Lauryn - Adora Belle - E-Book

Lauryn E-Book

Adora Belle

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Beschreibung

Lauryns Leben scheint klar vorgezeichnet. Als erster Sohn des Burgherrn von Olgurslad erwartet ihn dessen Nachfolge und damit ein weitgehend sorgenfreies Dasein. Doch es kommt alles anders ... Als Lauryn zwölf Jahre alt ist, wird Olgurslad von Söldnern überfallen und dem Erdboden gleichgemacht. Er selbst wird dabei entführt und in eine Existenz als Sklave gezwungen, die ihn Jahre später in Zyrions Bordell führt. Dort begegnet er Caleb, Nummer Eins unter den Prostituierten des Hauses und als Einziger ein freier Mann, denn er hat sich selbst freigekauft. Zunächst verachten sie sich gegenseitig, denn ebenso sehr wie Lauryn entschlossen ist, sich nicht in die Prostitution zwingen zu lassen, so wenig kann Caleb anfangs begreifen, dass der Junge sich gegen sein Los sträubt. Ungewollt nähern sie sich dennoch mit der Zeit aneinander an, lernen einander zu verstehen und mehr ... Doch die Vergangenheit schläft nicht und holt Beide noch einmal ein.

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Adora Belle

Lauryn

Gay Fantasy Romance

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Prolog

 

 

 

 

„Wenn das also dein letztes Wort ist, Sigurd?“ Der schwarzhaarige Mann schwang sich in den Sattel seines Pferdes und sah auf den Anderen hinunter, der neben ihm stand. Dieser machte jedoch keine Anstalten sich zu rühren und schaute an ihm vorbei in die Ferne.

„Ich habe mich entschieden“, sagte er fest. „Ich bereue nicht was war, aber jetzt ist es vorbei und für mich beginnt ein neues Leben. Eines Tages wirst du das hoffentlich verstehen!“ Er hob den Kopf und schaute den Reiter an, der jetzt die Zügel anzog, sein Pferd wendete und es im Schritt durch das Tor gehen ließ. „Können wir nicht trotzdem Freunde bleiben?“

Noch einmal hielt der Schwarzhaarige sein Tier zurück und drehte den Kopf.

„Freunde? Du meinst, ich besuche dich hier und schaukele deine Kinder auf den Knien? Mache deiner Frau Komplimente und spiele den netten Onkel? Mir scheint, dabei vergisst du etwas Wichtiges, meinst du nicht? - Wir waren keine Freunde und könnten es auch niemals sein! Aber ich fürchte, das kannst du nicht verstehen! Ich habe mich in dir getäuscht und das ist es, was ICH bereue! - Leb wohl!“

Damit stieß er seinem Pferd die Fersen in die Seiten und mit ein paar Sprüngen verfiel das Tier in einen hastigen Galopp.

Der Mann am Tor blickte dem Anderen nach, bis er nicht einmal mehr die kleinste Staubwolke sehen konnte. Dann erst drehte er sich um und ließ sich von der Festung in seinem Rücken verschlucken.

Lauryn

 

 

 

 

Die Sonne schien warm von einem makellos blauen Himmel und ließ einen würzigen Duft nach Kräutern und fruchtbarer, feuchter Erde in die Nase des Jungen steigen. Es war Sommer im Nordland, und der zeigte sich wie jedes Jahr in all seiner verschwenderischen Fülle. Die wilde Schönheit der Ebenen war nie prachtvoller, als während dieser kurzen Jahreszeit, und Mensch und Tier genossen Wärme und überreichliches Nahrungsangebot in vollen Zügen.

Die Nächte waren hell, denn die Sonne verschwand nicht mehr unter der Horizontlinie, entschädigte die Bewohner des Nordens damit für die langen Wochen immerwährender Dunkelheit in den Tiefen der kalten und schneereichen Winter.

Für einen zwölfjährigen Jungen hielt die Umgebung der Festung natürlich eine Menge Abenteuer und Geheimnisse bereit. Als Sohn des Burgherrn genoss er ja auch so manche Freiheit, die seinen Altersgenossen verwehrt war, strolchte durch Heidekraut und Haine voller niedriger Kiefern und krüppliger Fichten, fischte in den eiskalten Bächen, die aus dem fernen Gebirge herabströmten und jagte nach Kaninchen und Rebhühnern, während die anderen Jungen seines Alters, die in Olgurslad lebten, noch ihrer Arbeit nachgehen mussten.

Für gewöhnlich wurde es später Nachmittag oder gar Abend, bevor Omri und Tjaerk, die am ehesten so etwas waren, wie seine Freunde, endlich Feierabend hatten und ihm für ein paar wenige kostbare Stunden Gesellschaft leisten durften.

Auch heute war der Junge wieder allein unterwegs. Schon früh war er aufgewacht und nach einem raschen Frühstück der Aufsicht seiner Amme, wie so oft, entwischt.

Leise war er in den Stall geschlichen, hatte sein Pony gesattelt, und kaum eine halbe Stunde nachdem er das Bett verlassen hatte, jagte er bereits südwärts über die Ebene, tief über den Hals seines Tieres gebeugt. Der Sommerwind fuhr ihm in die blonden Haare und er hatte das Bedürfnis laut zu juchzen, so frei und lebendig fühlte er sich dabei.

Er erreichte die Kuppe eines niedrigen Hügels und zügelte sein Pony. Sich im Sattel hochreckend schaute er sich nach allen Seiten um und atmete tief den warmen Atem des Sommers ein.

Von hier ging der Blick in unglaubliche Fernen, egal wohin man sah. Im Norden und Osten begrenzten die weißen Gipfel der Schneeberge die Sicht, im Süden und Westen dagegen erstreckte sich so weit das Auge reichte nur die überwiegend flache Steppe. Vereinzelt sah man die dunklen Tupfen kleinerer Baumgruppen, oder das helle Blinken eines Flusses, aber ansonsten störte nichts die vielfältigen Grün- und Brauntöne, die sich scheinbar wahllos abwechselten, bis zum Horizont.

Der Junge runzelte die Stirn. Ein flüchtiges Glitzern, das eindeutig nicht von Wasser stammte, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. In südlicher Richtung hatte es aufgeleuchtet, und er kniff seine Augen gegen die Helligkeit der Sonne zusammen, weil er sehen wollte, was es war.

Erneut blinkte es hell auf und gleich darauf noch einmal, diesmal ein wenig seitlich von der Stelle, wo er es zuerst wahrgenommen hatte. Bei Ifrith - was war das?

Zuerst erkannte er nichts, doch dann, gleichsam als würde sich seine Sicht plötzlich scharfstellen, sah er dunkle Punkte, die sich bewegten. Viele davon, sehr viele sogar.

Er wischte sich über die Augen, strengte sie noch mehr an, und schließlich erkannte er, was es war: Reiter, ein großer Trupp, der sich schnell in seine Richtung bewegte, und das immer wieder aufscheinende Glitzern war nichts weiter als Spieglungen des Sonnenlichts auf blankem Metall – Schilde, Speerspitzen, Helme – Waffen!

