1,99 €
Der Legende nach ist 666 die Zahl des Bösen. Der beste Zeitpunkt also, um Matt und Aruula in albtraumhaftes Abenteuer zu stürzen, in dem die postapokalyptische Zukunft mit H.P. Lovecrafts Cthulhu-Universum verwoben wird. Niemand anderes als der Starautor der deutschen Phantastik steuert mit diesen Band 666 den bisher dunkelsten zur Serie bei! Freut euch auf gruselige Lesestunden!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Was bisher geschah...
Dunkle Träume
Werkstattbericht
Vorschau
Hat Ihnen diese Ausgabe gefallen?
Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Am 8. Februar 2012 trifft der Komet »Christopher-Floyd« die Erde. In der Folge verschiebt sich die Erdachse, und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – auf rätselhafte Weise degeneriert.
In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Fliegerstaffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 versetzt wird. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn »Maddrax« nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula findet er heraus, dass Außerirdische mit dem Kometen – dem Wandler, der sich als lebende, schlafende Entität entpuppt – zur Erde gelangten und schuld sind an der veränderten Flora und Fauna und der Verdummung der Menschen. Nach langen Kämpfen mit den Daa'muren erwacht der Wandler, weist sein Dienervolk in die Schranken und zieht weiter. Mit zwei Daa'muren, die auf der Erde zurückblieben – Grao und Ira – haben sich Matt und Aruula sogar angefreundet.
Bei einem Abstecher zum Mars, auf dem sich eine Expedition aus dem Jahr 2010 zu einer blühenden Zivilisation entwickelt hat, erfährt Matt von der Spezies der Hydree, die vor 3,5 Milliarden Jahren hier lebten und mittels eines Zeitstrahls zur jungfräulichen Erde umzogen, als ihr Planet seine Atmosphäre und Ozeane verlor. Mit ihren Nachkommen, den telepathisch begabten Hydriten, die von den Menschen unentdeckt am Meeresgrund leben, hatte Matt schon Kontakt und nennt einen von ihnen, Quart'ol, einen guten Freund.
Diese »Tunnelfeldanlage«, die wie ein Transporter funktioniert, in dem die Zeit unendlich gedehnt werden kann, ist bis heute in Betrieb und verursachte auch den Zeitsprung von Matts Flugstaffel um 504 Jahre, als die den Strahl querte. Dabei legt der Strahl einen Tachyonenmantel um lebende Zellen, der den Altersprozess fünfzig Jahre lang drastisch verlangsamt.
Seither ist viel Zeit vergangen – wir schreiben inzwischen das Jahr 2554 –, und all die Erlebnisse unserer Helden an dieser Stelle zu schildern, wäre unmöglich. Es gibt sogar eine Erdkolonie in einem fernen Ringplanetensystem, zu dem allerdings der Kontakt abgebrochen ist. Ihre Freunde Tom, Xi und deren Tochter Xaana (die eigentlich Matts Kind ist) leben dort auf dem Mond Novis.
Nicht nur einmal haben Matthew Drax und Aruula die Erde vor dem Verderben gerettet und mächtige Feinde bekämpft – zuletzt die vampirhaften Nosfera, die die WCA (World Council Agency, kurz: Weltrat) übernehmen wollten. Auf diese Organisation traf Matt schon früh. Momentan steht ihr General Aran Kormak vor, ein in der Vergangenheit eher zwielichtiger Charakter, der sich aber gewandelt und großes Interesse zu haben scheint, Meeraka (ehem. USA) und danach andere Länder friedlich zu einen.
Auch um Kormak weiterhin im Auge zu halten, geht Matt auf seinen Vorschlag ein, zusammen mit Aruula im Auftrag des Weltrats eine schnelle Eingreiftruppe zu bilden und für ein Bündnis unter dem Dach der WCA zu werben.
Dies sind ihre Abenteuer...
Weitere Informationen und Hintergründe zur Serie findet ihr unter https://de.maddraxikon.com im Internet!
von Wolfgang Hohlbein
Direkt über der Empore hing etwas in der Luft, das nicht da war. Das klang verrückt und unlogisch und konnte eigentlich nur Teil eines besonders bizarren Nachtmahrs sein, aber es war trotzdem so. Ganz offensichtlich handelte es sich um einen jener sehr seltenen, dafür aber umso unangenehmeren luziden Träume, die vom Wissen um die eigene Hilflosigkeit begleitet werden.
