Vor allen Dingen - Adora Belle - E-Book

Vor allen Dingen E-Book

Adora Belle

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Beschreibung

Lon und Kai sind endlich wieder vereint, doch bereits nach der ersten gemeinsamen Nacht ziehen finstere Wolken auf. Zu unterschiedlich sind ihre Vorstellungen von der Zukunft, und als der Jäger seinen Geliebten vor den Kopf stößt, wirft dieser ihn wütend aus der Wohnung. Zwar kühlen beide Streithähne rasch wieder ab, doch bis dahin ist bereits eine dritte Partei auf der Bildfläche erschienen, die noch eine Rechnung zu begleichen hat. Lon wird entführt und schneller, als beide gedacht hätten, stecken sie erneut in einem wüsten Abenteuer auf Leben und Tod. (Das vorliegende Buch ist die Fortsetzung zu "Hinter den Spiegeln". Zwar ist es möglich, beide Bücher unabhängig voneinander zu lesen, dennoch ist es dem Verständnis förderlich, den ersten Band zu kennen.)

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Adora Belle

Vor allen Dingen

Gay Fantasy Romance

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Jäher Fall

 

 

 

 

 

„Was hattest du gesagt, wann Yu wieder hier sein wollte?“ Kai reckte den Hals, um auf die Ziffern seines Radioweckers zu spähen. Es war noch sehr früh, keine fünf Uhr, doch Lon und er hatten während der Nacht noch so gut wie kein Auge zugemacht. Zu sehr hatte es sie nach einander verlangt, als dass sie die Nacht mit so profanen Dingen wie Schlaf hätten vergeuden wollen. Lediglich zu Phasen kurzen Dösens hatte es gereicht, ehe die Lust aufeinander sie erneut übermannte.

Lon, der blonde Dämonenjäger aus einer fremden Welt, lag neben Kai und rückte jetzt noch dichter an ihn heran. Mit der Nasenspitze strich er über dessen Nacken, ehe er einen Kuss darauf hauchte und mit rauer Stimme erwiderte: „Keine Ahnung. Irgendwann am Morgen hat sie gesagt. Und das da“, er hob einen Arm und deutete nachlässig Richtung Fenster, vor dem sich das erste Morgenlicht abzeichnete, „das ist noch kein Morgen! Also komm` wieder her.“

Lächelnd wandte Kai sich ihm zu und ließ sich erneut in einen tiefen und verlangenden Kuss verwickeln. Sie waren beide bereits mehrere Male gekommen im Laufe der kurzen Spätsommernacht, trotzdem spürte er, wie er binnen kurzem erneut hart wurde. Lons Duft stieg ihm in die Nase, unter seinen Fingern fühlte er das geschmeidige Spiel trainierter Muskeln, darüber glatte Haut, nur hier und dort unterbrochen von wulstigen Narben. Stöhnend ergab er sich ihrem gemeinsamen Verlangen und schlief anschließend, eng an Lon geschmiegt, endlich ein.

 

 

Als er das nächste Mal aufwachte, fand er sich allein in seinem Bett und die andere Hälfte der Matratze kalt. Er fuhr hoch und schaute sich panisch um. War Lon etwa schon wieder fort? Einfach so? Ohne Abschied? Das würde er doch nicht tun, oder?

Ein gedämpfter Fluch und ein Rumpeln aus dem Badezimmer ließen ihn erleichtert aufseufzen. Er schwang die Beine aus dem Bett und ging den Geräuschen nach. Als er die Tür zu der kleinen Nasszelle aufstieß, blinzelte er zunächst verblüfft, dann grinste er. Ganz offensichtlich war der Jäger mit der Bedienung der Wasserhähne etwas überfordert gewesen. Kein Wunder – in seiner Welt existierte so etwas nicht. Dort holte man Wasser aus Brunnen oder fließenden Gewässern.

Hier hatte er es zwar geschafft, das Wasser aufzudrehen, doch beim Versuch den Wasserfluss wieder zu stoppen, ganz offenbar in die falsche Richtung gedreht und es dann mit der ihm eigenen Ungeduld tatsächlich übertrieben. Nun hielt er den Griff der Armatur in der Hand und starrte fluchend darauf. Als er Kai bemerkte, runzelte er die Stirn noch etwas mehr und schnauzte ungehalten: „Was ist das für ein beschissener Kram? Könnt ihr euer Wasser nicht von draußen holen, so wie wir das auch machen? Was habt ihr davon, wenn es zwar bis in eure Häuser fließt, aber dann nicht wieder aufhört?“

Kopfschüttelnd kam Kai vollends ins Bad, bückte sich und drehte als Erstes den Zulauf unter dem Waschbecken ab, nahm Lon dann den Griff aus der Hand und schraubte ihn mit ein paar Drehungen an seinem Platz fest. Anschließend öffnete er das Absperrventil wieder und demonstrierte seinem Jäger dann die Funktion der Armatur.

