Männergeschichten 3 - Torsten Ideus - E-Book

Männergeschichten 3 E-Book

Torsten Ideus

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Beschreibung

Was macht einen Mann überhaupt zum Mann? Das Umbrella-Spektrum öffnet eine Tür zu einer neuen Welt! Cis-Männer, Trans-Männer, Von non-binary bis maverique! Gibt es für Männer noch Grenzen? Und wo hört Sexualität auf und fängt Geschlechtsidentität an? 30 neue Geschichten, die noch tiefer in die "Materie Mann" gehen!

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Das Regenbogen-Spektrum

kennt keine Grenzen.

In uns Menschen finden wir

alle Facetten der Welt.

Für Jason.

Ein Mysterium für sich.

&

Für Alex B.

Dein Buch hat mein Herz berührt.

Auch wenn diese Anthologie größtenteils in einer

realen Kulisse angesiedelt ist, sind die Handlung

und die Personen frei erfunden. Ähnlichkeiten

mit lebenden Personen und Organisationen wären

rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Vorwort

Dieses Buch ist ganz anders geworden, als es ursprünglich konzipiert war. Doch letztendlich ist es so noch viel komplexer und detailreicher gezeichnet, denn auch trotz zwei vorangegangenen Büchern gibt es noch so viel zu entdecken.

Seit meiner Blog-Rubrik „Embrace the Umbrella“ hat sich meine Sicht darauf, was einen Mann ausmacht, noch viel weiter geöffnet.

XY-Chromosom und ein „Gehänge“ zwischen den Beinen ist noch keine fertige Definition eines Mannes. Im Gegenteil. Auch ohne diese Eigenschaften kannst du durchaus maskulin sein, wie ein Mann handeln und vor allem auch wie einer denken und fühlen.

Die noch binäre Generation wird allmählich von einer neuen Geschlechter-Ordnung abgelöst, in der es immer weniger wichtig ist, Mann und Frau voneinander zu trennen. Yin und Yang können endlich miteinander verschmelzen und sich zu etwas Stärkerem transformieren.

An dieser Stelle warne ich direkt vor! Dich erwarten dreißig neue Texte – mit krasserem Inhalt als bisher, mehr Details, mehr Intimität. Du wirst auf Begriffe stoßen, die Dir noch nie begegnet sind. Ich zeige Situationen, die Du Dir vielleicht niemals vorstellen wolltest oder konntest.

Wenn Du dieses Buch lesen möchtest, musst du deine Comfort-Zone verlassen und deine bisherigen Grenzen übertreten. Aber wenn du es wagst, wirst du belohnt: mit einer toleranteren Sicht auf die Welt, mehr Verständnis für deine Mitmenschen und einem sensibleren Verhalten im Alltag.

Mit der ersten Geschichte entführe ich Dich direkt nach New York City, doch das ist nur ein Halt auf der Reise durch die Männerwelt. ;-)

Torsten Ideus

Inhaltsverzeichnis

Schattendiamant

Der andere Zwilling

Das geteilte Bett

Das regenbogenfarbene Krokodil

Das SIMS-Experiment

Der Plan fürs Wochenende

Lieber früh – als spät

Mr. Perfect incognito

Zelle 404

Die Wette

Detransition

Der letzte Song für Warren

Retake Part 2

Das etwas andere Plus One

Ein Wikinger braucht seinen Schlaf

Der Schlüssel

Disphoria

Für Jason

Wenn der Knochen zum Hund kommt

Sharkweek

Fort Nite in der Sims4 Memes Theme

24 Stunden

Vielleicht beim nächsten Mal...

Drei Tage

Das Problem

Eine Zeremonie wider Willen

Maverique

Apolo hoch drei

FTM

Das Beste kommt zum Schluss

Schattendiamant

Kim stand in der Bleeker Street und versuchte ein Taxi zu bekommen, während die Gewitterwolken immer dunkler wurden. Die Luft schien zum Schneiden dick und obwohl genug gelbe Fahrzeuge unterwegs zu sein schienen, blieb keins davon freiwillig stehen.

Immer wieder blickte Kim auf die Uhr, dessen Sekundenzeiger drastisch demonstrierte, dass die Zeit viel zu schnell verging und der nächste Termin immer näher rückte. Das französische Restaurant „Ladurée“ am West Broadway befand sich zwar nur drei Blocks entfernt, doch falls das Unwetter gleich explodieren sollte, würde der Regen nicht nur die neuen Schuhe ruinieren, sondern auch den neuen Hairstyle.

