Landliebe - Jana Lukas - E-Book
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Jana Lukas

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Beschreibung

Im Wein liegt die Liebe

Ellie hat Geldprobleme und nur eine Chance, ihren Kopf aus der finanziellen Schlinge zu ziehen: die Teilnahme an der TV-Show Landliebe. Vier Wochen muss sie, begleitet von Kameras und in ein Dirndl gequetscht, das bayerische Großstadtdummchen mimen. Das Weingut an der Mosel, das als Drehort dient, ist zwar traumhaft schön, doch Winzer Tom entpuppt sich als hinterwäldlerischer Sturkopf. Und er ist gar nicht erfreut, Ellie als Landliebe-Partnerin aufnehmen zu müssen. Außerdem hat Ellie weder mit Toms Augen gerechnet noch mit seinem Lächeln, das ein Kribbeln in jeden Winkel ihres Körpers jagt ...

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DAS BUCH

Ellie hat Geldprobleme und nur eine Chance, ihren Kopf aus der finanziellen Schlinge zu ziehen: die Teilnahme an der TV-Show Landliebe. Vier Wochen muss sie, begleitet von Kameras und in ein Dirndl gequetscht, das bayerische Großstadtdummchen mimen. Das Weingut an der Mosel, das als Drehort dient, ist zwar traumhaft schön, doch Winzer Tom entpuppt sich als hinterwäldlerischer Sturkopf. Und er ist gar nicht erfreut, Ellie als Landliebe-Partnerin aufnehmen zu müssen. Doch Ellie hat weder mit Toms Augen gerechnet noch mit seinem Lächeln, das ein Kribbeln in jeden Winkel ihres Körpers jagt …

DIE AUTORIN

Was tun, wenn man zwei Traumberufe hat? Jana Lukas entschied sich nach dem Abitur, zunächst den bodenständigeren ihrer beiden Träume zu verwirklichen und Polizistin zu werden. Nach über zehn Jahren bei der Kriminalpolizei wagte sie sich an ihren ersten romantischen Thriller und erzählt seitdem von großen Gefühlen und temperamentvollen Charakteren. Denn ihr Motto lautet: Es gibt nicht viele Garantien im Leben … aber in ihren Romanen ist zumindest ein Happy End garantiert. Immer! »Landliebe« ist ihr erster Roman bei Heyne.

JANA LUKAS

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe 06/2017

Copyright © 2017 by Jana Lukas

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

ISBN 978-3-641-20824-0V002

www.heyne.de

1

Landliebe – Szene 1 – Tom

(Kamera 1: Schwenk vom großen Torbogen über das Weingut, Zoom auf Paul Weidenmann, Totale)

»Liebe Zuschauer, ich bin Paul Weidenmann, und Sie sehen eine neue Folge von Landliebe, der Show, in der wir Herzen höherschlagen lassen. Wir möchten Ihnen heute den letzten der sechs Landwirte vorstellen, die wir in den nächsten Wochen auf der Suche nach ihrer Traumfrau begleiten werden. Nach Roland, dem rüstigen Rinderzüchter, dem patenten Pferdewirt Peter, Ziegenzüchter Zoran, dem smarten Schweinebauern Sepp und Almbauer Alois begrüßen wir heute recht herzlich Tom, den witzigen Winzer aus dem schönen Moseltal. Wir haben ihn auf seinem Weingut Zum Schwarzen Stein besucht. Tom, wie lange bist du schon auf der Suche nach der großen Liebe?«

(Kamera 2: Frontale auf Tom Sander)

»Wie lange ich schon nach der Liebe suche? Also, na ja, schon länger, schätze ich.«

»Der fleißige Weinbauer wurde nach einer längeren Beziehung verlassen. Inzwischen ist er seit eineinhalb Jahren Single. Welche Eigenschaften muss eine Frau mitbringen, um dich zu berauschen wie der Wein aus dem Moseltal?«

»Sie sollte nett sein, lustig, klug und natürlich Wein mögen. Es würde auch nicht schaden, wenn sie auf dem Gut mit anpacken kann.«

»Wir haben zwei kluge junge Frauen für dich ausgewählt. Annett aus Hamburg und Elisabeth aus München. Beide möchten dich kennenlernen und vier Wochen mit dir in den Weinbergen verbringen. (Einblendung von Fotos der Kandidatinnen) Gefallen sie dir? Das sind doch zwei wirkliche Schönheiten.«

»Ähm, ja. Sie sind beide sehr hübsch.«

»Da hast du absolut recht! Wir geben kurz ab an die Werbung, bevor wir noch ein wenig mit dem tüchtigen Tom plaudern und herausfinden, wie die Begegnung zwischen dem Schweinebauern Sepp und der forschen Fleischermeisterin Astrid gelaufen ist.«

(Kamera 1: Zurückfahren, Schwenk über den Hof, ab)

»Was hast du getan?« Die Fassungslosigkeit, die in Tom Sanders Stimme mitschwang, spiegelte nicht einmal im Ansatz seine seelische Verfassung wider. Er fühlte sich verraten. Verraten und verkauft von seinem eigenen Bruder. Die Blätter, die er aus dem wattierten Kuvert gezogen hatte, segelten auf den Esstisch. Tom wischte sich die Finger an der Jeans ab, als hätte er etwas Ekliges angefasst. »Wie konntest du mir so etwas antun?«, versuchte er es noch einmal.

Eric lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück und trank einen Schluck Kaffee. »Das wird uns den Hintern retten. Also war es eine kluge Entscheidung. Du solltest sagen: danke, großer Bruder. Deine Weisheit ist unübertroffen.«

»Landliebe soll unsere Probleme lösen? Eine … eine Fernseh-Dating-Show? Verdammt noch mal!« Tom trat gegen den Kühlschrank, um seinem Zorn wenigstens etwas Luft zu machen. »Bist du mit dem Kopf in die Traubenpresse geraten?«

»Wenn du dich für einen Moment beruhigen würdest, könnte ich dir erklären, worum es geht.«

»Worum es geht?« Tom zeigte auf die Blätter, die auf dem Tisch verstreut lagen. »Es geht darum, dass du mich an eine Dating-Show verschachert hast! Das ganze Dorf wird sich das Maul über mich zerreißen. Ich werde den Hof nie wieder verlassen können, ohne mich dem Gespött der Leute auszusetzen.«

»Dramaqueen! Du wirst heiße Mädels kennenlernen und es von der ersten bis zur letzten Minute genießen.«

»Mach es doch selbst, wenn es so toll ist.«

Eric grinste und drehte seinen Ehering. »Würde ich sofort, wenn sich die Liebe meines Lebens nicht schon in der fünften Klasse in Geschichte neben mich gesetzt hätte, damit ich bei ihr abschreiben kann.« Sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. »Selbst wenn ich keinen Spaß daran hätte, würde ich es tun. Für fünfzigtausend Euro kann man über seinen Schatten springen. Die Bank wird es uns danken.«

»Fünfzig … Tausend Euro?« Tom ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen.

