Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Nick Vujicic (sprich: Wu-ji-tschitsch), 28: "Ohne Arme und Beine ist nicht halb so schlimm wie ohne Hoffnung!" Als kleiner Junge will Nick sich das Leben nehmen - heute reist er um die Welt, versprüht Lebensmut und liefert neue Perspektiven für Probleme des Alltags. Über die Kraft der Hoffnung spricht der leidenschaftliche Angler, Surfer und Unternehmensgründer weltweit in Schulen, Stadien und Slums genauso wie beim Weltwirtschaftsforum 2011 in Davos oder bei Oprah Winfrey - und überall fasziniert und ermutigt er die Menschen. Sein Lachen erobert Herzen, seine Geschichte bewegt Jung und Alt. Mit Gottvertrauen, Esprit und einer extra Portion Humor erzählt er hier aus seinem Leben - einem Leben ohne falsche Limits!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 352
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Nick Vujicic
Mein Leben ohne Limits
„Wenn kein Wunder passiert,sei selbst eins!“
Aus dem Englischen von Julian Müller
Das Original dieses Buches erschien im Jahr 2010 unter dem Titel „Life Without Limits. Inspiration For A Ridiculously Good Life“ in New York bei Doubleday Religion, Imprint der Crown Publishing Group/Random House, Inc.
© Nicholas James Vujicic 2010
1. Auflage März 2011
2. Auflage April 2011
3. Auflage Juni 2011
4. Auflage Juli 2011
© der deutschsprachigen Ausgabe
2011 Brunnen Verlag Gießen
www.brunnen-verlag.de
Lektorat: Petra Hahn-Lütjen
Umschlagfoto: Aaron Hallstrom
Fotos: privat
Umschlaggestaltung: Sabine Schweda
Satz: DTP Brunnen
Herstellung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
ISBN 978-3-7655-1119-6
eISBN 978-3-7655-7024-7
Für meinen großen Gott
Ich widme dieses Buch Phil Toth und seiner Familie aus San Diego in Kalifornien.Phils Begeisterung hat mir den Mund geöffnet!
Nick im Original-Ton:
www.youtube.com/watch?v=mznQld0q3p4
Über Nick Vujicic und „Mein Leben ohne Limits“:
„Ein fantastischer Mann, gut aussehend, charmant und voller Charisma!“ YouTube
„Was dieser Mann alles kann! Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, sind mir die Tränen gekommen. Er hat gelernt, nie aufzugeben. Nick nutzt einfach alles als Chance – und hilft anderen. Das ist sehr, sehr beeindruckend!“Cacau, Fußball-Nationalspieler und DFB-Integrationsbotschafter
„Surfer sind ohnehin meine Helden, dieser besonders!“Wolf von Lojewski, Fernseh-Journalist
„Ein großartiges Beispiel für unglaublichen Lebensmut.“Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums
Nick Vujicic, der Alltagsheld, findet selbst dort Wege, wo andere nur Sackgassen sehen.“Dr. Cara Barker, Psychologin und Führungstrainerin, Huffington Post
„In meinem Beruf habe ich viele sogenannte Stars kennengelernt. Nicht viele haben mich wirklich überzeugt. Der Sportfreak Nick Vujicic dagegen ist für mich ein echter Star – eine beeindruckende Persönlichkeit, die anderen Mut macht und Herzen anrührt.“Johannes Seemüller, SWR-Sportmoderator
„Diesen Mann möchte ich mal treffen! Nick Vujicic ist ein Ermutiger – Seite für Seite. Seine Geschichte macht Lust, das Leben noch mal ganz neu anzupacken.“Katrin Faludi, Redakteurin CrossChannel.de
„Nick bewegt mehr als die meisten Menschen mit Armen und Beinen! Sein Leben ermutigt: Es ist möglich, zufrieden zu leben. Wunder geschehen, wenn wir uns auf das konzentrieren, was wir haben, und es einsetzen. Ein einzigartiger Mensch, der bei Gott Hoffnung gefunden hat.“ Elisabeth Mittelstädt, Chefredakteurin LYDIA
„Er hat mich zum Weinen und Nachdenken gebracht. Ich dachte immer, mein Leben ist sinnlos, aber jetzt weiß ich, wie wichtig es ist.“ YouTube
„Ich bewundere Nick Vujicic, weil er erkannt hat und praktiziert, worum es letztlich geht im Leben: sich selbst und seine Mitmenschen lieben. Diese Botschaft gibt er auf beeindruckende Weise weiter.“ Timo Hildebrand, Fußball-Nationalspieler
„Nick ist so was von verrückt. Wenn man ihn sieht, weiß man: Alles ist möglich.“ Bethany Hamilton („Soul Surfer“) und Lance Ho’okano, beide Professional Surfer
„Nick, du bist ein Geschenk des Himmels!“ YouTube
„Ein total krasser Typ! Seine fröhlich-lustige Art und die beeindruckende Lebensfreude sind der Hammer. Das Buch muss einfach jeder lesen!“ Stefan Kleinknecht, Freier Rundfunkjournalist
I
ch heiße Nick Vujicic (ausgesprochen Wu-ji-tschitsch). Ich bin achtundzwanzig. Von Geburt an fehlen mir Arme und Beine, aber ich lasse mich davon nicht behindern. Ich reise um die Welt und spreche Millionen von Menschen Mut zu, wie sie ihre eigenen Schwierigkeiten überwinden und ihre Träume verwirklichen können. In diesem Buch habe ich meine persönlichen Erfahrungen mit Schwierigkeiten und Hindernissen aufgeschrieben. Manche davon betreffen speziell meine Situation, mit den meisten hat aber jeder Mensch irgendwann zu kämpfen. Was ich damit bezwecke? Ich will die Leute, die meine Geschichte hören und lesen, ermutigen, ihre eigenen Herausforderungen zu meistern. Ihre ganz persönliche Bestimmung zu finden. Denn das gilt für jeden Menschen: Auf dich wartet ein unverschämt gutes Leben!
Oft finden wir das Leben unfair. Kommen schlechte Zeiten, plagen uns Selbstzweifel und wir verlieren jede Hoffnung. Ich kenne das nur zu gut. Umso erstaunlicher, was dazu in der Bibel steht: Wir sollen uns sogar freuen, wenn uns Schwierigkeiten begegnen! Ich habe viele Jahre gebraucht, um diese Lektion zu lernen. Aber irgendwann kam ich dahinter. Durch das, was ich erlebt habe, kann man sehen: Die meisten Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert werden, sind zugleich Möglichkeiten. An ihnen können wir entdecken, wer wir sind. Wer wir sein wollen. Und was in uns steckt.