Er war zwar erst zwölf Jahre alt, aber der Sohn eines Burgherrn, und er wusste sofort, was das bedeutete. Diese Reiter kamen nicht in friedlicher Absicht!

Und er hatte sie als Erster gesehen!

Ruckartig riss er sein Pony herum und gab ihm die Sporen, dass es einen protestierenden Laut ausstieß und die Ohren anlegte. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er musste so schnell wie möglich zurück und seine Leute warnen!

Die Strecke schien ihm endlos. Hatte er sich wirklich so weit von der Festung entfernt? Er war doch kaum eine halbe Stunde weit geritten!

Unendlich langsam wuchsen die trutzigen Palisaden vor ihm in die Höhe, als er, im Schneckentempo, wie ihm schien, näher heran kam.

Draußen vor den Toren waren die Bauern der umliegenden Höfe bei der Arbeit, und im Vorbeireiten schrie er ihnen seine Warnung zu.

Verdutzt sahen sie auf, blickten sich um und waren unschlüssig. Sie sahen keine Gefahr, die war noch viel zu weit weg, aber er zügelte sein Tier, gestikulierte und schrie so lange, bis sie verstanden, ihre Gerätschaften liegenließen und sich stattdessen daranmachten, sich und ihre Familien in der Festung in Sicherheit zu bringen.

Als der Junge das sah, stieß er seinem Pony erneut in die Weichen und preschte weiter. Laut rufend zog er die Aufmerksamkeit der Wächter am Eingang auf sich und einer von ihnen, Lars, wie er erkannte, löste sich aus dem kühlen Schatten des Tores und kam ins Freie.

„Was schreit Ihr so, junger Herr? Habt Ihr einen Wichtel gefangen?“ grinste er, doch im selben Augenblick wurde über ihren Köpfen ein Ruf laut.

„Reiter! Ein großer Trupp! Bewaffnet! Von Süden!“ Eine Glocke wurde angeschlagen, und gleich darauf strömten die Soldaten der Festung aus ihrer Unterkunft.

Lars schaute hoch, sah die Karawane der Bauern herankommen, die nun, als die Alarmglocke ertönte, ins Laufen verfielen und bedeutete ihm, ins Innere der Festung zu verschwinden.

„Geht zu Eurer Mutter, junger Herr! Das hier ist nichts für Kinder, und sie wird euch um sich wissen wollen, wenn die Leute erst alle hier sind!“ sagte der Wächter, und der Junge beeilte sich, zu tun, wie ihm geheißen.

Als er im Hof von seinem Pony sprang und das Tier rasch zum Stall führte, wo ein Knecht es ihm abnahm, traten eben der Burgherr und seine Gemahlin durch das Läuten der Glocke alarmiert aus dem Haupthaus.

Sigurd, sein Vater war ein großer, breitschultriger Mann, wenn auch nicht mehr der Jüngste. Sein schulterlanges, blondes Haar war von eisgrauen Strähnen durchzogen und im Nacken zu einem Zopf gebunden. Seine Erscheinung strotzte vor Kraft und Entschlossenheit, und auch in seinem Gesicht fand sich diese wieder. Eine hohe Stirn, kräftige Wangen- und Kieferknochen, sowie ein Kinn, an dem man hätte Stahl schmieden können, verrieten viel über die innere und äußere Stärke dieses Mannes.

Wer ihn gut kannte, bescheinigte Sigurd Olgursson allerdings auch einen Hang zur Sturheit, und vielleicht wirkte seine Gemahlin da als willkommener und nötiger Ausgleich.

Lynda Olgursson war ebenfalls blond, jedoch sehr viel zierlicher und feingliedriger als ihr Gatte. Ihre Züge wirkten fein gemeißelt, und selbst ohne jeden Schmuck hätte sie wohl so manche Edeldame oder gar eine Prinzessin im vollen Hofstaat mühelos neben sich erblassen lassen können. Sie stand neben ihrem Gatten und stemmte die eine Hand dabei in den Rücken, denn sie trug schwer an ihrem zweiten Kind, das in Kürze zur Welt kommen sollte.

Auf den Gesichtern des Paares malte sich bei beiden die gleiche Sorge, und Sigurd beeilte sich, die Treppe hinunter und zum Ausguck hinüber zu kommen, um sich selbst ein Bild der Lage zu machen.

Der Junge sah ihm kurz nach und wünschte sich sehnsüchtig, ihn begleiten zu dürfen. Er war immerhin kein kleines Kind mehr und hatte sogar ein eigenes Schwert!

Doch ein Ruf seiner Mutter holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück, und er beeilte sich, zu ihr hinauf zu kommen.

Die Bauern strömten durchs Tor, und kaum war der Letzte drinnen, wurde es geschlossen und verrammelt.

Sechs Soldaten waren nötig, um die schweren Flügel zu bewegen, und dieser Anblick ließ Zuversicht in das Herz aller Beobachter strömen.

Zwar war die Festung aus Holz gebaut, immerhin war Stein ein seltener und nahezu unerschwinglicher Baustoff, hier oben im Norden, aber die äußeren Palisaden befanden sich in hervorragendem Zustand, stark und massiv, und würden sich nicht so einfach einreiten lassen.

Oben auf der Treppe angelangt ergriff der Junge die ausgestreckte Hand seiner Mutter, die ihn ins Innere des Hauses scheuchte, während sie gleichzeitig bereits ihre Magd herbeirief.

Inka war ein grobknochiges, energisches Mädchen und eilte aus dem Winkel herbei, von dem aus sie über ihre schwangere Herrin gewacht hatte. Lynda hatte sie vor zwei Jahren aus den Händen ihres gewalttätigen Vaters befreit und das Mädchen dankte es ihr mit absoluter Ergebenheit.

Nun erteilte ihre Herrin ihr mit sicherer Stimme ein paar Aufträge und nach einem kleinen Knicks eilte die Magd hastig davon.

Sich umwendend rief Lynda als Nächstes weitere Bedienstete herbei. Sie war selbst auf einer Festung geboren und aufgewachsen und wusste, was in einer Situation wie dieser von ihr erwartet wurde, zählte nicht zu den verzärtelten Gänsen, die im Angesicht einer drohenden Gefahr kreischend in Panik verfielen. Ungeachtet ihres Zustandes und was sie womöglich selbst in diesem Augenblick fühlte, erteilte sie mit ruhiger Autorität Befehle. Leinwand musste herbeigeholt, in Streifen geschnitten und aufgewickelt werden, um schnell Verbände anlegen zu können. Aus den Vorratskammern wurden Salben und Tinkturen benötigt, Wasser musste heiß gemacht werden, jemand musste sich um die Bauern kümmern. Deren Kinder brauchten Aufsicht und die Frauen würden benötigt, um für eventuelle Hilfsdienste herangezogen werden zu können, etwa um eventuell durch Brandpfeile entstandene Feuer zu ersticken, Verwundete zu versorgen und Ähnliches.

