Leichtes Beben - Peter Henning - E-Book

Leichtes Beben E-Book

Peter Henning

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Beschreibung

Die Balance des Glücks

Ein Mann stattet seiner verstorbenen Mutter einen letzten Besuch ab, legt nichts ahnend seine Hand auf ihre Stirn und fürchtet plötzlich um sein Leben. Einem anderen läuft ein Junge vors Auto und zwingt ihn damit auf eine gemeinsame Odyssee. Ein Engländer reist zu seiner Scheidung nach Zürich und begegnet einer geheimnisvollen Schönen, die ihm den Seelenfrieden raubt. – Die Menschen in Peter Hennings Erzählreigen kämpfen um den aufrechten Gang und eine Handvoll Glück. Stets balancieren sie auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Desillusion. Sie leben im Transit, ihre Gewissheiten sind erschüttert. Hennings klug komponierter Roman erinnert an die Erzählwelt des großen Raymond Carver, eine Welt im künstlichen Licht. Mit „Die Ängstlichen“ hat Peter Henning den gefeierten Familienroman unserer Tage geschrieben. Auch die Menschen in seinem neuen Roman sind Sehnsüchtige und Glückssucher, die auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Desillusion balancieren. Beiläufig erzählt Henning Erschütterndes – wie das Leichte schwer und Schwere leicht wird.

"Wie die Sensation allein durch das Vermögen der Sprache entsteht, das muss jeden Leser besonders freuen." Martin Walser

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Seitenzahl: 332

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Peter Henning

Leichtes Beben

Ein Roman

Impressum

ISBN E-Pub 978-3-8412-0327-4

ISBN PDF 978-3-8412-2327-2

ISBN Printausgabe 978-3-351-03356-9

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, September 2011

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die Originalausgabe erschien 2011 bei Aufbau, einer Marke

der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

© Peter Henning, 2011

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über dasInternet.

Umschlaggestaltung hißmann, heilmann, hamburg / Andreas Heilmann

unter Verwendung eines motivs von plainpicture/René Reichelt

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital - die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

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Innentitel

Inhaltsübersicht

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Impressum

Inhaltsübersicht

I

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

II

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

III

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Dank

|5|Für Paul Nizon

|7|Wir alle stehlen und werden bestohlen

|9|I

|11|Eins

Klaus Bellmann fuhr auf die Einfahrt zu, grüßte den in seinem Häuschen sitzenden Pförtner durch Handzeichen und lenkte den Wagen auf den kopfsteingepflasterten Innenhof. Dort schaltete er den Motor aus, zog die Handbremse an, nahm die in weißes Papier eingeschlagene Kirschsaftflasche vom Beifahrersitz und stieg aus.

Er legte den Kopf in den Nacken und spähte hinauf zu den vergitterten Fenstern. Hinter einem von ihnen lebte sein Vater. Der große, der verrückte Hans Bellmann. Achtundsiebzig Jahre alt, und seit über zwanzig Jahren unter ärztlicher Aufsicht. Irgendwann war alles zu viel für ihn geworden. Die anhaltende Ablehnung seiner Arbeit, seine nie wahr gewordenen erotischen Phantasien und schließlich der plötzliche Selbstmord seiner zweiten Frau in Paris. Alles, was seinem Vater geblieben war, waren seine Erinnerungen und seine Puppe. Wo war sie eigentlich? Dieses von ihm einst geschaffene Artefakt, das er vergötterte und das doch wie nichts anderes für die Niederlage stand, die er durch seine damals fünfzehnjährige Cousine |12|Ursula erlitten hatte, das Objekt seiner nie versiegenden erotischen Obsessionen. In Wahrheit, daran bestand für Klaus Bellmann kein Zweifel, war sie es, die seinen Vater irgendwann um den Verstand gebracht hatte: Ursula Nagajeweski.

