nicht.«

Ian schenkte mir ein schmallippiges Lächeln. »Oh, ich glaube dir. Dein Messer steckt in meinem Herzen. Warum solltest du lügen?«

Ich verzog keine Miene. »Also los.«

Ohne weiteren Kommentar kämpfte Ian sich in eine kniende Position. Jede Bewegung bereitete ihm Höllenqualen, das war nicht zu übersehen, doch über seine zusammengepressten Lippen kam kein Laut. Nachdem wir uns beide aufgerichtet hatten, zog ich ihm vorsichtig die Klinge aus dem Rücken und hielt das blutige Messer gezückt in den Händen.

»Bis dann, Ian. Verpiss dich.«

Mit lautem Krachen brach er durch das Fenster zu meiner Linken. Das Ganze ging rasend schnell, etwas langsamer zwar als üblich, aber es war immer noch ein beeindruckendes Schauspiel. Vor dem Haus hörte ich Menschen, die sich eilig der Tür näherten. Blieb nur noch eines zu erledigen.

Ich rammte mir den Dolch in den Bauch, so tief, dass ich zwar in die Knie ging, aber keine tödlichen Verletzungen davontrug. Als mein Stellvertreter Tate ins Zimmer stürzte, hatte ich mich bereits keuchend zusammengekrümmt. Blut ergoss sich auf den wunderbar flauschigen Teppich.

»Herrgott, Cat! «, stieß er hervor. »Bringt das Brams!«

Meine beiden anderen Captains, Dave und Juan, stürzten los, um seinem Befehl nachzukommen. Tate hob mich hoch und trug mich aus dem Haus. Schwer atmend erteilte ich meine Anweisungen.

»Einer ist entkommen, keine Verfolgung aufnehmen. Er ist zu stark. Im Haus ist niemand mehr, kurzer Check, dann Rückzug. Wir müssen abhauen, falls er mit Verstärkung wiederkommt. Das gäbe ein Blutbad.«

»Check, dann Rückzug! «, brüllte Dave und schloss die Türen des Vans, in den man mich gebracht hatte. Tate zog mir das Messer aus der Wunde, legte mir einen Druckverband an und ließ mich mehrere Tabletten schlucken, die man in keiner Apotheke kaufen konnte.

2

Ich wohnte in einem kleinen zweistöckigen Haus am Ende einer Sackgasse. Meine Einrichtung war in ihrer Schlichtheit fast schon spartanisch. Im Erdgeschoss eine Couch, Bücherregale, ein paar Lampen und eine Minibar voller Gin. Hätte ich keine Vampirgene gehabt, wäre ich längst an Leberzirrhose eingegangen. Tate, Juan und Dave beschwerten sich jedoch keineswegs über meinen exzessiven Alkoholkonsum. Ein steter Nachschub an Stoff und ein Kartenspiel, mehr brauchte es nicht, damit sie bei mir Stammgäste wurden. Leider pokerten sie nicht besonders gut, nicht einmal im nüchternen Zustand. Betrunken gaben sie ein lustiges Schauspiel ab, wenn ihre Fertigkeiten sekündlich noch miserabler wurden.

Wie kommt man nun zu einem solch glamourösen Leben? Mein Boss Don war auf mich aufmerksam geworden, als ich zweiundzwanzigjährig einen kleinen Konflikt mit dem Gesetz hatte. Der übliche Kinderkram eben. Mord am Gouverneur von Ohio und mehreren seiner Angestellten. Alles moderne Sklavenhändler, die Frauen als Saug- und Sexspielzeuge an die Untoten verkauften. Ja, den Tod hatten sie verdient, vor allem, weil ich eine der Frauen gewesen war, die sie hatten verhökern wollen. Mein vampirischer Geliebter Bones und ich hatten sie auf unsere Weise zur Rechenschaft gezogen, und so hatte es jede Menge Tote gegeben.

Nach meiner Verhaftung hatten meine mysteriösen medizinischen Befunde mich als nicht ganz menschlich geoutet. Don packte die Gelegenheit beim Schopf und heuerte mich als Leiterin seiner geheimen Einheit für »Innere Sicherheit« an, indem er mir ein unschlagbares Angebot machte. Morddrohung wäre die treffendere Bezeichnung gewesen. Ich nahm den Job an. Hatte ich eine Wahl?

Don mochte viele Schwächen haben, doch das Wohl derer, die der Staat nicht schützen konnte, lag ihm wirklich am Herzen. Mir auch. Ich setzte mein Leben für sie aufs Spiel. Nur darin sah ich den Sinn meiner Existenz als Halbtote mit menschlichem Aussehen. Für die Jäger der Nacht konnte ich Köder und Haken zugleich sein. Das war natürlich kein Ende wie im Märchen, aber wenigstens konnte ich so für einige Menschen etwas Positives bewirken.

Als ich gerade in meinen Pyjama schlüpfen wollte, klingelte das Telefon. Es war schon fast Mitternacht, also konnte es nur einer der Jungs oder Denise sein. Meine Mutter war so spät nicht mehr wach.

