Männergeschichten 2 - Torsten Ideus - E-Book

Männergeschichten 2 E-Book

Torsten Ideus

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Beschreibung

Die Kurzgeschichten-Anthologie geht weiter. Noch mehr tolle Geschichten mit Männern über Männer. Männer haben es nicht immer leicht. Auf ihnen lastet gesellschaftlicher Druck. Sie dürfen nicht immer Gefühle zeigen. Sie haben viele verschiedene Facetten. Nur sie selbst können entscheiden, ob das Gute oder Böse in ihnen siegt. Auf jeden Fall sind sie faszinierende Wesen. Ein weiterer Versuch, die männliche Seele zu verstehen. Tauchen Sie mit ein in die Welt des Maskulinen. Torsten Ideus schafft es auch ein zweites Mal, mit seinen Kurzgeschichten zu überzeugen. Er provoziert, bringt uns zum Lachen und stimmt uns nachdenklich.

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Seitenzahl: 143

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Männer sind wie High heels:

Je schöner sie aussehen,

desto mehr Schmerzen fügen sie dir zu.

Trotzdem kann man nie genug davon haben und

am Tollsten sind sie, wenn sie glitzern.;-)

Für Björn L.

Deine freche positive Art ist ansteckend.

Auch wenn diese Anthologie größtenteils in einer realen Kulisse angesiedelt ist, sind die Handlung und die Personen frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Organisationen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Dem Himmel so nah

Jenseits des Himmels

Der Vizekönig des Himmels

Dieser eine Fehler

Nummer 1

Die Angelie-Trilogie

Der Apfelstand

Die Vergewaltigungs-Trilogie

Eine bittere Erkenntnis

Ferienwohnung mit Schuss

Toilettengeflüster 1+2

Torus

Ein unvergesslicher Freitag

Die Schwierigkeit, Aphrodite zu töten

Die erste Fähigkeit

Dunkelheit

Proxima Centauri b

Ein Spiel mit dem Feuer

Das mögliche Ende einer jungen Ehe

Der Chat

Was ein Vormittag verändern kann

Dem Himmel so nah

Obwohl ich mit schnellen Schritten durch die Straßen lief, fühlte ich mich noch gar nicht wach. Der Verkehr zog friedlich an mir vorbei, ohne mich weiter zu beachten. Meine Umhängetasche lag schwer auf meiner linken Schulter und ich bereute mal wieder, die dicken Schulbücher eingepackt zu haben. Es kam so selten vor, dass wir diese im Unterricht benötigten, das ich mich im Nachhinein grundsätzlich ärgerte.

Zum Glück regnete es nicht. Der Sommer war schon fast vorbei, trotzdem hatten die Meteorologen Temperaturen von bis zu 30 Grad vorhergesagt. Heute morgen um halb sieben wirkte es noch nicht so, als wenn wir diese Höchstgrenze erreichen könnten.

Als der Bahnhof in Sichtweite kam, überholte mich ein junger Radfahrer mit hohem Tempo von links, sodass mein Herz einen kleinen Aussetzer hatte. Ich hielt kurz an, atmete tief ein und ging zur Fußgängerampel und drückte auf den Schalter. Weil ich eine ganze Fahrperiode warten musste, blickte ich mit leichtem Zeitdruck häufiger auf meine Armbanduhr.

Als das Männchen die grüne Farbe annahm, lief ich an der Bushaltestelle vorbei, wobei ich einen überfüllt wirkenden Bus vorüberziehen lassen musste. Einige der Kinder schauten mich aus den Fenstern heraus an. Ich ignorierte die Blicke und lief auf den Fahrkartenautomaten zu. Eine kleine Gruppe, die mein Gehirn sofort als Berufsschüler identifizierte, stand vor der Fensterfront der Burgerking-Filiale.

Während ich routiniert auf das Touch-Display einhämmerte, um mein Tickt zu ziehen, drangen Gesprächsfetzen an mein Ohr. „Eigentlich könnten wir jetzt auch gehen“, sagte ein langer Lulatsch in roten Sneakers. „Mal gespannt, was die jetzt für ein Fahrzeug schicken“, sagte ein junges Mädel mit blonden Dip-dyes.

Ich dachte mir nichts dabei, als ich zwei Scheine in den dafür vorgesehenen Schlitz schob und mir anschließend sowohl den gedruckten Fahrschein als auch das Wechselgeld herausnahm. Obwohl es allmählich auf die zwanzig vor sieben zuging, wunderte ich mich, dass ich auf dem Bahnsteig keinen Jared sah. Normalerweise war mein Freund und Mitschüler immer vor mir hier und wartete rauchend vorne. Dann fiel mir wieder ein, dass er neuerdings mit einer E-Zigarette qualmte und somit nun auch das ganze Gelände mit seinem leckerer riechenden weißen Rauch einnebeln durfte.