Erst heute morgen hatte sich Kim im „Wicked Ways Barbershop“ einen neuen Look zugelegt. Das vorher dunkle Deckhaar schimmerte jetzt in einem hellen Fliederton, während die rasierten Seiten so kurz daherkamen, dass es unnötig gewesen wäre, sie zu färben. Auch wenn eine gefühlte Tonne Haarspray die neue Frisur aufrecht hielt – einen Monsunartigen Schauer würde es nicht überleben. Ein paar Meter weiter fiel Kim eine hübsche Frau mit blonden Haar auf, die einfach ihr schwarzes Kleid von Versace ein Stück hochhob und kokett ihre langen Beine her zeigte. Innerhalb von Sekunden hielt ein Taxi direkt vor ihren Füßen. Kim blickte genervt auf die rote Sohle der Louboutins, während die Dame in das Auto einstieg ohne zu zögern oder sich umzusehen, ob noch jemand Bedarf dafür hätte.

„Fuck this shit!“, fluchte Kim vor sich hin und rannte los. Vielleicht gab es noch eine reelle Chance, pünktlich zu erscheinen. In Manhatten füllten sich die Gehwege zur Mittagszeit so rasant, dass es unmöglich schien, sich schneller als eine Schildkröte fortzubewegen. Trotzdem hatten es die New Yorker immer so furchtbar eilig, dass Kim erstaunlich schnell voran kam. Die 6th Avenue meidend führte der Weg durch einen Teil der McDougal Street, schräg rüber zur Sullivan Street, doch bereits auf der Thompson trafen Kim die ersten Tropfen.

Zu einem solch wichtigen Treffen neue Schuhe anzuziehen, war eine ganz blöde Idee gewesen. Durch das Scheuern an der Achilles-Ferse bildete sich bereits eine kleine Blase. Den Schmerz ignorierend, lief Kim weiter, bis das Straßenschild zum West Broadway in Sichtweite kam. Während ein leichtes Seitenstechen das Vorankommen erschwerte, schienen sich hier die Menschenmassen noch einmal zu verdoppeln. Es ging zäher voran und Kim kehrte zum Fluchen zurück. „This is lifechanging, you bloody motherfuckers!“

Die Großstädter hatten bereits alles gesehen, gehört und erlebt. Niemand scherte sich um einen nichtbinären Menschen auf dem Weg zu einem Meeting, der über seine berufliche Zukunft entscheiden konnte. Die letzten paar Monate hatten seine Karriere in ein schwarzes Loch verwandelt. Sein Chef warb ihn direkt vom College ab, weil seine Gabe, Slogans zu entwickeln, bereits von den Dächern der vielen Hochhäusern geschrien wurden.

Doch reines Talent half einem in dieser Metropole gar nichts, wenn gän nicht den Ehrgeiz besaß, über Leichen zu gehen und seine Ziele nie aus den Augen verlor. Die Konkurrenz war brutal – Moral und Menschlichkeit waren hier nicht gefragt, wenn gän seine Produkte verkaufen wollte. Und für das große Geld und Macht und Ruhm musste so manches Mal die Seele geopfert werden.

Jahre lang hatte Kim dieses Spiel mitgespielt, befolgte die Regeln ganz genau und nutzte geschickt jede noch so kleine Lücke, um seine Gegner auszuschalten.

Doch dann änderte ein Schicksalsschlag die ganze Situation. Kurz aufeinander folgend nahmen sich zwei von Kims engsten Vertrauten das Leben, weil sie mit dem harten Business nicht mehr klar kamen. Beziehungen zerbrachen, keine Zeit fürs eigene Wohl, der ewige Zwang, der Zeit immer ein Stück voraus sein zu müssen.

Und auf einmal stellte sich die Frage: Ist es das wirklich wert? Muss das so sein? Besteht der Sinn der Lebens darin, sich verheizen zu lassen? Der Mensch als Energie der Wirtschaft, nicht viel mehr Wert als eine billige Batterie. Austauschbar; aufladen nötig. Doch damit begann Kims Ärger erst. Auf einmal, nach einer gefühlten Ewigkeit, begann ein Prozess der Selbstwahrnehmung.