Es dauerte nicht lange und alle Bediensteten rannten in unterschiedliche Richtungen davon, bestrebt das Aufgetragene so schnell wie möglich zu erledigen.

Nur Lyndas Sohn stand noch immer im Hintergrund der Eingangshalle und wartete, was nun geschehen würde. Seine Mutter wandte sich zu ihm um und lächelte ihn an.

„Lauryn, was hältst du davon, wenn du gehst und Amalia mit den Kindern hilfst?“ fragte sie und er verdrehte die Augen.

„Oh, Mutter!“ maulte er, „Ich bin doch kein Wickelkind mehr! Warum darf ich nicht zu Vater gehen und mit ihm zusammen kämpfen wenn der Feind kommt?“

„Weil du den Männern nur im Wege wärst und weil ich nicht möchte, dass du Andere auf diese Weise in Gefahr bringst“, entgegnete Lynda fest, aber nicht unfreundlich. Der Junge blinzelte ob dieser Zurechtweisung, schob dann die Unterlippe vor und sah zu Boden. Er wusste selber, dass er etwas kleiner und schmaler war, als andere Jungen seines Alters, wohl das Erbe seiner Mutter. Aber er versuchte stets, diesen Mangel mit Ausdauer und Entschlossenheit auszugleichen.

Mit einem leisen Seufzer kam Lynda zu ihm herüber.

„Mein Junge, ich zweifle nicht an deiner Tapferkeit, oder daran, dass eines Tages ein großer Krieger aus dir werden wird, aber noch ist es nicht soweit. So die Götter wollen, wirst du noch viele Schlachten erleben und bestreiten, aber das liegt heute noch in der Zukunft, mein Sohn. Heute ist dein Platz an anderer Stelle. Also geh und mach deinen Eltern keine Schande, indem du einen Auftrag gering achtest, der es nicht ist. Es sind eine Menge Kinder dort draußen im Hof und sie alle haben Angst, genau wie Amalia! Deine Aufgabe ist es, auf sie acht zu geben, ihnen Mut zu machen und ein Beispiel zu sein! Glaubst du, dass du das können wirst?“

Bei ihrer kurzen Ansprache hatte der Junge den Kopf wieder gehoben und seiner Mutter ins Gesicht geschaut, ob sie sich womöglich über ihn lustig machte. Aber ihre Miene spiegelte nur den Ernst, der auch aus ihrem Tonfall sprach. Halbwegs versöhnt nickte er, brummte eine Zustimmung und wollte schon zur Tür hinaus, als Lyndas Ruf ihn noch einmal zurückhielt.

Er drehte sich um und sie hob die Brauen. „Du gehst doch wohl nicht ohne deine Waffe dort hinaus?“

Erschrocken Luft holend errötete er und machte kehrt, rannte zurück in sein Gemach und kam nur einen Moment später zurück in die Halle, das kurze Schwert in der Hand.

Er fand seine Mutter leicht vornübergebeugt, eine Hand auf ihrem geschwollenen Leib und mit der anderen an der Wand nach Halt suchend.

„Mutter? Ist euch nicht wohl?“ fragte er und trat zögernd näher. Lynda atmete tief ein und richtete sich auf.

„Nein, mein lieber Junge. Es ist alles so wie es sein soll. Nun geh!“

Er nickte und entfernte sich, blieb aber an der Tür noch einmal stehen und sah zurück. Seine Mutter stand wieder aufrecht und lächelte ihm zu, sodass er nun eilig die Treppe hinunterlief.

Caleb

 

 

 

 

Über dem Hafenviertel ging die Sonne unter, tauchte die schäbigen Bordelle, Kneipen und Spielhöllen ebenso in ihr rotes, flammendes Licht, wie die besseren Gebäude, die Lagerhäuser, Handelskontore und Läden, welche sich munter darunter verteilten. Überall hörte man das heisere Schreien der Möwen und eine warme Brise brachte den Geruch nach Brackwasser, verrottendem Seetang und Fisch mit sich.

Caleb saß im geöffneten Fenster seines Zimmers, im obersten Stock des Bordells, in welchem er lebte und arbeitete, genoss das Streicheln des lauen Windes auf seiner nackten, sanft gebräunten Haut und sah über die Dächer vor sich aufs Meer hinaus. Er liebte diesen Ausblick und ganz besonders an Abenden wie diesem, wenn die Sonne alles in einen warmen Schimmer tauchte und zumindest für diese kurzen Minuten vergessen ließ, wie heruntergekommen seine Umgebung in Wirklichkeit war.

Nicht dass es ihm schlecht gegangen wäre, im Gegenteil. Er war die Nummer Eins unter den Prostituierten, welche sich hier in Zyrions Bordell feilboten, konnte sich die Kunden aussuchen und bekam gutes Geld dafür, auch wenn ein Teil davon immer noch in den Taschen des Wirts verschwand. Allerdings waren die übrigen Geschenke, die regelmäßig eintrafen, auch nicht zu verachten und sein Zimmer ebenso wie seine Garderobe und sein Schmuckkästchen legten beredtes Zeugnis darüber ab.

Er war jetzt seit fast zehn Jahren hier, seit seinem zwölften Lebensjahr und damals hatte er seine Laufbahn genauso erbärmlich und unfreiwillig begonnen, wie die übrigen Huren hier im Haus, egal ob männlich oder weiblich, nämlich ganz unten.

Im untersten Stockwerk des Hauses waren die billigsten von ihnen untergebracht, die die entweder zu alt und verbraucht oder zu neu waren, zu unerfahren, zu unansehnlich oder aus irgendeinem anderen Grund ungeeignet für anspruchsvollere Kunden als betrunkene Seeleute und Handwerker.

Darüber gab es einen Salon, in dem sich die besser betuchten Gäste nach amüsanter Gesellschaft für eine Stunde, eine Nacht oder – je nach Geldbeutel - auch mehr umschauen konnten und natürlich die entsprechenden Zimmer dafür. Die Mädchen und Jungen hier waren allesamt nett anzusehen, gesund und sauber.

Wer aber noch mehr Geld zur Verfügung hatte und es auch ausgeben wollte, der durfte ins Allerheiligste, in die dritte Etage hinaufsteigen. Hier waren die Räume schon beinah luxuriös ausgestattet, mit seidenen Tapeten und dicken Teppichen, es gab weich gepolsterte Sofas und Himmelbetten mit Brokatvorhängen. Und vor allem gab es hier Caleb und seinesgleichen.

Er und die wenigen anderen Prostituierten, die hier oben lebten und arbeiteten, Männer wie Frauen, waren nicht im Entferntesten mit denen im untersten Stockwerk zu vergleichen.

Nicht nur rein äußerlich, obwohl man mit Fug und Recht behaupten konnte, er und die übrigen Liebesdiener dort oben seien von ausgesuchter, exquisiter Schönheit. Aber darüber hinaus einte sie alle eine besondere, in Jahren erworbene Kunstfertigkeit in Sachen körperlicher Liebe, die ihresgleichen suchte.