»Zehntausend Gage für dich und vierzigtausend für die Erlaubnis, das Weingut als Kulisse zu benutzen. Das Wasser steht uns bis zum Hals. Wir müssen etwas tun, Tom. Und zwar verdammt schnell.« Er legte seine große Hand auf die Papiere. »Vier Wochen. Du wirst es doch schaffen, einen Monat lang nett zu einer Frau zu sein. Mehr verlangt niemand von dir.«

»Ach nein?« Er schob Erics Hand zur Seite. »Hier steht etwas davon, dass die Kandidatin auf dem Hof wohnen soll. Und hier, Änderungen an der Einrichtung dürfen von der Produktionsfirma vorgenommen werden. Die werden also das Haus umräumen – dabei wird garantiert alles Mögliche kaputtgehen. Ich sehe diese Ignoranten aus der Großstadt schon durch die Weinberge trampeln.«

»Vier Wochen und fünfzigtausend Euro. Mehr sag ich nicht.«

»Vier Wochen, die sich mit der Weinlese überschneiden.« Es war eindeutig Zeit für etwas Stärkeres als Kaffee. Tom erhob sich und holte einen Riesling aus dem Kühlschrank. Er schenkte zwei Gläser ein und schob eines über den Tisch. »Wie sollen wir das hinbekommen? Wir haben jetzt schon zu wenig Leute. Die Arbeit wächst uns über den Kopf. Und ich soll irgendeine Tussi bespaßen, anstatt mich um die wichtigen Dinge zu kümmern.«

»Tom.« Eric wartete, bis Tom ihn ansah. »Das spielt gerade keine Rolle. Wenn wir nicht bald Geld beschaffen, verlieren wir alles. Dann musst du dir keine Sorgen mehr um den Berg machen. Oder um die Möbel.«

Tom hatte die Fäuste geballt. Er zwang sich, sie zu öffnen und die Hände auf den Tisch zu legen. Sein Bruder hatte recht. Sie waren dabei, ihr Zuhause zu verlieren. Das Weingut, das sich seit über hundert Jahren im Besitz ihrer Familie befand, in dem Tränen und Schweiß steckten, würde sonst zwangsversteigert werden. Zwei miese Ernten hintereinander hatten ihre Geldreserven schmelzen lassen wie einen Schneemann im Juni. Inzwischen ging es wieder bergauf, aber die Erträge würden erst im nächsten Jahr Gewinn abwerfen. So lange mussten sie die Bank hinhalten. Normalerweise war das auch kein Problem. Auf dem Land kannte man schließlich die Tücken des Wetters und damit verbundene Ernteausfälle. Kreditinstitute reagierten eigentlich flexibel und verständnisvoll. Es sei denn, einer der Stammtischkumpels des Bankvorstandes war scharf auf das Land, auf dem die Hypothek lastete. »Okay. So schnell kommen wir wahrscheinlich nie wieder an so viel Geld.« Es war ein Fehler, das spürte er. Und doch … »Glaub nicht, dass ich vergesse, wie du mich reingelegt hast. Ich mache es. Aber dafür schuldest du mir deutlich mehr als einen feuchten Händedruck.«

»Egal was. Bis auf meine Frau kannst du alles von mir haben.« Eric schob den Vertrag, den Reality Productions geschickt hatte, über den Tisch und legte einen Stift daneben. »Unterschreib, bevor du es dir anders überlegst.«

2

Landliebe – Szene 2 – Elisabeth

(Kamera 1: Frontale auf Paul Weidenmann)

»Liebe Zuschauer, heute habe ich mich für die neue Landliebe-Folge nach München aufgemacht, um Elisabeth zu treffen. Die kesse Köchin möchte Winzer Tom näher kennenlernen. Warum hast du dich für den warmherzigen Weinbauer entschieden, Elisabeth?«

(Einblendung Foto Tom Sander / Kamera 2: Halbfrontale auf Elisabeth Lorenz)

»Ähm … er sieht auf dem Foto sehr … nett aus. Und er hat einen interessanten Beruf.«

»Das stimmt. Lass uns den Zuschauern an dieser Stelle ein Geheimnis verraten. Tom und du, ihr habt viele Gemeinsamkeiten. Er gehört genau wie du zu den kreativen Menschen.«

»Ja?!«

(Kamera 1: Frontale auf Paul Weidenmann und Elisabeth Lorenz)

»Tom baut leidenschaftlich gern Modellflugzeuge! Und wir wissen, dass du davon träumst, irgendwann dein Hobby zum Beruf zu machen und ein eigenes Nagelstudio zu eröffnen. Das nenne ich perfekte Voraussetzungen!«

»Ähm … ja. Das ist ja wirklich ein tolles ähm … Hobby. Ich bin unglaublich gespannt auf Tom.«

»Euer erstes Treffen steht sicherlich unter einem guten Stern. Aber wir dürfen deine Konkurrenz aus dem hohen Norden nicht vergessen. Die zweite Kandidatin, Annett, werde ich in Hamburg treffen. Danke für das Gespräch, Elisabeth.«

(Kamera 1: Zurückfahren, ab)

»Klausthaler hat dich gefeuert?« Alexandra sog an ihrem Strohhalm. Die Menge ihres Caipirinhas schien sich dadurch nicht wesentlich zu verringern.

Ellie dagegen nahm einfach das Röhrchen aus ihrem Mai Tai und trank einen ordentlichen Schluck. Denn sie brauchte den Alkohol. Dringend. »Du darfst es keinem erzählen, aber ich stecke ziemlich in der Klemme.«

»Ich dachte, du verstehst dich so gut mit ihm?«

Ja, bis zu diesem Morgen hatte sich Ellie gut mit Johannes Klausthaler verstanden. Eigentlich hatte sie nicht immer für ihn, sondern als Köchin gearbeitet – und ihre Karriere hatte so vielversprechend begonnen. Sie hatte eine Ausbildung in einem Sternerestaurant gemacht und war im Anschluss stolzes Mitglied der Crew des Tischlein Deck Dich geworden. Eines Lokals, das auf dem besten Weg war, sich seinen eigenen Stern zu erkochen. Der Küchenchef hatte sie allerdings als Freiwild betrachtet und war der Meinung gewesen, dass sie ihm weit mehr entgegenkommen musste als ihre männlichen Kollegen. Als sie sich weigerte, auf seine Avancen einzugehen, hatte sie sich schneller auf der Straße wiedergefunden, als sie die Kochmütze vom Kopf ziehen konnte. Nach ihrer Kündigung war sie froh um den Job als Haushälterin gewesen, den Klausthaler ihr angeboten hatte. Der Industrielle, ein Stammgast im Tischlein Deck Dich, war schon seit Längerem auf der Suche nach jemandem, der für ihn putzte, kochte und hin und wieder einen Empfang vorbereitete. Insgeheim hatte sie darauf gehofft, so lange bei ihm bleiben zu können, bis sie wieder Arbeit als Köchin fand. Da er schwul war, konnte sie sichergehen, dass sein Angebot nicht das Geringste mit ihrem Körper zu tun hatte. Allein das hatte sie schon dazu bewogen, den Job anzunehmen.

»Na los.« Alex stieß ihr wenig damenhaft den Ellenbogen in die Rippen. »Erzähl schon!«

Ellie trank noch einen herzhaften Schluck und seufzte. »Ich wollte heute Morgen im großen Salon putzen. Du weißt schon, der neben dem Foyer.«

»Der kalte Raum.«

»Genau.« Alex brachte es auf den Punkt. Ellie mochte den Salon wegen der bodentiefen Fenster, die Unmengen von Licht hereinließen. Die Einrichtung hingegen war eher gewöhnungsbedürftig. Hochmodern und kühl, mit jeder Menge Kunst, die sie nicht verstand. »Kannst du dich an das Podest mitten im Raum erinnern?«

