Milas Reise - Etappe 1 - Michael E. Vieten - E-Book

Milas Reise - Etappe 1 E-Book

Michael E. Vieten

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Beschreibung

Etappe 1 aus: "Handbuch zur Rettung der Welt"Schaue nicht nach Westen, schaue nach Osten. Dort geht jeden Morgen eine neue Sonne auf.Was erwartet die Menschheit, wenn sie weitermacht, wie bisher? Anthropozän 2050. Das Ende des Industriezeitalters.Es ist genau das passiert, was jeder Mensch hätte wissen müssen. Die Menschen haben die Erde der Gier, der Selbstsucht und der Ignoranz geopfert. Die Umwelt ist größtenteils zerstört. Unbesiegbare Keime, Kriege, Hungersnöte und eine verheerende Pandemie haben den überwiegenden Teil der Menschheit dahingerafft. Der Rest kämpft allein oder in kleinen Gruppen ums Überleben. Jeder ist sich selbst der Nächste. In dieser feindlichen Umgebung lebt die junge Mila in der Hoffnung auf ein fernes Hochtal, in dem die Natur noch intakt sein soll. Mit dem alten Josh macht sie sich auf den gefährlichen Weg und kämpft mit den schrecklichen Folgen des Unterlassens und der Ignoranz der Menschen des 21. Jahrhunderts.E-Book-Serie über ein großes Abenteuer, verzweifelte Hoffnung, grenzenlose Zuversicht und aufrichtige Freundschaft. (Illustrierte Ausgaben mit 37 Abbildungen)

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Milas Reise - Etappe 1

DanksagungAnm. des AutorsAnthropozänNeolithische RevolutionAuf ein WortÜber dieses BuchAbb. KarteMilas Reise - Etappe 1Mutters RatMilaAbb. TraktorAbb. CamperJoshAbb. BesteckAbb. PostkarteDas BuchEine neue HoffnungDer Beginn einer langen ReiseAbb. SchlangeAbb. MesserMilas Reise geht weiterWeitere Bücher von Michael E. VietenAbb. AutorImpressum

Danksagung

Mein besonderer Dank geht an Birgit D. für ihre wertvolle Unterstützung und ihre Zuversicht.

Anm. des Autors

(im Jahre 2019 vor der globalen Katastrophe)

Der Inhalt dieses Buches beruht auf wahren Begebenheiten. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Ereignissen sind beabsichtigt. Was beschrieben wurde findet bereits statt, irgendwo auf der Welt. Jeden Tag. Ich habe die Ereignisse lediglich zusammengetragen und dramaturgisch aufbereitet.

Die Umwelt als unser Lebensraum wird zerstört. Wir verlieren in jeder Sekunde einen unwiederbringlichen Teil unserer Lebensgrundlage. Menschen, Pflanzen und Tiere leiden und sie sterben. Millionen Menschen flüchten bereits vor den Folgen des Klimawandels in gemäßigte Regionen und treffen dort auf die Menschen, die den Klimawandel maßgeblich zu verantworten haben. Die daraus entstehenden sozialen Spannungen verändern bereits unsere Gesellschaften. Die Entscheider erscheinen gelähmt. Gegenmaßnahmen werden zwar beschlossen, aber nicht umgesetzt. Unser aller Schiff treibt ungebremst auf ein Riff zu und ich fürchte, wir werden daran zerschellen.

Wir alle leben heute im Anthropozän. Die Wissenschaft streitet noch darüber, ob dieses neue Zeitalter 1610 mit der Eroberung der „neuen Welt“ und den katastrophalen Folgen für den amerikanischen Kontinent seinen Anfang genommen hat oder erst um 1800 mit der industriellen Revolution in Europa.

Wie dem auch sei. Der Mensch hat begonnen seine Umwelt zu verändern, ohne fundiertes Wissen zu besitzen, welche Auswirkungen das haben wird.

Wissenschaftler und Militärs hantieren verantwortungslos mit Atom-, Neutronen- und Wasserstoffbomben.

Die Landwirtschaft bringt Insektizide, Pestizide und Fungizide aus, deren Wirkung auf die Umwelt nie abschließend erforscht wurde.

