Markus, mach mal - Markus Majowski - E-Book

Markus, mach mal E-Book

Markus Majowski

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Beschreibung

Das Leben im Lockdown – eine Katastrophe? Die Karriere – am Ende? Berufsaussichten – keine? Hmmm. Vielleicht doch nicht. Der unter anderem durch die Telekom-Werbung bekannte Schauspieler, Regisseur und Produzent Markus Alexander Majowski ist geübt im Improvisieren und erfindet sich in der Coronakrise neu: als Sicherheits- und Alarmexperte und Installateur. Majowski verliert seine Angst vor der Arbeitslosigkeit und beginnt sein Leben noch einmal von vorn. Nach einer Umschulung ist der Mann mit den von ihm so bezeichneten "polnischen Patschehändchen" nun zertifizierter Handwerker. Und durch seinen neuen Job kehren Sicherheit und Zuversicht zurück. In seinem Buch erzählt er humorvoll, aber auch nachdenklich seine Geschichte – wie er seine Chance ergriff und seine Ängste meisterte.

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MARKUS MAJOWSKI

MARKUS, MACH MAL!

RUNTER VOM ROTEN TEPPICH, RAUF AUF DIE LEITER

Copyright 2021:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt

Vorlektorat: Karla Seedorf

Korrektorat: Diane Kieselbach

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-800-8

eISBN 978-3-86470-801-5

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

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INHALT

VORWORT

1. DER UHU ERWACHT

2. ZERSTÖRTES NEST

3. GOTT

4. DIE SEUCHE

5. DER ROTE ANORAK

VORWORT

Vorhang auf, Licht aus! Und ganz plötzlich wird die Welt eines Künstlers von der Pandemie überrascht oder platzt – radikal gesagt – wie ein Luftballon, der in Kontakt mit einer Nadel kommt. Aus mit der Kunst. Schluss, aus, Ende.

Es gibt kein Engagement mehr für die facettenreichen Künstler mit ihren bunten, erheiternden und feinen Programmen auf den Bühnen. Keine Premieren mit Prominenz aus Gesellschaft und Politik, kein Prickelwasser, kein Blitzgewitter, keinen Applaus. Jetzt ist es der Superstar Covid-19 mit Künstlernamen Corona, der auf allen Bühnen dieser Welt ein Solo mit Tod, Schrecken und Angst in verheerendem Ausmaß präsentiert.

Was passiert in einem Künstlerhaushalt, in der Welt eines solchen Künstlermenschen? Mein chaotischer Ehemann und Vollblutkünstler berichtet, wie wir uns komplett neu orientieren mussten, um zu überleben. Ganz nach dem Motto: willkommen in der Realität, raus aus der alltäglichen Komfortzone, hinein ins neue Abenteuer mit Ungewissheit, Ängsten, Anspannung und Erschöpfung.

Kamera läuft, es ist Covid-19, der Ruf eines neuen Regisseurs: „Alles auf Anfang und bitte!“ Ein neuer Film wird gedreht. Wir spüren die Achterbahn der Gefühle, den Umbruch und vielleicht auch den Beginn einer neuen Lebensphase.

Die Konstante des Lebens ist davongehuscht, neue Ufer nicht in Sicht. Das Schiff Familie ist ohne Steuermann auf dem Ozean und wird vom Sturm hin- und hergerissen. Neue Koordinaten müssen her.

Und was macht Markus? Er baut sich seine Welt, wie sie ihm gefällt.

In Liebe, deine Invariable

1

DER UHU ERWACHT

„Eh du dich daranmachst, die Welt zu verändern,gehe dreimal durch dein eigenes Haus.“(Chinesisches Sprichwort)

Und lass Gott rein! Ich bin Markus, von Berufs wegen Geschichtenerzähler. Ich erzähle von normalen, lieben, verzweifelten, albernen Menschen. Und mittendrin bist Du!

Die Geschichten in meinem Leben handeln von Zufällen, vom Hinfallen, vom Aus-der-Rolle-Fallen …

Unsere dreiköpfige Familie ist vor einigen Jahren überfallen worden. In unserer Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Die haben den Garten verwüstet, unser Leben bedroht und uns die Luft zum Atmen genommen. Türen, die aufgebrochen werden, Räume, die durchsucht werden, und die Angst davor, dass deiner Familie etwas passiert, das sind Erfahrungen, die ich niemandem wünsche. Menschen, die so etwas schon erlebt haben, wissen, was ich mit der Wunde in unserer Privatsphäre meine. Wenige Menschen können am Ort eines Einbruchs weiter leben bleiben.

Wir sind ein halbes Jahr später umgezogen, zähneknirschend, und haben einen neuen, viel schöneren Kiez erobert. Als der Lockdown kommt, als alles noch schwieriger wird, müssen wir mit weniger, als wir gewohnt sind, klarkommen. Wir haben darin Übung, reduzieren auf das Wesentliche – das können wir. Aber der neue Kiez hat so seine versteckten, nicht unsympathischen Tücken, die dazu führen, dass nur langsam Ruhe bei uns einkehrt.

Im Herbst 2018 pendle ich wie so oft um diese Jahreszeit zwischen Berlin und einem Gastspielort hin und her. Wiederaufnahmeproben für die eine Weihnachtskomödie in Köln stehen an. Spannende Arbeit, spannende Kollegen, aber irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich fühle mich unklar. Etwas Ähnliches steht auch in dieser SMS, die ich von einem frechen Kollegen aus Düsseldorf bekomme: „Markus, sag mal, wir müssen uns den einen Auftritt in der dritten Szene morgen vornehmen. Das war letztes Jahr immer so ein Knackpunkt bei uns. Irgendwie ist unklar, warum wir da eigentlich zusammentreffen. Da stimmt was nicht.“ Ich antworte ihm mit einem Okay-Daumen.

