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Nach langer Fahrt über den Atlantik erreichen 1890 Frands, Clara und Arthur Vera Cruz. Die Silberminen in den Bergen Michoacáns versprechen Reichtum und Wohlstand. Ramon Martinez ist Minero in der größten Silbermine der Welt im heutigenMéxico. Er findet in einem Tagebuch seine schicksalhafte Verbindung zu Frands und Arthur. Das Buch von Sabine Penckwitt ist Familienroman und Dokumentation.
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Seitenzahl: 194
Veröffentlichungsjahr: 2025
© 2025 by SabinePenckwitt
2. verbesserte Auflage
Verlag
Sabine Penckwitt
Rosenstraße 41
32756 Detmold
Umschlaggestaltung: © by SabinePenckwitt
All rights reserved.
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Vorwort
Personen
1. Fresnillo 2021
2. Fresnillo 1986
3. San Luis Potosí 1959
4. Fresnillo 2021
5. Vrold 1858
6. Duisburg Deutschland 1861
7. Fresnillo 2021
8. Freiberg Deutschland 1883
9. Fresnillo 2021
10. Freiberg 1883
11. Fresnillo 2021
12. Freiberg 1884
13. Fresnillo 2021
14. Chemnitz Deutschland 1884
15. Fresnillo 2021
16. Freiberg 1885
17. Fresnillo 2021
18. Chemnitz 1887
19. Fresnillo 2021
20. Hamburg Deutschland 1889
21. Fresnillo 2021
22. New York USA 1889
23. Fresnillo 2021
24. Mineral del Monte México 1889
25. Fresnillo 2021
26. Mineral del Monte 1890
27. Fresnillo 2021
28. Mineral del Oro México 1897
29. Fresnillo 2021
30. Mineral del Oro 1897
31. Fresnillo 2021
32. Mineral del Oro 1899
33. Fresnillo 2021
34. Angangueo México 1899
35. Fresnillo 2021
36. Angangueo 1899
37. Fresnillo 2021
38. Angangueo 1900
39. Fresnillo 2021
40. Angangueo 1900
41. Fresnillo2021
42. Angangueo 1900
43. Fresnillo 2021
44. Angangueo 1901
45. Fresnillo 2022
46. Angangueo 1901
47. Fresnillo 2022
48. Angangueo 1902
49. Fresnillo 2022
50. Angangueo 1906
51. Fresnillo 2022
52. Angangueo 1909
53. Fresnillo 2022
54. Angangueo 1910
55. Fresnillo 2023
56. Angangueo 1911
57. Fresnillo 2023
Dank und Quellen
Über die Autorin
México, die PerleMesoamerikas. EineAuszeichnung, die mehr bedeutet als alles, was sonst berichtet wird.
Es ist landschaftlich vielseitig und beherbergt fast 130 MillionenMenschen, welche in vier Zeitzonen leben. Pazifik und Atlantik spülen ihre Wasser an MéxicosKüsten. Urwälder bedecken große Gebiete der Tiefebene von Chiapas und über trockene GebieteChihuahuas schickt der WindStaubwolken.
Tropische Wälder wechseln sich mit Bergketten ab, deren bekanntester Gipfel dem Popocatepetl gehört.
Trockene Zonen mit Kakteenformationen, Felder mit Agaven für Tequila und Mezcal begegnen dem Reisenden.
Etwa zehn Prozent indigene Völker leben im Land, die fast sechzig Sprachen und Dialekte sprechen, außer der LandesspracheSpanisch.
Dreißig Prozent der Méxicaner haben europäische Wurzeln.
Über die Hälfte der Méxicaner sind Mestizen.
Einer davon ist RamonMartinez aus Fresnillo.
Er ist Minero, wie alle seine männlichen Vorfahren, die er bis zu fünf Generationen zurückverfolgen kann.
Zu allen Zeiten kamen Fremde ins Land.
Einer davon war OleFrandsSøle aus Dänemark. Er kam vor 100 Jahren, um sein Glück in den SilberminenMéxicos zu finden.
Und das ist ihre Geschichte.