Die Lebensmittelindustrie mischt Zusatzstoffe in ihre Produkte, deren negative Einflüsse auf unsere Gesundheit die Politik durch beliebige Einzelgrenzwerte einzudämmen versucht.

Den Pharmariesen sind die Nebenwirkungen ihrer Medikamente und deren Wechselwirkungen trotz jahrelanger Versuchsreihen nicht selten unbekannt.

Kunststoffe, Medikamentenrückstände, Schwermetalle und Chemikalien gelangen in die Nahrungskette und vergiften schleichend die Bevölkerung.

Genveränderte Mutanten aus der Tier- und Pflanzenwelt, deren langfristiges Wirken niemand vorhersehen kann, werden in die Natur entlassen.

Die verheerenden Schadstoffeinträge von Industrie und Gewerbe in die Böden, die Luft und in die Gewässer werden mit dem Hinweis auf den Erhalt von Arbeitsplätzen schulterzuckend hingenommen.

Vor dem Hintergrund all dieser Szenarien ist es kaum verwunderlich, dass die Rate der Krebserkrankungen beim Menschen Jahr für Jahr steigt.

Der Mensch im Anthropozän handelt, aber er weiß nicht, was er tut.

Ein weiterer Begriff hat für das Verständnis des Geschehens in der Geschichte der Menschheit eine zentrale Bedeutung. Die neolithische Revolution, die gleichbedeutend mit der Vertreibung aus dem Paradies angesehen werden kann.

Beide Begriffe möchte ich nachfolgend kurz erläutern.

Anthropozän

(Altgriechisch: „Das menschlich [gemachte] Neue“)

Der Begriff „Anthropozän“ beschreibt die Benennung einer neuen geochronologischen irdischen Epoche. Sie soll den Zeitabschnitt umfassen, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.

Dazu zählen:

Albedo

(Gesamt-Rückstrahlvermögen der Erdoberfläche (Schwund der Eisflächen))

Artensterben, Artenverschleppung

Klimawandel

Abschmelzen der Gletscher und der Polkappen

Anstieg der Meeresspiegel

Rückgang von Permafrost

Veränderung der globalen Meeres- und Luftströmungen

Versauerung der Ozeane

Lichtverschmutzung, Lärmverschmutzung

Kohlenstoffdioxid, Ozonloch, Treibhausgase

Radioaktiver Staub, Atomversuche, -Unfälle, Risiko eines Atomkriegs

Übernutzung bzw. Verlust zur Verfügung stehender Ressourcen insbesondere der Vorkommen (Peak-) Erdöl, Phosphor, Sand, seltene Erden

Bodendegradation, -erosion, -schutz oder -versauerung, Erschöpfung der vorhandenen Trinkwasservorkommen

Landraub durch Konzerne

Überfischung

Vermüllung der Umwelt „Plastik-Planet“

(Quelle: Wikipedia, gekürzt)

Neolithische Revolution

Der Begriff „neolithische Revolution“ beschreibt den Zeitpunkt in der Entwicklung des Menschen, an dem unsere Vorfahren erstmals das Leben als Jäger, Fischer und Sammler aufgegeben haben und mit Ackerbau und Viehzucht begannen.

Viele Wissenschaftler bezeichnen die neolithische Revolution als einen der bedeutendsten Umbrüche in der Geschichte der Menschheit.

Der Mensch löste sich aus der bis dahin erzwungenen Anpassung an die Umwelt und wurde sesshaft. Er produzierte Lebensmittel und betrieb Vorratshaltung.

Dies leitete die Epoche der Jungsteinzeit (Neolithikum) ein und bedeutete die Abkehr von einem Leben in Verbundenheit mit der Natur unter Berücksichtigung der natürlich vorhandenen Ressourcen.

Dieser Prozess gilt bis heute als unumkehrbar.

Aufgrund der Konzentration auf wenige Nahrungsmittel entstand eine Abhängigkeit von Erträgen. Bei Missernten drohten Hungersnöte. Monokulturen erhöhten das Verlustrisiko durch Unwetter, Schädlingsbefall oder Bodenerschöpfung.

