Magie des Windes - Christine Feehan - E-Book

Magie des Windes E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Die magischen Drake-Schwestern in Gefahr

Eine faszinierende Welt voller Magie und Geheimnisse

Endlich scheint auch für Hannah, das schöne und erfolgreiche Model, das private Glück zum Greifen nah zu sein. Doch jetzt muss sie um ihr Leben fürchten: Bei einer Modenschau wird sie von einem Unbekannten mit einem Messer attackiert und schwer verletzt. Wenig später kommt es zu einem zweiten Mordversuch. Können die Schwestern Hannahs Leben retten?

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Seitenzahl: 692

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Die Originalausgabe SAFE HARBOUR erschien 2007 bei The Berkley Publishing Group, Penguin Group (USA) Inc., New York
Copyright © 2007 by Christine Feehan
Copyright © 2009 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-07162-2V003
www.heyne.dewww.penguinrandomhouse.de

Das Buch

Hannah ist ein erfolgreiches Model und besitzt als fünfte der sieben Drake-Schwestern die magische Gabe, den Wind zu lenken. Die zauberhaften Schwestern sind seelisch eng miteinander verbunden und helfen sich mit ihren übersinnlichen Fähigkeiten aus jeder Notlage.

Nachdem Hannah den Sheriff von Sea Haven, Jonas Harrington, vor russischen Kriminellen retten konnte, kommen sich die beiden endlich näher. Doch das Glück soll nicht lange währen. Bei einer Modenschau in New York wird Hannah Opfer eines Mordversuchs, den sie nur knapp überlebt. Noch im Krankenhaus erfolgt ein weiterer Anschlag auf ihr Leben. Und wieder ist der geheimnisvolle Russe Ilja Prakenskij zur Stelle und rettet Hannah das Leben. Die Schwestern müssen nun schnell handeln: Nur gemeinsam können sie Hannah heilen und die Mordanschläge aufklären. Warum hat aber Prakenskij ein so großes Interesse, Hannah zu helfen? Die Schwestern sind misstrauisch.

 

»Christine Feehan ist die Königin des übersinnlichen Liebesromans. «

Publishers Weekly

 

Die Autorin

Christine Feehan, die selbst in einer großen Familie mit zehn Schwestern aufgewachsen ist, lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kalifornien. Sie hat bereits eine Reihe von Romanen veröffentlicht und wurde in den USA mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Ihre Bücher sind auf den amerikanischen Bestsellerlisten ganz oben vertreten und sie hat bereits über sechs Millionen Bücher weltweit verkauft.

Mehr Informationen über die Autorin und ihre Romane finden sich auf ihrer Website www.christinefeehan.com.

 

Weitere Bücher von Christine Feehan: Zauber der Wellen – Gezeiten der Sehnsucht– Dämmerung des Herzens

Inhaltsverzeichnis

WidmungDanksagungFür alle Zeiten1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.20.21.Copyright

Für Diane Fetzer, meine geliebte Schwester,die ich enorm bewundere und achte.Du bist eine ganz erstaunliche Frau.Du wusstest schon immer, was du willst,und hast es kühn in die Tat umgesetzt.Wenn jemand eine Liebesgeschichte verdient hat,dann bist du das.

Danksagung

Wie immer habe ich einigen Leuten für ihre Hilfe bei diesem Buch zu danken. Cheryl Wilson und Domini Selk für ihre Geduld und ihr Verständnis. Mein besonderer Dank gilt Cecilia Feehan, die Joleys Song für Hannah geschrieben hat. Anita, Kathy, Cheryl, Cecilia, Manda und Carol danke ich ganz herzlich für ihre Beiträge! Und auch Tina, die mich nie im Stich lässt, wenn ich sie um Unterstützung oder Hilfe bitte, und natürlich Brian Feehan für seine Vorschläge und auch dafür, dass er mitten in der Nacht die Actionszenen mit mir durchgegangen ist.

 

Ihr alle inspiriert mich immer wieder dazu, mich zu verbessern!

Für alle Zeiten

Joleys Song für Hannah

 

 

Wenn alles fern und dunkel ist Wenn du allein dort draußen bist Und hören musst, wie viel du mir Bedeutest, ruf, ich sag es dir Ich werde flüstern und ich werde schreien Tun, was du willst, du musst mir verzeihen Wünscht’ ich könnt’ schauen hinter die Maske Dass die Gefühle dort klar ich erfasste.

 

Ich klopf’ an deiner Tür an Doch du machst mir nicht auf Wie kann ich für dich da sein Wenn du mir nicht vertraust Willst du mir denn nicht öffnen Lass mich doch bitte ein Und zeig mir die Gefühle Die du sonst hältst geheim.

 

Wenn du allein im Dunkeln bist Und keine Welt mehr um dich ist Wenn nur der Zweifel dir noch bleibt Die Suche nach dem Licht dich treibt Ruf meinen Namen, ich werde lauschen Sende den Wind, in seinem Rauschen Werd’ ich ihn hören und aus der Weite

 

Eilen, o Baby, an deine Seite. Ich klopf’ an deiner Tür an Doch du machst mir nicht auf Wie kann ich für dich da sein Wenn du mir nicht vertraust Willst du mir denn nicht öffnen Lass mich doch bitte ein Und zeig mir die Gefühle Die du sonst hältst geheim.

 

Hab’ keine Angst Du hast nichts zu befürchten Ich bin bei dir Für alle Zeiten Ich werde nie von deiner Seite weichen Denn ich bin hier für alle Zeiten Für alle Zeiten.

 

Ich klopf’ an deiner Tür an Doch du machst mir nicht auf Wie kann ich für dich da sein Wenn du mir nicht vertraust Willst du mir denn nicht öffnen Lass mich doch bitte ein Und zeig mir die Gefühle Die du sonst hältst geheim.

 

1.

Kannst du mir vielleicht sagen, wie zum Teufel wir in diesen Schlamassel geraten sind?«, fragte Jackson Deveau barsch, während er Jonas Harrington einen Arm um die Taille schlang und ihn zu einem Container für Industrieabfälle schleifte, um dahinter in Deckung zu gehen. Viel Schutz bot er nicht, aber immerhin. »Da haben wir endlich einen netten, gemütlichen Job an der Mendocino-Küste und du beschließt, dich hier zu Tode zu langweilen, was, nebenbei bemerkt, totaler Blödsinn ist. Man sollte meinen, deine Schussverletzung vor kurzem hätte dir genügt.«

Hätte er antworten können, dann hätte Jonas Jackson übel beschimpft, aber mehr als einen finsteren Blick brachte er nicht zustande, während er seine Füße dazu zwang, sich voranzubewegen. Der Schmerz war erbarmungslos, so stechend wie ein rot glühendes Brandeisen. Er konnte den rasselnden Atem in seiner Lunge fühlen, das Aufsteigen der Galle und den einsetzenden Bewusstseinsverlust. Er musste auf den Füßen bleiben. Verdammt noch mal, er dachte gar nicht daran, sich von Jackson auf dem Rücken rausschleppen zu lassen – das würde er sein Leben lang zu hören bekommen. Jackson hatte Recht. Sie hatten sich beide ein neues Leben aufgebaut, ein angenehmes Leben, und ein Zuhause gefunden. Was zum Teufel hatte er sich bloß dabei gedacht?

Warum reichte es ihm nie? Warum musste er sich immer wieder in die alten Geschichten reinziehen lassen und Jackson und andere Männer gleich mit? Er war kein edler Kreuzritter und doch kam es dann und wann vor, dass er plötzlich mit einer Waffe in der Hand dastand und Jagd auf die Bösen machte. Sein Drang, die Welt zu retten, hing ihm zum Hals heraus. Er rettete ja doch niemanden. Seine Versuche führten nur zum Tod von guten Männern.

Die Gasse war finster, denn die Schatten der Gebäude, die sich auf beiden Seiten erhoben, tauchten die Ränder in tiefes Schwarz. Sie achteten darauf, sich zur Straße hin hinter dem Abfallcontainer zu verschanzen, denn es schien so, als hätte es im Moment jeder, der eine Schusswaffe und ein Messer besaß, auf sie abgesehen. Jackson lehnte ihn mit dem Rücken an eine Wand, die nach Zeiten roch, an die sich Jonas nicht erinnern wollte – ein durchdringender Gestank, in dem sich Blut, Tod und Urin miteinander verbanden.

Jackson überprüfte, wie es um ihre Munition bestellt war. »Siehst du scharf genug, um zu schießen, Jonas?«

Typisch Jackson, sachlich und nüchtern. Er wollte schleunigst von hier verschwinden und würde dafür sorgen, dass sie es auch schafften. Die Männer, die Jagd auf sie machten, konnten nicht ahnen, mit wem sie sich einließen und was sie sich eingebrockt hatten. Wenn Jackson diesen ganz speziellen Ton anschlug, dann würde es Tote geben, so einfach war das.

