Mein Weg zum Sprachenlehrer in der DDR - Alltag im "Arbeiter- und Bauern-Paradies" - Horst Lederer - E-Book

Mein Weg zum Sprachenlehrer in der DDR - Alltag im "Arbeiter- und Bauern-Paradies" E-Book

Horst Lederer

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Beschreibung

Der Autor dieses Buches schildert sein Leben seit Mai 1945 in Westmecklenburg, das zunächst von amerikanischen Truppen erobert und im Juni 1945 an die Sowjettruppen übergeben wurde. Im Herbst 1946 wurde in der sowjetischen Besatzungszone eine Bodenreform nach dem Motto "Junkerland in Bauernhand!" durchgeführt. Die aus Pommern geflüchteten Eltern des Autors wurden Siedlungsbauern. Zwischen 1953 und 1960 erfolge dann nach sowjetischem Vorbild die Zwangskollektivierung. Unter massivem Druck wurden die bis dahin selbständig wirtschaftenden Kleinbauern in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gezwungen. Der Autor schildert detailliert den Alltag in der DDR, der oft von Mangelwirtschaft geprägt war. Der sprachbegabte Horst Lederer besuchte in Grevesmühlen die Oberschule und schloss mit einem recht guten Abitur ab und studierte am Pädagogischen Institut in Erfurt. Er wurde Russisch-Lehrer für Mittelschulen. Über die Familiengeschichte des Autors hinaus geben seine Texte einen sehr genauen Einblick in das Alltagsleben in "Arbeiter- und Bauern-Paradies" und das Leben nach der Wende 1998. - Aus Rezensionen: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Seitenzahl: 288

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Horst Lederer

Mein Weg zum Sprachenlehrer in der DDR - Alltag im „Arbeiter- und Bauern-Paradies“

Band 102 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruszkowski

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Autors

Kurzbiographie Horst Lederer

Herkunft der Familie Lederer

Kriegsende bei Klütz Anfang Mai 1945

Landwirtschaftliche Siedler in Arpshagen bei Klütz ab 1946

Ereignisse in Arpshagen im Frühjahr 1945

Die Neuverteilung des Wohnraums

Anschluss an die Kirchgemeinde Klütz

Wir richten uns im Gutshaus ein

Familien Lederer - gastfreie Verwandte

Anfangs Ackerbau und Viehzucht wie zu Gutszeiten

Die Tragödie von Auerose/Anklam

Die Kinder in Arpshagen

Heinrich Lederer kehrt heim

Gottlob Lederer kehrt heim

Vier Jahre Schüler der Oberschule in Grevesmühlen

Schüler der Klasse 11a

Schüler der Klasse 12 AII

Zwischen Eigenständigkeit und LPG

Zwangskollektivierung

Genossenschaftsbauern und weitere Familiengeschichte

Die gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig bis zu 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.

Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage nach dem Buch ermutigten mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Inzwischen erhielt ich unzählige positive Kommentare und Rezensionen, etwa: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

Zu den von mir bevorzugt gelesenen Büchern gehören Auseinandersetzungen mit der Zeitgeschichte und Biographien. Menschen und ihre Geschichte sind immer interessant.

Dieser neue Band 102 enthält also einen Lebenslauf des Sprachenlehrers Horst Leder in Grevesmühlen in Westmecklenburg.

Er war der erste Lehrer meiner um 14 Jahre jüngeren Schwester, die bis heute von ihm schwärmt. Nachdem ich im Mai 1953 im Alter von 18 Jahren aus der DDR nach Westdeutschland gewechselt hatte, gab es unterschiedliche Phasen politischer Abschottung oder Öffnung. Immerhin wurde meiner Frau nach Geburt unseres ersten Kindes eine Aufenthaltserlaubnis zum Besuch ihrer Schwiegereltern in Grevesmühlen gewährt. Sie erzählte mir dann nach ihrer Rückkehr, wie meine Schwester immer wieder von ihrem Lehrer sagte: „Aber Herr Lederer hat gesagt…“

Da jüngere Leser oder solche aus den alten Bundesländern die in der DDR gebräuchlichen Abkürzungen verstehen, habe ich diese in Klammern erklärt.

Hamburg, 2018 Jürgen Ruszkowski

Erlaubnis zur Veröffentlichung

Permission for publication

I hereby authorize you to use my contributions sent to you, also in extracts, in the yellow book series. This also applies to the photos.

Horst Lederer über googlemail.com  28.07.2018 11:38 h

an maritimbuch

Lieber Herr Ruszkowski,

entschuldigen Sie bitte meine verzögerte Antwort auf Ihre Bitte!

Ich gestatte Ihnen hiermit, meine Ihnen zugesandten Beiträge, auch auszugsweise, in der gelben Buchreihe zu verwenden.

Das gilt auch für die Fotos, die ich Ihnen nach Reparatur meines Druckers zusenden werde.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Horst Lederer

Horst Lederer – [email protected]

Vorwort des Autors

Im November 2017 erschien das Buch des Chronisten Eckart Redersborg „Arpshagen – Aus der Geschichte eines mecklenburgischen Gutsdorfs“. Der Autor stellt die Geschichte und Entwicklung des Ortes absichtlich nur bis zum Frühjahr 1945 dar. Folglich findet sich der Name Lederer darin lediglich auf Seite 146 in einer Fußnote, als die Enkelin des ehemaligen Gutspächters von Arpshagen, Ursula Hodel, von einem Besuch des Gutshauses Arpshagen in den Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts berichtet. „Ein nettes Ehepaar“ hätte sie in den ehemaligen Salon „eingeladen“, den diese beiden freundlichen Leute seinerzeit bewohnt hätten. Der Verfasser Eckart Redersborg identifiziert die beiden angenehmen Gastgeber als Else und Gottlob Lederer, wobei Redersborg irrtümlich „Gottlieb“ schreibt.

