Verlockung der Nacht - Jeaniene Frost - E-Book

Verlockung der Nacht E-Book

Jeaniene Frost

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Beschreibung

Schnell, erotisch und unheimlich erfolgreich!

Um gegen Apollyon, den dunklen Propheten der Ghule, bestehen zu können, erhielt Cat von der Voodoo-Königin Marie Laveau Macht über Geister. Im letzten Moment konnte Cat so mit ihrem geliebten Bones einen Krieg zwischen Vampiren und Ghulen abwenden. Doch noch immer bleibt Cat und Bones keine Gelegenheit, ihre Zweisamkeit zu genießen. Denn ein uralter heimtückischer Geist will Cats neue Fähigkeiten für seine Zwecke nutzen, und Bones wäre ihm dabei nur im Weg. Doch der Geist hat Cats Zorn unterschätzt!

Cat und Bones sind auch im 6. Roman ein unwiderstehliches Paar.

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Seitenzahl: 440

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Buch

Die Auseinandersetzung mit Apollyon, dem dunklen Propheten der Ghule, ist vorüber – eine Auseinandersetzung, die beinahe zu einem Krieg zwischen Vampiren und Ghulen geführt hätte und in der Cat nur bestehen konnte, weil sie von der Vodoo-Königin Marie Laveau Macht über Geister erhalten hatte. Jetzt ist Cat nur noch müde, und sie will weiter nichts als endlich wieder einmal ein bisschen Zweisamkeit mit ihrem geliebten Bones genießen. Doch ihre neuen Fähigkeiten erwecken das Interesse eines uralten heimtückischen Geistes, der sie für seine eigenen Zwecke nutzen will. Vor vielen Jahrhunderten war er ein Hexenjäger, und jetzt nimmt er jedes Jahr am Abend vor Allerheiligen wieder körperliche Gestalt an, um unschuldige Frauen zu foltern und dann bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Unzählige Frauen hat er auf diese Weise schon getötet, doch einer Frau wie Cat ist er noch nie begegnet. Das merkt er, als er Bones aus dem Weg zu räumen versucht – und Cat so richtig wütend wird …

Bei Blanvalet von Jeaniene Frost lieferbar:

1. Blutrote Küsse (26605)

2. Kuss der Nacht (26623)

3. Gefährtin der Dämmerung (37381)

4. Der sanfte Hauch der Finsternis (27554)

5. Dunkle Sehnsucht (37745)

6. Verlockung der Nacht (37916)

Beim Penhaligon Verlag von Jeaniene Frost lieferbar:

Die Geschichte von Spade und Denise: Nachtjägerin (3067)

Die Geschichte von Mencheres und Kira: Rubinroter Schatten (3087)

Die Geschichte von Vlad und Leila: Dunkle Flammen der Leidenschaft (3101; erscheint 01/13)

Jeaniene Frost

Verlockung der Nacht

Roman

Aus dem Englischen

von Sandra Müller

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel

»One Grave at a Time« bei Avon, New York.

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe September 2012

Copyright © der Originalausgabe 2011 by Jeaniene Frost

Published by arrangement with Avon,

an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by

Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Umschlagmotiv: bürosüd°, München

Redaktion: Rainer Michael Rahn

HK · Herstellung: sam

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-07949-9

www.blanvalet.de

Für meine Großmutter Kathleen.

Du bist zwar nicht mehr unter uns,

wirst aber deshalb nicht weniger geliebt.

Anmerkung der Autorin

Der Malleus Maleficarum oder auch Hexenhammer existiert tatsächlich und wurde von Heinrich Kramer und Jakob Sprenger verfasst – auch wenn einige Forscher davon ausgehen, dass Sprengers Beitrag eher nomineller als schriftstellerischer Natur gewesen war. Aus dramaturgischen Gründen habe ich allerdings beschlossen, die Abfassung des Malleus Maleficarum einem Autor allein zuzuschreiben, Heinrich Kramer. Jakob Sprenger, du bist noch mal davongekommen.

Prolog

Lasting Peace Cemetery

Garland, Texas

»Donald Bartholomew Williams, schaff deinen Arsch wieder her, sofort!«

Mein Befehl hing noch in der Luft, als eine Bewegung mich nach rechts blicken ließ. Direkt hinter einem Grabmal in Form eines weinenden Puttos stand mein Onkel. Don sah mich an und zupfte dabei an seiner Augenbraue, was sein Unbehagen besser ausdrückte als ein ganzer Wortschwall. In seinem Anzug und mit Krawatte, das Haar wie üblich ordentlich zurückgekämmt, hätte ein unbeteiligter Beobachter ihn für einen typischen Geschäftsmann mittleren Alters halten können. Nur musste man untot oder medial veranlagt sein, um ihn überhaupt sehen zu können.

Don Williams, vormals Chef einer Geheimabteilung des Innenministeriums, deren Aufgabe es war, die Menschheit vor übernatürlichen Kriminellen zu schützen, war vor zehn Tagen verstorben. Und doch stand er da. Als Geist.

Ich hatte an seinem Bett geweint, als der tödliche Herzinfarkt ihn ereilt hatte, später seine Kremation veranlasst, mich hinterher wie ein Zombie gefühlt und sogar seine Asche mit nach Hause genommen, um ihn immer bei mir zu haben. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, wie nahe mir Don die ganze Zeit über gewesen war, denn schließlich hatte ich mehrmals geglaubt, ihn aus dem Augenwinkel wahrgenommen zu haben. Ich hatte mir eingeredet, dass meine Einbildung und der Kummer mir einen Streich gespielt hatten, bis ich vor fünf Minuten festgestellt hatte, dass mein Mann, Bones, meinen Onkel ebenfalls sehen konnte. Obwohl wir uns mitten auf einem Friedhof befanden, auf dem noch die in den jüngsten Kampfhandlungen Gefallenen verstreut lagen und in mir mehrere Silbergeschosse wie fiese kleine Herbstfeuer brannten, galt meine ganze Aufmerksamkeit einer Tatsache: Don hatte mir verheimlicht, dass er noch im Diesseits weilte.

Mein Onkel schien nicht sehr erfreut darüber zu sein, dass ich seinem Geheimnis auf die Spur gekommen war. Einerseits wollte ich ihm die Arme um den Hals werfen, andererseits hätte ich ihn am liebsten geschüttelt, bis ihm die Zähne klapperten. Er hätte mich einweihen müssen, statt im Hintergrund herumzuschleichen wie bei einem gespenstischen Versteckspiel! Meinem emotionalen Zwiespalt zum Trotz konnte ich Don im Augenblick natürlich weder schütteln noch ihm um den Hals fallen. Meine Hände wären geradewegs durch seine jetzt transparente Gestalt hindurchgeglitten, und auch mein Onkel konnte nichts – und niemanden – in körperlicher Form mehr berühren. Mir blieb also nichts anderes übrig, als ihn mit einer Mischung aus Verwirrung, Freude, Unglauben und Verärgerung über sein Täuschungsmanöver anzustarren.

»Hast du mir nichts zu sagen?«, erkundigte ich mich schließlich.

Der Blick seiner grauen Augen ging zu einer Stelle ein kleines Stück hinter mir. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Bones dort aufgetaucht war. Seit er mich vom Halbblut zur vollwertigen Vampirin gemacht hatte, konnte ich Bones fühlen, als wären unsere Auren auf übernatürliche Weise miteinander verwoben. Was sie wohl auch waren. Ich wusste noch immer nicht alles über die Art der Verbindung, die Vampire zu ihren Erzeugern hatten. Fest stand nur, dass es sie gab und dass sie machtvoll war. Schirmte Bones sich nicht ab, nahm ich seine Gefühle als konstanten, mit meiner Psyche verflochtenen Strom wahr.

Daher wusste ich auch, dass er sehr viel beherrschter war als ich. Sein anfänglicher Schock darüber, Don als Geist zu begegnen, war verhaltener Nachdenklichkeit gewichen. Meine Emotionen hingegen fuhren noch immer Achterbahn. Bones trat an meine Seite, den Blick seiner dunklen Augen auf meinen Onkel gerichtet.

