Mein Wunscherbe. Teil 2: Im Land meiner Träume - Dietlinde Hachmann - E-Book

Mein Wunscherbe. Teil 2: Im Land meiner Träume E-Book

Dietlinde Hachmann

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Beschreibung

Endlich geht die Reise weiter … Der zweite Teil der spannenden Liebesgeschichte um Lieselotte, Deboo und Hans verspricht viel Gefühl, Herzschmerz und atemberaubende Einblicke ins Land der Träume! Drei Tage ist Lieselotte nun schon im Zug unterwegs von Bombay nach Kalkutta, wo ihre große Liebe auf sie wartet. Je näher sie der Erfüllung ihres Wunsches kommt, Deboo endlich wiederzusehen, desto größer wird auch die Angst vor einer möglichen Entfremdung. Doch das Wiedersehen der beiden übertrifft alle Erwartungen. Es folgen aufregende Wochen voller Gefühle und Erlebnisse. Der Höhepunkt ist eine gemeinsame Reise durch den Himalaya. Trotz ihres Glücks mit Deboo fühlt sich Lieselotte durch die vorwurfsvollen Briefe ihres Ehemannes Hans immer zerrissener. Als sie sich schweren Herzens von Deboo verabschieden muss, um ihre Reise durch Indien fortzusetzen, drehen sich ihre Gedanken ständig um den Verlust ihrer großen Liebe und ihre Familie in Deutschland. Die gedrückte Stimmung trübt viele Erlebnisse ihrer Indien-Reise. Von Sehnsucht getrieben, entschließt sie sich schließlich doch noch einmal ihrem Herzen zu folgen und nach Kalkutta zurückzukehren. Eine Entscheidung, die sie nie bereuen wird. Denn zurück in Deutschland fällt Lieselotte die Gewöhnung an ihr altes Zuhause schwer und ein schreckliches Ereignis ereilt die Familie. Wird Lieselotte Deboo je wiedersehen?

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Dietlinde Hachmann

Mein Wunscherbe.

Teil 2: Im Land meiner Träume

Eine biografische Liebes-Reise-Dokumentation über die Gründerin der Deutsch-Indischen-Gesellschaft in Hamburg e.V.

Hachmann, Dietlinde: Mein Wunscherbe. Teil 2: Im Land meiner Träume. Eine biografische Liebes-Reise-Dokumentation über die Gründerin der Deutsch-Indischen-Gesellschaft in Hamburg e.V., Hamburg, ACABUS Verlag 2010

Originalausgabe

PDF-ebook: ISBN 978-3-941404-73-1

ePub-ebook: ISBN 978-3-86282-105-1

Print (Paperback): ISBN 978-3-941404-72-4

Lektorat: Daniela Sechtig, ACABUS Verlag

Umschlagsmotiv, Übersetzung Englisch – Deutsch und Transliteration Sütterlin – lateinische Druckschrift: Dietlinde Hachmann

Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© ACABUS Verlag, Hamburg 2010

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund

Lieselotte und Hans Hachmann sowie Dr. Debabrata Chatterjee haben zaghafte

Zeichen und Spuren auf dieser Welt hinterlassen, die es wert sind,

deutlicher gezeigt zu werden, um sie in Erinnerung zu behalten.

Dieses Buch habe ich für meine Schwestern

und unsere Kinder geschrieben.

Übersetzung aus Bengali von Amal C. Ray:

An meine deutsche Mutter

Du hast mir unendliche mütterliche Liebe gegeben –

für unsere ganze Familie war deine Liebe kostbar.

Mit großer Achtung

Ratna Banerjee

im Mai 2009

INHALT

VORWORT

Lieselottes Reise durch Indien – 1956

Aus Lieselottes Tagebuch I – September 1956

Im Zug unterwegs von Bombay nach Kalkutta, Freitag, 21.09.1956

Samstag, 22.09.1956

KALKUTTA

Briefe aus Kalkutta an Hans - September 1956

Kalkutta, 25.09.1956

26.09.1956

27.09.1956

28.09.1956

28.09.1956, 15.00 Uhr

29.09.1956

30.09.1956

Aus Lieselottes Tagebuch II – Oktober 1956

03.10.1956

Briefe zwischen Lieselotte und Hans I - Oktober 1956

Kalkutta, 04.10.1956

07.10.1956

Putensen, 01.10.1956

02.10.1956

Kalkutta, 02.10.1956

03.10.1956

04.10.1956

05.10.1956

Kalkutta, 09.10.1956

12.10.1956

13.10.1956

14.10.1956

15.10.1956

Putensen, 7.10.1956

08.10.1956

09.10.1956

11.10.1956

Kalkutta, 15.10.1956

Putensen, im Herbst 1956

Kalkutta, 19.10.1956

Kalkutta, 19.10.1956

Putensen, 20.10.1956

Aus Lieselottes Tagebuch III – Oktober 1956

Kalkutta, 22.10.1956

23.10.1956

Darjeeling, 25. 10.1956

Darjeeling, 26.10.1956

Briefe zwischen Lieselotte und Hans II– Oktober 1956

Darjeeling, 29.10.1956

Putensen, 23.10.1956

25.10.1956

Darjeeling, Westbengalen

Aus Lieselottes Tagebuch IV – November 1956

03.11.1956

05.11.1956

Rissisum, 07.11.1956

KALKUTTA

Briefe zwischen Lieselotte und Hans III– November 1956

Kalkutta, 10.11.1956

12.11.1956

Putensen, begonnen am 09.11.1956

21.11.1956

24.11.1956

KERALA

Aus Lieselottes Tagebuch V – November 1956

Kerala, 23.11.1956

Kalkutta, 22.11.1956

Kalkutta, 25.11.1956

KALYAN

Briefe zwischen Lieselotte und Hans IV – Dezember 1956/ Januar 1957

Kalyan, Tallakulam, 04.12.1956

Putensen, 05. 12.1956

Kalyan, Tallakulam, 10.12.1956

Quilon, 14.12.1956

15.12.1956

Putensen, begonnen am 20.12.1956

24.12.1956

23.00 Uhr

25.12.1956

Im Zug von Madras nach Bhopal, 02. 01. 1957

Bhopal, 04.01.1957

Putensen, 04.01.1957

Delhi, 10.01.1957

17.01.1957

Putensen, Anfang Januar 1957

Delhi, 11.01.1957

Putensen, begonnen am 11.01.1957

Brief von Deboo an Lieselotte

Kalkutta, 18.01.1957

Einen Tag später

Neu-Dehli, 19.01.1957

Delhi, 29. 01. 1957

Brief von Hans an Deboo

Putensen, 29. 01. 1957

Putensen, 03.02.1957

08.02.1957

Moga, 08.02.1957

Putensen, 12.02.1957

Brief von Dr. D. Chatterjee an Hans

Kalkutta, 07. 02. 1957

14.02.1957

18.02.1957

Amritsar, 16.02.1957

Brief von Deboo an Lieselotte

Shillong, Assam

Allahabad, 25.02.1957

01. 03. 1957

Kalkutta, 03. 03. 1957

Ein paar Tage später

07.03.1957

08.03.1957

10.03.1957

11.03.1957

Putensen, begonnen am 05.03.1957

06.03.1957

Kalkutta, 12.03.1957

12.03.1957

Putensen, 09.03.1957

13.03.1957

14.03.1957

Kalkutta, 15.03.1957

18.03.1957

19.03.1957

21.03.1957

Putensen, begonnen am 16.03.1957

17.03.1957

Kalkutta, 24.03.1957, 37 Grad

27.03.1957

29.03.1957

Putensen, 31.03.1957

Manmad, 02.04 1957

Bombay, 05. 04 1957

Aus Lieselottes Tagebuch VI – April 1957

06. 04. 1957

07. 04. 1957

08. 04. 1957

09.04.1957

Auf der Victoria

Putensen, begonnen am 11. 04. 1957, es ist der 69. Brief

12.04.1957

14. 04 1957, vor der arabischen Küste

Ostersonntag, 21. 04. 1957

Aus den Erinnerungen der Tochter Dietlinde

Die Rückkehr von Lieselotte

Nach dem Tod von Deboo

Delhi, im Februar 1972

24.02.1972

26.02.1972

NACHWORT

KARTE „LIESELOTTES REISEROUTE“

VORWORT

Ich habe das Buch „MEIN WUNSCHERBE“ geschrieben, um das Andenken und das Schicksal von drei Menschen zu ehren, nämlich das meiner Mutter Lieselotte, meines Vaters Hans und das Onkel Deboos, den ich selbst leider nie kennen gelernt habe. Er entstammte einer indischen Brahmanenfamilie und studierte gemeinsam mit meiner Mutter in Schottland. Später wurde er in Kalkutta, Indien, angesehener Leiter des berühmten, riesigen Botanischen Gartens.