»Hey, Cat. Gerade heimgekommen?«

Denise wusste über meinen Beruf Bescheid, und auch darüber, dass ich eine Halbvampirin war. Eines schönen Tages, ich dachte an nichts Böses, war ich ganz zufällig dazugekommen, als sich ein Vampir an Denises Halsschlagader gütlich tun wollte. Als ich mit ihm fertig gewesen war, hatte ihr schon gedämmert, dass ich kein Mensch sein konnte. Eins musste man ihr lassen: Sie hatte damals weder herumgekreischt noch einen Ohnmachtsanfall bekommen oder was man als Normalsterblicher sonst so tut. Sie hatte mich einfach nur verdutzt angesehen und gemeint: »Wow. Jetzt muss ich dich aber wenigstens auf ein Bier einladen.«

»Ja«, antwortete ich. »Gerade heimgekommen.«

»Oh, schlechten Tag gehabt?«, erkundigte sie sich.

Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich mich heute fast den ganzen Tag von meiner selbst verursachten Stichverletzung hatte erholen müssen. Was mir nur dank Brams und durch den zweifelhaften Segen gelungen war, dass ich mir die Wunde mit einem Messer beigebracht hatte, an dem noch Vampirblut klebte. Vermutlich hatte mir das mehr geholfen als Dons Zauberpillen. Vampirblut war eben das beste Heilmittel.

»Ach, das Übliche. Und bei dir? Wie ist dein Date gelaufen?«

Sie lachte. »Ich telefoniere gerade mit dir; was hat das wohl zu bedeuten? Eigentlich wollte ich gerade Käsekuchen auftauen. Willst du rüberkommen?«

»Klar, aber ich bin schon im Schlafanzug.«

»Vergiss die Plüschpantoffeln nicht.« Ich konnte Denises Grinsen fast sehen. »Die machen dein Outfit doch erst komplett. «

»Bis gleich.«

Wir legten auf, und ich lächelte. Die Einsamkeit war fürs Erste gebannt. Jedenfalls bis uns der Käsekuchen ausging.

 

Zu dieser späten Stunde waren die Straßen von Virginia so gut wie leer, doch ich war auf der Hut, denn jetzt waren die Untoten auf Nahrungssuche. Gewöhnlich nahmen sie nur einen kleinen Snack zu sich. Dank ihres Hypnoseblicks und eines Halluzinogens in ihren Reißzähnen konnten sie nach vollendeter Mahlzeit einfach verschwinden und die Opfer mit falschen Erinnerungen und Eisenmangel zurücklassen. Dieses Wissen hatte ich Bones zu verdanken. Er hatte mir alles über Vampire beigebracht: Welche Stärken sie hatten (viele!), welche Schwächen (wenige, und Sonnenlicht, Kreuze und Holzpflöcke gehörten nicht dazu), woran sie glaubten (an Kain, den ersten Vampir, den Gott geschaffen hatte, als er ihn für den Mord an Abel bestrafen wollte, indem er ihn auf ewig dazu verdammte, Blut zu trinken, weil er das seines Bruders vergossen hatte), und dass ihre Gesellschaftsstruktur einer Pyramide ähnelte, bei der der oberste Vampir über all seine »Kinder« herrschte. Ja, mein Wissen verdankte ich Bones.

Bones, den ich verlassen hatte.

Ich riss den Lenker herum und stieg auf die Bremse, weil mir eine Katze vors Auto gelaufen war. Ich stieg aus, und da lag sie neben meinem Wagen. Sie wollte weglaufen, aber ich schnappte sie mir und nahm sie in Augenschein. Sie hatte Blut an der Nase und ein paar Kratzer, und als ich ihr Beinchen bewegte, schrie sie auf. Sicher gebrochen.

Unsinnige Beruhigungen murmelnd holte ich mein Handy. »Ich habe gerade eine Katze angefahren«, informierte ich Denise. »Kannst du einen Tierarzt für mich ausfindig machen? Ich kann sie nicht einfach liegen lassen.«

Denise gurrte mitleidig und ging ihr Telefonbuch holen. Einen Augenblick später war sie wieder am Apparat.

»Ich hab hier einen, der die ganze Nacht geöffnet hat, nicht weit von dir. Erzähl mir dann, wie es dem Kätzchen geht, okay? Ich friere den Käsekuchen noch mal ein.«

Ich legte auf und rief den Tierarzt an, um mir erklären zu lassen, wie ich fahren musste. Zehn Minuten später stand ich vor Noahs Heimtierarche.

Über meinem Pyjama trug ich einen Mantel, aber statt Stiefeln hatte ich, ja genau, blaue Plüschpantoffeln an. Vermutlich sah ich aus wie die Hausfrau des Grauens.

Der Mann hinter dem Tresen lächelte bei meinem Eintreten. »Hatten Sie gerade angerufen? Wegen der Katze?«

»Ja, genau.«

»Und Sie sind Mrs. …?«

»Miss. Cristine Russell.« Das war ein Deckname. Auch er eine Erinnerung an meine verlorene Liebe, denn als Mensch hatte Bones Crispin Russell geheißen. Meine Gefühlsduseleien würden mir noch mal zum Verhängnis werden.

Das freundliche Lächeln wurde breiter. »Ich bin Dr. Noah Rose.«

Noah. Daher also der abgedrehte Name seiner Praxis.

Er brachte das Kätzchen zum Röntgen und kam einige Minuten später zurück.

»Ein gebrochenes Bein, Abschürfungen und Unterernährung. In ein paar Wochen dürfte es ihm wieder gut gehen. War das ein Streuner?«

»Soweit ich weiß, Dr. Rose.«

»Noah, bitte. Süßes kleines Kätzchen; werden Sie es behalten ?«

Bei dem Wort »Kätzchen« fuhr ich zusammen. Ich ließ mir allerdings nichts anmerken und antwortete, ohne nachzudenken.