Jeder und jede von ihnen hatte es auf die eine oder andere Weise darin zur Meisterschaft gebracht und erfreute sich der Gunst mehrerer besonderer Stammkunden.

Für gewöhnlich außerordentlich reicher Stammkunden …

Die Prostituierten hier oben hatten die meisten Rechte von allen im Haus, aber bis auf Caleb gehörten sie noch immer Zyrion, dem Bordellwirt. Einzig Caleb hatte es vermocht, durch eisernen Willen und Sparsamkeit die gesamte horrende Summe zusammen zu bringen, die nötig war, um fortan als freier Mann und sein eigener Herr zu gelten.

Er war frei, aber er hatte es trotzdem vorgezogen, hier in der relativen Sicherheit des Bordells zu bleiben. Er kannte nichts Anderes und außerdem war ihm nur zu bewusst, dass es ihn sehr viel Geld kosten würde, ein - zumindest ähnlich komfortables - Leben draußen in der Welt zu führen, vor allem in Hinblick auf die Dinge, an die er sich mittlerweile gewöhnt hatte und die er ungern missen würde. Wie zum Beispiel die regelmäßigen, erlesenen Mahlzeiten, seine geliebten heißen Wannenbäder im hauseigenen luxuriösen Badezimmer, aber auch die Tatsache, dass er sich weder um seine Wäsche, noch um das Reinigen und Aufräumen seines Zimmers kümmern musste.

Er hatte also mit Zyrion einen Handel abgeschlossen, wonach dieser ein Drittel eines jeden Liebeslohnes einstecken durfte und ihn dafür unter seinem Dach behielt.

Mittlerweile stand er auf fast schon freundschaftlichem Fuße mit Zyrion und wenn dieser außer Haus zu tun hatte, wandten sich alle an Caleb, sobald Anweisungen vonnöten, oder geschäftliche Entscheidungen zu treffen waren.

Zyrion war zufrieden damit, wenn Caleb ihn vertrat, wusste er doch, dass er sich auf ihn verlassen konnte und bislang hatte er auch noch keine Entscheidung Calebs widerrufen oder auch nur kritisiert.

Auch heute war Zyrion seit den frühen Mittagsstunden fort. Auf dem Marktplatz fand eine große Sklavenauktion statt und der Bordellwirt hoffte auf eine oder mehrere Neuerwerbungen, denn sein Geschäft blühte und er dachte daran, bald ein zweites Haus zu eröffnen.

Offenbar war das Geschäft aber nicht so gelaufen wie erwartet, dachte Caleb, denn sonst wäre Zyrion längst wieder zurück. Die Auktion war seit Stunden beendet und dass sein Freund noch nicht wieder aufgetaucht war, konnte eigentlich nur bedeuten, dass er in einer der Spelunken am Marktplatz hockte und seine Enttäuschung zu ersäufen versuchte.

Der Mann am Fenster seufzte. Ein betrunkener Zyrion bedeutete schlechte Laune, womöglich Gebrüll und ein hartes Stück Arbeit, bis der vierschrötige Mann in seinem Bett lag und seinen Rausch ausschlief. Den Göttern sei Dank geschah es nicht oft.

Just in diesem Moment wurde es tief unter ihm laut. Eine bekannte, wütende Stimme erscholl, Hufe trappelten auf dem Pflaster vor dem Haus und etwas klirrte leise.

Caleb senkte den Blick, suchte die Straße mit Blicken ab und entdeckte den kleinen zweirädrigen Karren, mit dem Zyrion am frühen Mittag aufgebrochen war. Ein Knecht hielt das Pferd mittlerweile am Zügel und klopfte ihm beruhigend den Hals, während der Bordellwirt schimpfend und murrend eine schmale Gestalt von der Ladefläche zerrte.

Ein Mädchen?

Nein, ein junger Mann, wie Caleb im nächsten Moment erkannte. Ziemlich jung sogar und – blond!

Er beugte sich weiter hinaus. Helles Haar! Das galt hier im Süden als absolute Rarität und war unter den Freiern heiß begehrt! Leise pfiff er durch die Zähne, während er überlegte. Wenn es Zyrion gelungen war, eine solche Kostbarkeit zu erstehen, wieso war er dann so offensichtlich übel gelaunt? Betrunken schien er jedenfalls nicht zu sein.

In Caleb erwachte die Neugier. Er löste sich von seinem Aussichtspunkt und griff nach dem leichten, seidenen Überwurf, der auf seinem Bett lag, streifte ihn an und ging zur Tür. Er wusste, wo die Neulinge untergebracht wurden und beschloss, sich dieses seltene Juwel einmal aus der Nähe anzusehen.

Über die Hintertreppe stieg er nach unten, durchquerte den geheimen Gang hinter den Zimmern im zweiten Stockwerk, nahm eine weitere schmale Stiege abwärts und gelangte schließlich unbehelligt in den Keller. Hier unten lagen die Vorratsräume, ein paar Dienstbotenquartiere und zwei … ja, man konnte fast sagen – Verliese. Es handelte sich dabei um nichts Geringeres als zwei Zellen, ähnlich wie in einem Gefängnis, beide ohne Fenster und mit schweren Riegeln an den dicken Türen, Boden und Wände aus nacktem Stein, ohne jeden Verputz und nur mit einem schmalen Bett und einem Eimer für die menschlichen Bedürfnisse ausgestattet.

Neuzugänge wurden für gewöhnlich zunächst hier untergebracht, bis Zyrion entschieden hatte, wo und als was sie eingesetzt werden sollten.

Auch Caleb hatte die ersten Tage in einem der beiden Räume zugebracht. Allein und im Finsteren. Er erinnerte sich noch gut daran, wie viel Angst er gehabt hatte. Heute verstand er, warum Zyrion das tat. Es war Teil seiner ganz persönlichen Strategie, um seine Sklaven abzurichten und jeden Widerstand von vornherein im Keim zu ersticken.

Erst sperrte er sie für eine Weile hier ein, ohne Licht, ohne frische Luft und ohne Kontakt zu irgendjemandem außer ihm selbst. Sie hatten nichts, was sie von ihrer trostlosen Lage ablenkte oder tröstete und zu essen bekamen sie lediglich faden Brei, trockenes Brot und abgestandenes Wasser.

Nach einigen Tagen holte Zyrion sie dann heraus und zeigte ihnen das Haus. Erklärte ihnen, welche Möglichkeiten sie hatten. Entweder sie waren bereit, sich zu prostituieren und hart zu arbeiten, dann bekamen sie im Gegenzug ein Zimmer mit einem weichen Bett, drei nahrhafte Mahlzeiten am Tag und einige andere Annehmlichkeiten, nebst der Aussicht, bei entsprechender Anstrengung, im Rang – und natürlich im Haus - aufzusteigen, oder sie weigerten sich, dann ging es zurück in die Zelle, wo sie für weitere trostlose Tage dahinvegetierten. Dieses Spielchen wiederholte er, bis die Zelleninsassen klein beigaben.

