Martin Luther King - Richard Deats - E-Book

Martin Luther King E-Book

Richard Deats

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Beschreibung

Martin Luther King (1929-1968) ist das Symbol für den Kampf gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Richard Deats, der King persönlich kannte, zeichnet seinen Lebensweg nach und zeigt, woraus dieser "Prophet der Gewaltlosigkeit" seine Vision und seine Tatkraft schöpfte. Deats Lebensbild lässt das Vermächtnis Kings neu lebendig werden: die Verankerung gesellschaftlichen Handelns in Idealen und in der Vision einer humaneren Welt. Mit einem Vorwort von Coretta Scott King, der Witwe von Martin Luther King. Der Autor: Richard Deats, Südstaatler, wurde im College nachhaltig von Martin Luther King geprägt. Der engagierte Bürgerrechtler ist Herausgeber der Zeitschrift Fellowship, Mitglied des Internationalen Versöhnungsbunds und Autor mehrerer Werke zu den Themen Frieden und Versöhnung.

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Richard Deats

Martin Luther King

Richard Deats

Martin Luther King

Traum und Tat.

Ein Lebensbild

Aus dem Amerikanischen von Wilhelm Mühs

Aus der Reihe: ZEUGEN UNSERER ZEIT

Titel der Originalausgabe: Martin Luther King, Jr. Spirit-Led Prophet.

A Biography, (New City Press) London – New York – Manila, 2000.

© 2000 Richard Deats

© für die deutsche Ausgabe: Verlag Neue Stadt, München, 2009

Downloads und Zitate nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlags Neue Stadt.

E-BOOK-Ausgabe der gleichnamigen deutschen Ausgabe von 2008

© Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe bei

Verlag Neue Stadt, München

Umschlaggestaltung und Satz: Neue-Stadt-Graphik

ISBN 978-3-87996-900-5

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

Geleitwort

Einige Biografien über meinen Mann, Martin Luther King jun., bieten eine gute Darstellung seines Lebens und Werks. Doch die ethischen und spirituellen Wurzeln, aus denen er lebte, schienen mir selten angemessen zur Sprache gebracht. Die innere Mitte, aus der mein Mann gelebt hat, war sein Glaube an Gott. Martin stammte aus einer christlichen Predigerfamilie; er setzte diese Tradition bereits in der dritten Generation fort. Für sein politisch-gesellschaftliches Engagement und seine führende Rolle im Kampf um die Rechte der Schwarzen bezog er daraus seine Kraft. Er selbst nennt in seinem ersten Buch, Stride Toward Freedom (Von der Praxis des gewaltlosen Widerstandes) seine Fundamente: „Christus lieferte den Geist und die Motivation, Gandhi steuerte die Methode bei.“

Martin hat sechs Bücher und Dutzende Artikel hinterlassen; er hielt Hunderte von Reden und Predigten, von denen etliche posthum in Sammelbänden erschienen sind. Hinweise auf seine philosophische, ethische und spirituelle Ausrichtung finden sich vor allem in den Büchern Strength to Love, The Measure of A Man sowie A Knock at Midnight. Das vorliegende Buch von Richard Deats leistet einen wichtigen Beitrag, diese Dimension zu erhellen und somit eine Lücke zu füllen. Pastor Deats, Herausgeber des Fellowship Magazine und Mitorganisator des Fellowship of Reconciliation (Internationaler Versöhnungsbund), zählt zu den besten Kennern und aktivsten Befürwortern der Gewaltlosigkeit, für die sich Martin so sehr eingesetzt hat. Vor allem aber war mein Mann eine moralische und geistliche Führerpersönlichkeit. Deats zeigt seine spirituellen Anliegen, seinen Glauben an die Macht des Gebetes, seine Bereitschaft, für eine gerechte Sache zu leiden, zu vergeben und die Feinde zu lieben. Der Kampf gegen die Ungerechtigkeit war für Martin eine moralische Pflicht; er ging ganz auf in dem, was er „Ethik der Liebe“ nannte, und hat sie im persönlichen Leben wie in seinem gesellschaftlichen Engagement beispielhaft vorgelebt. Dies wird in dieser Biografie ebenso deutlich wie der Einfluss, den Theologen, Philosophen und Schriftsteller auf die innere Entwicklung meines Mannes ausgeübt haben. In seinem Widerstand gegen Rassendiskriminierung, Armut und Militarismus verbanden sich Einsichten anderer mit seiner Sicht als christlicher Prediger.