Es bildeten sich soziale Schichten mit unterschiedlichem Zugriff auf Ressourcen. Durch Viehhaltung in Herden oder dem Horten von Feldfrüchten war erstmals die Bildung von Vermögen möglich. Dies führte zu den heute noch vorherrschenden Ungerechtigkeiten und zu Ausbeutung und Unterdrückung.

Der durch die Sesshaftigkeit stark angestiegene Bevölkerungszuwachs und die Unmöglichkeit von schnellen Ortswechseln schuf Konflikte, denen die Menschen nicht mehr ausweichen konnten.

Besitz musste fortan gegen Verlust durch Raub oder Untergang verteidigt werden.

(Quelle: Wikipedia, gekürzt)

Auf ein Wort

Für den Autor dieses Buches bedeutet die neolithische Revolution den Anbeginn der globalen Katastrophe.

Schon vor fünf Millionen Jahren lebten die Vorfahren des modernen Menschen auf der Erde als Fischer, Jäger und Sammler.

Vor etwa 150.000 Jahren folgte der Homo Sapiens.

Noch bis vor etwa 10.000 Jahren lebte der Mensch im Einklang mit der Natur. Er nahm sich, was er für sich und seine Familie zum Leben brauchte. Mehr zu erlegen oder zu sammeln als man benötigte, verschaffte niemandem zu dieser Zeit einen Vorteil. Was man nicht selbst essen konnte, wäre dann verdorben.

Mit der neolithischen Revolution änderte sich das.

Auf einmal war es möglich, der Natur mehr zu entnehmen als man selbst zum Leben brauchte. Es entstanden Arm und Reich, stark und schwach, Ausbeutung und Sklaverei und Mord und Totschlag um das Vermögen eines Anderen.

Geschwister waren nun nicht mehr gut aufeinander abgestimmte und erfolgreiche Jäger, sondern plötzlich Konkurrenten um den landwirtschaftlichen Besitz des Vaters, den nur ein Nachkomme weiterführen konnte, um mit den Erträgen seine Familie zu ernähren.

Der ganze Wahnsinn gipfelte dann in Siedlungen, Großstädten und längst untergegangenen Riesenreichen.

Vorausgegangen waren Bodenerschöpfung, Abholzungen bis zum Kahlschlag und schließlich der Zusammenbruch kompletter Gesellschaften.

Nicht nur das Römische Reich entwaldete bereits weite Teile des Mittelmeerraums für Hausbau, Schiffbau, Heizmaterial und durch Überweidung. Hinzu kam der Holzbedarf für das gigantische Heer. Einst fruchtbare und nun ungeschützte Böden wurden durch Erosion vernichtet und blieben bis heute verloren.

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts folgte das Industriezeitalter, in dem der Mensch endgültig jeglichen Kontakt zu seinem natürlichen Lebensraum aufgegeben hatte. Die fortschreitende und rücksichtslose Urbanisierung ging einher mit Flächenversiegelung, Vernichtung von Naturreserven und der Ausrottung von Arten.

Und heute erleben wir das Anthropozän im Endstadium.

Beinahe 8 Milliarden Menschen übervölkern die Erde und sie verhalten sich uneinsichtiger und ignoranter als je zuvor. Und jeden Tag werden es mehr und alle wollen alles haben. Sie erschöpfen den Planeten und beuten seine Ressourcen rücksichtslos aus.

Der Mensch hat längst den Respekt vor der Natur verloren und ordnet deren Schutz kommerziellen Interessen unter.

Naiv, zu glauben, dass dieses Verhalten ein gutes Ende nimmt.

Nach erfolgreichen 5 Millionen Jahren als Fischer, Jäger und Sammler hat es die invasivste Spezies auf der Erde in nur 10.000 Jahren geschafft, die natürlichen Abläufe in seiner Umwelt an den Rand des Kollapses zu führen.

Leben in irgendeiner Form wird es vermutlich auch in Zukunft auf der Erde immer geben. Es stellt sich nur die Frage, ob der Mensch daran noch teilnehmen wird.