»Ja.«

Der kleine Kater sah mich aus großen Augen an, als wüsste er, dass sich sein Schicksal zum Besseren gewendet hatte. Mit seinem winzigen Gipsbeinchen und den cremebeschmierten Blessuren sah er wirklich bemitleidenswert aus.

»Ein bisschen Futter und Ruhe, dann ist der Kleine so gut wie neu.«

»Wunderbar. Was schulde ich Ihnen?«

Er lächelte verlegen. »Das kostet nichts. Sie haben ein gutes Werk getan. In zwei Wochen bringen Sie ihn bitte noch einmal vorbei, damit ich den Gips abnehmen kann. Wann passt es Ihnen ?«

»So spät wie möglich. Ich, äh, habe ungewöhnliche Arbeitszeiten. «

»Abends wäre also kein Problem?«

Wieder ein schüchternes Lächeln, und irgendetwas sagte mir, dass er nicht bei jedem Tierbesitzer so entgegenkommend war. Er schien dennoch harmlos zu sein. Bei den Männern, mit denen ich es sonst zu tun hatte, kam das selten vor.

»Wie wäre es mit acht Uhr abends am Donnerstag in zwei Wochen?«

»Sehr gut.«

»Danke für die Hilfe, Noah. Ich schulde Ihnen was.« Mit dem Kater im Schlepptau wollte ich die Tür ansteuern.

»Warten Sie!« Er kam hinter seinem Tresen hervor und blieb stehen. »Das ist jetzt ganz unprofessionell von mir, aber wenn Sie der Meinung sind, mir einen Gefallen schuldig zu sein, nicht, dass es so wäre, meine ich, aber … ich bin neu in der Stadt, und … na ja, ich kenne hier kaum jemanden. Die meisten, die in meine Praxis kommen, sind schon älter oder verheiratet und … was ich sagen möchte, ist …«

Auf sein Gestammel hin zog ich fragend die Augenbrauen hoch, und da wurde er doch tatsächlich rot. »Egal. Wenn Sie Ihren Termin nicht wahrnehmen möchten, verstehe ich das. Ich bitte um Verzeihung.«

Der Ärmste war ein ganz Lieber. Ich musterte ihn kurz mit den Augen einer Frau, nicht wie beim Eintreten, als ich hatte abschätzen wollen, ob er vielleicht gefährlich war. Noah war groß, dunkelhaarig und auf jungenhafte Art gut aussehend. Vielleicht würde ich ihn mit Denise verkuppeln … sie hatte ja gerade angedeutet, dass sie von ihrem letzten Verehrer nicht gerade begeistert gewesen war.

»Okay, Noah, die Antwort lautet ja. Meine Freundin Denise und ich wollen am Montagabend ohnehin zusammen essen gehen. Sie können gern mitkommen.«

Er stieß den Atem aus. »Montag ist perfekt. Ich sage Ihnen Sonntag Bescheid, ob es auch wirklich klappt. So was mache ich normalerweise nicht. Gott, klingt wie ein Anmachspruch. Geben Sie mir bloß schnell Ihre Nummer. So wie ich mich gerade um Kopf und Kragen rede, überlegen Sie es sich am Ende noch anders.«

Lächelnd schrieb ich ihm meine Handynummer auf. Ließ sich die Sache mit Noah und Denise gut an, würde ich vor dem Dessert dezent das Feld räumen. Sollte Noah sich allerdings als Blindgänger entpuppen, musste ich ihn loswerden, bevor er anhänglich wurde. Hey, wozu hatte man denn Freunde?

3

Am folgenden Montag klingelte um zehn vor sechs mein Telefon. Ich warf einen Blick auf die Nummer, die das Display anzeigte, und runzelte die Stirn. Warum rief Denise mich von zu Hause aus an? Sie hätte schon vor einer Viertelstunde bei mir sein sollen.

»Was ist los?«, wollte ich wissen. »Du bist spät dran.«

Es klang, als würde sie tief Luft holen. »Cat, sei nicht sauer auf mich, aber … ich komme nicht mit.«

»Bist du krank?«, erkundigte ich mich besorgt.

Wieder hörte man sie Atem holen. »Nein, ich komme nicht mit, weil ich will, dass du mit Noah ausgehst. Allein. Du hast gesagt, er wäre ein netter Typ.«

»Ich will aber kein Date! «, protestierte ich. »Ich habe das doch nur gemacht, damit du ihn unverbindlich kennenlernen kannst.«

»Um Himmels willen, Cat, ich brauche keinen neuen Kerl, ganz im Gegensatz zu dir! Meine Großmutter hat ja mehr Action als du. Sieh mal, ich weiß, dass du über diesen anderen Typen nicht reden willst, wer immer er gewesen sein mag, aber wir kennen uns jetzt seit über drei Jahren, und du musst wirklich mal anfangen zu leben. Verblüffe Noah mit deiner Trinkfestigkeit, sag ihm schmutzige Sachen, bis ihm die Ohren qualmen, aber versuche gefälligst mal ein bisschen Spaß mit einem Typen zu haben, den du hinterher nicht umbringen musst. Nur dieses eine Mal. Vielleicht bist du dann nicht mehr andauernd so traurig.«

Sie hatte einen wunden Punkt getroffen. Was Bones betraf, hatte ich ihr natürlich nie Details erzählt. Insbesondere die Tatsache, dass er ein Vampir war, hatte ich verschwiegen. Doch sie wusste, dass ich einmal einen Mann geliebt und dann verloren hatte. Und sie wusste, wie einsam ich mich fühlte, viel einsamer, als ich je zugegeben hätte.