»Wie du siehst, ist sie wohlauf«, stellte Bones fest, die Worte von seinem britischen Akzent gefärbt. »Wir haben Apollyon aufgehalten, und zwischen Ghulen und Vampiren herrscht wieder Frieden. Alles ist gut.«

Mir ging ein Licht auf, und ich spürte einen Stich im Herzen. War mein Onkel deshalb noch nicht »im Jenseits«, wie er es hätte sein sollen? Vermutlich. Don war ein noch schlimmerer Kontrollfreak als ich. Er hatte zwar mein wiederholtes Angebot ausgeschlagen, ihn vom Krebs zu heilen, indem ich ihn zum Vampir machte, aber womöglich hatte ihm die schwelende Feindseligkeit unter den Übernatürlichen solche Sorgen gemacht, dass er im Tod nicht ganz hatte loslassen können. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass es Geister gab, die sich an ihre irdische Existenz klammerten, bis sie sich vergewissert hatten, dass es ihren Lieben gut ging. Bestimmt war auch Don nur geblieben, weil er sicher sein wollte, dass ich die Schlacht überstehen und die Menschheit schützen würde, indem ich einen Zusammenstoß zwischen Vampiren und Ghulen verhinderte. Jetzt allerdings konnte er in Frieden gehen.

Ich blinzelte die plötzliche Feuchtigkeit in meinem Blick fort. »Er hat recht«, krächzte ich. »Ich werde dich immer lieben und vermissen, aber du bist … du musst jetzt an einen anderen Ort gehen, nicht wahr?«

Mein Onkel schenkte uns beiden einen düsteren Blick. Er hatte zwar keine richtigen Lungen mehr, aber es hörte sich trotzdem an, als würde er erleichtert aufatmen.

»Leb wohl, Cat«, sagte er, seine ersten Worte an mich, seit dem Tag, an dem er gestorben war. Dann wurde die Atmosphäre um ihn herum dunstig, seine Züge verschwammen, und seine Umrisse wurden unscharf. Ich griff nach Bones’ Hand und spürte, wie seine starken Finger sich um meine schlossen und tröstend zudrückten. Anders als beim letzten Mal, als ich mich von ihm verabschieden musste, hatte Don jetzt wenigstens keine Schmerzen. Ich versuchte zu lächeln, als das Bild meines Onkels endgültig verblasste, doch eine neue Welle des Kummers erfasste mich. Das Wissen, dass er zu dem ihm bestimmten Ort ging, linderte nicht den Schmerz des Verlusts.

Als Don verschwunden war, wartete Bones noch ein paar Augenblicke ab, bevor er sich mir zuwandte.

»Kätzchen, ich weiß, dass das Timing schlecht ist, aber wir haben noch einiges zu erledigen. Die Kugeln aus deinem Leib entfernen, zum Beispiel, und die Leichen wegschaffen …«

»Ach Scheiße«, flüsterte ich.

Während Bones gesprochen hatte, war Don hinter ihm aufgetaucht. Mein Onkel machte ein ausgesprochen finsteres Gesicht und schwenkte in einem für ihn völlig untypischen Gefühlsausbruch die Arme.

»Kann mir mal einer erklären, warum zum Teufel ich nicht von hier wegkomme?«

1

Ich zerknüllte die vor mir liegende Rechnung und warf sie nur deshalb nicht fort, weil der Geistliche auch nichts dafür konnte, dass mein Onkel noch immer im Diesseits weilte, nachdem wir seine Asche in geweihter Erde bestattet hatten. Inzwischen hatten wir alles ausprobiert, was unsere Freunde – lebende, untote und andere – uns geraten hatten, um meinen Onkel in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Nichts hatte funktioniert, was man daran erkennen konnte, dass Don vor mir hin und her tigerte, ohne dabei im eigentlichen Sinne den Boden mit den Füßen zu berühren.

Sein Frust war verständlich. Wenn man starb und nicht gerade vorhatte, zum Vampir oder Ghul zu werden, ging man eigentlich davon aus, dass man nicht länger in dieser Welt festhängen würde. Klar hatte ich schon mit Gespenstern zu tun gehabt – in letzter Zeit sogar ziemlich oft –, aber verglich man die Gesamtzahl der Verstorbenen mit der Anzahl existierender Geister, lag die Chance, zur Spukgestalt zu werden, doch bei unter einem Prozent. Und dennoch war mein Onkel in dieser seltenen Zwischenexistenz gefangen, ob es ihm gefiel oder nicht. Für einen Mann, dessen Fähigkeiten zur Manipulation seines Umfelds fast an die von Machiavelli herangereicht hatten, musste das umso ärgerlicher sein.

»Wir probieren was anderes«, meinte ich und zwang mich zu einem falschen Lächeln. »Hey, du bist doch Profi im Meistern widriger Umstände. Du hast es geschafft, die Welt des Übersinnlichen vor den Amerikanern geheim zu halten, obwohl es Komplikationen wie Handy-Videos, das Internet und YouTube gibt. Du findest schon einen Weg ins Jenseits.«

Mein Aufmunterungsversuch brachte mir lediglich einen bösen Blick ein. »Fabian hat das nie geschafft«, murrte Don und wies mit einer unwirschen Handbewegung auf meinen vor dem Büro herumlungernden geisterhaften Freund. »Und die unzähligen anderen auch nicht, die es zu dir hinzieht, seit du zum Gespenstermagnet mutiert bist.«

Ich wand mich innerlich, aber er hatte recht. Früher war ich der Meinung gewesen, es wäre das Ungewöhnlichste überhaupt, als Tochter eines Vampirs und eines Menschen geboren zu werden, aber das bewies nur, wie wenig ich über die seltsamen Launen des Schicksals wusste. Nach meiner Verwandlung zur vollwertigen Vampirin war ich eindeutig die seltsamste Person der Welt. Im Gegensatz zu jedem anständigen Vampir ernährte ich mich nicht von menschlichem Blut. Nein, ich brauchte untotes Blut zum Überleben, und daraus bezog ich mehr als nur Energie. Gleichzeitig nahm ich auch – zeitweise – die besonderen Fähigkeiten des Spenders in mich auf. Nachdem ich von einer Ghula getrunken hatte, die zufällig über einen ungewöhnlich starken Draht zu den Toten verfügte, war ich für jeden Geist im selben Postleitzahlengebiet unwiderstehlich geworden. Im Stillen sorgte ich mich, ob womöglich meine geborgten Fähigkeiten mit daran schuld sein konnten, dass Don den Übertritt ins Jenseits nicht schaffte. Sicher war ihm der Gedanke auch schon gekommen, deshalb war er wohl auch noch mieser drauf als sonst.

»Sag ihnen, sie sollen leiser sein, Kätzchen«, murmelte Bones, als er ins Zimmer kam. »Ich kann ja meine eigenen Gedanken nicht hören.«

Ich erhob die Stimme, um sicherzugehen, dass ich nicht nur innerhalb des Hauses, sondern auch auf der Terrasse und im Garten gehört wurde.

»Bitte, Leute, würdet ihr euch wohl ein bisschen leiser unterhalten?«

Dutzende von Gesprächen wurden sofort gedämpfter weitergeführt, obwohl ich den Befehl extra als Bitte formuliert hatte. Mir war es noch immer unangenehm, dass mir dank meiner neu erworbenen Fähigkeiten sämtliche Geister blind gehorchen mussten. Ich wollte diese Macht über andere nicht und war dementsprechend vorsichtig in meiner Wortwahl gegenüber dem Geistervolk. Insbesondere was meinen Onkel betraf. Wie die Welt sich doch verändert, dachte ich. In all den Jahren, in denen ich Dons Team von Elitesoldaten angehört hatte, hatte es mich genervt, seinen Befehlen folgen zu müssen. Jetzt musste er sich nach meinen richten, wenn ich das wollte … damals mein sehnlichster Wunsch, und heute nur noch lästig.

Bones ließ sich in den nächsten Sessel sinken. Sein schlanker, muskulöser Körper strahlte eine berauschende Mischung aus Sexappeal und geballter Energie aus, obwohl er ganz lässig dasaß, einen nackten Fuß an meinem Schenkel. Sein dunkles Haar war noch feucht von der Dusche, die er gerade genommen hatte, sodass sich die kurzen Löckchen noch enger an seinen Kopf schmiegten. Ein einzelner Wassertropfen rollte träge seinen Hals hinunter in Richtung der gemeißelten Brust, und ich musste mir die Lippen anfeuchten, so stark war plötzlich mein Verlangen, dem Tropfen mit der Zunge nachzuspüren.

Wären wir allein gewesen, hätte ich dieses Verlangen nicht unterdrücken müssen. Bones wäre nur allzu bereit für ein kleines nachmittägliches Intermezzo gewesen. Seine Libido war so legendär wie seine Gefährlichkeit, aber angesichts der Tatsache, dass zwei Geister uns beobachteten, musste ich mich eben gedulden.

»Wenn noch mehr von diesen Spukgestalten auftauchen, pflanze ich rund ums Haus Knoblauch und Hanf«, stellte Bones beiläufig fest.