Soweit Caleb wusste, hatte es bisher nur eine einzige Sklavin gegeben, die sich hartnäckig geweigert hatte und am Ende gestorben war. Sie hatte sich zu Tode gehungert, um einem Dasein als Hure zu entgehen.

Die Anderen, egal ob Mann oder Frau, waren früher oder später nur zu bereit gewesen, alles zu tun was man von ihnen verlangte, um endlich aus der stinkenden Zelle heraus zu kommen.

Caleb selbst war schon nach den ersten paar Tagen mürbe gewesen und erinnerte sich bis heute an das wunderbare Gefühl, nach dem Aufenthalt in dem widerlichen, feuchten Gewölbe in ein heißes Bad zu gleiten und sich den ganzen tiefsitzenden Schmutz aus den Poren zu schrubben. Ganz zu schweigen von der Erleichterung beim Wiederaufstieg in frische Luft und Helligkeit!

Das was er dafür tun musste, war ihm anfangs zwar als widerlich erschienen, aber er hatte sich daran gewöhnt und das schneller als erwartet.

Zyrion mochte sein wie er wollte – wer sich an die Spielregeln hielt, hatte im Allgemeinen ein gutes Auskommen bei ihm. Auf die unglücklichen Gestalten im untersten Stockwerk mochte das vielleicht nicht im gleichen Maße zutreffen wie auf diejenigen, die in den oberen Etagen arbeiteten, aber Caleb war weit entfernt davon, sich darüber Gedanken zu machen. In diesem Geschäft lernte man schnell, sich selbst der Nächste zu sein und so hielt auch er es seit Jahren.

Eine der beiden Zellentüren stand nun offen und Caleb hörte schon von weitem die zornige Stimme des Bordellwirts, beschleunigte unwillkürlich seine Schritte und konnte gleich darauf einen ersten Blick auf den Neuzugang werfen.

Zuerst sah er freilich nur den massigen Rücken Zyrions, der sich breitbeinig in der Zelle aufgebaut hatte und mit in die Hüften gestemmten Fäusten auf eine Person einschimpfte, die offenbar vor ihm am Boden lag.

„... Je eher du dir das merkst, umso besser für dich! Du gehörst mir! Ich habe dich gekauft und du tust gut daran, mir zu gehorchen! Es interessiert mich einen Scheißdreck, was du willst oder nicht, du dreckiger Sklave! Hast du das verstanden?“

Es kam keine Antwort und Zyrion drehte sich brummend und fluchend um, verließ die Zelle und schlug die Tür zu. In diesem kurzen Moment gelang es Caleb, an ihm vorbei zu blicken und unwillkürlich hielt er die Luft an.

Der Mann in der Zelle war wirklich jung, beinah noch ein halbes Kind! Das allein wäre noch nichts Ungewöhnliches gewesen, die Neuzugänge welche Zyrion gelegentlich vom Sklavenmarkt holte waren immer jung, aber dieser hier war … anders, ohne dass er hätte beschreiben können, wieso.

Sein schulterlanges, blondes Haar war schmutzig und verfilzt, leuchtete aber im Schein der einzelnen Laterne, welche Zyrion in der Hand hielt, trotzdem wie ein Weizenfeld im Sonnenlicht. Die Augen die seinem neuen Herrn mit einem Ausdruck tiefsten Hasses folgten, waren von einem leuchtenden, intensiven Blau, der Körperbau schlank und sehnig. Im Vergleich zu dem vierschrötigen Bordellwirt wirkte er regelrecht zerbrechlich, obwohl seine Muskeln an Armen und Beinen gut definiert waren und er nicht unterernährt aussah.

Er trug lediglich einen zerlumpten Überwurf und einen Lendenschurz, beides allerdings aus gutem Tuch, wie es sonst nur freie und wohlhabende Bürger besaßen, und unwillkürlich fragte sich Caleb, welche Geschichte sich wohl hinter diesem Anblick verbarg.

Er trat neben Zyrion, der sich ihm nun zuwandte, spähte über dessen Schulter und durch das kleine, vergitterte Fenster in der dicken Zellentür.

„Was hast du denn da mitgebracht?“, fragte Caleb und erntete ein unwirsches Knurren von dem breitschultrigen Mann vor sich.

„Was ich da mitgebracht habe? Einen Haufen Ärger! Sonst wohl nichts!“, spuckte er aus und fachte Calebs Neugier damit an.

„Ärger? Wieso das? Gibt`s den neuerdings auch schon zu kaufen?“ Er grinste breit, weil er wusste, dass er sich solchen Spott erlauben konnte. Zyrion würde ganz gewiss nicht sein bestes Pferdchen im Stall antasten.

Allerdings verfinsterte sich seine Miene noch etwas mehr und das war zumindest kein netter Anblick.

Der Bordellwirt war ohnehin schon nicht unbedingt eine Schönheit zu nennen, sein Gesicht wirkte eher, als hätte es ein mittelmäßig begabter Steinmetz grob und viel zu hastig aus einem minderwertigen Block herausgemeißelt. Gekrönt von einem struppigen Haarschopf undefinierbarer Färbung und mit einem mindestens ebenso grobschlächtigen Körperbau gesegnet, war er kein Mann, nach dem sich die Frauen auf der Straße umsahen. Höchstens mit einer Geste des Unglaubens oder des Abscheus …

Hätte er einen gewöhnlichen Beruf ergriffen, er wäre unter Garantie noch Jungfrau oder wenigstens bettelarm, weil er mit einiger Sicherheit jegliche amüsante Gesellschaft teuer hätte bezahlen müssen. Da seine Mutter jedoch selbst eine Prostituierte gewesen und er im Rotlichtbezirk aufgewachsen war, hatte er das horizontale Gewerbe von klein auf quasi studiert und war durch kluges Taktieren und umsichtiges Investieren bereits in jungen Jahren zu seinem eigenen Bordell gekommen, welches unter Freiern jeglicher Couleur einen gewissen Ruf genoss und ihm außerdem die Möglichkeit eröffnete, unentgeltlich und so oft er Lust verspürte, auch seinen eigenen Trieb zu befriedigen.

Zu ihm strömten Abend für Abend Männer aller Altersklassen und Schichten, denn sein Haus war im Vergleich zu anderen Hurenhäusern sauber und die Prostituierten gesund und gut ernährt, was beileibe nicht selbstverständlich war. Das kostete ihn zwar jeden Monat eine hübsche Stange Geld, die jedoch doppelt und dreifach wieder hereinkam.

Erst jetzt hatte Caleb die Gelegenheit Zyrion richtig anzusehen und er schlug überrascht die Hand vor den Mund.

„Was ist denn mit dir passiert? Wie siehst du aus?“, entfuhr es ihm und ein weiteres Mal knurrte der Wirt unwillig, bevor er antwortete. „Der da drin ist mir passiert, wenn du es genau wissen willst!“

Calebs Augen wurden groß. „Der Junge da? Der ist doch nur eine halbe Portion! Was hat er mit dir gemacht?“

Ungläubig musterte er die aufgeschürfte Wange, das zugeschwollene Auge und die blutunterlaufenen Zahnabdrücke auf dem Unterarm seines Gegenübers.