In der Vorweihnachtszeit 2017 machte ich das Buch einer Reihe von Familienangehörigen zugänglich. Einige von ihnen schlugen mir vor, die Geschichte der Familie Lederer in Arpshagen nach 1945 aufzuschreiben. Ich stellte aber in Frage, ob ich wirklich der geeignete Verfasser dafür sei. Mir wurde entgegnet, dass ich gegenwärtig der älteste Lederer-Namensträger sei und über die frühesten und meisten direkten eigenen Eindrücke und Erinnerungen vom Arpshagen der Nachkriegszeit verfügte.

Wenn ich diese schwierige Aufgabe übernehme, muss ich voraussetzen, dass ich den einen oder anderen Verwandten, die eine oder andere Verwandte um Unterstützung bei der Richtig- oder Klarstellung konkreter Sachverhalte bitten muss. Andererseits habe ich nicht die Absicht, eine Chronik im Stile Eckart Redersborgs über Arpshagen ab 1945 zu schreiben. Mir liegen Statistiken und Aufzählungen von Fakten weniger. Es geht mir mehr um Hintergründe, Zusammenhänge, menschliches Verhalten, Wiedergeben von Eindrücken, von Erinnerungen.

Für einige Leser wird manches zu subjektiv dargestellt sein, für andere sind einige Episoden vielleicht zu detailliert, zu ausführlich beschrieben. Wieder andere können gewiss mit einigen Namen und Personen nichts anfangen. Aber wie das so ist, gerade das interessiert wiederrum andere Leser.

Für alle diejenigen, die weder mit den Familien Lederer noch mit den Besonderheiten des Ortes Arpshagen vertraut sind, wird der Zugang zu meinen Ausführungen sicher nicht einfach werden. Sie sollten aber nicht vergessen, dass der Text einen Teil der Familiengeschichte darstellt und deshalb für meine Verwandten, Kinder und Enkel bestimmt ist.

Ich habe versucht, meine Erinnerungen an die Jahre 1945 bis 1956, in denen ich selbst noch in Arpshagen gewohnt habe, aber auch Berichte und Erzählungen meiner Eltern und Verwandten in den folgenden Text aufzunehmen, der selbstverständlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.

Noch eine Bemerkung zur Rechtschreibung. Seit der letzten Orthographiereform gibt es immer wieder Unsicherheiten in Bezug auf die Schreibung zusammengesetzter Verben. Der neueste Duden erlaubt in einigen Fällen zwei Varianten. Ich habe mich dabei nach der Schreibweise gerichtet, die mir mein Computer nicht als fehlerhaft moniert hat.

Kurzbiographie Horst Lederer

Kurzbiographie Horst Lederer

Nationalität: deutsch

Staatsbürgerschaft: Bundesrepublik Deutschland

geboren am 17. März 1936 in Ebenau, Kreis Arnswalde (Neumark)

Eltern: Bauern

2 Brüder: einer tödlich verunglückt

Schulbildung: 1943/44: Volksschule Schlagenthin, Kreis Arnswalde

             1945 - 1952 Grundschule Klütz/Meckl. (8.Klasse)

             1952 - 1956 Oberschule Grevesmühlen (Abitur)

Ortsveränderung: 23. Februar bis 2. Mai 1945 Flucht von Ebenau über Ducherow, Kreis Anklam, nach Oberklütz bei Klütz,  

ab 2. November 1945 Arpshagen bei Klütz (Mutter siedelt)

ab 29.08.1956 Studium am Pädagogischen Institut Erfurt

    Fachrichtung: Deutsch/Russisch, Staatsexamen 1959

Berufliche Entwicklung: ab 1. August 1959 Lehrer an der Geschwister-Scholl-Schule Grevesmühlen

ab 1. August 1974 Lehrer an der Kurt-Bürger-Schule Grevesmühlen

     vom 1. August 1990 bis 31. Juli 1991 Lehrer an der Erweiterten Oberschule „Thomas Mann“ Grevesmühlen

     vom 1. August 1991 bis 31. Juli 1995 Lehrer am Gymnasium am Wasserturm Grevesmühlen,

Invalidisierung nach irreparablem Hörsturz

Familienstand: seit 14.August 1965 verheiratet mit der Krankenschwester Angelika Lederer geb. Uhle,

      2 Töchter, beide Krankenschwestern

Konfession: evangelisch-lutherisch

Herkunft der Familie Lederer

Herkunft der Familie Lederer

Der süddeutsch klingende Familienname macht es deutlich: Wer Lederer heißt, hat seine Wurzeln nicht im Mecklenburgischen, nicht im Klützer Winkel.

Ihn trifft man im Schwäbischen, Badischen, Bayerischen, Fränkischen, im Österreichischen, sogar in der deutschsprachigen Schweiz in der gleichen Häufigkeit an wie in unseren Breiten solche Familiennamen wie Möller, Schomacker oder Burmeister. „Lederer“ ist nämlich südlich der Mainlinie ein Familienname, der aus einer dort üblichen Berufsbezeichnung hervorgegangen ist und Gerber bedeutet.

Und tatsächlich sind die Familien Lederer in dieser Region nach einer wahren Siedlungsodyssee von Neckarwestheim in Württemberg, über Elsenau in der Provinz Posen, Kürtow-Siedlung und Ebenau in Ostbrandenburg, später Hinterpommern, durch die Auswirkungen der Ergebnisse zweier Weltkriege hierher nach Nordwestmecklenburg verschlagen worden.

Das bedeutet aber auch, dass alle, die in dieser Gegend Lederer heißen, miteinander verwandt sind. Dabei ist hinzuzufügen, dass manche Angehörige dieser Großfamilie nach dem Wechsel des Familiennamens bei Heirat als solche nicht ohne weiteres zu erkennen sind, wie z. B. Lüdtke oder Richter.