Den eigenen Körper zu fühlen, wurde plötzlich zum schmerzlichen Erlebnis. Etwas stimmte ganz und gar nicht – nicht nur im Kleiderschrank, sondern im Herzen. Die vielen hübschen Kleider, das ganze Make up – es besaß keine Bedeutung für Kim. Es gehörte zum Business einer Frau dazu. Aber war sie das wirklich? Sie hatte das nie wirklich infrage gestellt, auch sonst niemand.

Dieser neue Auftrag konnte nun die Weichen stellen für ein ganz neues Schicksal. Eine neue Bestimmung, die so viel mehr Sinn ergab. Wochenlang hatte er mit seinem Team an diesem Konzept gearbeitet und weder Regen noch weglaufende Zeit würden Kim davon abhalten, seinen Traum von einer differenzierteren, besseren Welt umzusetzen.

Der Regen verstärkte sich auf den letzten Metern zum Restaurant. Wie ein flüssiger Samt-Stoff legte sich eine durchnässende Schicht auf Kims frisch designte Frisur und nur wenige Minuten entschieden darüber, ob es lange genug halten würde, um das Meeting unbeschadet zu überstehen. Um sein Material machte Kim sich keine Sorgen. Das lag gut verpackt in der Umhängetasche, die schon Schlimmeres durchgemacht hatte.

Jahrelang hatte sich sein Körper als nicht viel mehr angefühlt, als eine leere lederne Hülle, dessen Inhalt so tief vergraben lag, dass ein einfacher Spaten als Werkzeug nicht mehr ausreichte. Mit dem Freilegen der einzelnen Schichten eröffnete sich Kim ein emotionales Spektrum, welches zu verarbeiten unmöglich schien. Mit jedem neuen Tag wurde klarer, dass es ohne Hilfe einfach nicht ging.

In New York einen guten Therapeuten zu finden, ist um einiges schwerer, als eine Nadel im Heuhaufen. Es gab Wartelisten für die Wartelisten und so wählte Kim einen anderen Weg. Youtube. Er drehte Videos von sich selbst, schnitt sie zusammen und lud sie hoch. Gleichzeitig schaute er sich die Werke viele anderer Vlogger an und nutzte das Wissen der unzähligen Influencer.

Kontakte bauten sich auf, eine ganz neue Welt öffnete sich – das umbrella spectrum. Es gab nicht nur Männer und Frauen. Cis und Trans. Lesben und Schwule – dazwischen gab es noch so viele Facetten und Variationen, die es zu entdecken gab und Kim erkannte, dass für diese ganzen Menschen keine Werbung gemacht wurde.

Den ganzen Müll, den er bisher produziert hatte, wurde der Gesellschaft überhaupt nicht gerecht. Es wurden Millionen von Dollars ausgegeben für eine Zielgruppe, die gar nicht existierte. Wozu Spots in Super-HD drehen, wenn der Inhalt trotzdem schwarz-weiß war? Wozu über Diversity reden, wenn gän doch nur Homogenität förderte. Mit diesem Begreifen änderte sich für Kim alles. Er wollte keinen binären Müll mehr unterstützen, vor allem, weil seine Identität mit dieser beschränkten Sicht der Dinge nichts mehr anfangen konnte.

Am Empfang wurde Kim mitgeteilt, dass der Kunde bereits wartete. Nun kam es darauf an, ob dieser ebenfalls offen für neuen Ideen war oder nicht. Mit Leo als Model für diese Kampagne hatte Kim einen Schattendiamanten entdeckt, der perfekt die Rolle einer neuen Ordnung ausfüllte. Als ehemalige GNTM-Teilnehmerin posierte nun ein femininer Mann mit knallroten Haaren, Dreitagebart und einem lässigen Hip-Hop-Style. Dieses Image wollte Kim nutzen, um diese Bekleidungsmarke einer neuen Generation zugänglich zu machen.

Schon bei der Begrüßung wurde deutlich, dass Kims neues Styling nicht den Support bekam, der gerechtfertigt gewesen wäre. Beim ersten Vorgespräch hieß es zwar, ein zeitgemäßeres Image würde dem Unternehmen guttun. Aber anscheinend waren die anwesenden Männer, denn sie hatten zum Meeting tatsächlich nur Kerle geschickt, noch nicht bereit, für einen echten Wandel.