Ich seufzte. »Ich halte das für keine gute Idee …«

»Ich schon«, schnitt sie mir das Wort ab. »Du bist nicht tot, also hör auf, so zu tun, als wärst du’s. Es ist nur ein Abendessen, ihr wollt ja nicht nach Vegas durchbrennen. Niemand hat gesagt, dass du Noah je wiedersehen musst. Geh einfach dieses eine Mal aus. Komm schon.«

Ich warf meinem neuen Hausgenossen einen Blick zu. Der Kater blinzelte, was ich als Ja wertete.

»Also gut. Noah muss in fünf Minuten hier sein. Ich gehe, aber ich sage bestimmt irgendwas total Blödes und bin in einer Stunde wieder daheim.«

Denise lachte. »Egal; dann hast du es wenigstens versucht. Ruf mich an, wenn du zurück bist.«

Ich verabschiedete mich und legte auf. Ich hatte also ein Date. Ob es mir passte oder nicht.

Als ich am Spiegel vorbeikam, musste ich zweimal hinsehen. Mein neuerdings braunes Haar war auf Schulterlänge gekürzt und kam mir fremd vor, aber das war ja der Sinn der Sache, falls Ian Details über mein Aussehen verbreitete. Die Vampire und Ghule sollten nicht durch meine Haarfarbe vorgewarnt sein. Blondinen hatten vielleicht mehr Spaß, aber ich erhoffte mir mehr Opfer. Die rothaarige Gevatterin Tod hatte ausgedient. Es lebe die brünette Gevatterin Tod!

Als Noah an die Tür klopfte, hatte ich mich einigermaßen mit meinem Schicksal angefreundet. Bei meinem Anblick gefror sein Lächeln.

»Du hattest doch rote Haare, oder? Das war doch nicht bloßes Wunschdenken von mir?«

Ich zog eine nun honigfarbene Augenbraue hoch. »Ich wollte meinen Typ verändern. Ich laufe schon mein ganzes Leben lang mit roten Haaren herum und hatte einfach mal Lust auf was anderes.«

Er ruderte sofort zurück. »Sieht toll aus. Du siehst toll aus. Vorher hast du auch schon toll ausgesehen, meine ich, und jetzt immer noch. Komm, wir gehen, sonst machst du noch einen Rückzieher.«

Das hätte ich auch am liebsten getan, an Noah lag das aber nicht. Ich gab es zwar ungern zu, aber Denise hatte recht. Ich konnte mich eine weitere Nacht wegen eines Mannes im Elend suhlen, der niemals mir gehören würde, oder ausgehen und zur Abwechslung einmal versuchen, einen netten Abend zu verbringen.

»Schlechte Nachricht«, informierte ich ihn. »Meine Freundin kann nicht mitkommen. Tut mir leid. Wenn du lieber nicht ausgehen willst, verstehe ich das vollkommen.«

»Nein«, lächelte Noah sofort. »Ich habe Hunger. Gehen wir was essen.«

Ist ja nur eine Verabredung, ermahnte ich mich auf dem Weg zu seinem Auto. Was konnte es schaden?

Noah und ich gingen ins Renardo’s, ein italienisches Bistro. Aus Höflichkeit trank ich nur Rotwein. Meine Vorliebe für riesige Mengen Gin Tonic wollte ich lieber für mich behalten.

»Was machst du beruflich, Cristine?«, fragte er.

»Feldforschung und Personalbeschaffung für das FBI.« Stimmte ja irgendwie, wenn man Vampire jagen und abmurksen als Forschung bezeichnete. Oder Reisen durchs ganze Land auf der Suche nach den besten Leuten aus Militär, Polizei, FBI, ja selbst aus dem Knast, als Personalbeschaffung. Hey, wir wollten den Untoten an den Kragen, da konnten wir es uns nicht leisten, bei unseren Mitarbeitern kleinlich zu sein. Einige der Besten in unserem Team hatten einst orangefarbene Overalls getragen. Juan selbst hatte die Arbeit für Don zwanzig Jahren hinter Gittern vorgezogen. Der bunte Haufen war vielleicht keine ganz alltägliche, auf jeden Fall aber eine brandgefährliche Kampftruppe.

Noah staunte nicht schlecht. »Fürs FBI? Du bist FBI-Agentin ?«

»Eigentlich nicht. Unsere Abteilung ist eher im Bereich innere Sicherheit tätig.«

»Oh, wenn du mir also was Genaues verrätst, musst du mich hinterher umbringen, ja?«, witzelte er.

Ich hätte mich fast an meinem Wein verschluckt. Genau so sieht es aus, Alter. »Ach, so aufregend ist es gar nicht. Bloß Personalwesen und Forschung. Ich muss allerdings immer in Bereitschaft sein und habe ungewöhnliche Arbeitszeiten. Deshalb solltest du dich besser an Denise halten, wenn du Richmond kennenlernen willst.«

Das sagte ich, um jegliche Illusionen seinerseits im Keim zu ersticken. Noah war ein lieber Kerl, aber mehr auch nicht.