Er lag in seinem Hotelbett, warm, in Sicherheit und zusammen mit dem Menschen, den er auf der ganzen Welt am meisten liebte. Zugleich saß er vornübergebeugt auf der Büßerbank einer ebenso düsteren wie zugigen Kirche, die nach Tod und Moder roch, und lauschte den Worten eines ... was auch immer, der auf der Kanzel stand und Schwefel und Fegefeuer predigte. Und er kämpfte gegen eine immer übermächtiger werdende Angst an, die jeglichen Grundes entbehrte und trotzdem mit jedem Atemzug schlimmer wurde.
Und da war noch immer das Dunkle, das über der Kanzel schwebte und nicht nur unsichtbar war, sondern ... gar nichts, eine reine Präsenz, deren bloße Anwesenheit alles negierte, was warm und lebendig war.
Etwas regte sich neben ihm. Er wusste, dass es Aruula war; schließlich war er mit dem Gefühl ihrer seidigen Wärme auf der Haut eingeschlafen, aber zugleich war da auch das Wissen, etwas so unerträglich Grässliches zu erblicken, dass sein Verstand einfach zerbrechen musste, wenn er hinter sich sah.
Der ... Prediger (war er das? Sein Gesicht war ein verschwommener Fleck, der nur aus fleischgewordener Missbilligung und gepredigter Furcht bestand, und er trug die obligate schwarze Robe der Verkünder göttlicher Unbarmherzigkeit, aber mit seinem Hals, den etwas Helles und Formloses umgab, stimmte etwas nicht) schlug die geballte Faust so wuchtig auf den Rand seiner Kanzel, dass das uralte Holz protestierend ächzte.
»Shetättn iägnugnöö Sünder fftagn!«, begann er mit schriller Stimme zu lamentieren.
Matt blinzelte. Die nichtexistente Dunkelheit über der Empore waberte und wogte stärker, streckte unsichtbare Tentakel und schleimige Fühler voller Widerhaken in seinen Traum herüber, und etwas ... änderte sich. Aruulas Wärme war noch immer auf seiner Haut, aber nun war es eine verschwitzte, sauer riechende, klebrige Wärme, und in den Duft ihres Haares mischte sich etwas Scharfes und Bösartiges, das so gar nicht zu der Erinnerung an ihre sanften Umarmungen und die Süße ihrer Lippen passen wollte.
»Yuggoth Jehovas Zorn gnargle Höllenfeuer brennen!«, polterte der Prediger, während das Helle um Schultern und Hals zu einem altertümlichen Mühlsteinkragen gerann. Der Geruch wurde schlimmer. Raubtiergestank. Die sanfte Liebkosung von Aruulas Fingerspitzen war längst zum Kratzen messerscharfer Klauen geworden.
»Wehret euch gegen hiähiaäh des Einflüsterers!«, zeterte der Priester. »Widerstehet der Versuchung und gnää! um euer Seelenheil! Iäa Cthulhu fthagh!«
Es war nicht sein Seelenheil, um das er fürchtete. Die Krallen hatten längst seine Haut geritzt, und klebrige Wärme begann an seinem Rücken hinabzulaufen, noch bevor der brennende Schmerz sein Gehirn erreichte.
»Beschreitet nicht den Pfad des großen Täuschers, fthagh iäa!«, polterte der Prediger. Das Dunkle über ihm und dem hölzernen Kruzifix an der Wand waberte, und ringsum hob ein allgemeines Rascheln und Scharren und Rumoren an. Das Geräusch von uraltem, trockenem Stoff und morschem Holz, aber auch das Zischeln gespaltener Schlangenzungen und das Scharren harter horniger Krallen. Wo gerade nur Schatten und Schemen auf den Büßerbänken gewesen waren, erschienen nun Gestalten, manche menschlich, manche nicht, aber alle und ausnahmslos grässlich.
»Wehrt euch!«, befahl der Prediger, während seine Faust noch einmal auf den Kanzelrand niedersauste. »Blickt hinter die Maske des großen Lügners! Tötet den Versucher!« Etwas wuchs aus seinem Kragen, vielleicht die Stacheln eines Seeigels, und der Gestank wurde übermächtig und schnürte Matt nun wortwörtlich den Atem ab.
»Fsssthagn!«, schrie der Prediger, ein Wort wie ein Peitschenhieb, das den Bann brach und es Matt endlich ermöglichte, den Blick von der albtraumhaften Szenerie loszureißen und sich Aruula zuzuwenden.
Oder dem Ding, das einmal Aruula gewesen war. Sie war es noch immer. Ihr Gesicht, ihr Haar, ihre Augen und alles andere waren noch da, aber auf grässliche Art wie von innen nach außen gestülpt, als wäre alles Liebenswerte und Schöne in sein genaues Gegenteil verkehrt worden; eine Präsenz aus purem Hass und reiner, verheerender Bosheit.