Daher öffnete Kim nur zögerlich die Mappe mit den neuen Plakaten heraus und platzierte das Tablet auf der Mitte des Tisches. Kommentarlos startete er das Video. Ein auf Dubstep basierender Track begann, der Hintergrund blieb dunkel. Nach und nach tanzten Menschen durchs Bild, formierten sich zu einer Choreographie und dann rannte jeder einzeln nacheinander auf die Kamera zu, blieb stehen und sagte einen Satz wie beispielsweise „Ich bin non-binary.“ „Ich bin genderfluid.“ „Ich bin agender.“

Erst als alle wieder an ihrer Position stehen, springen alle gleichzeitig hoch und schreien: „Und wir alle tragen XY und sind stolz darauf!“ Dann wird das Bild schwarz und dann kommt der Slogan schlicht weiß daher: „It‘s good 2B different. Don‘t B shy. Wear XY.“

Kim hatte an dieser Stelle zwar keine Standing Ovations erwartet, aber die nun greifbare Stille fühlte sich nicht gut an. War die entstehende Pause nun ein gutes Zeichen? Oder wagte keiner etwas zu sagen, weil es nichts mehr zu sagen gab? Der Form halber reichte Kim trotzdem die Plakate herum. Es gab nichts mehr zu verlieren. Leo posierte vor dunklem Hintergrund in schwarzen Outfits – das rote Haar immer als Eye-Catcher eingefangen. Es sah einfach fantastisch aus und Kims Herz schlug schneller. Und dann fand doch einer der Herren seine Stimme wieder:

„Mir persönlich gefällt ihre Umsetzung. Der Slogan ist passend und griffig. Ich fürchte nur, dass wir noch nicht bereit sind, ihre visionären Idee in die Tat umzusetzen. Noch sind wir darauf angewiesen, dass Frauen Frauenmode kaufen und Männer Männermode.“ Kim hatte befürchtet, solche antiquierte Aussagen zu bekommen, aber sie jetzt wirklich zu hören, traf doch einen verletzlichen Nerv.

Eine Wut keimte in Kim auf und ließ ihn aufstehen. Beim Einpacken des Materials entwickelte sich eine passende Variante des Slogans:

„Dann empfehle ich stattdessen folgende Wort ‚Live a lie. Buy XY.‘“

Damit drehte Kim sich um und stürmte aus dem Restaurant, ohne sich zu verabschieden. Dass es immer noch regnete, war egal. Die dicken Tropfen wirkten tröstlich und während Kim realisierte, dass diese Kampagne zwar nicht mit dem Modelabel umsetzen ließ, aber mit ein paar kleinen Änderungen sowohl das Video als auch die Plakate wichtig für den nötigen Wandel waren.

Im zähfließenden Verkehr nahm Kim ein leeres Taxi wahr, rannte darauf zu und riss die Tür auf. Der perplexe Fahrer ließ es geschehen und grinste nur beim Anblick der klitschnassen Gestalt, die sofort die Schuhe auszog. „Fahren Sie erst einmal los. Ich sage Ihnen gleich, wohin“, sagte Kim und zückte das Smartphone. Leo ging beim zweiten Klingeln ran und fragte sofort, wie es gelaufen war. Kim ging nicht darauf ein, sondern sagte: „Völlig unwichtig. Wir machen das als Aufklärungskampagne mit neuen Slogan:

„It‘s good 2B different.

Don‘t B shy.

It‘s worth a try.“

Der andere Zwilling

Als Jenna mir erzählte, dass ihre Brüder noch vorbei kommen würden, bekam die lahme Party für mich einen mächtigen Aufschwung. Was ursprünglich als „Tanz in den Mai“ verkauft wurde, wirkte auf mich eher wie die „Irrelevanz vor dem Mai“. Der Marktplatz wurde mittelmäßig genutzt, mit wenigen Buden, einem nicht vorhandenen Konzept folgend, gekrönt von einem großen Zelt, in dem ein mehr als schlechter DJ versuchte, die Stimmung aufzuheizen.

Nun galt es nur noch, die Zeit totzuschlagen, Wie Jenna bei einem Bier preisgab, feierten die Zwillinge noch mit Freunden privat und würden dann irgendwann hinzustoßen. Sie dachte sich offen-sichtlich nichts dabei, mir diese Information zu geben, während meine beste Freundin Melody in meinem Gesicht durchaus lesen konnte, dass dieser kleine Tipp eine einschneidende Wende in diesen müden Haufen brachte.