»Das, auf dem diese teure chinesische Vase steht?«

»Heute Morgen war die Vase allerdings weg, und das Podest war übersät mit Plastikbechern und wild verstreutem Popcorn. Ich dachte: Wow, die Party vergangene Nacht muss echt toll gewesen sein. Eine kluge Entscheidung, die Vase in Sicherheit zu bringen, wenn Klausthaler so ausgelassen feiern will.« Sie zuckte die Schultern. »Ich habe die Becher eingesammelt und bin dem Popcorn mit dem Staubsauger zu Leibe gerückt, bis das Podest wieder blitzsauber war. Und gerade als ich die Blumen in dem Zimmer gegossen habe, habe ich plötzlich einen lauten Schrei gehört. Und er stand hinter mir. Klausthaler. In der Flügeltür zum Foyer. Das Gesicht so weiß wie die preisgekrönten Orchideen in seinem Gewächshaus. Ich dachte zuerst, er hätte einen Herzinfarkt, und half ihm schnell, sich in einen Sessel zu setzen. Aber anstatt sich zu beruhigen, zeigte er nur mit zitternder Hand auf das Podest und stammelte ›Was‹ und ›Wo‹. Ich hatte keine Ahnung, was er wollte.« Ellies Hals war ausgedörrt, und sie nahm noch einen großen Schluck aus ihrem Glas. Langsam zeigte der Alkohol Wirkung. »Schließlich begriff ich, dass es um die Becher und das Popcorn ging. Ich fragte ihn, was das Problem mit dem Müll sei. Er legte den Kopf in die Hände. Seine Stimme war nur noch ein erschöpftes Flüstern. Dann sagte er: ›Das war ein Kunstwerk, Elisabeth. Kino für die Sinne – eine Installation von Titius Naumann. Er hat dieses Kunstwerk erst gestern erschaffen.‹«

Alex verschluckte sich an ihrem Cocktail und begann, heftig zu husten. »Das war … Kunst? Die Becher … und das Popcorn?«, brachte sie zwischen ein paar keuchenden Atemzügen hervor.

Ellie nickte. Sie wünschte sich, nicht mitten in einer angesagten überfüllten Münchener Bar zu sitzen, sondern zu Hause, wo sie sich die Decke über den Kopf ziehen konnte. »Ich habe ihm angeboten, alles zu reparieren. Stattdessen hat er mich gefeuert. Er hat nicht rumgebrüllt, nichts nach mir geworfen. Aber diese leise erschöpfte Stimme war fast noch schlimmer.« Sie rieb sich über die Gänsehaut an ihren Armen.

Alex sog einen weiteren Mikroliter aus ihrem Glas. »Dann suchst du dir eben einen neuen Job. Wir werden schon etwas für dich finden.«

Ellie legte den Kopf auf den Tresen. Sie presste ihre glühende Wange auf das kühle Holz und schloss die Augen. »Das ist nicht das Problem«, murmelte sie. »Sondern die neuntausendachthundertfünfundvierzig Euro, die das Kunstwerk wert war.«

Der nächste Morgen begann mit höllischen Kopfschmerzen. Drei Mai Tai waren definitiv zweieinhalb zu viel. Zumindest auf nüchternen Magen,. Ellie tappte barfuß in die Küche und sprach im Stillen schon ein Dankgebet, als sie den Duft von Kaffee wahrnahm. Alex als Freundin und weltbeste Mitbewohnerin war nicht einmal mit Gold aufzuwiegen. Vor allem nicht, wenn sie bereits Kaffee gekocht hatte. Ellie schenkte sich eine Tasse ein und schüttete etwas Milch hinein. Sie balancierte die Tasse zum Küchentisch, wo besagte Freundin bereits beneidenswert munter auf der Tastatur ihres Laptops herumhackte. »Was treibst du da?«

Alex grinste. »Dein Leben retten.«

»Geht das denn?« Ellie nippte an ihrem Kaffee und hoffte, dass das Koffein bald zu wirken begann und sie einen klaren Kopf bekam. »Wegen der Schulden bei Klausthaler ist meine Existenz ruiniert.«

»Dramaqueen! Ich habe eine super Idee, wie du innerhalb von vier Wochen zehntausend Euro verdienen kannst.«

Vorsichtig setzte Ellie ihre Kaffeetasse ab. »In vier Wochen? Umfasst diese Idee nackte Körper, rotes Licht und schmierige Regisseure?«

Alex warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Nein, aber es ist eine Win-win-Situation. Ich suche schon die ganze Zeit nach einer Kandidatin für eine Sendung. Dabei hatte ich sie genau vor der Nase.«

»Was für eine Sendung?« Wenn Alex, die für eine Künstleragentur als Talentsucherin arbeitete, niemanden fand, der in das Profil des Projektes passte, war Wachsamkeit geboten.

»Landliebe. Schon mal gehört?«

»Diese Dating-Reality-Show mitten in der Pampa?«

»So könnte man es auch ausdrücken, klingt allerdings nicht ganz so hübsch.«

»Vergiss es.«

»Warte doch mal.« Alex drehte den Laptop zu ihr um und zeigte auf das Foto eines Mannes auf dem Monitor. »Um den hier geht es.«

Einen Moment lang betrachtete Ellie das Foto. Zugegeben, auf dem Bild sah er attraktiv aus. Groß und breitschultrig, mit dunklen lockigen Haaren. Sein Kinn war unrasiert, und seine Augen hatten die Farbe von flüssigem Karamell. Er trug Jeans und ein Flanellhemd über einem T-Shirt. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt.

»Das ist Tom«, soufflierte Alex. »Süßer Typ, wenn du mich fragst.« Sie drehte den Laptop wieder zu sich herum. »Fünfunddreißig Jahre alt und Winzer an der Mosel. Er ist in der freiwilligen Feuerwehr und baut in seiner Freizeit gern Modellflugzeuge zusammen.«

»Modellflugzeuge?«

Alex zwinkerte ihr zu. »Das bedeutet, dass er sehr geschickte Finger hat.«

»Vergiss es«, wiederholte Ellie. »Er mag vielleicht gut aussehen, aber irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Warum sollte er sonst eine Frau über das Fernsehen suchen? Vermutlich hat er irgendeinen Fetisch, über den ich nicht einmal nachdenken möchte.«

»Er hat immerhin noch alle Zähne. Eine solche Gelegenheit, an zehntausend Euro zu kommen, bietet sich nur einmal im Leben. Nur vier Wochen und schon bist du deine Schulden bei Klausthaler los. Wie schlimm kann es schon werden?«

»Es gibt doch immer zwei Kandidatinnen. Bekomme ich das Geld auch, wenn er die andere auswählt?«

»Er muss dich nehmen. Die zweite Frau ist eine Schauspielerin, eine Attrappe sozusagen. Sie dient nur dazu, die Zuschauer glauben zu machen, dass der Kandidat wählen kann.«

»Eine Attrappe? Ist das immer so?«

»Ja. Spart Zeit und Geld. Ihr werdet beide auf den Hof eingeladen, der Winzer tut so, als ob er euch kennenlernt, und entscheidet sich dann für die Frau, die für die Show ausgewählt wurde – im Fall dieses hübschen Naturburschen wärst das du. Die Schauspielerin verschwindet von der Bildfläche. Fertig.«

Ellie seufzte. »Und was muss ich tun?« So einfach, wie Alex das geschildert hatte, konnte die ganze Sache unmöglich sein, sonst hätten ihr die Bewerberinnen längst die Tür eingerannt.