Aruulas Mund klappte unmöglich weit auf und offenbarte einen Anblick auf eine Doppelreihe dreieckiger Haifischzähne und eine peitschende gespaltene Zunge, die weit herausschoss und nach seinen Augen zielte. Krallen wie gekrümmte Dolche schlugen nach seinem Gesicht und hinterließen eine Spur aus heißem Schmerz auf seiner Wange, und etwas anderes und noch viel Tödlicheres zielte auf seine Kehle.
Matt warf sich instinktiv zur Seite, verlor auf der schmalen Kirchenbank endgültig den Halt und fiel so schwer in den Mittelgang hinaus, dass sein Hinterkopf auf den Boden krachte und er nicht nur Sterne sah, sondern einige Atemzüge lang auch um sein Bewusstsein rang. Schreie und Getöse nahmen ringsum zu, als wäre in der Kirche ein gewaltiges Handgemenge ausgebrochen, und es stank plötzlich noch durchdringender nach faulendem Wasser.
»Iääh!«, kreischte der Prediger. »Yogh-yogh hingnnäi!«
Matts Blick klärte sich gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich das Aruula-Ding aus der Kirchenbank herausschraubte und mit erhobenen Klauen auf ihn warf. Den Krallenhieb konnte er mit dem hochgerissenen Unterarm abfangen, doch dann hämmerten ihre Knie mit solcher Gewalt auf seine Brust, dass er seine Rippen knacken hören konnte – zusammen mit dem Pfeifen, als ihm auch das letzte bisschen Atemluft aus seinen Lungen gepresst wurde.
Sein Handgelenk pochte noch immer von der Wucht, mit der er Aruulas Hieb abgefangen hatte, doch sie holte schon zum nächsten aus, der auf seine Kehle gezielt war. Als er in ihre Augen blickte und pure Mordlust und verzehrenden Hass darin sah, wurde ihm klar, dass es hier durchaus um sein Leben ging, zumal der Traum plötzlich nicht mehr lucid war. Es blieb ein Klartraum, in dem er sich des Umstandes zu träumen vollkommen bewusst war, aber nun hatte er keinen Einfluss mehr darauf und war zum bloßen Zuschauer geworden.
Einem todgeweihten Zuschauer.
Matt wusste nicht, woher er diese Gewissheit nahm, aber er zweifelte keinen Sekundenbruchteil daran, dass er auch in der echten Welt nicht mehr aufwachen würde, wenn ihm hier etwas zustieß.
Pure Verzweiflung loderte in ihm hoch, fegte Schwäche und Schmerz beiseite und beseelte ihn mit einer Kraft, über die er normalerweise nicht verfügte. Er fegte die herabstoßende Krallenhand beiseite und rammte seinerseits den Handballen nach oben.
Im buchstäblich allerletzten Moment erinnerte er sich daran, mit wem er hier kämpfte, und aus der Gestalt gewordenen Mordlust über ihm wurde wieder Aruula, mit der er normalerweise auf eine vollkommen andere Art rang. Es war zu spät, um den Hieb ganz zurückzunehmen, aber er schlug nur mit einem Bruchteil seiner Kraft zu, sodass Aruulas Kopf zurückgestoßen wurde und die Haut unter ihrem Auge aufplatzte, er ihr aber nicht das Jochbein zertrümmerte oder gleich das Genick brach.
Die Kriegerin von den Dreizehn Inseln kannte solcherlei Hemmungen ganz offenbar nicht.
Sie kippte zwar mit einem schmerzerfüllten Zischen nach hinten und von ihm herunter, warf sich zugleich aber herum und zog die Beine an den Leib.
Matt sah noch ihren Stiefel auf sein Gesicht zurasen.
Dann nichts mehr.
Der Wind trieb dichten Nebel vom Meer herauf, und das Mondlicht spielte mit den Schwaden. Nell schauderte, als sie Gestalten darin zu erkennen glaubte, die keine waren. Das machte es so verstörend: Sie bewegten sich immer dann, wenn man gerade nicht hinsah, waren nur aus den Augenwinkeln sichtbar; bei genauerem Hinsehen lösten sie sich auf.