Man könnte sagen, in meinem Beruf als Schauspieler bin ich durchaus erfolgreich – und dazuzulernen macht immer Sinn. Erstens wird damit meine Vergesslichkeit ausgeglichen und zweitens bleibe ich flexibel, wenn ich anderen zuhöre und ihre Anregungen ausprobiere. Das kann ermüdend sein, aber etwas Interessantes bleibt immer hängen. Selbst wenn ich vor Erschöpfung am Abend früher einschlafe, ist das in Ordnung, denn ich bin in meinen Träumen sehr aktiv, verarbeite Sachen, die nicht stimmen, und kaue auf so mancher Nuss herum, bis sie endlich geknackt ist oder ich sie weit von mir werfe.

TRAUMALARM

Also, ich träume viel und fühle mich dabei wach und lebendig – kein Wunder, wo ich mir doch auch tagsüber ständig den Kopf anderer Leute aufsetze, überall meine Nase hineinstecke und hin und wieder stolpere, während ich durch das Leben laufe. Ich schrecke oft hoch im Schlaf oder werfe mich von einer Seite auf die andere. Ja, ich kann überraschend schnell sein, trotz Bauch. Manchmal bin ich sogar sprunghaft. Alles durcheinanderzuwerfen und dann kreativ zu werden, wenn andere die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, das ist mein Spezialgebiet. Manchmal geht etwas kaputt, versehentlich, versteht sich. Auch und gerade in der Nacht. Zerstreuzelung nenne ich das und ich weiß, ich bin durchaus ungeschickt. Beim Schlafen trage ich zwar keine Zipfelmütze, es sei denn, wir haben Winter und müssen Heizkosten sparen, aber ich bin durchaus gewillt, eine gewisse Ähnlichkeit mit der deutschen Nationalfigur, die kaum jemand kennt, einzugestehen. Bloß gut, dass ich nicht auch noch Michel heiße. Ich bin … ich fühle mich manchmal unsicher, ob man mir folgen kann, wenn ich mich so zeige wie jetzt.

Unsicherheit ist nicht schlimm, glaube ich. Außerdem kenne ich Dich und Deine Schutzwesen! Große Vögel, kleine Vögel, die stehen mir in der Not bei. Da ich oft in den Himmel schaue, sehe ich sie immer in Echtzeit. Manchmal habe ich das Gefühl, ich weiß, was als Nächstes passiert – und das ist ein bisschen unheimlich. Als ich mich kurz vor dem ersten Lockdown 2020 fragte, wie mein Leben weitergehen soll, wurde mir klar, dass es viele Möglichkeiten für mich gibt, vielleicht etwas völlig Neues, womöglich Unmögliches. „Ich warte nicht auf den totalen Zusammenbruch!“, verkündete ich. „Mich juckt es in den Fingern. Ich will Action!“

Rückblende. 1997. Ich habe mich schon immer für Technik interessiert und ich verstehe, warum sich viele Menschen nach Sicherheit sehnen, herbeigezaubert durch technischen Schnickschnack: weil sie Angst haben. Angst vor Verlust. Es heißt, Angst sei ein Zeichen für Intelligenz. Da muss ich passen, weil ich nicht so genau weiß, ob Intelligenz mein Thema ist. Ich wollte jedenfalls nie meinen Komfort, meine Gewohnheiten und meine lieb gewonnenen Macken aufgeben und wollte bestimmt niemals nackt, arm oder verstoßen sein müssen. Ist das auf Dauer machbar? Mal schauen, antwortest Du. Ich fürchte mich definitiv oft und möchte diese Ängste endlich überwinden.

Als Erstes darf ich meine Angst vor dem Alleinsein loswerden und werde bereit für den ersten Schritt: Recherche! Ich nutze die technische Errungenschaft, das aufkommende Internet, und recherchiere, was für einen Mann in meinem Alter jetzt ansteht. Durch Reisen lerne ich viele Menschen kennen, heißt es da. Ich bin gerade 33 Jahre alt geworden und werde über Nacht bereit für Reisen und Abenteuer! Das Internet sagt, dass ich viel reisen werde, wenn ich zum Beispiel das Tauchen lerne. Dafür darf ich wiederum erst einmal meine Angst vor der Tiefe besiegen. Offenes Meer und hinein ins Wasser? Niemals! Aber Du flüsterst mir ins Ohr: „Mach mal!“ Wie ferngesteuert bin ich ab jetzt. Tauchen! Von der Pike auf will ich alles über das Tauchen lernen. Notaufstieg, Strömung, Tiefe und Navigieren. Rettungstauchen mit und ohne Lebensrettung wäre schön. Und? Habe ich mir alles raufgeschafft, obwohl meine Alarmglocken klingeln bei dem Gedanken an Tiefe und Meeresgrund und Ungeheuer da unten. Unter mir. Ich habe meine Angst geschluckt. So was von schwer ist das und dehydriert darf man gar nicht tauchen – als ob ich es geahnt hätte. Denn ausgerechnet mir passiert so ein Notfall auf einem indischen Atoll, bei dem ich quasi ausgetrocknet noch an der Wasseroberfläche kollabiere. Im Anschluss habe ich eine lebenslange „Ich muss mehr Wasser trinken“-Macke. Vier bis fünf Liter am Tag! Das ist sogar gesund, wenn man viel Körpergewicht hat (habe ich, also sehr gesund)! Die Hauptsache ist, ich kann jetzt tauchen und reise durch die Welt. Und da ich bereit für eine Beziehung bin, erhöhe ich damit eindeutig meine Erfolgschancen. Frau jedoch zieht es vor, verborgen zu bleiben.