»Um ehrlich zu sein, hätte die Produktionsfirma gern eine Kandidatin, die ein Dirndl trägt, weil sie aus München kommt. Sie soll ihre Reize ein wenig hervorkehren und nicht unbedingt den IQ einer Raketenforscherin haben.«

»Das ist nicht dein Ernst!«

Alex schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Es gibt auch eine Show, in der man einen völlig Fremden heiraten muss. Dagegen ist Landliebe ein Klacks. Es sind nur vier Wochen. Die vergehen wie im Flug.«

»Ich wette, dort gibt es im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern keinen Starbucks, geschweige denn eine anständige Cocktailbar.«

»Nein. Es gibt vermutlich nicht einmal Sushi, aber dafür zehntausend Euro. Bar auf die Hand.«

Ellie rieb sich die Schläfen, hinter denen noch immer der Mai-Tai-Kater tobte. »Sag mir, dass ich es nicht bereuen werde.«

Alex setzte sich gerade hin und sah sie ernst an. »Du wirst es auf keinen Fall bereuen.«

3

Landliebe – Szene 3 – Tom

(Kamera 1: Totale auf Paul Weidenmann und Tom Sander)

»Tom, endlich durftest du die niedliche Nageldesignerin Elisabeth treffen, hast sie zur Begrüßung sogar in die Arme genommen. Erfüllt sie deine Erwartungen?«

»Allerdings. Sie ist haargenau so, wie ich sie mir vorgestellt habe.«

»Auch Elisabeth konnte bereits ein wenig deine nähere Bekanntschaft machen. Du hast ihr dein Haus und das Weingut gezeigt und ihr deinen ganzen Stolz präsentiert.«

»Meinen ganzen Stolz?«

»Deine Modellflugzeuge.«

»Ach so, die. Ja, mein ganzer Stolz.«

»Modellflugbau ist wirklich ein ganz außergewöhnliches und kreatives Hobby.«

»Ja, wirklich spektakulär. War’ s das? Ich habe irgendwo noch einen halb fertigen Flieger rumliegen, den ich unbedingt fertig basteln will.«

(Kamera 1: Ausblenden)

»Ich bin bei der freiwilligen Feuerwehr, und mein Hobby ist Modellbau?« Tom starrte auf seinen neuen Lebenslauf. »Das kann nicht euer Ernst sein!«

Der Regieassistent, oder was auch immer das schmale Männlein namens Holzmaier war, das in zu engen Jeans und mit rotem Kopf nervös vor ihm auf und ab hüpfte, versuchte es mit einem gequälten Lächeln. »Flugzeugmodelle«, korrigierte das Männlein ihn. »Das ist für die Zuschauer. Sie sollen dich interessant finden.«

»Aha.« Was sollte er sonst darauf erwidern?

Eric hustete in seine Faust, um sein Lachen zu verbergen. Tom warf ihm einen Blick zu, der sagte: Du bist keine große Hilfe, Bruder.

Im Nebenzimmer fiel polternd etwas zu Boden. »Verdammt!« Tom sprang auf. »Die nehmen die ganze Bude auseinander.« Sein Hund Murdock suchte unter dem Küchentisch Schutz und legte die Pfote über seine Schnauze. Zu viele Menschen taten gerade zu viele merkwürdige Dinge in seinem Revier.

»Beruhige dich, Tom.« Das Hüpfen des Holzmaier-Männchens trug nicht unbedingt dazu bei. »Sie tauschen nur die Bücher gegen Flugzeugmodelle.«

»Du kannst froh sein, dass unsere Mutter in der Reha ist«, zischte Tom Eric zu. »Sie wird ausflippen, wenn sie sieht, was die mit dem Haus anstellen.«

Laut dem Drehbuch dieser Irren sollte Tom einen wortkargen, hinterwäldlerischen Bauern mimen. Kein Problem für ihn. Bei seiner zunehmenden Gereiztheit würde er diese Rolle vermutlich perfekt verkörpern. Seine Kleidung sollte sich auf Jeans, T-Shirts, Flanellhemden und Stiefel beschränken. Ebenfalls kein Problem. So kleidete er sich auch im normalen Leben – nach dem er sich gerade verzweifelt zu sehnen begann.

Was sie mit seinem Zuhause machten, ging allerdings eindeutig zu weit. Seine Familie hatte Jahre darauf verwendet, die Wohnräume zu sanieren und zu modernisieren, ohne ihren ursprünglichen Charakter zu zerstören. Den verdammten Fernsehfuzzis war das zu schön, zu neu, zu ordentlich. Sie karrten alte, abgewohnte Möbel an und tauschten die Einrichtung des Gästezimmers aus, in dem die Landliebe-Kandidatin untergebracht werden sollte. Ebenso die Einrichtung des Wohnzimmers. Das Bücherregal seiner Mutter wurde ausgeräumt und mit bescheuerten Flugzeugmodellen bestückt. Wer hatte diese Dinger eigentlich zusammengebaut? Praktikanten? Das Sofa wurde ausgetauscht, und irgendwo hatten sie einen dieser Couchtische mit Fliesen aufgetrieben. Er war sich sicher gewesen, dass es diese Dinger seit den Neunzigerjahren nicht mehr gab. Ein unfassbar hässlicher senffarbener Teppich, eine abgewetzte Eckbank und ein Esstisch mit einer Plastiktischdecke vervollständigten das Ensemble.

Von der schönen Küche seiner Mutter und dem modernisierten Bad war Reality Productions mehr als enttäuscht. Aber die Fliesen herauszureißen ging selbst der Fernsehfirma zu weit. Was sein Schlaf- und Arbeitszimmer betraf, stellte Tom sich stur. Er hatte sie zur Tabuzone erklärt, und schließlich willigten die Fernsehleute ein, dort nicht zu filmen. Auch die Küche und das Bad sollten so selten wie möglich zu sehen sein. Die Show würde vor allem in seinem neuen Wohnzimmer und Gästezimmer gedreht werden.

Im Dorf hatte sich bereits herumgesprochen, dass er einer der Kandidaten in der nächsten Landliebe-Staffel war. Die gesamte Crew hatte sich in der einzigen größeren Pension des Ortes einquartiert und sorgte für Aufregung und Wirbel im Dorf. Zumindest bei denen, die sich nicht über ihn lustig machten. Vier Wochen, rief er sich ins Gedächtnis. Vier Wochen und fünfzigtausend Euro.

»Wie findest du denn diese Elisabeth?«, versuchte Eric, ihn abzulenken. »Die sieht doch ganz nett aus.«

»Hmm.« Das war noch so eine Sache. Offiziell gab es zwei Kandidatinnen, aber eine war eine Schauspielerin, Annett, die nur mitmachte, um die Zuschauer an der Nase herumzuführen. Alles stand bereits fest. Er würde das überschminkte Blondchen mit dem Killerbody beherbergen. Dabei stand er mehr auf den Typ Frau, mit dem man sich auch unterhalten konnte. In dieser Hinsicht wirkte die Schauspielerin wesentlich kompetenter. Das Lächeln auf dem Bild, das der aufgeregte Hampelmann Holzmaier mitgebracht hatte, war fröhlich, sie wirkte gut gelaunt und intelligent. Wenn er hätte wählen dürfen, wäre sie der Gast auf seinem Hof geworden. Wahrscheinlich würde sie sogar mit anpacken und ihn bei der Weinlese unterstützen. Die andere, eine Blondine aus München, eher nicht.