Sie mussten nur sehen, wie sie aus der Gasse herauskamen, aber den Zugang zur Straße schnitten ihnen die russischen Ganoven ab. Ihr Auftrag hatte lediglich darin bestanden, auszukundschaften, was sich hier tat, nichts weiter. Niemand hätte sie sehen sollen, verflucht noch mal, und es hatte sie auch tatsächlich niemand gesehen. Aber dann war von einem Moment zum anderen alles tierisch schiefgegangen und in ein Blutbad ausgeartet.

Sie waren hergekommen, um in den Docks von San Francisco eine Begegnung zu filmen, bei der angeblich unbedeutendes Fußvolk von Tarasov mit zwei von Nikitins Männern zusammentreffen sollte. Ein Geheimagent hatte Gray darüber informiert und er wollte wissen, warum sich die beiden rivalisierenden Familien miteinander trafen. Das erste Alarmzeichen stellte sich bei Jonas ein, als er unter den Anwesenden die Brüder Gadijan erkannte. Von kleinen Fischen konnte bei ihnen nicht die Rede sein. Sie waren mit Boris und Petr Tarasov verschwägert und nahmen in der Verbrecherfamilie, die vor Morden nicht zurückschreckte, ganz entschieden gehobene Positionen ein. Sie waren Killer, die als derart blutrünstig und gewalttätig galten, dass selbst Männer, die zur Tarasov-Familie gehörten, sie mieden. Und als Boris mit seinem Bruder Petr aus dem Schatten trat, dicht gefolgt von seinem Neffen Karl, der seine Sicherheit gewährleisten sollte, begriff Jonas, dass dies kein harmloses Treffen war. Karl stand in dem Ruf, noch viel schlimmer zu sein als die Brüder Gadijan.

Jonas und Jackson hatten einander mit einem flauen Gefühl in der Magengrube und pochendem Herzen angesehen, denn sie waren mitten in ein Hornissennest geraten, aus dem es keinen Ausweg gab. Die russischen Gangster standen einen Moment lang als geschlossene Gruppe da und lachten alle miteinander, doch dann hatte Karl einen der Männer, mit denen sie sich unterhielten, gepackt und ihn vor seinem Onkel auf die Knie gestoßen. Jonas kam es so vor, als seien sämtliche Männer Tarasovs Leute. Er konnte den Mann nicht identifizieren, den Karl herausgegriffen hatte. Sein Gesicht war im Schatten und alles ging zu schnell. Petr zog seelenruhig eine Waffe hervor und schoss ihm wortlos eine Kugel in den Kopf.

Jonas und Jackson hatten den Mord gefilmt und sahen sich gerade nach einem Fluchtweg um, als ein weiterer Mann auf dem Kai erschien. Offenbar war er sich der Kamera bewusst, denn sein Körper wurde von einem langen, unförmigen Mantel bedeckt und er hielt sein Gesicht abgewandt, als er kurz mit den Tarasovs sprach. Dann war plötzlich der Teufel los. Karl Tarasov raste auf die Straße zu, fand den Wagen, mit dem Jonas und Jackson gekommen waren, und den Fahrer und richtete ihn ohne jede Vorwarnung hin. Kugeln flogen in alle Richtungen, als die Russen ausschwärmten und sich daranmachten, Jonas und Jackson zur Strecke zu bringen. Jonas wurde zweimal getroffen. Keine der Kugeln hätte ernsthaften Schaden anrichten sollen, aber er verlor so viel Blut, dass die Wunden tödlich sein würden, wenn er nicht bald Hilfe bekam. Jackson hatte zwei oberflächliche Messerstiche in den Bauch und die Brust abgekriegt, Verletzungen, die sie sich zugezogen hatten, während sie sich den Weg von den Docks in die Gasse freikämpften. Die Gangster wollten den Film an sich bringen.

Aber den würden sie unter gar keinen Umständen bekommen.

Jackson lud Jonas’ Waffe und drückte sie ihm in die Hand. »Jetzt kannst du loslegen.« Er rammte ein volles Magazin in seine eigene Waffe und verlagerte sein Gewicht auf die Fußballen. »Ich hole mir ein paar von denen, Jonas. Du presst dir einen frischen Druckverband auf die Wunde in deiner Seite und siehst zu, dass du auf den Füßen bleibst, ganz gleich, was passiert. In ein paar Minuten werde ich ein bisschen Schwung in den Laden bringen und dann musst du bereit sein und sofort loslaufen.«

Jonas nickte. Schweiß tropfte von seinem Gesicht und überzog seinen Körper. Ja, klar. Er würde bereit sein, und sowie er loslief, würde er vermutlich voll auf die Schnauze fallen, aber dazu durfte er es nicht kommen lassen. Er musste auf den Füßen bleiben und die Waffe in Bereitschaft halten, um Jackson bei seinem verrückten Vorhaben zu decken, denn auf Jackson konnte er sich letzten Endes immer verlassen.

Jackson verschmolz so lautlos mit der Nacht wie sonst auch. Er war gemeinsam mit Jonas nach Hause gekommen, als sie das gefahrvolle Leben beide gründlich zum Kotzen fanden – und als Jonas seine adoptierte Familie so tierisch vermisste, dass er nicht mehr zu halten war. Jonas hatte sich als Sheriff beworben und Jackson als einer seiner Deputies. Die beiden hatten eine ruhige Kugel geschoben, bis Jonas bei der Arbeit in ein Sperrfeuer geraten war und sich während der langwierigen Rekonvaleszenz als unruhig und reizbar erwiesen hatte. Duncan Gray, sein früherer Boss, der einer Spezialeinheit des Verteidigungsministeriums vorstand, war mit seiner Bitte an ihn herangetreten. Jackson hätte ihn nur fest angesehen und sie wären weiterhin in Sicherheit gewesen. Aber nein, Duncan hatte genau gewusst, dass er sich an Jonas wenden musste, denn auf den Spruch »Wir brauchen dich« fiel Jonas jedes Mal wieder rein.

Es war verdammt unfair von ihm gewesen, Jackson in diesen Schlamassel hineinzuziehen. Und er hatte auch nicht vorgehabt, so zu sterben, bei einem harmlosen Aufklärungseinsatz, der dazu dienen sollte, Nikitins gegnerische Bande auszuspionieren. Nichts Besonderes, aber jetzt saßen sie in der Tinte und waren beide verwundet. Jonas öffnete mit den Zähnen die Verpackung des Druckverbandes, spuckte die Hülle aus und klatschte ihn auf seine Wunde, bevor er sich weitere Gedanken darüber machen konnte.

Feuer schien durch seine Adern zu rasen und brannte sich so tief in ihn hinein, dass sein Körper erschauerte. Er musste sich fest an den Abfallcontainer klammern, um sich auf den Füßen zu halten – wenn das nicht reichlich unhygienisch war! Verfluchter Mist, diesmal steckte er in echten Schwierigkeiten. Er stand wankend da und das Einzige, was stillhielt, war seine Hand mit der Waffe.

Er griff in seine Hemdtasche und zog ein Foto heraus, das Einzige, das er bei sich trug. Er hätte es vernichten sollen. Er konnte sein eigenes Gesicht darauf sehen, die furchtbare, herbe Wahrheit, die auf dem Foto festgehalten worden war. Er sah gebannt auf eine Frau hinunter, wobei die Liebe in seinem Gesicht und das nackte Verlangen für jeden deutlich zu erkennen waren. Sein Finger glitt über das Glanzpapier und hinterließ einen Blutschmierer. Hannah Drake. Das Supermodel. Eine Frau mit außergewöhnlichen magischen Gaben. Eine Frau, die für ihn so unerreichbar war, dass er ebenso gut hätte versuchen können, den Mond vom Himmel zu holen.

Er hörte Schritte und das Rascheln von Kleidungsstücken, die die Hausmauer streiften. Eilig stopfte er die Fotografie in seine Hemdtasche zurück, dicht an sein Herz, und schüttelte den Kopf in der Hoffnung, wieder klarer denken zu können. Schweiß tropfte ihm in die Augen und er wischte ihn weg. Die Kerle hielten sich in den Schatten, aber sie rückten eindeutig näher. Der Schweiß brannte in seinen Augen und aus seiner Seite rann ständig Blut an seinem Bein hinunter. Er vermischte sich mit dem Regen, der jetzt in einem unbarmherzigen Schauer herunterprasselte. Jonas packte seine Waffe mit beiden Händen und wartete.

Am Ende der Gasse ging ein Mann zu Boden und der erste Schuss ertönte fast gleichzeitig. Auf diese Entfernung war Jackson der reinste Teufelskerl. Er lag oben auf dem Dach und konnte sie einzeln wegputzen, wenn sie so dumm waren, weiterhin vorzupreschen – und das waren sie. Jonas ließ sich Zeit und wartete auf ein Mündungsfeuer, als einer von ihnen einen Schuss auf Jackson abgab und damit seinen Standort verriet. Jonas drückte ab und es stand zwei zu null für sie. Aber für jemanden, in dessen Körper sich glühend heißes Feuer ausbreitete und dessen Blut um ihn herum in den Boden sickerte, wirkte das Ende der Gasse immer noch weit entfernt.

