Mein Kunsthandwerk - COLETTE C. CAMENISCH - E-Book

Mein Kunsthandwerk E-Book

COLETTE C. CAMENISCH

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Beschreibung

Lebensgeschichten, Lebenserfahrungen, Tragisches, Lustiges: Was Dr. Colette C. Camenisch täglich in ihrer Sprechstunde als plastisch-ästhetische Chirurgin zu hören bekommt, hat sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute ist. Bewegende Geschichten, die sie als Mensch und Medizinerin geformt haben. Dafür ist sie dankbar. In ihrem Buch Mein Kunsthandwerk Plastische Chirurgie schreibt Dr. Colette C. Camenisch, plastisch-ästhetische Chirurgin und leitende Ärztin der Clinic Beethovenstrasse in Zürich über ihre Arbeit. Aber auch ihre Patientinnen und Patienten kommen zu Wort. Wichtig ist ihr, mit der Vorstellung aufzuräumen, dass ästhetische Eingriffe nur ein Privileg der Oberschicht sind. Sie sieht ihre Aufgabe als erfüllt an, wenn Patienten sich mit ihrem Körper identifizieren und sich wieder selbst annehmen können. Ein eindrücklicher Text-/Bildband voller Lebensgeschichten

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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mein Kunsthandwerk—Plastische Chirurgie

Colette C. Camenisch

Edition Königstuhl

2025-06-10

© 2025 Edition Königstuhl. All rights reserved.

Mein Kunsthandwerk—Plastische Chirurgie

Über dieses Buch

Anstatt eines Vorworts: Ein Bekenntnis

Teil 1 – Meine Berufung

Der Weg zur Chirurgin: ein Kindheitswunsch

Prägende Zeiten in Indien

Harte Jahre in der Notfallmedizin

Ich hab’ noch einen Koffer in Stockholm

Selbständig als Plastische Chirurgin

Colette C. Camenisch – Interview:

Aus dem Innenleben meiner Praxis

Teil 2 – Meine Patienten

Christina, 28 – Bauchdecken- / Oberarmstraffung:

«Ich bin noch nicht wirklich in meinem neuen Körper angekommen»

Anna, 54 – Lipödem:

«Nach der Operation fühlte ich mich sexy»

Silvia, 60 – Brustimplantatwechsel:

«Gutes Aussehen macht glücklich»

Mark, 67 – Lidstraffung:

Den Blickwinkel erweitert

Carmen, 45 – Tubuläre Brust:

Ein neues Spiegelbild

Mia, 23 – Schamlippenreduktion:

«Vier Wochen lang durfte ich keinen Sport machen. Das wars.»

Andrea, 61 – Brustreduktion:

Die Last von den Schultern genommen

Danksagung

Impressum

Title Page

Cover

Table of Contents

Über dieses Buch

Klappentext:

«Lebensgeschichten, Lebenserfahrungen, Tragisches, Lustiges: Was ich täglich in meiner Sprechstunde zu hören bekomme, bewegt mich und hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.» Das schreibt die Plastisch-Ästhetische Chirurgin Colette C. Camenisch in diesem Buch. «Mein Kunsthandwerk Plastische Chirurgie» ist kein medizinischer Ratgeber. Zutiefst menschlich beschreibt die Ärztin ihren Weg hin zur Plastischen Chirurgin. Vor allem aber schreibt sie über jene, die einsam leiden und sich verstecken, schliesslich aber ihre Scham überwinden und sich in die Sprechstunde trauen. Und über die legitime Sehnsucht nach Schönheit, die in jedem Menschen steckt. Sieben Patientinnen und Patienten schildern ihre Reise hin zu einem sie glücklich machenden ästhetischen Ergebnis. Eindrückliche Erzählungen, die aufzeigen, dass Plastische Chirurgie nicht nur auf der physischen, sondern auch stark auf der psychischen Ebene eine wichtige Rolle spielt.

Anstatt eines Vorworts: Ein Bekenntnis

Lebensgeschichten, Lebenserfahrungen, Tragisches, Lustiges: All dies wird mir täglich in meiner Sprechstunde zugetragen. Geschichten, die mich manches Mal tief bewegen. Und die mich als Medizinerin und Mensch geformt haben.