Tom betrachtete das zweite Foto. Natürlich hatte er kein Mitspracherecht gehabt. Er würde die Schauspielerin nur für ein paar kurze Filmsequenzen treffen und die restlichen vier Wochen mit Miss Festzelt verbringen. Das Blond dieser Tussi war sicher nicht echt, und vermutlich schaffte es keine Frau allein, sich so eine komplizierte Flechtfrisur zu verpassen. Das Gesicht war eigentlich hübsch, wenn er das unter all der Schminke richtig deutete. Wie er inzwischen von mehreren neidischen Betrachterinnen des Bildes wusste, konnten Wimpern, die so lang waren wie ihre, unmöglich echt sein. Die Augen der Frau stachen groß und grün aus dem schmalen Oval hervor. Ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet, was ihr einen wenig intelligenten Ausdruck verlieh. Ihr Körper war allerdings ein Meisterwerk. Sie wusste offensichtlich, wie sie ihn am besten in Szene setzen konnte, und hatte ihn in ein Dirndl verpackt, das ein Paar wirklich spektakuläre Brüste in einem atemberaubenden Dekolleté einrahmte. Der Rocksaum reichte kaum bis zur Mitte der Oberschenkel, und so konnte er außerdem ihre ellenlangen Beine bewundern, die in mörderisch hohen High Heels steckten. »Mit solchen Schuhen wird sie auf dem Hof bestimmt viel Spaß haben«, beantwortete er die Frage seines Bruders vage. Tom mochte Frauen einfach nicht, die sich bis zum Umfallen aufbrezelten. Er stand auf natürliche Ausstrahlung. Auf selbstbewusste Frauen, die sich in ihrer Haut wohl genug fühlten, um auf Make-up, falsche Wimpern und all diesen Mist verzichten zu können. Elisabeth Lorenz erschrak wahrscheinlich vor sich selbst, wenn sie morgens in den Spiegel sah. Sie stand sicher auf diese angesagten Bars und völlig überteuerten Kaffee aus Pappbechern. Um das zu wissen, brauchte er sich nicht mit ihr zu unterhalten. Das sah er auf den ersten Blick.

»Sie hat ziemlich große … Ohren.« Eric grinste.

»Ja, die hatte Dumbo auch. Und der war vermutlich klüger als dieses Püppchen.«

Es kostete Ellie einige Überwindung, mitten im Nirgendwo aus dem Regionalzug zu steigen und zum ersten Mal dem Mann gegenüberzutreten, mit dem sie die nächsten vier Wochen zusammenleben sollte, während ihr Millionen von Fernsehzuschauern über die Schulter blicken würden. Mit jeder Minute war ihre Nervosität gestiegen. Der Kameramann und die Redakteurin, die sie von München aus begleitet hatten, hatten mit ihren Episoden von schiefgelaufenen Dreharbeiten nicht gerade zur Aufhellung ihrer Stimmung beigetragen. Als die Frau ihr kurz vor Steinbach einen kleinen Kopfhörer ins Ohr drückte und das Mikrofon an ihrem Dirndl noch einmal neu justierte, musste sie sich zusammenreißen, um nicht in Angstschweiß auszubrechen. Dass ihr das viel zu enge Oberteil die Luft abschnitt, half auch nicht.

Ihre Begleiter riefen ihr fröhlich »Viel Spaß« hinterher, als sie ihre beiden Koffer aus dem Zug wuchtete. Sie sah Tom Sander am Ende des Bahnsteigs stehen – sowie gefühlte fünfhundert weitere Leute, inklusive der Filmcrew. Alle musterten sie neugierig – bis auf den Mann, wegen dem sie hier war. Der bedachte sie nur mit einem Blick aus zusammengekniffenen Augen. Die Arme vor der Brust verschränkt, stand er bewegungslos neben dem Bahnhofsgebäude.

Wie sollte sie sich verhalten? Was sollte sie als Nächstes tun? Der Knopf in ihrem Ohr rauschte leise. Am liebsten wäre sie in den Zug zurückgesprungen. Aber in diesen verdammten High Heels wäre sie wahrscheinlich nicht schnell genug, würde sich nur den Arm in der Tür einklemmen und von der Bahn mitgeschleift werden. Tom Sander erweckte nicht den Eindruck, als würde er auch nur den kleinen Finger rühren, um sie zu retten.

Ein Mann, der ihm ziemlich ähnlich sah und gemeinsam mit einer hochschwangeren Frau schräg hinter ihm stand, gab ihrem Gastgeber jetzt einen Schubs, und endlich setzte sich Tom in Bewegung. Langsam kam er auf sie zu, verfolgt von einer Kamera. Ellie wurde schwindelig, was nicht nur an ihrem plötzlich rasenden Herzen lag. Sein Gang erinnerte sie an ein Raubtier. Die dunklen Haare fielen ihm in die Stirn und verliehen ihm etwas Gefährliches. Hatten nicht Berglöwen die gleiche Augenfarbe wie er? Sie wusste es nicht mehr. Überhaupt schien sich auf einmal ein ziemliches Vakuum in ihrem Kopf auszubreiten. Ellie stand wie angewurzelt da. Wahrscheinlich blickte sie genauso dümmlich wie auf dem Kandidatenbild drein, das die Produktionsfirma von ihr geschossen hatte. Denn bei eben diesem Foto-Shooting hatte sie erfahren, dass es laut ihres neuen Lebenslaufs für Landliebe ihr Traum war, irgendwann ein Nagelstudio zu eröffnen. Sie hatte gerade den Mund geöffnet, um gegen diesen Blödsinn zu protestieren, als der Fotograf den Auslöser drückte. Jetzt tauchte dieses offizielle Landliebe-Bild von ihr pausenlos im Fernsehen und Internet auf. Zusammen mit dem Dirndl, das ihr unleugbar eine Nummer zu klein war, und dem heftigen Make-up sprach es eine eindeutige Sprache, die ihr schon ein paar unmissverständliche Angebote auf Facebook und Twitter eingebracht hatte – denn natürlich hatte der Sender es dort gepostet. Tom Sander schien das Bild allerdings nicht besonders gemocht zu haben. Das sagte zumindest sein Gesichtsausdruck. Er stand jetzt vor ihr, die Hände in seiner abgewetzten Jeans. Sein scharfer Blick fixierte sie.

Ellie räusperte sich. »Hallo, schön, dich zu treffen.«

»Hallo.« Mehr nicht.

»Es sind ja ziemlich viele Leute hier«, versuchte sie sich in Small Talk.

»Neugierige Dörfler. Das ist auf dem Land so.«

»Aha.« Hinter Toms Schulter entdeckte Ellie eine Kamera, die auf sie gerichtet war. Sollte sie ihm die Hand schütteln? Küsschen links, Küsschen rechts? Er sah nicht aus wie jemand, der Bussis verteilte. Allerdings erahnte Ellie bereits, was das Problem dieses Mannes war. Offenbar hatte er keine Manieren und war so gereizt wie ein Bär mit einem Splitter in der Tatze. Er musste ja im Fernsehen auf Brautschau gehen. Anders bekam ein unhöflicher Kerl wie er wohl keine Frau.

Der kleine Kopfhörer in Ellies Ohr knackte. Endlich. Holzmaier, der Aufnahmeleiter der Sendung, räusperte sich, was fast ihr Trommelfell platzen ließ. Sie bemühte sich vor der Kamera, die sicher alles festhielt, nicht das Gesicht zu verziehen. »Tom, du solltest Elisabeth zur Begrüßung umarmen«, kam die Anweisung.

Der wachsame Blick ihres Gegenübers wich für einen Moment einem entgeisterten Gesichtsausdruck. Dann verengten sich seine Augen zu Schlitzen. »Natürlich«, brachte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Unbeholfen zog er sie an sich und umarmte sie kurz. Doch lange genug, dass sie bemerkte, wie gut er roch. Nach Weichspüler, Erde und Wald. Die Stoppeln seines Dreitagebartes kratzten über ihre Wange und verursachten eine Gänsehaut.

Kaum hatte Tom sie losgelassen, tauchte Weidenmann, der Moderator der Sendung, aus dem Nichts neben ihnen auf und hielt ihnen freudestrahlend ein Mikrofon entgegen. »Wie war die erste Begegnung?«

Da ihr Gastgeber nicht vorzuhaben schien, das Wort zu ergreifen, beugte Ellie sich über das Mikrofon und lächelte tapfer. »Ich bin ganz überwältigt von diesem herzlichen Empfang. Es ist wundervoll, Tom endlich persönlich zu treffen und etwas über seine Familie und Freunde zu erfahren.«

Ihr Aufenthalt in Steinbach an der Mosel würde in einem Desaster enden. Das spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers.