Stell dich nicht so an, du erbärmlicher Schwächling. Du wirst nicht in dieser schmutzigen Gasse sterben, von ein paar miesen Ratten niedergemäht. Er sprach streng mit sich selbst, weil er hoffte, dieser anfeuernde Zuspruch würde ihn vor einer Bauchlandung im Dreck bewahren. Das Ärgerliche war, dass es sich nicht nur um miese kleine Ratten handelte, sondern um echte Kerle, die, ebenso wie er und Jackson, in Kampftaktiken ausgebildet worden waren. Und auch sie hatten es auf das Dach abgesehen. Er hörte Geräusche in dem Gebäude hinter sich, dem Gebäude, das ein Speicherhaus hätte sein sollen, in dem sich kein Mensch aufhielt.

Das Band, auf dem sie heute Nacht den Mord aufgenommen hatten, war viele Menschenleben wert. Jackson feuerte wieder einen Schuss ab und ein weiterer Mann ging zu Boden. Jonas wartete auf das gegnerische Mündungsfeuer, aber kein einziger Schuss wurde abgegeben. Er stöhnte leise, als ihm aufging, was das hieß. Sie kannten seinen Standort ganz genau. Er hätte sich von der Stelle rühren müssen, sowie er den Schuss abgegeben hatte. Er schluckte schwer, zog den Kopf ein und versuchte zu einem Teil des Abfallcontainers zu werden. Er wusste zwar, dass er schleunigst sehen musste, wie er hier rauskam, aber er fürchtete, seine Beine würden ihn nicht tragen. Eine Woge von Benommenheit brach über ihn herein und warf ihn fast zu Boden. Er hielt verbissen an seinem Bewusstsein fest, obwohl ihm schwindlig war, atmete tief durch und bemühte sich verzweifelt, auf den Füßen zu bleiben. Wenn er erst einmal hinfiel, würde er es niemals schaffen, wieder aufzustehen.

Jackson kam aus den Schatten heraus. Blut tropfte von seiner Brust und von seinem Arm und sein Gesicht war grimmig, die Augen grausam. Er berührte sein Messer und fuhr sich mit der Hand über die Kehle, um einen weiteren Toten anzudeuten – und diesen Mann hatte er auf halbem Wege zu Jonas erledigt, was bedeutete, dass sie umzingelt waren. Er hielt vier Finger hoch und lenkte Jonas’ Aufmerksamkeit auf zwei Standorte in ihrer Nähe und zwei hinter ihnen. Er deutete nach oben.

Jonas spürte, dass sein Herzschlag aussetzte. Verdammt noch mal, es war ganz und gar ausgeschlossen, dass er drei Stockwerke auf einer Feuerleiter hochkletterte. Er bezweifelte, dass er den Spießrutenlauf durch die Gasse überstanden hätte, aber im Vergleich zu drei Stockwerken auf der Feuerleiter nahm sich dieser Weg verteufelt einfach aus – und auch wesentlich kürzer. Er holte Atem und schenkte dem Protest seines Körpers keinerlei Beachtung, als sich tausend stumpfe Messer in seine Eingeweide zu graben schienen. Stattdessen nickte er zustimmend. Es war ihre einzige Chance.

Jonas entfernte sich einen Schritt von dem Müllcontainer und folgte Jackson. Ein einziger Schritt genügte, um seinen Körper verrückt spielen zu lassen. Der Schmerz war überwältigend und raubte ihm den Atem. Mist. Er würde in dieser verdammten Gasse sterben und, was noch schlimmer war, er würde Jackson mit sich in den Tod reißen, denn Jackson würde ihn niemals im Stich lassen.

Feinde kamen aus allen Richtungen näher und er konnte diese Leiter beim besten Willen nicht hochklettern. Ein Wunder würde geschehen müssen, und zwar sofort. Jetzt konnte sie nichts anderes mehr retten und es gab nur ein einziges Wunder, auf das er sich verlassen konnte. Er wusste, dass sie seinen Ruf bereits erwartete. Sie wusste immer Bescheid, wenn er in Schwierigkeiten steckte. Jonas hatte sein ganzes Leben damit verbracht, sie zu beschützen, und er verzehrte sich so sehr nach ihr, dass er Nacht für Nacht schweißgebadet aufwachte und ihr Name durch sein Schlafzimmer hallte. Dann war sein Körper schrecklich steif und angespannt und ihm war so verflucht unbehaglich zumute, dass er manchmal nicht sicher war, ob er die Nacht überleben würde. Aber er weigerte sich, diesem Verlangen nachzugeben und Ansprüche auf sie zu erheben, solange er sich selbst nicht davon abbringen konnte, Jobs wie diesen hier anzunehmen. Denn der Teufel sollte ihn holen, wenn sie durch seine Schuld getötet wurde.

Dennoch hatte er keine andere Wahl. Sie war der einzige Trumpf in seiner Hand, und wenn er überleben wollte, blieb ihm gar nichts anderes übrig als ihn auszuspielen. Er konzentrierte sich und stellte die Verbindung zu ihrer Seele her. Er kannte sie. Er hatte sie schon immer gekannt. Er konnte sie vor seinem geistigen Auge sehen, wie sie auf der Aussichtsplattform hoch über dem Meer stand. Die platinblonden und goldenen Korkenzieherlöckchen fielen auf ihren langen Rücken, eine Mähne, die bis auf ihren knackigen Hintern reichte. Doch ihr Gesicht war ernst, ihr Blick auf das Meer gerichtet – und sie wartete.

Hannah Drake. Wenn er tief Luft holte, stieg ihm ihr Duft in die Nase. Sie wusste bestimmt, dass er in Schwierigkeiten steckte. Sie wusste es immer. Und, möge Gott ihm beistehen, vielleicht ging es ihm ja nur darum. Vielleicht hatte er sich nach ihrer Aufmerksamkeit verzehrt, sie so dringend gebraucht, dass er geglaubt hatte, sie nur noch auf diese eine Weise erlangen zu können. Sollte er etwa so verflucht verzweifelt sein, dass er nicht nur sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, sondern auch Jackson in Lebensgefahr brachte? Er wusste nicht mehr, was er tat.

Hannah. Ihm war bewusst, dass eine starke seelische Verbindung zwischen ihnen bestand und dass sie seinen Ruf gehört hatte. Dass sie schon in dem Moment Bescheid gewusst hatte, als die Schwierigkeiten begonnen hatten, und dass sie, standhaft wie ein Fels in der Brandung, gewartet hatte und auf ihre eigene Weise ebenso zuverlässig war wie Jackson. Sie wartete nur noch auf eine klare Ortsangabe, bevor sie zuschlug. Jetzt hatte er sie ihr gegeben und gleich würde wirklich der Teufel los sein. Hannah Drake, eine von sieben Töchtern, die jeweils von der siebenten Tochter eines Geschlechtes von außergewöhnlichen Frauen geboren wurden. Der es von Geburt an bestimmt gewesen war, ihm zu gehören. Jeder seiner rasselnden Atemzüge galt Hannah und jedes Versprechen, auf den Füßen und am Leben zu bleiben, legte er vor Hannah ab.

Jackson wies wieder auf das Gebäude und Jonas fluchte tonlos. Er wich mit einem zaghaften Schritt in den Schatten zurück und krümmte sich, als der Brechreiz einsetzte und er jeden Happen und jeden Schluck, den er in den letzten Stunden zu sich genommen hatte, erbrach. Das grässliche Würgen zog eine weitere Woge von Schwindelgefühlen nach sich und Presslufthämmer vollführten einen makabren Stepptanz, der ihm den Schädel zerriss. Schweiß tropfte, Blut rann und die Realität zog sich noch etwas weiter zurück.

Jackson zwängte einen Arm unter seine Schulter. »Es ist wohl unvermeidlich, dass ich dich hier raustrage?«

Wenn sie es schaffen wollten, würden sie Jacksons Waffe brauchen. Jonas musste eine Möglichkeit finden, seine letzten Kraftreserven auszuschöpfen und sich auf den Füßen zu halten, um die Strecke zurückzulegen und mit zwei Kugeln im Leib und einer früheren Schusswunde, die noch reichlich frisch war, in die Freiheit zu klettern. Er schüttelte den Kopf, stützte sich schwer auf Jackson und machte einen weiteren Schritt nach vorn.

Hannah, Baby, jetzt oder nie. Er sandte das stumme Gebet in die Nacht hinaus, denn wenn es jemals einen Moment gegeben hatte, in dem er ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten wirklich und wahrhaftig brauchte, dann war das jetzt.