»Ungewöhnliche Arbeitszeiten und Bereitschaftsdienst; davon kann ich ein Lied singen. Bei Notfällen werde ich zu jeder Tages- und Nachtzeit angepiepst. Nichts Weltbewegendes wie bei dir, aber trotzdem. Selbst die geringste Kreatur verdient Aufmerksamkeit. Ich war immer schon der Ansicht, dass sich der wahre Charakter eines Menschen in seinem Umgang mit Schwächeren zeigt.«

So, so. Gerade war er ein ganzes Stück in meiner Achtung gestiegen.

»Tut mir leid, dass Denise nicht kommen konnte«, sagte ich wohl zum fünften Mal. »Du hättest sie bestimmt gemocht.«

Noah beugte sich vor. »Bestimmt, aber mir tut es nicht leid, dass sie nicht gekommen ist. Ich habe zwar gesagt, dass ich Leute kennenlernen will, aber das war nur ein Vorwand, um dich ausführen zu können. Ich wollte dich einfach wiedersehen. Muss wohl an den Plüschpantoffeln gelegen haben.«

Ich lachte, was mich selbst verblüffte. Ehrlich gesagt hatte ich mich auf einen scheußlichen Abend gefasst gemacht, aber bisher war er … richtig angenehm.

»Das merke ich mir.«

Ich musterte ihn über mein Weinglas hinweg. Zu einem grauen Rundhalsshirt trug Noah ein Sportsakko und anthrazitfarbene Stoffhosen. Sein Haar war frisch geschnitten, aber eine Strähne fiel ihm immer wieder in die Stirn. An Verehrerinnen hätte es ihm nicht mangeln müssen. Auch wenn seine Haut nicht diesen milchigen Alabasterton hatte, der im Mondlicht funkelte …

Ich schüttelte den Kopf. Verdammt, ich musste aufhören, ständig an Bones zu denken! Für uns gab es keine gemeinsame Zukunft. Ich war eine professionelle Vampirjägerin, und meine Mutter hasste inbrünstig alles, was Fangzähne hatte. Aber selbst ohne diese unüberwindlichen Hindernisse wäre unsere Liebe doch zum Scheitern verurteilt gewesen. Bones war ein Vampir. Er würde ewig jung bleiben, während ich unweigerlich altern und sterben würde. Meine Sterblichkeit überwinden konnte ich nur, indem ich mich auch in einen Vampir verwandelte, aber das kam für mich nicht in Frage. Auch wenn es mir das Herz brach – ihn zu verlassen war die einzig richtige Entscheidung gewesen. Zum Teufel noch mal, vielleicht dachte Bones nicht mal mehr an mich. Für ihn war das alles bestimmt längst passé; wir hatten uns vor vier Jahren das letzte Mal gesehen. Vielleicht sollte auch ich endlich einen Schlussstrich unter die ganze Angelegenheit ziehen.

»Willst du die Nachspeise sausen lassen und einen kleinen Spaziergang machen?«, fragte ich spontan.

Noah ließ sich nicht zweimal bitten. »Gern.«

Wir fuhren vierzig Minuten zum Strand. Es war März und noch kühl, und in dem kalten Wind, der vom Meer kam, vergrub ich mich in meinen Mantel. Noah ging dicht neben mir, die Hände in die Taschen gesteckt.

»Ich liebe das Meer. Darum bin ich auch von Pittsburgh nach Virginia gezogen. Seit ich zum ersten Mal am Meer war, wollte ich dort wohnen. Irgendwie fühle ich mich dort so klein, aber als Teil eines großen Ganzen. Hört sich kitschig an, aber so ist es.«

Ich lächelte wehmütig. »Das ist nicht kitschig. Mir geht es mit den Bergen genauso. Ich bin immer gern dort, wenn es sich ergibt …«

Ich verstummte, weil ich daran denken musste, mit wem ich die Berge zum ersten Mal gesehen hatte. Das musste aufhören.

Getrieben von dem plötzlichen Wunsch nach Vergessen packte ich Noah und riss seinen Kopf förmlich zu mir herunter. Einen Augenblick lang blieb er unschlüssig, aber dann ergriff er die Gelegenheit und legte die Arme um mich. Sein Pulsschlag verdreifachte sich, als ich ihn küsste.

So schnell wie ich mich hatte hinreißen lassen, machte ich mich wieder von ihm los. »Tut mir leid. Ich habe mich danebenbenommen. «

Ein leises unsicheres Lachen entfuhr ihm. »Ich hatte gehofft, du würdest dich danebenbenehmen. Eigentlich hatte ich vor, dich ganz geschickt zum Hinsetzen zu bewegen, vielleicht den Arm um dich zu legen … aber deine Variante gefällt mir besser.«

Gott, seine Lippe blutete. Ich dumme Gans hatte völlig vergessen, meine Körperkraft zu zügeln. Der arme Noah war offensichtlich Masochist. Wenigstens hatte ich ihm nicht die Zähne eingeschlagen; das hätte er mir vielleicht doch übelgenommen.