Mein Onkel warf ihm einen finsteren Blick zu, weil ihm klar war, dass diese Pflanzen in großen Mengen geisterabwehrend wirkten. »Nicht, bevor ich dort bin, wo ich hingehöre.«

Ich hustete, was nicht mehr notwendig war, seit ich nach Belieben aufs Atmen verzichten konnte.

»Meine Fähigkeiten sind bestimmt schon bald wieder verschwunden. Solche geborgten Eigenschaften haben sich bei mir bisher höchstens zwei Monate gehalten. Und so lange ist es jetzt schon fast her, dass … na ja.«

Noch immer wussten die meisten nicht, dass es Marie Laveau, Voodoo-Königin von New Orleans, gewesen war, die mich zu einer Art Kindergärtnerin für Geister gemacht hatte. Sie hatte mich dazu genötigt, ihr Blut zu trinken. Klar, später hatte ich begriffen, warum sie es getan hatte, aber als es passiert war, hatte es mich ziemlich wütend gemacht.

»Ich kenne einen Geist, der drei Wochen auf seinen Eintritt ins Jenseits warten musste«, meldete sich Fabian aus der Tür zu Wort. Auf mein dankbares Lächeln hin trat er ganz ein. »Bestimmt fällt Cat noch etwas ein, das dir den Übergang ermöglichen wird«, fügte er voller Zuversicht hinzu.

Der Gute. Echte Freunde findet man eben in unterschiedlichster Gestalt, selbst in transparenter.

Don war nicht überzeugt. »Ich bin seit über fünf Wochen tot«, entgegnete er knapp. »Kennst du jemanden, der sich so lange gedulden musste?«

Mein Handy klingelte, sodass Fabian eine Antwort erspart blieb, weil ich drangehen musste. Das Timing war echt gut, denn seinem Gesichtsausdruck nach hätte Don Fabians Auskunft ohnehin nicht gefallen.

»Cat.«

Ich brauchte nicht erst einen Blick auf die Nummernanzeige zu werfen, um an dieser einen Silbe zu erkennen, dass es Tate war, der Hauptmann meines alten Teams. Er wollte vermutlich Don sprechen, da Geisterstimmen allerdings technisch nicht gut übertragbar waren, musste ich Vermittlung spielen.

»Hey, was gibt’s?«, fragte ich und winkte Don herbei, während ich mit den Lippen »Es ist Tate« formte.

»Kannst du heute Abend zum Stützpunkt kommen?« Tates Tonfall war seltsam. Zu offiziell. »Der Controller des Teams möchte dich kennenlernen.«

Controller? »Seit wann haben wir denn so was?«, erkundigte ich mich und vergaß ganz, dass ich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr von »wir« sprechen konnte, wenn es um das Team ging.

»Seit heute«, gab Tate zurück.

Ich warf Bones einen Blick zu, wartete aber nicht auf sein zustimmendes Achselzucken, bevor ich antwortete. Wir hatten nichts Wichtiges vor, und meine Neugier war geweckt. »Okay, ich bin in ein paar Stunden bei euch.«

»Komm nicht allein.«

Diesen letzten Teil flüsterte Tate kurz vor dem Auflegen. Ich zog die Augenbrauen hoch. Mehr, weil er so leise gesprochen hatte, dass nur jemand mit übernatürlichem Gehör ihn verstehen konnte, als wegen der Worte selbst.

Da war eindeutig etwas im Busch. Mir war klar, dass Tate nicht gemeint hatte, ich sollte Bones mitbringen, denn der begleitete mich ohnehin immer, wenn ich meinen früheren Arbeitsplatz besuchte. Er hatte sich auf jemand anderen bezogen, und mir fiel nur einer ein, der gemeint sein konnte.

Ich wandte mich an Don. »Lust auf einen Ausflug?«

Aus der Luft betrachtet wirkte der Stützpunkt wie irgendein beliebiges einstöckiges Gebäude umgeben von jeder Menge ungenutztem Parkplatz. In Wirklichkeit handelte es sich um einen alten Atombunker, dessen bewusst unauffällig gehaltenes Äußeres die Tatsache verbarg, dass er unter der Erde über vier weitere Stockwerke verfügte. Die Sicherheitsmaßnahmen hier waren streng, wie man es bei einer Geheimbehörde zur Überwachung der Untoten auch nicht anders erwarten würde. Dennoch war ich überrascht, als wir zehn Minuten über dem Gebäude schweben mussten, bevor unser Heli Landeerlaubnis erhielt. Wir waren schließlich nicht unangemeldet hereingeschneit.

Als Bones und ich ausstiegen, wurden wir vor den Flügeltüren auf dem Dach von drei behelmten Wachleuten aufgehalten.

»Ausweis«, bellte uns der erste Soldat an.

Ich lachte. »Der war gut, Cooper.«

Die Visiere der Wachen waren so dunkel, dass ich ihre Gesichter darunter nicht erkennen konnte, aber alle hatten schlagende Herzen, und Cooper war der Einzige meiner alten menschlichen Freunde, der frech genug war, so etwas abzuziehen.

»Ihren Ausweis«, wiederholte der Wachmann und artikulierte dabei so gedehnt, dass mir klar wurde: Das war nicht Cooper, und es war auch kein Witz. Die beiden Wachen rechts und links von ihm fassten ihre Maschinengewehre ein kleines bisschen fester.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Don, während er sich an meine Rechte gesellte. Die Wachmänner würdigten ihn keines Blicks, aber als Menschen konnten sie ihn ja auch nicht sehen.

Mir gefiel das auch nicht, aber fest stand, dass die Wachen uns erst reinlassen würden, wenn wir uns ausgewiesen hatten. Ich begann, in meiner Hosentasche zu wühlen, da ich aus Erfahrung gelernt hatte, dass man immer sein Portemonnaie dabeihaben sollte, selbst wenn man der Ansicht war, es nicht zu brauchen. Bones jedoch schenkte dem Trio lediglich ein Lächeln.

»Ihr wollt meinen Ausweis sehen?«, fragte er in seidenweichem Tonfall. »Hier bitte.« Bei diesen Worten wurden seine Augen leuchtend smaragdfarben, während Fänge sich aus seiner oberen Zahnreihe schoben, bis sie ihre volle Größe erreicht hatten und aussahen wie kleine Elfenbeindolche.

»Lasst uns durch, oder wir hauen ab, und ihr könnt eurem Boss erzählen, dass die Besucher, die er erwartet hat, Besseres zu tun haben, als ihre Zeit zu verschwenden.«

Der Soldat, der unsere Ausweise hatte sehen wollen, zögerte einen angespannten Augenblick lang und trat dann ohne ein weiteres Wort beiseite. Bones’ blitzende Reißzähne zogen sich zurück, und seine Augen nahmen wieder ihre ursprüngliche dunkelbraune Farbe an.

Ich steckte meinen Geldbeutel zurück in die Hosentasche. Den Führerschein würde ich dann wohl doch nicht brauchen.

»Gute Entscheidung«, bemerkte Bones. Ich rauschte an den Wachen vorbei, gefolgt von Bones, während mein Onkel noch immer vor sich hin murmelte, dass ihm das alles nicht gefiel. Mach keinen Mist, dachte ich, sagte es aber nicht laut, womit ich nicht bloß vermeiden wollte, dass die Leute dachten, ich würde Selbstgespräche führen. Don war hier jahrelang Chef gewesen und gestorben, nun stattete er dem Stützpunkt zum ersten Mal wieder einen Besuch ab, und das auch noch in transzendenter Gestalt, sodass die meisten seiner Kollegen ihn nicht mal sehen konnten. Bestimmt nervte ihn das mehr, als ich mir vorstellen konnte.

Wir gingen den Flur entlang zum Aufzug, und ich notierte im Stillen die Dinge, die sich geändert hatten, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. In diesem Gebäudeteil hatte es zwei geschäftige Büros gegeben, während jetzt allein unsere Schritte auf dem Linoleum zu hören waren.

Im Aufzug drückte ich den Knopf für das zweite Untergeschoss, wo sich die Mitarbeiterbüros befanden. Ein starkes Déja-vu-Gefühl überkam mich, als sich die glänzenden Türen schlossen. Als ich das letzte Mal in diesem Aufzug hinabgefahren war, hatte ich an Dons Bett eilen und ihm Lebewohl sagen wollen. Jetzt stand er neben mir, und die gegenüberliegende Seite der Aufzugkabine war durch sein Profil hindurch verschwommen zu erkennen. Das Leben hielt wirklich einiges an Überraschungen parat.