Alle Lederer Heißenden in Nordwestmecklenburg sind direkte Nachfahren der Ehepaare Heinrich und Irmgard Lederer sowie Gottlob und Else Lederer, die im Herbst 1945 im Gutsdorf Arpshagen bei Klütz unter schwierigsten Bedingungen siedelten und sich so eine neue Existenz schufen. Die Formulierung „hier eine neue Heimat fanden“ vermeide ich an dieser Stelle ganz bewusst. Damit bin ich äußerst vorsichtig. Aber immerhin ist Arpshagen für alle Lederer der Ort, an dem es für sie die meisten Berührungspunkte, eine Unzahl angenehmer wie auch negativer Erinnerungen gegeben hat.

Die Familie des Autors – rechts: Horst Lederer

Mitte: die Eltern Irmgard und Heinrich † –

links: Bruder Klaus * Mai 1945 † – Wilfried † (vor Kriegsende geboren)

Familie Else und Gottlob Lederer †

Vetter Wolfgang lebt in Klütz – rechts die Cousine Marlies

* * *

Die Bauernfamilie Diethert ist seit 1784 in dem Dorf Birkenbruch (polnisch Wycigg), einer auf Veranlassung von Friedrich Ü. (dem Großen) gegründeten Reihensiedlung mit etwa 150 Einwohnern im Kreis Wirsitz, nachweisbar. Die Bewohner waren fast ausschließlich Deutsche. Nach dem Friedensvertrag von Versailles vom Juni 1919 wurde der Kreis Wirsitz dem polnischen Staat angegliedert.

Dennoch blieben die Birkenbrucher ihren bewährten deutschen Traditionen sowohl in Bezug auf die Sprache, die Kultur als auch auf die Religion treu. Sie vertraten eine Reihe von Vorurteilen gegenüber den Polen, die sie grundsätzlich für unordentlich, schlechte Landwirte und vor allem katholisch hielten. Wer katholisch war, musste Pole, also herabwürdigend gesagt, „Polak“ sein. Um sich schon rein äußerlich von den „Polaken“ abzugrenzen, war man bewusst evangelisch, was nicht in jedem Falle ein Ausdruck besonderer Frömmigkeit war.

Kriegsende bei Klütz Anfang Mai 1945

Kriegsende bei Klütz Anfang Mai 1945

Wie der Ort Arpshagen für uns bedeutsam wurde

Am 2. oder 3. Mai 1945 erreichten wir mit drei Treckwagen den Ortseingang von Klütz in Mecklenburg, nachdem wir uns am Vortag in der Wohlenberger Wieck von unseren Ebenauer Landsleuten Siebert, Förster, Stark und Löhrke getrennt hatten. Sie hatten sich zur Weiterfahrt für den anscheinend sichereren Weg über Hohenkirchen entschieden.

Aber hier in Klütz auf der Höhe des ersten Hauses in der Wismarschen Straße wurde unsere kleine Wagenkolonne von Männern in Zivil mit weißer Armbinde gestoppt: „Ihr könnt nicht weiterfahren! Verlasst sofort diese Straße!

Amerikanische Panzerspitzen haben Grundshagen erreicht. Sie werden hier eintreffen, um sofort nach Wismar vorzudringen und die Stadt vor den Russen zu besetzen.“

Als nächste erkennbare Abfahrt bot sich für uns der Oberklützer Weg an. Wir fuhren einen schmalen Hohlweg hinauf und erreichten nach etwa 2,5 km das winzige Dorf Oberklütz, das aus ganzen 4 Bauerngehöften bestand (Schümann, Wieschendorf, Langermann, Pott), heute aber längst zur Wüstung geworden ist.

Der Besitzer des ersten Gehöftes, Hans Schümann, gestattete, dass unser Fluchtwagen in seiner Scheune untergestellt wurde und die Pferde in den leer stehenden Kuhstall kamen. Die Fahrzeuge von Tante Else Lederer und Onkel Erich Krause standen an der Hofauffahrt zum Grundstück von Bauer Wieschendorf neben dessen Koppel. So hatte hier in Oberklütz unsere Flucht ihr Ende gefunden.

Der Kreis Schönberg war bis zum 23. Mai 1945 amerikanisch besetztes Territorium.

Hier brachte meine Mutter am 11. Mai 1945 unter dramatischen Umständen dank intensiver Hilfe eines amerikanischen Militärarztes bei der sehr komplizierten Geburt ihr drittes Kind, den Sohn Klaus, zur Welt.

Nach dem Abzug der Amerikaner wurden vom 24.Mai bis 30. Juni 1945 britische Truppen Besatzungsmacht dieser Region.

Die drei Familien führten, wie meine Tante Else es wiederholt formulierte, „ein Zigeunerleben“, das sich weitestgehend unter freiem Himmel abspielte und das sich für uns Kinder als äußerst abenteuerlich gestaltete. Täglich trafen die Mädchen und Jungen der Flüchtlinge und Einheimischen im Unterdorf zu fröhlichem Spiel zusammen. Die in der Mehrzahl anwesenden Mädchen bevorzugten Vater-Mutter-Kinder-Spiele, die sämtlich der Erwachsenenwelt nachempfunden waren. Als ältester beteiligter Junge hatte ich immer die Rolle des Vaters zu übernehmen, Helga Schümann war das älteste Mädchen und spielte die Mutter. Wenn wir „unsere Kinder“ nach gemeinsamem „Frühstück“ „zur Schule“ geschickt hatten, konnten wir uns für einige Minuten anderen Dingen zuwenden. So schauten wir vom Feld hinter Schümanns Haus ins Tal hinunter. Und dort gewahrte ich im Südwesten einen Ort, der aus lauter reetgedeckten Gebäuden zu bestehen schien, die alle wie aus einem Spielzeugkasten in gerader Linie aufgestellt worden waren. „Helga, was ist das da unten?“ – „Das ist das Gut Arpshagen. Aber wir können von hier nicht alle Gebäude sehen. Nicht alle haben so ein Reetdach.“ Damit war mein Interesse erst einmal befriedigt. Ich hatte den Namen eines weiteren Ortes in dieser Region kennen gelernt und ihn mir gleich eingeprägt. Ich kannte ja schon Klütz, Tarnewitz, Christinenfeld, Wohlenberg, durch die Familie Schlieske auch Boltenhagen und von unserem Spielkameraden Hugo Wieschendorf auch Redewisch.