Richard Deats ist ein wertvolles geistliches Porträt von Martin Luther King gelungen. Vieles, was mein Mann hinterlassen hat und was in diesem Lebensbild zutage tritt, hat die Jahre überdauert. Es bleibt eine Quelle der Hoffnung für all jene, die bereit sind mitzuwirken, dass der Traum meines Mannes Tat wird.

Coretta Scott King

Inhalt

Vorwort (von Coretta Scott King)5
Einleitung9
Berufung und Vorbereitung auf das Predigeramt12
Ein Sohn der „schwarzen Kirche“19
Entscheidung für Montgomery23
Gebet in der Küche28
Der Weg der Gewaltlosigkeit32
Nach dem Busboykott von Montgomery41
„Sit-in-Bewegung“ und Freiheitsmärsche47
Die Kampagne von Birmingham54
Auf nationaler Ebene69
In Europa84
Der Marsch von Selma nach Montgomery86
Die Ausweitung der Bewegung nach Norden97
„Black Power“ und der Vietnamkrieg99
Kings Sinn für Humor103
Die eine Menschheitsfamilie105
Der „Feldzug der Armen"110
Endstation Memphis116
Trauer um einen großen Propheten119
Lebensdaten124

Wichtige Stationen im Leben Martin Luther Kings

Einleitung

Es war im Winter 1958; ich studierte am Theologischen Seminar der Universität Boston und war Mitglied einer Gruppe schwarzer und weißer Studenten, die sich anschickte, in die Weihnachtsferien zu fahren. Wir kamen alle aus den Südstaaten und arbeiteten in der Bürgerrechtsbewegung mit; wir waren stolz darauf, an einer Hochschule zu studieren, an der Martin Luther King wenige Jahre zuvor promoviert hatte. Ich hatte an Dr. King geschrieben und ihm mitgeteilt, dass wir unterwegs in Montgomery an einem Gottesdienst in der Dexter Avenue Baptist Church teilnehmen wollten. 1958 war der große Busboykott von Montgomery bereits Geschichte, aber es war noch vor den Freiheitsmärschen der Sechzigerjahre. Eine gemischtrassische Gruppe war damals im Süden der USA noch ein ungewohntes Bild, und es war auch nicht ohne Risiken, so in der Öffentlichkeit aufzutreten. Am Tag bevor wir in Montgomery eintrafen, hatten wir die Koinonia-Farm in der Nähe von Americus, Georgia, ein gemischtrassisches Pionierprojekt im tiefsten Süden, besucht. Clarence Jordan, Professor für Bibelwissenschaften und einer der Gründer von Koinonia, berichtete uns von den Schikanen, denen sie dort ausgesetzt waren: Obstbäume waren gefällt worden, die Farm selbst, in der Nähe der Autobahn, war angegriffen und Häuser waren beschossen worden. Aus der örtlichen Baptistengemeinde hatte man sie ausgeschlossen – mit der Begründung, sie seien Kommunisten und Störenfriede. Dabei versuchten sie nichts anderes, als nach besten Kräften nach den Weisungen der Bergpredigt zu leben ...