Noah packte mich bei den Schultern, und diesmal senkte er den Kopf aus eigenem Antrieb. Ich beherrschte mich und küsste ihn sanft, ließ seine Zunge zwischen meine Lippen gleiten. Sein Herz begann heftiger zu pochen, und sein Blut wanderte südwärts. Es war fast schon komisch zu hören, wie sein Körper reagierte.

Ich stieß Noah zurück. »Zu mehr bin ich nicht bereit.«

»Das ist völlig in Ordnung, Cristine. Das Einzige, worum ich dich noch bitte, ist, dass wir uns wiedersehen. Ich möchte dich unbedingt wiedersehen.«

Sein Gesicht war ernst und ungeheuer aufrichtig. Was für ein Unterschied zu mir, mit all meinen Geheimnissen.

Ich seufzte noch einmal. »Noah, ich führe ein sehr … ungewöhnliches Leben. Durch meinen Beruf bin ich oft auf Reisen, auch ohne Vorankündigung. Ich kann so gut wie keine Pläne für die Zukunft machen. Klingt das verlockend?«

Er nickte. »Es klingt wunderbar, weil es dein Leben ist. Ich wäre gerne ein Teil davon.«

Die Vernunft schickte mir eine eindeutige Warnung. Tu’s nicht. Tu’s nicht.

4

Ein lautes Klopfen an meiner Tür ließ mich im Bett hochfahren. Es war erst neun Uhr morgens. So früh kam niemand zu mir; jeder kannte meine Schlafgewohnheiten. Selbst Noah, mit dem ich nun seit einem Monat zusammen war, hätte sich nicht erdreistet, zu so einer unchristlichen Stunde bei mir anzurufen oder selbst vorbeizukommen.

Ich ging nach unten, steckte mir gewohnheitsmäßig ein Silbermesser in die Bademanteltasche und spähte durch den Türspion.

Vor meiner Tür stand Tate, und auch er wirkte, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen.

»Was ist passiert?«, fragte ich, nachdem ich ihm geöffnet hatte.

»Wir müssen zum Stützpunkt. Don wartet auf uns, er verständigt auch Juan und Dave.«

Ich ließ die Tür offen und ging wieder nach oben, um mir etwas anzuziehen. Auf keinen Fall würde ich mich in meinem Tweety-Schlafanzug sehen lassen; darin würde ich meinen Männern kaum Respekt einflößen.

Nachdem ich mich angezogen und mir hastig die Zähne geputzt hatte, stieg ich zu Tate ins Auto und blinzelte ins grelle Morgenlicht.

»Weißt du, warum wir kommen sollen? Weshalb hat Don mich nicht angerufen?«

Tate stöhnte. »Er wollte erst meine Meinung zu der Situation hören. In Ohio gab es letzte Nacht mehrere Mordfälle. Ziemlich drastisch; es wurden keine Anstalten gemacht, die Leichen zu verbergen. Sah eher so aus, als sollten sie gefunden werden.«

»Was ist daran so ungewöhnlich? Natürlich ist das schrecklich, aber es kommt vor.«

Ich war verwirrt. Wir machten uns nicht zu jedem schaurigen Tatort persönlich auf, da hätten wir viel zu tun gehabt. Er hatte mir anscheineinend noch nicht alles erzählt.

»Wir sind fast da. Den Rest muss Don dir erklären. Ich sollte nur den Fahrer spielen.«

Tate war Sergeant bei den Special Forces gewesen, bevor er zu Don gewechselt war, und seine Jahre beim Militär hatten deutliche Spuren hinterlassen. Befehle werden befolgt, Führungsentscheidungen nicht hinterfragt. Genau das schätzte Don an ihm … und frustrierte ihn an mir, denn ich war in allem das krasse Gegenteil.

Zwanzig Minuten später waren wir am Stützpunkt angekommen. Die bewaffneten Wachposten winkten uns wie üblich durchs Tor. Tate und ich waren ein so gewohnter Anblick, dass wir uns nicht einmal mehr ausweisen mussten. Wir kannten praktisch alle Wachen mit Namen, Rang und Dienstnummer.

Don war in seinem Büro und lief hinter seinem Schreibtisch auf und ab, woraufhin ich die Augenbrauen hochzog. Mein Vorgesetzter war doch sonst so ruhig und gelassen. Ich war jetzt seit vier Jahren für ihn tätig und sah ihn gerade zum zweiten Mal so herumtigern. Beim ersten Mal hatte er herausgefunden, dass Ian beziehungsweise Liam Flannery, wie er für Don immer noch hieß, die Flucht gelungen war. Don hatte gewollt, dass ich den Vampir zum Stützpunkt brachte, damit wir ihn dort gefangen halten und aus seinem Blut neues Brams gewinnen konnten. An dem Tag, an dem ich ohne Ian zurückgekehrt war, hatte ich gedacht, Don würde ausflippen. Oder den Teppich durchwetzen. Dass ich fast erstochen worden war, schien ihm kaum der Rede wert zu sein. Meiner Meinung nach war Dons Wertesystem ziemlich durcheinandergeraten.

Auf seinem Schreibtisch lagen einige Fotos. Er deutete auf sie, als wir eintraten.