„Tye, vergiss es! Diese aufkeimende Hoffnung ist wie immer vergebene Liebesmüh. Der wird niemals umkippen.“ Als beste Freundin war es ihr Job, mir jegliche Illusionen zu nehmen und mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Ob mir das gefiel, stand auf einem anderen Blatt. Schmollend nannte ich mein liebstes Gegenargument: „Hättest du wie ich Connor schon einmal nur in Boxershorts gesehen, wüsstest du, warum ich meine einsame Hoffnung nicht aufgebe.“

Obwohl es bereits stockfinster war, sorgten viele Strahler dafür, dass der Marktplatz auch um diese späte Uhrzeit weiterhin in gutes Licht getaucht wurde. „Hier sind haufenweise heiße Typen, sogar mindestens ein Dutzend, die dich förmlich anstarren. Warum ausgerechnet auf diese Zwillinge warten?“ Melody hatte nie verstanden, warum ich um diese Brüder einen derartigen Hype veranstaltete. Sie kannte sie eben nicht. Das Charisma, welches beide verströmten, wirkte Raum einnehmend. Ich ersparte mir aber einen erneuten Versuch, ihr das begreiflich zu machen.

Stattdessen sagte ich: „Weil sie es wert sind. Du wirst gleich schon sehen. Und jetzt holen wir uns erst einmal einen weiteren Drink!“ Es war unnötig, ihre Antwort abzuwarten. Ich ging voraus, durch die Trauben von Leuten, die freiwillig vor meiner Erscheinung zurückwichen und so landeten wir schnell vor der einzigen Bierbude, dessen Servicekräfte völlig unkoordiniert von Gast zu Gast hetzten.

Während wir auf unsere Getränke warteten, schaute ich mich in der Runde um. Tatsächlich gab es ein paar Typen, die eindeutig interessiert zu sein schienen und so nahm ich überrascht war, dass ich anscheinend tatsächlich nicht auf die Anwesenheit von Connor und Blake angewiesen wäre. „Der dahinten ist doch ganz süß“, flüsterte mir Melody über meine Schulter hinweg zu. Besser formuliert sagte sie es direkt zu meinem Schulterblatt, denn beim Verteilen der Größe hatte sie eindeutig zu leise „Hier“ geschrien. „Der mit dem dunkelblauen Iro, das wäre doch dein Beuteschema.“

Es hörte sich an, als wäre ich ein Raubtier. Auf der Suche nach dem nächsten Opfer. So ganz entsprach das nicht der Realität, wobei ich nicht abstreiten konnte, dass ich nicht abgeneigt war, sich mal wieder mit einem Typen einzulassen. Ich musste ihn ja nicht gleich fressen. Ein wenig Spaß wäre genau das Richtige.

Und als wäre das Wort mit den vier Buchstaben der nötige Trigger gewesen, hörte ich ein mir allzu Bekanntes lachen. Connors Lachen. Blitzschnell drehte ich mich um, womit die Bedienung nicht gerechnet hatte, als sie unsere Drinks herüberreichen wollte und so haute ich ihr die Plastikbecher direkt aus der Hand. Während Melody in schallendes Gelächter ausbrach, ohne auch nur ansatzweise ihre Schadenfreude zurückzuhalten, versuchte ich mein Bestes, das verursachte Chaos wieder zu beseitigen. Der ganze Tresen war besudelt mit Bier und klebte.

„Hat Tye wieder zu heftig rumgespritzt?“, fragte Connor Melody, als wenn er automatisch erkannt hätte, dass sie meine beste Freundin war. Die Anzüglichkeit in seiner Stimme war unüberhörbar gewesen, und ich sah aus dem Augenwinkel, dass die meisten Anwesenden schmunzelten. The Joke was an me und so blieb mir nichts anderes übrig, als auf diesem Niveau mit einzusteigen: „Das passiert doch immer, wenn du mir zu nah kommst.“ Ein Kichern dahinter ließ mich aufblicken. Blake stand hinter seinem Bruder, die gleichen blonden Locken, den gleichen Schalk im Blick und doch wunderte ich mich jedes Mal darüber, dass die Zwillinge trotzdem so leicht zu unterscheiden waren.