Am frühen Morgen des darauf folgenden Tages verließen wir Koinonia und machten uns auf den Weg nach Montgomery. Gerade noch rechtzeitig kamen wir zum Sonntagsgottesdienst in der Dexter Avenue Baptist Church. Wir waren tief beeindruckt von den Gesängen und Gebeten, vor allem aber von der Predigt Dr. Kings. Zu Beginn wies er die Gemeinde auf unsere Gruppe hin, die von der Universität komme, an der er studiert hatte. Er bat uns aufzustehen; wir wurden herzlich begrüßt. Nach dem Gottesdienst hatten wir geplant, in Richtung Mississippi, der nächsten Station unserer Reise, aufzubrechen. Doch als wir uns verabschieden wollten, rief Dr. King seine Frau, und die beiden baten uns, doch zum Mittagessen mit der Familie zu ihnen nach Hause zu kommen. Nach dem Essen saßen wir gemeinsam im Wohnzimmer. Der viel beschäftigte Führer der Bürgerrechtsbewegung ließ es sich nicht nehmen, sich an einem freien Sonntagnachmittag Zeit für junge Studenten zu nehmen ... Diese Begegnung stand mir in den folgenden Jahren, als King mehr und mehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit trat, immer vor Augen.

Zehn Jahre später, am 4. April 1968, wurde er, im Alter von nur 39 Jahren, ermordet, doch seine zwölfjährige Predigertätigkeit hat sich bleibend in das Gewissen der Menschheit eingeschrieben. Ähnlich wie Mahatma Gandhi führte Martin Luther King eine Freiheitsbewegung der Unterdrückten an, die entschlossen für Gerechtigkeit kämpfte – auf dem Weg kompromissloser Gewaltlosigkeit. In einer Zeit, in der sich die Rüstungsspirale immer schneller drehte, während im eigenen Land Gewalt und Ungerechtigkeit zunahmen, verkörperte King eine mutige Alternative: Unerschütterlich warb er dafür, das Böse durch das Gute zu überwinden, Feinde zu Freunden zu machen, Gerechtigkeit durch Gewaltlosigkeit zu erreichen und eine durch Liebe geeinte Menschheitsfamilie zu gründen.

Kings Andenken ist bis heute lebendig geblieben. Anlässlich von Kings 50. Geburtstag regte Präsident Jimmy Carter 1979 bei einem Gottesdienst in der Ebenezer Baptist Church an, diesen Tag künftig als nationalen Feiertag zu begehen. 1983 unterzeichnete Präsident Ronald Reagan im Rosengarten des Weißen Hauses in Anwesenheit mehrerer Mitglieder des US- Kongresses sowie zahlreicher Führer von Bürgerrechtsbewegungen das entsprechende Gesetz; als Mitglied der Martin Luther King Federal Holiday Commission war ich bei der feierlichen Proklamation zugegen. Straßen, Plätze, Parks und Gebäude wurden nach Martin Luther King benannt; Seminare und Universitäten befassen sich mit seinem Leben und seinen Lehren. Zu fragen aber bleibt: Wer wird da als Nationalheld gefeiert? Oft wird nur der faszinierende Redner hervorgehoben, der vor dem Lincoln-Denkmal in Washington seine berühmt gewordene Rede „Ich habe einen Traum“ hielt. Der Träumer wird geehrt. Über die Ursachen und Hintergründe seiner Ermordung schweigt man. Man wagt kaum, die prophetische Stimme anzuhören, die schonungslos die dunklen Seiten unserer Gesellschaft ans Licht gerückt hat, insbesondere das „dreifache Übel des Rassismus, Materialismus und Militarismus“, wie er selbst zu sagen pflegte. Weder in der Außen- noch in der Innenpolitik findet sein Glaube an die Kraft der Gewaltlosigkeit Widerhall.

Wer war Martin Luther King? Prediger, Theologe, Gelehrter, Redner, Führer der Bürgerrechtsbewegung, Märtyrer? Anliegen dieses Buches ist es, Leben und Denken von Dr. King darzustellen und dabei vor allem die Überzeugungen herauszuarbeiten, aus denen er lebte und die Kraft schöpfte, seinem Auftrag treu zu bleiben, was immer der Preis dafür sein würde.