Ärztin wollte ich schon als Teenager werden, Chirurgin ein paar Jahre später. Am Ende habe ich gar zwei chirurgische Ausbildungen gemacht. Worüber ich heute sehr froh bin. Ich durfte bei den besten Ärzten lernen und habe so mein Handwerk über die Jahrzehnte verfeinert und perfektioniert. Darüber berichte ich in diesem Buch. Der holprige, aber dennoch lohnenswerte Weg meiner Ausbildungen wie auch die medizinisch-ästhetischen Anforderungen an uns Ärzte sind für Medizinstudenten und angehende Chirurgen möglicherweise eine spannende Lektüre.

Diese Publikation ist aber vor allem meinen Patientinnen und Patienten gewidmet. Sie sind es, die mich jeden Tag aufs Neue zu Höchstleistungen antreiben. Deren Freude über ein gelungenes Resultat berührt und freut mich immer wieder. Sätze wie «Vielen Dank, Frau Doktor, Sie haben mir geholfen, mich in meinem Körper wohlzufühlen» sind wunderbar zu hören. Dann weiss ich, dass ich vieles richtig gemacht habe. Dass mein Handwerk seine Berechtigung hat.

Welches Schicksal manche meiner Patientinnen und Patienten erleiden, bevor sie zu mir kommen, auch darüber schreibe ich. Und einige von ihnen kommen selbst zu Wort. Sie lassen uns teilhaben an ihrer ganz persönlichen Reise. Von der Entscheidung, in meine Praxis zu kommen, sich einer Operation zu unterziehen, bis hin zum postoperativen Ergebnis. Mit grosser Offenheit berichten sie über ihre Sorgen, Ängste und Herausforderungen. Oft verbergen sich traurige Geschichten hinter ihren Worten. Weil ich weiss, wie viel Überwindung es kostet, vermeintliche oder tatsächliche körperliche Makel zu offenbaren, bin ich dankbar, dass sie die Leserin, den Leser an ihren Geschichten teilhaben lassen.

Mein Buch ist kein medizinischer Ratgeber. Auch gibt es hier keine perfekt inszenierten Vorher-Nachher-Bilder zu finden. Mein Anliegen ist ein anderes: Meine Patientinnen und Patienten sollen zu Wort kommen, stellvertretend für all jene, die unglücklich mit ihrem Körper sind, die sich verstecken, die sich schämen, die unter Schmerzen leiden und sich nicht aus dem Schatten trauen. Vielleicht helfen ihre Geschichten zu verstehen, dass der Wunsch nach Ästhetik, das Bedürfnis, sich in seinem Körper wohlzufühlen, in jedem von uns schlummert und seine Berechtigung hat.

Meine Aufgabe als Ärztin und insbesondere als Chirurgin besteht darin, die perfekte chirurgische Technik für jedes Patientenproblem zu kennen und anzuwenden. Ich möchte die Erwartung des Patienten verstehen, sie allenfalls anpassen, ich möchte versuchen, seinen Wunsch umzusetzen, damit ich das Ergebnis erreichen kann, das unter den gegebenen Umständen möglich ist. Bestenfalls ist es das, was sich der Patient erträumt hat.

Ich betrachte mich als Begleiterin meiner Patienten auf dieser Reise, indem ich sie an der Hand nehme und führe. Gemeinsam diskutieren wir, freuen uns über die guten Ergebnisse oder erleben unter Umständen auch die Höhen und Tiefen der postoperativen Phase nach einem grossen Eingriff. Dies mit dem einen Ziel: ein neues, positives Körpergefühl zu schaffen! Es ist mir wichtig, mit der Vorstellung aufzuräumen, dass plastische Eingriffe ein Privileg gut verdienender Menschen sind. Oder schlimmer: Dass sie gar unnötig sind. Zu mir kommen Menschen beider Geschlechter, aller Altersklassen und aller Berufe. Einige haben jahrelang einsam gelitten, bevor sie sich zu mir getraut haben. Das beelendet mich immer wieder. Warum nur, frage ich mich, sind Eingriffe wie etwa Brustverkleinerungen, Lidstraffungen oder Schamlippenkorrekturen mit einem gesellschaftlichen Makel behaftet? So, als wären solche Operationen reiner Luxus einer Überflussgesellschaft.

Schön wäre, es gelänge mir in diesem Buch, mit den Einblicken in das Leben meiner Patienten und in dasjenige einer Plastisch-Ästhetischen Chirurgin Vorurteile abzubauen. Plastische Eingriffe sind nicht banaler Lifestyle. Sie können eine seelische und körperliche Gesundung bewirken und Menschen eine neue Lebensqualität schenken.