„Na, dann umarme ich dich besser nicht! Bevor hier noch mehr Sauereien entstehen.“ Connor hielt mir die Ghettofaust hin, lachend erwiderte ich diesen Gruß, aber eine Umarmung wäre mir lieber gewesen. Melody wirkte wie hypnotisiert; sie konnte den Blick von diesen großen Erscheinungen gar nicht wieder ablassen. Sie schien von der gebräunten Haut, den vielen Muskeln und den stahlblauen Augen geblendet zu sein. Immer wieder wechselte ihr Blick von Connor zu Blake und wieder zurück. Und der andere Typ, den sie mir andrehen wollte, schien plötzlich vergessen zu sein. Mir sollte das nur Recht sein.

„Ich brauche jetzt dringend was zu trinken!“, sagte Blake und zog an seinem Bruder vorbei. Die Servicekraft hatte uns neue Drinks gebracht und ich ging extra einen Schritt zurück, um das vorige Fiasko nicht zu wiederholen. „Geht denn hier ein wenig Party oder sollen wir gleich weiterziehen?“ Connors Geduld hielt sich in Grenzen, wenn es darum ging, sich etwas entwickeln zu lassen. Wenn die Sache nicht sofort in Ganz kam, zog er lieber direkt weiter, als unnötige Zeit zu verschwenden.

„Du kannst dich gleich gerne in diesem Pumakäfig von Zelt umsehen und wirst dann feststellen, dass es stark an Dorfdisko erinnert.“ Im gleichen Atemzug bereute ich diese Formulierung. Ich vergaß immer, dass er nicht wie Melody und ich in der Stadt wohnte. „Dorf ist gut, Dorf ist genau mein Ding“, ertönte die direkte Antwort, die mich peinlich berührt zum Schweigen brachte.

Blake verdrehte die Augen und amüsiert stellte ich fest, dass er diese Meinung nicht vertreten konnte. „Wir können auch gerne noch ins Pub gehen. Wenn der Regen zurückkommt, wird es hier ungemütlich.“ Ein allgemeines Nicken segnete meinen Plan ab. Als auch die Jungs ihre Getränke in der Hand hielten, drehten wir eine Runde über den Platz. Connor gesellte sich an meine Seite, während Blake mit Melody hinter uns herlief.

„Na, was macht die Frauenwelt? Ist noch eine übrig, die sich nicht die Augen ausheult, weil du sie nicht zurückrufst?“ Connor lachte mit seiner tiefen sonoren Stimme und stieß eingeschnappt mit seiner linken Faust gegen meine rechte Schulter. „Hey, so schlimm bin ich nun auch nicht! Es gibt durchaus welche, die ich angerufen habe.“

„Aber die kannst du an einer Hand abzählen, oder?“ Als wir das Zelt betraten, musste ich die Lautstärke meiner Stimme um einiges anheben: „Ich fand es schon immer faszinierend bei dir, dass du zwar einerseits kein Kostverächter bist, gleichzeitig die Mädels bei dir zum One-Hit-Wonder degradiert werden.“

Nun wirkte Connor wirklich ein wenig gekränkt: „In deinen Augen bin ich wohl eine ziemliche Schlampe, was?“ Wir versuchten gar nicht erst, durch die Massen an tanzenden Menschen vorbei zu kommen. Der Mob war zu einem energetischen Brei verschmolzen und waberte verschwitzt im Dunst der schlechten Musik vor sich hin. Der DJ nannte sich nicht nur Pflaoume, seine Songauswahl schien daran angepasst zu sein – wie verdorbenes Obst reihte sich ein schlechter Partykracher an den nächsten.

„Okay, Dorf hin oder her – diese Art der Stimmung ertrage auch ich nicht. So viel kann ich gar nicht mehr trinken, um das gut zu finden. Vielleicht sollten wir doch lieber gleich ins Pub gehen, was meint ihr?“ Connor drehte sich herum und wirkte so irritiert, dass auch ich mich umdrehte. Melody und Blake waren völlig vertieft in ein Gespräch, in dem es offenkundig um uns ging. Während wir uns lautstark unterhalten hatten und trotzdem kaum ein Wort verstanden, flüsterten sie fast.

„Die tuscheln ja einvernehmlich. Da wird man ja glatt neidisch!“ Connor wedelte