Nach einigen Tagen besuchte uns der Bürgermeister Holst aus Tarnewitzerhagen, der auch für Oberklütz zuständig war. Er traf auf einem Fahrrad im blauen Anzug und weißem Hemd ein und überbrachte unseren drei Familien Lebensmittelkarten und eine geringe Geldsumme, damit wir das Lebensnotwendige in Klütz dafür einkaufen konnten. Er suchte uns später noch einmal auf.

Am Pfingstmontag, dem 3. Juni, taufte Pastor Wömpner in der Klützer Kirche meinen kleinen Bruder auf den Namen Klaus Eberhard Siegfried. Am Nachmittag wurde bei wunderschönem Frühlingswetter das Tauffest von der ganzen Großfamilie gefeiert. Wir saßen auf langen Holzkrippen, die zum Tränken für das Vieh vorgesehen waren, neben der Kuhkoppel von Wieschendorf und genossen bei „Blümchenkaffee“ Streuselkuchen und teilten uns sogar eine Torte, die jemand bei Bäcker Westphal aufgetrieben hatte.

Unsere Spielkameraden erscheinen als Zaungäste bei dieser Tauffeier, bewunderten den kleinen Täufling, und jeder bekam auch noch ein Stück Streuselkuchen ab.

Im Juli 1945 erkrankte unser Onkel Erich Krause an schmerzhafter Gürtelrose. Keiner der Klützer Ärzte, die er aufsuchte, konnte ihm Linderung verschaffen. Da riet ihm die Bäuerin Christa Schümann: „Herr Krause, wenn Sie Ihre Gürtelrose loswerden wollen, müssen Sie sich besprechen oder „bepüstern“ lassen. Ich kenne eine alte Frau, die das kann. Das ist Frau Gramkow in Arpshagen, die dort in der „Burg“ wohnt. Ich gebe Ihnen ein paar Eier mit. Dafür und für ein Stück Schinken wird Sie Frau Gramkow gern als Patienten übernehmen. Geld nimmt sie nicht an. Aber bleiben Sie immer ernst, und lassen Sie niemals erkennen, dass Sie Frau Gramkows „Zauberformeln“ albern finden. Onkel Erich lieh sich Schümanns Kutschwagen aus, und als er uns Kinder fragte, wer von uns mitfahren und auf das Pferd aufpassen wollte, meldete ich mich spontan. Nachdem wir die Breitscheidstraße in Klütz passiert hatten, schloss sich am Ortsausgang sofort das Gutsdorf Arpshagen an. Aber zu meiner Enttäuschung sah ich kein einziges reetgedecktes Gebäude, sondern wir fuhren an vier lang gestreckten Gutsarbeiterkaten vorbei und fanden nach einem Mal Fragen sofort die „Burg“, die sich aber als gar keine richtige erwies, sondern als ein gewöhnliches Wohnhaus, das auf einem Begrenzungswall neben dem Graben einer ehemaligen Wasserburg errichtet worden war. Während der langen „Behandlungszeit“ Onkel Erichs verspürte ich nicht wenig Lust, von der Kutsche abzusteigen und nach den reetgedeckten Gebäuden zu suchen. Aber hohe, dicht belaubte Kastanienbäume Versperrten mir die Sicht in Richtung Westen. Außerdem befürchtete ich, dass das Pferd seinen Standort verlassen würde. Nun war ich also selbst in Arpshagen gewesen.

Am 1. Juli 1945 lösten die sowjetischen die britischen Soldaten ab und wurden Besatzungsmacht im Kreis Schönberg. Am Vortag, dem 30. Juni, hätte für uns alle noch die Möglichkeit bestanden, über die mecklenburgische Landesgrenze nach Schleswig-Holstein hinüberzuwechseln, wie es uns der auf unserem Hof in Ebenau tätig gewesene Pole Frantisek Grzduk vorschlug, der in Tarnewitz interniert gewesen war. Aber meine Mutter, die sich nach der Geburt von Klaus noch zu schwach fühlte, war nicht bereit, die Strapazen einer weiteren Flucht ins Ungewisse auf sich zu nehmen. Auch Familie Krause, Tante Else Lederer und Großmutter Alwine Diethert entschieden sich, in Oberklütz zu bleiben.

Dass in diesem Bereich nun die damals von den Deutschen als Russen benannten Sowjetsoldaten das Sagen hatten, bemerkten wir bald an der völlig veränderten politischen Atmosphäre. Zwar durften sich wieder politische Parteien bilden, aber die Besatzungsmacht legte deren Zielrichtung selbst fest, und die zielte in Richtung des sozialistischen Systems nach sowjetischem Muster. Der Kommandant in Schönberg erteilte Weisungen, die mit harter Hand durchgesetzt wurden. Andererseits marodierten in Klütz und Umgebung Soldaten der Roten Armee, die sich vornehmlich nachts von ihrer Truppe entfernten und auf Beutezüge gingen, es aber auch auf deutsche Mädchen und Frauen abgesehen hatten.