Der Wind antwortete ihm, indem er sich erhob und heftig brauste. Er wehte mit Orkanstärke durch die Gasse, heulte und riss Holzleisten von den Gebäuden. Bauschutt wirbelte umher, erhob sich in die Lüfte und flog in alle Richtungen. Pappkartons und andere Abfälle schwirrten durch die Luft und knallten gegen alles, was ihnen in den Weg kam. Als der Wind sich seinen Weg ans hintere Ende der Gasse bahnte, begann er in einem Grauen einflößenden Kreis herumzurasen, während er an Geschwindigkeit und an Heftigkeit zunahm. Er kam jedoch nie mit Jackson oder Jonas in Berührung. Es schien fast so, als glitte er um sie herum und bildete einen schützenden Kokon, einen Schutzschild aus Lehmbrocken und Schutt, der eine Barriere zwischen ihnen und der Welt errichtete.

Pass auf dich auf. Vier kleine Worte, die in Seidenstoffe und Satin und zarte Farben gehüllt waren.

»Wir müssen uns in Bewegung setzen«, sagte Jackson.

Jonas zwang seine Füße voranzuschlurfen, obwohl der Schmerz so heftig durch seinen Körper schoss, dass er nur noch die Zähne zusammenbeißen konnte und versuchen musste, seine entsetzlichen Qualen gemeinsam mit der Luft in seiner Lunge auszuatmen. Seine Anstrengungen waren umsonst. Hannah, Schätzchen. Ich glaube nicht, dass ich es zu dir nach Hause schaffe.

Der Wind stimmte ein schrilles Protestgeschrei an und schleuderte alles, was ihm in den Weg kam, in die Luft. Arme und Beine verhedderten sich, als Männer hinabstürzten oder gemeinsam mit dem Schutt gegen Hausmauern knallten. Jonas konnte Schreie und ächzende Schmerzenslaute hören, als ihre Feinde, die in den unnatürlichen Tornado geraten waren, von der Wucht des Windes umhergewirbelt wurden.

Jonas stolperte und schaffte es gerade noch, auf den Füßen zu bleiben, aber mittlerweile waren die Wogen von Schwindel und Übelkeit seine schlimmsten Feinde. Sein Magen hob sich und der Boden schien sich ihm entgegenzuneigen. Er stolperte erneut und diesmal war er sicher, dass er zu Boden gehen würde, denn seine Knie waren weich. Aber bevor er hinfallen konnte, spürte er, wie ihn der Druck des Windes nahezu vom Boden hob, ihn stützte und ihn mit kräftigen Armen umschlang.

Er vertraute dem Wind sein Gewicht an und ließ sich von ihm zur Leiter tragen. Jackson wich zurück, um Jonas den Vortritt zu lassen. Dabei ließ er die Gasse und die Gebäude zu beiden Seiten nicht aus den Augen, die er gegen den heftigen Wind zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen hatte.

Jonas streckte die Hände nach der untersten Sprosse der Feuerleiter aus, als ihn ein glühender Schmerz durchzuckte und ihn auf die Knie zwang. Augenblicklich liebkoste der Wind sein Gesicht, ein zartes Fächeln, als berührte ihn eine kleine Hand mit sanften Fingern. Um ihn herum tobte ein regelrechter Tornado, und doch spalteten sich Ausläufer der wirbelnden Masse ab und schienen ihn mit starken Armen hochzuheben.

Er ließ sich von Jackson auf die Füße helfen, während der Wind ihm Auftrieb gab, und versuchte es noch einmal im Einklang mit Hannahs kräftigem Sturm. Er ließ sich von den starken Aufwinden unterstützen, als er die Knie beugte und sprang, um den Abstand zwischen sich und der untersten Sprosse zu überwinden. Das Metall traf auf seine Handflächen und er schloss seine Finger mit festem Griff darum. Der Wind stieß ihn nach oben und er griff nach der nächsten Sprosse, bevor sein Körper erschüttert feststellen konnte, dass sein gesamtes Gewicht an einer Hand hing.

Irgendwo in weiter Ferne hörte er jemanden einen heiseren Schmerzensschrei ausstoßen. Seine Kehle schien wund gescheuert zu sein und eine Seite seines Körpers brannte höllisch, doch er ließ sich immer wieder vom Wind anstoßen, bis er die Leiter erklommen hatte. Dann kroch er aufs Dach und betete, dass er nicht noch einmal aufstehen würde müssen, obwohl er wusste, dass ihm gar nichts anderes übrigblieb.

Jackson legte ihm eine Hand auf die Schulter, als Jonas auf dem Dach kniete und um Luft rang. »Schaffst du noch einen letzten Spurt?«

Das Dröhnen in seinen Ohren war so laut, dass Jonas die geflüsterten Worte beinah überhört hätte. Nein, zum Teufel. Sah er etwa so aus? Er nickte, schob den Kiefer vor und zog sich mühsam wieder auf die Füße. Der Regen prasselte erbarmungslos auf sie herunter und wurde vom Wind seitwärts gepeitscht, und doch schienen sie immer noch in einen schützenden Kokon gehüllt zu sein.

Von unten ertönten Rufe, als einige der Männer versuchten, ihnen die Leiter hinauf zu folgen. Der Wind nahm an Stärke zu und krachte so heftig gegen das Gebäude, dass weitere Fensterscheiben zersplitterten und die Feuerleiter Unheil verkündend klapperte und so heftig wackelte, dass sich Schrauben und Muttern zu lockern begannen und auf die Straße hinunterfielen. Der Wind packte die kleinen Metallteile und sandte sie wie tödliche Geschosse den Männern entgegen, die versuchten, die Sprossen zu erklimmen.

Männer schrien, ließen die Leiter los und sprangen auf den Boden, um den Schrauben auszuweichen, die mit aller Kraft nach ihnen geschleudert wurden. Einige schlugen tief in die Hausmauer ein, andere in Fleisch und Knochen. Die Schreie klangen zunehmend verzweifelter.

» Verdammt noch mal, Hannah ist tierisch sauer«, sagte Jackson. »So etwas habe ich noch nie erlebt.« Er schlang einen Arm um Jonas und hob ihn auf die Füße.

Jonas musste ihm zustimmen. Der Wind war das Mittel, dessen sich Hannah am liebsten bediente, und man konnte wohl sagen, dass sie den Umgang mit ihm beherrschte. Oh, Mann, und wie sie über den Wind herrschte! Er wollte gar nicht daran denken, wie viel von dieser Wut sich gegen ihn persönlich richten könnte. Er hatte den Drake-Schwestern versprochen, solche Aufträge nicht mehr anzunehmen. Sie wussten sicher längst, dass er Jackson in diese Geschichte hineingezogen hatte, und es würde ihm nicht das Geringste nutzen, wenn er ihnen sagte, dass Jackson darauf bestanden hatte mitzukommen. So leicht würde er sich nicht aus der Affäre ziehen können.

Er konzentrierte sich auf seine Atmung und auch darauf, die Schritte zu zählen, als Jackson ihn über das Dach an die Kante zerrte. Jonas wusste, was jetzt kommen würde. Er würde springen und auf dem nächsten Dach landen müssen. Von dort aus konnten sie zur Straße hinuntersteigen und würden in Sicherheit sein. Hannah würde die russischen Gangster so lange zurückhalten, wie es ihr möglich war. Da sich nur ihre Schwester Sarah derzeit im Lande aufhielt und sie unterstützen konnte, würde Hannah irgendwann die Kraft ausgehen. Sie musste ganz allein auf der Aussichtsplattform in der Kälte stehen. Es war ihm ein Gräuel – die Vorstellung, dass er ihr das zugemutet hatte.

»Kannst du es schaffen, Jonas?«, fragte Jackson schroff und seine Stimme klang betont forsch.

Jonas malte sich Hannah aus, wie sie jetzt auf der Aussichtsplattform mit Blick auf das Meer stand. Eine wunderschöne, große Frau, deren riesige blaue Augen grimmig blickten, während sie sich konzentrierte und ihre Hände hoch in die Luft erhoben hatte, um den Wind zu dirigieren, der ihren Gesang mit sich trug.

Wenn er es nicht schaffte, konnte er nicht zu Hannah zurückkehren, und er hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebte. Nicht ein einziges Mal. Noch nicht einmal damals, als sie an seinem Krankenhausbett gesessen und ihm ihre gesamte Kraft eingeflößt hatte, damit er wieder gesund wurde. In Gedanken hatte er es ihr immer wieder gesagt, er hatte es im Traum gesagt und einmal hatte er sogar angesetzt, es zu ihr zu sagen, doch er wollte nicht riskieren, sie zu verlieren, und daher war er im letzten Moment verstummt.