Außerdem habe ich es geschrieben, damit meine Geschwister und unsere Kinder davon erfahren, welch außergewöhnliches Leben unsere Eltern, ihre Großeltern, vor allem aber ihre Großmutter, gelebt haben, denn Frauen gingen im Jahre 1938 normalerweise nicht ins Ausland, um zu studieren, und die Wenigsten von ihnen hatten die Gelegenheit, sich in einen Inder zu verlieben.

Aber ich will der Reihe nach erzählen.

1938 lernte meine Mutter Lieselotte, als 19-jährige Studentin, in Schottland einen indischen Studenten kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick – und das von beiden Seiten. Der Krieg trennte die Beiden jedoch, noch bevor „es“ richtig angefangen hatte. Zurück in Deutschland erlebte Lieselotte die mannigfachen Schrecken des Krieges und heiratete schließlich Hans. Bis 1951 bekamen sie vier Kinder. Ihrem Mann hatte meine Mutter vor der Hochzeit von der Liebe zu dem Inder, der Liebe ihres Lebens, erzählt. Da er sich jedoch unsterblich in sie verliebt hatte und wahrscheinlich nicht damit rechnete, dass sich Lieselotte und dieser Inder je wieder begegnen würden, machte er ihr ein folgenschweres Angebot: Sollte Lieselotte „ihren Inder“ wiedersehen und feststellen, dass sie ihn immer noch mehr liebte als Hans, dann würde er sie freigeben.

Jahre vergingen. Die Familie fand sich zwar nach der Flucht vor den Russen wieder, sie hatte jedoch die gesichert scheinende Existenz und das vertraute Zuhause verloren. Sie kämpfte ums Überleben. Dieser Kampf ging nicht spurlos an dem Paar vorüber. Als sich das dritte Kind ankündigte, spürten sie beide keine Freude darüber, sondern machten sich gegenseitig Vorwürfe.

Zudem hatte sich Hans der Entnazifizierung durch die Briten entzogen, wodurch es für ihn fast unmöglich wurde, so eine adäquate Anstellung wie vor dem Krieg zu bekommen, um den Unterhalt der Familie zu gewährleisten. Schließlich erhielt er aber die Chance, sich als selbständiger Vertreter einer Bausparkasse zu bewähren, womit sich die Familie über Wasser halten konnte, und das Leben scheinbar wieder lebenswerter wurde. Die Tatsache, dass Lieselotte ein viertes Mal schwanger wurde, stürzte sie, und damit die Ehe, in eine tiefe Krise.

Aus dieser depressiven Situation entkam sie erst nach der schweren Geburt ihrer jüngsten Tochter, und nachdem das Schicksal sie junge, indische Studenten kennen lernen ließ, die sich in Deutschland sehr einsam und allein fühlten, was sie sehr gut nachvollziehen konnte. In den fünfziger Jahren gab es in Hamburg und Umgebung nur eine unerhebliche Anzahl von Indern. Sie wollte diese Wenigen zusammenführen und sie mit anderen deutschen Familien in Kontakt bringen, um ihnen damit Wärme, Nähe und Vertrautheit zu geben und ihnen zu vermitteln, dass sie sich in Deutschland wohlfühlen könnten. Das war der Anstoß zur Gründung der Deutsch-Indischen Gesellschaft.

Durch die Organisation von verschiedenen Veranstaltungen für die Studenten und deren Familien kam sie in Kontakt mit dem indischen Generalkonsul in Hamburg und dem indischen Botschafter in Bonn, die ihre Pläne stets unterstützten. Gleichzeitig war sie erfüllt von dieser Aufgabe und suchte nach immer neuen Herausforderungen. Die Liebe zu Indien wuchs und damit auch die Erinnerung an ihren indischen Freund Deboo.

Einer Eingebung folgend wusste sie plötzlich, an wen sie sich wenden musste, um seine Adresse in Indien zu erfahren. Nach Wochen des Wartens hielt sie seine überglückliche Antwort in den Händen. Daraufhin entstand ein reger Briefwechsel, in dessen Verlauf die Sehnsucht nach der Jugendliebe immer größer wurde. Lieselottes Ehe bestand mehr oder weniger nur noch auf dem Papier. Gemeinsamkeiten gab es fast ausschließlich durch die Deutsch-Indische Gesellschaft. Kinder und Haushalt wurden „nebenher“ versorgt.

Hans bemerkte zu spät, dass er eine Wende hätte herbeiführen können, und dass es ihm vielleicht an Verständnis mangelte, um seine Frau nicht gänzlich zu verlieren. Er spürte nur das Glück, das sie jedes Mal ausstrahlte, wenn wieder ein Brief aus Indien angekommen war. Schließlich sprachen sie miteinander und er erinnerte an sein Versprechen von einst: Er würde sie freigeben, wäre ihre Liebe zu Deboo größer als zu ihm. Um das festzustellen, ermöglichte und erlaubte er ihr die Reise nach Indien.

Keine zwei Wochen bevor das Schiff, mit Lieselotte an Bord, nach Bombay ablegte, besuchte der indische Ministerpräsident, Jawarhalal Nehru, die Stadt Hamburg. Als Präsidentin der Deutsch-Indischen Gesellschaft hatte sie die Gelegenheit, ein sehr privates Gespräch mit ihm zu führen. Nehru verabschiedete sich herzlich von ihr mit dem Versprechen, sie würden sich in Delhi noch einmal begegnen.

Sie war 37 Jahre alt, als sie von Hamburg mit dem Zug nach Genua aufbrach, um an Bord der „Victoria“ nach Bombay zu reisen. Dort wurde sie von Wilhelm von Pochhammer erwartet, dem deutschen Generalkonsul.

Sie wohnte bei einer sehr reichen Familie an dem legendären Marine Drive in Bombay. In langen Briefen berichtet sie Hans von einer Hochzeit, die unvorstellbar schien. Derart viel Geschmeide und Kostbarkeiten hatte Lieselotte noch nie gesehen. Aber sie erzählte auch von Einladungen, dem alltäglichen Leben reicher, indischer Familien und natürlich von vielen interessanten Sehenswürdigkeiten.

Ausführlich wird darüber im Buch:

„MEIN WUNSCHERBE.

Band I: Zwischen zwei Welten

Eine biografische Liebes-Reise-Dokumentation über die Gründerin der Deutsch-Indischen-Gesellschaft in Hamburg e.V.“,

ISBN 978-3-941404-12-0

das 2010 im ACABUS Verlag in Hamburg erschienen ist, berichtet.

LIESELOTTES REISE DURCH INDIEN – 1956

Aus Lieselottes Tagebuch I – September 1956

Im Zug unterwegs von Bombay nach Kalkutta, Freitag, 21.09.1956

Seit zirka vierzehn Stunden befinde ich mich in der Bahn. Momentan hält der Zug, sodass ich diesen kurzen Aufenthalt zum Schreiben nutze. Die Zeit reicht aber nur für kurze Schilderungen darüber, was draußen vor sich geht.

Der Himmel ist bedeckt, noch ist es nicht heiß. Ich sehe kleine Ansiedlungen, niedrige Hütten, manchmal aus Lehm oder auch weiß getüncht. Kleine und größere Kuhherden, die Tiere sind ziemlich knochig. An den Brunnen holen Leute Wasser, sie stehen auf dem Rand und ziehen den Eimer an einem Strick heraus. Vom Monsun sind überall noch Rinnsale zu sehen. Oft sitzen Frauen an den Pfützen mit einem Häufchen Wäsche, das sie auf einem Stein waschen. Dabei schlagen sie das Wäschestück, das beinahe zu einem Strick zusammengedreht ist, dauernd darauf. Die Landschaft ist flach, beinahe wie an der Elbe, mit kleinem Gebüsch, meist Palmengesträuch.

Wir erreichen Nagpur. Auf dem Bahnhof herrscht viel Betrieb. Meine drei Mitreisenden, ein indisches Ehepaar und ein Bekannter von ihnen, haben soeben eine Menge Verwandte im Abteil empfangen. Diese brachten unter anderem Riesenportionen Obst mit.

Die Begrüßungszeremonien waren interessant. Die jüngeren Leute verbeugten sich bis auf die Erde, bzw. bis zu den Füßen der Frau, die wiederum dasselbe, wahrscheinlich bei ihrer Mutter oder ihrem Vater, tat. Die anderen Frauen umarmten sich von links nach rechts. Bei der Begrüßung gab es Tränen und auch beim Abschied sind die Inder, wie ich feststellte, sehr gerührt.