Richard Deats

Berufung und Vorbereitung auf das Predigeramt

Martin Luther King wurde am 15. Januar 1929 in 501 Auburn Avenue in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia als zweites Kind der Eheleute Martin Luther King sen. und Alberta Christine Williams geboren. Er hatte eine um anderthalb Jahre ältere Schwester namens Christine und einen um ebenfalls anderthalb Jahre jüngeren Bruder, Alfred Daniel. Der junge King entstammte einer tief religiösen, in der Baptistengemeinde verwurzelten Familie. Seine Eltern waren in der „Schwarzen Kirche“ der Südstaaten zu Hause. Überzeugende Predigten und kraftvolle Gospel-Gesänge nährten den Glauben der Gemeinde, die sich in Gebetsgruppen, bei gemeinsamen Essen und zu sozialen Aktivitäten zusammenfand. Der Vater, Martin Luther King sen., liebevoll „Daddy“ genannt, war ein bekannter Pfarrer und Gemeindeleiter, der sich mutig für das Wohl seiner schwarzen Gemeinde einsetzte und furchtlos jeder Art von Rassendiskriminierung entgegentrat. Die Mutter, Alberta Christine Williams, war die Tochter des bekannten Pfarrers und Predigers Adam D. Williams, der von 1894 bis zu seinem Tod im Jahre 1931 Pfarrer der renommierten Baptistengemeinde Ebenezer war. Nach seinem Tod wurde King sen. zum Nachfolger seines Schwiegervaters berufen.

Der junge Martin verbrachte seine Kindheit im recht behüteten Milieu der schwarzen Mittelschicht von Atlanta. Seine Eltern und Großeltern waren dem feinfühligen Jungen beispielhafte Vorbilder. Großen Einfluss übte die Großmutter, Jennie Celeste Williams, auf ihn aus. Doch auch in dieser relativ privilegierten Familienatmosphäre, in der die Liebe zu Gott und zum Nächsten eine wichtige Rolle spielte, machte er die bittere Erfahrung der Rassendiskriminierung, die das Schicksal aller Schwarzen in den Südstaaten prägte. Das Erbe der Sklaverei war allgegenwärtig, in den Gesetzen wie im alltäglichen Leben. Martin hatte einen weißen Freund. Als sie eingeschult wurden, kamen sie auf verschiedene Schulen, und der Vater des weißen Jungen untersagte seinem Sohn, weiter mit Martin zu spielen – das Ende der Freundschaft war besiegelt. Dieser Vorfall veranlasste Martins Eltern, mit ihm zum ersten Mal ausführlich über die Rassenprobleme und die Leiden der schwarzen Bevölkerung zu sprechen. Martin selbst erlebte manche Demütigung. Als Jugendlicher litt er sehr unter der Separation – in Schulen, Lichtspielhäusern, Wartezimmern usw.; die Schwarzen mussten sogar getrennte Toiletten benutzen.

Es hätte nahe gelegen, diejenigen zu hassen, die für den Fortbestand der Diskriminierung verantwortlich waren. Doch die Eltern hielten Martin an, „niemals so tief zu sinken, irgendjemanden zu hassen“. Denselben Rat hatte „Daddy“ King auch seiner Gemeinde oft gegeben. Er und die Mutter erinnerten Martin immer wieder an die Christenpflicht, den Unterdrückern mit Liebe zu begegnen.

Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie sich mit der Unterdrückung abgefunden hätten. Der junge Martin erlebte nicht selten, wie sich sein Vater unter großem persönlichen Risiko gegen die Rassendiskriminierung aussprach und sich weigerte, den berüchtigten „Jim Crow“-Gesetzen Folge zu leisten, die die Beziehungen zwischen den Rassen in den Südstaaten regelten [der 1865 gegründete Ku-Klux-Klan bezeichnete als „Jim Crow“ den „dummen Nigger, den schwarzen Untermenschen“, der dazu geboren sei, „der weißen Herrenrasse zu dienen“. Die rassistische „Jim-Crow-Ideologie“ prägt bis heute das Denken größerer Kreise in den Vereinigten Staaten; Anm. des Übersetzers]. Vater King lehnte es beispielsweise ab, in den nach Schwarzen und Weißen getrennten Stadtbussen zu fahren, und er führte den Kampf zur Beseitigung separater Aufzüge im Gericht an. Auch Martins Großvater, A. D. Williams, war ein mutiger Verfechter der Gerechtigkeit und wurde ein Vorbild für den empfindsamen Jungen. Prägend war nicht zuletzt die resolute Mutter. Als Martin zum ersten Mal mit der schmerzlichen Wirklichkeit des Rassismus konfrontiert war, sagte sie ihm mit großer Entschiedenheit: „Du darfst dich nie geringer als andere fühlen! Du musst immer wissen, dass du ein Mensch wie andere bist.“ Es dauerte Jahre, bis Martin seine Antipathie den Weißen gegenüber überwinden konnte.

Die Schule bereitete dem Pfarrerssohn keine Mühe. Überdurchschnittlich begabt, tat er sich durch seinen kritischen, suchenden Verstand hervor. Bereits im Alter von zwölf Jahren rang er mit Zweifeln an einer allzu wörtlichen Auslegung der Bibel. Zu viele Fragen blieben ohne Antwort, zu viele Probleme ungelöst.

Bereits mit fünfzehn Jahren erhielt er 1944 die Zulassung zum Morehouse College in Atlanta. Zunächst wollte er nicht Pfarrer, sondern Rechtsanwalt werden. Diese Pläne waren ein stummer Protest gegen fundamentalistische Tendenzen und die Gefühlsbetontheit der schwarzen Gemeinden des Südens, aber auch gegen das mangelnde Engagement zur Beseitigung gesellschaftlicher Missstände. Doch der Rektor des Morehouse College, Benjamin Mays, und sein Religionslehrer George Kelsey überzeugten den jungen Martin, dass auch der Dienst an der Gemeinde kritisches Denken und Sensibilität für gesellschaftliche Fragen beinhalte und fordere. Rektor Mays, der 1936 Indien besucht hatte, kam in seinen Vorlesungen häufig auf Gandhi und Indiens Freiheitskampf zu sprechen. Während seiner Studien im Morehouse College las King Henry D. Thoreaus Werk „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat“. Der revolutionäre Gedanke, einem ungerechten System sei die Mitarbeit zu verweigern, fiel bei dem jungen Studenten auf fruchtbaren Boden.

Am Ende einer längeren Zeit des Suchens entschloss sich Martin Luther King, sein Leben in den Dienst Gottes und der Menschen zu stellen. Noch vor Beendigung seiner Studien wurde er 1947 ordiniert und wirkte dann als beigeordneter Pfarrer in der von seinem Vater geleiteten Ebenezer Baptistengemeinde.

Ein Jahr später zog er nach Chester, Pennsylvania, und nahm im dortigen Crozer-Seminar, einer Baptisten-Hochschule, das eigentliche Studium der Theologie auf. Mit nur 19 Jahren war er jünger als seine Kommilitonen und einer von elf Schwarzen unter mehr als hundert Studenten.

Vor allem die Schriften von Walter Rauschenbusch, dem führenden Theologen des sogenannten „sozialen Evangeliums“, haben ihn in dieser Zeit stark beeinflusst. Rauschenbuschs Ideen halfen King, sich ein theologisches Koordinatensystem zu eigen zu machen, in dem das Evangelium nicht bloß als Botschaft an den Einzelnen, sondern an die gesamte Gesellschaft verstanden wurde – nicht nur für das religiöse Leben im engen Sinn, sondern für das Leben in allen Aspekten.