Durch sein anhaltendes Wirken verändern sich sogar globale Luft- und Wasserströmungen auf der Erde und es ist bis dahin nur wenig bekannt, wie sich derartige Veränderungen auf das Klima auswirken werden.

Die Vollendung des Manuskripts zu diesem Buch fand im Spätherbst 2018 in Mitteleuropa (Hunsrück, Deutschland) statt.

Nach einem Dürresommer mit Rekordtemperaturen, Gewitterstürmen, Starkregenereignissen, Insektensterben und den ersten Ernteausfällen erwarten wir 29 Grad Celsius am morgigen Tag. Es ist Freitag der 12. Oktober 2018. Wolkenfreier Himmel und Sonnenschein seit Ende März, und eine nennenswerte Wetteränderung ist weiterhin nicht abzusehen.

Die Flüsse führen Niedrigwasser, die Schifffahrt wurde eingeschränkt oder bereits ganz eingestellt, Kraftwerke wurden herunter gefahren oder abgeschaltet, die Wälder sind trocken, Brandgefahr droht. Viele Jungbäume sind verdurstet. Die Landwirtschaft bekommt Nothilfen vom Staat. Tankstellen werden nur noch unzureichend mit Treibstoff versorgt, die Preise steigen.

Wer den Suchbegriff „Dürre und Hitze in Europa 2018“ in eine Internetsuchmaschine eingibt, erhält zum jetzigen Zeitpunkt beinahe 200.000 Treffer.

Ungeachtet dieser Entwicklung verkündete die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, ihr Klimaziel, die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen, aufzugeben.

Die USA leisten sich einen Präsidenten, der den Klimawandel gleich ganz leugnet und es gibt Politiker, die tatsächlich die Sonne als alleinigen Verantwortlichen entdeckt haben wollen.

All jenes lässt mich oft sprachlos zurück und zwingt mich, ernsthaft daran zu zweifeln, dass die Menschheit unter den vorherrschenden Bedingungen noch eine Chance hat. Ohne Zweifel müsste sie sich dafür sehr verändern.

Ich zitiere an dieser Stelle den Astrophysiker, Naturphilosophen, Wissenschaftsjournalisten und TV-Moderator Harald Lesch, der in einer Fernsehsendung von zwei Planeten sprach, die sich treffen.

„Du siehst aber schlecht aus“, sagt der Eine. „Was ist denn los mit dir?“

„Ich habe Menschen.“

„Das vergeht.“

Über dieses Buch

Diese E-Book-Serie erzählt die Geschichte über ein großes Abenteuer, verzweifelte Hoffnung, grenzenlose Zuversicht und aufrichtige Freundschaft.

Abb. Karte

Milas Reise - Etappe 1

(aus der Trilogie "Handbuch zur Rettung der Welt")

Anthropozän 2050

Sommer

Mutters Rat

„Schaue nicht nach Westen, schaue nach Osten. Dort geht jeden Morgen eine neue Sonne auf.“

Mila

Die brachiale Wucht des Aufpralls hätte sie beinahe umgeworfen. Vor Schreck blieb sie wie erstarrt stehen. „Kannibalen!“, schoss ihr sofort ein Verdacht durch den Kopf. Sie hatte schon davon gehört.

Vor wenigen Sekunden erst hatte sie das Buch im Mauerschutt des zerstörten Gebäudes gefunden und fasziniert von Staub und Sand befreit. Gab es wirklich einmal Menschen, die so dicke Bücher schreiben konnten? Das musste sehr lange her sein.

Schon seit Wochen durchstöberte sie den Schutt zusammengefallener Häuser, sie brauchte dringend neue Kleidung. Also streunte sie vorsichtig durch die Trümmerlandschaft und suchte nach Schuhen, Hosen, Jacken und Pullovern. Immer mit höchster Aufmerksamkeit für ihre gefährliche Umgebung.

Doch nun hatte das silbern glänzende Geschoss den Buchdeckel durchschlagen, und steckte tief in den Seiten. Als sie das Zischen des Bolzens hörte, war es schon zu spät.