»Nur zu deiner Information, falls ich hier irgendwo ein helles Licht sehe, renne ich hinein, ohne auch nur auf ein verdammtes Wort von dir zu warten«, durchbrach mein Onkel das Schweigen.

Der Sarkasmus in seinem Tonfall brachte mich zum Lachen. »Ich werde dich die ganze Zeit anfeuern«, versicherte ich ihm, froh darüber, dass sein beißender Sinn für Humor ihn trotz der harten Wochen, die hinter uns lagen, nicht verlassen hatte.

Der Aufzug hielt an, und wir stiegen aus. Instinktiv wollte ich den Weg zu Dons ehemaligem Büro einschlagen, wandte mich dann aber nach links. Tate hatte gesagt, es käme ihm falsch vor, Dons altes Büro zu übernehmen, obwohl es das größte war und über eine kleine Kommandostation verfügte. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Mir wäre es auch wie Grabschändung vorgekommen, Dons Büro auszuräumen, wo er doch im Grunde noch da war, auch wenn das nur wenigen Leuten in diesem Gebäude bewusst war. Mein Onkel hatte nicht gewollt, dass sein neuer, transzendenter Status publik wurde, aber ich hatte mich geweigert, den untoten Teammitgliedern gegenüber ein Geheimnis daraus zu machen, denn die konnten Don ohnehin sehen und mit ihm reden.

Tates Tür war angelehnt. Ich trat ohne anzuklopfen ein, obwohl ich wusste, dass er nicht allein war. Jemand mit schlagendem Herzen war bei ihm. Jemand mit schlagendem Herzen und zu viel Rasierwasser für die empfindliche Nase eines Vampirs.

»Hey, Tate«, sagte ich und bemerkte sofort Tates steife Haltung, obwohl er saß. Der Grund für seine Anspannung war wohl der große, hagere Mann, der ein Stück entfernt von Tates Schreibtisch stand. Sein ergrauendes Haar war genauso kurz geschnitten und hoch gebürstet wie das von Tate, aber irgendetwas an ihm sagte mir, dass seine Frisur das einzig Militärische an ihm war. Er stand viel zu lässig da. Der verblüffte Blick, den er uns zuwarf, zeigte, dass ihm unsere Gegenwart auch erst auf meine Bemerkung hin aufgefallen war, und Vampire waren zwar leise, aber ich hatte bestimmt nicht versucht, mich anzuschleichen.

Die Arroganz in seinem Blick, sobald er sich von seiner Überraschung erholt hatte, sorgte dafür, dass ich mein Urteil über ihn von Zivilist auf Beamtenarsch revidierte. Im Grunde gab es nur zwei Arten von Personen, die einem bei einem ersten Zusammentreffen gleich derart borniert gegenübertraten: solche, die mit jeder Menge fieser paranormaler Fähigkeiten ausgestattet waren, und solche, die fest der Überzeugung waren, ihre Beziehungen würden ihnen das Recht geben, eigene Regeln aufzustellen. Da Mr Obercool ein Mensch war, traf wohl Letzteres auf ihn zu.

»Sie sind sicher der neue Controller«, sagte ich mit einem Lächeln, das auf jemanden, der mich nicht kannte, freundlich wirken musste.

»Ja«, war seine kühle Antwort. »Mein Name ist …«

»Jason Madigan«, führte Don den Satz gleichzeitig mit dem grauhaarigen Beamten zu Ende. Die Stimme meines Onkels klang angespannt, fast schockiert. »Was macht der denn hier?«

2

Statt mich Don zuzuwenden, wie ich es instinktiv hatte tun wollen, sah ich weiter Madigan an. Ich durfte ihn nicht merken lassen, dass ein Geist im Zimmer war, und Dons Frage war ohnehin rein rhetorisch gemeint gewesen, da er wusste, dass Madigan ihn nicht hören konnte.

»Cat Crawfield … Russel«, stellte ich mich vor. Okay, nach menschlichen Gesetzen waren Bones und ich zwar nicht rechtmäßig verheiratet, aber nach vampirischen Maßstäben waren wir fester verbunden, als ein Stück Papier es je hätte gewährleisten können.

Eine Woge des Glücks brandete gegen mein Unterbewusstsein, hatte die Schilde durchdrungen, mit denen Bones sein Innerstes seit der Landung abgeschirmt hatte. Ihm gefiel, dass ich seinen Nachnamen an meinen angehängt hatte. Mehr Zeremonie war nicht nötig, um mich davon zu überzeugen, dass ich vom heutigen Tag an, Catherine Crawfield Russel heißen wollte.

Ich wäre zwar auch ohne Dons Reaktion zu dem Schluss gekommen, dass Madigan sich als Nervensäge entpuppen würde, doch die strikten Anstandsformen, die ich aus meiner kleinbürgerlichen Kinderstube mitgenommen hatte, machten es mir unmöglich, ihm einen Händedruck zu verweigern. Madigan beäugte meine ausgestreckte Hand ein Sekündchen zu lange, bevor er sie schüttelte. Sein Zögern sagte mir, dass er entweder Frauen oder Vampiren gegenüber Vorurteile hegte, und weder das eine noch das andere machte ihn mir sympathischer.

Bones erlag nicht dem Drang, Madigan die Hand zu reichen, als er sich ihm vorstellte, aber um sich als unehelicher Sohn einer Prostituierten im London des achtzehnten Jahrhunderts durchzuschlagen, hatte er seine Kindheit schließlich auch mit Betteln und Stehlen statt mit Artigkeiten verbringen müssen. Ihm hatte man nicht eingebläut, sich höflich zu verhalten und älteren Menschen mit Respekt zu begegnen. Er sah Madigan unverwandt an, die Hände in den Taschen seines Ledermantels vergraben, das schiefe Lächeln eher herausfordernd als entgegenkommend.

Madigan kapierte. Er ließ meine Hand los und machte keinen Versuch, sie Bones hinzustrecken. Ich glaubte sogar, einen Anflug von Erleichterung über seine Züge huschen zu sehen.

Vorurteile gegenüber Vampiren also. Perfekt.

»Sie hatten recht, nicht wahr?«, wandte Madigan sich an Tate, und sein freundlicher Tonfall wirkte aufgesetzt. »Er ist tatsächlich mitgekommen.«

Kurz ging mein Blick zu Don. Grundgütiger, konnte Madigan ihn sehen? Er war zwar ein Mensch, aber womöglich verfügte Madigan über mediale Fähigkeiten …

»Lädt man einen verheirateten Vampir ein, ist sein Ehepartner automatisch mit eingeladen«, antwortete Bones leichthin. »Das ist ein uraltes Gesetz, aber ich sehe Ihnen Ihr Nichtwissen nach.«

Oh, Madigan hatte Bones gemeint. Ich unterdrückte mein Schnauben. Bones sagte die Wahrheit, wäre aber so oder so nicht zu Hause geblieben. Ich arbeitete hier nicht mehr, sodass man mir schlecht irgendwelche Konsequenzen androhen konnte, falls Madigan mein Benehmen missfiel. Und es würde ihm missfallen, so viel konnte ich ihm versprechen.

»Was sollte die Ausweiskontrolle auf dem Dach?«, erkundigte ich mich, um Madigan und Bones davon abzubringen, sich weiter gegenseitig niederzustarren, wobei Madigan ohnehin nur den Kürzeren ziehen konnte. Niemand konnte dem Blick eines Vampirs standhalten.

Madigan wandte sich mir zu, wobei sein natürlicher Körpergeruch unter der chemischen Keule seines Rasierwassers eine leicht säuerliche Note annahm.

»Eine der ersten Nachlässigkeiten, die mir aufgefallen ist, als ich vor zwei Tagen hier angekommen bin, war, dass bei der Landung niemand meine Personalien kontrolliert hat. Diese Einheit ist so bedeutend, dass sie es sich nicht leisten kann, durch eine Bagatelle wie schlampige Sicherheitsmaßnahmen kompromittiert zu werden.«

Tate schäumte, ein leichter Grünschimmer erschien in seinen blauen Augen, aber ich stieß lediglich ein Schnauben aus.

»Wenn jemand hier eingeflogen wird, geht das Personal davon aus, dass in der Maschine auch der sitzt, als der er sich ausgibt, nachdem Maschine, Crew und Flugplan zweimal überprüft wurden. Erst recht, wenn der Betreffende extra hierherbestellt wurde. Und sollte es doch mal jemand schaffen, all die anderen Kontrollen zu umgehen, wäre die Beschaffung eines gefälschten Ausweises noch sein geringstes Problem. Und außerdem«, wieder stieß ich ein Schnauben aus, »glauben Sie, irgendein Unbefugter, der hier landet, könnte einfach so entkommen, nachdem er in Schussweite der Wachen gelangt ist und von mehreren Vampiren allein anhand der Witterung verfolgt werden kann?«

Statt sich von meiner kühlen Gegenargumentation kränken zu lassen, musterte Madigan mich nachdenklich.