Die Dame, die äußerst hässlich war, hockte auf dem Sitz, der Kopf war bedeckt und sie schaute aus dem Fenster. Während sich die Männer lebhaft unterhielten, sagte sie kein Wort. Nur wenn ihr Mann etwas von ihr forderte, sprach sie. Die beiden Herren haben gestern Abend auf dem Boden des Zuges gesessen und unentwegt Karten gespielt, das in Indien übliche Mittel, um sich die Zeit zu vertreiben. Heute Morgen haben sie gefrühstückt, die Frau bekam aber nichts ab. Wahrscheinlich mag sie nur ihr selbst zubereitetes Essen, welches sie, zur Wand gekehrt, dann gelegentlich verzehrt. Die Morgenstunden hat sie größtenteils mit dem Zubereiten von „Pan“ – Betelnuss in Blättern – zugebracht.

Ich habe „Pan“ am ersten Abend in Bombay probiert, aber noch keinen besonderen Geschmack daran gefunden. Es soll allerdings gut für die Verdauung sein.

Das Abteil sah wie ein Kramladen aus, so viele Körbe, Pakete und Geschirr führen die Drei mit sich. Zur Lunchtime wurde ein Tuch auf dem Boden ausgebreitet und das Geschirr darauf gestellt. Als Teller benutzten sie aus vielen kleinen Blättern zusammengesteckte, etwa tortenbodengroße Platten. Das Essen wurde darauf gefüllt und dann ging es los. Anschließend wurden diese Blatt-Teller einfach weggeworfen. Sie haben mindestens drei Diener bei sich, die gelegentlich kamen und zum Beispiel für frisches Wasser sorgten. Sie reisten allerdings im Abteil für Diener (servants compartment).

Der Eine erhielt sein Essen auf Zeitungspapier bereitet. Ich hätte nichts heruntergebracht, er aber aß mit Herzenslust. Gott sei Dank verließ die Reisegesellschaft gegen fünf Uhr das Abteil, da sie am Ziel angelangt war.

Von da an hatte ich das Abteil für mich und habe es mir entsprechend gemütlich gemacht. Zur Nacht bin ich in das obere Bett umgezogen, da die Fenster und Türen undicht sind und es entsetzlich zieht. Oben sind keine Fenster, so stört also während der Nacht die Helligkeit der Bahnhöfe nicht. Die Türen habe ich von innen verriegelt, so fühle ich mich allein ganz wohl. Die Ventilatoren habe ich auch nicht angestellt, da in der letzten Nacht alle vier liefen und das Ergebnis der ersten Eisenbahnnacht in Indien eine handfeste Erkältung war. Demzufolge bin ich in der zweiten Nacht vorsichtiger.

Am Abend erlebte ich ein heftiges Gewitter. Es war trotzdem schön, die hellen Blitze am dunklen Nachthimmel zu betrachten. Vom Donner hörte man nichts, da das Rattern des Zuges jeglichen Lärm von außen verschluckte.

Auch in der zweiten Eisenbahnnacht habe ich nur wenig geschlafen und war um fünf Uhr bereits hellwach. Eine halbe Stunde später wurde der Morgentee gebracht mit zwei Scheiben Toast und Butter, es kostete elf Annas. Am ersten Tag habe ich mir drei Mal Tee bestellt, denn Essen wollte ich nicht haben. Es ist zwar nicht teuer, aber es war mir im Abteil nicht sauber genug. Jetzt erst habe ich den Rest der deutschen Schokolade und von den Keksen gegessen, die ich von zu Hause mitgenommen hatte. Sie sind noch ganz hervorragend.

Da wir um sechs Uhr dreißig in Kalkutta ankommen sollen, habe ich meine Bettrolle zusammengepackt. Viel zu früh, wie sich herausstellte, denn der Zug hatte alles in allem drei Stunden Verspätung.

Über Nacht hatte sich die Landschaft kolossal verändert. Die Dörfer sahen viel sauberer aus. Aus Lehm gebaut und mit Palmwedeln gedeckt, umgeben von Bäumen und Palmen. Es sah recht romantisch aus. Hier habe ich keine der vielen Schweine gesehen, die überall herumliefen als wir die Gegend zwischen Nagpur und Raipur durchfuhren. Die Schweine haben Ähnlichkeit mit unseren Wildschweinen, in Gestalt und Farbe,– ich mag sie nicht gern sehen. Hier in diesem Landstrich – ob es schon Bengalen ist? – steht viel Land unter Wasser. Die Reisfelder sehen sauber und ordentlich aus und es wirkt oft sehr idyllisch mit dschungelartigen Wäldern an beiden Seiten.

Zum Schluss werde ich nun aber doch ungeduldig, denn es ist bereits neun Uhr und noch immer keine Howrah-Station in Sicht.

Für die Gedanken, die mir in dieser Zeit des ungeduldigen Wartens durch den Kopf gehen, habe ich mir seit meiner Abreise keinen Augenblick genommen. Eigentlich habe ich noch überhaupt nicht viel darüber nachgedacht. Nun aber überkommen mich plötzlich Zweifel. Wäre ich wohl tatsächlich gefahren, wenn Hans sich in den letzten Monaten, vielleicht Jahren, anders verhalten hätte, wenn der Krieg einen anderen Ausgang genommen und Hans noch immer berufliche Zufriedenheit und damit Erfolge gehabt hätte? Wäre er so griesgrämig, misslaunig und cholerisch geworden, wenn ich mit der DIG (Deutsch-Indische-Gesellschaft) Schiffbruch erlitten und weniger erfolgreich gewesen wäre?

Wie oft hatte er mich gedemütigt, angeprangert, vor anderen wie ein Schulmädchen belehrt und wie oft habe ich darunter gelitten. Ich weiß es nicht – bin ich etwa schon abgestumpft? Höre ich es nicht mehr? Doch! Und es tut noch immer weh.

Ich sitze in meinem Abteil und merke, dass ich während dieser Erinnerung völlig zusammen gesunken bin, als hätte ich kein Rückgrat. Rückgrat? Ist es das, was ich stärken müsste? Was würde es bringen? Ginge ich mit gestärktem Rückgrat auf Hans zu, könnte das bedeuten, dass wir ständig miteinander kämpfen müssten: Wer hat Recht, wer bekommt Recht, wer hat die besseren Ideen, wer wird mehr anerkannt, wer hat mehr Kraft und Ausdauer, wer weiß mehr, wer ist gebildeter, wer hat mehr Freunde? Nein, das wollte ich nicht, geht es mir durch den Kopf. Ich will eine gerechte Lebensweise, eine harmonische, eine friedliche, ich möchte nicht kämpfen! Ist das mit Hans noch möglich, wieder möglich, wenn ich zurückkomme?

Samstag, 22.09.1956

Der schrille Pfiff des Zuges, der in die Howrah-Station einfuhr, riss mich aus meinen Überlegungen. Nun bin ich also in Kalkutta angekommen.

Die widersprüchlichsten Empfindungen haben mich in den letzten Eisenbahnfahrtstunden gemartert. Einerseits habe ich über meine Ehe und ihre Entwicklung nachgedacht, andererseits beherrschte Deboo alle Gefühle. Wie wird es, wie wird er sein, nach so langen Jahren?

Auf dem Bahnsteig habe ich ihn, vom Abteil aus, zuerst entdeckt. Ich winkte ihm und daraufhin bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge, denn mehr als ein Dutzend Träger stand vor meiner Tür. Als er schließlich vor mir stand, sagte er in etwa:

„Na, da bist du ja nun!“

Ich bekam zwar keine Girlande, aber vier wundervolle rote Lotusblüten, da er ganz richtig angenommen hatte, dass mir diese unbekannt seien.

Was wir auf dem langen Weg zum Auto sprachen, war ziemlich belanglos. Was soll man sich auch schon zwischen Tausenden von Menschen sagen? Während der Fahrt von der Station bis zum Botanischen Garten erzählte er mir, dass er morgens um sechs Uhr schon einmal am Bahnhof gewesen war und gehört hatte, dass mit der Ankunft des Zuges noch nicht zu rechnen sei. Telefonisch habe man ihn dann auf dem Laufenden gehalten, und schließlich war er zur richtigen Zeit da.

Ich war sehr aufgeregt und angespannt, und musste ihn dauernd anschauen. In seinen dunklen Haaren, die sich lockten, war kein einziges weißes oder graues Haar zu entdecken, obwohl es sich bereits ein ganz klein wenig lichtete. Seine Augen waren dunkel, wobei das eine minimal kleiner war, als das andere. Die Ohren waren eng anliegend. Er hatte schmale Hände, die Finger wirkten beinahe zierlich. Ich mochte seinen Mund, die Form und die gar nicht breiten Lippen, die sehr weich aussahen. Er trug europäisch-tropische Kleidung: weiße Hosen und ein cremefarbenes Buschhemd, das kurze Ärmel hat und über der Hose getragen wird.