„Siehst du? Ganz einfach!“, sagte er und grinste noch immer. Doch die Falte zwischen Lons Brauen vertiefte sich nur noch weiter, während dieser die Arme vor der Brust verschränkte und die Lippen zusammenkniff. Er murmelte etwas Unverständliches, dann wandte er sich ab und musterte die winzige Duschkabine. Kai, der seinen sturen Liebsten kannte, neigte sich an ihm vorbei und erläuterte ungefragt auch dieses Wunderwerk der Sanitärtechnik, ehe er das Bad verließ und sich daranmachte, ein Frühstück vorzubereiten.

Er warf einen raschen Blick zur Uhr, während er Kaffee aufsetzte und Brotscheiben in den Toaster steckte. Es war bereits nach zehn Uhr am Vormittag. Vermutlich würde Yu jeden Moment auftauchen. Nach Lons üblichen Maßstäben gemessen, war der Tag schon weit fortgeschritten und wenn er davon geredet hatte, dass seine dämonische Begleiterin 'irgendwann am Morgen' zurückkommen wollte, dann war sie eigentlich schon überfällig.

„Naja, oder eben rücksichtsvoll“, dachte er schmunzelnd. Trotzdem war es sicher besser, wenn er sich allmählich etwas anzog, anstatt nackt und noch immer von den inzwischen angetrockneten Spuren der letzten Nacht bekleckert, durch die Wohnung zu turnen. Versonnen lächelnd ribbelte er eine der Krusten von seinem Bauch und schaute dann über die Schulter. Ob Lon noch duschte?

Einen Moment später öffnete er die Badezimmertür und schlüpfte zu dem Jäger unter den Wasserstrahl. Es war eng, aber Lon protestierte nicht.

„Na?“, grinste er stattdessen breit. „Schon Sehnsucht nach mir?“

„Arroganter Arsch!“, erwiderte Kai das Grinsen. Nur Sekunden später rutschte es ihm aus dem Gesicht, als Lon ihn in seine sehnigen Arme riss und verlangend küsste.

„Wieso? Mir hast du auch wahnsinnig gefehlt“, raunte er.

 

 

Eine knappe halbe Stunde verließen sie gemeinsam das von Wasserdampf buchstäblich geschwängerte Bad. Der Toast war zwar inzwischen kalt, dennoch schien es Kai, als hätte er nie ein köstlicheres Frühstück an einem schöneren Morgen genossen. Draußen schien die Sonne und durch das geöffnete Fenster drang außer dem üblichen Verkehrslärm auch Vogelgezwitscher herein.

Lon setzte sich jedoch nicht gleich, sondern trat ans Fensterbrett, stützte die Hände auf den Rahmen und beugte sich hinaus, spähte aufmerksam nach allen Seiten und sah schließlich mit nachdenklicher Miene hinauf zur Sonne.

„Was ist?“ Kai schluckte einen Bissen seines Marmeladentoasts und spülte mit einem großen Schluck Kaffee nach.

„Yu“, knurrte Lon, als erklärte das bereits alles.

„Yu?“, wiederholte Kai und als er keine weitere Erläuterung bekam: „Was ist mit ihr?“

„Sie ist nicht hier.“ Seufzend stellte Kai die Tasse ab.

„Offensichtlich. Und weiter?“

„Sie wollte am Morgen wieder hierher kommen und jetzt ist es fast Mittag!“ Lon wandte sich ihm zu. „Sie mag eine nervtötende, rechthaberische Göre sein, aber für gewöhnlich ist sie zuverlässig. Wenn sie sagt, dass sie am Morgen kommt, dann kommt sie am Morgen und nicht mittags!“ Kai überlegte.

„Vielleicht hat sie sich ja verlaufen?“, gab er zu bedenken, doch Lon schüttelte den Kopf.

„Unwichtig“, wischte er den Einwand beiseite. „Yu kennt dich. Sie bräuchte nur ein Portal zu öffnen und könnte direkt hier vor uns heraus spazieren! Irgendwas muss sie aufgehalten haben!“

„Meinst du?“ Kai war skeptisch. „Yu ist noch jung und das erste Mal hier in unserer Welt. Könnte doch sein, dass sie einfach die Zeit vergessen hat.“ Lon schüttelte den Kopf.

„Nicht Yu“, sagte er. „Wenn sie etwas will, was ich nicht will, macht sie mir die Hölle heiß und schwafelt mir die Ohren blutig, bis ich nachgebe, aber an getroffene Vereinbarungen hält sie sich.“ Kai musste grinsen.