Manchmal tauchten irgendwelche Galeristen auf, die seinen Vater zu überreden versuchten, ihnen seine aus der Öffentlichkeit verschwundenen Werke anzuvertrauen. Doch weil Klaus Bellmann seit Jahren das Sorgerecht für seinen unmündigen Vater hatte, waren ihre Vorstöße jedes Mal erfolglos gewesen.

Hans Bellmann hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in gewissen Kreisen als bedeutender sogenannter Transrealist gegolten und unter den damals angesagten Surrealisten in Paris, wohin er emigriert war, für Aufsehen gesorgt mit seiner berühmten Schwarzweißfotoserie »Die Spiele der Puppe«. Per Selbstauslöser hatte er sich gemeinsam mit der Puppe als ins Morbide verliebter Grübler inszeniert.

Die neuere Kunstgeschichte führte ihn dagegen als »phantastischen Realisten« und belegte ihn mit Begriffen wie Voyeurismus, Fetischismus und gar Pädophilie. Bisweilen wurde er auch als »Inszenierer anarchistisch-erotischer Spiele« bezeichnet. Arbeiten von ihm konnten im Museum of Modern Art in New York besichtigt werden. Inzwischen aber war er vergessen und nur noch Insidern ein Begriff.

Jahrelang hatte die auf den einst aufsehenerregenden Schwarzweißfotos seines Vaters abgebildete, in dunkle Schatten gehüllte Puppe Klaus Bellmann bis in seine Träume verfolgt. Oft fuhr er mitten in der |13|Nacht aus dem Schlaf hoch, weil er sich von der langhaarigen, nur mit einem ärmellosen hellen Trägerhemdchen bekleideten und verblüffend menschlich wirkenden Figur aus Pappmaché bedrängt fühlte.

Lange war es ihm aus diesem Grund unmöglich gewesen, den Speicher ihres Hauses zu betreten, auf dem die Puppe in einem Karton lagerte. Ebenso wie seine alten Spielsachen.

Nun nahm er die Stufen, die zu dem grauen Gebäude mit den vergitterten Fenstern hinaufführten, und drückte den Klingelknopf. Nach ein paar Sekunden erschien eine Schwester hinter der ebenfalls vergitterten Glastür, zog einen dicken Schlüsselbund aus ihrer Strickjacke und ließ ihn herein.

»Guten Tag, Herr Bellmann«, sagte sie mit einem kraftlosen Lächeln und schloss hinter ihm wieder ab. Unter der Strickjacke trug sie einen weißen Kittel und dazu passende weiße, an den Fersen offene und über dem Spann feingelöcherte Schuhe. An ihrem rechten Schienbein leuchtete ein ziemlich großer Bluterguss.

»Guten Tag«, erwiderte er. »Wie geht es meinem Vater?«

»Wie immer. Ich glaube, er hat sich hingelegt«, sagte die Frau und drehte sich auf dem Absatz um. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Bei jedem Schritt quietschten die Sohlen ihrer Latschen auf dem braungrau marmorierten Linoleum, untermalt vom Klimpern der Schlüssel in ihrer Jackentasche.

Auf dem Flur standen Gestalten, die ihn anstarrten. Ein glatzköpfiger Mann im schwarzen Trainingsanzug |14|hatte seine Hand in die Hose geschoben und keuchte. Der vielleicht dreißig Jahre alte Mann daneben, der eine Lederhose, einen dicken grauen Wollpullover und Sandalen trug, riss immer wieder ruckartig den Mund auf und schlenkerte mit den Armen. Als Klaus Bellmann die Tür zum Zimmer seines Vaters öffnete, schlug ihm ein säuerlicher Geruch entgegen.

Hans Bellmann lag auf dem Bett, das Gesicht der Wand zugewandt, einen Arm angewinkelt unter den Kopf geschoben, und schlief. Er war mit einem karierten Hemd und einer grauen Manchesterhose bekleidet und schnarchte leise. Seine Füße waren nackt. Über ihm an der Wand hing, mit einer Stecknadel daran festgemacht, die an den Rändern bereits vergilbte Kopie seiner vielleicht berühmtesten Fotografie der »Puppe« aus der Serie von 1947. Nur dieses eine Motiv. Das Bild hatte ihn zur Legende gemacht, und für seine Familie war es zu einem Fluch geworden.