Doch weit und breit sah ich keinen charismatischen Blonden herumstehen. Ich griff mein Smartphone aus meiner schwarzen Jeans und hackte eine Whatsapp-Nachricht ein: „Morgen. Wo bist denn du?“ Keine grammatikalische Superleistung, aber es war einfach noch zu früh, um in korrekten Satzstrukturen zu denken. Als keine Antwort kam, fragte ich mich, ob er vielleicht mit dem Bus gefahren war.

Und dann kam eine erklärende Durchsage durch die Lautsprecher am Bahnsteig: „Aufgrund einer Krankmeldung des Lokführers fällt der Zug nach Hannover heute morgen aus. Bis Oldenburg wurde ein Schienenersatzverkehr eingerichtet. Das Unternehmen Driever schickt einen Bus zur üblichen Uhrzeit, um Ihnen die Weiterfahrt zu ermöglichen. Wir bitten um Entschuldigung.“

Nun ergaben die Aussagen der Gruppe auch Sinn. Und Jared war bestimmt mit dem Bus gefahren, als er das hörte. Seufzend drehte ich um und kehrte zur Bushaltestelle zurück. Einige andere, die die Meldung gehörten hatten, taten es mir gleich. Beim Warten überflog ich noch ein paar Nachrichten über meine MSN App, doch richtig aufnehmen konnte ich sie noch nicht. Wie sollte der Bus es schaffen, uns bei dem herrschenden Verkehr zur passenden Zeit in Emden abzuliefern? Sollte ich gleich in unsere Whatsapp-Gruppe schreiben, dass ich zu spät kommen würde?

Ich entschied mich dagegen, gab die Hoffnung nicht auf. Der jeweilige Fahrer würde schon sein Bestes geben. Um mich herum versammelten sich nach und nach mehr Leute. Einige telefonierten bereits mit ihren Arbeitsstellen, andere schrieben fleißig Nachrichten an die Kollegen und bekamen hämische Voicemails zurück.

Als sich plötzlich ein Teil der Leute in Bewegung setzte, schaute ich auf und entdeckte den Kleinbus, in dem wahrscheinlich um die vierzig Personen Platz hatten. Ich überschlug die Anzahl der Wartenden und kicherte, weil die Menge nicht annähernd dort hineinpassen würde.

Interessanterweise blieb die Gruppe von Berufsschülern stehen und machte keine Anstalten, dem Bus entgegen zu gehen. Das reduzierte natürlich die Menge, allerdings wollte ich mich keiner weiteren stochastischen Prognose hingeben und lief auf die mittlerweile geöffnete Tür zu, um sicherzustellen, dass ich auf jeden Fall mitgenommen werden würde. Der Fahrer, schon weit über fünfzig, nahm die Sache mit Humor und versuchte, uns mit lockeren Sprüchen aufzuheitern.

Ich setzte mich in die vierte Sitzreihe auf der Lenkradseite. Meine schwere Tasche stellte ich direkt nach unten in den Fußraum, weil ich davon ausging, dass jeder Platz belegt sein würde. Ich hätte gerne noch die schwarze Strickjacke ausgezogen, doch dazu blieb keine Zeit mehr, denn ein attraktiver junger Kerl fragte mich höflich, ob er sich zu mir setzen dürfte. Mein Mund überlegte nicht lange und sagte sofort: „Aber gerne doch.“

Er musste ungefähr meine Größe haben, denn seine Knie drückten sich, genau wie meine, an das unnachgiebige Kunststoff der Vordersitze. Mich störte das nicht sonderlich, aber er trug nur eine enge overknee Cargo in creme. Seine braun gebrannte Haut mit den blonden Haaren mussten unangenehm an dem harten Material scheuern.

Mir fiel sofort auf, dass seine linke Hand eingegipst war. Ich mutmaßte eine Sportverletzung oder eine Schlägerei im Suff. Diese beiden Varianten kannte ich bereits von meinen Mitschülern. Ein Teenager um die 16 betrat unseren Bus und lästerte sofort über die schlechte Musik, die aus den Lautsprecherboxen drang – es lief NDR 1.