»Mir ist bereits zu Ohren gekommen, dass Sie Schwierigkeiten mit Autoritäten und dem Befolgen von Befehlen haben. Wie es scheint, war das nicht übertrieben.« »Nein, das ist zutreffend«, antwortete ich mit einem munteren Lächeln. »Was ist Ihnen sonst noch zu Ohren gekommen?«

Er winkte ab. »Zu viel, um alles aufzulisten. Ihr altes Team hat so lebhaft von Ihnen erzählt, dass ich Sie einfach persönlich kennenlernen musste.«

»Ja?« Ich kaufte ihm nicht ab, dass er mich deshalb herbeordert hatte, aber ich würde es mir nicht anmerken lassen. »Also, was auch passiert, ignorieren Sie alles, was meine Mutter über mich sagt.«

Madigan ließ sich nicht einmal zu einem Lächeln hinreißen. Humorloser Idiot.

»Was macht eigentlich so ein Controller«, erkundigte sich Bones, als hätte er nicht vom Augenblick unseres Eintreffens an versucht, per Telepathie in Madigans Kopf einzudringen und seine Gedanken zu lesen.

»Er sorgt dafür, dass der Wechsel an der Spitze hochsensibler Heimatschutzbehörden so reibungslos verläuft, wie es im Sinne der nationalen Sicherheit nötig ist«, verkündete Madigan wieder in diesem arroganten Tonfall. »Die nächsten Wochen über werde ich Einsicht in sämtliche Akten nehmen. Einsätze, Personal, Budget, alles. Diese Abteilung ist so wichtig, da reicht es nicht, einfach zu hoffen, dass Sergeant Bradley seiner Führungsaufgabe gewachsen ist.«

Tate zuckte mit keinem seiner bulligen Muskeln, obwohl Madigans unterschwelliger Angriff auf seine Person ihm sicher zu schaffen machte. In der Vergangenheit hatte ich zwar selbst so meine Probleme mit Tate gehabt, seine Kompetenz, Engagiertheit und Arbeitsmoral aber waren stets über jeden Tadel erhaben gewesen.

»Nach Dons Tod werden Sie keinen qualifizierteren Leiter als ihn für diese Abteilung finden«, erklärte ich in ruhigem, aber stahlhartem Tonfall.

»Er ist nicht deshalb hier«, zischte Don. Er hatte in den vergangenen Minuten geschwiegen, aber jetzt klang er erregter, als ich ihn je gehört hatte. Hatte mein stets so gefasster Onkel seine Emotionen als Gespenst nicht mehr so gut im Griff, oder verband Madigan und ihn eine unschöne Vergangenheit?

»Er hat Größeres im Sinn, als Tates Arbeitsleistung zu überprüfen«, fuhr Don fort.

»Insbesondere in Ihre Unterlagen möchte ich mir brennend gern Einblick verschaffen«, meinte Madigan an mich gewandt, ohne die andere Stimme im Raum wahrzunehmen.

Ich zuckte mit den Achseln. »Tun Sie sich keinen Zwang an. Hoffentlich mögen Sie Geschichten über böse Buben … und Mädchen, die am Ende ihre gerechte Strafe erhalten.«

»Sehr sogar«, antwortete Madigan mit einem Blitzen in den Augen, das mir nicht gefiel.

»Sind Dave, Juan, Cooper, Geri und meine Mutter in der Schrottpresse?«, fragte ich, weil ich genug von seinen Spitzfindigkeiten hatte. Wenn ich noch ein bisschen mit ihm zusammenblieb, würde mein Zorn meinen gesunden Menschenverstand ausschalten, und das wäre gar nicht gut. Das Schlaueste würde sein, mich lammfromm zu geben und Tate herausfinden zu lassen, ob Madigan wirklich aus anderen Beweggründen hier herumschnüffelte.

»Warum interessiert Sie, wo die Mitglieder des Teams sich aufhalten?«, fragte Madigan, als hätte ich schändliche Absichten, vor denen er sie schützen musste.

Ich lächelte zähneknirschend. »Weil ich meinen Bekannten und Familienmitgliedern gern Hallo sagen möchte, wenn ich schon mal hier bin«, brachte ich hervor, stolz, nicht noch ein Arschgesicht hinterhergeschickt zu haben.

»Die Soldaten und Rekruten sind zu beschäftigt, um alles stehen und liegen zu lassen, bloß weil eine Besucherin mit ihnen plaudern will«, erklärte Madigan knapp.

Unwillkürlich schossen meine Fangzähne hervor, und es juckte mich fast darin, so sehr wollte ich Madigan den arroganten Ausdruck von seinem leicht knittrigen Gesicht reißen. Vielleicht sah man mir das ein bisschen an, denn er ließ seiner Bemerkung ein »Ich muss Sie darauf hinweisen, dass jedweder Angriff gegen meine Person als Angriff auf die Vereinigten Staaten selbst gewertet wird« folgen.

»Aufgeblasenes Arschloch«, zischte Don, marschierte auf Madigan zu und hielt dann abrupt inne, als wäre ihm gerade eingefallen, dass er ihm in seiner jetzigen Gestalt nicht das Geringste anhaben konnte.

Bones’ leise Mahnung zur Vorsicht schlängelte sich zwischen meine aufgebrachten Emotionen, eine stumme Bitte, an mich zu halten. Was ich auch tat, indem ich mich zwang, die Fänge zurückzuziehen und meine grün funkelnden Augen dazu brachte, wieder ihre normale, mittelgraue Farbe anzunehmen.

»Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich Sie angreifen würde?«, erkundigte ich mich, bemüht, so unschuldig und überrascht wie möglich zu klingen, während ich den Mann im Geiste so richtig zur Schnecke machte.

»Ich bin vielleicht neu hier, habe aber ausgiebig Berichte über Ihresgleichen studiert«, antwortete Madigan, der seine herablassende FBIler-Fassade aufgab und die nackte Feindseligkeit darunter durchblicken ließ. »In allen heißt es, dass Vampire die Augenfarbe wechseln, bevor sie angreifen.«

Bones lachte, ein schmeichelnder Laut, der in krassem Gegensatz zu der gefährlichen Energie stand, die aus ihm hervorbrechen wollte. »Schmonzes. Unsere Augen werden auch aus Gründen grün, die nicht das Geringste mit Tötungsabsichten gemein haben. Und ich habe schon Vampire gesehen, die einem die Kehle herausgerissen haben, ohne dass ihre Iris die kleinste Farbveränderung gezeigt hätte. Sind das die einzigen Erfahrungen, die Sie mit Vampiren vorzuweisen haben? Berichte?«

Das letzte Wort troff vor höflicher Verachtung. Madigan erstarrte. »Ich habe genug Erfahrung, um zu wissen, dass einige von ihnen Gedanken lesen können.«

»Sollte Sie nicht kümmern. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten, stimmt’s, mein Freund?«

Ich wartete, ob er die Zähne auseinanderkriegen und Bones bezichtigen würde, während des Gesprächs versucht zu haben, in seine Gedanken einzudringen, aber er rückte sich nur die Stahlbrille zurecht, als wäre deren korrekter Sitz von äußerster Wichtigkeit.

»Deine Mutter und die anderen haben in einer Stunde Trainingsende«, meldete sich Tate zum ersten Mal, seit wir sein Büro betreten hatten, zu Wort. »Du kannst hier warten, wenn du willst. Madigan wollte gerade gehen.«

»Wollen Sie mich wegschicken?«, fragte Madigan in leicht ungläubigem Tonfall.

Tates Gesicht war ausdruckslos. »Sagten Sie nicht direkt vor Cats Eintreffen, Sie hätten für heute genug von mir?«

Eine leichte Röte stieg in Madigans Wangen. Verlegenheit war das nicht, das konnte man an der Kerosinnote erkennen, die sich in seinen Körpergeruch mischte. Es war sorgsam beherrschte Entrüstung.

»Korrekt«, antwortete er knapp. »Haben Sie die Berichte für mich morgen früh bereit? Die Nacht durchzumachen sollte jemandem wie Ihnen doch nicht schwerfallen.«

Oh, was für ein Arschloch. Auf ihn!, meldeten sich meine Fänge wieder lautstark zu Wort, aber diesmal ließ ich sie nicht hervorkommen und unterdrückte auch das Vampirgrün, das mir in die Augen schießen wollte.