Klaus Bellmann blickte die Kopie an, fasziniert und abgestoßen zugleich. Sie, die Puppe, hatte seine Mutter aus dem Haus getrieben und später auch ihn selbst. Am liebsten hätte er das Bild auf der Stelle von der Wand gerissen. Den Dämon seiner Kindheit. Doch im selben Moment erwachte sein Vater und hob den Kopf wie ein verschrecktes Vögelchen.

»Was willst du?«, sagte Hans Bellmann auf seine immer knurrige Art und drehte sich auf den Rücken; er kam in die Vertikale und setzte die nackten Füße auf dem verschrammten Boden ab.

»Dich besuchen«, sagte Klaus Bellmann. »Das letzte |15|Mal war ich vor über einem Monat hier.« Er hielt die Saftflasche in der Hand.

»Mich besuchen?«, sagte sein Vater und strich sich mit der rechten Hand schwerfällig über den Kopf. Wie ein Gespinst aus feinen Silberdrähten umgaben die wenigen Haare seinen kantigen Schädel.

Es war immer das Gleiche: Sein Vater zeigte sich anfangs regelmäßig unwillig und wenig erfreut über seinen Besuch. Doch wenn Klaus nur hartnäckig genug blieb und ihn auf seine Pariser Zeit mit Breton und Éluard ansprach, biss der Alte an, und es kam manchmal eine muntere Unterhaltung in Gang. Bis Hans Bellmann sich irgendwann, meist etwa nach einer Stunde, wieder in sich zurückzog, vorgab, an seinen Projekten arbeiten zu müssen, und Klaus sitzen ließ und aus dem Zimmer lief.

Hans Bellmann war gegen Ende seiner Pariser Zeit, nach mehreren psychotischen Schüben, in ein Krankenhaus eingewiesen und wenig später in dessen psychiatrische Abteilung verlegt worden. Nach seiner Entlassung war er nach Deutschland zurückgekehrt und hatte einige Jahre ohne Medikamente gelebt und mehr oder weniger erfolglos versucht, seine Arbeit wiederaufzunehmen. Doch nach weiteren Schüben hatten ihn Freunde bald darauf erneut ins Krankenhaus gebracht, und über Umwege war er schließlich dort gelandet, wo er inzwischen seit neunzehn Jahren lebte.

Während eines Anfalls konnte er sich für den Heiland halten und behaupten, er könne übers Wasser laufen. Die Ärzte behandelten ihn seit Jahren mit |16|starken Antipsychotika. Dann wurden seine Gesichtszüge kantig und hart, sein Blick wurde stechend, und beim Reden überschlug sich seine Stimme. In seinen lichten Momenten aber entspannten sich seine Züge, wurde seine Stimme warm und weich, und er sprach langsam und wirkte zufrieden. In solchen Phasen glaubte Klaus Bellmann zu spüren und zu begreifen, wer und was sein Vater einmal gewesen war. Und weshalb er mit seinen Arbeiten, so kontrovers sie auch diskutiert worden waren, großen Einfluss auf nachrückende Künstler wie Horst Janssen oder den Maler und Bildhauer Paul Wunderlich gehabt hatte, die ihn früh als entscheidenden Wegweiser ihrer Kunst bezeichnet hatten.

Nun nahm Klaus den säuerlichen Geruch wieder wahr, und es bestand kein Zweifel: Es war sein Vater, der so roch. Er lief ans Fenster, öffnete es und ließ seinen Blick über das Tal mit seinen Streuobstwiesen und die sanft ansteigenden Hügel schweifen, die der Landschaft ihren Namen gaben.