Ole FrandsSøle
ist Däne aus Skanderup, stammt aus armen Verhältnissen. Er ist blond, sehr groß, fleißig und zurückhaltend. Kann jedoch ein Ziel verbissen verfolgen. Er ist Bergschmied.
Mit ClaraOttilie hat er sieben Kinder.
1889 ist er 31 Jahre alt.
Clara OttilieSøle
ist sieben Jahre jünger als Frands. Johanna, ihre erste Tochter, ist zwei Jahre alt.
Clara ist klein und rundlich, temperamentvoll und lebte ebenfalls in sehr bescheidenen Verhältnisse. InMéxico bekommt sie noch sechs Kinder.
Clara führt Tagebuch.
Arthur von Pahl
stammt aus einer wohlhabenden DüsseldorferFamilie. Er ist klein und schmächtig, was er mitunter durch arrogantes Auftreten überspielt. Dennoch ist er zu Freunden hilfsbereit, ehrlich und treu. MitFrands und Clara verbindet ihn eine unerschütterlich Freundschaft
Ramon Martinez
ist rundlich, immer fröhlich und zu Späßen aufgelegt. Fußballfan der „Pumas von CiudadMéxico“.
Er lebt mit seiner Familie in Fresnillo im BundesstaatZacatecas. SeitGenerationen sind die Martinez` Minenarbeiter. Ramon arbeitet in der größten Silbermine der Welt.
Constancia Martinez
hat mit Ramon zwei Kinder, Juan und Juanita.
Ihre Familie stammt aus Irland. Sie arbeitet in einem Supermarkt.
Constancia ist klug und geht zu Demonstrationen.
Miguel und LuisaMartinez
sind RamonsEltern. Sie wohnen in Fresnillo in einem kleinen Häuschen. Miguel ist ruhig und ernst, während Luisa ein fröhlicher temperamentvoller Mensch ist. MiguelsVorväterDiego und Tomas arbeiteten tief in den alten Erz- und Silbergruben. IhreVorfahren kamen aus Spanien, haben aber auch aztekische Wurzeln aus den BergenMichoacáns.
Bis heute ist die Familie stolz auf BroncoAcaraho. Er kämpfte 1910 in der mexikanischen Revolution an der Seite von PanchoVilla und EmilianoZapata.
Familie MartinezMéxico
„Ramon, los, los! Beeil dich, TVAzteca-Sport fängt an!“,
rief Antonio.
Ramon und Antonio sind langjährige Freunde und enthusiastische Fußballfans.
Heute spielte AntoniosFavoritmannschaft, die Tiger aus Monterey gegen die starken Pumas von México-Stadt.
„Deine Tiger gewinnen sowieso nicht!“, stachelte Ramon
und meinte, dass seine AtleticoMorelia seit Herbst 2020 in der zweiten Liga seien und bald echte Konkurrenten zu den Tigres und Pumas würden.
Antonio ließ sich nicht stören und schrie beim 1:0 für seine Mannschaft mit den Reportern des Senders:
„Gooool! Gooool! Viva el Fútbol!“
Constancia, RamonsFrau, brachte einen Berg gefüllter Tortillas zu den Männern. Der zehnjährige Juan lümmelte zwischen den Freunden auf dem Sofa.
Er ähnelt seinem Vater sehr und ist, wie Ramon, immer zu Späßen aufgelegt.
Auch Juanita, seine zwei Jahre jüngere Schwester geht nach dem Vater.
* * *
Nach dem Fußball tranken Antonio und Ramon ein Bier.
Die Pumas hatten gegen die Tiger mit 4:1 gewonnen.
„Weißt du was, Ramon? Ich brauche Tequila auf denSchreck, kein Bier!“
Constancia gesellte sich dazu und bald ging es um die Bedingungen in der Mine und über Gewerkschaften. Ramon und Antonio sind Minenarbeiter in „Servacio“, einer der größten Silberminen der Welt.
Antonio warnte bei diesem Thema: „Ihr wisst, was passieren kann, wenn gestreikt oder eine eigene Gewerkschaft gegründet wird.“
„Klar doch, mögliche Entlassungen! Das wäre das Aus für die Familien“, erwiderte Ramon.