Er beschützte seine Mitmenschen – das war es, was er tat und was ihn ausmachte. Aber in erster Linie beschützte er Hannah – sogar vor der Gefahr, die ihr von seiner Seite drohte. Seine Gefühle waren stets sehr intensiv, ob es nun seine rasende Wut war, die ihn fast zum Amoklauf trieb, sein unbändiges Verlangen nach ihr oder die verzehrende Sehnsucht, die er verspürte, wenn er an sie dachte. Schon in seiner Schulzeit hatte er gelernt, seine Gefühle vor ihr zu verbergen, denn damals hatte er erkannt, dass sie genau spürte, wie andere sich fühlten, und wie schmerzhaft es für sie sein musste, sich ständig in andere hineinzuversetzen. Er hatte seine Gefühle über einen so langen Zeitraum verborgen, dass es ihm zur zweiten Natur geworden war. Ganz gleich, welche Gelegenheit sich ihm geboten hatte – er schob immer wieder die alte Ausrede vor, sein Beruf brächte Hannah in Gefahr.

Das kam ihm jetzt ziemlich albern vor, vor allem, weil er sich nun Hilfe suchend an sie wandte. Er zog seine Hand von seiner Seite und blickte auf das dicke Blut hinunter, das seine Handfläche überzog. Jonas sparte sich die Mühe, Jackson eine Antwort zu geben. Er holte tief Atem und sprang. Der Wind kam von hinten und stieß ihn so fest an, dass sein Körper auf das Dach des Nebenhauses geschleudert wurde. Er konnte nicht auf den Füßen bleiben und brauchte sich auch gar nicht erst an einer eleganten Landung zu versuchen. Er knallte fest auf das Dach, landete bäuchlings mit dem Kopf voran und es verschlug ihm den Atem. Die Schmerzen waren überwältigend.

Das Dunkel schloss sich um ihn, kämpfte um die Vorherrschaft und versuchte, ihn sich einzuverleiben. Nichts wünschte er sich sehnlicher als das – in friedlicher Selbstvergessenheit zu versinken –, doch der Wind, der um ihn herum peitschte, trug eine weibliche Stimme mit sich, die zart, flehend und verlockend war. Sie flüsterte ihm ins Ohr, während der Wind sein Haar zerzauste und seinen Nacken streichelte. Komm zu mir nach Hause. Komm nach Hause.

Seine Eingeweide verkrampften sich und er zog sich mühsam auf die Knie, obwohl der Brechreiz wieder einsetzte. Jackson schob eine Hand unter seine Achselhöhle. »Ich trage dich.«

Vom Dach hinunter und ans Ende der Straße. Jackson hätte es tatsächlich gemacht, aber Jonas dachte gar nicht daran, das Leben seines besten Freundes erneut aufs Spiel zu setzen. Er schüttelte den Kopf und zwang sich, den Weg zur Dachkante zurückzulegen. Ihm waren nur noch sein Selbsterhaltungstrieb und bloße Willenskraft geblieben. Er fand die Feuerleiter und machte sich an den Abstieg. Jeder einzelne Schritt war so schmerzhaft, dass sein Körper innerlich aufzuschreien schien. Die Wogen von Benommenheit und Übelkeit folgten so schnell aufeinander, dass er sie nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. Sein Kopf schien in den Wolken zu schweben und der Boden weit weg zu sein. Die Realität zog sich immer weiter zurück, bis er sich einfach von ihr löste und sich treiben ließ.

Irgendwo in weiter Ferne glaubte er den Aufschrei einer Frau zu hören. In Jacksons Stimme fand dieser Aufschrei seinen Widerhall und eine Hand packte grob sein Hemd. Der heftige Ruck gab ihm den Rest und sandte ihn in die Dunkelheit. Das Letzte, was er hörte, waren die Geräusche, mit denen der Wind auf ihn einströmte.

 

Hannah Drake stand auf der Aussichtsplattform über dem finsteren, brodelnden Meer und hatte die Arme hoch erhoben, als sie den Wind zu sich rief, ihn in die gewünschten Bahnen lenkte und ihn mit rasender Geschwindigkeit durch die Nacht zu Jonas Harrington sandte. Furcht und Zorn verbanden sich miteinander, zwei starke Gefühle, die tosend durch ihr Herz brausten, ihr Blut erhitzten und ein Gemisch hervorbrachten, das der Kraft des Windes noch mehr Treibstoff gab. Winzige Pünktchen aus Licht hellten den Himmel um ihre Finger herum auf, als sie die Kräfte, über die sie gebot, weiterhin um sich versammelte und sie dirigierte.

Tief unter ihr sprühte die Gischt in die Luft, während Wellen mit Donnergetöse gegen Felsen schlugen. Das Meer war aufgewühlt und brachte kleine Zyklone hervor, Wirbelstürme, die über die Wasseroberfläche rasten, zwei Säulen aus kreisendem Wasser, die gemeinsam mit ihr wüteten.

Hannah.

Sie hörte seine Stimme in ihrem Kopf, eine sanfte Liebkosung, die sie wärmte und sie doch gleichzeitig frösteln ließ. Es klang zu sehr nach einem Abschied. Blankes Entsetzen packte sie. Ein Leben ohne Jonas konnte sie sich nicht vorstellen. Was war passiert? Sie war mit pochendem Herzen und seinem Namen auf den Lippen aufgewacht. Ihr war sofort klar gewesen, dass gerade etwas Furchtbares geschah und dass sein Leben in Gefahr war. Manchmal schien es ihr so, als sei sein Leben ständig in Gefahr. »O Jonas«, flüsterte sie, »warum drängt es dich immer wieder, solche Aufgaben zu übernehmen? «

Der Wind entriss ihr diese Frage und schleuderte sie über das Meer hinaus. Ihre Hände zitterten und sie biss fest auf ihre Unterlippe, um die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Sie musste ihn heil nach Hause bringen. Worauf auch immer er sich eingelassen hatte – es war grauenhaft. Als er sich ihr öffnete und sie in Verbindung miteinander traten, konnte sie nur flüchtige Blicke in sein Inneres werfen. Es sah so aus, als hätte er seine Gefühle und Erinnerungen in aller Hast offengelegt. Sie sah Schmerzen und Blut und fühlte seine maßlose Wut aufblitzen, bevor er die Verbindung abrupt abreißen ließ.

Sie brauchte genauere Ortsangaben, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Die fand sie bei Jackson, der für diese Form von Kontaktaufnahme aufgeschlossener war. Jonas war zu besorgt um sie und fürchtete, sie könnte ihre Energien aufzehren. Jackson gab ihr den Blick auf die Gasse frei, auf die Verfassung, in der Jonas war, und auf das Gebäude, dessen Dach sie erreichen mussten.

Für diese Informationen zeigte sie sich in Form von Wärme und Farben erkenntlich, denn sie wusste, dass Jackson ihre Botschaft verstehen würde. Dann hob sie wieder die Arme und befehligte die fünf Elemente: die Erde, als feste Substanz, das Feuer, mächtig und beängstigend zugleich, die Luft, stets in Bewegung – und ihr das Liebste unter den Elementen. Die Luft war ihr ständiger Begleiter und Ratgeber, der ihr Konzentration und die Macht der vier Winde zur Verfügung stellte und sie sehend machte. Und dann waren da noch das Wasser, die psychische Geisteskraft, und natürlich der Geist, die Kraft, die das Universum zusammenhielt.

Hannah, Baby, jetzt oder nie.

Hannah holte tief Atem und machte sich die Kraft des Windes zunutze. Sie verwendete sie gezielt und mit großer Konzentration und setzte ihren Geist ein, um die Elemente zu ihrer Hilfe heranzuholen. Sie flüsterte ein kleines Dankgebet und öffnete sich dem Universum und sämtlichen potentiellen Kräften, die sie um sich versammeln konnte, um Jonas beizustehen. Die Luft über ihr wurde dichter und dunkler und Wolken begannen in einem zischenden Gebräu zu brodeln und zu sprudeln. Elektrizität blitzte auf und ließ die Ränder der schwersten Wolken knistern. Der Wind nahm noch mehr an Heftigkeit zu, was bewirkte, dass die Zyklone draußen auf dem Meer größer wurden und noch schneller über das Wasser wirbelten.

Grauen umklammerte ihr Herz und schlug ihr auf den Magen. Ein Leben ohne Jonas war ihr unvorstellbar. Er war arrogant und herrisch und wollte immer, dass alles nach seinem Kopf ging. Aber er war auch der fürsorglichste und liebevollste Mann, der ihr jemals begegnet war, und stets darauf bedacht, sie und ihre Schwestern zu beschützen. Wie viele Jahre ging das jetzt schon so? Wie oft würde er sein Leben noch aufs Spiel setzen, bevor er es einmal zu oft riskierte?