Teil 1 – Meine Berufung

Der Weg zur Chirurgin: ein Kindheitswunsch

Die Fünftklässlerin sitzt auf einem grossen Stein vor einem Maiensäss mitten in den Bündner Bergen. Vor ihr steht ein älterer Herr. Schaut auf sie herunter und fragt: «Weisst du schon, was du einmal werden willst?» Die Elfjährige: Das war ich. Der ältere Herr war der Hausarzt meiner Eltern. Lange überlegen musste ich nicht: «Ich will Ärztin werden», sagte ich. «Aha», meinte er daraufhin. «Dann musst du dich beim Lehrer für die Prüfungsvorbereitungen in der Kantonsschule anmelden.» Was ich dann auch tat. Wer mit elf Jahren beschliesst, Ärztin werden zu wollen, hat einen unendlich langen Weg vor sich. Aber dieses Ziel hat mich in den folgenden Jahren immer beflügelt.

Ich war in der Schule keine Überfliegerin. Wenn ich in Chur zu der auf einer Anhöhe gelegenen Kantonsschule hinaufschaute, erfüllte mich das mit Ehrfurcht. Tausend Schülerinnen und Schüler wurden dort unterrichtet. Das ganze Oberland kam, um an dieser Schule die Matur zu machen. Für mich bedeutete es von Beginn an, viel Einsatz zu bringen. Ich kämpfte zunächst ordentlich mit den Tücken der Mathematik und Physik. Im zweiten Jahr empfahl der Lehrer eine Zurückstufung in die Sekundarschule. Was für mich absolut nicht infrage kam. Ich hatte ja ein Ziel: das Medizinstudium. Das geht nicht ohne Matura. Unterstützt von meinen Eltern blieb ich also auf der Kanti und biss mich durch.

Als Voraussetzung für das Medizinstudium braucht es Latein, was mir als einziges Fach neben Biologie wirklich Freude machte. Immer wieder träumte ich mich während den Gymi-Jahren in meinen Traumberuf hinein. Mit 17, zwei Jahre vor meinem Abschluss, war mir klar: Ich wollte nicht nur Ärztin, sondern Chirurgin werden. Und dann, mit 19, hatte ich die Matura in der Tasche.

Ich fieberte der ersten Chance entgegen, endlich in die Welt der Medizin einzutreten. Ich wollte Krankenhausluft schnuppern. Den Ärzten auf die Finger schauen. In Chur bot sich für junge Menschen die Gelegenheit, bei einem «Häfeli-Praktikum» erste Einblicke zu bekommen. Ja wirklich! Es heisst so, weil die Praktikanten die «Hafen», die Bettpfannen der Patienten, leeren müssen. Ich kam auf eine medizinisch-chirurgische Abteilung. Es war einfach grossartig. Ich war so lernbegierig, dass ich bei jedem Verbandswechsel dabeisein wollte. Und ich liess keine Gelegenheit für einen Besuch im Operationssaal aus. Da stand ich dann im Hintergrund und sog alles in mich auf. Ich liebte die Energie im OP. Alles in mir leuchtete. Ich durfte bei einer Operation am Hirn und bei einer Knie-Totalprothese zuschauen. Was mich faszinierte, aber in beiden Fällen damit endete, dass ich umkippte. Ein vom Bein abgetrenntes Wadenbein anzuschauen, ist natürlich schon gewöhnungsbedürftig. Egal, ich war total euphorisiert und so begeistert von der Arbeit, dass ich statt eines Monats deren sechs dort blieb.

Schliesslich machte ich mich nach Zürich auf, um mich für ein Medizinstudium an der Universität einzuschreiben. Rückblickend denke ich, dass wir es zu Beginn der 1990er-Jahre sehr viel besser hatten als spätere Anwärterinnen und Anwärter für diesen Studiengang. Bei uns gab es noch keinen Numerus Clausus. Wer die Energie und das Interesse mitbrachte, konnte mit dem Studium beginnen. Wegen des Numerus Clausus geht es seit einigen Jahren bei der Auswahl der Studierenden nur noch um Noten. Mit dem Studium kann beginnen, wer einen Test besteht, bei dem die erforderlichen Qualitäten eines guten Arztes nicht wirklich geprüft werden. Das hat Folgen: Zum Studium zugelassen werden nicht diejenigen, die sich für diese Arbeit berufen fühlen oder die grösste Empathie mitbringen, sondern diejenigen, die den Eintrittstest bestanden haben.