Meine Eltern sind gläubig, aber als ich ohne Arme und Beine auf die Welt kam, fragten sie sich ernsthaft, was Gott sich dabei gedacht hatte. Für mich gab es in ihren Augen doch keine Zukunft! Wie sollte ich je ein normales oder gar produktives Leben führen? Wenn ich es heute betrachte, hat mein Leben letzten Endes alle unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen. Jeden Tag nehmen wildfremde Menschen über Telefon, E-Mail, Brief oder Twitter Kontakt zu mir auf. Sie kommen in Flughäfen, Hotels und Restaurants auf mich zu, umarmen mich und sagen mir, dass ich ihr Leben berührt habe. Ich bin wahrlich gesegnet. Ich bin unverschämt gut dran!
Eins hatten meine Familie und ich nämlich übersehen: Meine Behinderung – mein „Fluch“ – konnte genauso ein Segen sein. Ich kann auf eine ganz spezielle Weise andere Menschen erreichen, mich in sie hineinfühlen, ihren Schmerz nachempfinden und ihnen Trost spenden. Natürlich sind meine tagtäglichen Herausforderungen nicht ohne. Aber ich bin mit einer liebevollen Familie, einem schlauen Kopf und Gottvertrauen gesegnet. Bevor ich das alles jedoch verstanden hatte, musste ich einige fürchterliche Zeiten durchmachen. Das will ich nicht verschweigen.
Als ich in die Pubertät kam, in der jeder auf der Suche nach seinem Platz im Leben ist, bin ich an meinem Körper verzweifelt. Nach und nach dämmerte mir, ich würde nie „normal“ sein. Jeder konnte es sofort sehen: Ich sah nicht so aus wie meine Klassenkameraden. Auch wenn ich mir alle Mühe gab, normale Dinge zu tun wie Schwimmen oder Skateboard fahren, wurde mir mit jedem Tag bewusster: Vieles würde ich einfach nie tun können.
Von anderen Kindern wurde ich als Monster und Außerirdischer beschimpft. Das hat nicht gerade geholfen. Letzten Endes bin ich einfach ein Mensch und wollte sein wie alle anderen auch. Aber meine Chancen standen verdammt schlecht. Ich wollte akzeptiert sein – und war es nicht. Ich wollte dazugehören – und durfte es nicht. Irgendwann stand ich vor einer Wand.
Ich versank in Selbstmitleid. Depression und negative Gedanken überrollten mich. Welchen Sinn hatte das Leben überhaupt? Sogar wenn ich unter Freunden und bei meiner Familie war, fühlte ich mich einsam. Ich hatte eine Riesenangst davor, mein Leben lang nur eine Last zu sein.
Aber ich lag falsch. So falsch! Was mir damals alles nicht klar war, damit könnte ich ein ganzes Buch füllen. Und das habe ich. Hier ist es. Auf den folgenden Seiten möchte ich erzählen, wie ich inmitten von Sorge und Verzweiflung die Hoffnung nicht verloren, sondern gefunden habe. Wie ich Schmerz und Trauer überwand und am Ende stärker und entschlossener war. Bereit, meinem Lebenstraum nachzujagen. Bereit, ein Leben zu suchen, das meine kühnsten Träume übertrifft.
Wenn du den Wunsch und den Ehrgeiz hast, etwas Bestimmtes zu schaffen (und Gott nichts dagegen hat), dann kannst du es vollbringen! Ich weiß, das ist eine gewaltige Aussage. Um ehrlich zu sein: Ich habe selbst nicht immer daran geglaubt. Wenn du eins meiner Videos im Internet gesehen hast, dann kann ich nur sagen: Die Freude und Zufriedenheit, die ich dort ausstrahle, sind das Ergebnis einer langen Reise. Sie waren mir nicht gleich in die Wiege gelegt. Ich musste mir im Laufe der Zeit lauter wichtige Eigenschaften dafür aneignen. Nach und nach fand ich heraus, dass ich für ein unverschämt gutes Leben Folgendes brauchte:
die feste Überzeugung, dass das Leben einen Sinn hat
Hoffnung, die unüberwindbar ist
Vertrauen in Gott und seine unendlichen Möglichkeiten
Liebe und Selbstannahme
eine positive Grundeinstellung
ein mutiges Wesen
Bereitschaft zur Veränderung
ein vertrauensvolles Herz
Hunger nach Chancen
die Fähigkeit, Risiken einzuschätzen und über das Leben zu lachen
den Wunsch, zuerst das Wohl der anderen zu fördern
Jeder Eigenschaft habe ich in diesem Buch ein Kapitel gewidmet. Ich versuche, sie so zu erklären, dass du etwas davon hast. Ich biete dir an, zu teilen, was ich herausgefunden habe. Weil du es genauso verdienst wie ich. Du sollst in deinem Leben genauso Freude und Erfüllung finden! Trotz aller Grenzen.
Gehörst du zu den Menschen, für die jeder Tag ein Kampf ist? Vergiss nicht: Sogar mich hat eine großartige Bestimmung erwartet. Und sie hat meine kühnsten Träume weit, weit, weit übertroffen.
Vielleicht kommen gerade harte Zeiten auf dich zu. Vielleicht bist du schon am Boden und fühlst dich zu schwach, um wieder aufzustehen. Ich kenne das Gefühl. Und da bin ich nicht der Einzige. Das Leben ist nicht immer leicht. Aber wenn man Herausforderungen meistert und Schwierigkeiten überwindet, dann ist man am Ende stärker. Und dankbarer für die Chancen, die sich einem bieten. Was wirklich zählt, ist nämlich, was für Impulse man unterwegs weitergibt. Und wie man ins Ziel einläuft.
Ich liebe mein Leben. Deins ist genauso liebenswert! Es liegen unverschämt viele Möglichkeiten vor uns. Höchste Zeit, sie zu nutzen. Wie wär’s?
E
ins meiner bekanntesten Videos auf YouTube zeigt, wie ich Skateboard fahre, surfe, Musik mache, einen Golfball schlage, hinfalle und wieder aufstehe, vor vielen Leuten spreche und – meine Lieblingsszene – von lauter Menschen umarmt werde. Nichts Besonderes, oder? Das kann doch jeder! Warum wird das Video dann millionenfach angeklickt? Was meinst du? Meine Theorie: Es zieht die Leute an, weil sie das Gefühl haben, dass ich trotz meiner physischen Einschränkungen lebe, als hätte ich keine.
Man erwartet ja von einem Schwerbehinderten eigentlich, dass er inaktiv ist, zurückgezogen lebt und an seiner Existenz verzweifelt. Also überrasche ich die Leute gern damit, dass ich ein höchst abenteuerlustiges und erfülltes Leben führe.