Das Buch hatte ihr soeben das Leben gerettet. Dank der paar Zentimeter Papier in ihren Händen würde sie morgen tatsächlich 16 Jahre alt werden. Wenn sie bis dahin nicht noch einmal einen Fehler beging. Ein fürstliches Alter in schrecklichen Zeiten.

Immer noch hielt sie das schwere Buch in Brusthöhe vor sich und war nicht imstande, sich zu bewegen. Zu furchtbar war die Erkenntnis, dass sie dieses eine Mal so unvorsichtig gewesen war und dem Schützen die Gelegenheit geboten hatte, aus seiner Deckung heraus auf sie zu schießen. Zu sehr war sie mit dem Buch beschäftigt gewesen, hatte alle Aufmerksamkeit darauf gelenkt und ihre Umgebung vernachlässigt. Deswegen hatte sie den hinterhältigen Angreifer nicht bemerkt. Ihre Unaufmerksamkeit hätte ihr junges Leben im selben Augenblick beenden können. Sie musste handeln. Jetzt! Sofort! Endlich sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein. Sicher spannte der Schütze seine Armbrust in diesem Moment erneut, legte einen Pfeil auf und zielte wieder auf sie.

Plötzlich spürte sie eine Hand im Nacken. Sie griff in den Stoff ihres verschmutzten, löchrigen Kapuzen-Pullovers, und ein kräftiger Arm riss sie hinter einem Mauerrest in Deckung. Sie schrie vor Schreck spitz auf. Sekundenbruchteile später zischte der zweite Pfeil dicht an ihrem Gesicht vorbei und zersplitterte mit einem lauten Knistern an den Mauerziegeln. An ihrem linken Auge hatte sie den Luftzug spüren können. Das war knapp! Irgendwo da draußen versteckte sich ein ausgezeichneter Jäger, und er hatte es auf sie abgesehen.

Bereits zum zweiten Mal hatte der Glücksgott sie heute innerhalb weniger Sekunden gerettet. Sie wollte seine Gunst nicht überstrapazieren und nahm ihr Schicksal wieder in die eigene Hand.

Den Anfang machte ein kurzer Blick hinter sich. Sie schaute in das gebräunte, weißbärtige Gesicht eines alten Mannes. Faltig, mit buschigen Brauen. Darunter stahlblaue Augen. Die blickten sie beinahe unbeteiligt an. Leidenschaftslos, aber nicht gefährlich. Sie hatten wohl nur schon so viel Unerfreuliches gesehen. Das lange graue Haar des Mannes war zu einem Zopf gebunden.

„Danke“, brachte sie leise hervor und wusste doch gar nicht, ob er ihre Sprache sprach.

Er nickte stumm. Hatte er wirklich verstanden, was sie gesagt hatte oder nur ihren Dank entgegen genommen, ohne zu wissen, was das Wort bedeutete?

Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.

Der Alte spannte seine Armbrust und legte einen Bolzen auf. Auch er verlor keine Zeit, und das war auch nötig, denn der Angreifer wusste, wo sie sich versteckten und würde versuchen, sie doch noch zu erwischen.

Jetzt erinnerte sie sich an ihren Bogen auf dem Rücken und die Pfeile. Sie ließ das Buch fallen.

Mit einer tausendfach trainierten Bewegung hatte sie die weittragende Waffe schussbereit gemacht und ging damit in den Anschlag. Dann legte sie einen Pfeil an die Sehne. Der Alte schob sie sanft beiseite und riskierte einen Blick. Schnell zog er den Kopf wieder hinter den Mauervorsprung zurück und zeigte mit einem Finger nach oben. Sie verstand sofort. Er wollte auf die obere Etage der Ruine klettern und den Angreifer von dort unter Beschuss nehmen.

Jetzt riskierte auch sie einen kurzen Blick. Aber sie konnte den Schützen nicht sehen. Nur die Reste des Verdecks eines verrosteten Traktors bewegten sich leicht im lauen Wind.

Schnell zog sie ihren Kopf wieder zurück. Fieberhaft überlegte sie, ob ihre Deckung gut genug war oder ob sie eine andere Stelle suchen sollte.