Zyrion machte eine unwirsche, wegwerfende Geste mit der freien Hand.

„Was er gemacht hat? Pah! Geschlagen und gebissen hat er mich, als ich nicht damit gerechnet habe! Hat mich eiskalt erwischt, das kleine Luder! Dabei hätte ich es ahnen müssen! Er war doch eigentlich viel zu billig! Aber ich habe mich reinlegen lassen, nur seine hellen Haare und die blauen Augen gesehen und wusste – den muss ich haben! Die Freier werden mir die Bude einrennen, hab` ich gedacht! Hrch, jaa!“ Er fuhr sich mit den Fingern durch die rauen Borsten auf seinem Kopf, dass sie erst recht in alle Richtungen standen.

„Der Kerl der ihn verkaufte hat natürlich gleich gemerkt, dass ich ihn unbedingt haben wollte und ich Dummkopf habe mich von ihm einwickeln lassen! Bin nicht mal misstrauisch geworden, dass er kurz vor Ende der Auktion noch keinen Käufer gefunden hatte, oder als er mit dem Preis noch weiter runterging, nachdem ich zu handeln anfing! Dabei hätte ich sogar den vollen Preis gezahlt! Weil ich ihn unbedingt haben wollte! Hielt es für eine glückliche Fügung, dass mir noch kein anderer Käufer zuvor gekommen war! Kaum war die Sache dann besiegelt, verschwand der Kerl, als wäre ein Dämon hinter ihm her und da ging mir erst auf, dass irgendwas nicht in Ordnung sein musste mit ihm.“ Zyrion wies mit dem Daumen hinter sich, auf die Zellentür und schnaubte. „Aber da war es zu spät. Mein erster Gedanke war dann, dass vielleicht mit dem Jungen selbst irgendwas nicht stimmt, was Körperliches, verstehst du? Also habe ich ihn mir vorgeknöpft und gründlich untersucht. Aber da hat er angefangen zu toben, hat sich gewehrt wie eine Wildkatze und mir dabei das hier verpasst!“ Er deutete auf sein Gesicht. „Und als ich ihn mit dem Halsband zur Räson bringen wollte, hat er mich gebissen! Ich hätte nie gedacht, dass in dem schmalen Kerl so eine verdammte Kraft steckt! Man könnte meinen, er hat einen Teufel im Leib!“

Caleb hatte sich den Bericht angehört, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Er rief sich das Aussehen des Jungen in der Zelle ins Gedächtnis zurück und konnte kaum glauben was er hörte – und sah!

„Und du glaubst wirklich, dass er jemals freiwillig für irgendwelche Freier die Beine breit machen wird, wenn er schon so reagiert, nur weil du ihn ein bisschen abgreifen wolltest?“, fragte er skeptisch.

„Darauf kannst du aber einen lassen, dass er das tun wird! Ob freiwillig oder nicht ist mir egal!“, brauste Zyrion auf. „Er gehört mir und wird tun, was ich ihm befehle! Egal wie lange es dauert – er wird es tun! Dafür sorge ich schon! Er wäre nicht der erste Widerspenstige, den ich zähme!“

Damit ließ er Caleb stehen und stapfte in Richtung Kellerstiege davon.

„Na, wenn du dich da mal nicht irrst“, murmelte der Zurückgelassene, betrachtete noch einen Moment die Zellentür und zuckte dann die Achseln. Was ging es ihn an?

Er raffte den dünnen Mantel enger um seinen schlanken Körper und machte sich auf den Rückweg in sein Zimmer. Sicher hatte man ihm in der Zwischenzeit das Abendessen gebracht und anschließend stand noch der Besuch eines einflussreichen Kunden an, für den er sich vorbereiten musste.

Der Kunde zahlte gut, war freigebig mit Geschenken, aber anspruchsvoll, also galt es besondere Sorgfalt walten zu lassen. Bis er die Treppen wieder hinaufgestiegen war, hatte er den blonden Jungen in seiner Zelle schon wieder vergessen.

 

Lauryn

 

 

 

 

Hinter der dicken Tür regte sich der Junge. Noch immer fühlte sich alles seltsam unwirklich an, was in den letzten Tagen passiert war. Vor weniger als einem Monat hatte er am Sterbebett seines vorigen Herrn gekniet und aus dessen Händen die Freilassungsurkunde empfangen - und heute? Heute war er wieder ein Sklave, unter schlimmeren Umständen als je zuvor!

Lange hatte seine Freiheit nicht gewährt. Kaum war sein Herr verstorben, hatte dessen Sohn ihm die Urkunde entrissen, sie vor seinen Augen zerrissen und die Schnipsel verbrannt. Nun hatte er nichts mehr in der Hand gehabt, keinerlei Beweis, dass er ein freier Mann war und musste sich erneut unter das Sklavenjoch beugen.

Keine zwei Tage später hatte man ihn an einen Händler verkauft, zusammen mit allen übrigen Leibeigenen des Verstorbenen, weil dessen Erbe Geld brauchte, möglichst schnell und möglichst viel, um seine Schulden zu bezahlen, denn leider hatte sein Vater was seinen Sprössling anging, bei dessen Erziehung kein glückliches Händchen gehabt und nie sehen wollen, was alle Welt wusste: Dass dieser ein nichtsnutziger Tagedieb, ein Trinker und ein Spieler war.

Die anderen Sklaven fanden rasch neue Herren und auch für Lauryn interessierten sich zunächst einige Kunden, doch er verstand es, sie alle zu vergraulen, indem er sich bockbeinig und trotzig gab.

Der Händler versuchte zwar, ihm dieses Verhalten mit Stockhieben auf die Fußsohlen auszutreiben, durfte das jedoch nicht übertreiben. Wenn er die Ware beschädigte, würde er nur noch mehr Verlust einfahren und zu einem solchen drohte Lauryn sich für ihn ohnehin zu entwickeln, hatte er doch wegen der hellen Haare und Augen für ihn am meisten gezahlt und fand nun keinen Käufer.

Am Ende hatte er den Jungen auf einen Karren gebunden und drei Tagereisen weit in die nächste Stadt gebracht. Und hier war er ihn tatsächlich endlich losgeworden – an einen Hurenwirt.

Erschöpft von der Fahrt, von Stockschlägen, Hunger und Durst geschwächt, hatte Lauryn alles über sich ergehen lassen, begriff kaum, dass er einen neuen Herrn bekam und erst als der hässliche Kerl, der ihn gekauft hatte, anfing ihn zu begrabschen, war er aus seiner Erstarrung erwacht.

Da hatte er nicht anders gekonnt, als sich aus Leibeskräften zu wehren!

Nie wieder würde ein anderer Mann ihn auf diese widerliche Weise anrühren!

Niemals wieder und wenn es ihn das Leben kosten sollte!