Hier ein typischer Kommentar, der neben Hunderten anderen unter meinem Video steht: „Wenn ich sehe, wie glücklich dieser Typ ist, dann frage ich mich ernsthaft, wieso ich mich manchmal selbst bedauere … oder mich nicht hübsch genug finde, oder witzig genug, oder EGAL WAS. Wie zum Kuckuck komme ich auf solche Gedanken, und dieser Kerl hat keine Arme und Beine und ist trotzdem GLÜCKLICH!?“
Die Frage höre ich oft: „Nick, wie schaffst du es, glücklich zu sein?“ Ich vermute mal, du hast selbst gerade an dem einen oder anderen zu knabbern, also antworte ich mit der Kurzversion. Es ging mit mir bergauf, als mir Folgendes klar wurde: Obwohl ich alles andere als perfekt bin, bin ich trotzdem der perfekte Nick Vujicic. Ich bin ein Gedanke Gottes. Das bedeutet nicht, dass das Nonplusultra schon erreicht ist. Ich habe noch jede Menge Entwicklungspotenzial!
Mein Leben kennt wirklich keine Grenzen – daran glaube ich. Und ich möchte, dass auch du so denkst. Egal, mit welchen Schwierigkeiten du konfrontiert bist. Am Anfang unserer gemeinsamen Reise habe ich daher eine kleine Bitte: Nimm dir einen Moment Zeit und versuche dir über alle Einschränkungen klar zu werden, die du deinem Leben selbst auferlegt hast oder von anderen auferlegt bekommen hast. Und dann stell dir vor, wie es wäre, frei davon zu sein. Wenn alles möglich ist – was für ein Leben hättest du vor dir?
Offiziell gelte ich als „behindert“. In Wahrheit bin ich aber durch die fehlenden Gliedmaßen „enthindert“. Dank meiner besonderen Situation haben sich mir auch besondere Möglichkeiten eröffnet, wie ich unzähligen anderen Leuten helfen kann. Und wenn ich es so weit gebracht habe, was kannst du erst erreichen!
Viel zu oft reden wir uns ein, wir wären nicht intelligent oder hübsch oder talentiert genug, um unsere Träume zu verwirklichen. Wir glauben das, was andere über uns sagen oder machen uns selbst klein. Wer seine Träume aufgibt, steckt Gott in eine kleine Box. Dabei bist du sein kreatives Werk! Du bist kein Zufallsprodukt. Dein Leben hat genauso wenig Grenzen, wie man Gottes Liebe einzäunen kann.
Wir haben die Wahl. Entweder wir konzentrieren uns auf unsere Enttäuschungen und Defizite. Dann schlagen wir den Weg der Verbitterung ein, des Zorns, des Selbstmitleids. Oder wir entschließen uns, aus allem etwas zu lernen und vorwärtszukommen. Und übernehmen Verantwortung für unser Leben und öffnen uns für alles Glück.
Jeder Mensch ist wunderschön und kostbar. Er ist mehr wert als alle Diamanten dieser Welt. So, wie man einen Edelstein schleift und poliert, können auch wir immer weiter an uns arbeiten und unsere Grenzen durch große Träume sprengen.
Das Leben ist oft kein Zuckerschlecken und manchmal muss man sich ganz neu arrangieren. Das gehört dazu. Aber es ist die Mühe wert. Das Leben ist immer lebenswert. Egal, wie deine Situation im Moment aussieht – solange du atmest, ist noch nichts verloren.
Leider habe ich keine Hand parat, die ich dir auf die Schulter legen kann, aber was ich sagen will, kommt von Herzen. Ganz egal, wie aussichtslos dein Leben im Moment aussehen mag, es gibt Hoffnung. So schlimm es sich auch gerade anfühlt, es warten bessere Zeiten auf dich. Wie hoch die Hürden im Moment auch scheinen, du kannst sie überwinden. Wenn du dir Veränderung nur wünschst, wird nichts passieren. Wenn du dich aber entscheidest, jetzt zu handeln, wird sich dein Leben verändern. Versprochen!
Aus allem kann nämlich etwas Gutes werden. Wieso ich mir da so sicher bin? Weil ich das von meinem eigenen Leben sagen kann. Was bitte ist an einem Leben ohne Arme und Beine gut? So einiges! Schon wenn man mich nur sieht, weiß man, dass ich große Hürden überwinden musste und überwinden muss. Deswegen hören die Menschen mir zu und lassen sich von mir inspirieren. Ich darf ihnen stundenlang von meinem Leben erzählen und ihnen Mut machen.
Das ist mein Beitrag auf dieser Welt. Es ist wichtig, dass du anfängst, deinen eigenen Wert zu erkennen. Denn auch du kannst etwas beitragen! Wenn du im Moment total frustriert bist, ist das okay. Dein Frust ist ein Signal dafür, dass du noch mehr vom Leben willst. Das ist doch gut! Oft merken wir erst in schwierigen Zeiten, wer wir wirklich sein wollen.
DA FEHLT DOCH WAS
Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich das Gute an meinem Leben sehen konnte. Meine Mom war fünfundzwanzig, als sie mit mir schwanger wurde. Ich war ihr erstes Kind. Sie arbeitete als Hebamme und Krankenschwester im Kreißsaal und hatte sich um Hunderte von Müttern und Kindern gekümmert. Sie wusste genau, was während der Schwangerschaft zu beachten war, welche Lebensmittel und welche Medikamente sie meiden sollte. Mom trank keinen Alkohol, nahm keine Tabletten gegen Kopfweh oder andere Schmerzen. Sie ging zu den besten Ärzten und bekam von ihnen versichert, dass alles seinen guten Gang ging.
Trotzdem machte meine Mutter sich Sorgen. Als der Geburtstermin näher rückte, sagte sie öfter zu meinem Vater: „Ich hoffe, mit dem Baby ist alles in Ordnung.“ Zwei Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft brachten keine nennenswerten Ergebnisse. Die Ärzte sagten meinen Eltern, das Baby sei ein Junge. Über die fehlenden Gliedmaßen kein Sterbenswort! Als ich am 4. Dezember 1982 das Licht der Welt erblickte, war die erste Frage meiner Mom: „Ist das Baby gesund? Geht es ihm gut?“ Es herrschte betretenes Schweigen. Die Sekunden verstrichen und niemand brachte das Kind, um es ihr zu zeigen. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, wurde immer stärker. Anstatt mich meiner Mutter zum Halten zu geben, rief man einen Kinderarzt und brachte mich in eine andere Ecke des Kreißsaals. Dort wurde ich untersucht und die Ärzte berieten sich. Als meine Mom den kräftigen Schrei eines Babys hörte, war sie zunächst erleichtert. Meinem Vater, der während der Geburt gesehen hatte, dass mir ein Arm fehlte, wurde indessen übel. Eine Schwester brachte ihn aus dem Kreißsaal.