Von der Fahrt durch die Stadt nahm ich nichts wahr. Erst als wir durch den wundervollen Botanischen Garten fuhren und ich das Haus von der Fotografie her erkannte, das wirklich wie ein kleines Schloss aussah, richtete sich mein Blick wieder anderen Dingen zu.

Zuerst wurde ich in mein Zimmer geführt, damit ich mich ein wenig erfrischen konnte. Dann bekam ich Deboos zweitjüngste Schwester, die 22 Jahre alt und ihren Sohn, der zwei Jahre alt ist, zu Gesicht. Sie ist entzückend schön, das Bübchen ebenfalls.

1. Dr. Debabrata Chatterjee, genannt Deboo (sprich: Debu)

Ich hörte, wie Deboo seine Tochter Ratna rief, aber sie war wohl nicht in der Nähe.

Als ich aus meinem Zimmer kam, sah ich sie allerdings im gegenüberliegenden Raum entlang huschen. Die Zimmer haben Vorhänge vor den Türen, da diese im Allgemeinen nicht geschlossen werden. So blieb ich stehen und dachte:

‚Mal sehen, was sie tut.‘

Und richtig! Nach wenigen Sekunden schielte sie durch den Vorhang. Daraufhin habe ich sie gerufen. Ratna ist sehr groß für ihre dreizehn Jahre. Sie ist größer als ich. Ihre ganze Erscheinung ist die einer jungen Frau, aber im Wesen ist sie noch sehr kindlich und schüchtern. Auf den Fotos erkennt man gar nicht, dass sie ein sehr hübsches Mädchen ist.

Sigrun ist zwar ein wenig älter, aber erscheinungsmäßig wirkt sie, Ratna gegenüber, viel kindlicher.

Das Zimmer, das ich bewohne, ist fantastisch. Es gehört sonst Deboo, man hat es nun aber für mich hergerichtet. Wahrscheinlich werden hier nur besondere Gäste untergebracht, denn eigentlich gibt es andere Gästezimmer. Die Räume sind riesig groß und hoch. Ein Raum ist größer als unsere ganze Wohnung. Es ist mit einem großen Bett, über das ein Moskitoschleier gespannt ist, was sehr romantisch aussieht, drei Schränken, einem Tisch, auf dem ein großer Strauß Gladiolen steht, Stuhl, Sessel, Frisiertisch und einem Kamin ausgestattet. Daran angeschlossen ist ein Badezimmer. Drei große, verglaste Doppeltüren führen an beiden Seiten des Zimmers auf Balkone, beziehungsweise auf Veranden. Eine davon gibt den Blick auf den Hooghly River frei. Es ist zauberhaft schön, diesen Ausblick auf den Strom zu genießen.

Das Haus umgibt eine sehr vornehme Atmosphäre. Die Zahl der Diener habe ich noch nicht herausgefunden. Zwei kochen und bedienen bei Tisch. Es lebt auch noch ein Neffe im Haus, und morgen werden die Mutter von ihm und ein zweiter Bruder, aus Madras kommend, erwartet.

Am Abend lernte ich die Eltern von Deboo kennen. Der Vater ist ein sehr interessanter Mann, der mir äußerst gut gefällt. Er ist sehr klug und überaus religiös. Früher war er Professor.

Herr von Pochhammer, der deutsche Generalkonsul in Bombay, hatte mir bei irgendeiner Gelegenheit einmal seine Interpretation des Namen „Chatterjee“ erläutert. Er bedeutet: Einer, der die Vier Veden lesen kann, also derjenige, der der gelehrtesten Klasse, den Brahmanenpriestern, angehört, so in etwa jedenfalls. Es ist kompliziert.

2. Mr. und Mrs. Chatterjee, die Eltern von Deboo

Danach erfolgte eine Hausbesichtigung und im Anschluss daran auch ein Besuch im „Office“, in seinem Büro, nur wenige Meter vom Hause entfernt. Es ist ein großes Gebäude. Eine ungeheure Menge von Büchern ist dort in Schränken untergebracht. Wir haben alles eingehend angesehen und, an einem der Schränke stehend, fragte Deboo mich plötzlich: „Liese, why do you like me so much?“ („Liese, warum magst du mich so sehr?“)

Ich war ein klein wenig überrascht, denn während des Tages hatte er, außer einer sehr liebevollen Zuvorkommenheit, kein direktes Wort diesbezüglich gesagt. Deshalb wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Er sprach aber gleich weiter und erzählte, wie lange er mich schon mag, und dass ich heute noch viel, viel schöner wäre als damals.

„Ich mag dich so sehr“, flüsterte er, „als ich dich im Zug sah, hätte ich dich am liebsten geküsst, aber das ist in Indien nicht üblich. Ich hoffte den ganzen Tag auf eine passende Gelegenheit. Darf ich es jetzt?“

Es war ein sehr heißer und leidenschaftlicher Kuss, dem ein zweiter folgte und der den ganzen botanischen Garten in Brand setzte. Was ist das doch für eine Macht!

Er ist unsagbar verliebt und ich bin es ebenfalls. Am liebsten wären wir noch geblieben, aber wir wollten kein Aufsehen erregen und von niemandem beobachtet werden, deshalb sind wir ins Haus zurückgekehrt, während zahllose Zikaden im Gras zirpten und Glühwürmchen durchs Gesträuch flogen. Wie schade, diese wonnige Zweisamkeit wieder verlassen zu müssen.

Da es fast ununterbrochen regnete, es sind die letzten Monsunregen, verbrachten wir den Sonntag zusammen im Haus, erzählten einiges und schwiegen viel. Wir konnten uns nicht trennen, obgleich jeder den Mittagsschlaf hätte brauchen können.

Wir verbrachten lange Zeit damit, Hunderte von Fischern in ihren Booten zu beobachten, die auf Fische warteten und die jeweils mit ein- beziehungsweise ausgehender Flut in Massen gefangen werden. Jetzt ist die Saison für einen besonders schmackhaften Fisch, von dem alle Bengalen in Hamburg schwärmten. Er wurde uns gestern Abend zum Essen serviert und ich muss sagen, er war wirklich deliziös.

Am Nachmittag beobachteten wir von der riesigen Dachterrasse aus viele große Schiffe, die in Kalkutta ankamen oder die den Hafen verließen. Plötzlich erkannte ich den gelben Stern der „Indian Steamship Company“ und war neugierig, welches der Schiffe wohl gerade ankommt: Es war die „Indian Resource“! Nun wird Mallik meinen Brief bekommen, den ich aus Bombay an ihn geschrieben habe. Wir fotografierten das Schiff, das zum Zeichen der Jungfernreise wieder, wie damals in Hamburg, beflaggt war.

Ich musste dabei an den damaligen schönen Tag und an den Abend in Hamburg denken, als Indien noch ein holder Traum für mich war und sich alles in mir nach der Erfüllung dieses Traumes sehnte. Heute ist es Wirklichkeit geworden und noch hat mich nichts, aber auch gar nichts enttäuscht. Über das Land selbst hatte ich ja keine Illusionen, sondern wusste, was mich erwartet. Was ich nicht wusste und was bis gestern noch von Zweifeln eingehüllt war, ist sehr schnell sonnenklar geworden, viel schneller, als es eigentlich zu erwarten gewesen war.

Ich beschließe, am nächsten Morgen einen Bericht über diese erste Zeit in Kalkutta nach Putensen zu schicken.

Es ist spät geworden, hier ist es zauberhaft schön, so dass ich zwar jede verschlafene Stunde als Versäumnis betrachte, aber ich möchte morgen frisch und ausgeruht sein.

KALKUTTA

Briefe aus Kalkutta an Hans - September 1956

Kalkutta, 25.09.1956

Mein liebes, liebes Hannele,

soeben habe ich einen ausführlichen Brief an dich abgeschickt und dir die ersten Tage in Kalkutta geschildert. Nun sitze ich schon wieder an meinem Schreibtisch und will dir Neues berichten.

Habe ich dir eigentlich schon geschrieben, dass es hier seit meiner Ankunft gießt? Nachts weckt mich der heftige Regen oft aus dem Schlaf. Du hast einmal den „Großen Regen“ gelesen, so sieht es jetzt hier aus. Er kommt in unendlichen Mengen vom Himmel. In der letzten Nacht gab es zwar ein Gewitter, das mich aber wenig störte, da ich unendlich müde war. Das ganze Klima macht mich recht faul. Allerdings geht es den anderen nicht besser.