»Lass uns verschwinden«, sagte Morgan in ihrem typischen, leicht nörgeligen Tonfall. »Wenn Brown uns hier erwischt, kriegen wir richtig Ärger.«
Das stimmte aber nur in ihrem Fall, dachte Nell. Ihre Schwester war noch jung genug, um mit einer Standpauke und vielleicht einer symbolischen Strafe davonzukommen, aber das galt nicht für sie. Wenn Brown und seine Schergen sie hier erwischten, dann konnte sie nicht darauf zählen, mit einem strafenden Blick und einem Klaps davonzukommen, sondern ...
Nell zog es vor, den Gedanken nicht zu Ende zu denken, denn er führte ja doch nur zu einer Erkenntnis, um die sie sich bisher erfolgreich herumgedrückt hatte, obgleich sie schon die ganze Zeit über an ihrer Aufmerksamkeit kratzte. Nämlich der, dass es ganz allein ihre Entscheidung war, welches Risiko sie einging und aus welchem Grund, und sie absolut kein Recht hatte, auch ihre kleine Schwester in Gefahr zu bringen.
Andererseits war Morgan ... eben Morgan: nicht nur eine kolossale Nervensäge, sondern auch stur wie ein Stein. Wenn sie etwas nicht wollte, dann wollte sie es nicht, basta. Sie hatte damit gedroht, sie zu verpetzen, wenn sie sie nicht mitnahm, und Nell kannte Morgan: Sie würde es tun.
Und wenn sie ganz ehrlich war, dann war sie sogar froh, nicht allein zu sein. Es war ein Fehler gewesen, überhaupt herzukommen. Sie wusste nicht, was hier geschah, aber es machte ihr Angst.
»Ich glaube, ich will nicht mehr hier sein«, nörgelte Morgan. »Lass uns nach Hause gehen.«
»Und ich glaube, dazu ist es inzwischen zu spät«, antwortete Nell. »Ich habe dich gewarnt, oder?« Sie machte eine Kopfbewegung in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Wenn wir jetzt zurückgehen, laufen wir ihnen direkt in die Arme. Kannst du dir vorstellen, was Father Brown mit uns macht, wenn er rauskriegt, dass wir ihm nachschnüffeln?«
Das konnte Morgan vermutlich nicht, und Nell wollte es auch nicht – auch wenn sie ihrer jüngeren Schwester im Stillen recht gab. Sie bedauerte längst, überhaupt hergekommen zu sein. Aber sie hatte einfach wissen müssen, was Brown und die anderen hier trieben.
Und was mit ihren Eltern passiert war.
»Aber ich –«, begann Morgan, und Nell hielt ihr erschreckt den Mund zu und zischte zusätzlich: »Still!«
Aus Morgans Protest wurde ein erschrecktes Quieken, das im nächsten Moment ganz abbrach, als Nell mit der anderen Hand nach ihrem Arm griff und sie die Düne hinauf hinter sich her in die Deckung des spärlichen Grases zerrte, das dort wuchs.
Keine Sekunde zu früh. Sie hatten den halb verdursteten Busch noch ganz erreicht, da wurden auf der anderen Seite der langgezogenen Sanddüne Stimmen laut, und nur einen Moment später tauchten Father Brown und zwei seiner Messdiener über dem Hügelkamm auf.
Der selbsternannte oberste Sittenwächter der Stadt war nicht allein. Hinter ihm und seinen Apologeten tauchten weitere Gestalten in mit Gold und Silber bestickten Roben auf, zwei, noch einmal zwei und schließlich noch einmal zwei. Zwischen ihnen und unübersehbar nicht aus freien Stücken ging eine weißhaarige alte Frau mit zerfurchtem Gesicht und gebeugten Schultern.
»Das ist Missus Parker«, wimmerte Morgan. »Aber ... was –?«
»Still!«, zischte Nell zum zweiten Mal, zerrte Morgan unsanft weiter hinter den halb skelettierten Busch und drückte sie nieder. Zugleich wurde sie sich schmerzlich des Umstands bewusst, dass Morgan und sie praktisch auf dem Präsentierteller lagen. Der Busch war halb verdurstet und bot so gut wie keine Deckung, und das wenige Dünengras wuchs kaum handhoch. Wenn Brown oder einer seiner Begleiter zufällig in ihre Richtung blickten, dann mussten sie sie einfach sehen.
Aber zu Nells maßlosem Erstaunen taten sie es nicht, sondern marschierten stumm und beinahe roboterhaft kaum einen Steinwurf entfernt an ihnen vorbei, den Blick starr auf den Rücken des Vordermanns oder auf die See gerichtet, ohne einen Laut von sich zu geben und – zumindest kam es Nell so vor – selbst ohne zu atmen.