Constancia meinte, eine HandvollMineros könnte nichts ausrichten.
„Da brauchst du nur die Seiten im Internet von „Servacio“ anzuschauen. Hochglanz, alles schick. PrimaArbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz bla, bla, bla.“
„Das ist doch meine Meinung“, sagte Antonio: „ein Streik hätte vielleicht eine kurze Wirkung! Aber er würde ja doch niedergeschlagen und die Folgen trügen die Kumpel.“
„Noch einen, Antonio?“, Constancia hob die FlascheTequila: „Lasst mal die Politik.“
Antonio erhob sich: „DankeConstancia, keinen mehr. Ich sage BuenasNoches für heute. Es ist spät und Maria wird schon warten.“
* * *
Nachdem Antonio gegangen war, hing Ramon eine Weile seinen Gedanken nach. Seit 2011 arbeitete er in der Mine.
Weltweit bekannt ist MéxicosSilber. DieMine ist außerdem reich an Kupfer und Blei, sowie an Zinkerzen.DenBergen werden seit fast fünf JahrhundertenEdelmetalle abgetrotzt. Konkurrenz wäre höchstens die MineCannington in Australien und in Polen die RudnaMine.
Doch der KonzernMexPLOR braucht sich noch lange nicht zu sorgen, „Servacio“ fördert jährlich über 6000 TonnenSilber. Von diesem Gewinn sind alle anderen weit entfernt.
Ramon hatte Frühschicht. Die 8km zur Mine fuhr er täglich mit dem Werksbus.
„Schluss mit Grübeln. Ich bin müde.“
„Geh nur schon. Ich räume noch weg“, sagte Constancia und gab ihrem Mann einen Gute-Nacht-Kuss.
Die Tortillas waren alle verzehrt worden, aber von der Füllung mit den roten Bohnen war noch eine ganze Pfanne übrig. Sie stellte die Füllung in einer Schüssel in den Kühlschrank, wusch das Geschirr und die Gläser ab und ging ins Bett.
Ramons Atemzüge verrieten, dass er bereits im Tiefschlaf war.
Familie Martinez wohnte hinter einer Vulkanisierwerkstatt an einer der vielbefahrenen StraßenFresnillos. Es war eine bescheidene kleine Wohnung.
Die Kühle des Abends ließ die gestapelten Autoreifen erkalten und gab den Dunst frei, welcher durch die geöffneten Fenster in die Wohnung zog.
Daran hatten sich alle vier gewöhnt.
* * *
Ramons Eltern, Miguel und Luisa, wünschten sich ein Familientreffen. Ramons älterer BruderEverardo und ConstanciasSchwester mit ihren Familien sollten dabei sein.
Wenn alle zu dem Treffen kämen, wären sie 19 Personen.
Momia würde jede MengeTortillas backen und Huhn und Fisch braten.
* * *
Am vereinbarten Samstag liefen sie vom Haus der Eltern in der Municipio, die AvenidaRoma überquerend, hinaus aus der Stadt bis zu einem Waldstück.
Alles war mitgeschleppt worden und die ganze Familie war fröhlicher Stimmung.
Miguel und Luisa sangen die Lieder, die sie von ihren Eltern und Großeltern gelernt hatten.
Miguel hatte seine alte Tonpfeife mitgebracht und ließ die dumpfen, hohen melodisch sich abwechselnden Töne hören.
Eine zweite Pfeife reichte er Ramon.
Die Pfeifen waren 20 cm lang und mit einem Jaguarkopf geschmückt.
Miguel hütete seine Tonpfeife wie seinen Augapfel. Sie hatte schon Bronco seinem Urgroßvater gehört. Später sollte Juan sie einmal bekommen.
Luisa sagte beim Essen: „ZuHause hustet er schon morgens früh und atmet schwer. Aber wenn er seine Lieder spielt, merkt man nichts von seiner Atemnot.“
Miguel war ebenfalls Minero in einer Silbermine gewesen.
2005 waren beide nach Fresnillo gezogen, um ihren Söhnen näher zu sein. Bis zu seinem Ausscheiden war er, wie Ramon und Everardo, in der Mine „Servacio“ beschäftigt gewesen.