Schließlich wandte Madigan sich wieder uns zu. »Cat. Bones.« Er sagte unsere Namen, als müssten wir uns für sie entschuldigen, aber ich lächelte ihn nur an, als hätte ich ihm in meiner Fantasie nicht bereits mehrmals die Eingeweide herausgerissen.

»War mir eine große Freude, Sie kennenzulernen«, sagte ich und streckte ihm die Hand bloß noch einmal hin, weil ich wusste, dass er sie nicht anfassen wollte.

Er ergriff sie mit dem gleichen leichten Zögern wie zuvor. Ich drückte nicht zu, als ich die seine zu fassen bekam, aber, oh, es war ja so verlockend.

Kaum hatte ich seine Hand losgelassen, rauschte Madigan aus Tates Büro, eine Wolke aus Aftershave und Verärgerung zurücklassend.

»Ich folge ihm«, verkündete mein Onkel unumwunden. »Und ich komme auch nicht mehr mit dir zurück, Cat.«

Ich sah Tate an, der mir kaum merklich zunickte. Ehrlich gesagt war ich froh, dass er nicht versuchte, mit mir zu diskutieren. Don konnte Madigan sehr viel effektiver bespitzeln als irgendwer sonst. Womöglich war Madigan nur hier, weil Vater Staat tatsächlich Bedenken hatte, einem Vampir die Leitung über eine Abteilung zu übertragen, die damit betraut war, Untote zu jagen und Beweise für ihre Existenz zu vertuschen. Wenn ja, würde Madigan jede Menge Steuergelder verschwenden, wenn er am Ende seiner ausgedehnten Abteilungsprüfung lediglich herausfand, dass Tate ein hervorragender Ersatz für Don war. Seine Vergangenheit war einwandfrei, sodass ich nicht befürchtete, Madigan könnte irgendwelche Leichen in Tates Keller ausbuddeln – weder echte noch metaphorische.

Aber ich war nicht deshalb froh, dass mein Onkel sich eher auf Madigan konzentrierte, als darauf, einen Weg ins Jenseits zu finden. Verfolgte Madigan finstere Absichten, konnte Don uns schneller Bescheid geben als jeder andere. Ich vertraute durchaus darauf, dass Tate, Dave und Juan in der Lage waren, irgendwie zu fliehen, falls Madigans Abneigung gegenüber Untoten ein bedrohlicheres Ausmaß annahm; aber meine Mutter war trotz all ihrer zur Schau gestellten Tapferkeit nicht so hart im Nehmen wie die Jungs.

Und das hier war auch nicht irgendein ganz normales Gebäude, in dem sie einfach durch eine Wand brechen konnte, wenn sie abhauen musste. Das vierte Untergeschoss war eigens dazu konstruiert, Vampire gefangen zu halten. Als ich noch Vampirjägerin gewesen war, hatte ich es für Dons Wissenschaftler entworfen, die dort das Wundermittel Brams herstellen wollten. Das Medikament, das aus dem heilenden Bestandteil im Blut Untoter gewonnen wurde, hatte einigen schwer verletzten Teammitgliedern das Leben gerettet. Dann war Bones dem Team beigetreten, und Don hatte seine Angst überwunden, reines Vampirblut – weit effektiver als Brams – würde jeden, der es zu sich nahm, in ein Monster verwandeln. Bones spendete ausreichend Blut, das bei Bedarf an verletzte Teammitglieder abgegeben werden konnte, weshalb die Vampirzellen im vierten Untergeschoss seit Jahren leer standen.

Was nicht bedeutete, dass das so bleiben musste, falls Don recht hatte und Madigan hier nicht nur eine Routineüberprüfung durchführen wollte.

Vielleicht hatte ich aber in letzter Zeit einfach nur so viel Scheiße erlebt, dass ich jedem nur das Schlimmste zutraute, ob es einen triftigen Grund dafür gab oder nicht. Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu verscheuchen. Madigan ging mir zwar ziemlich auf den Senkel, aber vor nicht allzu langer Zeit hatte Don Vampiren gegenüber die gleichen Vorurteile gehabt. Scheiße, es war gerade mal acht Jahre her, dass ich selbst die Meinung vertreten hatte, nur ein toter Blutsauger wäre ein guter Blutsauger! Ja, Madigan war ein paranoider Bürohengst, aber seine Zeit bei Tate, Juan, Dave und meiner Mutter würde ihn zu der Erkenntnis bringen, dass übernatürliche Kreaturen mehr zu bieten hatten als das, was er aus vertraulichen Akten über Tötungsdelikte wusste.

»Also, was denkst du über ihn?«, fragte Tate gedehnt und klang dabei schon nicht mehr so angespannt wie gerade eben.

»Dass wir beide nicht die dicksten Freunde werden«, sagte ich nur. Mehr nicht, falls das Zimmer verwanzt war.

Tate schnaubte. »Ganz meine Meinung. Vielleicht ist es ja gut so, dass … die Umstände sind, wie sie sind.«

Tates versteckter Hinweis auf Dons Zustand zeigte, dass auch er nicht riskieren wollte, dass unsere Worte später Madigan zu Ohren kamen.

Ich zuckte beipflichtend mit den Schultern. »Hat eben doch alles sein Gutes.«

3

Als wir endlich ins Auto stiegen, um nach Hause zu fahren, war es bereits eine Stunde vor Sonnenaufgang. Wir hätten unser Haus in den Blue Ridge Mountains schneller erreicht, wenn wir die ganze Strecke geflogen wären, aber es erregte weniger Aufmerksamkeit, den Helikopter auf dem örtlichen Privatflugplatz zurückzulassen. Zwischen uns und den nächsten Nachbarn lagen zwar knappe zehn Quadratkilometer, aber ein startender und landender Helikopter erregte doch weit mehr Aufmerksamkeit als ein Auto. Je weniger wir hier auffielen, desto besser.

Im Auto konnten Bones und ich aber wenigstens offen reden. Wenn ich ein wenig geschlafen hatte, wollte ich als Erstes den Hubschrauber nach Wanzen durchsuchen lassen. Madigan schien mir der Typ zu sein, für den es völlig normal war, unseren Heli mit Abhör- und Überwachungstechnik ausstatten zu lassen, während Bones und ich den Stützpunkt besuchten. Mann, als ich dem Team beigetreten war und Don befürchtet hatte, ich könnte zur dunklen Seite überwechseln, hatte er mein Auto verwanzt und mich rund um die Uhr beschatten lassen. Jahre vergingen, bis mein Onkel mir weit genug traute, um die Überwachungsmaßnahmen einzustellen. Etwas sagte mir, dass es bei Madigan noch länger dauern würde.

»Also, wie sieht es in seinem Kopf aus?«, erkundigte ich mich.

Bones warf mir einen Seitenblick zu, während er die Serpentinen hinauffuhr. »Düster. Er ahnt offenbar, welche Fähigkeiten ich habe, und hat sich eine ganz ordentliche Abwehrstrategie einfallen lassen.«

»Echt?« Madigan war mir nicht vorgekommen wie jemand, der über die außergewöhnliche Willensstärke verfügte, die man brauchte, um sich vor Bones’ telepathischen Fähigkeiten zu schützen, aber das hieß dann wohl, dass ich ihn unterschätzt hatte.

»In Gedanken sagte er ständig Reime auf, sodass ich fast nur die hören konnte«, antwortete Bones mit widerstrebender Hochachtung. »Ein paar Sachen habe ich aber trotzdem mitbekommen, zum Beispiel, dass er glaubt, das üppig aufgetragene Aftershave würde Vampire daran hindern, seine Gefühle zu wittern, und dass er Don nicht ausstehen kann. Allein die Erwähnung seines Namens hat in seinem Kopf eine ganze Hasstirade ausgelöst.«

»Don schien ihn auch nicht besonders zu mögen.«

Wenn ich meinen Onkel das nächste Mal sah, würde ich ihn zu seiner Vergangenheit mit Madigan befragen müssen. Womöglich war es nur um eine Frau gegangen; so hatte immerhin schon der Kampf um Troja begonnen. Solange Madigan sich allerdings vorschriftsmäßig verhielt, war alles, was zwischen ihm und Don passiert war, bedeutungslos. Madigan glaubte, mein Onkel wäre tot und vergessen. Er hatte ja keine Ahnung, dass er da nicht ganz richtig lag.