Das Gedankengut des amerikanischen evangelischen Theologen Reinhold Niebuhr (1892–1971) überzeugte King von der „Hartnäckigkeit des Bösen“ und davon, dass ein liberaler Optimismus ungeeignet ist, gesellschaftliche Missstände zu beseitigen. Georg W. F. Hegels Dialektik prägte Kings Verständnis gesellschaftlicher Wandlungen: Er wurde sich bewusst, dass die Geschichte ein Prozess ist, in dem jede Situation eine Reaktion hervorruft, aus der sich wiederum eine neue Situation ergibt.

Am Crozer-Seminar lernte er durch die Vorlesungen von A. J. Muste von der Fellowship of Reconciliation (FOR, Internationaler Versöhnungsbund) erstmals den Grundgedanken des Pazifismus kennen. Freilich war er damals ganz und gar nicht davon überzeugt, dass sich solche Ideen verwirklichen ließen. Es war eine Predigt, die ihm solche Vorstellungen näher brachte und seine weitere Entwicklung nachhaltig beeinflusste.

In Philadelphia hörte Martin Luther King eines Sonntags die Predigt des Vorsitzenden der Howard University, Dr. Mordecai Johnson, über Mahatma Gandhi. Johnsons Ausführungen waren so tiefgründig und begeisternd, dass sich der junge King „wie vom Blitz getroffen“ fühlte. Gleich nach dem Vortrag kaufte er sich ein halbes Dutzend Bücher über Gandhis Leben und Wirken. Hier fand er, was er seit langem gesucht hatte: einen Weg für Christen, nicht bloß gegen persönliches Fehlverhalten (wie Lüge und Diebstahl) anzugehen, sondern auch soziale Missstände (wie Rassismus und Krieg) zu bekämpfen. Die Sünde und das Böse in ihrer gesellschaftlichen Dimension ernst zu nehmen heißt ja keineswegs, Jesu Lehre über die zentrale Stellung der Liebe im persönlichen Glaubensleben aufzugeben. Lange hatte King mit den Rassenvorurteilen und der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit gerungen. Er hielt weder den Kapitalismus noch den Kommunismus für geeignet, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Bei Gandhi glaubte er eine Methode zu finden, wie eine Ethik, die auf Jesu Liebesgebot gründet, Missstände beseitigen und die Gesellschaft positiv verändern kann. Das war keine passive Widerstandslosigkeit, sondern gewaltloser Widerstand als wirksames Mittel, um einen gesellschaftlichen Wandel in großem Stil herbeizuführen. Die Entdeckung Gandhis wurde für King zu einem Schlüsselerlebnis.

Im Crozer-Seminar war King nicht nur ein hervorragender Schüler; er wurde von seinen Mitstudenten auch zum Klassensprecher gewählt und zum „vorbildlichsten Studenten“ ernannt. Gleichzeitig erhielt er ein Stipendium für weitere Studien.

Tief beeindruckt von der Theologie Edgar Sheffield Brightmans setzte King sein Studium an der Universität Boston fort, mit dem Ziel zu promovieren. In seinem Buch „Das Gottesproblem“ hatte Brightman vom Gott der Christen als einem persönlich nahen, in die Geschichte und Geschicke der Menschen eingreifenden Gott gesprochen. Gott stand nicht fern, abseits und uninteressiert dem Menschen gegenüber, sondern unterstützte – persönlich betroffen und mitleidend – dessen schweren Kampf gegen alles, was einem erfüllten und glücklichen Leben entgegenstand. Seine Dissertation schrieb King auf dem Gebiet der systematischen Theologie unter der umsichtigen Leitung der Professoren Brightman und L. Harold de Wolf. Seine Doktorarbeit trug den Titel: „Ein Vergleich der Gottesbegriffe bei Paul Tillich und Henry Nelson Weiman“. In der Auseinandersetzung mit Tillichs und Weimans Gottesbegriff fand King zu einem entschiedenen Bekenntnis zu einem persönlichen Gott. Bei ihm, so King, „finden sich Gefühl und Wille sowie Antworten auf die tiefsten Sehnsüchte des menschlichen Herzens. Dieser Gott hört und erhört unser Gebet“.