„Du gibst ihr nach?“, vergewisserte er sich. „Warum hast du das bei mir nie getan?“ Lon zuckte die Achseln.

„Vermutlich weil du nicht hartnäckig genug gewesen bist?“, gab er zurück. „Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Die Frage ist doch – wo steckt sie?“

Als wäre es eine Antwort auf seine Frage, ertönte plötzlich ein leises Knistern, dann gab es ein dumpfes 'Fump' und mitten im Raum erschien eine kreisrunde Öffnung in der Luft, aus der im nächsten Augenblick Yu zu ihnen hereinstolperte. Kichernd torkelte sie auf die beiden Männer zu, die bei ihrem Erscheinen aufgesprungen waren, und Kai fing das Mädchen auf, ehe es über die eigenen Füße fallen konnte.

„Yu?“, fragte er verblüfft und wölbte die Brauen. Die Kleine roch wie eine komplette Schnapsfabrik, ihre blonden, inzwischen etwas über schulterlangen Haare, waren völlig zerzaust und ihre Augen glasig.

„Kai!“, jubelte sie, dann sprang sie ihn an, wickelte ihre langen, dünnen Arme und Beine um ihn, dass er unter dem Ansturm ins Taumeln geriet und sich rückwärts auf seinen Stuhl fallen ließ. Wie ein nasser Sack plumpste Yu auf ihn und presste ihm mit ihrem Gewicht im ersten Moment schmerzhaft die Luft aus dem Brustkorb, ehe sie sich, noch immer kichernd, wieder aufrichtete und die Haare aus der Stirn pustete.

„Was für ´ne Nacht!“, seufzte sie. „Eure Welt ist der Wahnsinn! Geil! Abgefahren! Und die Kerle hier!“ Ein erneutes Kichern. „Mann, sind die dämlich! Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so satt war! Dein Süßer hier“, sie zeigte auf Lon, „der lässt mich ja nicht an sich ran!“ Sie hielt kurz inne und schaute zwischen Lon und Kai hin und her, ehe sie dreckig grinsend fortfuhr: „Aber du – dir muss doch heute Morgen echt ganz schön der Arsch weh tun, oder? Kannst du überhaupt noch drauf sitzen?“

„Ähm …“ Kai war vollkommen überfahren. So kannte er Yu überhaupt nicht. Sie war zwar immer sehr direkt gewesen, aber so vulgär hatte er sie niemals erlebt.

„Du hältst jetzt besser dein ungewaschenes Schandmaul!“, donnerte da Lon auch schon los und enthob ihn so einer Antwort. „Vor Stunden wolltest du schon zurück sein! Morgen war ausgemacht – nicht Mittag! Wo hast du überhaupt bis jetzt gesteckt?“

Einen Augenblick lang wirkte Yu erschrocken, als der Jäger derart losschnauzte. Dann jedoch überzog ein lüsternes Grinsen ihr Gesicht und ihre Augen blitzten rötlich.

„Ich an deiner Stelle würde mal das Maul nicht so voll nehmen – Jäger!“, spie sie ihm entgegen. „Ohne mich wärst du nämlich überhaupt nicht hier, vergiss das mal lieber nicht! Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig und gehe wohin ich will, so lange es mir Spaß macht! Klar?“ Sie schnaubte, kletterte von Kais Schoß und stemmte die Arme in die Seiten. „Was regst du dich überhaupt so auf? Ich bin doch hier, oder nicht? Willst du mir vorwerfen, dass ich mich endlich mal amüsiert habe, nachdem mein einziges Vergnügen bisher darin bestanden hat, hinter dir her zu trotten? Ich wette, ihr Zwei habt auch euren Spaß gehabt, oder etwa nicht? - Mann, sei doch nicht immer so verkrampft! Du solltest auch mal ausgehen! Diese Kneipe, dieses … 'Vehicle', das ist echt ein cooler Laden! Du und dein Süßer, ihr …“

„Dein … 'cooler Laden' interessiert mich nicht!“, unterbrach Lon sie brüsk und wedelte abfällig mit der Hand. „Fakt ist, dass wir beide hier fremd sind. Du genauso wie ich! Wir kennen die Gefahren nicht, die hier womöglich auf uns lauern! Und da ist es ganz bestimmt keine gute Idee, sich in einer Kneipe mit wildfremden Kerlen volllaufen zu lassen! Dir hätte sonst was passieren können! Und was dann? Wir hätten ja nicht mal gewusst, wo wir nach dir suchen sollen!“ Yu verdrehte die Augen.