Drei Jahre später. Das richtige Leben ist, morgens früh aufzustehen und zum Drehort zu fahren oder zu Theaterproben, finde ich. Und gut ist, vorher zu frühstücken, draußen auch einmal Menschen anzulächeln und Carsharing oder Taxis zu nutzen, um zwischen den einzelnen Proben- oder Drehorten hin und her zu fahren. Ich liebe es, so zu leben: Geschichten erzählen, Künstler sein, zwischen meinen Kultur-Koordinaten hin- und herschaukeln. Doch viel öfter muss ich wohin fliegen. So wie heute. Mein halbes Leben ist ein geflogener Traum. Ich hänge meinen wolkigen Gedanken nach. Wenn jemand da oben „Spinner!“ zu mir sagt, weiß ich, was gemeint ist. Das sieht man mir aber nicht an. Keiner sieht mir meine eigentlichen Gefühle an, denn ich bin nicht nur ständig auf dem Sprung, ich trage die Informationen zu meinem Charakter chiffriert mit mir herum.

Außerdem frage ich mich die ganze Zeit, warum ich im Urlaub vom Tauchen immer so müde werde und den halben Tag verschlafe – und was mir mein zerfleddertes Traumtagebuch, das ich seit Jahren hingebungsvoll schreibe, eigentlich sagen will. Ich komme so unendlich langsam dahinter. Wenn das so weitergeht, höre ich auf, darin zu schreiben.

Das mit dem Spinner passiert auch dann, wenn ich mich gerade richtig anstrenge und denke: „Jetzt geht es richtig los mit meinem Leben. Jetzt habe ich alles verstanden. Jetzt lasst mich bitte einmal alle hier durch, ich möchte loslegen!“ Alle meine Muskeln sind in diesen Augenblicken angespannt, auch mein Po, und ich konzentriere mich ganz, ganz doll. Meine Therapeutin sagt, ich muss das lassen, das Anspannen. Lasse ich das aber weg, habe ich gleich wieder etwas vergessen und dann ist alles doof. Ich pendle oft zwischen verschiedenen Zuständen hin und her. Wach oder verträumt, blitzgescheit oder aus dem Mustopf, polternd oder einfühlsam, vielfältig oder mit Scheuklappen.

Manchmal muss irgendjemand das Wort Spinner nur denken oder ich denke, er oder sie denkt es gerade – schon werde ich rot und nestle an meiner Lippe herum, um selbstbewusster zu wirken.

Früher Morgen. Ich lebe in einer WG. Noch bin ich in der Wohnung, suche den Schlüssel und verteile mit meinen Trekkingstiefeln kleine Sandklumpen auf dem Teppich. Die Dielen knarren, der Schlüssel ist im Brotkorb, die Treppenabsätze knirschen. Und der Fahrstuhl bringt mich langsam ins Freie, während das Blech ploppt. Da denke ich an meine Traumfrau. Nicht zu groß, selbstbewusst, liebevoll und gebildet darf sie bitte schön sein. Der Fahrstuhl ruckelt und ich habe ein bisschen Angst, stecken zu bleiben, oder dass noch jemand zusteigt, der dann mit beißendem Gesichtswassergeruch womöglich neben mir steht. Unten angekommen klemmt die Tür und ich tue mir weh am Blech. Wieder ploppt etwas, egal, tief ausatmen und lächeln. So wage ich mich auf die Straße und denke: „Wann werde ich ihr endlich begegnen, meiner Traumfrau?“ Heute wohl nicht, oder? Vielleicht doch! Heute ist der Tag, an dem mich meine Mitbewohnerin, die gute alte Schulkameradin, morgens unfreundlich beiseitegeschoben hat und kopfschüttelnd im Bad verschwunden ist. Ab sofort in „ihrem“ Bad. Ich bin jetzt badlos. Aber ich war vor ihr im Bad und rieche infolgedessen sensationell. Ach, herrlich.

Als Kind stellte ich mir immer vor, jemand anderes zu sein. Ein Tigerbaby oder ein berühmter Rockstar. Vornehmlich aber bin ich in meiner Fantasie, meistens unter der Dusche, eine verruchte Rockröhre. Und wenn ich Musik höre von Nina Hagen, Jim Morrison oder David Byrne, dann bin ich diese berühmte Person wirklich. Ich singe die Texte gar nicht richtig mit, weil ich viel zu aufgeregt und enthusiastisch bin, um mir die zu merken. Ich singe einfach irgendetwas, irgendetwas Ähnliches, spüre den Jubel und sehe Tausende von vor Glück rasenden Menschen. Und ich genieße, dass sie mich sehen und hören und denken: „Das ist ja der Markus, der singt echt toll!“ Die kennen eigentlich nur noch mich! Nina Hagen oder Pink Floyd, Genesis oder Carlos Santana gibt es gar nicht mehr. Jetzt bin ich da. Ich bekomme rote Wangen, wenn ich das spüre. Dann ziehe ich genau aus diesen Momenten Kraft für meine eigenen Sachen, die ich bald machen möchte. Gut riechen ist auf jeden Fall schon einmal eine gute Basis.