Pass auf dich auf. Sie flüsterte die Worte in ihrem Kopf und sandte Jonas die Nachricht, in zarte, warme Farben gehüllt. Sie hoffte, ihre simple Bitte würde ihm viel mehr als nur den Wortlaut übermitteln. Der Wind griff ihre Furcht und dann auch ihre Wut auf, als sie von Jackson ein weiteres Bild erhielt. Die beiden Männer stiegen eine Leiter hinauf und Jonas kam ins Taumeln. Ihr Herzschlag ging stockend, als sie ihn stolpern sah.

Hannah, Schätzchen. Ich glaube nicht, dass ich es zu dir nach Hause schaffe.

Ihr Herz wäre fast stehen geblieben. Eine vorübergehende Flaute trat ein und dann wurde sie plötzlich von ungeheurer Wut gepackt und ließ zu, dass dieses grauenhafte Bedürfnis nach Vergeltung tief in ihrem Innern ausbrach und jede Spur der Zurückhaltung sprengte, die sie sich sonst so sorgsam auferlegte. Sie ließ den Wind grausame Ausmaße annehmen, eine zerstörerische Furie, die durch die Nacht raste und in Gestalt eines gefräßigen Tornados über diese ferne, dunkle Gasse hereinbrach.

Der Sturm fiel über unglückselige Männer mit erbärmlichen Waffen her, die gegen die Naturgewalten machtlos waren. Die gewalttätigen Böen zerschmetterten Fensterscheiben und ließen einen Regen aus Glassplittern herabgehen. Bretter wurden aufgehoben und so ungestüm durch die Gegend geworfen, als tobte sich ein aufsässiges Kind in einem grandiosen Wutanfall aus. All das wurde von der zauberhaften Hannah inszeniert, diesem Unschuldsengel, dessen auflodernder Zorn Jonas’ Gegner brutal auf den Boden schleuderte. Dieser heftigen Attacke in Form von Wind und Regen und eisigen Hagelkörnern waren sie hilflos ausgeliefert.

Inmitten dieses Tumults fühlte sie, wie Jonas ihr entglitt, sich immer weiter vor ihr zurückzog und von Schmerzen überwältigt wurde, die auch sie ergriffen. Die Verbindung begann abzureißen. Sie sandte einen stetigen Luftstrom aus, um ihn hochzuheben. Die Winde trugen ihn an der Hauswand hinauf und über die Dachkante in die Freiheit. Sie sandte eine schwächere Brise aus, die spielerisch über sein Gesicht und seinen Nacken glitt, denn sie musste versuchen, ihn wach zu halten, bis Jackson beide in Sicherheit gebracht hatte.

Sie spürte, wie er Kraft für eine letzte riesige Anstrengung sammelte, und sie sandte einen letzten Windstoß aus, der sich um ihn schlingen und ihn von einem Dach aufs andere bringen sollte. Sie nahm den durchdringenden Schmerz wahr, so qualvoll, dass sie keuchend auf die Knie fiel und die Tränen, die ungehindert über ihre Wangen liefen, ihr die Sicht verschleierten. Komm zu mir nach Hause. Komm nach Hause. Die flehentliche Bitte wurde von flammenden Rottönen und von Gold umrandet und loderte vor Licht und Verlangen.

2.

Jonas blinzelte, als er aus einem Meer von Schmerzen auftauchte. »Meine Fresse, du siehst wirklich zum Fürchten aus«, teilte er Jackson mit. » Wo zum Teufel hast du diesen Gesichtsausdruck her? Den hast du sicher lange vor dem Spiegel einstudiert.«

Jackson grinste ihn an, doch in seinen Augen stand weiterhin Sorge. »Das war nicht nötig. Es hat gereicht, dir in die Hölle und wieder zurück zu folgen. Du bist ja ein solcher Schwächling, Harrington. Ohnmächtig zu werden wie ein Mädchen. Ich musste deine erbärmliche Gestalt den ganzen weiten Weg bis zum Wagen tragen.«

»Ich wusste doch gleich, dass du mir das vorhalten würdest.« Jonas atmete ein und seine Miene verfinsterte sich augenblicklich. »Nicht schon wieder ein Krankenhaus. Du musst wirklich tierisch sauer auf mich sein.«

»Du brauchtest ein paar Pullen Blut.«

Jonas enthielt sich einer Antwort, als der Arzt in Sicht kam und ein Tablett näher ans Bett schob. Das würde gar nicht lustig werden.

Jackson schenkte dem Arzt keinerlei Beachtung. »Du wirst dich demnächst mal fragen müssen, was zum Teufel du da eigentlich immer anstellst, Jonas, denn sonst bringst du uns demnächst noch beide um.«

»Niemand hat dich aufgefordert mitzukommen«, fauchte Jonas, obwohl er wusste, wie undankbar das war. Er konnte es nicht leiden, die Wahrheit zu hören, und erst recht nicht, wenn er genau wusste, wovon die Rede war. Nicht wovon, sondern von wem.

Jackson schüttelte den Kopf und sah ihn fest an. »Du kannst die Welt nicht retten, und damit wirst du dich abfinden müssen. Und du musst dringend die Sache mit Hannah klären.«

» Verflucht noch mal, kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, fauchte Jonas, der genau wusste, dass er seinem Freund Unrecht tat, aber er konnte einfach nicht anders. Er verabscheute Krankenhäuser und kannte sie bereits zur Genüge. So schlimm war die Wunde nun auch wieder nicht. Er hatte bloß geblutet wie ein Schwein und war nicht ganz auf der Höhe gewesen. Er wollte sich die Nadel aus dem Arm reißen und verschwinden.

Jackson starrte ihn an und ein aufziehender Sturm ließ seine schwarzen Augen funkeln. Niemand sonst war dumm genug, sich freiwillig in Teufels Küche zu begeben, keiner außer Jonas. Wann hatte er den Verstand verloren? Jackson hatte diesen Blödsinn nicht verdient.

»Du hast es bereits zu meiner Angelegenheit gemacht, und versuch jetzt bloß nicht so zu tun, als sei Hannah nicht der Grund dafür, dass wir in der Scheiße sitzen. Wenn du dich mit der Frau zusammenraufen würdest, dann könnte dich keiner zu einem derart blödsinnigen Auftrag überreden. Dann wärest du auf deine Sicherheit bedacht, Jonas, und das wissen wir beide.«

Jonas machte den Mund auf, um die Beschuldigung zurückzuweisen, doch er ließ ihn gleich wieder zuschnappen, als Jackson ihn fest ansah. Der Arzt goss eine feuergefährliche Flüssigkeit auf seine Wunde und raubte ihm damit jeden klaren Gedanken. Er brach erneut von Kopf bis Fuß in Schweiß aus, biss die Zähne zusammen und bemühte sich, nicht ohnmächtig zu werden.

»Das ist alles ziemlich kompliziert«, sagte er, als er wieder Luft bekam. Der Arzt gab ihm etliche Spritzen und um ihn herum verschwammen die Konturen und verdunkelten sich. »Hannah Drake ist nicht so wie andere Frauen. Sie unterscheidet sich von ihnen … sie ist etwas Besonderes.«

Sie war … einfach alles! Die reinste Magie. Sie gehörte ihm – oder sie hätte ihm gehören sollen. Warum zum Teufel gehörte sie ihm nicht?

»Du bist ganz grün im Gesicht«, sagte Jackson. » Werde mir bloß nicht schon wieder ohnmächtig.«

Jackson entging kaum etwas. Er nahm jede Bewegung und jedes Geräusch wahr, behielt die Fenster, Türen und den Verkehr auf der Straße im Auge und sah trotzdem noch, dass Jonas wankte, als der Arzt die Wunden zu nähen begann.

»He! Die Stelle ist nicht betäubt«, fauchte Jonas. Er biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Wenn der Arzt die Nadel noch ein einziges Mal in seine Haut stach, würde er wahrscheinlich seine Waffe ziehen und den Mann erschießen.

»Beeilen Sie sich, Doc, die Naht muss ja nicht schön werden«, sagte Jackson. Er ging zur Tür und lugte hinaus.

Jonas fiel auf, dass er die Hand unter sein Jackett geschoben hatte, damit er jederzeit die Waffe ziehen konnte. Der Arzt gab Jonas noch eine Betäubungsspritze und Jonas kniff die Lippen fest zusammen, um nicht lauthals zu fluchen. Jackson sah sich nach ihm um und sein Blick war alles andere als mitfühlend.

Jonas schloss die Augen und dachte an Hannah. Warum hatte er nicht für klare Verhältnisse gesorgt, bevor es so weit gekommen war? Er liebte sie. Er konnte sich an keine Zeit erinnern, zu der er sie nicht geliebt hatte. Es war ganz von allein passiert. Er liebte ihr Lächeln, die Haltung ihres Kopfes, das aufblitzende Feuer in ihren Augen, ihre schmollend vorgeschobene Unterlippe. Er war ein Mann, der immer alles unter Kontrolle haben wollte und doch brachte ihn Hannah aus dem Gleichgewicht. Hannah konnte man nicht unter Kontrolle haben. Sie war wie der Wind, unberechenbar und nicht zu fassen. Jedes Mal glitt sie ihm durch die Finger, bevor er sie einfangen und festhalten konnte.