„Geht das jetzt wieder los? Meine Fresse! Alter …!“ Doch Lons Wut schien durch ihre genervte Reaktion nur umso heißer zu lodern.

„Hörst du dir eigentlich selbst zu? Wie du klingst? Hast du diese Ausdrücke in deiner … 'coolen Kneipe' gelernt?“ Lon malte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft. „Ein weiterer Grund, dass du da nicht wieder hingehst! Deris würde …“ Ein wütendes Fauchen war die Antwort.

„Lass` meinen verschissenen Vater aus dem Spiel! Der Typ hat sich einen Dreck darum geschert, was mit meiner Mutter passiert, nachdem er sich von ihr genährt hatte! Abgesehen davon würde er sich ohnehin nicht in das einmischen, was ich tue, denn er wüsste verdammt gut, dass ich auf mich selbst aufpassen kann! Ich bin kein kleines Mädchen, sondern ein verfluchter Dämon, falls du es vergessen haben solltest! Und hier, in dieser Welt gibt es weder Werwölfe, noch andere Geschöpfe, die mir ernsthaft gefährlich werden könnten! Also hör` auf so zu tun, als wärst du mein Vater und müsstest mich beschützen!“

Wäre die Situation nicht so aufgeladen gewesen, Kai hätte sich ein Grinsen sicher nicht verkneifen können. Lon mochte es nicht bemerken, aber Yu hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: der Jäger gebärdete sich, wie ein überbesorgter Vater.

"Ich weiß verdammt gut, dass ich nicht dein Vater bin und du nichts weniger bist, als ein kleines Mädchen!“, gab dieser jetzt zurück. Seine Stimme war gefährlich leise und seine Augen blitzten voller Wut. „Trotzdem kann ich nur wiederholen, was ich vorhin gesagt habe. Du bist hier ebenso fremd wie ich und weißt nicht, was alles passieren kann! Darum wirst du von jetzt an gefälligst in meiner Nähe bleiben, wo ich dich im Blick habe, falls du was Dummes anstellst!“ Nun wölbte Yu spöttisch die Brauen.

„Ach, wirklich?“, flötete sie. „Werde ich das?“ Sie verschränkte die Arme und machte ein paar Schritte auf den Jäger zu, bis sie dicht vor ihm stand. „Und wenn nicht? Was willst du dann tun?“

„Lass` es lieber nicht drauf ankommen!“, knurrte Lon. „Vielleicht tue ich, was längst jemand hätte tun sollen – dir deinen widerspenstigen Arsch versohlen, zum Beispiel?“ Yu maß ihn mit einem Blick, in dem sich Wut und Verachtung mischten.

„Weißt du was, Jäger?“, sagte sie dann. „Fick` dich ins Knie!“ Sie schnippte mit den Fingern und ein neues Portal erschien. Mit einem raschen Sprung war sie darin verschwunden, der Kreis schloss sich und Kai war wieder mit Lon allein. Für einen Moment herrschte Stille in Kais winziger Küche, dann stieß Lon einen unterdrückten Fluch aus.

„Na, das hast du ja toll hingekriegt“, konnte sich Kai nicht enthalten zu sagen und sofort ruckte der Kopf des Jägers zu ihm herum.

„Ich? Wieso bin ich jetzt schuld? Yu ist diejenige, die sich nicht an die Abmachung hält und dann noch sternhagelvoll hier aufkreuzt!“, blaffte er zurück.

„Jaaa“, erwiderte Kai bedächtig und nickte. „Und dafür bist du derjenige mit dem Feingefühl einer Dampfwalze. Das ist zwar nichts Neues, aber vielleicht solltest du zumindest hin und wieder versuchen, dich mal in Andere hinein zu versetzen.“

„Bitte?“ Das Funkeln in Lons Augen wies deutlich darauf hin, dass er kurz vor einem erneuten Ausbruch seines reizbaren Temperaments stand. „Ich soll einem Dämon mit Feingefühl begegnen? Bei dir piept`s wohl!“ Nun schien allerdings der Zeitpunkt gekommen, den Jäger auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

„Also, erstens ist Yu immerhin zur Hälfte Mensch“, sagte Kai, „und selbst wenn sie das nicht wäre, macht sie das noch lange nicht zu einer Sache, die dir gehört und über die du bestimmen kannst, wie es dir passt! Sie hat dir geholfen, obwohl sie durch keinerlei Pakt an dich gebunden ist! Das solltest du besser nicht vergessen, denke ich! Und abgesehen von all dem – kannst du es ihr verdenken, dass sie mal ein bisschen Spaß haben möchte, nachdem sie vorher monatelang mit dir durch die Gegend gezogen ist? Wie ich dich kenne, war das sicher nicht besonders lustig oder entspannend. Yu mag zur Hälfte ein Dämon sein, aber die andere Hälfte ist ein junges Mädchen, das nicht viel Schönes erlebt hat in seinem Leben. Musstest du sie da so abkanzeln, nur weil sie sich mal verspätet hat? Du hast doch vorhin selber noch gesagt, dass sie üblicherweise zuverlässig ist!“

Lon versteifte sich sichtbar und Kai wusste, hier biss er auf Granit. Beschwichtigend hob er die Hände. „Ich meine ja nur.“ Doch sein Liebster schnaubte nur wütend und drehte sich von ihm weg zum Fenster.