Zurück zu eben, Fahrstuhl, Haustür, Traumfrau. Tief ausatmen und … Achtung! Hinter mir wird die Haustür aufgerissen, ein Jemand poltert auf die Straße. „Weg da!“ Ein Wagen hupt mir ins Ohr. Ich reiße den Kopf herum und zerre mir, klar, den Nacken, falle unsanft in die Blumenanlage, glotze in die Sonne und höre eine Männerstimme. „Schon wieder Stress, Bella?“ Mein Knöchel tut weh, der Nacken noch nicht. Einen auffälligen großen Wagen sehe ich gerade noch in der zweiten Spur, schon plumpse ich wieder zurück ins Blumenbeet. Und über mir, man glaubt es nicht, sitzt ein echter Uhu im Geäst und schläft. Seine Flügel zittern kurz. Er öffnet die Augen und schüttelt den Kopf. Wie schön. Ich habe einen Uhu geweckt! Ein Uhu ist etwas Ähnliches wie eine Eule.

„Warum gibt es für so etwas keine mobilen Alarmanlagen?“, denkt mein Kopf. Da muss doch Alarm geschlagen werden, wenn so ein Mensch mit Kajal im Gesicht, bis der Arzt kommt, angesaust kommt! So oder so, der Wagen hat einen ratternden Motor, ist ungewöhnlich laut unter der schwarzen Haube. Drinnen sitzt ein vielleicht 60-jähriges Männlein im weißen Anzug, grinst mich an und stottert: „Ich … hab … Telekom … Aktien.“ Ich versuche, zu denken. „Warum fährt der nicht weiter? Was wartet der noch?“ „Ich muss zum Flugplatz!“, denkt mein Kopf weiter. „Taxi! Taxi! Taxiiiii!“ Sonst verpasse ich noch mein Lieblingsthema:

FILMALARM

Meine Taxifahrerin ist eine echte Dame. Das sind die besten in Berlin, Taxidamen. An der nächsten Ampel muss sie neben dem Kleinwüchsigen mit dieser Bella im Fond halten. Der schwarze Motor ist aus. Totenstille. Eine Tür steht drüben offen. Diese Bella von eben hämmert gegen den Vordersitz, ein Schrei jagt unterhalb ihres Kajals heraus. Sie reißt ihren Fuß hoch und drückt ihre kleine Wade an die Zwergenbacke. Der Fahrer verzieht keine Miene. Ich hingegen bin schwer beeindruckt, obwohl ich gar nicht nah genug dran bin am Geschehen. Die fiese Brandblase auf Bellas Wade sehe ich trotzdem – und schäme mich für meinen sadistischen Wohnungsnachbarn auf der dritten Etage. Der ist Pyromane und bestellt sich gern Mädchen auf die Stube, für was weiß ich. Mein Taxi legt einen 1A Kickstart hin und bringt mich nach Tegel. Hilde fährt seit 40 Jahren und ist zu Konversation aufgelegt. „Wissen sie, was man in den Zwanzigern in der Muddastadt gesagt hat, wenn einer im weißen Anzug kam?“ Nee, Hilde, weiß ich nicht. „Da seht mal, ein Heiratsschwindler!“ Hilde wiehert ganz sympathisch etwas Berliner Luft in den Äther. So, so, denke ich. Endlich sind wir da, am Otto-Lilienthal-Flughafen, auch Berlin-Tegel genannt. Das geliebte Rollfeld im Tegeler Forst. Die Hilde lacht zum Abschied noch einmal ganz Berlin wach und zwitschert: „Markus, Sie versüßen mir das Leben. Ich liebe Sie und Ihre Kulleraugen. Machen Sie bitte wieder mehr Fernsehen!“ Und ich winke ihr nach. Schön ist es, auf der Welt zu sein, wenn ich nur nicht so eine Ahnung von meiner eigenen Unzulänglichkeit hätte. Kaum im Flieger hebe ich ab.

Mist, ich liebe meinen eigenen weißen Leinenanzug so sehr! Ich atme tief durch und denke an fürchterliche Unsitten in meiner Stadt. Brandwunden bei leichten Mädchen in Altbauwohnungen widern mich an. Die Wolken verschlucken den winzigen Flieger, diesen nach Plastikleder duftenden City Hopper.

Kurz bevor ich einschlafe, schrecke ich auf und gucke auf meinen digitalen Terminplaner. Da steht München für heute. Das hat Lutz da eingetragen, mein Manager. Da steht München. Oder war ich das? Das war ich! Ich war das. War ich das? Ich krame in meiner Tasche und finde beide Drehpläne. Den für heute und den für morgen. Heute ist Berlin und morgen ist München dran. Die sogenannten Tagesdispositionen zeigen immer deutlich, was gerade beim Film ansteht. Arschkarte.

Nach der Landung in München rufe ich die Berliner Produktion für meine eine TV-Serie an und flehe den Aufnahmeleiter an, mir den Regisseur ans Telefon zu holen, damit ich ihm von dem Malheur mit der anderen TV-Serie erzählen kann. Bernhard kommt und lacht und schimpft und lacht noch weiter, während ich längst weine. „Bleib, wo du bist, das können wir heute nicht mehr aufholen.“ Er nimmt meine beiden Szenen für heute vom Plan und grummelt leise: „Spinner.“ So ein Scheiß. Ich fahre zum Bayerischen Hof, muss ja heute nicht arbeiten, beziehe mein Zimmer und lege mich schlafen. 12 Uhr. Was drehe ich morgen? Und wann drehe ich das von heute? Der Fernseher läuft. Bevor ich wegdämmere, höre ich im Radio:

„Wer nur rumsitzt, neigt eher zu Depressionen als Menschen, die sich regelmäßig bewegen. Die drei L können der Schlüssel zu einem erfüllten Leben sein: Lachen, Laufen, Lernen. Wer oft lacht, lebt gesünder. Wer am Tag mindestens 12.000 Schritte an der frischen Luft läuft, lebt länger. Wer nie aufhört zu lernen, lebt bewusster!“