Die wenigsten Leute gingen ihm unter die Haut, aber sie verstand es, ihn wütend zu machen. Sie konnte ihn aber auch mit einer einzigen Berührung beschwichtigen. Es machte ihn glücklich, sie einfach nur anzusehen, sie bei den alltäglichsten Handgriffen zu beobachten, und doch wollte er sie die Hälfte aller Zeit übers Knie legen und ihr das herrlich geformte Hinterteil versohlen. Hannah war kompliziert und er brauchte das Unkomplizierte. Sie war brillant und er war ein reines Muskelpaket. Sie war ätherisch und unnahbar, die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte – sie war einfach märchenhaft und für ihn vollkommen unerreichbar.

Sie würde wütend auf ihn sein, weil er sich schon wieder in eine Lage gebracht hatte, in der auf ihn geschossen wurde. Vor allem, da das letzte Mal erst wenige Wochen zurücklag und er ohne sie gestorben wäre. Der Versuch, ihn zu retten, hätte auch sie beinah das Leben gekostet. Tagelang hatte sie ununterbrochen an seinem Bett gesessen, ihm ihre Kraft eingeflößt und nichts für sich selbst zurückbehalten. Er war zu schwach gewesen, um sie von sich zu stoßen. Er hatte sie in so vieler Hinsicht an seiner Seite gebraucht, aber es war höllisch gewesen zu beobachten, wie blass und zerbrechlich sie wurde, während seine Kraft zunahm.

Und wie hatte er es ihr hinterher gedankt? Gewiss nicht so, wie sie es verdient hätte, so viel stand fest. Er war gereizt und unruhig gewesen, verdrossen und übellaunig. Als der Boss der geheimen Spezialeinheit, für die er früher gearbeitet hatte, sich Hilfe suchend an ihn gewandt hatte, hatte er die Gelegenheit beim Schopf ergriffen. Lieber sah er dem Tod ins Auge wie ein trotziges Kind. Und all das nur, weil er sie so sehr liebte, dass es die reinste Folter war. Außerdem wusste er, dass er sie niemals haben und gleichzeitig sein Leben wie bisher weiterführen konnte. Es war nicht etwa so, dass Hannah Einwände gegen die Gefahren erheben würde, denen er sich aussetzte – falls sie ihn überhaupt jemals nahm. Für ihn kam es nicht in Frage, sie in Gefahr zu bringen. Im Lauf der Jahre hatte er sich genug Feinde gemacht und einer von ihnen würde ihn sich früher oder später zwangsläufig vorknöpfen – verdammt, es war doch schon mehr als einmal passiert.

Er holte Atem und bemühte sich, nicht zusammenzuzucken. »Okay. Du könntest Recht haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie etwas damit zu tun hatte.«

Jackson zog eine Augenbraue hoch. »Nicht ausgeschlossen«, sprach er ihm nach.

Jonas sah ihn finster an. »Mach nur so weiter. Dann bekommst du für die nächsten zehn Monate die Schichten zugeschanzt, die keiner haben will.« Das war eine leere Drohung, aber mehr hatte er nicht in der Hand. Er fühlte sich so verflucht müde und ausgelaugt, dass er sich am liebsten eine Zeit lang verkrochen hätte, aber er wusste, was auf ihn zukam und dass es nicht aufzuhalten war.

Jackson wartete, bis der Arzt das Zimmer verlassen hatte, bevor er einen Stuhl ans Bett zog und sich mit der Lehne zwischen seinen gespreizten Beinen so hinsetzte, dass er sowohl die Tür als auch das Fenster im Blick hatte. »Es ist mein Ernst, Jonas. Du bringst dich noch selbst ins Grab. Du hast dich für diese Aufnahme deutlich sichtbar ins Licht gestellt. Du musstest wissen, dass du dir eine Blöße gegeben hast.«

»Karl Tarasov, dieser hundsgemeine Killer, hat unserem Fahrer eine verfluchte Kugel in den Kopf geschossen, Jackson«, fauchte Jonas.

»Das war stümperhaft und du weißt es selbst.« Jackson schwieg einen Moment lang. »Oder selbstzerstörerisch.« Wieder verstummte er und ließ das Wort zwischen ihnen in der Luft hängen.

Jonas seufzte und schüttelte den Kopf. »Es hängt mir zum Hals raus, Jackson. Ich bin es leid. Mit Selbstmordgedanken hat das nichts zu tun. Ich war stinksauer. Er hätte den Fahrer nicht umbringen müssen, das war nicht nötig. Terry hatte nichts gesehen. Tarasov wollte damit seinen Standpunkt klarmachen. Der Teufel soll sie holen. Ich war furchtbar wütend.«

»Du solltest dich auf solche Jobs nicht einlassen, das ist keine Arbeit für dich, Jonas, ich habe es dir schon öfter gesagt. Dir fehlt die Distanz. Wir haben all diese Jahre überlebt, weil wir cool geblieben sind. Du bist nicht für Terrys Tod verantwortlich. Es war sein freier Entschluss, den Wagen zu fahren. Du warst zu keinem Zeitpunkt dafür verantwortlich, wenn wir einen unserer Männer verloren haben.« Er seufzte. Das Reden war nicht gerade seine Stärke und er hatte schon viel zu viel geredet, damit Jonas auf den Beinen blieb. Aber das hier war wichtig genug. Jonas würde sich früher oder später umbringen, wenn er so weitermachte. »Für Gefühle bezahlt man in dieser Branche mit dem Leben.«

Es gab nur wenige Männer, die Jackson respektierte, und Jonas war einer von ihnen. Der Mann war immer fürsorglich und ließ einen nie im Stich. Es spielte keine Rolle, ob Kugeln durch die Luft flogen und der Dschungel immer dichter wurde – er würde zurückkommen und einen rausholen. Aber ein solches Leben forderte von jedem, der nicht unbeteiligt blieb, seinen Tribut, und Jonas fraß es bei lebendigem Leibe auf.

Jonas fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Jackson hatte Recht. »Ich weiß.« Aber er hatte nie gelernt, seine Gefühle auszuschalten. Ja, zum Teufel, er fühlte sich für andere verantwortlich. Jede zweite Nacht konnte er nicht schlafen, weil er an die Knaben dachte, diese jungen Rangers, die seinem Befehl unterstellt und in Särgen heimgekehrt waren. Es waren zu viele gewesen und in der letzten Zeit hatten sie ihn Tag und Nacht wie ein Spuk verfolgt.

»Du bist total durcheinander, Mann. Sie hat dich restlos verwirrt. Du wirst das, was zwischen euch beiden ist, lösen müssen, sonst überlebst du es nicht. Falls du darauf wartest, dass du sie dir aus dem Kopf schlägst – spar dir die Mühe. Ich kenne dich inzwischen seit fast fünfzehn Jahren. Du warst schon damals in sie verliebt und jetzt ist es noch schlimmer um dich bestellt. Es besteht nicht die geringste Chance, dass diese Gefühle sich legen werden. Unter dem Strich heißt das, Kumpel, dass du im Lauf der Jahre immer wieder verrückte Dinge getan hast. Diesen Mist kannst du dir aber nicht leisten, wenn du Geheimaufträge ausführst.«

Jonas fluchte tonlos. Jackson erzählte ihm nichts, was er nicht schon längst wusste. Wenn er zu leugnen versuchte, dass es so weit mit ihm gekommen war, und die Behauptung aufstellte, er hätte seinen Grips immer noch beisammen, dann wäre das eine Lüge gewesen. Er dachte täglich jede Minute an Hannah. Nachts träumte er von ihr, wenn er zur Abwechslung tatsächlich einmal schlafen konnte. Oft wachte er schweißgebadet und steinhart auf – dann glühte sein Körper vor Verlangen und er hatte ihren Geschmack im Mund und ihren Duft um sich herum. Es wurde immer schlimmer und mittlerweile fürchtete er sich schon davor, sich abends schlafen zu legen. Wenn er sie dann sah, musste er einen Grund finden, um sie von sich zu stoßen. Ansonsten würde er nämlich etwas Verrücktes tun, sie beispielsweise in seine Arme ziehen. Das würde ihn jedoch in Teufels Küche bringen, weil er nicht wusste, wie er etwas anderes sein konnte als das, was er war.