Vom Botanischen Garten habe ich daher bis jetzt wenig gesehen. Eigentlich müssten dort Nachtspaziergänge ganz romantisch sein, aber wir dürften wohl wenig Gelegenheit dazu haben, zumal mindestens fünfundzwanzig Wächter im Garten sind, so dass der Zauber eines solchen nächtlichen Ganges sehr beeinträchtigt werden würde.

Die Kinder sind heute wegen des schlechten Wetters nicht in die Schule geschickt worden. Wenn Ratna beispielsweise nicht mit dem Auto abgeholt werden kann, holt einer der vielen Angestellten sie von der Schule ab, da sie nicht allein gehen darf. Dann nehmen sie gemeinsam den Bus.

Das Haus ist im Augenblick voller Besuch. Er kommt und geht – wie bei den Khannas in Bombay. Die Eltern von Deboo hatten zehn Kinder, sieben Töchter und drei Söhne, wovon heute noch sechs leben, zwei Brüder und vier Schwestern. Einige davon sind hier.

Sein Vater, der auch im Staatsdienst beschäftigt war, bezieht jetzt Pension. Er ist ein sehr sympathischer, sehr gelehrter Mann – Professor für Sanskrit und Bengali – sehr religiös. Er kümmert sich außerordentlich um seine Enkelkinder Ratna und Ranjan und dessen Bruder Kajal. Die beiden Jungs kommen aus Madras, einer geht aber hier zur Schule und lebt mit im Haus. Oft sitzen alle Vier im großen, riesengroßen Wohnzimmer und dann wird gelernt, dass die Köpfe rauchen.

Deboo’s Mutter beschäftigt sich morgens ausschließlich mit dem Zubereiten des Essens für ihren Mann, der nur das isst, was sie für ihn, und manchmal auch für uns, kocht. Im Allgemeinen wird unser Essen jedoch von den zwei Köchen zubereitet, denn es gibt getrennte Küchen. Die Eltern leben vegetarisch, die Kinder nicht. Deboo geht es wie dir, er sagt, er muss Fleisch oder Fisch haben. Es ist so rührend, wie die alte Mutter oft irgendetwas Besonderes für mich zubereitet und dann am Tisch sitzt und wissen will, ob und wie es mir schmeckt. Ich sage „alte Mutter“, obwohl sie erst 62 Jahre alt ist. Ich denke jedoch, dass zehn Kinder und das aufopferungsvolle Leben, das sie führt, dazu beigetragen haben, sie älter aussehen zu lassen.

Mit einem Gast werden hier sehr viele Umstände gemacht. Jeder bemüht sich, alles so gut und komfortabel zu machen wie nur irgend möglich. Deboo ist in jeder Weise derart besorgt um mein Wohlergehen, dass es kaum zu beschreiben ist. Gelegentlich erzählte er, was er alles zu tun hatte, als die Polizei ihn wegen der mit meiner Einladung verbundenen Formalitäten aufsuchte. Er habe es schriftlich geben müssen, gut für mich zu sorgen und dieses Versprechen müsse er halten. Ich denke jedoch, dass er es als Rechtfertigung für die anderen Familienmitglieder benutzt, da niemand Näheres von uns weiß.

An Deboo gefällt mir besonders, dass für ihn, sobald er in seinem Office ist, nur noch seine Arbeit existiert. Alles andere vergisst er darüber, selbst das Essen. Seine Mutter muss dann häufig nach ihm schicken, damit er überhaupt kommt. Er hat mir erzählt, dass er abends oft bis spät in die Nacht im Office sitzt, in seine Arbeit vertieft. Seine Eltern mögen es nicht sonderlich gern, denn damit vernachlässigt er das Haus, und seine Angehörigen haben nichts von ihm. Deshalb versuchen sie auch immerfort, ihn zu überreden, wieder zu heiraten, damit er glücklich sein könnte. Er aber hat mir gesagt:

„Sie können nicht wissen, dass ich bei dem Leben, das ich zu führen gezwungen bin, nicht unglücklich bin. Ich habe oft beiden gesagt, träfe ich das richtige Mädchen, würde ich wieder heiraten, sonst nicht.“

Neulich hat er mich bei Mrs. Bhaduri abgesetzt, da er ein Meeting hatte. Mrs. Bhaduri ist hier sehr bekannt, sie ist eine Deutsche aus Berlin, die hier viele Inder in Deutsch unterrichtet. Deboo und sie sind ziemlich vertraut miteinander, er hat es mir in Briefen geschrieben. Sie hat eine richtige Berliner Schnauze! Nach meinem Besuch habe ich ihn gefragt, warum er denn Mrs. Bhaduri nicht heiratet, sie wäre doch kein junges Mädchen. So etwas will er nämlich nicht haben, da die jungen Dinger nicht in der Lage sind „to look after a man very well“, wie er sich ausdrückte. Aber Frau Bhaduri, meint er, kommandiere oder versuche wenigstens, ihn schon heute zu kommandieren, was solle das denn wohl erst später geben, außerdem sei sie eine Großmutter!

26.09.1956

Heute Nachmittag, nachdem endlich der Regen etwas nachgelassen hatte, wollten wir einen Spaziergang durch den Garten machen. Als wir gerade aus dem Haus traten – die Wächter grüßen immer so ehrfurchtsvoll – fing plötzlich ein in geringer Entfernung stehender Inder an zu weinen und zu lamentieren und gestikulierte ganz wild. Ich konnte mir von alldem kein Bild machen und fragte anschließend, was dies bedeutete. Dann stellte sich heraus, dass es sich um einen früheren Wächter des Gartens handelte, der sich etwas hatte zuschulden kommen lassen und deshalb entlassen worden war. Nun wartete er auf Deboo und klagte, dass er auch in Kalkutta keine Arbeit mehr bekäme und nichts zu essen habe, er möchte ihn doch wieder zu sich nehmen. Deboo sagte nur kurz angebunden, dass er es sich überlegen wolle, woraufhin sich der Mann von dannen trollte.

Dann traten wir unseren gemeinsamen Inspektionsgang an. Viele Blumen gibt es hier nicht. Was jeder pflanzen kann, darauf wird wenig Wert gelegt. Aber viele seltene Gewächse und Bäume sind zu bewundern, außerdem bietet die ganze Anlage wundervolle Ausblicke.

Es gibt hier zwei Palmenhäuser, keine Glasanlage, sondern das Dach wird von Schlinggewächsen, die auf Draht ranken, geformt. Es sieht wunderschön aus. Bänke laden zum Verweilen ein.

Während wir dort saßen, quälte mich ein schlechtes Gewissen, da sich Deboo soviel Zeit für mich nahm. Deshalb sagte ich, er solle seine Zeit nicht mit mir verschwenden. Woraufhin er mich empört fragte, ob ich die Zeit wirklich für verschwendet hielte? Es wäre eine große Freude für ihn, mir den Garten zeigen zu können und er wäre stolz darauf, Direktor dieses Botanischen Gartens zu sein. Er meinte, es wäre eines der höchsten Ämter, die einem Botaniker offen ständen, er würde diesen Ort auch nur dann verlassen, wenn er eine der wenigen, noch höheren Positionen angeboten bekäme.

Daraufhin merkte ich an, dass er doch sehr glücklich sein müsste, da er an einem so schönen Ort leben und arbeiten konnte. Glücklich wäre er hier schon, sinnierte er, aber nicht sehr glücklich. Nach einer ganzen Weile offenbarte er mir dann leise:

„Ich befinde mich gerade in einer schwierigen Situation. Ich würde dich jetzt gerne küssen, aber ich kann es nicht. Was würden die Angestellten von ihrem Vorgesetzten denken? Sie machen sich ohnehin gewiss Gedanken darüber, dass ich hier mit so einem hübschen Mädchen spazieren gehe.“

„Manchmal ist es besser, dass sich ein Wunsch nicht sofort erfüllt. Das Warten auf die Erfüllung kann eine süße Zeit sein“, entgegnete ich.

Daraufhin schwiegen wir bis zum Verlassen des Palmenhauses.