Aber so ganz stimmte das nicht: Als die bizarre Prozession ihr dürftiges Versteck passierte, meinte Nell, etwas wie einen düsteren, an- und abschwellenden Sprechgesang zu hören; Worte und dissonante Melodien aus einer uralten Sprache, wie sie kein menschlicher Geist jemals wirklich erfassen konnte.
»Nell, was ... was ist das?«, wimmerte Morgan. Sie klammerte sich mit solcher Kraft an sie, dass es wehtat, und begann zugleich am ganzen Leib zu zittern. »Es macht mir Angst! Mach, dass es aufhört!«
Als ob sie das könnte! Als ob sie auch nur wüsste, was hier vorging! Sie versuchte, die Panik zurückzudrängen, die sich ihrer bemächtigen wollte, und fand wenigstens weit genug wieder zu sich, um Morgan fest an beiden Schultern zu ergreifen, mit mehr oder weniger sanfter Gewalt herum und auf die Knie zu bugsieren und die Düne hinaufzuschieben.
Zwei oder drei Schritte weit, dann riss sich Morgan ungestüm los, schlug zusätzlich ihren Arm beiseite und stieß einen kleinen spitzen Schrei aus, während sie sich zugleich hochzustemmen versuchte, auf dem losen Sand wegrutschte und der Länge nach wieder auf den Rücken fiel.
Nell hatte alle Mühe, ihre Schwester ein zweites Mal in die Höhe zu zerren – und erstarrte, als ihr Blick dem ihren begegnete und sie den Ausdruck reinen, abgrundtiefen Entsetzens darin sah.
Morgan starrte nicht sie an, sondern einen Punkt irgendwo hinter ihr, und Nell konnte sich nicht erinnern, jemals solche Angst im Blick eines Menschen gesehen zu haben. Mit klopfendem Herzen blickte sie über die Schulter zurück.
Die unheimliche Prozession hatte die Brandungslinie erreicht und angehalten. Zwei der robentragenden Gestalten hatten Miss Parker an den Armen ergriffen und hielten sie fest, obwohl sie keinerlei Anstalten machte, sich zu widersetzen. Die anderen und Father Brown hatten nicht nur Halt gemacht, sondern auch alle zugleich wie in einer bizarren Beschwörung die Arme erhoben. Der unheimliche Nicht-Gesang war lauter geworden und hatte dabei immer mehr an Bedrohlichkeit zugenommen.
Aber all das nahm Nell kaum zur Kenntnis. Sie starrte das Meer an, auf Wellen, die den Strand heraufrollten, und auf die Schatten, die sich dem Ufer dicht unterhalb der Wasseroberfläche näherten und zu übermannsgroßen Kreaturen gerannen, die als weißer Schaum an Land kamen und sich dort glänzend und nass trielend aufrichteten. Giganten mit Zähnen und Krallen und Flossen und riesigen nassen Glubschaugen, eine unvorstellbar grässliche Kreuzung aus Fisch, Mensch und ... noch etwas, das zu erkennen sich ihre Augen ebenso weigerten wie ihr Verstand, es zu begreifen.
Nell konnte nicht wirklich in Worte kleiden, was sie da sah, das Entsetzen war einfach zu groß. Sie schrie gellend auf.
Und sämtliche Gesichter der grauenhaften Prozession fuhren zu ihr herum.
Matt erwachte mit dröhnenden Kopfschmerzen und hämmerndem Puls, einem wirklich üblen Geschmack im Mund und der noch übleren Erinnerung an einen jener Albträume, an die man sich zwar nicht wirklich erinnerte, zugleich aber auch spürt, dass das vielleicht ganz gut ist.
Es war noch dunkel im Zimmer, und seine innere Uhr verriet ihm, dass noch mindestens eine Stunde Zeit war, bis Aruula und er unten im Speisesaal des Hotels in Waashton am Frühstücksbüfett erwartet wurden. Zugleich spürte er aber auch, dass er jetzt sowieso keinen Schlaf mehr finden würde, also konnte er ebenso gut auch aufstehen und noch ein paar Dinge erledigen, ehe Miki kam, um ihn abzuholen.
Die Nachricht, dass Miki Takeo nach dem Frühstück vorbeikommen wolle, hatte ihn gestern erreicht, und er fragte sich, was der ehemalige Android und jetzige Klon von ihm wollte. Miki hatte in seiner Funknachricht ein Geheimnis daraus gemacht. Matts Hoffnung war, dass es mit dem zerstörten Wurmloch-Generator zu tun hatte, den Takeo reparieren sollte. Aber so schnell ...?