Er hatte um sich geschlagen und getreten, so weit wie es seine Fesseln zuließen, aber natürlich war sein Herr stärker gewesen und auch das Halsband trug seinen Teil dazu bei, dass Lauryn sich geschlagen geben musste und am Ende nach Atem ringend im stinkenden Straßendreck lag.

Wie ein Mehlsack wurde er anschließend auf die Ladefläche eines schmutzigen Karrens geworfen und seine Handschellen an einer metallenen Öse in der Karrenwand befestigt.

Erst danach lockerte sein neuer Herr das Halsband wieder und ließ ihn nach Luft schnappen, die Lauryn gierig einsog.

Als Nächstes kassierte er einen Faustschlag in den Magen, der ihn sich erneut keuchend zusammenkrümmen ließ.

„Wenn du das nochmal versuchst, schneide ich dir die Eier ab!“ drohte der massige Mann, der ihn gekauft hatte und fügte hinzu: „Und glaub` nicht, dass wäre nur eine leere Drohung! Du brauchst weder deinen Schwanz, noch deine Eier, um dich ficken zu lassen, also – benimm` dich besser, es sei denn, du möchtest unbedingt Eunuch werden!“

Und dann war er, auf dem harten Bretterboden des Karrens liegend, durchgerüttelt worden, bis sie vor einem mehrstöckigen Gebäude im Hafenviertel angelangt waren. Aber er kam nicht dazu, sich lange umzusehen, denn kaum hielt das Gefährt an, sprang sein neuer Herr vom Kutschbock und stieg zu ihm auf die Ladefläche, löste die Ketten von der Karrenwand und zerrte ihn grob hinter sich her.

Erst jetzt wurde Lauryn so richtig bewusst, was für ein Leben ihn hier erwarten würde. Der Unterhaltung zwischen dem Händler und seinem neuen Herrn hatte er nicht wirklich zugehört, in seinem erschöpften und benommenen Zustand, aber schon die Art und Weise, wie er taxiert worden war, hätte ihn hellhörig werden lassen müssen.

Und bei dem Anwurf, er benötige weder Schwanz noch Eier um sich ficken zu lassen, war doch eigentlich alles klar gewesen. Sein neuer Herr sah nicht gerade aus wie einer der reichen Gecken, die sich einen persönlichen Lustsklaven zulegten und die Behandlung, die dieser Kerl ihm angedeihen ließ, sprach ebenfalls dagegen.

Trotzdem begriff er erst jetzt mit schockierender Klarheit, dass das Haus, in welches er nun hineingezogen wurde, nichts anderes war, als ein Bordell. Ein ziemlich großes sogar, mit mehreren Stockwerken.

Hätte er daran immer noch Zweifel gehegt, wären sie spätestens beseitigt gewesen, als sein Blick auf die zwei Laternen über dem breiten Eingang fiel. Er lebte inzwischen lange genug in diesem Land, um mit den Gepflogenheiten vertraut zu sein und wusste, dass diese zwei Laternen, eine rot, die andere grün, dazu dienten, das Haus auf den ersten Blick als Hurenhaus kenntlich zu machen. Die Farbe der Lampen stand für die Art der Dienstleistungen, die hier angeboten wurden, nämlich rot für weibliche und grün für männliche Prostituierte.

Lauryn hatte Mühe, auf den Füßen zu bleiben bei der groben Behandlung, wurde ins Gebäude und eine Treppe hinunter regelrecht geschleift und fand sich schließlich in einer kahlen Zelle wieder.

Ein Tritt traf ihn in die Rippen und er kauerte sich keuchend auf den schmutzigen, nackten Steinboden, rang nach Luft und presste die gefesselten Hände auf seine schmerzende Seite.

Als die roten Ringe vor seinen Augen allmählich verschwanden, drehte er den Kopf und sah finster zu dem grobschlächtigen Mann auf, der sich mit in die Seiten gestemmten Fäusten über ihm aufgebaut hatte.

„Das war nur eine kleine Warnung, mein Junge! Ich bin Zyrion, dein neuer Herr und für dich ist mein Wort ab sofort Gesetz! Je eher du dir das merkst, umso besser für dich! Du gehörst mir! Ich habe dich gekauft und du tust gut daran, mir zu gehorchen! Es interessiert mich einen Scheißdreck, was du willst oder nicht, du dreckiger Sklave! Hast du das verstanden?“

Eine Bewegung in der offenstehenden Tür hinter Zyrion erregte Lauryns Aufmerksamkeit und er blickte an seinem neuen Herrn vorbei.

Dort draußen stand ein junger Mann, wie er bisher noch keinen gesehen hatte. Er war groß und schlank, mit dunklen Haaren, welche ihm als lockerer Zopf über die Schulter fielen und ebensolchen Augen. Er war lediglich in einen halb durchsichtigen seidenen Überwurf gehüllt, den er mit einer Hand lose an der Brust zusammenhielt und strahlte das Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der sich seiner Wirkung auf Andere bewusst war und diese durchaus genoss und einzusetzen verstand.

Sein Gesicht war schmal, mit hohen Wangenknochen, kleiner Nase und vollen, beinah weiblich anmutenden Lippen, wirkte aber trotzdem männlich genug, um eine solche Verwechslung auszuschließen.

Das musste eine der männlichen Huren des Hauses sein, begriff Lauryn und verzog die Lippen in einer Geste des Ekels, rappelte sich halbwegs in die Höhe und taumelte zu der Pritsche hinüber, die an einer Zellenwand stand.

Keine Sekunde zu früh, wie sich herausstellte, denn Zyrion hatte die Zelle bereits verlassen und die Laterne mitgenommen, sodass Lauryn, kaum dass die Türe zugeschlagen wurde, im Finsteren saß. Die wenige Helligkeit, die durch das kleine, vergitterte Fensterchen im oberen Drittel des Türblatts in die Zelle fiel, reichte nicht aus, um mehr als vage Umrisse erkennen zu können, zumal es im Gang davor auch finster war.

Er lehnte sich vorsichtig zurück und mit dem Kopf an den rauen Stein der Wand, wobei er der kurzen Unterhaltung der beiden Männer vor der Tür lauschte, ohne viel von dem zu verstehen was gesprochen wurde. Erst die letzten Sätze des Hurenwirtes, die wütend und laut hervorgepresst wurden, drangen deutlich an sein Ohr.

„Darauf kannst du aber einen lassen, dass er das tun wird! Ob freiwillig oder nicht ist mir egal! Er gehört mir und wird tun, was ich ihm befehle! Egal wie lange es dauert – er wird es tun! Dafür sorge ich! Er wäre nicht der erste Widerspenstige, den ich zähme!“

Schwere Schritte entfernten sich eilig, der letzte Lichtschimmer der noch von draußen in die Zelle gesickert war, verschwand mit ihnen. Einen Moment blieb es still, dann drang das leisere Tapsen nackter Füße an Lauryns Ohren und das hieß wohl, dass auch der andere Mann sich entfernte.