Als sich das Fahrzeug endlich in Gang setzte, atmeten wir alle erleichtert auf. Die Sonne kam allmählich heraus und ich fürchtete bereits, dass meine dunkle Klamottenwahl heute noch weitreichende Konsequenzen haben würde. Zwischen meinem Sitznachbarn und mir gab es zwischendurch verstohlene Blicke. Entweder schaute ich kurz zu ihm, so tuend, als würde ich rechts aus dem Fenster schauen und er tat es umgekehrt.

Als der Fahrer bei der Score-Tankstelle nach rechts Richtung Marienhafe abbog, begann ein neuer Song – Udo Jürgens 'Aber bitte mit Sahne'. Ich erkannte das Lied sofort an dem Geigen-Intro und musste lautstark kichern. Mit Sicherheit konnten mehr als 90 Prozent der Fahrgäste den Refrain mitsingen, aber keiner würde es freiwillig zugeben. Auch der Teenager, wenn er genug Alcopops intus hatte.

Obwohl ich all meine Disziplin zusammennahm, konnte ich weder verhindern, dass ich mit den Füßen mit wippte, noch, dass meine Lippen sich passend zum Text mit bewegten. Der hübsche aschblonde Beau neben mir grinste wissend und zeigte mir sowohl seine blendend weißen Zähne als auch seine zuckersüßen Grübchen.

Und erst dann passierte es plötzlich. Als sich aufgrund des Platzmangels unsere Ellenbogen berührten und ich lächeln musste, drang sein Parfüm zu mir herüber. Ich war komplett geflasht. Flieder, Zitronengras, Thymian nur schwach wahrnehmbar, ein Hauch Rosenwasser und, meiner Meinung nach, pure Pheromone. Mein Puls ging schneller, meine Sinne waren plötzlich hellwach und mein Verstand gleichzeitig komplett benebelt.

Immer wieder und immer öfter schaute ich zu ihm hin. Zu seinen kleinen perfekt geschwungenen Ohren. Zu den hellblauen Augen. Zur starken römischen Nase. Die gut definierte Halspartie zuckte mit jeden Schlucken. Ab und an hustete er und ich verspürte den Drang, seinen Hals mit kreisenden Bewegungen mit Wik Wapurup einzukremen.

Zwischendurch hatte ich die Musik gar nicht mehr wahrgenommen, sondern dachte krampfhaft darüber nach, was ich sagen könnte, um mit ihm ein Gespräch anzufangen. Doch jede neue Idee verwarf ich wieder. Ich hätte versehentlich gegen seinen Arm stoßen können, um dann zu fragen, was er damit angestellt hatte. Doch ich konnte ihm keine Schmerzen zufügen. Es wäre eine lohnenswerte Debatte gewesen, ab welchem Alter man overknee Cargos tragen sollte und ob überhaupt. Aber ich wollte ihn auch nicht beleidigen. Und dementsprechend verwarf ich das Frisurenthema, denn sonderlich viel Mühe hatte er sich damit nicht gemacht.

Frustriert und verärgert über meine eigene Unfähigkeit, über meine Schatten zu springen, versuchte ich es erst gar nicht und beschloss, ganz einfach dessen Anwesenheit zu genießen. Ohne Worte.

Und als hätte der Radiosender meine Gedanken gelesen, begann beim Passieren des Loppersumer Ortsschildes ein mir nur zu gut bekanntes Liedchen aus dem Film „La boum – die Fete“: 'Dreams are my reality' Und in dem Moment war für mich klar: näher kannst du dem Himmel nicht kommen. Genieße die Zeit. Und das habe ich gemacht. Bis der Busfahrer uns vor der Berufsschule absetzte und wir tatsächlich alle pünktlich zum Unterricht erschienen. Obwohl ich mich in allen Pausenzeiten umsah, ist mir der Typ nicht mehr begegnet.

Jenseits des Himmels

Gabriel de la Junta war es Leid, arm zu sein. Dieses entbehrungsreiche Leben, ohne Kühlschrank, ohne Fernseher, dafür mit einem Haufen Schulden auf dem Rücken der Familie – das musste ein Ende haben.

Er hasste die Slums, in denen er aufgewachsen war, von Ungeziefern verseucht, von Macht und Angst zerfressen. Hier lebte man nicht, man vegetierte dahin, wich nach Möglichkeit jeglicher Gewalt aus, die auf den mit Müll und Dreck beladenen Straßen an der Tagesordnung hing.

Von seinem Schlafzimmer aus, dass er sich mit seinen vier Geschwistern teilte, konnte er auf die Mango-Plantagen blicken, dessen Früchte für die reichen Menschen in andere Länder exportiert wurden. Gabriel strich sich eine lange rabenschwarze Haarsträhne hinters Ohr und verfluchte sein immerwährendes Hungergefühl.