Mein Schlaf ist unruhig. Noch habe ich keine Beißschiene, die Rettung jeder Ehe, Partnerschaft oder Bettgemeinschaft. Das Knirschen entfacht das Schnarchen und das Schnarchen den Schmerz, denn das Ganze ist ein spiritueller Kreislauf. Wann beginnt eigentlich die tiefste Traumphase? Oder gibt es nur diese eine Traumphase, diejenige, die vom Unterbewusstsein gesteuert wird? Alles ist möglich, alles überdeutlich, ganz klar, wie immer bei mir im Schlaf. Ich schlaf doch so gern. Verstehste? Meine Augen sind ganz ruhig, als mich der Schlaf wie ein Blitz trifft. Ich blase in das Kissen – auf mich wartet immer ein eigenes Kissen in den Hotels, dieses Kissen hier zum Beispiel wartet in München auf mich – und mein Hineinblasen und somit mein Geruch sind, zusammen mit Dir, Anker und Leuchtturm für mich im Dickicht fremder Betten. Vielleicht eine Stunde vergeht. Dann kommt der Haupttraum, das ist jetzt die Primetime.

Meine Augen beginnen ihre schnelle Hin-und-her-Bewegung. Die REM-Phase hält Einzug. Ich träume wie Kino. Das ist meine Show. Da sind eine Theaterbühne, ein schwarzer Vorhang und ein kleiner Schlitz, durch den winzige Augen blicken. Kichern ist zu hören und Wimmern. Mein ewiger Traum, in dem der Lappen nicht hochgeht. Der Vorhang bleibt zu. Doch augenblicklich rennen Schauspielkollegen vor der Rampe auf und ab. Und da ist das Publikum, Menschen mit Gesichtsmasken, und die liegen quer über den Sitzreihen.

Aber heute geschieht noch etwas anderes! Ist das jetzt eine Geschichte auf einer anderen Ebene? Ich zerre an meinem Bettlaken, halte mich fest und tauche tiefer ein in den Traum. Ein großer Kerl klettert auf die Bühne, quetscht sich zwischen Vorhang und Rampe und beginnt eine Erzählung. Während er spricht, fällt er immer wieder kopfüber von der Bühne in den Zuschauerraum, rappelt sich auf und wieder hinauf auf die Rampe und spricht weiter, rezitiert, deutlich und kultiviert:

„Hört, hört. Da kommt er. Ein Überlebender der Pandemie. Sein Blut rauscht in seinen Ohren. Gewaschen und gekämmt ist er. Gestern noch arbeitslos. Und heute? Der stahlgraue Overall locker um seinen Körper, den Kopf hält er gerade. Eine Präzisionswaffe auf zwei Beinen. Zwei Tropfen Öl hinter dem Ohr, Amber und Patschuli. Rote Wangen. Der Körper unsichtbar bebend, so marschiert er mit seiner Bohrmaschine durch den Hof. Markus, der Handwerker. Künstler ohne Auftrag. Aber deutlich alarmiert. Markus atmet ein und spannt seinen Körper wie eine Gerte, schlägt die Erde unter seinen Füßen und stößt Staubwolken unter sich zu Nebel. Er ruft: Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Alarm für jeden und jede, die sich schützen wollen. Kauft, Leute, kauft. Sicherheit ist das Gebot der Stunde. Heute alles zum halben Preis!“

Der Traum und sein Erzähler vergehen. Er hält inne mit einem kleinen Seufzer und fällt nach vorn ins Publikum.

WACHALARM

Ich mache die Augen auf. Atemlos, habe mich verknotet im Laken, das wie eine Gesichtsmaske über meinem Kiefer klemmt. Ich befreie mich, taste nach Papier und Bleistift, kritzle etwas zum Erinnern. Ein zu lieb gewonnener Automatismus. Dann kommen die Kopfschmerzen. Habe ich ein Veilchen im Gesicht? Dieses blöde Traumtagebuch nutzt doch eh niemandem. Klopfen. Klopfen? Die Tür geht etwas auf und jemand ruft: „Minibar.“ Ich antworte: „Ich will nix!“ Ein Königreich für einen funktionierenden Türriegel. Es ist 13:30 Uhr. Die Tür ist zu und ich bereite mich auf meinen geliebten Spaziergang an der Isar vor. Kapuze, Handschuh, Schal. Bis zum Englischen Garten laufe ich. Winterwetterwohnflucht. Würdiges Wagnis. Draußen habe ich die Kopfhörer aufgesetzt und meinen Lieblingssender angestellt. Kultur, Klassik und Nachrichten. Herrlich, ich flirte mit Blicken, aber alle Frauen sind hier so groß. Groß und stämmig. München eben!

Das Telefon klingelt und Lutz ist dran. „Du hast ein neues Drehbuch auf dem Zimmer.“ Frankfurter Tatort. Zweiter Fall. „Glückwunsch, Junge.“ Lutz, ich glaube, wir müssen mal über die Terminplanung reden. Wo drehe ich heute, also, heute? „Junge, du bist in München und drehst heute auf der Bavaria.“ Und morgen? „In Berlin. Ich muss los, halt die Ohren steif, du Spinner.“

