Milas Reise - Etappe 6 - Michael E. Vieten - E-Book

Milas Reise - Etappe 6 E-Book

Michael E. Vieten

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Beschreibung

Milas Reise geht weiter. Etappe 6 aus: "Handbuch zur Rettung der Welt""Familie".Mila trifft eine mutige Entscheidung. Sie folgen Walters Rat und erreichen die rauchenden Reste einer großen Stadt. Irinas Wunsch geht in Erfüllung.E-Book-Serie über ein großes Abenteuer, verzweifelte Hoffnung, grenzenlose Zuversicht und aufrichtige Freundschaft. (Illustrierte Ausgaben mit 37 Abbildungen)

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Milas Reise - Etappe 6

DanksagungAbb. KarteMilas Reise - Etappe 6Milas EntscheidungAbb. WohnwagenDer TurmAbb. TurmPawelDie StadtAbb. BusAbb. AutowracksAbb. SchachbrettFamilieKannibalenEin wenig LuxusAbb. SturmgewehrAbb. KesselMilas Reise geht weiterWeitere Bücher von Michael E. VietenAbb. AutorImpressum

Danksagung

Mein besonderer Dank geht an Birgit D. für ihre wertvolle Unterstützung und ihre Zuversicht.

Abb. Karte

Milas Reise - Etappe 6

(aus der Trilogie "Handbuch zur Rettung der Welt")

Anthropozän 2052

Frühjahr

Milas Entscheidung

Josh lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Gänsefleisch und hörte Mila zu. Sie redete über den hohen Norden und Ruuds Plan dorthin zu gehen. Sie erinnerte sich an Annes und Oves Ausrüstung und deren Fähigkeiten, unter den vorherrschenden Bedingungen zu überleben. Und sie blickte zurück auf ein Dorf und eine Familie und Tanjas Schicksal. Und deswegen wollte sie Irina nicht zurücklassen.

Josh wurde in jenem Moment bewusst, wie sehr Mila inzwischen gewachsen war. Ihre Persönlichkeit war gereift. Ihr Blick auf die Welt und die Menschen, die darin täglich versuchten zu überleben, hatte sich verändert. Er selbst hatte sich mit dem Leben in diesem Dorf arrangiert. Es lebte sich bequem. Aber wie lange noch? Die Leute reparierten gefundene Dinge, es gab eine rudimentäre medizinische Versorgung und er sammelte Brennholz. Aber wenn er kein Holz mehr sammeln konnte, wer tat es dann und wer brachte es ihm? Und was wollte der dann dafür haben? Er selbst besaß praktisch nichts, was er hätte geben können. Also musste er Mila folgen und ein Teil dieser Gruppe sein. Und wenn sie ihr Ziel unversehrt erreichen sollten, würden sie sich dort niederlassen und ein friedliches Leben führen. Doch zwei Hürden bauten sich vor ihnen auf. Die große Stadt mit all ihren Gefahren und ein sehr langer und beschwerlicher Marsch, der viele Monate dauern konnte.

Irina riss ihn aus all diesen Überlegungen.

„Ist es nicht wunderbar, Josh? Wir gehen gemeinsam fort.“

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er war noch damit beschäftigt, wilde Gedanken zu ordnen.

„Wir passen auf dich auf, alter Mann“, hörte er Mila versprechen. Und dann sah er in ihr Gesicht und sie grinste frech und zerstreute vorerst seine Befürchtungen rund um dieses kühne Vorhaben.

Sie aßen das köstliche Gänsefleisch, dazu die gezuckerten Birnen und sie diskutierten den ganzen Abend, schmiedeten Pläne, schürten Hoffnungen und sie gaben gegenseitig zu bedenken. Irinas Gesicht zeigte aufgeregte Flecken. Sie glühte innerlich vor Freude. Lavinia zählte die Ausrüstungsgegenstände auf, die sie beschaffen wollte. Womit sie die bezahlen würde, wusste sie jedoch noch nicht.

Josh beobachtete die jungen Frauen und hörte ihre erhobenen Stimmen durcheinander rufen. Mila beantwortete Fragen, unterstützte Absichten oder dämpfte allzu tollkühne Erwartungen und Vorstellungen. Sie war endgültig zur Führerin der Gruppe aufgestiegen und sie schien sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe bewusst zu sein.

Sie setzte die Zeit für den Aufbruch an. Am kommenden Morgen noch vor Sonnenaufgang sollten sie das Dorf verlassen.