»Ich habe einen Freund beim Franklin County Police Department, der mir die hier vor zwei Stunden gemailt hat. Er hat das Gebiet bereits abgeriegelt und dafür gesorgt, dass keine weiteren Polizeikräfte und Rechtsmediziner Zutritt zum Tatort erhalten. Du machst dich auf, sobald das Team zusammengestellt ist. Nimm deine besten Männer mit, du wirst sie brauchen. Wir halten zusätzliche Kräfte bereit, die du bei Bedarf einsetzen kannst. Die Sache duldet keinen Aufschub.«

Franklin County. Meine Heimat. »Spar dir die Geheimniskrämerei, Don. Meine Aufmerksamkeit hast du schon.«

Statt einer Antwort gab er mir eines der Fotos. Es zeigte einen kleinen Raum, in dem zahllose frische Leichenteile auf dem Teppichboden verstreut lagen. Ich erkannte ihn sofort als das Zimmer, das ich einst im Haus meiner Großeltern bewohnt hatte. Die Schrift an der Wand ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, und mir war sofort klar, warum Don so außer sich war.

Komm, miez, miez, miez

Das war nicht gut. Gar nicht gut, verdammte Scheiße. Diese gezielte Provokation war eindeutig an mich gerichtet und in dem Haus hinterlassen worden, in dem ich aufgewachsen war. Das konnte nur zwei Dinge bedeuten. Irgendjemand kannte meinen Künstlernamen … und meinen richtigen Namen auch.

»Wo ist meine Mutter?« Ihr galt mein erster Gedanke. Wenn die Mörder mich als Catherine Crawfield kannten, hatten sie vielleicht auch die Verbindung zu Cristine Russel hergestellt.

Don hob die Hand. »Wir haben ein paar Leute zu ihr geschickt, die Anweisung haben, sie herzubringen. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wüsste der Mörder nämlich über deine jetzige Identität Bescheid, hätte er sich wohl kaum die Mühe gemacht, deinen alten Wohnort aufzusuchen.«

Da hatte er recht. Ich war so außer mir, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Das musste aufhören, für solche Dummheiten hatte ich keine Zeit.

»Hast du irgendeine Ahnung, wer dahinterstecken könnte, Cat?«

»Natürlich nicht! Wie sollte ich?«

Eine Minute lang grübelte Don über meine Antwort nach und zupfte dabei an seiner Augenbraue herum.

»Es ist also reiner Zufall, dass du seit einem Monat mit Noah Rose zusammen bist und dich plötzlich jemand enttarnt? Hast du ihm erzählt, was du bist? Was du tust?«

Ich warf Don einen schiefen Blick zu. »Du hast Noah doch schon von oben bis unten abgeklopft, kaum dass du von meiner Beziehung zu ihm Wind bekommen hast. Ohne mein Einverständnis, wie ich hinzufügen möchte. Und nein, Noah weiß nichts von Vampiren und auch nichts von meinem Beruf oder meiner Herkunft. Und damit basta.«

Mit einem Nicken gab Don sich geschlagen und fuhr mit seinen Mutmaßungen fort. »Was meinst du? Könnte Liam Flannery dahinterstecken? Hast du ihm irgendetwas erzählt, aus dem er Rückschlüsse auf deine Vergangenheit hätte ziehen können?«

Mir lief ein kalter Schauder über den Rücken. Ian hatte jede Menge Verbindungen zu meiner Vergangenheit. Über Bones. Der kannte meine alte Adresse und meinen echten Namen, und er hatte mich immer Kätzchen genannt. Steckte Bones hinter allem? Wäre er zu einer so extremen Tat fähig, um mich aus der Reserve zu locken? Dachte er nach über vier Jahren überhaupt noch an mich?

»Nein, ich habe Flannery nichts erzählt. Ich kann mir nicht vorstellen, was er damit zu tun haben sollte.«

Das war eine glatte Lüge. Steckte Bones dahinter, direkt oder indirekt, würde ich mich persönlich mit ihm befassen. Don und Tate glaubten, seine Leiche läge im Keller auf Eis. Und das sollte auch so bleiben.

Juan und Dave trafen ein. Auch sie sahen aus, als hätte man sie eben aus dem Schlaf gerissen. In aller Kürze klärte Don sie über die Situation und ihre Auswirkungen auf.

»Cat, ihr vier kümmert euch um die Angelegenheit«, schloss er seine Ausführungen. »Stellt ein Team zusammen, und stopft das Informationsleck. Die Flugzeuge stehen jederzeit bereit. Macht diesmal keine Gefangenen. Schaltet einfach jeden aus, der über dich Bescheid weiß.«

Ich nickte grimmig und hoffte inständig, dass sich mein Verdacht nicht bewahrheiten würde.

 

»Warst du überhaupt schon mal wieder daheim, seit du bei diesem aberwitzigen Todeskommando arbeitest? Glaubst du, dich kennt noch jemand?«

Dave plapperte ununterbrochen, während wir eine Platzrunde über dem Luftstützpunkt drehten, bevor wir zur Landung ansetzten.