Landwirtschaftliche Siedler in Arpshagen bei Klütz ab 1946

Landwirtschaftliche Siedler in Arpshagen bei Klütz ab 1946

Inzwischen hatte nicht nur die Versiedlung der einzelnen Parzellen in Arpshagen im September längst stattgefunden, ebenso die Feier anlässlich der Bodenreform und das Erntefest auf der geräumigen Tenne des Speichers, wir aber hielten uns immer noch in Oberklütz auf.

Dort war in der Nacht zum 24. Oktober 1945 der Bauer Johann Wieschendorf, der sich vor dem Eindringen marodierender Russen in sein Haus mit einem Knotenstock wehrte, von den Besatzungssoldaten erschossen worden.

Da erreichte uns endlich die Nachricht von Dr. Preuß, am letzten Oktoberwochenende würde er die von ihm bewohnten Räume im Gutshaus frei machen. Damit war nun gesichert, dass das immer wieder ins Gespräch gebrachte Gutsdorf Arpshagen unser nächster Wohnsitz werden würde.

Ein weiteres Mal wurde ich bei der Nennung des Ortsnamens Arpshagen hellhörig: Am 1. Oktober 1945 begann an der Grundschule Klütz nach Kriegsende wieder der Unterricht. Ein Strom von etwa 900 Mädchen und Jungen ergoss sich auf den kleinen Schulhof, der gar nicht alle fasste, sodass sich etliche auf dem Bürgersteig vor der Schule aufhielten. Auf einen derartigen Ansturm war das Schulgebäude gar nicht eingerichtet. Obwohl ich in Schlagenthin bereits den Großteil des zweiten Schuljahrs absolviert hatte, musste ich wieder ganz von vom anfangen. Aber das ging fast allen Flüchtlingskindern so. In dieser zweiten Klasse wechselte ständig der Klassenleiter: Ich begann mit Fräulein Karstädt, es folgte Herr Schünemann, weiter ging es mit Frau Jess, und meine letzte Klassenleiterin war Frau Scheffler, die mir anstelle eines richtigen Zeugnisses auf einem gelben Zettel bestätigte, ich sei „nach Klasse 3 versetzt“ worden.

Was von den Lehrern an der Klützer Schule nie richtig bewältigt wurde, war die ständige Fluktuation der Schüler meiner reinen Jungenklasse. Zu Beginn jeder 1. Stunde kontrollierte Lehrer Schünemann die Anwesenheit, ließ jeden von uns seinen Namen, Geburtstag und Wohnort nennen. Und so erfuhr ich, dass hinter mir mit Günter Goerl, Paul Schulz, Herbert Uecker und Gerhard Reinke, den alle „Schäpper“ nannten, vier weitere Arpshagener saßen. Das war gut zu wissen.

Ereignisse in Arpshagen im Frühjahr 1945

Das Kriegsende im Mai 1945 war für die einheimischen Bewohner des Gutsdorfs Arpshagen ein Ereignis, das ihr Leben unvermittelt völlig veränderte.

Am 3. Mai 1945 besetzten amerikanische Truppen den Klützer Winkel. Sie wurden am 23. Mai hier von Soldaten der britischen Armee abgelöst.

Der Pächter Ludwig Boeck ließ mit Genehmigung der Besatzungsmächte die landwirtschaftlichen Tätigkeiten auf dem Gut von den hier verbliebenen Landarbeitern in bewährter Weise fortsetzen. Er versuchte auch, die Ordnung im Dorf aufrechtzuerhalten und kriminelles Verhalten seiner Bewohner zu unterbinden, indem er dank seiner Autorität gelegentlich ein Machtwort sprach. Das wurde aber dadurch zunehmend schwierig, als in Arpshagen etliche Flüchtlingstrecks aus Hinterpommern, Westpreußen, Schlesien, dem Wartegau und Ostpreußen eintrafen, hier ihre Flucht vor der Roten Armee beendeten und auf einigermaßen menschenwürdige Unterbringung hofften.

Aus Hinterpommern waren gekommen:

die Familien Ziesler, Bansen, Popko, Schulz, Reinke (alle aus Butow, Kreis Saatzig),

die Familien Kirschstein, Kapanusch, Pardun, Wollmann, Scheil (alle aus Seefelde, Kreis Flatow),

die Familie Goerl (aus Neu Zapplin, Kreis Greifenberg),

die Familien Müller, Büch, Sauter (über Oberklütz aus Döberitzfelde, Kreis Deutsch Krone).

Aus Westpreußen kamen:

die Familie Zilch (aus Polichno Hauland, Kreis Wirsitz),

die Familie Braun (Rücksiedler aus Wolhynien),

die Familie Schmidt, Nittel).

Aus Ostpreußen waren

das Ehepaar Raudszus,

die Familie Schreiber,

die Alleinstehende Ida Witt,

die Familie Dreyer (aus Königsberg).

Aus Schlesien kamen:

Familie Pescha (aus Konstadt, Kreis Kreuzburg),

Familie Grzyb (aus Meseritz, Grenzmark).

Aus der Provinz Posen waren

die Familien Schmidt / Wojahn / Sager (aus Karlsruhe, Rogasen).

Die Geschwister Kosbab waren unbekannter Herkunft.

– – –

Ein weiteres Ereignis brachte Aufregung und Unruhe in den Alltag der Arpshagener. In den letzten Apriltagen 1945 war ein Güterzug aus Richtung Grevesmühlen mit Gütern zur Versorgung der Besatzung des Flugplatzes Tarnewitz etwa 30 bis 40 Meter vor dem Bahnübergang Arpshagen / Bothmer in Richtung Kauhkoppelbusch zum Stehen gekommen. Die Lokomotive war sicher nach Grevesmühlen zurückgefahren worden, weil der Zug auf dem Klützer Bahnhof keine Einfahrt erhalten hatte.