»Wie du selbst schon bemerkt hast, hegt er außerdem ein tiefes Misstrauen gegenüber Vampiren«, fügte Bones hinzu. »Darüber hinaus habe ich nur so oft ›Fischers Fritze fischt frische Fische‹ gehört, dass ich mich am liebsten selbst gepfählt hätte.«

Ich lachte. Hinter Madigans Arroganz und Voreingenommenheit verbarg sich vielleicht doch noch Sinn für Humor. Das ließ mich hoffen. Hochmut war nicht die schlimmste Macke, die man haben konnte, und Vorurteile gegenüber Vampiren ließen sich mit der Zeit abbauen. Humorlosigkeit stellte in meinen Augen allerdings ein unverzeihliches Charakterdefizit dar.

»Da bin ich ja froh, dass meine telepathischen Kräfte mich vorhin im Stich gelassen haben.«

Bones schnaubte. »Glück gehabt, Schatz.«

Seit ich mich von Bones’ Blut ernährte, konnte ich meist ebenfalls in die Köpfe der Menschen sehen; manchmal allerdings verließ mich diese Fähigkeit. Ich bildete mir ein, es würde daran liegen, dass Bones das Gedankenlesen auch noch nicht sehr lange beherrschte. Er hatte die Fähigkeit von seinem Mitregenten Mencheres übernommen, als der ihm durch einen Bluteid einen Teil seiner beeindruckenden Machtfülle übertragen hatte. Zu schade, dass ich nicht auch ab und zu mal Ruhe vor meinem inneren Geisterfunk hatte, aber das Gespenster-Juju in Marie Laveaus Blut hatte ja immerhin jahrhundertelang gären können.

Irgendwann bogen wir auf die Schotterstraße ab, die zu unserem Haus führte. Da es auf dem Gipfel eines kleinen Berges lag, dauerte es noch ein paar Minuten, bis wir unsere Einfahrt erreichten. Eine Vielzahl von Geistern trieb sich auf der Veranda und in den nahen Wäldern herum, sodass ihre Energie ein leichtes Prickeln auf meiner Haut erzeugte. Alle Köpfe drehten sich in meine Richtung, als wir anhielten, aber immerhin wurde ich nicht gleich belagert, als ich ausstieg. Ich hatte den Gespenstern wiederholt klarmachen müssen, dass ich ihren Enthusiasmus zwar zu schätzen wusste, aber lediglich mein Kater das Recht hatte, mich beim Nachhausekommen zu umschmeicheln.

»Hallo zusammen«, begrüßte ich die Schar und drehte mich dabei im Kreis, damit alle sich eingeschlossen fühlten. Dann streckte ich die Hände aus zum Zeichen, dass jeder, dem danach war, durch sie hindurchhuschen konnte. Augenblicklich kam ein steter Strom silbriger Gestalten auf mich zu, sodass meine Hände durch die vielen Jenseitskontakte fast brannten.

Die Prozedur kam mir noch immer vor wie ein äußerst eigentümliches Gruppen-Abklatschen, aber wie ich herausgefunden hatte, waren Gespenster ganz verrückt nach Körperkontakt, obwohl sie durch Personen – und Gegenstände – lediglich hindurchgleiten konnten. Und meine Hände waren immerhin weniger intim als gewisse andere Körperregionen, durch die ein paar der Gestalten bereits »versehentlich« gegeistert waren. Die Androhung sofortiger Verbannung eines jeden unter meiner Gürtellinie spukenden Gespensts hatte solchen Vorfällen ein Ende bereitet.

Bones stieß ein verächtliches Schnauben aus, als er an mir vorbei zum Haus schritt. Ich wusste, dass ich nicht die Einzige war, die die Tage zählte, bis meine von der Voodoo-Königin übernommene Fähigkeit wieder verschwand. Bones kannte zwar meine Gründe, aber zuzusehen, wie ein Haufen Leute durch meinen Körper sauste, behagte ihm ebenso wenig, wie es mir behagte, seinen unzähligen Exfreundinnen zu begegnen.

Als ich die unkonventionelle Begrüßungszeremonie hinter mir hatte, ging ich ins Haus, wo ich meine Jacke auf den nächsten Sessel fallen ließ. Bones’ Stimme, die vor Verärgerung einen ausgeprägteren britischen Akzent angenommen hatte, hielt mich davon ab, mich selbst auch hineinsinken zu lassen.

»Fabian du Brac, du hast hoffentlich einen guten Grund für dein Benehmen.«

Oh-oh. Bones sprach Fabian nur mit vollem Namen an, wenn er sauer war, und wir hatten dem Geist nur wenige Regeln mit auf den Weg gegeben, als wir ihn bei uns hatten einziehen lassen. Als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich, welche davon Fabian verletzt hatte.

»Äh, hi«, sagte ich zu der Geisterdame, die an Fabians Seite schwebte. Sie trug ein dunkles, recht unförmiges Gewand, das ihre im Leben offenbar Marilyn Monroe ähnliche Figur einigermaßen gut verbarg, und der strenge Knoten, zu dem ihre Haare gebunden waren, betonte noch ihre natürlich schönen Züge.

Bones schien von dem liebreizenden Gesicht des neuen Gespenstes unbeeindruckt zu sein. Er funkelte Fabian weiter an, die dunklen Brauen herausfordernd hochgezogen. Fabian wusste, dass nur er und mein Onkel in unserem Haus herumgeistern durften. Ein paar Grundregeln hatten wir zum Schutz unserer Privatsphäre schließlich aufstellen müssen. Andernfalls hätten wir ständig ein ganzes Geisterheer im Schlepptau gehabt, selbst unter der Dusche, und Kommentare zu unserem Liebesspiel hätten wir uns obendrein anhören müssen. Da sie durch Wände gehen konnten, hatten die meisten Geister ganz vergessen, was sich gehörte, und was nicht.

»Ich kann das erklären«, begann Fabian und warf mir über Bones’ Schulter hinweg einen flehenden Blick zu.

»Verzeihung«, mischte sich die Gespensterdame mit deutsch klingendem Akzent ein. »Darf ich mich zunächst vorstellen? Ich heiße Elisabeth.«

Während sie sprach, die Stimme ruhig trotz ihrer offensichtlichen Verlegenheit, knickste sie, erst vor Bones, dann vor mir.

Die Anspannung wich ein wenig aus Bones’ Schultern, und er verneigte sich seinerseits, wobei er sein Bein auf eine Art vorstreckte, wie sie bereits Jahrhunderte vor meiner Geburt aus der Mode gekommen war.

»Bones«, antwortete er, während er sich wieder aufrichtete. »Sehr angenehm.«

Ich verkniff mir ein Lächeln. Bones war zwar imstande, Madigans ausgestreckte Hand zu ignorieren, ohne mit der Wimper zu zucken, aber bei Frauen wurde er immer schwach. Ich begnügte mich damit, Elisabeth anzulächeln und ihr grüßend zuzunicken, während ich meinen Namen nannte. Hey, einen Knicks hatte ich noch nie gemacht, aber ich würde es lernen, nur damit Bones sich noch einmal so elegant verneigte. Selbst diese förmliche Geste wirkte bei ihm irgendwie sexy.

»Fabian hielt es nicht für ratsam, die anderen Geister wissen zu lassen, dass ich hier bin«, fuhr Elisabeth fort und lenkte mich von meinen Gedanken ab. »Daher hat er mich gebeten, drinnen auf eure Rückkehr zu warten.«

Elisabeth war zwar mir zugewandt, sah aber mehrmals leicht bestürzt zu Bones hinüber. Hatte sich wohl rumgesprochen, dass er nicht gerade begeistert über meine plötzliche Beliebtheit bei den Existenzbehinderten war.

»Was wäre so schlimm daran, wenn die anderen mitbekämen, dass du hier bist?«, fragte ich. Klar, ein paar der Gespenster wären bestimmt sauer, wenn sie wüssten, dass Elisabeth sich im Haus aufhielt, während ihnen strikt verboten war, die Wände zu durchschreiten, aber immerhin kam es nicht alle Tage vor, dass Fabian eine heiße Braut abschleppte …

»Viele meiner Art betrachten mich als Ausgestoßene.« Elisabeth sprach so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob ich sie richtig verstanden hatte.

»Als Ausgestoßene?«, fragte ich nach. Ich hatte nicht mal gewusst, dass es so etwas unter Gespenstern überhaupt gab. Mann, die Leute konnten wohl einfach nicht miteinander auskommen, egal ob lebend oder tot. »Warum?«

Elisabeth straffte die Schultern und erwiderte meinen Blick. »Weil ich einen anderen Geist töten will.«

Meine Augenbrauen schossen in die Höhe, während mir unzählige Fragen durch den Kopf schossen. Bones stieß einen leisen Pfiff aus, bevor er sich müde lächelnd mir zuwandte.