»Ich hab dir was mitgebracht«, sagte Klaus Bellmann und streckte seinem Vater die Flasche hin. »Kirschsaft. Den magst du doch so gern.«

Er stellte die Saftflasche auf den kleinen, an der Wand stehenden Schreibtisch und hielt kurz inne. Auf der Arbeitsplatte lag ein blaues Din-A4-Schulheft, auf dessen Deckel sein Vater in Druckbuchstaben seinen Namen geschrieben hatte. Daneben lag ein Kugelschreiber.

Er musterte seinen Vater, der sich an den Beinen kratzte und unter dem Bett nach seinen Schlappen |17|suchte, schlug es kurz auf und sah nichts als unbeschriebene Seiten. Dann griff er sich den vor dem Schreibtisch stehenden Stuhl und nahm seinem Vater gegenüber Platz.

»Wie geht es dir?«, fragte er und rieb beide Hände gegeneinander.

»Ich arbeite!«, antwortete sein Vater und kratzte sich nun im Nacken. »Ich habe immer gearbeitet! Ich mache mir Notizen, da in dem Heft.«

Er wies mit dem ausgestreckten, leicht zitternden Arm auf das Schulheft. Zum Fenster strömte der Geruch von gemähtem Gras herein. Von der unangenehmen Säure war kaum noch etwas zu riechen.

Obwohl er versucht hatte, es zu ignorieren, glitt Klaus Bellmanns Blick nun auf das an der Wand hängende Bild der Puppe.

»Das klingt gut«, sagte er. Und dann fügte er hinzu: »Ich soll dich übrigens herzlich von Elke grüßen.« Doch das war gelogen. Elke, seine zweite Frau, verachtete Hans Bellmann, hielt ihn, nachdem sie einige seiner Arbeiten im Internet gefunden hatte, für verrückt und pervers.

»Ich kenne keine Elke«, sagte Hans Bellmann trocken. »Hat sie dicke Brüste?«

»Vater, bitte!«, erwiderte Klaus Bellmann, um rasch zu seinem Thema zurückzukehren.

Klaus Bellmann hatte sich, nachdem er sein lustlos betriebenes Architekturstudium abgebrochen hatte, unter dem Pseudonym »Brad Cowley« eine Zeitlang als Maler in der Tradition Roy Lichtensteins versucht und großformatige Gemälde geschaffen, auf denen |18|geschlechtslose Torsi über Sprechblasen miteinander kommunizierten. Als sogenannte Trans-Comics hatte er seine von den Farben Gelb, Blau und Weinrot dominierten Bilder selbstbewusst klassifiziert, aber trotz anhaltender Bemühungen keinen Galeristen gefunden.

Cowley hatte mehrere Serien geschaffen, darunter zwei farbintensive Zyklen, die er »Flucht aus Ithaka« und »Der Fluss des Leidens« betitelt hatte. Seiner späteren Frau hatte er nichts von seinen Malversuchen erzählt; als sie eines Tages die in schwere Decken eingeschlagenen Gemälde im Keller entdeckte, hatte Bellmann ihr erklärt, ein Freund, der für längere Zeit nach Amerika gegangen sei, habe sie vorübergehend bei ihm untergestellt.

Bellmann suchte den Blick seines Vaters, doch der sah hartnäckig an ihm vorbei zum offenen Fenster hinüber. Plötzlich stockte ihm der Atem, als sein Blick wieder auf die Kopie des Fotos an der Wand fiel. Denn in der mit der hohen, gipsenen Stirn trotzig gegen den Stein drückenden Puppe, deren unverhüllte Pobacken einen gelungenen Kontrast zu ihrem Gesicht darstellten, meinte er plötzlich jenen Torso zu erkennen, der das Auftaktgemälde seiner Ithaka-Serie zierte. Und entsprang der Blick der darauf dargestellten Griechin nicht der gleichen, in sich gekehrten Melancholie? Und was war mit ihrer Körperhaltung? Schmiegte sie sich denn nicht ebenso lockend gegen den Fels, der sein Bild dominierte, den Kopf seitwärts über die rechte Schulter weggedreht? Und ihr Po, was war damit? Ja, auch bei ihm war er bis zum Steiß, wenn auch |19|anders als auf der Fotografie der Puppe, mit einem Tuch bedeckt!