Wir brauchen aber auch heute dringend junge, innovative Ärztinnen und Ärzte, die nicht nur medizinisches Wissen mitbringen, sondern die auch die jeweilige Landessprache und die Kultur der ansässigen Menschen verstehen. Es braucht Menschen, die motiviert sind, die lernen wollen und bereit sind, regelmässig einen überdurchschnittlichen Einsatz zu leisten.

Insofern finde ich die Entscheidung richtig, dass das Parlament 2024 beschlossen hat, den Numerus Clausus für Medizin zukünftig abzuschaffen. Empathie und Leidenschaft sowie Sozialkompetenzen sind mindestens so wichtige Voraussetzungen für das erfolgreiche Ausüben dieses Berufes wie die nackten Ziffern einer Note.

Als ich mich in Zürich immatrikulieren wollte, hiess es, der Kanton Graubünden zahle für seine Studenten zu wenig Subventionen, daher müsse ich für das Medizinstudium nach Bern gehen. Nach Bern! Was sollte ich dort? Für mich kam nichts anderes infrage als die Universität Zürich. Mein Sozialleben fand hier statt. Erneut stieg ich in den Ring, um für einen Ausbildungsplatz in Zürich zu kämpfen. Und es gelang! Schliesslich konnte ich in Zürich studieren.

Dann kamen die ersten Vorlesungen. Da sassen 685 Studentinnen und Studenten im grossen Hörsaal der Universität Irchel. Wie provinziell kam ich mir vor, wenn ich in der ersten Reihe diese blonden, grossen, schlanken Zürcherinnen sah. Allesamt ausgestattet mit schicken Handtaschen und den edlen Seidenfoulards von Fabric Frontline, die in Zürich gerade «en vogue» waren. Wir aus Graubünden sahen deutlich anders aus, was mich etwas frustrierte. Mein Bündner Kollege, typisch Mann, sah das gelassen. Er tröstete mich, indem er mir eine Tüte M&M-Schokoladekugeln hinhielt. «Daraufhin gönnen wir uns etwas Zucker», sagte er lapidar. Die Frustration hat sich relativ schnell gelegt. Geblieben ist aber eine schlechte Ernährungsgewohnheit: Gefühlt habe ich mich mein ganzes Vorklinikum hindurch von M&Ms und Eistee ernährt.

Als didaktisches «Genie» entpuppte sich der Professor, der vorne am Rednerpult stand. «Schauen Sie sich Ihren Nachbarn gut an», sagte er ins Mikrofon, «in einem Jahr wird er nicht mehr hier sein.» «Okay, super», dachte ich, «das ist eine echt aufmunternde Ansage.» Das Studium war wirklich etwas für Hartgesottene. Für alle Studierenden stand beispielsweise nur ein einziger Drucker zur Verfügung. Das hiess: Entweder im Morgengrauen aufstehen, um sich genügend Zeit fürs Ausdrucken zu sichern, oder einen anderen Studenten bestechen, der bereits am Drucken war. Ich tat beides. Ich lernte, was es bedeutet, die Ellenbogen auszufahren.

Ganz ehrlich: Die ersten vier Semester, die vorklinische Phase des Studiums, waren für mich eine Plackerei. In diesem Ausbildungsabschnitt werden die grundlegenden naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächer vermittelt. Blanke Theorie! Vorklinische Phase: Das bedeutet neben Physik und Chemie pauken auch Anatomie, Biologie und Histologie sowie Embryologie in den Kopf bekommen. Alles Fächer, die nicht wirklich auf meiner Wunschliste standen. Dennoch schaffte ich die ersten zwei Semester erfolgreich.

Im zweiten vorklinischen Jahr stellte sich heraus, dass mein Talent für Biochemie an einem kleinen Ort war. Hin und wieder explodierte es bei meinen chemischen Experimenten. Als Pharmazeutin hätte ich definitiv nicht getaugt. Ich habe mich im Fach Chemie gerade so durchgeschlängelt. Einer scheint mich durchschaut zu haben: Mein Professor für Biochemie sagte mir ganz uncharmant ins Gesicht, dass ich für ein Chemiestudium definitiv nicht tauge. Nach den ersten vier Semestern kam die zweite vorklinische Prüfung, im Fachjargon zweites Propädeutikum. Hier fiel ich insbesondere wegen der Biochemie durch. Ich hatte völlig falsch gelernt. Ich dachte, meine Welt stürze ein. Und machte erst mal ein Jahr Zwangspause. Es gab ja die Möglichkeit, ein zweites Mal anzutreten. Ich lüftete meinen Kopf und arbeitete als Hufschmied-Assistentin in der Region Zürich. Mein Leben lang war ich geritten, war mit Pferden grossgeworden. Die Arbeit mit den Händen und den Tieren tat mir gut. Nebenbei lernte ich erneut für die Prüfung. Und beim zweiten Anlauf klappte es dann auch. Ich bestand. Endlich konnte die Ausbildung in den klinischen Fächern beginnen.