Die damalige Arpshagenerin Käte Göwe berichtete: „Es ging in Arpshagen und Klütz herum wie ein Lauffeuer: „Da ist ein Zug auf der Strecke! Da ist allerhand zu holen!“ Da haben wir erst Angst gehabt, aber dann bin ich auch mitgelaufen. Und dann haben sie Waggons aufgemacht. Da waren Sachen drin, in einem nur Pappeimer mit Marmelade. Einer stand im Waggon und hat immer herausgereicht, und dann hab’ ich zum Glück auch einen Marmeladeneimer erhascht...“ In einem Waggon befanden sich Teppiche, in einem weiteren Kleidung für Flugzeugpiloten, u. a. Lederkappen, pelzgefütterte Pilotenstiefel, Lederhandschuhe, Hosen, kurze wattierte Lederjacken, dunkelblaue Wollpullover (Troyer)…

Offensichtlich war nicht nur Käte Göwe, verheiratete Moll, an diesem Beutezug beteiligt. Mitte der Vierzigerjahre habe ich mindestens zwei Angehörige der Familie Frederich in Pilotenkleidung bei der Feldarbeit beobachtet, und noch 1948 bot Frau Andersson meiner Mutter mehrere dieser dunkelblauen Troyer an, die uns Kindern damals aber viel zu groß waren und deshalb von meiner Mutter dankend abgelehnt wurden.

Im Zusammenhang mit dem Abzug der britischen Besatzungssoldaten verließ am 30. Juni 1945 auch der Pächter Ludwig Boeck mit seiner Familie und einigen Angestellten Arpshagen. Er führte nicht nur seinen gesamten Privatbesitz mit nach Niedersachsen, sondern auch einen Großteil der Arpshagener Pferde, die ihm gar nicht gehörten. Auch andere Familien aus Arpshagen verließen seinerzeit das Gutsdorf, Staszinska (nach Klütz), Langhans, Bössow, Buuck, Schreiter, J. Dunkelmann, Faasch (alle mit unbekanntem Ziel).

Ob nun das „einnehmende Wesen“ des ehemaligen Pächters Boeck für die Arpshagener Landarbeiterfamilien ein Vorbild gewesen ist, mag dahingestellt sein. Aber ab 1. Juli bedienten sich einige von ihnen mit zurückgelassenem Mobiliar aus dem Gutshaus Arpshagen, aber auch aus dem Schloss Bothmer.

Foto: Waltershausen

So wechselten wertvolle Tische, Schränke, Betten, Stühle, Kommoden, Sessel, Couches mit dem Aufkleber „Gräflich von Bothmersches Fideikommiss“ in die Wohn- und Schlafzimmer der Arpshagener Landarbeiterkaten. Jeder nahm sich, was er gerade kriegen konnte. Auch als unsere spätere Nachbarin Anna Patynowski nach der Abreise der Familie Boeck feststellte, dass sich in dem kleinen gemauerten Ställchen vor dem Gutshaus noch eine Gans mit mehreren Gösseln befand, hatte sie keine Hemmungen, die Tiere die Straße entlang zu ihrem neuen Wohnsitz in ersten Katen von Klütz aus (vormals Faasch) zu treiben. Ob sie dabei kein schlechtes Gewissen gehabt hätte? „Wieso eigentlich? Das machten doch alle Arpshagener so!“

Die Neuverteilung des Wohnraums

Die Neuverteilung des Wohnraums in den vier Katen regelten die Landarbeiter unter sich. Die Familie Staszinska zog in das Gebäude neben dem „Zoll“ in Klütz. Estermanns verließen die „Schnitterkaserne“ und übernahmen Staszinskas Wohnung. In den frei gewordenen Räumen der Familie Langhans fand der Schwiegersohn von Hermann Kaßner, Karl Lüth, mit Frau Frieda und Tochter Edeltraud Unterkunft.

Die Familie Bössow hatte bei ihrem Wegzug die erste Wohnung des zweiten Katens frei gemacht. Dort zog der ehemalige Gutsschäfer Albert Pagel mit Familie ein, und die abgewanderten Familien Buuck und Schurz machten im zweiten Katen Platz für Törbers und Kidschuns.

Einen politischen Hintergrund hatte der Wohnungswechsel zwischen Anderssons und Schröders. Bis Mai 1945 wohnte Familie Erich Schröder im Vogthaus, weil Schröder in der NS-Zeit die Funktion des Vorschnitters innehatte. Er war nur zu diesem Posten gekommen, weil er Mitglied der NSDAP war. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes musste er nicht nur sein Amt als Vorschnitter aufgeben, sondern auch die Wohnung im Vogtshaus, in das Anderssons einzogen, nachdem Fritz Andersson neuer Vorschnitter geworden war. Schröders zogen deshalb mehr oder weniger freiwillig in den dritten Katen ein. Die Familie Fuchs mit Schwiegersohn Hubert Hübner übernahm Pagels Wohnung, und Marian Michalowski und Haushälterin Rosa Raczinski zogen aus der „Schnitterkaserne“ in den dritten Katen um.

lm vierten Katen waren die Wohnungen der Familien Faasch und J. Dunkelmann frei geworden. Diese übernahmen nun die Familien Stefan und Heinrich Patynowski, die bis dahin auch in der „Schnitterkaserne“ gewohnt hatten.

Erheblich komplizierter war die Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge. Als Vorschnitter sorgte Erich Schröder für die Familien Nittel, Schulz und Zilch mit Unterstützung des Pächters Boeck für Wohnraum, indem er vier eigene Räume im Vogtshaus frei räumte und einen Nebenraum des Speichers zum provisorischen Bewohnen umfunktionierte.

Fritz Schmidt, dessen Mutter und Schwester Else quartierte er bei Familie Karl Lüth ein.