»Du hast verfluchtes Glück gehabt, dass sie sich nicht längst einen anderen Mann gesucht hat, Jonas.«

» Wag es bloß nicht, Jackson.«

Jackson hob alarmiert den Kopf. Sein Körper wurde stocksteif und plötzlich wirkte er bedrohlich. Er stand abrupt auf und bedeutete Jonas, keinen Laut von sich zu geben, bevor er wieder einmal zur Tür schlich. »Wir haben Gesellschaft.«

»Das soll wohl ein Witz sein.« Er machte sich gar nicht erst die Mühe zu fragen, ob Jackson sich seiner Sache sicher war – die Instinkte dieses Mannes hatten sie im Lauf der Jahre wiederholt gerettet. Jonas riss die Nadel aus seinem Arm, glitt vom Bett und sah sich hektisch nach seinem Hemd um. Es war in Streifen geschnitten und der Stoff lag in einem blutigen Haufen auf dem Boden. Er schnappte sich seine Jacke und schlüpfte in die Ärmel. »In was zum Teufel hat uns Duncan da reingeritten? Karl Tarasov wird nicht aufgeben, bevor er das Beweisstück an sich gebracht hat. Er denkt nicht im Traum daran, seinen Onkel wegen Mordes hängen zu sehen.«

Jackson hielt vier Finger hoch. »Draußen warten bestimmt auch schon welche. Die Brüder Gadijan würden vor nichts zurückschrecken, um uns in die Finger zu kriegen.«

»Mist.« Boris und Petr Tarasov waren die Oberhäupter der Familie von abscheulichen Gangstern, die für ihre Fähigkeit bekannt war, in jedem Erdteil Geld zu waschen. Ihre kriminellen Aktivitäten waren legendär und sie herrschten mit blutiger Gewalt. Karl, Petrs Sohn, und die Brüder Gadijan, seine Schwager, waren ihre schärfsten Hunde. Sie auf den Fersen zu haben verhieß nichts Gutes.

Jonas ging instinktiv auf die Tür zu, doch Jackson vertrat ihm den Weg. »Das, was wir gegen sie in der Hand haben, ist zu wichtig, um es einzubüßen. Wenn du es auf eine Schießerei mit diesen Männern ankommen lassen willst, machen wir ein bisschen Lärm, um ihre Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, und dann locken wir sie an einen anderen Ort, damit sie keine Unschuldigen erwischen. Denn hier können wir uns keinen Schusswechsel mit ihnen leisten.«

Das wusste Jonas selbst. Natürlich hatte er nicht vor, Zivilisten in die Schusslinie zu bringen, aber er konnte die Wut wieder in sich aufsteigen spüren – und es sprach Bände, dass Jackson das Gefühl hatte, ihn daran erinnern zu müssen.

Was zum Teufel hatte Gray sich dabei gedacht? Er wusste, dass zumindest eine der zwei prominentesten Familien der Russenmafia mit Sitz in San Francisco in diese Angelegenheit verwickelt war. Die Tarasovs machten sich gar nicht erst die Mühe zu verbergen, was sie waren. Sie terrorisierten vorsätzlich ihre eigenen Leute und übten Blutrache, wenn ihnen jemand in die Quere kam. Es war schon vorgekommen, dass sie ganze Familien ausgelöscht hatten. Boris und Petr Tarasov führten eine Schreckensherrschaft über ihr Reich.

Sergej Nikitin, ihr größter Rivale, zog es vor, den Schein eines prominenten Geschäftsmannes und Jetsetters zu wahren. Er wollte akzeptiert werden und verkehrte mit den Reichen und Mächtigen. Seine Verbrechen verbarg er hinter einem aalglatten Lächeln, während er unablässig Befehle erteilte, jeden zu töten, der sich ihm entgegenstellte. Angeblich waren er und Jackson auf die Tarasov-Familie angesetzt worden. Aber im Moment machte sich Jonas große Sorgen, weil sie in eine viel größere Sache hineingeraten waren. Was auch immer es war, es verhieß nichts Gutes.

Er fluchte leise, als er die dünne Decke von der Trage zog, sie um seinen Arm wickelte und so laut wie möglich die Fensterscheibe einschlug, um die Aufmerksamkeit der Gangster auf sich zu lenken, damit sie die Verfolgung aufnahmen. Jonas entfernte die scharfkantigen Reste der Glasscheibe, hievte sich schleunigst hinaus und trat zur Seite, um Jackson Deckung zu geben, als er ihm folgte.

Sie befanden sich auf einem schmalen Streifen Land zwischen den Flügeln des Krankenhauses. Es war der reinste Irrgarten. Der gewaltige Gebäudekomplex war derart verwinkelt, dass sie in seinem Schutz Deckung finden würden. Sie warteten, bis sie die Rufe aus dem Zimmer kommen hörten, in dem sie gerade noch gewesen waren. Erst dann kauerten sie sich zusammen, um durch die Fenster nicht gesehen zu werden, und rannten in gebückter Haltung eilig los. Jonas drückte den Verband auf seine Seite, um keine Blutspur zurückzulassen.

Ein Ruf und ein Schuss ins Blaue sagten ihnen, dass sie verfolgt wurden. Während er sich einen Weg um die Gebäude herum bahnte, versuchte Jonas sich die Einzelheiten des Vorfalls, den sie gefilmt hatten, ins Gedächtnis zurückzurufen. Es war alles blitzschnell gegangen. Erst hatten die Männer geredet und gelacht. Niemand, der besonders auffiel, und kein Mitglied einer gegnerischen Familie war beteiligt gewesen. Und plötzlich hatten sich die Gadijan-Brüder und Karl Tarasov zu der kleinen Versammlung gesellt. Sie hatten in den Schatten bereit gestanden, wo Jonas sie nicht sehen konnte.

Die Männer waren augenblicklich auf der Hut gewesen. Als Boris und Petr Tarasov aufgetaucht waren, war jedoch immer noch nichts Ungewöhnliches zu erkennen gewesen … der Umgangston war freundschaftlich. Ohne jede Vorwarnung hatte Karl dann diesen einen Mann aus der Gruppe herausgepickt und Petr hatte ihn erschossen.

Jonas wünschte, er hätte den Mann genauer sehen können, der gekommen war, um die Russen zu warnen. Er war schnell näher gekommen, sein Gesicht verhüllt und abgewandt, den Hut tief in die Stirn gezogen und die Augen trotz der dichten Dunkelheit hinter dunklen Brillengläsern verborgen. Er hatte gewusst, dass die Kamera auf sie gerichtet war – und das hieß, dass es sich um einen Eingeweihten handeln musste. Sie hatten einen Verräter im Verteidigungsministerium sitzen, jemanden, der von der russischen Mafia bezahlt wurde.

Hatte er das Gesicht des Verräters auf dem Film festgehalten? Jonas bezweifelte es. Er hatte es versucht und die Kamera sogar nach unten geschwenkt, um die Schuhe aufzunehmen, aber dann war der Teufel los gewesen. Sämtliche Männer hatten sich zu ihnen umgedreht, hinter der Gruppe war ein Ruf ertönt und Befehle waren auf Russisch erteilt worden. Die Männer hatten angefangen, Schüsse abzugeben, um sie an Ort und Stelle festzunageln. Karl Tarasov war zu ihrem Wagen gelaufen, um in die Reifen zu schießen und ihren Fahrer zu töten.

Etwas Grässliches war in Jonas aufgestiegen, als er gesehen hatte, wie Karl Terry eine Kugel in den Kopf schoss. Er konnte sich nicht daran erinnern, aus seiner Deckung herausgekommen zu sein, nur daran, dass ihn der Zorn überwältigt hatte. Es war noch keine halbe Stunde her gewesen, seit er sich mit Terry über seine Familie unterhalten hatte, die Mutter, die er liebte und unterstützte, seine Ehefrau, die mit dem ersten Kind schwanger war. Er hatte erzählt, wie viel Spaß es ihm machte, sein Geschick als Fahrer einsetzen zu können und nicht aus der Übung zu kommen, da er eine Möglichkeit gefunden hatte, seiner geliebten Arbeit weiterhin nachzugehen, ohne dabei zu viel zu riskieren. Zum Glück hatte Jonas vorher im tiefen Schatten gestanden und Jackson hatte ihn zurückgezerrt, als die Kugeln ihn trafen.

Verdammter Mist. Jonas hätte am liebsten schon wieder auf etwas eingeschlagen. Wie viele Jungen hatte er schon sterben sehen? Für nichts und wieder nichts. Für Macht oder Geld oder die Ideologie anderer. Als alles vor seinen Augen verschwamm, hob er eine Hand zu seinem Gesicht und stellte schockiert fest, dass seine Finger nass von Tränen waren. Dafür war er viel zu alt. Was sollte das alles?

Jackson ließ eine Hand auf seine Schulter sinken und beide blieben kauernd stehen. »Du kannst sie nicht alle retten«, rief er ihm leise ins Gedächtnis zurück.

Jonas antwortete nicht darauf. Nein, zum Teufel, das wusste er selbst, aber er hätte Terry im Auge behalten sollen. Der Tod und die Abscheulichkeiten, die bestimmte Menschen anrichteten, hingen ihm zum Hals heraus. Und er hatte das ewige Rennen satt. »Bist du dir bei der Anzahl sicher?«