Tom beobachtete seine künftige Mitbewohnerin, wie sie ihre Koffer aus dem Zug wuchtete. Er hatte keine Regieanweisung, ihr zu helfen, also blieb er, wo er war.

Elisabeth Lorenz sah genauso aus, wie er sie sich vorgestellt hatte. Als sie aus dem Waggon stieg, hätte er am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre verschwunden. Ihm war sehr daran gelegen, sein Leben einfach zu halten. Dieser Frau stand das Wort kompliziert in Großbuchstaben auf die Stirn geschrieben.

Es hatte eines Stoßes von Eric bedurft, dass er überhaupt auf sie zuging. Er ließ sich Zeit, um sie von oben bis unten mustern zu können. Eine wirkliche Schönheit, wenn man den Typ aufgetakelte Großstadttussi mochte, eine wahr gewordene Männerfantasie eben. Dieser Anblick war ganz nett für Träume, von denen man am nächsten Morgen niemandem erzählte. Für die Realität eigneten sich solche Frauen nicht. Sie gehörten in angesagte Bars, Clubs wie das P1. Auf einem Weingut in einem Kuhkaff an der Mosel hatten sie nichts verloren.

Weinbauern waren einfache Leute, die wussten, was harte Arbeit bedeutete – und die verdammt neugierig waren. Die Weinlese lief gerade auf Hochtouren. Trotzdem brachten die Leute es fertig, hier herumzustehen und sich das Maul über ihn und die Landliebe-Kandidatinnen zu zerreißen. Mit leuchtenden Augen folgten sie jeder ihrer Bewegungen. Tom würde ihnen keine Show bieten. Sie sollten gefälligst wieder zwischen ihren Reben verschwinden.

Mit grimmiger Miene blieb er vor Elisabeth stehen. Mit Annett gestern war es so viel einfacher und angenehmer gewesen. Tom hatte sofort gespürt, dass sie auf einer Wellenlänge lagen. Wenn er ihre Blicke und ihr Lächeln richtig gedeutet hatte, sah sie das genauso.

Das Blondinchen hingegen wirkte nervös. Wenn er Glück hatte, war ihre Angst vor ihm so groß, dass sie vor ihm kuschte und ihn in den nächsten vier Wochen in Ruhe ließ. Er hatte sich überlegt, die Pflichttermine mit ihr zu absolvieren und sie ansonsten links liegen zu lassen. Am besten wäre es, sie bliebe einfach in ihrem Zimmer und würde sein Leben so wenig wie möglich stören. Auf keinen Fall sollte sie sich auf dem Schwarzen Stein zu wohl fühlen oder sich am Ende gar noch in ihn verlieben.

Gerade wollte er Elisabeth fragen, ob sie endlich von diesem Bahnsteig verschwinden konnten, als der Minikopfhörer in seinem Ohr knisterte.

Der aufgeregte Hampelmann – oder eigentlich der Aufnahmeleiter, wie er inzwischen herausgefunden hatte – meldete sich atemlos zu Wort. »Tom, so begrüßt man doch keine Frau, für die man sich interessiert. Umarme Elisabeth!«

Na wunderbar. Er versuchte hier ernsthaft, sie auf Abstand zu halten. Notgedrungen legte er die Arme um Elisabeth und bemühte sich, nicht mit ihrem Busen zu kollidieren. Tom hatte schon ziemlich lange keine Frau mehr im Arm gehalten. Seit Maren ihn vor eineinhalb Jahren verlassen hatte, weil das Leben auf einem Weinberg zu langweilig und unspektakulär war, hatte er keine Beziehung mehr gehabt. Zwei kurze Affären hatten nirgendwo hingeführt, und seit einem Dreivierteljahr herrschte auch in dieser Beziehung Ebbe. Er hatte sich auf den Schwarzen Stein und die finanziellen Probleme konzentriert. Dann hatte sich seine Mutter den Oberschenkelhals gebrochen und war ausgefallen. Seine Schwägerin Katharina, Rina genannt, war im neunten Monat schwanger und konnte ihnen nicht mehr so richtig zur Hand gehen. In den vergangenen Monaten hatte er einfach keine Zeit mehr für ein Privatleben gehabt. Aber jetzt, mit Elisabeths Duft in der Nase und ein paar ihrer seidenweichen Haarsträhnen, die über seinen Arm glitten, erinnerte er sich daran, dass er grundsätzlich nichts gegen eine Frau in seinem Leben hatte. Eine wie Annett. Seinem Körper war es allerdings egal, ob ein Blondinchen mit einem Hirn voll Bohnenstroh vor ihm stand, das tatsächlich dachte, über eine bescheuerte Fernsehsendung einen Mann zu finden. Der registrierte nur weiche Haut, perfekte Kurven, endlos lange Beine – und traf seine eigenen Entscheidungen. Verdammt. Abrupt ließ er los und brachte Abstand zwischen sich und Elisabeth.

Natürlich war der Aufnahmeleiter mit dieser Reaktion nicht einverstanden und seufzte ihm ärgerlich ins Ohr. »Nein, nein, nein. So geht das nicht. Tom, geh zurück zum Bahnhofsgebäude. Lauf dann noch einmal auf Elisabeth zu und begrüße sie mit einer herzlichen Umarmung.«

Zwei weitere Durchgänge waren nötig, bis diese Szene endlich im Kasten und der Aufnahmeleiter zufrieden war. Zwei weitere Male musste Tom Elisabeth umarmen, ihren Körper an seinem spüren und das erstaunlich leichte blumige Parfüm einatmen.

Der einzige Vorteil, der sich aus den Wiederholungen ergab, war das Verschwinden der Schaulustigen. Seine Nachbarn hatten die Kandidatin in Augenschein genommen und sich von ihrer Existenz überzeugt. Zufrieden, das Subjekt des Dorftratsches persönlich gesehen zu haben, waren sie in ihre Weinberge, an ihre Kochtöpfe, Waschmaschinen oder wohin auch immer zurückgekehrt. Neben Toms Familie drückten sich nur noch wenige Leute vor der kleinen Schalterhalle herum. Gerti, die den Tante-Emma-Laden im Dorf betrieb, zum Beispiel. Sie musste schließlich über alles informiert sein, damit sie ihre Kundschaft auf dem Laufenden halten konnte. Sie lungerte mit einigen der älteren Steinbacherinnen herum und versuchte unauffällig, jedes Detail mitzubekommen. Es wurde höchste Zeit, von hier zu verschwinden. »Also gut, Elisabeth. Nachdem wir uns jetzt mehr als ausführlich begrüßt haben, sollten wir nach Hause fahren.«

4

Landliebe – Szene 4 – Elisabeth

(Kamera 1: Schwenk durch das Gästezimmer, Zoom auf Paul Weidenmann, Frontale)

»Elisabeth ist inzwischen auf dem Weingut zumSchwarzen Stein eingetroffen und hat ihr Zimmer bezogen. Hast du dich schon im Rest des Gutshauses umsehen können?«

(Kamera 2: Totale auf Lorenz)

»Ich hatte noch keine Zeit. Bisher habe ich nur meine Sachen ausgepackt.«

»Wie findest du dein Zimmer?«

»Sehr … rustikal. Was ich bis jetzt vom Schwarzen Stein gesehen habe, hat mir wahnsinnig gut gefallen.«

»Aber gefällt es dir auch, dass der Mann, für den du dich interessierst, mit seiner Mutter zusammenlebt?«