1944 wurde „eine Wohnbaracke zur Unterbringung ausländischer Arbeiter auf dem Gelände der Gutsverwaltung Arpshagen im Wiesenbereich östlich der Landstraße“ errichtet. Sie stand beim Eintreffen der ersten Flüchtlingswelle leer. Hier zogen das Rentnerehepaar Raudschus, die Alleinstehende Ida Witt, Familie Bruno Grzyb (Bruno, Frau und Kinder Gerhard, Gertrud und Georg, „Jorke“), Familie Schreiber (Fritz, Mutter, zwei Töchter) und Franz Ziesler mit Ehefrau, Stieftochter...Remus, Kindern Heinz, Else und Herta ein.

Anna Bansen mit Tochter Anneliese und Sohn Werner wurden in das Obergeschoss der „Burg“, des Landarbeiterwitwenhauses an der Straße nach Bothmer, eingewiesen.

Da Familie Karl Staszinska die letzte Wohnung im dritten Katen verlassen hatte und nach Klütz gezogen war, zogen nach ihrer Ankunft in Arpshagen die Familien Wilhelm Popko mit Ehefrau und Sohn Bernhard (*01.01.1931; †22.01.2015) sowie Hermann Reinke mit Ehefrau Anna, Töchtern Annemarie (*22.10.1926; †05.03.2012), Erika (*24.01.1938), Sohn Gerhard (*28.06.1936; †1989), Schwiegermutter und Schwägerin in die unbewohnten Räume ein.

Leer stand auch die „Schnitterkaserne“, aus der Michalowski / Raczinski, Estermann und Familien Patynowski ausgezogen waren. Im oberen Stockwerk richteten sich Familie Wilhelm Wollmann mit Ehefrau, Sohn Manfred (*l944), Schwiegereltern Kirschstein und Neffen Gustav Redemann (*25.04.1933; †04.11.2012) wohnlich ein, im Erdgeschoss rechts Familie Max Kirschstein mit Ehefrau Marie, Sohn Rudolf „Rudi“ (*0l.07.l939); †; Töchtern Ursula und Inge, im Erdgeschoss rechts Familie Josef Braun (*26.08.1897; † 25.01.1976), Ehefrau Susanna (27.0l.l902; † 05.08.1983), Töchter Marianna (†) und Anna sowie Frau Scheil mit zwei Jungen im Vorschulalter (einer davon wurde „Hase Scheil“ genannt.)

Als der Verwalter Boeck das Gutshaus in den letzten Junitagen 1945 zusammen mit einem Teil seiner Angestellten räumte, übernahm die Familie Otto Albrecht (Ehefrau, Sohn Hans-Ulrich *20.06.1933; †28.06.2008, Tochter Ilse Marie *19.03.1935 im Erdgeschoss umgehend die ehemaligen vier Privaträume der Verwalterfamilie.

Im Nordwestflügel des Obergeschosses hatte Verwalter Boeck dem Tierarzt Dr. Preuß einige Zimmer überlassen.

In zwei kleinen Räumen mit Gaubenfenstern war Frau Hildegard Dreyer mit ihren drei Töchtern Sieglinde (* 1939), Gabriele, „Gabi“ (*17.08.1940) und Sabine „Bienchen“ (*13.11.1943) untergekommen, im Zimmer daneben Familien Büch (Mutter Natalie, Sohn Albert *31.03.1918; †14.09.2003) und Sauter (Mutter Ida, Sohn Horst *1935, Tochter Elfriede „Friedel“ *17.11.1939).

Im Südflügel des Obergeschosses hatte die Großfamilie Schmidt (Mutter Margarete, „Rittergutsbesitzerwitwe“, mit Töchtern Frieda, Margarete („Grete“), Elisabeth, Erna Wojahn, „Gitta“ Sager, Schwiegersohn Sager, Enkeln Peter Sager und Karl-Heinz Wojahn (*15.01.1943) sowie Gespannführer Erhard Pohl drei Zimmer bezogen.

Familie Goerl / Pieper (Mutter Margarete, Tochter Ellen (*25.03.l936), Söhne Günter (*14.07.1937) und Hans-Jörg (*1940; †1956) nutzte als einzige neben dem Wohn-Schlaf-Zimmer eine funktionstüchtige Küche.

Im Eckzimmer daneben über der Waschküche wohnte Familie Philipp Müller sen. (Ehefrau, Töchter Else und Hilde, Enkel Eberhard-Heinz Hellwig).

Das Gutshaus in Arpshagen – Rückseite

Im Erdgeschoss wurden zunächst aus für mich völlig unverständlichen Gründen das Wohnzimmer und der Salon des ehemaligen Pächters sowie sein großes Speisezimmer für jeglichen Zuzug blockiert. Dagegen wurde Anna Kapanusch mit ihren drei Kindern Paul (*1937, †), Bernhard (*1939 †) und Hannelore „Hanni“ (*1943 +) zugemutet, in einem Kellerraum zu hausen. Das Gutsbüro blieb als solches erhalten. Im Zimmer gegenüber der Küche lebten Georg Manthey und zwei ehemalige Soldaten der Deutschen Wehrmacht.

In dem Raum zwischen Büro und Mantheys Zimmer hatte sich Frau Pardun mit ihren Kindern Elsbeth (*07.10.1937), Rosemarie (*1939), Hans-Jürgen (*04.02.1941; †), Karl-Heinz und Burkhard sowie ihrer Schwester einquartiert.

Zu diesem Zeitpunkt wohnten die Familien Klopp, Philipp Müller jun., Glass, Wohlfeil, Else Lederer und Irmgard Lederer noch nicht im Gutshaus.