Ich trabe zurück ins Hotel. Auf dem Weg insistiert mein frecher Kollege aus Düsseldorf, ich möge mir doch Gedanken über meine Aussprache machen. „Danke für deine Sprachnachricht, Markus, aber du nuschelst manchmal ganze Silben weg. Wenn du mich fragst, du sprichst eh zu schnell. Ich muss zum Schwimmunterricht. Bis nachher.“ Ich habe ihm keine Sprachnachricht geschickt. Nein? Mein zweiter Fall wartet auf mich, der ist gleichzeitig meine dritte berufliche Baustelle. Seit 20 Jahren bin ich Schauspieler, habe zwei Fernsehserien und eine Fernsehreihe parallel am Laufen, Karriere gemacht, allem zum Trotz. Von wegen Spinner. Toll, nach einer Stunde bin ich den Stoff durch, mit klarerem Kopf. Ich lese ein zweites Mal. Kein gutes Drehbuch, der reinste Unsinn! Das meine lediglich ich. Ob es stimmt, weiß kein Mensch. Der Autor meint es gut mit mir. Er mag wohl Komik und schreibt lustige Gags für mich in einen Tatort. Das ist nicht mein Ding. Hätte ich zugesagt, müsste es eventuell keinen Dr. Boerne von Kollege Liefers geben. Halt, stopp, der ist Gerichtsmediziner. Da fällt mir ein, dass ich niemanden bewerten will.

Zurück zum Frankfurter Tatort. Vom Baum fallen soll ich, ohnmächtig werden in der Pathologie und den Po meiner Kollegin anfassen. Meine Kommissarfigur ist zu einem Kasperl mutiert. Raus an die frische Luft. Ich forste die Telefonvermittlung vom Hessischen Rundfunk durch, leider ergebnislos. Ich finde eine passende Adressenliste auf meinem Smartphone. Als ich den Autor an der Strippe habe und ihm meine Bedenken schildere, bekomme ich nicht viel Raum und Zeit zum Nachdenken. „Hallo, sind Sie noch da? Bitte glauben Sie mir, ich spiele Ihnen das komisch. Ich kann das. Das ist meine Spezialität. Aber ich sehe die Figur nicht als Clown.“ Ich solle das so spielen, wie er es geschrieben habe – oder ich spiele es gar nicht. „Gut, wie Sie wollen. Dann gar nicht.“ Pause. In Ordnung, Markus! Ich gebe das so an den Sender weiter. Auf Wiederhören. Rotz und Wasser heule ich und rufe Lutz an. Der kocht über. „Du Spinner!“ Rotz und Wasser. Das Ganze ist nicht mehr rückgängig zu machen. Warum warnt mich keiner vor mir selber? Ich bräuchte so etwas wie eine Ego-Alarmanlage. Wie kann man nur so dumm sein? Ich trauere bis Nikolaus. Besorge reichlich Dom Pérignon, ziehe bei meiner Schulkameradin, der Frau Jägerin, wie ich sie nach ihrem Nachnamen nenne, aus, beende eine anstrengende erotische Dreiecksbeziehung – schwer zu erklären, weil kompliziert –, nehme meinen Badezimmerteppich mit, lasse das teure Bodyscrub da, drehe eine weitere Staffel für die Telekom und ziehe in eine Dachetage in Grunewald, um ausgelassen Weihnachten mit den übrig gebliebenen drei wichtigsten Frauen in meinem Leben zu feiern: Oma, Mutter und Schwester.

Irgendwann zwischen den Jahren betrete ich ein Reisebüro und buche für den Jahrtausendwechsel einen Flug auf eine Insel im Ozean. Ein sportliches Tauchressort mit Nähe zum Flughafen habe ich ergattert, doch bange ich innerlich. „Alles geht kaputt in meinem Leben. Die rufen bestimmt nicht wieder an. Bitte, lass die in der hessischen „Tatort“-Redaktion treue Kameraden sein. Ich flieg auch ganz schnell wieder zurück, wenn Du das willst.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt in diesem einen, kalten Monat vor der Währungsreform. Beim letzten Sonnenaufgang des Jahres 1999 treffe ich den wachen Uhu wieder. Er sitzt auf einer Ampel, die gerade auf Orange wechselt. Wir tauschen einen Blick und er nickt mir zu. Ozeanien und viel Sand sind meine Sehnsüchte und gern verteile ich Luftküsse an jeden und jede, die mir meinen Weg dorthin versüßt. Ich liebe die Snacks auf Langstreckenflügen und die gut gelaunten Flugbegleiter, die sich auf einen Tag Auszeit am Strand freuen. Der Flug geht ab Berlin-Schönefeld und alles scheint schön zu werden. „Bitte noch ein Schokomuffin, Herr Stewart!“ Auf den Malediven brüten die Möwen im Fliegen, so heiß ist es – und das Meer ist zum Nichtaushalten kobaltblau gefärbt. Gott, ist das geil. Danke Dir.

Anrufen tut keiner vom Hessischen Rundfunk, aber angucken tue ich endlich meine Traumfrau. 1. Januar, wir schreiben das Jahr 2000, unendliche Weiten … Traumfrau steht auf dem kleinen Zubringerboot neben mir und ignoriert mich nachhaltig. Und ich gucke und gucke, ganz unauffällig. Eine Woche Annäherung folgt, Blumen zum Frühstück, aber keine Intimitäten miteinander, dafür viele Gespräche und Lachen. Wir sind ein bisschen ineinander vernarrt. Als ich Champ, so heißt sie, zum Schnorcheln mit auf einen Ausflug nehme, geschieht das Unfassbare. Champ schwimmt neben mir mitten in einem kleinen Schwarm ungefährlicher tropischer Fische. Plötzlich taucht eine riesige Meeresschildkröte vor uns auf, holt tief Luft, glotzt uns aufmunternd an und Champ greift instinktiv nach meiner Hand. Ich nehme sie, halte sie fest und verliebe mich. Nach einer weiteren gemeinsamen Woche fliege ich zurück nach Deutschland zum nächsten Filmdreh. Champ ist jetzt eindeutig aufgeregt beim Abschied, aber sie glaubt nicht so ganz daran, dass sie mich wiedersehen wird. Sie schreibt mit ihre Telefonnummer auf einen winzigen Zettel. Zurück in Deutschland vermisse ich Champ und suche nach ihrer Nummer. Dann finde ich den Zettel in meinem Waschbeutel und rufe sie an.