Innerlich seufzend stand Kai auf, ging zu ihm hin und legte vorsichtig eine Hand auf seinen Rücken. „Lon?“ Ein Knurren war die einzige Antwort. „Komm` frühstücken. Bitte! Es ist unser erstes richtiges gemeinsames Frühstück!“, bat er sanft.

„Red` keinen Unsinn! Wir haben schon oft zusammen gegessen. Frühstück, Mittag, Abendessen …“, erwiderte der Jäger, ohne sich umzudrehen.

„Du weißt, was ich meine“, beharrte Kai eindringlich und nach einem weiteren Moment des Starrsinns, senkte Lon den Kopf und wandte sich ihm schließlich zu. Seine dunklen Augen schienen Kai förmlich einzusaugen und eine kleine Ewigkeit später seufzte er ebenfalls, beugte sich vor und küsste ihn.

„Du hast ja nicht unrecht“, flüsterte er dann. „Trotzdem … Yu hat sich unverantwortlich verhalten und …“

„Und du hast dir nur Sorgen um sie gemacht, ich weiß“, ergänzte Kai. Lon blickte ihn fragend an und Kai hob lächelnd die Schultern, während er die Arme um Lons Hals legte. „Keine Ahnung, ob ihr in eurer Welt einen Begriff dafür habt, hier bei uns nennt man das, was Yu gerade durchmacht Pubertät. Sie wird vom Kind zur jungen Frau, nabelt sich ab, entdeckt ihre Sexualität und so weiter.“ Lon grinste schief.

„Ihre Sexualität? Glaub` mir, die hat sie längst entdeckt! Immerhin ist sie eine halbe Succuba!“

„Ah ja?“ Kai wölbte die Brauen. Jetzt fiel ihm wieder ein, was Yu nach ihrem Auftauchen noch alles gesagt hatte, nämlich dass der Jäger sie 'nicht ran gelassen' hatte. „Wie jetzt?“, hakte er deshalb nach. „Sag` bloß, sie hat`s bei dir versucht?“

„Oh ja!“ Lon nickte. „Und nicht nur einmal!“

„Und du? Hast du …?“, purzelte die Frage aus Kais Mund, ehe er sich bremsen konnte. Dabei war sie doch eigentlich völlig überflüssig, oder? Yus Aussage schien das bereits zu verneinen, abgesehen davon, dass er nicht glaubte, Lon würde sich zu so etwas versteigen, aber ein Teil von ihm wollte es trotzdem aus Lons eigenem Mund hören.

„Natürlich nicht!“, erwiderte der auch sofort reichlich ungehalten und runzelte die Stirn. „Wofür hältst du mich? Für einen triebgesteuerten Kinderficker? Yu ist …“

„Jedenfalls kein Kind mehr!“, fiel ihm Kai ins Wort, der mit Lons Antwort keineswegs zufrieden war. „Viele junge Mädchen in ihrem Alter haben Sex, zumindest hier bei uns. Auch noch jüngere. Das ist nichts so Ungewöhnliches“, fügte er hinzu und löste sich von Lon. „Was wäre, wenn sie älter wäre? Hättest du sie dann machen lassen?“

„Schon möglich“, kam die Antwort ohne das geringste Zögern und Kai wurde es eiskalt. Er sah hoch, begegnete Lons Blick und drehte sich weg. „Was hab` ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?“ Der Jäger klang genervt und Kai schluckte gegen den Kloß an, der plötzlich in seiner Kehle saß.

„Nichts“, sagte er und setzte sich wieder. „Gar nichts. Los, lass` uns endlich frühstücken.“

Sie setzten sich an den Tisch und Kai griff wieder nach seinem Marmeladentoast. Der schmeckte allerdings nach dieser Unterhaltung mehr wie Sägespäne und fiel in Kais Magen, als hätte er Steine gekaut. Sie redeten kein Wort miteinander, sodass sein Appetit wie weggeblasen zu sein schien und auch der sonnige Tag, draußen vor dem Fenster präsentierte sich gleich viel düsterer, als noch vor wenigen Augenblicken. Kai hatte knapp die Hälfte gegessen, als er den Teller wegschob und stattdessen seinen Kaffee auf ex hinunterschüttete.