Die Ärzte und Krankenschwestern waren sichtlich schockiert und wickelten mich schnell in Tücher.
Meine Mutter hatte Hunderte von Geburten miterlebt. Sie wusste genau, dass etwas nicht stimmte. Den Medizinern konnte sie es von den Gesichtern ablesen: Irgendetwas war gründlich schiefgelaufen.
„Was ist los? Was stimmt mit dem Baby nicht?“, wollte sie wissen.
Der Arzt verweigerte zunächst die Auskunft, aber sie ließ nicht locker. Schließlich kam ihm der medizinische Fachterminus über die Lippen.
„Phokomelie.“
Als Krankenschwester verstand meine Mom sofort, dass damit Missbildungen oder das Fehlen von Gliedmaßen gemeint waren. Sie konnte es nicht glauben.
Zur gleichen Zeit saß mein Vater draußen und fragte sich benommen, ob er richtig gesehen hatte. Als der Kinderarzt herauskam, rief er: „Mein Sohn, ihm fehlt ein Arm!“
„Es ist so“, sagte der Mediziner mit beruhigender Stimme, „Ihr Sohn hat weder Arme noch Beine.“
Vor Schock und Verzweiflung schwanden meinem Vater die Kräfte. Er sank zu Boden und konnte erst einmal nichts mehr sagen. Dann erwachten seine Beschützerinstinkte. Er stürzte in den Kreißsaal, um meine Mutter vorzuwarnen. Aber er fand sie zu seinem Schrecken schon weinend im Bett. Inzwischen war man bereit, mich zu ihr zu bringen, aber sie weigerte sich, mich zu nehmen.
Die Krankenschwestern weinten. Die Hebamme weinte. Und ich erst! Schließlich legte man mich neben sie. Ich war noch immer in Tücher eingewickelt. Meine Mom konnte nicht ertragen, was sie sah: Keine Arme. Keine Beine. Ihr Kind, nur Kopf und Rumpf.
„Nehmen Sie ihn weg“, sagte sie. „Ich will ihn nicht anfassen. Ich will ihn nicht sehen.“
Bis heute ärgert sich mein Vater darüber, dass die Schwestern ihm nicht die Gelegenheit gegeben haben, es meiner Mutter schonend beizubringen. Als sie später schlief, ging er zum Säuglingssaal, um mich zu besuchen. Wieder zurück, weckte er meine Mom und sagte: „Er ist wunderschön.“ Ob sie mich nun vielleicht sehen wolle? Aber sie war noch zu aufgewühlt und lehnte ab.
Anstatt meine Geburt zu feiern, trauerten meine Eltern und die ganze Gemeinde, zu der sie gehörten. „Wenn Gott ein Gott der Liebe ist“, stellte so mancher die Frage, „wie kann er dann so etwas zulassen?“
MEINE GEBURT – EIN ANLASS ZUR TRAUER
Ich war das erste Kind meiner Eltern. Normalerweise ist das ein großer Anlass zur Freude, aber niemand schickte meiner Mutter Blumen. Sie fühlte sich verletzt und war noch mehr verzweifelt.
Mit Tränen in den Augen fragte sie meinen Vater: „Habe ich denn keine Blumen verdient?“
„Tut mir leid“, antwortete er. „Natürlich hast du das.“ Er verschwand und tauchte kurz darauf mit einem Blumenstrauß aus dem krankenhauseigenen Blumengeschäft auf.
Von alledem habe ich nichts gewusst, bis ich ungefähr dreizehn war. Damals stellte ich zum ersten Mal die Frage nach meiner Geburt und den ersten Reaktionen meiner Eltern auf die fehlenden Gliedmaßen. An diesem Tag war es fürchterlich in der Schule gewesen. Mom weinte mit mir. Ich erzählte ihr, dass ich die Nase voll davon hatte, ohne Arme und Beine leben zu müssen. Sie versuchte, mich zu trösten. Gott habe mit mir bestimmt etwas ganz Besonderes vor. Und eines Tages würden wir erkennen, was das ist.
Im Lauf der Zeit wollte ich immer mehr Details wissen. Manchmal war bei den Gesprächen nur ein Elternteil dabei, manchmal auch beide. Auf der einen Seite war ich selbst einfach neugierig, auf der anderen Seite löcherten mich meine Klassenkameraden mit Fragen.
Zunächst hatte ich Angst vor dem, was mir meine Eltern sagen würden. Ich spürte, dass es ihnen nicht leichtfiel, darüber zu reden, und wollte sie ja nicht in Verlegenheit bringen. Am Anfang zögerten sie, konkret zu werden, und versuchten nur, mich zu beruhigen. Aber als ich älter wurde und hartnäckiger fragte, öffneten sie sich und redeten auch über ihre Gefühle und Ängste. Sie wussten, dass ich nun besser damit umgehen konnte. Und trotzdem: Als Mom mir beichtete, dass sie mich am Anfang nicht in ihrer Nähe haben wollte, war das ein schwerer Schlag – gelinde gesagt. Ich war schon so unsicher genug. Und nun zu hören, dass meine eigene Mutter meinen Anblick nicht ertragen konnte, war … Na ja, wie würdest du dich fühlen? Ich war sehr verletzt und fühlte mich ungeliebt. Etwas später musste ich aber an alles denken, was meine Eltern schon für mich getan hatten. Unzählige Male hatten sie mir ihre Liebe bewiesen. Zum Glück war ich zum Zeitpunkt dieser Unterhaltung schon alt genug, um mich in sie hineinversetzen zu können. Abgesehen von der eigenartigen Vorahnung meiner Mutter hatte es während der Schwangerschaft keinerlei Anzeichen gegeben. Dementsprechend schockiert und verstört waren sie nach der Geburt. Wie hätte ich als Vater reagiert? Ich bin nicht sicher, ob ich mich so gut zusammengerissen hätte. Das habe ich meinen Eltern so gesagt. Im Lauf der Zeit haben wir dann immer offener über dieses Thema reden können.
Heute bin ich froh, dass wir so lange damit gewartet haben, bis mir im Grunde meines Herzens wirklich klar war, dass meine Eltern mich liebten. Seit dieser Zeit gehen wir sehr offen miteinander um, was unsere Gefühle und Ängste betrifft. Inzwischen verstehe ich auch, wie ihnen der Glaube geholfen hat. Sie haben darauf vertraut, dass Gott für mich einen Platz hat.