Seit die beiden Enkel auf der Welt waren, kümmerten sich Luisa und Miguel oft um sie.
Ramon hatte viel für die alten Traditionen übrig und wollte alles über das Leben seiner Familie aus früheren Zeiten wissen.
Constancia war in dem Supermarkt in der Emiliano-Zapata-Straße beschäftigt.
Ihre Familie stammte aus Mineral del Monte, wo ihr VaterPastetenbäcker gewesen war. Ganz in der Tradition seiner englischen Vorfahren.
„Ja, das waren die berühmten Pastetenbäcker. DieRezepte hatten die Cornishs aus ihrer Heimat mitgebracht. Eins der Dinge, die in México gern übernommen wurden“, erzählte Constancia.
„Cornishs?“, wurde gefragt.
„Das waren Einwanderer aus Cornwall.“
„Gibt es eigentlich heute noch Pastetenbäcker?“
„Wenige in der Tradition. DiePasteten werden jetzt in Großbäckereien hergestellt. In unserem „Oxxo“ verkaufe ich sie auch. MeinVater war wohl einer der letzten Bäcker, der das Rezept noch kannte“, erklärte sie stolz und sah nachdenklich zu Boden.
Miguel ergänzte: „Die meisten aus Cornwall waren Mineros. Sie haben damals eine neue Technologie mitgebracht, um des Grundwassers in den MinenHerr zu werden. Das war ein großer Vorteil.“
„In unserer Familie waren die Männer immer Mineros. Sind wir beisammen, dreht sich das Gespräch um die Minen“, Ramon nahm sich ein StückHuhn und eine mit Gemüse gefüllte Tortilla.
Mit vollem Mund sprach er weiter: „Wir können in der Familie bis ungefähr 1860 zurückblicken.“
„Lange bevor die Spanier kamen, wurde schon in steinernen ÖfenSilber aus dem Erz geschmolzen.“ begann Miguel zu erzählen, wurde aber durch lautstarken Protest unterbrochen. Er solle nicht schon wieder die uralten Aztekengeschichten hervorholen.
Miguel gab sich geschlagen und während die anderen über Mode, Autos und Politik schwadronierten, versank er in Gedanken an seine Vorfahren.
* * *
Die FamilieMartinez war vor langer Zeit aus Spanien eingewandert.
Miguels Eltern, Diego und Antonella, hatten ein ereignisreiches Leben hinter sich, ebenso der GroßvaterTomás.
Am interessantesten war BroncoAcaraho aus Angangueo. Er war der Held der Familie. Er und seine FrauErendira entstammten dem Volk der Azteken.
Ihre TochterCitlali heiratete TomásMartinez.
Das war der Beginn der FamilienbandeMartinez und Acaraho.
So, dachte Miguel, sind wir eine gute Mischung und sah mit großer Liebe auf die Familie.
Die anderen waren im Gespräch bei einem Film angekommen, den alle bei Netflix gesehen hatten.
Zeit für Miguel, weiter in seinen Erinnerungen zu kramen.
Als Miguel am Abend des 7.März 1986 zur Schicht ging, war das Baby noch nicht da.
Der 18 Monate alte Everardo verstand nicht was das Treiben zu bedeuten hatte. Er warf sich auf den Boden, wälzte sich und schrie bis zur Erschöpfung. Irgendwann war er eingeschlafen.
Miguel hatte keine Ruhe mehr gefunden, er ging eine Stunde früher zur Schicht.
* * *
„Es ist ein Junge, Miguel.“
Luisa hatte einen Wonneproppen im Arm.
„Er ist groß, du hattest es schwer“, meinte Miguel, streichelte behutsam das Baby mit dem Zeigefinger und gab seiner Frau einen Kuss auf die Stirn.
„Nein Miguel, es war gut. Du warst höchstens drei Stunden weg, als er kam. Das ist Ramon, Miguel! Das ist dein Vater, Ramon!“ stellte sie die beiden einander vor und strahlte vor Glück.
Der Abend sah auch Diego und Antonella glücklich über ihr Enkelkind.