Verzweifelt dachte er: Wieso habe ich so schrecklich lange gebraucht, um diese offensichtlichen Ähnlichkeiten zu sehen? Und wie oft habe ich wohl an diesem Platz und auf diesem Stuhl gesessen und die Kopie an der Wand angestarrt, ohne dabei auch nur das Geringste zu bemerken?

Unsinn!, dachte er sogleich. Das ist bloß eine Täuschung. Was haben meine Gemälde mit der Arbeit meines Vaters zu tun? Nicht das Geringste.

Klaus Bellmann erhob sich abrupt vom Stuhl und lief hinüber zum Fenster. Er atmete mehrere Male kräftig ein und wieder aus. Über die Landschaft draußen hatten sich bereits die Schatten des Nachmittags gebreitet. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern mochte, ehe man aufhörte, die Gitterstäbe mit zu sehen, wenn man von hier nach draußen schaute.

Er wandte sich zu seinem Vater um, der immer noch auf seinem Bett saß. Seine hängenden Wangen blähten sich jedes Mal leicht, wenn er mit offenem Mund Luft holte. Er hatte die noch immer irritierend blauen, nicht sehr großen Augen leicht zugekniffen, so dass sich zwischen den Augenbrauen eine tiefe Furche bildete. Er hätte ihn fragen wollen: Woran denkst du, Vater?

Der Alte war einmal ein großer, gutaussehender Mann gewesen, der gerne Hüte und lange Mäntel getragen und Eindruck auf andere gemacht hatte. Es gab Leute, die sagten, Klaus Bellmann sehe seinem Vater ähnlich. Sicher, auch er hatte blaue Augen und breite |20|Schultern. Und es konnte auch bei ihm vorkommen, dass sich über seiner Nasenwurzel eine Furche bildete. Dennoch war er ganz anders als der Alte. Sein Vater hatte fotografiert und er gemalt. Sein Vater mochte Hüte und er nicht. Und sein Vater träumte noch immer von einer erotischen Erlösung durch eine Fünfzehnjährige. Er war eben pervers! Sicher hatte sich seine Frau aus dem Fenster gestürzt, weil sie seine Perversionen nicht mehr ertrug. Seinen Ursula-Wahn. Ja, dachte Bellmann, Elke hat ganz recht.

Verächtlich blickte er wieder auf das Foto an der Wand. Und dann sagte er: »Wollen wir unten einen Kaffee trinken?«

»Was?«, sagte sein Vater.

»Ob wir unten einen Kaffee trinken wollen.«

»Hat sie dicke Brüste? Diese Elke? Ich meine, solche wie Ursula!« Dabei modellierte er mit seinen Händen deren Form und leckte sich über die blassen Lippen.

»Hör sofort auf damit!«, sagte Klaus Bellmann. »Das ist ja ekelhaft!«

»Du bist ekelhaft.«, erwiderte sein Vater. »Du bist ein Schwein«, sagte er und machte Grunzlaute.

»Was soll denn das jetzt?«, sagte Klaus Bellmann. »Ah, ich verstehe, du willst mich provozieren. Aber das schaffst du nicht. Keine Chance mehr.«

Als Junge hatte er geahnt, dass er, wenn er groß wäre, seinem Vater ähnlich sein würde. Und dass er seine eigenen Schritte innerhalb von dessen Grenzen würde planen müssen.

Nun stand sein Vater auf, ging aber sofort wieder in |21|die Knie und begann, auf allen vieren durch den Raum zu kriechen. Dabei gab er erneut Grunzlaute von sich.

»Vater«, rief Klaus Bellmann, »hör auf damit, du verdammter Idiot!« Dann packte er die linke Schulter seines Vaters und versuchte ihn hochzureißen. Doch es gelang ihm nicht. Der Alte war einfach zu schwer.