Zurück in Deutschland vermisse ich Champ und warte auf ein Lebenszeichen. Dann ruft sie an. Ich bekomme Herzrasen, weil ich sie am liebsten umarmen möchte. Wir treffen uns regelmäßig und unsere Aufregung miteinander ist tatsächlich von Dauer. Wir verbringen viel Zeit zusammen. Wieder ruft ein Filmdreh, es geht nach Vietnam. Die Rolle bekomme ich übrigens vom ZDF auch nur, weil ich tauchen kann. Wir sind am sagenumwobenen südchinesischen Meer. Unser Hauptquartier ist in der Stadt Đà Nẵng. Hier haben amerikanische Fliegerpiloten ihre Brandbomben mit dem Kampfstoff Agent Orange abgeworfen. Zum Ende der aufreibenden Dreharbeiten feiert unser Team abends am Strand. Dort werden wir ausdrücklich gewarnt, beim Baden nicht zu weit hinauszuschwimmen. 10 bis 20 Meter sind erlaubt. Die Strömung sei gefährlich und hier sollen schon Menschen verschwunden sein. Ich bin gewarnt und ignoriere die Gefahr, schwimme und vergesse die Zeit. Als ich zurückblicke, sehe ich am Ufer nur noch Schatten und bin wie gefangen im Meer. Strampeln hilft mir nicht, denn die Unterströmung zieht mich immer weiter weg vom Ufer. Ruhe bewahren ist angesagt. Auf den Rücken drehen, die Beine und Arme nicht nach unten sacken lassen und mit kleinen Bewegungen an der Wasseroberfläche paddeln! Und währenddessen bete ich zu Dir, Gott. „Bring mich bitte hier raus! Ich werde Champ heiraten, wenn du mich zurück zum Ufer lässt, und ich werde mein Leben grundlegend ändern.“ Eine halbe Stunde später bin ich wieder am Strand. Kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, bin ich bereit, Deinem Plan zu folgen. Ich werde versuchen, mein Versprechen rasch einzulösen! Doch womit fange ich an?

Ich habe keine Angst mehr – die ist wohl im Meer versunken – und ich beginne damit, öfter zu beten und dafür zu danken, dass ich noch am Leben bin. Mich neu kennenzulernen fühlt sich gut an.

Zurück in Berlin bleibe ich an der Seite meiner vorherbestimmten Partnerin. Die Faszination für Champ wächst behutsam. Ich weiß nicht, ob dieser Umstand vielleicht die Beständigkeit unserer Beziehung erklärt. Champ ist aus Baden-Württemberg, schenkt mir Heilsteine (Tigeraugen) und spricht mit meinem inneren Kind. Das ist dieser versteckte Teil in uns, der sich in eine Ecke verkrochen hat und mit irgendeinem Schmerz nicht klarkommt. Diesen Anteil haben wir wohl alle und ich bemühe mich, wirklich liebevoll damit umzugehen. Verträumt und stark wie eine kleine Bärenfamilie gehen wir alle drei (inneres Kind, Champ und Markus) miteinander in Resonanz! Und schließlich zeigt mir Champ auch ihr inneres Kind, ihre geheimen Wünsche und Ängste. Alles kommt in kürzester Zeit zusammen. Wir reden, spielen, sind kreativ bei allem, was wir tun. Ich glaube, aufregender kann Liebe nicht sein. Uns ist nie langweilig miteinander. Wir sind wahnsinnig verschmust. Und wenn ich nicht so groß und breit wäre, würde ich am liebsten ganz oft auf Champs Schoß sitzen. Ich bin diesbezüglich wie die Bulldogge, die sich für einen Yorkshire Terrier hält. Umgekehrt gibt es auch Yorkshire Terrier, die sich für Bulldoggen halten. Aber Champ ist anders. Sie ist einfühlsam und gleicht aus, wo sie nur kann. Meine Freunde denken am Anfang, die kleene Maus aus Baden-Württemberg, die hat sich den Promi geangelt. Als später alle mitbekommen, dass Champ diplomierte Industriedesignerin ist und eine Firma leitet, ändern sie ihre Meinung. Wir sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht: Sie ist eine Macherin, kann gut mit Geld umgehen, plant und behält meistens die Übersicht. Ich bin intuitiv, abenteuerlustig und erfinderisch. Wir gewinnen beide an Kraft. Schon bald heiraten wir – und zwar hübsch ökumenisch. Champ ist katholisch und ich evangelisch. Unsere beiden Pfarrer sind ganz offensichtlich dankbar, die Einheit des christlichen Glaubens zu zelebrieren. Sei es ihnen gegönnt, das ist ja auch der Sinn von ökumenisch und so.