Durch das Gelände ziehen sich mindestens sechzehn Kilometer Asphaltstraßen. Auf unserem Weg sahen wir einige riesige umgestürzte Bäume. Der Regen hatte allerhand Unheil angerichtet. Die Erde war weich geworden und der zeitweise heftige Sturm hatte die Riesen entwurzelt. Alle Teiche sind übergelaufen und haben die Wiesen überschwemmt. Man kann nicht mehr erkennen, was ehemals die Begrenzung war. An einem dieser übergelaufenen Teiche hatte Deboo am Morgen einen Wächter postiert, der nun, nach fünf Uhr, immer noch da stand. Er sei ein sehr treuer Mensch, erzählte mir Deboo, der mit ihm schon in Burma gewesen sei. Sie hätten sich danach aus den Augen verloren; der Inder habe später in Kalkutta einen Teeladen eröffnet, aber große Schwierigkeiten damit gehabt. Als Deboo die Leitung des Gartens übernommen hatte, hat er ihn als Wächter eingestellt. Wie ich festgestellt habe, kennt er aber ohnehin jeden seiner vielen, vielen Arbeiter, die alle damit beschäftigt sind, hier alles sauber und in Ordnung zu halten. Er wird sehr von ihnen respektiert.

Während unseres Spazierganges habe ich den weltberühmten Banyan-Tree gesehen. Man glaubt, in einem Wäldchen zu sein mit vielen Bäumen, aber alle Stämme und Stämmchen sind doch nur von den Zweigen zur Erde herunter gewachsen. Im Garten steht ein Baum, der „mad tree“, der „der verrückte Baum“ heißt. Diesen Namen trägt er, da nicht eines seiner Blätter dem anderen gleicht. Keiner weiß, woher das kommt. Zwar gibt es Bäume von der gleichen Sorte, aber die entwickeln einen normalen Blattwuchs.

Als es dunkel wurde, ließ Deboo von einem der Parkwächter zwei Stühle an das Ufer des Flusses bringen. Dort saßen wir sehr lange, es war traumhaft schön. Der Fluss rauschte und zwei bis drei Meter von uns entfernt ruderten die zurückkehrenden Fischerboote vorbei. Drüben am anderen Ufer leuchteten die Lichter Kalkuttas. Zahllose Zikaden zirpten wieder um uns herum und die Glühwürmchen blitzten durch die Dunkelheit, es war ungefähr sieben Uhr abends. Wir haben nur dort gesessen, kaum gesprochen und dieses Bild voller Schönheit in himmlischer Ruhe genossen.

Die Besucher des Gartens müssen nämlich bei Sonnenuntergang den Garten verlassen, nur die Wächter bleiben. Allerdings tauchen sie mitunter urplötzlich aus dem Dunkel auf, was mir jedes Mal einen großen Schreck bereitet. Nachts laufen die Wächter, mit langen Stangen bewaffnet, die dem Schutz vor Schlangen und anderem Getier dienen sollen, durch den gesamten Garten. Es gibt hier viele Schakale und um das Haus laufen Dschungelhunde herum.

In meinem Zimmer befindet sich sogar ein Gewehr. Es ist sicher verschlossen, weil niemand mit ihm umgehen kann. Ich habe mir sagen lassen, dass alle allein stehenden Häuser ein solches Instrument zum Schutz haben. Das weiß hier jeder. Deshalb reicht dieses Wissen auch aus, um ungebetene Gäste davon abzuhalten, in ein Haus einzusteigen.

27.09.1956

Heute Nacht war ich schon gegen vier Uhr wach. Um fünf Uhr bin ich aufgestanden und habe auf den Fluss gesehen, auf dem sich die Fischerboote zur Flussmündung treiben ließen. Von der anderen Seite des Zimmers, das ebenfalls eine große, aber nicht überdachte Veranda hat, kann man weit in den Garten hineinsehen.Die Vögel zwitscherten und ein paar dreiste Krähen setzten sich auf das Geländer. Weit hinten auf den abgestorbenen Ästen eines hohen Baumes saßen drei Geier.

Es war schön, den Morgen so aufwachen zu sehen. Jeder Tag ist ein Geschenk, ein Geschenk von dir. Ich weiß nicht, wie ich dir dafür danken kann. Und auch hier tut ein Mann alles, um mich glücklich zu machen. Ich möchte dich nicht verletzen oder dir wehtun. Du hast aber von mir verlangt, dir alles zu erzählen, es war deine Bedingung. Ich habe damit Probleme, werde aber trotzdem versuchen, es zu tun, wie du bereits bemerken konntest.

Weißt du, Hannele, es bräuchte alles gar nicht anders zu sein als es jetzt ist, die Harmonie ist dermaßen vollkommen zwischen uns, dass es beinahe nicht glaubhaft ist. Deboo verhält sich genau so, wie ich es im Stillen immer gehofft hatte. Dich wird es vielleicht interessieren, dass wir, Deboo und ich, in allem derart gleich veranlagt sind, was Stimmung, Äußerung, Aktion angeht, dass wir kaum zu reden brauchen. Wir können zwar nur wenig zusammen sein, aber diese kostbaren Minuten genießen wir unendlich.

Heute morgen nach dem Frühstück, das wir um acht Uhr gemeinsam einnahmen, – er holt mich jetzt jeden Morgen aus meinem Zimmer ab – sind wir in sein Büro hinübergegangen und ich habe ihm geholfen, einige deutsche Buchtitel zu übersetzen. Die Bibliothek ist außerordentlich umfangreich. Uralte, wertvolle Bücher werden dort aufbewahrt. Sein Kurator, ein unverheirateter Mohammedaner, war mit dabei und später kam auch noch Dr. Mukerji, der erst gestern von einer Tour aus Orissa zurückgekehrt war, dazu. Ich hätte ihn niemals wieder erkannt. Er wusste jedoch meinen vollen Namen noch. Durch die gemeinsame Arbeit und die Gespräche verging der Morgen wie im Flug. Deshalb war ich sehr überrascht, als wir plötzlich zum Lunch gerufen wurden.

Die anderen Hausbewohner nehmen das Mittagessen sehr früh ein. Deboo will es nicht vor ein Uhr haben und so sind wir beide zum Essen allein, das heißt, was man hier so allein nennt. Zwei Diener, die uns servieren und die die gebrauchten Teller, Schüsseln, Gläser und das Besteck sofort abräumen oder erneuern, sind ständig anwesend und meist sitzt eine von Deboos Schwestern dabei, um uns Gesellschaft zu leisten. Das ist gut gemeint, aber wäre eigentlich überflüssig. Oft kommt auch die Mutter, um zu erfahren, ob es schmeckt. Natürlich gibt es nur indische Gerichte. Vom ersten Tag in Indien an habe ich mich übrigens an die hiesigen Tischsitten gewöhnt – ich habe bereits eine beachtliche Fingerfertigkeit entwickelt. Nach dem Essen geht Deboo wieder ins Büro, während ich mich ausruhen soll, beziehungsweise schlafen, lesen oder schreiben kann. Heute habe ich mit Lalitha, eine der hübschen Schwestern Deboos, beieinander gesessen. Ich habe einen ihrer Saris an, weil sie es so gern wollte; ich natürlich auch. Er steht mir ausgezeichnet. Sie ließ sogar ihre Mutter rufen, denn sie meinte, dass es ihr ebenso gefallen würde.

28.09.1956

Deboo kam an die Tür und fragte, ob ich fertig zum Ausgang sei. Für fünfzehn Uhr dreißig hatten wir nämlich verabredet, eine Fahrt zum Tempel zu unternehmen. Ich sagte ihm, ich sei noch nicht umgezogen, da ich ihm erst einmal zeigen wollte, was ich anhatte. Die Reaktion von ihm konnte ich nicht genau beobachten, denn auch Lalitha kam sofort herbei und alles redete für einige Minuten durcheinander.

3. Lieselotte im Sari

Dann aber sah ich seine Begeisterung und er bat mich, mich nicht mehr umzuziehen. „Wir fahren so zum Tempel, wie du jetzt bist. Die Leute der Ramakrishna-Mission, zu deren Tempel wir wollten, würden es genau verstehen, dass die Europäerin im Sari sehr tief an Indien interessiert sein muss!“

Also ging es los. Unterwegs holten wir Ratna von der Schule ab.

„Auntie, you are looking very pretty today“ („Tantchen, du siehst heute wunderschön aus”), sagte sie begeistert. Meist redet sie nicht viel, da sie noch große Hemmungen hat, englisch zu sprechen.

Wir mussten eine völlig vom Wasser überschwemmte Hauptstraße umgehen. Aber auch auf der anderen Seite war es nicht viel besser. Als Beweis des überaus heftigen Regens – an einen solchen kann sich hier kaum jemand erinnern –schicke ich dir einige Zeitungsausschnitte mit.

Als wir den Tempelbezirk erreichten, stellte Deboo mich einem der Leiter der Mission vor und so bekam ich einen Führer, der mir alles genau erklärte. Bevor wir den Tempel betreten durften, mussten die Schuhe ausgezogen werden. Es ist ein sehr imposanter Bau, und innen sehr feierlich. Am Ende ist hinter einem Gitter die Statue Sri Ramakrishnas, eine sehr lebendig wirkende, sitzende Gestalt, untergebracht. Einige Schalen für religiöse Verehrungen stehen davor. Alles ist mit frischen Blumen geschmückt. Ein ganz wunderbarer Duft weht von dieser Stätte herüber. Ich habe noch nie etwas Derartiges gerochen.