»Vater!«, rief er wieder, hielt aber plötzlich inne und horchte dem Klang seiner eigenen Stimme nach. Dann wandte er sich von dem Alten, der grinsend auf dem Boden saß, ab und trat ans Fenster. Als er sich nach ein paar Minuten umdrehte, hatte sich sein Vater wieder hingelegt.

»Was ist mit dir?«, rief Klaus Bellmann. »Bist du müde? Willst du noch ein bisschen schlafen?«

Der Alte hielt die Augen geschlossen und antwortete nicht. Da ging Bellmann zum Schreibtisch, zog den Stuhl heran und nahm Platz. Er schlug das Heft auf, ergriff den Kugelschreiber und überlegte. Dann fing er an zu schreiben.

Als er eine halbe Stunde später unten vor der verschlossenen Tür stand, sah ihn die Schwester, die ihn hereingelassen hatte, erwartungsvoll an und fragte: »Alles in Ordnung, Herr Bellmann?«

»Ja«, antwortete Bellmann zufrieden.

Die Schwester fixierte ihn auf eine Weise, die ihm unangenehm war. Als suche sie etwas in seinem Gesicht.

»Was ich Ihnen immer schon mal sagen wollte«, begann sie. »Sie und ihr Vater …«

Doch Bellmann unterbrach sie sofort und sagte entschieden: »Machen Sie mir bitte die Tür auf!«

|22|»Oh, ja, natürlich, Entschuldigung!« Sie zog den schweren Schlüsselbund aus ihrer Jackentasche und schloss die Tür auf. Mit schnellen Schritten lief Bellmann zu seinem Wagen und stieg ein.

Er ließ seinen Blick ein letztes Mal hinauf zu den vergitterten Fenstern gleiten. Dann schaltete er den Motor ein, und das Radio ging an. Es lief eine Jazznummer, irgendetwas von Stan Getz. Kleine Besetzung: Saxophon, Klavier und Schlagzeug.

Er legte den Rückwärtsgang ein, rangierte den Wagen aus der Parklücke und fuhr an dem Pförtnerhäuschen vorbei. Dabei hob er kurz die Hand zum Gruß.

Als er etwa eine Stunde gefahren war, klingelte sein Handy. Die Krankenschwester erklärte, sein Vater habe geschrien und in einem unerklärlichen Anfall größter Erregtheit sein Notizheft zerrissen. Anschließend sei er in eine Art katatonische Starre verfallen. Noch immer sei er nicht ansprechbar. Sie versprach ihm, sich wieder zu melden, sobald es etwas Neues über seinen Vater zu berichten gäbe.

Bellmann bedankte sich für den Anruf und unterbrach die Verbindung. Und lächelte.

|23|Zwei

»Morgen besuche ich meinen Jungen!«, sagte Küppers, schloss die Tür seines Spinds auf, zog seinen fleckigen hellen Arbeitskittel aus und hängte ihn hinein.

Es war Freitag, und Küppers und seine Leute hatten eine anstrengende Woche hinter sich. Zuletzt hatten sie ein paar Mal bis tief in die Nacht gearbeitet, um die letzten Fenster mit der Frühjahrskollektion fertigzustellen. Küppers war Chefdekorateur eines großen Warenhauses und hatte sechs Mitarbeiter.

»Du hast einen Sohn?«, fragte Grasskamp überrascht, der zwei Meter von ihm entfernt vor seinem geöffneten Spind stand und sich ebenfalls umzog. »Das wusste ich ja gar nicht.«

»Klar«, antwortete Küppers großspurig und nahm sein Sakko aus dem Spind, »der ist jetzt mindestens so groß.« Dabei hielt er den ausgestreckten linken Arm vor Grasskamps Brust. »Ist ’ne alte Geschichte.«

»Wie heißt er denn?«

»Robert«, antwortete Küppers stolz und begann darüber nachzudenken, ob sein Sohn tatsächlich so |24|groß sein mochte. Und wie er wohl aussah. »Ist ’n toller Bursche.« Er hatte ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen.

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