„Schon satt?“ Lon sah mit gerunzelter Stirn auf Kais Teller.

„Ja“, erwiderte dieser wortkarg und nun hielt auch der Jäger mit seiner Mahlzeit inne.

„Was ist?“, fragte er sichtlich misstrauisch. „Geht`s etwa immer noch um mein mangelndes Feingefühl?“

„Wenn es nicht so ernst wäre, müsste ich jetzt lachen!“, dachte Kai und verzog den Mund, während er den Kopf schüttelte.

„Was denn dann?“ Wieder klang genervte Ungeduld mit, als Lon sich zurücklehnte und die Arme in die Höhe warf.

„Lon – wieso bist du hier?“, fragte Kai anstelle einer Antwort. Der Jäger sah ihn ungläubig an und drehte schließlich die Handflächen nach oben.

„Was ist das denn jetzt für eine dumme Frage?“, wollte er wissen. „Musst du mir die wirklich noch stellen – nach letzter Nacht? Ist das dein Ernst?“

„Ja. Mein voller Ernst“, bestätigte Kai. In einer Geste der Resignation kniff Lon sich mit Daumen und Mittelfinger in die Nasenwurzel und holte tief Luft.

„Du weißt ganz genau, warum ich hier bin“, sagte er dann. „Wegen dir! Ist es das, was du hören wolltest? Hab` ich es letzte Nacht noch nicht oft genug gesagt - und dir auch gezeigt?“ Kai ging nicht darauf ein, sondern steuerte nun geradewegs auf sein Ziel los.

„Wie kannst du, wenn du sagst, dass du nur wegen mir hergekommen bist, so einfach darüber reden, dass du mit Yu Sex haben würdest, wenn sie nur ein bisschen älter wäre?“ Lon klappte im puren Wortsinne der Unterkiefer herunter. Fassungslos starrte er Kai an und war offenbar sprachlos. Allerdings nicht für lange.

„Das glaub` ich doch jetzt nicht!“, blaffte er dann los. „Darum geht`s hier? Um so ein blödsinniges 'Was wäre wenn'-Spielchen?“ Er schnaubte, legte den Kopf zurück und schlug beide Hände vors Gesicht. Und allein diese Reaktion weckte bereits den Trotz und den Widerspruch in Kai. „Du warst es doch, der gefragt hat! Du wolltest wissen, ob ich mit Yu schlafen würde, wenn sie älter wäre, als sie ist! Wenn du die Antworten nicht hören willst, dann frag` nicht!“

„Ist das alles, was dir dazu einfällt?“ Kai war empört.

„Was soll mir denn sonst noch dazu einfallen?“, entgegnete Lon wütend.

„Zum Beispiel eine Antwort auf meine Frage!“

„Wie ich darüber reden kann, mit Yu Sex zu haben, wenn ich doch wegen dir hier bin? Das willst du wissen?“ Lon war aufgestanden und lehnte sich mit aufgestützten Fäusten über den Tisch zu Kai, der es ihm gleichtat.

„Ja, verdammt!“

„Ganz einfach: Yu ist zum Teil eine Succuba und nährt ihre dämonische Hälfte nun mal mit Sex! Ich habe Deris auf dieselbe Weise gefüttert und du weißt das und hattest nie etwas dagegen! Wieso sollte ich es dann seiner Tochter verweigern?“ Er schrie noch nicht ganz, aber beinah und Kai antwortete nicht weniger laut.

„Vielleicht weil man, wenn man in einer Beziehung ist, nur mit einer einzigen anderen Person Sex haben sollte, darum!?", brüllte Kai. "Mal abgesehen davon, dass ich sehr wohl was dagegen hatte, was du mit Deris treibst! Du hast dich nur nie drum gekümmert und wir hatten schlicht nicht genug Zeit, als dass es je zum Thema geworden wäre! Aber jetzt bist du hier bei mir und wenn das mit uns was Ernstes werden soll, dann lässt du deine verfluchten Griffel von anderen Kerlen! Und von Frauen auch!“

"Und wer hat gesagt, dass das mit uns eine Beziehung ist?"

Schlagartig herrschte Stille in Kais Küche. Schwer atmend starrten sie sich an, schließlich löste sich die Wut in Lons Miene auf und er richtete sich langsam auf. Kai folgte ihm mit Blicken und sein Herz klopfte ängstlich in seiner Brust.