Seine Zeit war gekommen, das Blatt zu wenden und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Mit diversen Diebstählen hatte er sich eine kleine Summe zusammen gespart. Mithilfe eines Nachbarn, den er von klein auf kannte, besorgte er sich eine solide Pistole und einen kleinen Vorrat Munition.

Er kannte die Aufstiegschancen und das mögliche Geld, dass er verdienen konnte, wenn er in die Barrio 18 aufgenommen wurde. Der ewige Bandenkrieg förderte die Kriminalität in El Salvador ungemein und bewegte die Bevölkerung dazu, die Skrupel und Gesetze zu umgehen, wo sie nur konnten.

Doch, um Mitglied zu werden, gab es ein einfaches Ritual, das unumgänglich war: ein Menschenleben auslöschen. Jemand anderen zu töten war der einzige Ausweg, den Gabriel für sich sah. Im Geiste war er seinen Plan schon unzählige Male durchgegangen. Sein bester Freund Garcia Tierrez besaß ein Smartphone. Damit sollte er ihn bei der Aktion filmen und das Video an das entsprechende Bandenmitglied weiterleiten. Ein Opfer hatte sich Gabriel bereits ausgesucht.

Schräg gegenüber wohnte ein alter Mann, der auf die siebzig zuging. Tagsüber saß er vor seinem Haus und bettelte die vorübergehenden Passanten an. Obwohl es den Leuten im Umfeld keinesfalls besser ging, als dem alten Mann, fanden sie ihn nett und freundlich und es fand sich immer jemand, der doch ein paar Münzen in den abgewetzten beigefarbenen Sombrero schmiss.

Gabriel, der selbst vom Kummer zerfressen war, wollte diesen Greis von seinem Elend befreien, wollte mit dieser grausamen ersten Tat doch noch etwas Gutes tun. Seine innere Stimme riet ihm dazu, einen kleinen Rest Menschlichkeit zu bewahren, denn er wagte nicht einmal daran zu denken, was sonst aus ihm werden würde.

Allein in diesem heißen Loch von Schlafzimmer, griff er unter sein Kopfkissen und hielt das schwere kalte Kaliber in der Hand. Die Kugeln hatte er heimlich in der Nacht in die Vorrichtung geschoben. Wahrscheinlich wartete sein Kumpel bereits auf ihn.

Sein hellblaues Muskelshirt war schon mit Schweißflecken übersät, doch das störte ihn nicht. Er atmete noch einmal tief ein, steckte die klobige Waffe hinten in seine Hose und ging hinunter zur Tür. Draußen wartete Garcia tatsächlich schon. Ein kurzes Händeschütteln, dann wanden sich die beiden zur anderen Straßenseite.

Auf dem Weg fragte sein Kumpel leise: „Bist du bereit?“ Nach einem Zögern nickte Gabriel nur. Wie jeden Tag saß der alte Mann vor seiner Baracke und sein Dackelblick mit den abgenutzten Zähnen wimmerte jeden an, der vorbeilief. Der kränkelnde Greis erkannte die beiden Freunde, erinnerte sich daran, wie sie als kleine Jungen in seinem Garten herum-tollten. Süße kleine Engel, denen es später besser gehen sollte, als ihm selbst. Er grüßte sie fröhlich, doch sie grüßten nicht zurück.

Stattdessen gingen sie mit eiskalter Miene auf ihn zu, Schritt für Schritt kamen sie näher und es wirkte nicht, als ob sie zum Plaudern hinüber gekommen wären. Dem verwitterten Bettler lief ein Schauer über den Rücken. Sollte nun sein letztes Stündchen geschlagen haben? Sein Leben hätte besser sein können, doch fühlte er sich noch nicht dazu bereit, ins Jenseits hinüber zutreten.

In den Augen dieser Burschen lag nichts Tugendhaftes mehr. Ganz intuitiv hob er beschwichtigend die Arme: „Kann ich etwas für euch tun?“ Statt einer Antwort sah er nur, wie Garcia ein neumodisches Handy zückte, darauf herumdrückte und wischte. Ehrfürchtig ging dieser dann ein paar Schritte zur Seite. Das Herz des alten Mannes schlug schneller, denn er verstand nicht, was hier passierte.