Ich war ein extrem willensstarkes und fröhliches Kind. Lehrer, andere Eltern und sogar fremde Leute ließen meine Eltern wissen, dass meine positive Lebenseinstellung sie faszinierte. Ich für meinen Teil begriff irgendwann, dass trotz meiner großen Einschränkungen andere Menschen noch schlimmer dran waren als ich. Wenn ich heute um die Welt reise, bin ich angesichts des großen Leids überall dankbar für das, was ich habe. Und konzentriere mich weniger auf das, was mir fehlt.
Ich habe Waisenkinder mit schrecklichen Krankheiten gesehen. Junge Frauen, die sexuell versklavt werden. Arme Männer, denen man wegen einer lächerlichen Schuld die Freiheit raubt. Leid ist überall und oft unglaublich grausam. Aber sogar in den dreckigsten Slums und nach den schlimmsten Katastrophen bin ich überrascht, wie Menschen nicht nur überleben, sondern selbst unter widrigsten Bedingungen Gründe finden, sich zu freuen. Freude war nun wirklich das Allerletzte, was ich beispielsweise in der Müllstadt „Garbage City“, dem schlimmsten Elendsviertel am Rand der Hauptstadt Ägyptens, erwartet hätte. Der Stadtteil Manschiyyet Nasser liegt am Fuße eines großen Felsens. Seinen traurigen, aber passenden Namen und den widerlichen Gestank hat das Viertel wegen des Mülls, den seine fast fünfzigtausend Einwohner aus ganz Kairo hierherschleppen und durchwühlen. Müll ist wirtschaftliche Grundlage der Leute von „Garbage City“. Jeden Tag sortieren sie Berge von Abfall aus der Achtzehn-Millionen-Stadt in der Hoffnung, etwas Brauchbares zu finden, was sich verkaufen, recyceln oder sonst irgendwie verwenden lässt.
Auf Straßen mit stinkenden Müllbergen und Schweineställen würde man normalerweise Menschen voller Verzweiflung erwarten. Als ich 2009 dort zu Besuch war, erlebte ich genau das Gegenteil. Die Menschen haben es überhaupt nicht leicht, aber ich habe trotzdem freundliche, anscheinend zufriedene und gläubige Einwohner kennengelernt! Ägypten ist zu neunzig Prozent ein muslimisches Land. „Garbage City“ ist das einzige überwiegend christliche Viertel. Fast achtundneunzig Prozent der Einwohner sind koptische Christen.
Einige der ärmsten Elendsviertel der Welt habe ich gesehen. „Garbage City“ war zwar von den Umweltbedingungen her das schlimmste, von der menschlichen Atmosphäre her aber das wärmste. Fast einhundertfünfzig Menschen drängten sich in ein winziges Betonhaus, das als Kirche dient. Schon als ich meinen Vortrag begann, verblüffte mich die Freude und Zufriedenheit, die das Publikum ausstrahlte. Sie funkelten mich geradezu an! Selten hat mich eine Zuhörerschaft so beschenkt. Während ich erzählte, wie sich mein Leben verändert hat, dankte ich Gott im Stillen, dass er diese Leute trotz ihrer grauenvollen Lebensumstände trägt.
Später fragte ich die Kirchenvorsteher, wie die Menschen in diesem Viertel das Leben ertragen. Sie erzählten mir, dass die Bewohner ihr Vertrauen in Gott setzen, an kleine Wunder glauben und dafür dankbar sind, dass sie ihn und „die Ewigkeit“ haben. Bevor wir die Müllstadt verließen, verteilten wir Reis, Tee und kleine Geldgeschenke, mit denen sich einige Familien Nahrung für ein paar Wochen leisten konnten. An die Kinder verschenkten wir Sportsachen wie Fußbälle und Springseile. Sofort wollten sie, dass wir mit ihnen spielen. Wir griffen einen Ball und tollten herum. Umgeben vom Elend hatten wir unseren Spaß. Ich werde diese Kinder und ihr Lachen nie vergessen. Sie haben mir gezeigt, dass man glücklich sein kann, egal, wie die Umstände sind.
Wie können Kinder in solcher Armut lachen? Wie können Häftlinge fröhlich singen? Wer so etwas schafft, hat zunächst verstanden, dass wir manche Dinge einfach nicht ändern und auch nicht verstehen können. Und hat sich dann entschieden, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man verstehen und ändern kann. Genau das haben auch meine Eltern getan.
MEINE FAMILIE
Meine Eltern wurden beide im heutigen Serbien in strenggläubige Familien hineingeboren. Unabhängig voneinander emigrierten ihre Familien nach Australien. Der Grund dafür war das kommunistische Regime, das Christen unterdrückte. Meine Großeltern waren apostolische Christen und verweigerten aus Gewissens- und Glaubensgründen den Dienst in der Armee. Die kommunistische Regierung reagierte mit Diskriminierung und Verfolgung. Gottesdienste mussten geheim abgehalten werden. Meine Großeltern mussten mit finanziellen Einbußen zurechtkommen, weil sie sich weigerten, in die kommunistische Partei einzutreten, die jeden Lebensbereich kontrollierte. In jungen Jahren musste mein Vater deswegen nicht selten hungrig schlafen gehen.
Viele Tausend serbische Christen emigrierten nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien, den Vereinigten Staaten und Kanada. So auch meine beiden Großelternpaare, die sich für Australien entschieden. Sie wollten gemeinsam mit ihren Kindern in einem freien Land ihren Glauben ausleben dürfen. Andere Teile unserer Familie wanderten in die Vereinigten Staaten und nach Kanada aus, sodass ich auch dort viele Verwandte habe.
In einer Kirche in Melbourne lernten sich meine Eltern kennen. Meine Mom, Dushka, war gerade im zweiten Ausbildungsjahr zur Krankenschwester am Royal Children’s Hospital in Victoria. Boris, mein Dad, arbeitete im Büro und in der Buchhaltung. Später wurde er auch Laienprediger. Als ich etwa sieben Jahre alt war, begannen meine Eltern über einen Umzug in die Vereinigten Staaten nachzudenken. Sie hofften, dort leichter an die neuesten Prothesen und die beste medizinische Versorgung für mich heranzukommen.
Batta Vujicic, mein Onkel, hatte eine Bau- und Objektmanagementfirma nur etwa fünfzig Kilometer außerhalb von Los Angeles in Agoura Hills. Er hatte meinem Vater stets gesagt, dass er ihn sofort einstellen würde, wenn wir ein Arbeitsvisum auftreiben könnten. Auch die Aussicht auf eine große Gemeinschaft serbischer Christen rund um Los Angeles reizte meine Eltern. Ein Visum mit Arbeitsberechtigung zu bekommen, stellte sich jedoch als langwieriger Prozess heraus. Mein Vater stellte den Antrag, aber wir zogen zunächst über eintausendsechshundert Kilometer in den Norden Australiens nach Brisbane in Queensland. Das Klima dort war besser für mich und meine Allergien, mit denen ich neben allem anderen auch zu kämpfen hatte.