„Kai, das ... das was du da von mir verlangst“, begann Lon und räusperte sich, „dieses Beziehungsding, also nur mit dir - ich weiß nicht, ob ich das auf Dauer kann. Ich habe in den letzten Monaten genug Zeit gehabt, um nachzudenken. Ich empfinde sehr viel für dich, das ist mein voller Ernst, aber … wir werden auch in Zukunft vermutlich sehr oft für lange Zeit getrennt sein. Ich bin ein Jäger und das werde ich auch bleiben, ich kann nichts anderes, also werden wir weiter in zwei verschiedenen Welten leben und uns nur gelegentlich sehen können. Ich will dir nichts vormachen und dich nicht belügen, aber - über kurz oder lang wird es vermutlich jemand anderen geben, irgendeine Frau, eine Hure in einem Gasthaus, oder eine andere, die bereit und willens ist, schon allein, um den Druck loszuwerden, wenn du gerade nicht in meiner Nähe bist.“ Er machte eine Pause, musterte Kais entsetztes Gesicht und fuhr dann fort „Keine Ahnung, ob es dich tröstet, wenn ich dir sage, dass das nur eine rein körperliche Angelegenheit und völlig bedeutungslos sein wird. Mein Herz gehört dir, Kai. Dir allein. Aber meinen Körper wirst du teilen müssen, wenn du mich an deiner Seite willst.“

Es fühlte sich an, wie der berühmte Schlag ins Gesicht. Der zweite an diesem Morgen in kurzer Folge ...

Wie in Zeitlupe sank Kai in seinem Stuhl zurück und starrte sein Gegenüber fassungslos an. Hatte er sich verhört? Das konnte der Jäger doch nicht ernst meinen? Oder doch?

„Sag` das noch mal“, krächzte er, aber Lon schüttelte nur, tief Atem holend, den Kopf.

„Du hast mich schon verstanden“, sagte er. „Jetzt weißt du, woran du bist, entscheiden musst du dich selbst.“

Ein bitteres Lachen drängte sich in Kais Kehle. Er rang es nieder und schüttelte nun ebenfalls seinen Kopf.

„Weißt du“, sagte er dann rau, „ich habe schon eine Menge Arschlöcher in meinem Leben kennengelernt, aber du … du toppst echt alles! Ich wusste, dass du arrogant und egoistisch bist und glaubte, ich komme schon irgendwie damit klar. Auch dass du dich selbst für den Mittelpunkt des Universums hältst, um den sich alles dreht, hab` ich hingenommen. Aber wenn du jetzt von mir verlangst, dir quasi einen Freibrief dafür zu geben, dass du ohne schlechtes Gewissen – und sei es in deinem Fall auch noch so ... 'unbedeutend' – rumvögeln kannst, wann immer dir danach ist, dann kennst du mich wirklich noch schlechter als ich dachte. Du sagst, dass du viel für mich empfindest und im selben Atemzug verlangst du, dass ich solche unmöglichen Bedingungen akzeptiere.“ Kai hob den Blick und sah Lon in die Augen. „Ich liebe dich und ich hab` mir eingebildet, dir ginge es genauso, aber …", er schnaubte, "du weißt doch gar nicht, was das heißt!“ Er musste den Blick abwenden, weil Tränen ihn zu verschleiern drohten und er sich nicht die Blöße geben wollte, ausgerechnet jetzt vor Lon zu weinen. „Du stellst deine eigenen Bedürfnisse über alles andere und erwartest, dass sich jeder für dich kleinmacht. Und das Schlimmste ist, dass du gar nicht damit rechnest, dass ich 'Nein' sagen könnte. So sehr bist du von dir überzeugt. Das ist keine Liebe, Lon. Das ist purer Egoismus und Selbstverliebtheit!“

„So ein Unsinn!“, fiel ihm der Jäger heftig ins Wort. „Ich sage das nicht aus Eigennutz, sondern weil ich dir nicht wehtun will! Begreifst du das nicht? Ich bin nur ehrlich zu dir!“ Wieder schüttelte Kai den Kopf.

„Du willst mir nicht wehtun?“ Er schnaubte erneut. „Begreifst du nicht, dass du mir hiermit erst recht weh tust?“ Sichtlich betroffen klappte Lon den Mund wieder zu, den er bereits zu einer weiteren Erwiderung geöffnet hatte. Kai verschränkte die Arme vor sich, betrachtete noch einen Moment das Gesicht des Jägers und fällte einen Entschluss. Einen schmerzhaften, aber dafür umso nötigeren Entschluss, das begriff er jetzt mit kristallener Klarheit.