Lauryn blieb allein zurück, saß im Dunkeln und hatte nichts als seine Erinnerungen …

 

 

 

… Er roch Rauch, hörte Schreie, unflätige Worte und das Knistern, Knacken und Brausen eines gewaltigen Brandes. Er lag auf dem schmutzigen Erdboden, sein Kopf schmerzte und er konnte sich nicht bewegen, versuchte es dennoch und musste sich prompt übergeben.

Ein raues Lachen, ganz nah und dann eine Stimme, die etwas rief, was er nicht verstand.

Was war passiert?

Er erinnerte sich nicht, wusste nur noch, dass er am Morgen ausgeritten war. Er hatte etwas am Horizont gesehen, das Blitzen von Sonnenlicht auf Metall und war zurückgeritten um einen drohenden Angriff zu melden …

Waren sie wirklich angegriffen worden? Es sah ganz so aus.

Er schaute sich um, sah lodernde Flammen in einiger Entfernung und begriff, dass es sein Elternhaus war, die Feste Olgurslad, die da in hellen Flammen stand. Olgurslad brannte nieder und er befand sich ganz offensichtlich als Gefangener in einer Art Kriegslager. Um ihn herum wurde gegrölt, getrunken und den spitzen Schreien nach befassten die Sieger sich soeben noch mit den weiblichen Gefangenen.

Wie lange war er ohne Bewusstsein gewesen? Hatte man ihn niedergeschlagen?

Sigurd Olgursson war ein treuer Vasall des Königs und ein kluger Stratege, weshalb sein Fürst ihm diese Festung nahe der südlichen Grenzen anvertraut hatte. Natürlich gab es immer wieder einmal kleinere und größere Scharmützel, wenn die benachbarten Stämme der Rujker und der Wiltenjer versuchten, ihre Territorien zu vergrößern. Bei beiden Stämmen handelte es sich um kriegerische Reitervölker und Lauryn hatte seinen Vater des öfteren sagen hören, dass der einzige Grund, wieso sie noch nie wirklich Erfolg gehabt hatten mit ihren Kriegszügen gegen ihn, der war, dass sie sich untereinander so spinnefeind waren und deshalb immer getrennt losschlugen.

„Mögen die Götter in ihrer Weisheit verhindern, dass sie eines Tages ihre Streitigkeiten begraben und sich gegen uns zusammentun!“, hatte er immer gemeint. War es das, was heute passiert war?

Aber diese Männer, die da heute Morgen gegen die Festung marschiert waren, das waren weder Rujker, noch Wiltenjer. Deren bevorzugte Waffen waren Speere, sowie Pfeil und Bogen, allenfalls ein paar Kurzschwerter. Und sie agierten vom Rücken ihrer struppigen, kleinen Pferde aus.

Das hier – Lauryn drehte den Kopf ein wenig und sah sich weiter um – das waren große, breitschultrige Männer, mit dunklen Haaren und Augen, zum überwiegenden Teil mit schwerer Panzerung und ihre Pferde waren hochbeinige Vollblüter, die für das nördliche Klima nicht wirklich geeignet waren. Dafür hatten die Männer jede Menge Waffen aus Stahl, Schwerter und Säbel, oder auch Dolche bei sich.

Wer waren diese fremden Krieger? Warum hatten sie Olgurslad angegriffen?

Aber vor allem – wo war seine Familie?

Er kam nicht zum langen Nachdenken, denn plötzlich erschienen gepanzerte Beine in seinem Blickfeld, eine grobe Hand griff in seinen Haarschopf und zerrte ihn daran in die Höhe.

Lauryn schrie auf und einen Augenblick lang verlor die Umgebung jede Farbe. Er bekam einen Stoß in den Rücken und setzte sich stolpernd in Bewegung, ohne recht zu wissen wohin. Seine Hände waren vor seinem Bauch gefesselt und er hatte das Gefühl, etwas Klebriges liefe ihm übers Gesicht. Blutete er?

Immer wenn er stehen zu bleiben drohte, stieß ihn sein Hintermann wieder vorwärts und am Ende fand er sich vor einem Trio furchteinflößender Krieger. Zwei davon saßen im Hintergrund auf Fässern und hielten Becher in den groben Fäusten, betrachteten ihn und warfen sich Bemerkungen in einer Sprache zu, die Lauryn wiederum nicht verstand, welche die Kerle jedoch zum Lachen brachten.

Der Dritte jedoch wirkte weniger grobschlächtig, hatte allerdings ebenso ausgeprägte Muskeln wie die Übrigen und wirkte auch genauso kampferprobt. Seine Gesichtszüge waren aber feiner, ausgeprägter, die schwarzen Haare in einen straffen Zopf geflochten und die Augenbrauen malten geschwungene Bögen über seine ungewöhnlichen, hellblauen Augen. Dafür lag um die vollen Lippen ein grausamer Zug und der Blick, der nun über Lauryn glitt, war so kühl, dass den Jungen unwillkürlich fröstelte.

„Na sieh an“, sagte er jetzt in der Sprache des Nordens, die ihm leicht von den Lippen floss, als wäre es seine Muttersprache, „wie hat der alte Sigurd denn etwas so Niedliches zustande bringen können? Zu schade, dass er mir die Frage nicht mehr beantworten kann.“ Er ergänzte etwas in der fremden Sprache und die Umstehenden lachten erneut.

Lauryn sah zu dem fremden Krieger auf, der wohl so etwas war, wie der Anführer des Trupps und bemühte sich, seine Furcht und seinen Schrecken nicht zu zeigen. Was hatte der Fremde damit gemeint, dass er seinen Vater nicht mehr fragen könnte? Hieß das … er war tot?

Das konnte nicht sein! Wenn er an seinen Vater dachte, sah Lauryn nur immer dessen kantiges Gesicht vor sich, die entschlossene Miene und die kraftvolle Gestalt. Sigurd Olgursson konnte nicht tot sein!

„Du fragst dich sicher, Junge, mit wem du das Vergnügen hast, nicht wahr? Nun – ich bin Marcellus und all die ehrenwerten Herren, die du hier siehst, sind meine loyalen Krieger. Unsere Dienste sind wohlfeil für jeden, der sich uns leisten kann und das sind nicht eben viele.“

Die hellen Augen blitzten und Lauryn warf einen Blick in die Runde. Wie viele mochten das sein? Er schätzte die Anzahl grob auf weniger als Hundert und kam nicht umhin, sich zu fragen, wie so wenige Söldner - denn das waren sie wohl - die Festung hatten einnehmen können.

Marcellus entging sein Blick nicht. Er lachte und hob seinen Becher. „Kluger Junge!“, rief er und gab ein paar seiner Leute einen Wink, die daraufhin davoneilten.

„Ich sehe, welche Frage sich in deinem süßen Köpfchen tummelt, Kleiner! Wie konnten wir eure Befestigungen überwinden? Wir haben keinerlei Belagerungswaffen und sind rein zahlenmäßig eigentlich viel zu wenige, um sie zu erstürmen. Absolut richtig gedacht!“