Ich war fast zehn und in der vierten Klasse, als endlich die Ampeln für einen Umzug in die Vereinigten Staaten auf Grün schalteten. Meine Eltern waren der Meinung, dass wir Kinder – mein Bruder Aaron, meine Schwester Michelle und ich – genau im richtigen Alter waren, um uns an das amerikanische Schulsystem zu gewöhnen. Trotzdem mussten wir in Queensland noch mehr als achtzehn Monate warten, bis das dreijährige Visum für meinen Vater bereitlag und wir die Koffer packen konnten. Es war das Jahr 1994.
Unglücklicherweise stellte sich der Umzug als Fehlentscheidung heraus. Und zwar aus verschiedenen Gründen: Als wir Australien verließen, hatte ich schon die sechste Klasse begonnen. Die neue Schule in Agoura Hills war völlig überfüllt. Ich wurde in den Unterricht für Fortgeschrittene gesteckt, was schwer genug war, außerdem war der Lernstoff komplett anders organisiert. Bisher war ich immer ein guter Schüler gewesen, aber hier fiel es mir schwer, mich einzugewöhnen. Weil auch das amerikanische Schuljahr sich vom australischen unterscheidet, war ich schon im Rückstand, bevor es in Kalifornien überhaupt losging. Ich holte nur schwer auf. Zu allem kam noch hinzu, dass es in meiner neuen Schule üblich war, für jede Stunde den Raum zu wechseln. Das war in Australien anders gewesen und bedeutete für mich noch mehr Belastung.
Unsere Familie war bei Onkel Batta, seiner Frau Rita und ihren sechs Kindern eingezogen. Auch wenn sie ein großes Haus hatten, war es nun gerappelt voll. Eigentlich wollten wir so schnell wie möglich in eigene vier Wände umziehen, aber die Immobilienpreise waren viel höher als in Australien. Mein Vater wurde in der Firma meines Onkels eingestellt und meine Mutter ließ ihren Beruf erst einmal ruhen. Sie wollte sich zuerst darauf konzentrieren, dass ihre Kinder die Umstellung bewältigten. Außerdem hatte sie noch keinen Antrag auf eine Arbeitsgenehmigung als Krankenschwester gestellt.
Nach drei Monaten im Haus von Onkel Batta wurde meinen Eltern klar, dass der Umzug ein Fehler war. Ich fiel in der Schule immer weiter zurück. Meine Eltern hatten Schwierigkeiten, für mich eine passende Krankenversicherung zu finden. Die hohen Lebenshaltungskosten in Kalifornien machten ihnen zu schaffen. Außerdem hatten sie Bedenken, ob wir eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung bekommen würden. Ein Rechtsanwalt hatte ihnen erklärt, dass meine Behinderung der Bewilligung vielleicht im Weg stehen würde. Die Behörden würden daran zweifeln, ob meine Eltern die hohen medizinischen Kosten für mich auf Dauer selbst aufbringen könnten.
Angesichts all dieser Schwierigkeiten entschlossen wir uns, nach nur vier Monaten wieder zurück nach Brisbane zu ziehen. Wir fanden ein Haus, das in derselben Straße lag, in der wir davor gewohnt hatten. Wir Kinder konnten also zu unseren Freunden und in die alte Schule zurückkehren. Mein Vater nahm seinen Job als Lehrer für Computerwesen und Betriebsleitung am College wieder auf. Meine Mom widmete sich ihren drei Kindern. Allen voran mir.
KEIN LEICHTER FALL
Heute erzählen meine Eltern ganz offen von ihren Ängsten und Albträumen kurz nach meiner Geburt. Als ich noch kleiner war, haben sie mir natürlich nicht auf die Nase gebunden, dass ich nicht das Kind ihrer Träume war. In den ersten Monaten hatte Mom Angst davor, es nicht zu schaffen, sich um mich zu kümmern. Mein Vater konnte sich nicht vorstellen, dass ich einmal ein schönes Leben haben würde. Wenn ich schon völlig hilflos war und mir so viel vom Leben verwehrt bleiben würde, sollte ich wenigstens wissen, dass Gott an meiner Seite ist, entschied er. Sonst war alles offen. Gemeinsam gingen meine Eltern verschiedene Optionen durch und dachten auch daran, mich zur Adoption freizugeben. Beide Großelternpaare boten an, mich bei sich aufzunehmen, aber letzten Endes lehnten meine Eltern ab. Sie fassten den Entschluss, mich zu behalten und sich so gut wie möglich um mich zu kümmern.
Nachdem die erste Phase der Trauer überwunden war, machten sich meine Eltern daran, ihren körperlich behinderten Sohn so normal wie möglich zu erziehen. Sie hielten einfach an ihrer Überzeugung fest, dass Gott sich etwas dabei gedacht haben musste.
Manche Verletzungen heilen besser, wenn man in Bewegung bleibt. Das trifft auch auf Rückschläge im Leben zu.
Wir haben unser Leben nicht in der Hand. Manche Dinge geschehen ohne unser Zutun und manche können wir nicht aufhalten. Eins bleibt uns aber immer erhalten: die Wahl zwischen Aufgeben und Weitermachen. Ich denke oft, dass alles, was uns passiert, seinen Grund hat. Am Ende kommt oft sogar etwas Gutes dabei heraus.
Als kleiner Junge hielt ich mich für ein völlig normales, fröhliches und von Natur aus liebenswertes Kind. Diese Unwissenheit war ein echter Segen für mich. Ich wusste noch nicht, dass ich anders war und welche Herausforderungen vor mir lagen. Egal, wie groß sie letztendlich waren: Ich glaube, dass in uns allen ungeahnte Kräfte wohnen. Für jede Behinderung und Unfähigkeit, die uns hemmt, besitzen wir mehr als genug Fähigkeiten, um sie zu überwinden!
Mir hat Gott neben anderen Gaben eine große Portion Entschlossenheit in die Wiege gelegt. Also zeigte ich allen, dass ich auch ohne Arme und Beine ein sportliches Kerlchen war. Auch wenn ich im Grunde nur aus einem Rumpf bestand, war ich ein typischer Junge. Ich rollte herum, machte Sturzflüge und war ein richtiger kleiner Frechdachs. Irgendwann lernte ich, mich in eine aufrechte Position zu bringen. Ich musste nur die Stirn gegen eine Wand drücken und Stück für Stück daran hochrutschen. Meine Eltern haben lange Zeit versucht, mit mir eine bequemere Methode zu finden, aber ich habe meinen Kopf durchgesetzt.