Wer vor das Gitter tritt, verneigt sich oder berührt mit der Stirn die Stufen zu diesem Ort, man kann es mit einem Altar vergleichen. Der berühmteste Schüler von Sri Ramakrishna war Swami Vivekananda, dessen Sterbezimmer als eine Erinnerungsstätte gehalten wird. Nebenan ist ein Kloster für die zugehörigen Mönche. Das Ganze liegt schön am Hooghlyfluss, dem Nebenarm des Ganges, und ist von unzähligen Menschen bevölkert. Die Kühe laufen hier herum und lassen es sich gut gehen. Im Übrigen ist die Kuh aus dem Straßenleben Kalkuttas überhaupt nicht wegzudenken. Auch im stärksten Verkehr wird ab und an eine ganze Herde über die Straße getrieben. Es passierte uns beispielsweise auf dem Rückweg, kurz bevor wir auf die große, imposante Howrah-Brücke fuhren.

Am Abend gegen sechs Uhr haben wir – es war schon dunkel – noch eine andere Tempelniederlassung der gleichen Mission besucht. Es war die Zeit des Abendgebetes und von überallher erklang das ziemlich monotone Geräusch der Tempelglocken und anderer Instrumente, die zur Vertiefung in das Gebet helfen sollen. Wir haben uns jedoch nur ganz flüchtig umgeschaut, da es Zeit zur Heimfahrt war.

Deboo und ich haben von der Ramakrishna Mission eine besondere Einladung zur Teilnahme am Durga-Puja, in Verbindung mit dem Dusserafest, erhalten.

28.09.1956, 15.00 Uhr

Ich sollte heute allein mit den Kindern in die Stadt fahren, da um zehn Uhr dreißig die Schule beginnt, um dann einige Besorgungen zu erledigen. So war es eigentlich abgemacht. Das Auto hielt aber, unerwarteterweise, vorm Office und Deboo kam mit. „Ich dachte, du würdest es gern sehen, wenn ich mitkäme.“

Zunächst fuhren wir in einen Buchladen, um für mich gegebenenfalls ein Buch Sarat Chatterjees oder Tagores aufzutreiben. Leider vergeblich, dafür fanden wir jedoch einen ganz ordentlichen Stadtführer von Kalkutta. So kann ich mir eventuell mal selbst Wege aussuchen. Zur Victoria Memorial Hall, die bei dir an der Wand hängt und deren Kuppel ich von meiner Veranda aus von Ferne leuchten sehe, fuhren wir anschließend.

In der näheren Umgebung sind große Rasenflächen auf der sich Kühe, Kühe und nochmals Kühe tummeln. Zwar sind Wächter dabei, aber hin und wieder verirrt sich doch mal eine davon auf die Fahrbahn. Jeder Grünstreifen ist mit Kühen belegt.

Es ist ein großer Unterschied zwischen der Fahrweise in Bombay und der in Kalkutta. Die Bombayer Fahrer jonglieren ihre Autos wie Hexenmeister, die von Kalkutta sind wesentlich besonnener. Oder liegt es wohl daran, dass unser Chauffeur hier schon siebzig Jahre alt ist und Deboo ihn ständig mahnt: „Asté, asté (langsam, langsam)“?

Nebenbei bemerkt, hat er mich gebeten, dir eine ausführliche Schilderung des Straßenverkehrs zu geben, da es so ganz anders ist, als bei uns in Europa.

An vielen Stellen – nicht im Zentrum Kalkuttas – gibt es keine Fußsteige und so trotten Mensch und Tier auf der Fahrbahn. Also muss ständig gehupt werden, um freie Durchfahrt zu bekommen. Lastwagen, Gefährte, die ausschließlich von Kühen oder Büffeln gezogen werden, Rikschakulis, Menschen mit Lasten auf dem Kopf und über den Schultern, es ist ein bewegtes, dauernd wechselndes Bild.

Wir sind zusammen einkaufen gegangen, alles Dinge, von denen ich einmal erwähnt hatte, dass ich sie mag. Indische Sandalen sollte ich haben, aber wir fanden nicht die richtigen. Es gibt hier einen großen Markt, das heißt, es ist eine riesige Markthalle, in der ein Geschäft neben dem anderen ist, meist in Abteilungen gegliedert. Es gibt einfach alles. Ich werde bald einmal allein hier umherstrolchen, denn es ist mir nicht sehr recht, dass Deboo alles bezahlt, was ich kaufe. Man gewöhnt sich nur gar zu gern und gar zu leicht daran, auch hier mit einer solchen Liebe verwöhnt zu werden.

Lass dich nicht verdrießen und neidisch machen, dass er es jetzt ist, der mir am liebsten die ganze Welt zu Füßen legen möchte. Du hast es auch schon getan und ich weiß recht wohl, dass auch du liebend gern noch viel, viel mehr tun möchtest.

Gestern, während ich weg war, rief Mallik an. Daraufhin habe ich vergeblich versucht, ihn zu erreichen.

Deinen langen Brief habe ich bekommen. Du solltest nicht so schrecklich ungeduldig sein, wenn einer meiner Briefe mal länger ausbleibt. Ich schreibe jeden Tag an dich und ich erzähle dir alles so, wie es der Reihenfolge nach geschieht. Daher kann ich keine besonders „vertraulichen“ Briefe gleichzeitig schicken, wie du es gern möchtest. Was du daraus vorliest, musst du selbst aussuchen. Ich schreibe so viel, dass mir beim Schreiben dauernd die Tinte im Füllfederhalter ausgeht. Deboo hat mir daher eine ganze Flasche hingestellt. Nun wird es erst einmal ausreichen.

Wir haben uns schon gelegentlich über Putensen unterhalten, ganz allgemein, was du früher gemacht hast und was du heute tust. Es war noch keine Zeit für lange vertrauliche Unterhaltungen. Demnächst will er ein Paket Süßigkeiten an die Kinder per Airmail schicken. Er sorgt sich, ob ich dir auch regelmäßig schreibe, und ob du ausreichend Post von mir bekommst.

29.09.1956

Gestern, nach Sonnenuntergang, den wir auf dem obersten Dach erlebt haben, machten wir wieder einen langen Spaziergang durch den Garten. Als ich vom Wege zum Haus zurückschaute, lag es da wie ein unwirkliches Traumbild, umsponnen von den aufsteigenden Nebeln der ersten Dämmerung. Ich kann dir schon heute mit Gewissheit sagen, dass es mir einmal ganz wahnsinnig schwer fallen wird, dieses alles wieder verlassen zu müssen, so ist mir dieses Stück Erde bereits ans Herz gewachsen.

Nachdem wir eine ganze Weile gelaufen waren, haben wir wieder an der alten Stelle am Ghat, dem Badeplatz am Fluss, gesessen und uns über allerlei unterhalten. Dabei kam ich auf Kamala zu sprechen. Ich habe viel von ihr erzählt, auch davon, dass sie mit ihrer kleinen Tochter allein zurück geblieben ist, nachdem ihr Mann so früh gestorben war. Natürlich erzählte ich ihm auch davon, wie schön unsere gemeinsame Zeit in Putensen war und wir zusammen Weihnachten gefeiert hatten. Ich glaube, wenn er Gelegenheit hätte, würde er Kamala gerne kennenlernen. Er mag sie schon allein deshalb, weil ich sie gern habe. Er bedeutete mir, dass er ein Mädchen nicht wegen seiner Schönheit heiraten würde, sondern um sie aus einer unglücklichen Lebenssituation zu erlösen, denn gerade hier in Indien sei das Los der Witwen einfach zu traurig, da sie quasi von allem Leben ausgeschlossen wären. So dürfen sie zum Beispiel bei keinen religiösen Zeremonien irgendwie tätig sein. Er ist der Meinung, dass eine solche Frau dann auch ihm gegenüber echte Zuneigung entwickeln würde. Er hat mir ferner erzählt, dass er schon oft daran gedacht hat, noch ein Kind in sein Haus zu nehmen, das er dann aufziehen wolle. Er würde sich durchaus zutrauen mit Kindern, etwa vom zweiten Lebensjahr an, ganz allein fertig zu werden, das heißt füttern, spielen, ins Bett bringen und so weiter. In England hat er sich während der weitaus größten Zeit das Essen ganz allein zubereitet, es würde ihm keine Schwierigkeiten machen.