Diego sagte: „Ramon! Ramon! Das klingt vornehm.“
Antonella tippte sich an die Stirn: „UnsereFamilie und vornehm. SeitGenerationen seid ihr MännerMineros. Ramon wird auch ein Minero werden.“
„Da wirst du wohl recht haben“, meinte Diego: „Obwohl ich mir wünschen würde, dass einmal ein Martinez von den Minen loskommt. Seit 1981, seit fünf Jahren, ist unser Peso so geschwächt, dass ich Bedenken habe, ob unser SohnMiguel nicht auch entlassen wird. Aus den USA und aus Europa will niemand was anlegen, weder in Öl noch in Gold und Silber. Und unser Geld ist gar nichts wert.“
Antonella stimmte ihm zu. México war wieder mal in einer tiefen Wirtschaftskrise und eine Erholung war nicht in Sicht.
Diego hatte gerade seinen 30ten Geburtstag gefeiert, als er und Antonella heirateten und er hoffte endlich Vorarbeiter zu werden.
Antonella liebte SanLuisPotosí. Entlang der schönen Häuser durch die Stadt zu flanieren, das war ihr zum täglichen Vergnügen geworden. Oft zog es sie zur KircheSanMiguel.
Antonella knickste am Eingang, bekreuzigte sich und schritt langsam den Mittelgang bis zum Altar vor. In einer riesigen Muschel, von Säulen begrenzt, stand der heilige Michael.
Links von ihm stand die Jungfrau. In der rechten Nische das Standbild der HeiligenBarbara. Antonella hatte nur Augen für den Erzengel.
Als sie schwanger war, verbrachte sie besonders viel Zeit in dieser Kirche.
Damals sagte sie zu Diego: „Wenn es ein Junge wird, nennen wir ihn Miguel.“
Diego hatte, wie sein VaterTomás, noch mit der Spitzhacke gearbeitet. Mit vierzehn war er das erste Mal im Berg. Er sah wie Vater und die anderen Kumpel in den engen Gängen bäuchlings oder auf Knien das Erzgestein den harten Wänden abtrotzte.
Tomás und seine Kollegen kauten Kokablätter. Die zerkaute Masse wurde für die Dauer der Wirkung in eine Wange geschoben, wo sich im Laufe vieler Jahre des Kauens die typische Kokawange bildete. DerGehalt von Kokain in den Blättern ist sehr gering, trotzdem werden die Schmerzen in Schultern, Knien und Rücken gemildert.
War ein Gang mit einer Silberader durch die Spitzhacken erweitert, wurde der Presslufthammer eingesetzt. Nun ging es zwar schneller voran, aber dadurch füllte sich der Raum vermehr mit Staub, vom Lärm ganz abgesehen. Die feuchten Stofflappen vor Mund und Nase wurden schnell hinderlich und die Kumpel waren dem Gesteinsstaub ausgesetzt.
* * *
Diego und Antonella erinnerten sich, dass Tomás in der Kirche bei ihrer Trauung so stark hustete, dass er am Arm seiner FrauCitlali die Zeremonie verlassen musste.
Tomás Martinez starb 1961 mit 59 Jahren an der Staublunge.
Miguel wurde aus der Vergangenheit geholt, denn die Decken wurden eingerollt und die fast leeren Picknickkörbe verschlossen. DasFamilientreffen fand sein Ende durch die rasch hereinbrechende Dämmerung.
Sie verabschiedeten sich alle mit langen Umarmungen, guten Wünschen und Küssen.
* * *
Wenn jemand nach der FamilieMiguelMartinez fragte, so antwortete man, er solle in der Municipio nach einem dottergelben HausAusschau halten.
Vor Jahren hatte es Miguel gestrichen. Inzwischen kam der graue Lehmputz hervor, vor allem musste das Dach repariert werden.
Constancia ging mit den Kindern nach Hause, während Ramon seine Eltern begleitete, um mit seinem Vater einen größeren Schaden am Hausdach zu inspizieren und zu besprechen, wie sie vorgehen wollten.