Mit Kissen auf dem Boden wollte Mom mir das Aufstehen leichter machen. Aber aus irgendeinem Grund entschied ich, bei meiner Version zu bleiben. Ich wollte lieber meine Stirn gegen die Wand schlagen und mich Zentimeter für Zentimeter nach oben kämpfen. Mein Dickkopf wurde zu meinem Markenzeichen.
Anders als mit dem Kopf war es damals nicht zu schaffen. Dafür hat mein Denkvermögen dadurch einen kräftigen Schub bekommen (Scherz!) und mir einen Nacken so stark wie ein Stier und eine Stirn so hart wie Stahl eingebracht. Natürlich machten sich meine Eltern immerzu Sorgen. Schon bei einem gesunden Kind kann Elternsein ja die reinste Schocktherapie sein. Viele frischgebackene Eltern sagen oft, sie wünschten, ihr Kind wäre mit einer Bedienungsanleitung gekommen. Aber selbst im dicksten Ratgeber „Mein Kind“ gab es kein Kapitel für Kinder wie mich. Und dennoch entwickelte ich mich hartnäckig weiter und wurde immer lebhafter. Ich näherte mich bedrohlich der Trotzphase und bescherte meinen Eltern mehr Kopfzerbrechen als Achtlinge.
Wie soll der Junge je selbstständig essen? Wie kommt er zur Schule? Wer soll sich um ihn kümmern, wenn uns einmal etwas passiert? Wie soll er jemals ein eigenständiges Leben führen?
Unsere intellektuellen Fähigkeiten können Segen und Fluch sein. Wer von uns hat nicht schon über seine Zukunft gegrübelt? Interessanterweise sind die meisten Probleme, vor denen wir uns fürchten, letzten Endes gar nicht so schlimm. Es ist durchaus nicht verkehrt, vorauszuplanen und über die Zukunft nachzudenken. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass sich die schlimmsten Befürchtungen in Wohlgefallen auflösen können. Und häufig wendet sich schließlich alles zum Guten.
Eine der größten Überraschungen meiner Kindheit war die Erkenntnis, wie viel ich mit dem kleinen Füßchen auf der linken Seite anstellen konnte. Instinktiv nutzte ich es zum Umdrehen, Vorwärtsschieben und Abstützen. Die Ärzte waren der Meinung, dass ich den kleinen Fuß vielleicht zu noch mehr gebrauchen konnte. Er hatte zwei Zehen, die allerdings zusammengewachsen waren. Auf Anraten der Ärzte beschlossen meine Eltern, sie operativ voneinander trennen zu lassen. Sie hofften, dass das Füßchen so zu einer Art Ersatzhand werden konnte, um etwa einen Stift zu halten, umzublättern oder andere feinmotorische Bewegungen auszuführen.
Damals lebten wir in Melbourne und hatten Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung. Trotzdem brachte ich auch hier das Klinikpersonal an seine Grenzen. Während man mich für die Operation vorbereitete, bat meine Mutter die Ärzte eindringlich, auf meine Körpertemperatur zu achten. Ich neigte nämlich zu Fieber. Sie hatte von einem anderen Kind ohne Arme und Beine gehört, das während einer Operation einen Hitzschlag erlitten hatte und dessen Gehirn dabei irreparabel geschädigt worden war.
Weil mein Körper die Tendenz hat, sich selbst zu garen, gibt es in unserer Familie das geflügelte Wort: „Wenn Nicky mal kalt ist, sind die Enten erfroren.“ Bei allem Augenzwinkern muss ich dennoch wirklich aufpassen. Zu viel Sport, Stress oder ein zu langer Aufenthalt in der Sonne lassen meine Körpertemperatur gefährlich ansteigen. Ich muss stets darauf achten, eine „Kernschmelze“ zu vermeiden.
„Passen Sie bitte auf seine Temperatur auf“, trug meine Mutter dem OP-Team auf. Aber obwohl die Ärzte wussten, dass meine Mutter Krankenschwester war, ignorierten sie ihren Hinweis. Mit viel Geschick trennten sie zwar die beiden Zehen, aber dann trat genau das ein, wovor meine Mutter sie gewarnt hatte. Ich kam völlig durchnässt aus dem OP-Saal, weil die Ärzte auf so einen Temperaturschub überhaupt nicht vorbereitet waren. Als sie die Gefahr bemerkten, versuchten sie, mich mit einem nassen Laken abzukühlen und stellten sogar Eimer mit Eiswürfeln darauf.
Meine Mutter war rasend vor Ärger. Ich möchte an diesem Tag keiner dieser Ärzte gewesen sein!
Nachdem ich einigermaßen abgekühlt war, taten sich mir mit den befreiten Zehen ganz neue Horizonte auf. Auch wenn ich sie nicht ganz so gut gebrauchen konnte, wie die Ärzte gehofft hatten, machte ich das Beste daraus. Es ist erstaunlich, was man mit einem kleinen Füßchen und zwei Zehen alles schaffen kann, wenn einem Arme und Beine fehlen. Dank der Operation und ausgeklügelter Technik erfuhr ich bald immer neue Freiheiten: Ich kann einen speziellen elektrischen Rollstuhl steuern, einen Computer und sogar ein Handy bedienen.
Ich habe keine Ahnung, was du als dein größtes Problem betrachtest. Ich maße mir auch nicht an, zu wissen, was du durchmachst. Aber überlege für einen Moment, was meine Eltern ausgestanden haben, nachdem ich auf der Welt war. Wie müssen sie sich gefühlt haben! Wie trist muss für sie die Zukunft ausgesehen haben!
Wer in Problemen drinsteckt, sieht oft das Licht am Ende des Tunnels nicht. Auch meinen Eltern fehlte die Kraft, sich ein schönes Leben für sich und mich vorzustellen. Sie hatten keine Ahnung, dass ihr Sohn eines Tages nicht nur selbstständig und berufstätig sein würde, sondern auch erfüllt und glücklich!
Das meiste von dem, was meine Eltern befürchtet haben, ist nie eingetroffen. Mich groß zu kriegen war sicher nicht leicht, aber ich glaube, meine Eltern würden dagegenhalten, dass wir auch viel Spaß miteinander hatten. Wenn ich meine Kindheit im Großen und Ganzen betrachte, dann war sie erstaunlich normal. Ich habe sogar meine kleinen Geschwister schikaniert, wie man das als großer Bruder so macht!
Vielleicht fühlst du dich gerade als Spielball des Schicksals und fragst dich, wie je wieder etwas aus deinem Leben werden soll. Gib nicht auf! Es warten unglaubliche Zeiten auf dich. Halte an deinen Träumen fest. Jage ihnen nach, was es auch kosten mag. Alles ist möglich!