»Im Moment ist Toms Mutter nicht hier. Ich kann mir aber vorstellen, dass ich mich mit ihr genauso gut verstehe wie mit ihrem Sohn.«

»An dieser Stelle verabschieden wir uns für heute, damit die beiden ihren ersten gemeinsamen Abend verbringen können.«

(Kamera 2: Zurückfahren, ab)

Das erste Zusammentreffen mit Tom Sander war nicht besonders gut verlaufen. Dreimal musste die Begrüßung wiederholt werden, bis sie endlich im Kasten war. Dreimal hatte Tom sie umarmt. Mit grimmigem Gesicht. Sein Verhalten ließ sie darüber rätseln, was ihn so sehr an ihr störte. Sie kannten sich nicht, also konnte sie ihm auch nichts getan haben. Gut, sie war nicht ganz ehrlich, was ihre Motive für die Kuppelshow betraf, aber davon wusste er ja nichts. Wenn er eine Frau kennenlernen wollte, musste er dringend an seinen Manieren arbeiten. So wie er sich gab, würde er mit achtzig noch allein auf seinem Hof sitzen.

Außerdem hatte er es nicht für notwendig erachtet, Weidenmann ein paar Fragen zu beantworten, sondern hatte sich einfach ihre Koffer geschnappt und war damit davonmarschiert. Frustriert folgte sie ihm.

Er hielt auf den Mann, der ihm so sehr ähnelte, und die schwangere Frau zu. »Mein Bruder Eric, meine Schwägerin Katharina«, erklärte Tom mit einem Kopfnicken in die Richtung der beiden, ohne das Gepäck abzustellen.

»Hallo.« Ellie streckte ihnen die Hand entgegen. Statt einer förmlichen Begrüßung zog Toms Bruder sie in eine Umarmung, die tatsächlich von Herzen zu kommen schien.

Seine Frau tat es ihm gleich. »Herzlich willkommen in Steinbach. Nenn mich einfach wie alle anderen Rina.«

»Ellie.« Die Frau mit der wilden roten Lockenmähne und den Sommersprossen im Gesicht war ihr auf Anhieb sympathisch.

»Können wir endlich los?«

»Klar, Brummbär.« Rina hakte sich bei ihr unter. »Wir zeigen dir das Weingut. Toms Freunde vom Fernsehen warten schon auf uns.« Sie knuffte ihren Schwager gut gelaunt in die Seite. Entweder kannte sie diesen knurrigen Typen schon sehr lange, oder sie war ziemlich furchtlos. Ellie hätte sich nicht getraut, ihn noch zusätzlich zu reizen. Aber vielleicht veränderte sich ihr Verhältnis zum Guten, wenn sie sich erst einmal besser kannten.

Tom verstaute ihre Sachen im Kofferraum eines schwarzen VW Tuareg. Ellie wählte den Platz hinten neben Rina, während die Brüder vorn einstiegen.

Auf dem Weg zum Weingut zeigte Rina ihr die Sehenswürdigkeiten des Dorfes. Diese bestanden hauptsächlich aus einem Tante-Emma-Laden, einem Café und einer großen Eiche, die neben einem alten Brunnen Wache hielt. Ellie entdeckte ein Gasthaus und die Pension, in der sich die Filmcrew eingemietet hatte. Alles fügte sich zu einem pittoresken Ortskern aus wunderschönen Fachwerkhäusern zusammen.

Ein Teil der Anspannung fiel von Ellie ab. Die Gegend gefiel ihr. Sie war noch nie zuvor im Moseltal gewesen und hatte schon auf der Zugfahrt die malerischen, steilen Berghänge bewundert, die zum größten Teil mit Weinstöcken bedeckt waren. Ihr Laub hatte sich ebenso wie die Mischwälder, die die Rebenreihen säumten, in allen Schattierungen zwischen Gelb und Rot verfärbt. Mit dem Azur des Himmels und dem dunklen Blau des Flusses boten sie ein wahres Farbspektakel.

Steinbach war ein uriges Dörfchen, das wie viele andere, die sie unterwegs gesehen hatte, inmitten steiler Rebenhänge lag. Ellie fragte sich, wie der Wein auf diesen abschüssigen Flächen geerntet wurde.

Das Fahrerfenster war ein Stück heruntergelassen. Eine kühle Brise wehte in den Wagen und spielte mit Toms Haaren. Ellie zwang sich, nicht auf seinen dunklen Hinterkopf zu starren. Sie sog gierig den Geruch des Tals ein. Eine Wohltat nach der klimatisierten Luft im Zug. Die Sonne strahlte, und nur vereinzelte Wolken segelten über die Bergkämme. Es kam Ellie vor, als zeigte sich Steinbach von seiner schönsten Seite, um die mürrische Begrüßung ihres Gastgebers wettzumachen.

Und mit seinem Zuhause erging es ihr ebenso. Sie fuhren durch einen großen, aus Feldsteinen gemauerten Torbogen, in dem ein schmiedeeisernes Schild mit der Inschrift Weingut zum Schwarzen Stein hing. Ellie hielt den Atem an, als der Tuareg auf einem gepflasterten Hof zum Stehen kam und ihr Blick auf ein wunderschönes Fachwerkhaus im Schatten einer großen, vermutlich jahrhundertealten Eiche fiel. Auf der linken Seite standen einige Wirtschaftsgebäude, die ebenso gepflegt wirkten wie das Haupthaus. Das Gut lag auf halber Höhe des Berges. Von hier aus bot das blaue Band der Mosel einen spektakulären Anblick. Ellie stieg aus dem Wagen und drehte sich einmal um sich selbst.

»Willkommen auf dem Schwarzen Stein«. Rina trat neben sie. »Das Gut verdankt seinen Namen dem blau-schwarzen Schiefergestein, aus dem der Weinberg besteht.«

»Wow. Es ist unglaublich schön hier.«

»Ja, nicht wahr?« Rina strahlte sie an. »Wenn ich morgens aufstehe und ins Tal hinunterblicke, denke ich jedes Mal, dass wir am schönsten Ort der Welt leben.«

»Wohnt ihr auch da?« Ellie blickte zum Gutshaus hinüber.

»Wir haben das Kutscherhaus umgebaut. Es liegt am Ende des Grundstücks. Im Haupthaus wohnen nur Tom und seine Mutter.«

Es gab also eine Mutter. Natürlich, die gab es immer. Bisher hatte sie nur noch niemand erwähnt – und Ellie hatte nicht darüber nachgedacht.

»Bevor du dir darüber den Kopf zerbrichst, meine Mutter ist im Moment in der Reha. Du wirst sie nicht treffen.« Tom hob ihr Gepäck aus dem Kofferraum. »Können wir jetzt reingehen? Je schneller wir es hinter uns bringen, desto eher sind wir die Filmfuzzis los.« Ohne ihre Erwiderung abzuwarten, marschierte er davon, und Ellie blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Rina winkte ihr aufmunternd zu. »Genieß deinen ersten Abend hier. Wir sehen uns.«

»Danke.« Ellie war neugierig auf das Innere dieses wunderschönen Gebäudes, das für die nächsten vier Wochen ihr Zuhause sein sollte.