»Nein, seit dem Tod meiner Großeltern bin ich nicht mehr hier gewesen. Ich hatte auch nur einen einzigen Freund.« Damit meinte ich übrigens keineswegs ein gewisses weibstolles, trunksüchtiges Gespenst. »Aber der ist nach seinem Collegeabschluss nach Santa Monica umgezogen, das ist jetzt schon Jahre her.«

Ich sprach von Timmie, meinem damaligen Wohnungsnachbarn. Das Letzte, was ich von ihm gehört hatte, war, dass er als Reporter für eines dieser Independent-Magazine arbeitete, die sich mit unerklärlichen Phänomenen befassen. Eines dieser Blätter eben, die ab und zu auf eine unglaubliche, aber auf Tatsachen beruhende Geschichte stoßen und Don dann das Leben schwer machen, weil er mit all den Spekulationen aufräumen muss. Timmie glaubte, ich wäre bei einer Schießerei mit der Polizei ums Leben gekommen, nachdem ich meine Großeltern, mehrere Polizeibeamte und den Gouverneur ermordet hatte. Furchtbar, dass er mich ausgerechnet so in Erinnerung behalten musste. Auf meinen guten Ruf hatte Don keine Rücksicht genommen, als er mir meine neue Identität verpasst hatte. Sogar einen Grabstein und falsche Autopsieberichte gab es.

»Ach übrigens …«, ich streifte die Vergangenheit ab wie einen nassen Regenmantel. »Ich trage das Haar jetzt kürzer und braun. Damit sehe ich ganz anders aus. Niemand würde mich jetzt noch erkennen.«

Bis auf Bones. Schon mein Geruch würde mich aus einer Meile Entfernung verraten. Der Gedanke daran, ihn wiederzusehen, selbst unter solch makabren Umständen, ließ mein Herz höher schlagen. Wie tief war ich doch gesunken.

»Bist du dir sicher, dass es eine gute Idee war, Cooper mitzunehmen ?« Dave stieß mich an und warf einen Blick in den hinteren Teil des Flugzeugs. Wir hatten vorne einen abgetrennten Bereich für uns. Was für ein Luxus.

»Ich weiß, er ist erst seit zwei Monaten bei uns, aber er ist ein schlauer Bursche, schnell und skrupellos. Seine Jahre als Undercover-Drogenfahnder kommen ihm da vermutlich zugute. Bei den Trainingsmanövern hat er sich gut geschlagen, jetzt muss er sich nur noch im Ernstfall beweisen.«

Dave runzelte die Stirn. »Er mag dich nicht, Cat. Er glaubt, du würdest dich eines Tages gegen uns wenden, weil du ein Mischling bist. Ich glaube, wir sollten ihm was von dem Saft verabreichen und die letzten zwei Monate aus seinem Gedächtnis löschen. «

Mit »Saft verabreichen« meinte er die Gehirnwäschetechniken, die Don in den vergangenen Jahren perfektioniert hatte. Unseren hauseigenen Vampiren wurden die Giftzähne gemolken wie Schlangen. Das Halluzinogen, das sie produzierten, wurde dann isoliert und gesammelt. Wendete man es in Kombination mit den üblichen psychologischen Manipulationsmethoden des Militärs an, erfreuten sich die Behandelten hinterher seliger Unwissenheit, was die Details unserer Arbeit anging. So konnten wir die Rekruten aussieben, ohne uns Gedanken darüber machen zu müssen, dass sie etwas über ein Mädchen mit Superkräften ausplaudern würden. Alles, woran sie sich erinnerten, war ein harter Trainingstag.

5

Das Haus, in dem ich aufgewachsen war, lag inmitten einer Kirschplantage, die anscheinend seit Jahren niemand mehr bestellt hatte. Vielleicht seit der Ermordung meiner Großeltern nicht mehr. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich Licking Falls, Ohio, noch einmal wiedersehen würde, und das Erschreckende war, dass die Zeit in dem Städtchen stillzustehen schien. Gott, unser Haus würde eine zweifelhafte Berühmtheit erlangen. Vier Menschen waren in diesen Mauern ermordet worden. Zwei davon angeblich bei dem Amoklauf ihrer eigenen Enkelin, und nun dieses Paar.

Ironischerweise war das letzte Mal, als ich auf unsere Veranda zuging, drinnen auch ein Doppelmord geschehen. Schmerz durchzuckte mich, als ich im Geiste meinen Großvater auf dem Küchenboden liegen sah, dazu die blutigen Handabdrücke meiner Großmutter auf der Treppe, über die sie kriechend zu fliehen versucht hatte.

Dave und ich sahen uns in der Küche um, stets darauf bedacht, keine Spuren zu verwischen.

»Sind die Leichen schon untersucht worden? Hat man irgendetwas gefunden?«

Tate hustete. »Die Leichen sind noch hier, Cat. Don sagt, sie sollen erst fortgeschafft werden, wenn du sie dir angesehen hast. Nichts ist verändert worden.«

Klasse. Don war ja ein ganz Schlauer. »Wurde alles fotografiert? Dokumentiert? Dürfen wir sie auseinandernehmen?«

Bei meiner Wortwahl fuhr Juan zusammen, aber Tate nickte. Zusätzliche Einheiten umstellten das Haus für den Fall, dass man uns in einen Hinterhalt gelockt hatte. Es war kurz vor zwölf Uhr mittags, wir waren also einigermaßen sicher. Vampire waren keine Frühaufsteher. Das hier war offensichtlich allein für mich inszeniert worden, und wer auch immer dahintersteckte, schlummerte zweifellos gerade tief und fest.

»Also los, dann wollen wir mal.«

Eine Stunde später machte Cooper schlapp.

»Mir wird schlecht.«

Ich sah von den Überresten des einst trauten Paares auf. Ja, Coopers sonst mokkafarbenes Gesicht hatte einen unübersehbaren Grünstich bekommen.

»Wenn du hier hinkotzt, leckst du hinterher alles wieder auf, Soldat.«