Erst als Gabriel die Waffe zückte, wurde die zuvor aufgestellte Vermutung zur bitteren Gewissheit. Mit Blick zur Kamera sagte dieser mit fester Stimme: „Hallo, Barrio 18, dies ist mein erstes Opfer. Heißt mich in eurer Bande willkommen.“ Ohne zu zögern, zielte er genau, drückte ab und mit einem lauten Knall fiel der alte Mann zur Seite. Das letzte, was sein schwindendes Augenlicht wahrnahm, war die Ghettofaust der beiden Zwölfjährigen, als sie das Video erfolgreich verschickt hatten.

Der Vizekönig des Himmels

Mit schnellen Schritten huschte der Erzengel Michael über den Wolkenflur und stoppte erst vor den schweren Türen des Herrn. Sein Herz raste und in diesen Höhen fiel es ihm schwer zu atmen. Er hob die rechte Hand zum Klopfen, doch er ließ sie wieder sinken.

Mit der linken Hand strich er sich eine lange blonde Strähne hinters Ohr. Wie sollte er das bloß erklären? Er musste seine Worte sehr genau wählen, um nicht in Ungnade zu fallen. Viele tausende Jahre konnte er sich die rechte Hand Gottes nennen. Dieser eine Zwischenfall konnte nun alles ins Wanken bringen. Das durfte auf keinen Fall geschehen.

Er atmete tief in seinen muskulösen Brustkorb hinein, strich behutsam über sein mächtiges Schwert, schloss die blauen Augen und wagte es, an die heilige Tür zu klopfen. „Herein“, schallte es von innen heraus. Michael spannte seine weißen Flügel an und drehte den Knauf herum.

„Ach, Michael, du bist es. Was kann ich für dich tun?“ Gott blickte nur kurzweilig von der riesigen Monitorwand zur Tür, nur um sich gleich wieder zurückzudrehen. Auf Millionen kleiner Displays zeichneten sich viele alltägliche Szenen der Welt ab.

Vom glücklichen Kinderlachen bis zu brutalen Kriegsszenarien spiegelte sich hier die ganzheitliche Situation der Erde ab. Michael war jedes Mal fasziniert und abgestoßen zugleich von dieser Vielzahl an Bildern. „Herr, ich bringe keine guten Neuigkeiten. Vielleicht wisst Ihr es bereits.“

Erst mit dem Betreten des Raumes fiel dem Erzengel wieder ein, dass sein Meister stets bemüht war, alles zu wissen, was mit seiner geliebten Welt zu tun hatte. Gott strich über seinen frisch zurecht gestutzten Bart. Er wollte sich nicht nachsagen lassen, er ginge nicht mit der Zeit. „Vielleicht weiß ich es tatsächlich. Aber ich möchte, dass du es mir trotzdem erzählst.“

Michael musste grinsen. Der heilige Vater mochte ein gerechter Gott sein, doch gütig war er nur, wenn er es sein musste. Und diese Gelegenheiten schienen selten zu sein. Der Engel der dritten Hierarchie strich seine königsblaue Uniform zurecht und suchte nach den passenden Worten: „Eine irdische Quelle hat mir zugetragen, dass jemand die Reptilienagenda online gestellt hat. Unser System hat scheinbar ein Leck.“

Der helle freundliche Raum wurde plötzlich dunkler und der stattliche Mann in der Führungsposition, der gerade noch gut einen Meter von Michael entfernt gestanden hatte, befand sich plötzlich nur noch eine Nasenspitze vor ihm: „Was?! Wie konnte das passieren?“ Der gestählte Heerführer sog scharf die Luft ein und vergaß das Atmen gänzlich, schluckte schnell und suchte nach einer passenden Antwort.

„Wahrscheinlich hat jemand von uns den 'Eid Aqae' etwas zu wörtlich genommen, aber das ergibt überhaupt keinen Sinn. Jeder, der die Agenda mit unterschrieben hat, weiß genau, dass bei Vertragsbruch ein Tod gefordert wird.“ Mit der linken Hand zeichnete Gott einen Halbkreis und sofort blieben die Szenen auf den Monitoren stehen. Für einen Bruchteil einer Sekunde hatte Gott die Erde angehalten.

„Hätte ich doch nur nie diesen freien Willen eingeführt. Der hat seit jeher nur Ärger gemacht.“ Der heilige Vater hielt kurz inne und ging einen Schritt zurück, um in die Augen seines Untergebenen zu sehen: „Moment mal. Von wem hast du diese Information überhaupt?“ Michael hatte diese Frage befürchtet. Ihm war klar, dass seine sogenannte Quelle keine wirklich Seriöse war, jedenfalls nicht in Gottes Augen.