Bei den einheimischen Arpshagenern fanden Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten grundsätzlich nur dann Aufnahme, wenn es sich um Verwandte, Bekannte oder Freunde handelte. So erhielt die Familie Pescha aus Konstadt in Oberschlesien, Vater Wilhelm (*19.06.1897; †07.12.1959), Mutter Beate geb. Estermann (*26.02.1905; †13.04.l959), Töchtern Ruth und Inge (*10.06.1936) Unterkunft bei Robert Estermann, dem Bruder von Beate Pescha. Marian Michalowski nahm den Bruder seiner Haushälterin, Josef Raczinski, und dessen Kinder Heinz und Inge auf, Albert Pagel die Verlobte seines Stiefsohns Willi Burmeister und zeitweilig deren Bruder Heinz Kosbab, beide unbekannter Herkunft.

Trotz dieser ungewöhnlich großen Zahl an Hausbewohnern, die hier auf engstem Raum zusammen wohnten, deren Herkunft, Temperament, Lebensgewohnheiten sehr unterschiedlich waren, eskalierten Konflikte zwischen den einzelnen Familien recht selten. Ich kann mich nur an einen Fall erinnern, als ein etwa siebenjähriges Mädchen in höchster Bedrängnis seine Notdurft in einem Sauerkrautfass verrichtete, das seine Besitzer auf dem Kellergang abgestellt hatten. Das sorgte einige Tage lang für Aufsehen.

Grundsätzlich war das ganze Gutshaus tagsüber von unbeschreiblichem Lärm erfüllt, von Kindergeschrei, von lautem Gebrüll, von den Auseinandersetzungen zwischen Familienmitgliedern, die mitunter zornig und schrill geführt wurden. Sie waren durch die dünnen Wände ebenso vernehmbar wie das heftige Schluchzen, das verhaltene Weinen und das leise Wimmern. Aber niemand behelligte die Nachbarn mit seinen Sorgen und Schwierigkeiten.

Von dem Wenigen, was diese Flüchtlinge besaßen, wurde nichts gestohlen oder absichtlich beschädigt. Im Gegenteil, man half einander, soweit das möglich war, nahm Rücksicht aufeinander, insbesondere bei der Nutzung der Waschküche für die große Wäsche oder das Kochen von Rübensirup. Niemand beneidete den anderen wegen eines unbedeutenden Vorteils.

So gab Georg Manthey, der nicht imstande war, seine Kuh zu melken, meiner Mutter täglich die Milchmenge für uns Kinder ab, die über sein Ablieferungssoll hinaus übrig blieb, dafür dass sie ihm das Melken abnahm, während unsere Kuh trockenstand.

Andererseits sah Irmgard Lederer wie selbstverständlich nach den drei Mädchen von Hildegard Dreyer, die ihre Kinder wiederholt allein in der Wohnung zurückließ, während sie in Klütz ihren persönlichen Vergnügungen nachging. Sie gab den Mädchen zu essen und zu trinken, befreite die kleine Sabine von ihren verschmutzten Windeln, säuberte und wusch sie und zog dem Kleinkind saubere Unterwäsche an. Meine Mutter hob lange Jahre ein Foto von der kleinen Sabine auf, auf dessen Rückseite Hildegard Dreyer in makelloser Sütterlinschrift geschrieben hatte: „Meiner lieben Tante Irmgard als Erinnerung von ihrer dankbaren Sabine.“ Einmal allerdings verlor meine Tante Else die Fassung. An einem helllichten Vormittag stand meine Großmutter am Herd und kochte. Da hörte sie auf dem Flur ein Verdächtiges Geräusch. Sie rief ihre Tochter, die sofort gewahr wurde, dass die beiden Frauen Emma Moll und Andersson klammheimlich in Elses nicht abgeschlossenes Zimmer eingedrungen waren und im Begriff waren, den kleinen runden Tisch aus dem Raum zu stehlen. Da die beiden Diebinnen auf frischer Tat ertappt worden waren und sich der entschlossenen und energisch auftretenden Else Lederer gegenüber sahen, ließen sie erschrocken ihr Beutegut stehen und ergriffen die Flucht. Voller Erregung und Rage ergriff meine Tante den Tisch und schleuderte ihn den beiden Langfingern hinterher, wobei sie lauthals brüllte: „Verfluchtes Weibervolk! Ihr gönnt uns ja nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel. Wenn ihr wollt, dass wir weiter vom Fußboden essen, dann nehmt euch den Tisch!“ Der Tisch indes blieb im Zimmer meiner Tante.

Am 22. Dezember 1945 trafen meine Tante Liesbeth Rettig, die jüngste Schwester meiner Mutter und ihre Tochter Rosemarie, aus Godow bzw. Waren/Müritz kommend, im Gutshaus ein und begehrten hier Aufenthalt. Das bedeutete, dass wir in unserem Zimmer weiter zusammenrücken mussten. Von nun an teilte sich meine Mutter das eine Holzbett mit unserem Bruder Klaus, und das andere Tante Liesbeth mit Rosemarie. Später äußerte „Tante Lieschen“, diese Anrede mochte sie nicht gern, sie sei „nach Arpshagen gekommen, um die Siedlungen ihrer Schwestern auf Vordermann zu bringen“. Ob sie diesem hochgesteckten Anspruch gerecht geworden ist, kann ich nicht bestätigen. Nach meiner Erinnerung hielt sich Tante Liesbeth bei Feld- und Stallarbeiten weitestgehend zurück. Die blieben weiterhin das Betätigungsfeld der Lederer-Schwestern. Tante Lieschen hielt sich meistens im Hause auf, kochte und buk, wusch, kaufte in Klütz ein, säuberte die Zimmer gewissenhaft und strickte viel. Die Wolle dafür lieferte ihr unsere Großmutter, die sich in den Kochpausen häufig am Spinnrad betätigte.

Anschluss an die Kirchgemeinde Klütz

Als am 1. Oktober 1945 der Unterricht an der Klützer Volksschule wieder begann und die Eröffnungsfeier mit etwa 900 Kindern in der Klützer St.-Marien-Kirche u. a. mit einer Ansprache des Pastors Wömpner