Später saß er mit den Eltern gemütlich in dem kleinen Hof. NachArt einer Hacienda hatte Miguel eine hölzerne Säulenkonstruktion zum Hofinneren gebaut. Das verkleinerte den Hof, gab aber ringsherum einen schattigen kleinen Gang, der Platz bot für Tisch und Stühle und einige Tontöpfe. Letztere hatte Luisa mit Oleander bepflanzt.
* * *
Sie aßen die Reste des gebratenen Fischs, tranken Fruchtsaft dazu und später landeten sie beim Mezcal.
Miguel erzählte wieder ein paar Geschichten von früher.
„Ich weiß, dass viele Europäer dem Lockruf des Silbers nach México folgten“, sagte Ramon.
Miguel rieb sich das Kinn und sah versonnen in sein Glas: „DemLockruf des Goldes erlagen nicht nur die Conquistadores. Später wurde er vom Silberreichtum übertönt. Um 1800 ungefähr stürzten sich die Europäer wieder auf die hiesigen Goldvorkommen, Kupfererze und so weiter. Das ist gleichzeitig die Geschichte der Mineros, unsere Geschichte.“
Er ging ins Haus und Ramon hörte ihn in der alten Truhe herumkramen, die gleich rechts neben dem Eingang stand. Nach einer Weile kam er mit einem großen Packpapierpaket zurück.
„Wir haben die alten Aufzeichnungen. Meist sind es Tagebücher und Briefe. Man kann sagen, es ist eine ArtChronik.“
Beide Männer waren in der Stimmung in dieser Nacht einmal aufzurollen, was es zu entdecken gab.
Ramon rief Constancia an und sagte, dass er bei den Eltern übernachten werde.
Er wickelte das Paket auf und dabei fielen zwei ledergebundene Bücher auf den Boden. Als er sie aufhob, stellte er fest, dass das Leder fleckig und teilweise brüchig war.
„Hier, das sind die Bücher! InLedereinband und mit Goldschnitt“, sagte Ramon. Er schlug eines auf, die Seiten waren in Spanisch in einer ordentlichen Handschrift beschrieben worden.
„Das sind Tagebücher einer dänischen Familie, bei welcher Bronco undseine FrauEréndira gearbeitet haben.“
* * *
Luisa verkündete, dass sie zu Bett ginge, bevor sich die beiden mit der Familiengeschichte die Nacht um die Ohren schlagen würden.
„Buenas Noches, mi Querida“, sagte Miguel und wandte sich ihr zu.
„Hörst du Ramon, dein Vater sagt noch immer mein Lieb zu mir. Ich hoffe, Constancia hört auch so schöne Worte von dir.“
„Natürlich ich liebe sie noch genauso wie vor Jahren. ImGegenteil, ich wundere mich, dass sie mich noch liebt.“ Dabei klopfte sich Ramon auf den Bauch und bildete mit den Händen eine Kugel.
Während Luisa ins Haus lief, lachte sie: „Ramolito, mein Junge, sieh mich an. Viel dicker als vor 40 Jahren und er sagt immer noch mi Querida.“
Vater und Sohn sahen sich an und lachten. „Du wirst für sie immer ihr Ramolito sein.“
„Ich höre alles!“, klang es vom Haus her: „Ja, das wird er bleiben.“
Dann war sie verschwunden und Miguel nahm eines der Bücher mit der Beschriftung „ErstesBuch“ zur Hand und begann laut zu lesen.
Familie SøleDänemark
Am 30.September 1858 lag KarenMarie seit zwölf Stunden in den Wehen. Sie konnte kaum noch wimmern. Händeringend stand ihre Schwiegermutter daneben und betupfte ab und zu KarensStirn mit einem nasskalten Lappen. DasBettchen stand bereit, in dem ein Jahr zuvor Karens erster SohnHansen gelegen hatte.
Endlich, kurz vor Mitternacht, hörte HenrikThomsSøle den Schrei des Neugeborenen.
Wieder ein Sohn, den die ElternOleFrands nannten.