ZWEI ARME FÜR EIN HALLELUJA
Ich gebe zu, dass ich sehr lange daran gezweifelt habe, selbst etwas für mein Glück tun zu können. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich zu irgendetwas nütze war. Als Jugendlicher konnte ich rein gar nichts Positives an meinem Stummelkörper entdecken. Gut, ich brauchte mir nach dem Abendessen nicht die Hände waschen und ich konnte mir auch nie den Zeh verstauchen, aber so richtig trösten konnte mich das nicht.
Meine Geschwister und meine verrückten Cousins und Cousinen haben mich nie wie einen Krüppel behandelt. Sie haben mich auch nie verhätschelt, sondern mich einfach so angenommen, wie ich bin. Und mir mit ein paar Streichen und Späßen gezeigt, dass es das Beste war, die ganze Sache mit Humor zu nehmen.
„Da, der Junge im Rollstuhl!“, riefen sie manchmal quer durch das Einkaufszentrum und zeigten auf mich. „Der sieht ja aus wie ein Alien!“ Hinterher lachten wir uns über die entsetzten Reaktionen der Passanten krumm und schief. Sie wussten ja nicht, dass die gemeinen Kinder, die den armen behinderten Jungen verspotteten, seine engsten Verbündeten waren.
Je älter ich werde, desto wertvoller finde ich es, Menschen zu haben, die mich einfach annehmen. Genauso wichtig ist es für mich zu wissen, dass Gott mich so liebt, wie ich bin. Schließlich habe ich nicht nur starke Momente. Und meine Familie konnte mich auch nicht ununterbrochen beschützen. Spätestens als ich zur Schule kam, war ich damit konfrontiert, anders zu sein. Mein Vater sagte zwar immer, Gott macht keine Fehler, aber oft hatte ich das Gefühl, ich sei die berühmte Ausnahme von der Regel.
„Warum habe ich nicht wenigstens einen Arm?“, fragte ich verzweifelt. „Was könnte ich nicht alles mit einem Arm!“
Klar, jeder von uns hat Momente, in denen er sich sehnlichst den großen Durchbruch oder ein Wunder wünscht. Aber man darf nicht in Panik verfallen, wenn nicht gleich etwas geschieht und der Wunsch in Erfüllung geht. Wie sagt man so schön? Gott hilft denen, die sich selbst helfen. Schwierigkeiten dürfen uns nicht davon abhalten, unsere Talente auszubauen und unsere Träume zu verfolgen.
Viele Jahre dachte ich, wenn mein Körper nur „normal“ sein könnte, dann wäre mein Leben ein einziger Traum. Was mir dabei nicht klar war: Ich brauchte nicht „normal“ sein –, sondern nur ich selbst! Es war ein schwerer Schritt, mir einzugestehen, dass mich nicht die körperlichen Grenzen hemmten, sondern die Grenzen in meinem Kopf. Ich hielt meinen Traum vom Leben für unerreichbar.
Wenn du auch noch nicht dort bist, wo du dich eigentlich siehst, dann liegt es höchstwahrscheinlich nicht an deiner Umgebung, sondern an dir. Übernimm Verantwortung für dich selbst und tu etwas! Zuerst musst du aber an dich glauben und an deinen Wert. Warte nicht darauf, dass dich jemand sucht. Warte nicht auf das Wunder oder „deine große Chance“. Das Leben ist wie ein großer Suppentopf. Und du bist der Löffel zum Umrühren!
Als Kind habe ich viele Nächte lang für Arme und Beine gebetet. Ich weinte mich in den Schlaf und träumte, dass sie am nächsten Morgen plötzlich da waren. Das ist natürlich nie passiert. Und weil ich mich selbst nicht akzeptieren konnte, war das Ergebnis in der Schule dasselbe: Es war schwierig, von den anderen akzeptiert zu werden.
Wie die meisten Kids war auch ich im Alter von neun bis zwölf sehr unsicher und empfindlich. Wie alle anderen versuchte ich, mich anzupassen, suchte meine Identität und meinen Platz im Leben. Wenn mich jemand verletzte, meinte er es oft gar nicht böse, sondern war einfach nur offen und unverblümt.
„Warum hast du denn keine Arme und Beine?“, war die Frage aller Fragen.
Ich wollte dazugehören, genau wie meine Klassenkameraden. An guten Tagen machte ich mich mit meiner Schlagfertigkeit beliebt, mit der Fähigkeit, über mich selbst zu lachen, und indem ich meinen Körper auf dem Spielplatz hin und her schleuderte. An schlechten Tagen versteckte ich mich hinter Büschen oder in leeren Klassenzimmern, um nicht gehänselt zu werden. Das Problem war auch, dass ich mehr Zeit mit Erwachsenen und älteren Cousins verbrachte als mit anderen Kindern. Ich sah für mein Alter schon recht erwachsen aus, und mein ewiges Grübeln stand der Fröhlichkeit oft im Weg.
Ich kriege nie ein Mädchen ab. Ich kann sie ja noch nicht mal umarmen! Und wenn ich mal Kinder habe, kann ich sie nie hochheben. Was kriege ich denn schon für einen Job! Wer würde so jemanden einstellen? Für die meisten Sachen braucht man ja noch eine zweite Person, die mir bei der Arbeit hilft. Wer ist so dumm und will eine Arbeitskraft für den Preis von zwei?
Die größte Herausforderung war natürlich das Körperliche, aber auch gefühlsmäßig litt ich unwahrscheinlich. Schon in jungen Jahren machte ich eine fürchterliche Depressionsphase durch. Als ich dann Teenager wurde, begannen die Leute zu meiner totalen Überraschung und Erleichterung, mich nach und nach zu akzeptieren. Was damit einherging, war, dass ich lernte, mich selbst anzunehmen.
Zeiten der Unsicherheit, das Gefühl, Außenseiter zu sein und nicht geliebt zu werden – wer kennt das nicht? Jeder hat solche Ängste. Der eine befürchtet, wegen seiner großen Nase gehänselt zu werden, der andere wegen seiner Locken. Die Erwachsenen haben Angst, ihre Rechnungen nicht bezahlen zu können oder Erwartungen zu enttäuschen.
Momente des Zweifelns und der Angst hat einfach jeder. Traurig zu sein ist ganz natürlich und gehört zum Menschsein. Aber negative Gefühle werden dann gefährlich, wenn sie nicht über einen hinwegrollen, sondern einen unter sich begraben.
Was dagegen hilft, ist auf das Gute zu vertrauen, das in dir steckt: Talente, Wissen, Liebe! Wenn du davon überzeugt bist, tust du den ersten Schritt in Richtung Selbstannahme. Und sobald man den guten Weg betritt, gesellen sich andere dazu.
MACH DEN MUND AUF