Das Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Boston, dem ältesten Seminar der Methodisten in den Vereinigten Staaten, brachte ihn in Kontakt mit zahlreichen Vertretern des Pazifismus, der Gewaltlosigkeit und des „sozialen Evangeliums“, wie beispielsweise Dekan Walter Muelder, Allan Knight Chalmers, S. Paul Schilling und Howard Thurman, Dekan der Universitätskirche, afroamerikanischer Prediger, Mystiker und Schriftsteller. Thurman, der ein Kommilitone von Martins Vater im Morehouse College gewesen und ein enger Freund der Familie geblieben war, kam in Martins letztem Studienjahr an die Boston University und wurde zu einem lebenslangen Freund und Mentor.

Martin Luther King hatte häufig Gelegenheit zu predigen; er war für seine Überzeugungskraft und Redegewandtheit bekannt. Wann immer es die Umstände erlaubten, kehrte er nach Atlanta zurück, wo er enge Beziehungen sowohl zu seiner Familie wie zur dortigen Gemeinde unterhielt. Er hatte Freundschaft mit zahlreichen schwarzen Studenten des Campus geschlossen und war Mitglied eines sogenannten „Philosophischen Clubs“ geworden, in dem Schwarze und Weiße, Männer und Frauen einmal im Monat Vorträge hielten und theologische Themen erörterten, vor allem mit Bezug auf die afroamerikanische Gemeinschaft.

Während seines Studiums in Boston lernte er Coretta Scott aus Alabama kennen, die am New England Conservatory Gesang studierte. Beide waren bald davon überzeugt, im anderen den richtigen Lebenspartner gefunden zu haben, und sie entschlossen sich zu heirateten. Die Trauung fand am 18. Juni 1953 im Vorgarten ihres Elternhauses in Alabama statt, wo Daddy King dem Paar den kirchlichen Segen spendete. Da es ihnen unmöglich war, ein Hotelzimmer in der Gegend zu finden, wo die Rassendiskriminierung hohe Wellen schlug, verbrachten sie ihre Hochzeitsnacht bei Freunden.

Nachdem Martin Luther King 1954 seine Ausbildung abgeschlossen hatte, trat er nach einer Probepredigt am 1. September 1954 als erst 25-Jähriger die Pfarrstelle in der Dexter Avenue Baptist Church in Montgomery, Alabama, an. Er hatte sich entschlossen, mit seiner Frau in den Süden zurückzukehren, obwohl ihm eine akademische Laufbahn angeboten wurde und ihm mehrere bedeutende Pfarrstellen in verschiedenen Landesteilen offen standen. Nach dem Umzug nach Montgomery beendete King seine Doktorarbeit und promovierte am 5. Juni 1955 zum Dr. der Philosophie. Durch die Studienzeit im Norden des Landes, den Kontakt mit vorwiegend europäisch- amerikanischen Kommilitonen und die Beschäftigung mit bedeutenden Theologen fand King eine neue Weite des Denken und Glaubens, doch er blieb seinen Wurzeln treu: der Tradition der black church, der „schwarzen Kirche“.

Ein Sohn der „schwarzen Kirche“

Der Glaube Martin Luther Kings nährte sich aus der schwarzen Baptistentradition des Südens. Der Theologe und Gelehrte, der Prophet des „sozialen Evangeliums“ und der Gewaltlosigkeit hat nie seine Verwurzelung in der black church verleugnet. Der Urgroßvater und der Großvater mütterlicherseits sowie sein Vater waren allesamt schwarze Baptistenprediger. Sie stammten aus einer religiösen Tradition, in der sich die Erfahrung der Sklaverei ihrer afrikanischen Vorfahren bleibend niedergeschlagen hatte. Gegen ihren Willen waren Millionen Schwarzer nach Amerika verfrachtet worden, wo sie ein erniedrigendes Sklavenschicksal erwartete. Als Bürger zweiter Klasse behandelt, fanden sie Trost und Kraft in ihrem Glauben. Es entstand eine Frömmigkeit ganz eigener