Ein neues Jahrtausend hat die Sirene angeworfen. Ich mache hin und wieder Party mit dem üblichen Schnickschnack und höre Dich mahnen: „Markus, erinnere dich an dein Versprechen, dein Leben zu ändern!“ Ich verstehe Dich, bin wach, aber leider zu langsam mit dem Einlösen meines Versprechens, denn um mein Leben von Grund auf zu ändern, braucht es mehr als nur gute Absichten. Ich trickse, wo ich kann, habe einfach zu viel Spaß am ausgelassenen Leben und kann noch kein gottgefälliges Leben führen. Warum nehme ich bewusst in Kauf, dass Du gekränkt bist? Weiß ich, dass Du mir Zeit lässt? Die Selbstverständlichkeit, mit der ich spielerisch den Kontakt zu Dir halte, ist vielleicht nicht gerade schmeichelhaft für mich. Meine moralische Unverfrorenheit geschieht einfach, aber Du lässt mich machen, führst mich, trägst mich – und manchmal schubst Du mich. Dann, bei Dreharbeiten in München trifft mich ein glühendes Schwert, aus welchem Orkus auch immer. Mich sticht eine dieser fiesen kleinen Wespen auf die Wirbelsäule vor laufender Kamera. Ich lande in der Notaufnahme. Die Diagnose ist eindeutig: Ich bin Allergiker – und bin schlagartig hellwach. Meine innere Dramaqueen hat ein neues Sujet. Ab jetzt habe ich vorübergehend Allergien auf alles und jeden! Ich schone mich, steige aus verschiedenen beruflichen Projekten aus und versuche, auch von anderen Giften abstinent zu leben, den schillernden Giften der Berliner Nächte. Das gelingt mir. Doch berufliche Rückschläge, zeitraubende Arztbesuche und andere Maßnahmen kratzen an meinem Ego. Mit viel Schlaf und Besinnung soll so eine doofe Spaßbremse aus mir gemacht werden. Champ akzeptiert und liebt den Chaoten in mir, nur bitte ohne bewusstseinsverändernde Wirkstoffe, also auch ohne Alkohol. Einfach nur wach! Ich lasse mich darauf ein. Das wird mein erster Versuch, ein abstinentes Leben zu führen. Fehlt noch ein gemeinsames Zuhause für Champ und mich.

SCHWEISSALARM

Der Euro ist da, die D-Mark schleicht sich, war abzusehen. Sie war zum Schluss aber auch schwierig. Champ ist finanziell unabhängig, hat berufliche Verbindungen in Potsdam, pendelt zwischen ihrer Arbeit und Berlin hin und her und fragt sich, ob sie weiter in der Selbstständigkeit als Unternehmerin bleiben oder den Weg einer Achtsamkeitstrainerin für verschiedene Auftraggeber gehen soll. Ihr Ziel ist, zertifizierte Qigong-Trainerin zu werden. Das geht sie geradlinig an, erweitert ihre Ausbildung bei der chinesischen Gesellschaft für Qigong Yangsheng. Qigong bedeutet „Üben mit der Lebensenergie“. Ich liebe diese körperlichen Übungen, wenn Champ sie macht. Die traditionelle chinesische Medizin hat es in sich. Champ hat einen langen Weg vor sich und die ganze Zeit staune ich über ihre Ausdauer bei diesen sehr langsamen, gesundheitsfördernden Übungen.

Ich persönlich frage mich eher: Soll ich mir einen Koch leisten oder besser gleich ganz ordentlich einen Butler einstellen? „Markus, möchtest du wissen, was ich da mache bei meiner Arbeit?“ Meine liebe Frau fragt immer wieder mal nach. „Klar, bitte erzähl mir alles, mein Herz.“ So bin ich eben, offen für alles! Aber Qigong erreicht mich nur allmählich und ich weiß lange Zeit nicht, woran das liegt. Irgendwann wird mir bewusst, dass ich innerlich zu angespannt bin und einfach die langsamen Bewegungen nicht ertrage. Das ist die Nervosität, die das hektische Leben mit sich bringt. Für solche Probleme buchen manche meiner Kollegen einen Mental Coach. Ich habe Champ an meiner Seite. Doch wie bei dem alten Sprichwort: „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“ bleibe ich noch lange blind für ihren wahren Wert! Champs Arbeit mit Qigong und Coaching ist wirklich wunderbar, weil sie Körpertherapie, Mentaltraining und Gestaltung der eigenen Lebensentwicklung miteinander verbindet. Sie hilft in Momenten, wenn einem alles zu viel ist und man scheinbar in einer Einbahnstraße angelangt ist. Sie hilft, aufkommende Unzufriedenheit, Erschöpfung und Schlafstörungen mit ihren langsamen und gleichmäßigen Körperübungen zu bewältigen – ich jedoch und regelmäßige Körperübungen, ich und bewusste Langsamkeit? Anschauen kann ich mir so etwas, aber muss ich das selbst praktizieren, bekomme ich Zustände von Schweißalarm. Zwangsläufig erkennt ein gewisser frecher Kollege aus Düsseldorf dieses Defizit bei mir und stellt mir häufig die Frage, warum ich manchmal so verspannt auf der Bühne wirke. Schließlich hätte ich eine Qigong-Trainerin an meiner Seite. „Halt’s Maul, Mann.“ Ich habe heute mein Telefon abgestellt. Er fängt schon wieder an und würzt das Ganze mit seiner neuesten Masche, ich sei der beste Kollege der Welt. Er fühle sich von mir vollkommen akzeptiert und verstanden. Zusammen mit dem Inneren-Kind-Projekt, das Champ in mir vorfindet, ist meine Beziehung zum Schauspielerberuf eine echte Herausforderung für meine liebe Frau, denn sie durchschaut, dass vieles, was wir Künstler als Sinnfindung ausstellen, eher ein narzisstisches Verwirrspiel ist, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Süß, oder? Wie kommt sie darauf? Fazit ist, dass all diese nachhaltigen chinesischen Sachen von Champ zu viel Struktur für einen Durcheinanderbringer wie mich haben. Ich lass das erst einmal beiseite und verzichte im Gegenzug auf die Einstellung eines Butlers.