* * *
Henrik ThomsSøle war der Sohn eines Häuslers auf Ladegaard bei Skanderborg. SeineVorfahren waren Instleute, die Ärmsten der Armen, Tagelöhner auf großen Gütern. Das bedeutete, dass die ganze Familie an das Gut gebunden war.
Henrik Thoms musste als KindWäsche austragen.
Die Gutsherrin fand Gefallen an dem Blondschopf und schickte ihn nach der Grundschule in die Lehre zu SchneiderJohannsen in das vier Kilometer entfernte Skanderborg.
Der Beruf des Schneiders war sehr geachtet. Søle konnte 30 Stiche in der Minute machen. EineLeistung, die ihn bald selbst zum Meister kürte und an seinem 25.Geburtstag war er stolzer Besitzer einer Couseuse. Eine der ersten Nähmaschinen, die aus einer hölzernen Säule und einem Tischkasten bestand. Räder und Nadel waren in bestimmter Weise montiert und konnten sich durch ein Fußpedal in Bewegung setzen lassen.
1855 heiratete er KarenMarieOlesdottir aus Vrold.DieOlsens waren ebenfalls Instleute. HenrikThoms konnte in Vrold eine kleine reetgedeckte Kate erwerben. Sie wohnten mit KarensBruderJens und der SchneiderinBertheNielsen gemeinsam in der Kate.
Nach Generationen in Unfreiheit, hatten Søles ihr Auskommen durch die Schneiderei und durch das Wohngeld von Berthe. HenrikThoms drängte darauf, dass seine Söhne ebenfalls Schneider werden und nach Aarhus gehen sollten.
Der Erstgeborene, ThomasHansen, trat in die Fußstapfen des Vaters und übernahm später nach dessen Tod die Schneiderwerkstatt.
* * *
Ole Frands konnte beim besten Willen nicht so lange still sitzen, wie das ein Schneider tun muss.
Er ging mit 14 Jahren zu einem Schmied in die Lehre. Bald meinte OleFrands, dass der Meister sein Handwerk schlecht verstünde.
Er bat seinen Vater 1877 in die EisengießereiHess nach Vejle gehen zu dürfen. DieFirma spezialisierte sich auf die Produktion moderner Eisenöfen.
Der Aufbruch in eine neue Zeit kam mit der Massenproduktion. Man konnte Bestellungen entgegennehmen und Öfen immer gleichen Aussehens herstellen. Hess wollte Öfen für den gehobenen Hausstand anbieten.
Mit herkömmlichem Werkzeug kam man nicht voran. Es wurden Gussformen für die Serienproduktion gebraucht.
Direktor Hess erkannte, dass sich der junge Mann aus Vrold schnell in moderne Techniken einarbeiten konnte.
Zwei Jahre erwarb OleFrands außerdem Fertigkeiten im Werkzeugbau und trug, mit seiner präzisen Gussform für einen eleganten Rundofen, wesentlich zum guten Ruf der Firma bei.
Doch immer wieder faszinierte ihn der Bergbau und er erfuhr die Geschichte des SilberbergwerkesKongsberg in Norwegen.
Im Frühjahr 1880 reiste er ohne Abschied, ohne Referenzen und ohne Geld nach Norwegen. Er blieb unter widrigsten Bedingungen ein Jahr in Kongsberg und erlernte Grundkenntnisse des Bergschmieds.
* * *
Zurück in Dänemark entlud sich Vaters aufgestaute Wut.
„Schämen muss man sich für dich! EinSchreiben des HerrnDirektorHess hat uns bestürzt. Abgereist! Du hast die Arbeit verlassen, ohne dem KonstrukteurHerrnTidholm zu sagen, wohin du gehst. DerHerrDirektor war dir zugetan und du hast ihn enttäuscht. Was soll jetzt aus dir werden?“
Ole Frands kam zu keiner Erklärung, der Vater ließ ihn nicht zu Wort kommen.
Nach weiteren Schimpftiraden gelang es ihm laut zu rufen: „Far, hör mir zu! Ich will nach Deutschland gehen. Ich will Bergschmied werden!“
Der nächste Sturm war unausweichlich. DerVater holte die uralten Familiengeschichten hervor. Wie arm und bescheiden die Søles in all den Jahrhunderten