Tom öffnete die Haustür und wurde sofort stürmisch von einem übermütigen Labrador begrüßt. Der Hund wedelte so heftig mit dem Schwanz, dass er kurz davor war, das Gleichgewicht zu verlieren. Schnell stellte Tom einen ihrer Koffer ab und kraulte ihn hinter den Ohren. Der Hund schmuste ein bisschen mit seinem Herrchen, bevor er Ellie entdeckte und mit zwei großen Sätzen bei ihr war. Sie beugte sich hinunter, um ihn ebenfalls zu streicheln. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie sich Tom zu ihr umdrehte. Sie wusste sehr wohl, wohin er gerade sah. Genau dorthin, wo bei ihrer Aufmachung unweigerlich jeder Männerblick hinwanderte. Als ihm bewusst wurde, dass sie ihn beim Starren ertappt hatte, wandte er sich abrupt um, schnappte sich ihr Gepäck und trat ins Haus.

»Hier unten liegen das Wohnzimmer, die Küche und der Bereich meiner Mutter«, erklärte er im Vorbeigehen und steuerte die Treppe an. »Oben befinden sich die restlichen Schlaf- und Gästezimmer und das Bad.«

Begleitet von dem Hund, ging sie hinter Tom her, der im Obergeschoss eine Tür öffnete. »Dein Zimmer.«

»Oh.« Ellie warf einen Blick hinein und wurde nach ihrer Begeisterung über den Hof auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wie das sonst nur eine kalte Dusche vermochte. Ein Kleiderschrank aus den Siebzigerjahren, grün und braun gestreifte Vorhänge, ein Teppich, der einem psychedelischen Orangewirbel glich, und ein Bett mit einem gepolsterten Kopfteil in der Farbkombination Lila-Schwarz. Sie war nicht hier, um Ferien zu machen und die Umgebung zu genießen, erinnerte sie sich. Nein, sie musste zehntausend Euro verdienen. Und dafür vier Wochen im hässlichsten Zimmer aushalten, das sie jemals gesehen hatte. Ihr Schweigen sprach Bände.

»Schön, dass es dir gefällt.« Schwang da Sarkasmus in seiner Stimme mit? Sie blickte zu ihm auf. Nein, sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht im Geringsten verändert. »Komm ins Wohnzimmer, wenn du ausgepackt hast, die Leute von Reality Productions wollen ihre Interviews.«

Sie brachten den Fragenmarathon hinter sich und versuchten, zu antworten, wie es das Drehbuch ihnen vorgegeben hatte. Tom ignorierte Ellie die meiste Zeit. Wenigstens behandelte sein Labrador Murdock sie nicht auch noch wie eine Aussätzige, beäugte allerdings die Kameracrew misstrauisch und wich nicht von ihrer Seite.

Über zwei Stunden dauerte es, bis alles im Kasten war. Ellie gesellte sich zu ihrem Gastgeber und sah genauso stumm wie er dabei zu, wie die Fernsehleute ihre Ausrüstung zusammenpackten und schließlich das Haus verließen.

Dann nahm Ellie all ihren Mut zusammen und drehte sich zu Tom um. Sie mussten sich unbedingt ein wenig besser kennenlernen, um das unangenehme Schweigen zwischen ihnen zu vertreiben. »Ich …«

»Ich …«, begann er im selben Moment.

Ellie lächelte ihn an. »Du zuerst.«

»Ja, ähm …« Er kratzte sich unbehaglich am Kopf. »Entschuldige mich. Ich muss morgen zeitig raus. Wir sind mitten in der Weinlese, und die Fernsehfritzen kommen am Nachmittag ja schon wieder.«

Ellie erwartete, ins Leben auf dem Hof mit einbezogen zu werden. »Okay. Was soll ich tun?«

»Am besten in deinem Zimmer bleiben und nichts anfassen. Komm, Murdock! Gute Nacht.« Er ließ sie einfach stehen. Abends um kurz vor sieben. Mit der Aussicht, verdammt lange, einsame Stunden in dem Kabuff mit diesen hässlichen Siebzigerjahre-Möbeln zu verbringen.

Ellie schloss die Zimmertür und tauschte ihr Dirndl gegen etwas Bequemes, ehe sie ihr Handy aus der Handtasche zog. Zumindest hatte sie Empfang. Sie wählte Alexandras Nummer.

»Hey Süße, wie ist der erste Tag gelaufen? Ist der Typ so schnucklig wie auf dem Foto?« Ihre Freundin sprudelte geradezu über vor Euphorie.

Ellie seufzte. »Du hast mir versprochen, dass ich diese Landliebe-Sendung auf keinen Fall bereuen werde.«

Noch vier Wochen bis zum errechneten Geburtstermin. Rina kroch ins Bett und seufzte erleichtert. Sie freute sich wahnsinnig auf ihr Baby, aber langsam hatte sie die Nase gestrichen voll davon, schwanger zu sein. Sie sehnte sich danach, einen Tag ohne geschwollene Knöchel oder Rückenschmerzen zu verbringen. Und irgendwann wollte sie bei einem Blick nach unten wieder ihre Füße sehen.

Eric glitt hinter ihr unter die Decke und hüllte sie ein in seinen Duft und seine Liebe. Seine Hand schob sich auf ihren Bauch, und augenblicklich entspannte sich ihr Körper. Sie schloss die Augen und schmiegte sich an ihn. Eric war ihr Anker, ihr Halt. Wie konnte man so lieben? So bedingungslos? Sie hatte den Mann ihrer Träume in der fünften Klasse getroffen und wusste, er würde ein Leben lang an ihrer Seite bleiben. Sie konnte sich seiner sicher sein. Warum hatten manche Menschen dieses Glück? Tom, der wie ein Bruder für sie war, hatte so viel Pech, wenn es um die Liebe ging.

»Wie findest du sie?« Eric küsste Rina auf die Schulter und streichelte ihr Baby, das sich mit einem Fußtritt bedankte. Sie musste nicht fragen, wen er meinte.

»Sie ist sehr nett. Ich mag sie.«

Er schob seine Nase in ihr Haar und lachte leise. »Sie wird es Tom nicht leicht machen. Hast du ihre Augen gesehen? Diese Frau ist klüger, als ihr Outfit vermuten lässt.«

»Das ist dir aufgefallen? Tom hat es mit Sicherheit nicht gemerkt. In die Augen hat er Ellie garantiert nicht gesehen.«

»Ja, ihre Optik kann ein wenig ablenken. Trotzdem habe ich den Eindruck, sie ist zu clever und denkt nicht wirklich, dass sie auf diese Weise einen Ehemann findet. Sie hat ihre Gründe, bei dieser Show mitzumachen. Genau wie wir.«

»Das ist gut.« Rina verschränkte ihre Finger mit denen ihres Mannes. »Dann stehen die Chancen ein wenig besser, dass sie deinen knurrigen Bruder vier Wochen lang erträgt.«

5

Landliebe – Szene 5 – Tom

(Kamera 1: Frontale auf Weidenmann und Sander)

»Wie war die erste Nacht, die du mit Elisabeth unter einem Dach verbracht hast? Möchtest du uns etwas darüber erzählen, Tom?«

»Nein.«

»Nein?«

»Nein.«

(Okay, Abbruch. Abbruch. Wir wiederholen die Szene. Tom, halte dich gefälligst ans Drehbuch. Kamera 1: Zurückfahren und noch einmal von vorn)

Tom starrte auf die geschlossene Badezimmertür. Er war wie verlangt um zwölf aus dem Weinberg auf den Hof zurückgekehrt – fälschlicherweise in der Hoffnung, den Drehtermin in der Mittagspause hinter sich zu bringen. Ein Irrtum, wie ihm die Belagerung seines Bades verriet. Elisabeth hatte sich mit einer Visagistin und einem Stylisten zurückgezogen. Irgendjemand hatte ihn ebenfalls mit einem Schwamm voller Farbe angegriffen und versucht, ihm etwas ins Gesicht zu schmieren. Mit einem deftigen Fluch hatte er sich in letzter Sekunde in Sicherheit gebracht.