In der klinischen Phase, die acht Semester dauert, lernen die Studierenden alles über die einzelnen medizinischen Bereiche, unter anderem Allgemeine Medizin, Augenheilkunde, Gynäkologie, Psychiatrie, Radiologie, Pathologie und zum Glück auch Chirurgie. Durch Praktika erhalten sie zusätzliche Einblicke in den medizinischen Alltag, etwa bei niedergelassenen Ärzten oder Fachkursen in verschiedenen Kliniken der Ostschweiz.

Nun begannen meine tollsten Studentinnenjahre. Eine grossartige Zeit. Tagsüber besuchten wir spannende klinische Vorlesungen, am Abend studierten wir dann intensiv das Zürcher Nachtleben. Trafen uns etwa im Zürcher Kaufleuten. Natürlich hatten wir kein Geld für den Ausgang, aber wir konnten uns reinschmuggeln, einer unserer Studienkollegen war Türsteher. Und unseren Campari-Orange hatten wir zu Hause in kleine Fläschchen abgefüllt und trugen sie in den Handtaschen mit uns. An diese Zeit denke ich mit einem Schmunzeln zurück. Ich hatte wirklich ein sehr intensives Sozialleben.

Es gehört zur medizinischen Ausbildung, einzelne praktische Kurse am Universitätsspital zu durchlaufen. Für Studierende ist das oft auch der Moment, in dem sie schwer kranke Menschen zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Ich war auch auf der Intensivstation. Damals lagen dort die ersten Ecstasy-Fälle. Mir wurde bewusst, was Drogen anrichten können. Fasziniert war ich von der Notfallstation. Ich liebte von Anfang an die Atmosphäre dort, habe diese richtig aufgesogen. Mein Wunsch, Chirurgin zu werden, verstärkte sich noch mehr durch all diese Einblicke.

Während der sieben Jahre an der Uni hatte ich extrem wenig Geld. Als mein Grossvater starb, erbte ich aber einen Batzen und konnte auf bescheidenem Niveau mein Studium fünf Jahre finanzieren. In den letzten beiden Jahren arbeitete ich dann nebenher. Was mich oft genug an meine Grenzen brachte. Ich hatte in einem Kinderheim für physisch und psychisch behinderte Kinder in Stallikon einen Betreuungsjob gefunden. Dort leistete ich Nachtdienste. Einige der Kinder hatten Trisomie 21 oder waren autistisch. Andere waren durch Geburtsgebrechen wie CP (Cerebralparese) körperlich schwerst beeinträchtigt. Ich musste sie füttern, waschen, wickeln.

So ging ich tagsüber an die Uni oder ins Spital und nachts arbeitete ich Schicht. Es war hart. Ich kämpfte. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass sich Durchhaltewillen und Einsatz in diesen Ausbildungsjahren auszahlen. In diesem Alter ist jeder extrem leistungsfähig. Und die Arbeit neben dem Studium hatte nebst dem Umstand, dass ich Geld verdiente, auch einen weiteren wertvollen Effekt: Ich hatte engen Patientenkontakt. Ich hatte ja bereits in meinem «Häfeli-Praktikum» Patienten betreut, nun kam mit den Kindern im Heim eine weitere wichtige Erfahrung dazu. Im Gegensatz zu manch anderen Medizinstudenten hatte ich auf diese Weise sehr früh die Möglichkeit, meine Sozialkompetenzen im Umgang mit kranken oder behinderten Menschen zu entwickeln.

Medizin, das bedeutet für mich alles, was im anatomischen, histologischen und psychologischen Bereich der Menschen stattfindet. Es bedeutet auch das Austüfteln von Lösungen bei medizinischen Problemen. Einen Weg dorthin zu finden. Den Austausch mit den Patienten. Menschen wieder gesund zu machen. Und ich hatte grosses Glück, dass es unter meinen Professorinnen und Professoren einige herausragende Lehrmeister gab. Phantastische Ärzte, die mich gefordert und gefördert und dadurch massgeblich geprägt haben.