Auf dem Rückweg zum Haus resümierte ich, dass der gesamte Garten für ihn im nächsten Jahr voller Erinnerungen wäre. Er pflichtete mir bei, aber gleichzeitig bedauerte er, dass ich dann nicht mehr dabei und er wieder so einsam wie vorher wäre. Was soll ich ihm darauf antworten? Ich weiß es nicht. Deshalb gingen wir eine Weile stumm nebeneinander her. Dann bemerkte er plötzlich recht traurig:

„Sonst habe ich mich immer über meine Wächter gefreut, wenn sie recht aufmerksam alles beobachten, was im Garten vor sich geht und überall und nirgends sind, aber im Augenblick passt es mir gar nicht.“

Deboo ist keineswegs überkorrekt oder gar spießig, Gott sei Dank nicht. Wir müssen jedoch artig und in anständiger Entfernung nebeneinander her gehen, denn die Wächter kommen plötzlich, wie Geister, aus dem Busch. Unterwegs erzählte mir Deboo, dass er gern in nächster Zukunft einmal zu uns kommen möchte, um mit den Kindern zu spielen und Ferien zu machen, so wie ich es jetzt tue. Er fragte nach dir, ob du dich viel um die Kinder kümmerst und mit ihnen spielst und so weiter. Ich erklärte ihm, dass du tagsüber viel unterwegs seiest und auch am Wochenende oftmals Termine bei deinen Kunden hättest, so dass dir meist die Zeit dafür fehlte.

Nach dem Abendessen versuchten wir noch einmal, Mallik ans Telefon zu bekommen, aber zum dritten Mal vergeblich.

30.09.1956

Heute Morgen bin ich wieder weit vor sechs Uhr aufgestanden und habe einen Spaziergang durch den Garten gemacht. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, denn wenn man vollkommen glücklich ist, hört das Denken fast ganz auf. Ich wurde jedoch heftig ermahnt, niemals allein und ohne Schutz um diese Zeit auszugehen. Wegen der Schlangen und anderen herumlaufenden Tieren wäre es viel zu gefährlich für mich.

Nach dem Frühstück standen wir zusammen auf der Veranda und sahen auf den Strom hinaus. Die offizielle Bürozeit ist von neun bis fünf Uhr und es war schon über neun Uhr hinaus. Daher fragte ich ihn, ob er denn heute keine Lust habe, zu arbeiten.

„Nein“, sagte er, „ich möchte immerzu in der Nähe eines bestimmten Menschen sein.“

Wegen der vielen Augen im Haus ist es aber natürlich fast unmöglich, sich einige private Sekunden zu stehlen.

Soeben wurde mir von meinem kleinen, zweijährigen Freund ein Blumenstrauß gebracht, der mir gestern Abend versprochen worden war. Es hängt nun ein wundervoller, süßer Duft von diesen Blumen in der Luft, die in ungefähr zehn Meter Höhe auf einem Baum wachsen. Nur ein ganz besonders guter Kletterer kann sie erlangen und ein solcher war heute verfügbar.

Macht es dich nun auch wirklich ebenso froh und glücklich, wenn ich dir all dies schreibe, was ich tue, denke und erlebe? Es würde mich beruhigen. Du siehst, und hoffentlich ist es dir ein Beweis, dass ich dich nicht vergesse. Es verlangt mich auch danach, dir lange Briefe zu schreiben. Ich kann auf deine nicht im Einzelnen eingehen, meine sind schon so unendlich lang und kosten dann auch entsprechend viel Geld. Hin und wieder nimmt Deboo Post mit, die er dann auf eigene Kosten befördert. Gerade eben kam er mit Ratna herein, um Post mitzunehmen und um zu sehen, ob die Blumen bei mir angekommen sind. Sie heißen übrigens „champa flowers“, champa bedeutet golden, also Goldene Blumen.

Ich denke, jetzt muss ich Schluss machen, der Brief wird sonst gar zu lang. Während der süße Duft der Blumen zu mir kommt, möchte ich ihn weitersenden an dich, mit ebenso vielen, lieben tropischen Küssen, wie mein Strauß Blüten hat. Denke weiterhin an dein Dott, die hier einen Traum aus Tausendundeiner Nacht in Wirklichkeit erlebt. Beiliegendes Bild erhielt ich heute früh, ich schicke dir dieses Traumschloss, damit du dir alles besser vorstellen kannst. Hebe es aber gut auf, es ist mir sehr kostbar.

Grüße die Kinder, sie sollen recht lieb sein und sage ihnen, dass sie demnächst etwas von ihrem indischen Onkel bekommen.

Dein Dott

Aus Lieselottes Tagebuch II – Oktober 1956

03.10.1956

Es ist alles so zauberhaft schön, so vollkommen, wie ich es selbst in meinen kühnsten Träumen nicht zu erhoffen gewagt habe. Wir brennen beide lichterloh – aber niemand darf etwas merken. Und so kommt es höchstens einmal am Tage zu einem langen, atemberaubenden und heißen Kuss, der fast besinnungslos macht. Die Küsse sind ganz anders als ich sie bisher erlebt habe, es ist eben tropisch heiß und seltsam.

Wie oft schon hat er mir in einem unbeobachteten Moment zugeflüstert: „Ich bin so glücklich!“

Es ist manchmal so, dass wir beieinander sitzen ohne ein Wort zu sprechen, man träumt vor sich hin, ein kurzer Blick, den die anderen nicht bemerken dürfen und man will nichts weiter, als einander nahe sein. Wenn er dann plötzlich abrupt aufsteht und weggeht, dann weiß ich, dass er am Rande seiner Beherrschung ist und flieht.

Ich glaube, Deboo denkt im Augenblick zuviel nach, denn er äußerte, als wir an einem Abend für einige Minuten vor dem Haus promenierten, immer im Angesicht der vier Wächter, die das Haus zu bewachen haben, plötzlich: „Ich wünschte, ich wäre irgendwo im Dschungel.“

Als ich nachfragte, was er damit meine, lächelte er mich an und erklärte:

„Ich möchte unsere Freundschaft so rein und schön wie möglich halten. Ich liebe treue Freundschaften, die durch nichts verdorben werden können. Wenn ich also manchmal ein böser Junge bin und dich von Zeit zu Zeit küsse, dann möchte ich dich schon jetzt um Verzeihung dafür bitten. Ich bin von Natur aus sehr reserviert, aber in deiner Gegenwart könnte ich meine Selbstbeherrschung vollständig verlieren. Ich möchte mich gern unter Kontrolle bringen, aber ich schaffe es nicht.“

Alles ist also ganz dazu angetan, die Sehnsucht nach einander ins Unermessliche zu steigern und in dieser Richtung habe ich denn auch seinen Ausspruch verstanden: „Ich wünschte, ich wäre irgendwo im Dschungel.“

Am folgenden Abend, während wir am Fluss saßen, offenbarte er mir: „Ich habe dir das Zimmer im zweiten Stockwerk überlassen, während ich im Erdgeschoss schlafe. Die Leute denken, dass du eine sehr bedeutende Dame sein musst, weil ich dir meinen eigenen Schlafraum zur Verfügung gestellt habe. Aber niemand von ihnen weiß, dass sich draußen ein Treppenhaus befindet, das beide Räume miteinander verbindet. Zuerst dachte ich, ich sollte in der Nacht zu dir kommen. Es sind aber zu viele Menschen im Haus und ich wollte nicht, dass irgendeinem von ihnen etwas auffällt. Wenn du es aber magst, kannst du jederzeit kommen, ich werde immer warten.“

Ohne durch das Haus zu müssen, kann man tatsächlich von der Veranda aus in einen Turm gelangen, eine Wendeltreppe hinunter steigen und sein Zimmer erreichen. Wir haben uns in der Zwischenzeit des Öfteren über die Möglichkeit eines nächtlichen Besuches unterhalten. Als vor- oder vorvorgestern die ältere der Schwestern abwesend war, die sonst direkt neben meinem Zimmer schläft, hatten wir uns eigentlich für ein Zusammensein verabredet.

Eine durch Feuchtigkeit klemmende Tür vereitelte jedoch dieses Vorhaben. Wir wollten kein Risiko eingehen und vermieden den Lärm, der beim Öffnen entstanden wäre. Ein paar Tage später, als sie abgereist war, versuchten wir es erneut und dieses Mal ließ sich die Turmtür öffnen. Es war natürlich ziemlich aufregend, wie ein Burgfräulein die Wendeltreppe hinab zu schleichen, an deren Ende Deboo wartete. Wie lange er dort schon stand, weiß ich nicht, denn eine genaue Zeit konnten wir in Anbetracht der Hausbewohner, die ziemlich lange auf den Beinen sind, nicht vereinbaren.