»Wenn wir uns die ganze Geschichte anhören wollen, können wir es uns auch bequem machen. Warum setzen wir uns also nicht?«

Fabian wies mit einem Nicken auf die gardinenverhangenen Fenster. »Würdest du vorher bitte für ein bisschen mehr Privatsphäre sorgen, Cat?«

Ach ja. Die anderen Gespenster konnten unsere geheimnisvolle neue Besucherin zwar nicht sehen, schwebten sie aber zu dicht am Haus vorbei, bekamen sie womöglich mit, was wir besprachen. Ich seufzte.

»Wartet hier. Ich bin gleich zurück.«

Nachdem ich alle transparenten Gestalten höflich ersucht hatte, sich eine Stunde lang von unserem Anwesen fernzuhalten, ging ich ins Wohnzimmer zurück. Bones saß auf der Couch, ein halb leeres Whiskeyglas in der Hand. Wir Vampire gehören zu den wenigen, die ehrlich von uns behaupten können, nur des Geschmacks wegen zu trinken, da Alkohol keinerlei Wirkung auf uns hat.

Fabian und Elisabeth schwebten in sitzender Körperhaltung über der Couch Bones gegenüber. Ich nahm neben ihm Platz und schlug die Beine unter, mehr um mich zu wärmen als aus Bequemlichkeit. In dieser Höhe war es im Frühherbst vor Sonnenaufgang bereits empfindlich kühl. Hätte ich nicht gehofft, bald ins Bett zu kommen, hätte ich Feuer gemacht. Glücklicherweise nahm mein Kater Helsing meine sitzende Position zum Anlass, vom Fensterbrett zu springen und sich zu mir auf die Couch zu gesellen. Sein pelziger Körper wirkte wie ein Miniofen, als er es sich auf meinem Schoß bequem machte.

»Also«, sagte ich gedehnt, während ich Helsing hinter den Ohren kraulte, »wie habt ihr euch kennengelernt?«

»Wir sind uns vor ein paar Jahrzehnten in New Orleans begegnet«, murmelte Elisabeth.

»Juni 1935«, fügte Fabian hinzu und strich sich dann unsicher über eine seiner Koteletten. »Es ist mir in Erinnerung geblieben, weil es in dem Jahr, äh, ungewöhnlich heiß war.«

Beinahe musste ich mir auf die Innenseite der Wangen beißen, um nicht laut loszulachen. Fabian war verknallt in die hübsche Geisterdame! Seine lahme Erklärung dafür, weshalb er sich Monat und Jahr ihres Kennenlernens so genau eingeprägt hatte, wo Geister Temperaturen nicht einmal wahrnehmen konnten, wurde nur noch von dem Dackelblick übertroffen, den er seiner Angebeteten zuwarf, bevor er wieder ein bewusst ausdrucksloses Gesicht aufsetzte.

O ja, den hatte es schwer erwischt.

»Okay, ihr kennt euch also schon eine Weile, aber du bist doch sicher nicht nur auf einen Anstandsbesuch vorbeigekommen. Was also führt dich zu uns, Elisabeth?«

Ich nahm an, dass es etwas mit dem Geist zu tun hatte, den sie umbringen wollte, aber falls dem so war, würde sie kein Glück haben. Erstens arbeitete ich nicht mehr als Killerin, egal um welche Spezies es ging, und auch Bones hatte sich längst aus diesem Geschäft zurückgezogen. Zweitens konnte ich nicht einmal meinen Onkel ins Jenseits schicken, und der wäre freiwillig gegangen. Ein Gespenst umzulegen überstieg meine Fähigkeiten also bei Weitem, selbst wenn ich den plötzlichen Drang verspürt hätte, mich als Geisterjägerin zu betätigen, was nicht der Fall war.

Elisabeth legte die Hände in den Schoß und verschränkte die Finger. »Im Jahr 1489 wurde ich im Alter von siebenundzwanzig Jahren als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt«, begann sie leise zu erzählen.

Das war zwar schon über ein halbes Jahrtausend her, aber mich durchfuhr dennoch ein Zucken. Ich war selbst schon zweimal angesengt worden, und beide Male waren entsetzlich gewesen.

»Das tut mir leid«, sagte ich.

Elisabeth nickte, ohne von ihren Händen aufzusehen. »Ich war keine Hexe«, fügte sie hinzu, als würde das an der Grausamkeit der Hinrichtungsart etwas ändern. »Ich war Hebamme und legte mich mit dem örtlichen Richter an, als der eine junge Mutter bezichtigte, ihr Neugeborenes vorsätzlich mit seiner eigenen Nabelschnur erwürgt zu haben. Dieser Dummkopf hatte keine Ahnung von den Komplikationen, die eine Geburt mit sich bringen kann, und das habe ich ihm auch gesagt. Bald darauf schickte er nach Heinrich Kramer.«

»Wer war das?«

»Ein hundsgemeiner Mörder«, antwortete Bones, bevor Elisabeth zu Wort kam. »Er schrieb den Malleus Maleficarum, den Hexenhammer, ein Werk, das eine Jahrhunderte andauernde Hexenverfolgung auslöste. Laut Kramer konnte sich alles, was einen Rock trug, als Hexe entpuppen.«

Elisabeth war also von einem mordlüsternen Fanatiker mit einem Hass auf Frauen umgebracht worden. Ich wusste, wie es war, von einem solchen Eiferer aufs Korn genommen zu werden, und das verstärkte noch das Mitgefühl, das ich ihr gegenüber empfand.

»Das tut mir leid«, wiederholte ich, noch aufrichtiger diesmal. »Wie auch immer Kramer umgekommen ist, ich hoffe, es war ein langer und schmerzhafter Tod.«

»War es nicht«, antwortete sie in bitterem Tonfall. »Er fiel vom Pferd und brach sich das Genick, statt zertrampelt am Boden liegen und leiden zu müssen.«

»Ungerecht«, pflichtete ich ihr bei und dachte, dass Kramer zumindest in der Hölle die Flammen einmal am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.

Bones warf Elisabeth einen langen, forschenden Blick zu. »Du weißt ziemlich genau über seine Todesumstände Bescheid, was?«

Elisabeth erwiderte seinen Blick. In ihrem transparenten Zustand erschienen ihre Augen mittelblau, sodass ich mich fragte, ob sie, wie die von Tate, zu ihren Lebzeiten indigofarben gewesen waren.

»Ja, ich war es, die sein Pferd erschreckt hat«, verteidigte sie sich. »Ich wollte Rache für das, was er mir angetan hat, und außerdem den Tod weiterer Frauen in der Stadt verhindern, zu der er unterwegs war.«

»Gut gemacht«, lobte ich sie. Falls sie damit gerechnet hatte, für ihre Tat verurteilt zu werden, kannte sie mich schlecht. Und Bones auch. »Ich wünschte, ich könnte dir die Hand schütteln.«

»Ich auch«, meinte Bones und hob hochachtungsvoll sein Whiskeyglas.

Einige Augenblicke lang starrte Elisabeth uns an. Dann erhob sie sich sehr langsam, schwebte auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen.

Unbehaglich rutschte ich auf der Couch hin und her. Sie hatte wohl noch nichts von metaphorischer Ausdrucksweise gehört. Dann hielt ich ihr meine Hand hin und sagte mir, dass ich ja auch die anderen Geister zur Begrüßung durch mich hindurchschweben ließ. Als ihre Hand sich jedoch um meine schloss, verspürte ich nicht das typische Prickeln, und auch meine Finger gingen nicht geradewegs durch sie hindurch. Es war unglaublich; eine eisige Hand drückte meine, so leibhaftig wie mein eigener Körper.

»Verdammte Scheiße!«, rief ich und sprang auf. Fauchend, weil er so unsanft aufgescheucht worden war, sprang der Kater von meinem Schoß.

Elisabeth stand plötzlich in leuchtenden Farben vor mir, als wäre ein verwaschenes Fernsehbild plötzlich in HD zu sehen. In ihrem Haar, das ich für unscheinbar braun gehalten hatte, glänzten satte Kastanientöne, und ihre Augen waren so tiefblau, dass sie aussahen wie die See um Mitternacht. Sogar eine leichte Röte lag auf ihren Wangen, was ihren Pfirsichteint noch betonte.

»Ach du Scheiße«, murmelte Bones, der ebenfalls aufgestanden war. Er packte Elisabeth beim Arm, und in seinem Gesicht spiegelte sich mein Entsetzen, als seine Finger sich um festes Fleisch schlossen, statt durch eine Energiewolke zu gleiten.