Da war zum Beispiel im zweiten Studienjahr Frau Professorin Mirjana Manestar. Ungarin und hervorragende Anatomin, bestens geschult, intelligent. Eine Koryphäe, die sich in dieser Zeit in einer Männerwelt durchsetzte und sich Respekt verschaffte. Sie war es, die mich im zweiten klinischen Jahr völlig aufgelöst vor dem Präparationssaal vorfand. Also jenem weissgekachelten Saal, in dem auf Edelstahltischen menschliche Leichen liegen. Körperspenden, an denen angehende Studenten den menschlichen Körper sezieren und dessen Anatomie kennenlernen. Weil wir für die praktischen Kurse nach dem Alphabet eingeordnet wurden und ich Camenisch heisse, hatten wir auffällig viele Bündner an unserem Tisch. Alle, die eben mit C begannen: Camenisch, Caduff und Caflisch. Tisch 16. Wir standen um ihn herum, es hiess, ich solle das Skalpell ansetzen und den ersten Schnitt machen. Und was tat ich? Ich konnte nur immer an diesen verstorbenen Mann denken, der da vor mir lag. Wie war wohl sein Leben verlaufen? Dann kippte ich am Seziertisch einfach um. Meine Empathie, die mir im Umgang mit meinen Patientinnen und Patienten später so helfen sollte, war an Tisch 16 noch nicht gefragt.

Die Leichname im Präparierkurs werden mit Formaldehyd konserviert. Das produziert einen eigenen, sehr strengen, beissend-süsslichen Geruch. Dies machte das Sezieren noch schwieriger. Auch beim zweiten Versuch, mich wieder am Tisch einzureihen, hatte es mich umgehauen. Und nun hockte ich ein zweites Mal ausserhalb des Saals. Dabei hatte ich doch einen Traum, wollte Chirurgin werden. Endlich hielt ich ein Skalpell in der Hand – und nun das! Ich war nicht einmal fähig, eine Leiche aufzuschneiden. Ich dachte wirklich, mein Traum sei geplatzt. Die Tränen rannen. So fand mich Professorin Mirjana Manestar vor. «Warum sitzen Sie hier?», wollte sie wissen. «Ich bin schon zweimal umgekippt», schluchzte ich. «Kein Problem, wenn Sie nicht Chirurgin werden wollen», sagte sie beruhigend. «Das will ich aber!», heulte ich. Sie holte Luft, sah mich scharf an und meinte dann knapp: «Dann haben wir ein Problem.» Sie erklärte mir, wie ich mit einer solchen Situation umgehen könnte. Ich solle mir klar machen, dass der Mann seinen Körper ja freiwillig zur Verfügung gestellt habe, weil er angehenden Medizinern helfen wolle, ihr Handwerk zu lernen. Dass er stolz darauf sei. Und natürlich, dass er den Schmerz nicht spüre. Sie nahm mich am Arm, ging mit mir zurück zum Tisch und blieb neben mir stehen. «So, Frau Doktor, jetzt reissen Sie sich zusammen und machen das. Es ist der Beginn ihrer Karriere.» Sie schaute mir lange zu, klopfte mir dann auf die Schultern und sagte: «Sie sind die geborene Chirurgin!» Das war so rührend. Ich sah Mirjana Manestar dann später bei Weiterbildungen wieder. «Ich erinnere mich an Sie», sagte sie, «Tisch 16. Sie waren etwas zart besaitet.» Ich musste lachen. Ja, das war ich.

Eine charismatische Kapazität war auch Erwin Koller, Professor für Physiologie, jenes medizinische Spezialgebiet, das sich mit Ursache und Wirkungen von körperlichen Vorgängen befasst. Beispielsweise dem Herzrhythmus. Professor Kollers Vorlesungen waren originell und emotional. So schaffte er es, dass wir beim Lernen Spass hatten. Er sagte so lustige Dinge wie: «Müssten Männer nur einen Monat den Hormonhaushalt einer Frau ertragen, würden sie reihenweise Selbstmord begehen.» Davon sei er fest überzeugt. Bei ihm lernten wir aber auch EKGs (Elektrokardiogramme) zu interpretieren, die Messungen der elektrischen Aktivität des Herzens. Und natürlich mussten wir gegenseitig unsere EKGs lesen. Er hielt mein EKG in die Höhe, lachte und sagte: «Und hier haben wir das EKG eines Kindes.» Ich war etwas konsterniert. Aber gelernt haben wir alle etwas, als er sagte: «Kleine Menschen brauchen keine grosse Pumpe.» Okay, das hatte ich begriffen, gross gewachsen bin ich tatsächlich nicht. Er hatte recht. Ich fühlte mich einfach etwas vorgeführt.