„Pass` auf“, sagte er, „wir hatten eine wundervolle Nacht miteinander und ich bin froh, dass wir uns noch einmal wiedergesehen haben. Aber das, was du da vorschlägst, das ist nicht meins. Dir reicht ein Partner nicht? Schön. Dann geh` zurück nach Hause und vögel` dich da meinetwegen durch sämtliche Betten. Bau` deinen Druck mit willigen Frauen ab, oder mit Kerlen, oder was auch immer – ich werde es überleben. Ist nicht das erste Mal, dass ich mich in die falsche Person verliebt habe, ich komme schon drüber weg!“ Lon sog scharf die Luft ein und seine Augen weiteten sich überrascht.

„Ist das dein letztes Wort?“, fragte er und klang verletzt. „So einfach?“ Kai lachte bitter.

„Einfach? Einfach ist hier gar nichts. Erst recht nicht, seit ich dir begegnet bin. Aber es wird Zeit, es wieder einfach zu machen! Also trink` deinen Kaffee von mir aus noch fertig und dann verschwinde. Und diesmal endgültig!“

Alte und neue Feinde

 

 

 

 

 

Den Bauch voll mit heiß schwelender Wut stapfte Lon durch die ihm unbekannte Stadt. Wobei – es war ja nicht nur die Stadt, diese komplette Welt war ihm fremd.

Und nicht nur das, sie fühlte sich auch falsch an, wie ein zwickendes Kleidungsstück. Das fing schon damit an, dass für ihn so gut wie alles fremdartig und exotisch aussah, angefangen bei dem merkwürdigen, glatten und grauen Straßenbelag, oder den seltsamen pferdelosen Metallkisten, die sich dröhnend darüber hin schoben und die Luft verpesteten, bis hin zu den hohen Häusern und riesigen Fenstern die zu beiden Seiten der Straßen aufragten.

Mittlerweile war er in einem Bezirk angekommen, in dem noch mehr Betriebsamkeit herrschte als dort, wo Kai lebte. Überall gab es blinkende Lichter und hohe Fensterscheiben, hinter denen die verrücktesten Dinge ausgestellt und offenbar zum Kauf angeboten wurden. Kleidung, noch unpraktischer als das was Kai getragen hatte, als er ihn damals in seine Welt gezogen hatte, Schmuck, komische kleine Uhren, welche, den daneben hängenden Bildern nach zu urteilen, am Handgelenk getragen wurden – was ebenfalls unpraktisch war, wenn man, so wie Lon, seinen Lebensunterhalt im Kampf verdiente. So ein Ding dabei am Arm zu tragen musste sich doch merkwürdig anfühlen, vielleicht sogar stören?

Er setzte seinen Weg fort und schaute sich weiter um. Hinter einer anderen Glasscheibe sah er Bücher liegen. Lon konnte zwar lesen, allerdings nicht besonders gut oder schnell. Ihm fehlte die Übung. Dennoch konnte er einige der Titel entziffern und sie erschienen ihm ebenso seltsam wie diese ganze Umgebung. Die Bücher, die er aus seiner Welt kannte, waren schwere, in Leder gebundene Wälzer mit mehr oder weniger kostbaren Verzierungen, je nachdem, um was für ein Buch es sich handelte. Hier sah er bunte Bilder auf den Deckeln, Landschaften, Menschen, Objekte, es war verwirrend, wie praktisch alles was ihn umgab.

Diese Welt roch falsch, der Himmel hatte die falsche Farbe und sogar mit der leichten, spätsommerlichen Brise, die durch die Straßen wehte, schien etwas nicht zu stimmen. Selbst die Menschen waren … seltsam. Lon konnte es nicht greifen, nicht den Finger darauf legen, aber auch sie waren … nun ja – eben anders, als er es gewohnt war.

Schon bevor er Kai durch den Spiegel zu sich geholt hatte, hatte er einige Zeit damit verbracht, ihn zu beobachten, um den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Dadurch waren ihm bereits manche Dinge aufgefallen. Die Menschen in Kais Welt kleideten sich nicht nur völlig anders, sie führten auch ein Leben, wie es in Lons Heimat für gewöhnlich nur die Reichen und Mächtigen konnten.

Während es bei ihm zuhause nichts Ungewöhnliches war, dass die Kinder der Ärmeren an Husten und Fieber zugrunde gingen, oder Frauen bei der Geburt und im Kindbett ihr Leben ließen, schien hier niemand fürchten zu müssen, an einer banalen Erkältung zu sterben, weil sich daraus eine Lungenentzündung entwickelt hatte und entweder kein Arzt vorhanden, oder die Medizin zu teuer war. So gut wie alle Menschen, die Lon sah, waren gut genährt und gekleidet, nirgends erblickte er geflickte Lumpen, oder Bettler mit schwärenden Wunden oder anderen sichtbaren Krankheiten.