Lavinia lag die halbe Nacht wach. Sie fühlte sich gut auf das bevorstehende Abenteuer vorbereitet. Und Ruuds Plan in die Tat umzusetzen war eine frühe Forderung von ihr. Nun wurde sie Wirklichkeit. Sie konnte zufrieden sein.

Irina erkannte sie als eine Bereicherung. Sie würden sie füttern müssen, sie war eine miserable Schützin und verstand rein gar nichts von der Jagd. Aber sie wusste sich zu verteidigen, obwohl sie keine Kämpferin war. Sie hatte sich bisher erfolgreich durch alle Widrigkeiten manövriert und hatte in diesem Tal überlebt.

Josh war erfahren, ein alter Mann, aber rüstig. Er würde durchhalten. Daran wollte sie glauben. Außerdem hatte Mila von den beiden Alten berichtet, denen sie begegnet war. Die besaßen einen Wagen und ein Zugtier. Genau das benötigten sie auch. Und wenn sie es jemandem wegnehmen und ihn dafür töten mussten, dann war sie bereit dazu es zu tun.

Sie lauschte nach den gleichmäßigen Atemzügen der zwei schlafenden Gefährten. Irina übernachtete ein letztes Mal im Haus ihres Bruders und würde sich am Morgen davon schleichen. Ein heller Mond schien zwischen den Wolken hindurch und füllte das Zimmer mit seinem silbrigen Licht. Lavinia faltete die Hände hinter ihrem Kopf, hörte das Feuer knistern und atmete die rauchige Luft ein. Erst weit nach Mitternacht schlief sie ein.

Sie erwachte, weil sie ein Geräusch gehört hatte, und griff unter ihrem Schlafsack nach dem Messer.

„Ich bin es“, flüsterte Irina in das Halbdunkel hinein. „Wo ist Mila?“

Lavi warf einen Blick auf Milas verlassenen Schlafplatz.

„Keine Ahnung. Pinkeln?“

Dann weckte sie Josh und legte Holz auf die Glut. Im Schein der züngelnden Flammen bemerkte sie Irinas prall gefüllten Rucksack.

„Wo hast du den denn her?“

„Er gehörte meinem Bruder. Jetzt gehört er mir.“

Stolz hielt sie Jens‘ Jagdgewehr in die Höhe.

„Und das hier auch. Bringst du mir bei, wie man damit schießt?“

Lavinia zeigte sich überrascht.

„Das hat er dir gegeben?“

„Nö. Ich habe es mir einfach genommen. Er schläft noch.“

„Willst du dich nicht von ihm verabschieden?“

„Das habe ich mich bereits vor Jahren.“

Schritte im Treppenhaus ließen sie verstummen. Dann erschien Mila.

„Wo warst du?“, fragte Lavi.

„Pinkeln.“

Es klang wie eine Lüge.

Josh hatte an diesem Morgen Mühe damit, in den Tag zu finden. Gähnend saß er auf dem Sofa und starrte in das Feuer. Er hatte zu wenig geschlafen und sich die halbe Nacht unruhig hin und her gewälzt. Zu viele Gedanken tummelten sich in seinem Kopf. Er erhob sich und zog sich die Stiefel an. Dann packte er den Rucksack.

Sie aßen von dem kalten Gänsefleisch. Irina steuerte eine Dose rote Bohnen bei, die sie ihrem Gepäck entnahm.

„Mein Gott. Was ist da alles drin?“, rief Mila, die das erhebliche Gewicht von Irinas Rucksack erkannte.

„Ich habe alles mitgenommen, was ich kriegen konnte. Wir brauchen doch Proviant.“

Lavi grinste. Sie hatte sich in dem Mädchen nicht getäuscht.

Plötzlich hörten sie Schritte im Treppenhaus. Aber sie waren vollzählig. Schnell griffen sie zu ihren Waffen.

Im Türrahmen erschien Jens. Das vor Wut verzerrte Gesicht flackerte im Feuerschein.

„Jemand hat mein Haus angezündet! Und das von Herrmann auch!“

Es klang wie ein Vorwurf.

„Und was haben wir damit zu tun?“, antwortete Lavinia kalt.

Dann entdeckte Jens seine Schwester.

„Was machst du hier? Was soll das bedeuten? Und wieso stiehlst du mir mein Gewehr?“

„Weil ich es brauche. Ich gehe fort. Und dort wo ich hingehe, tausche ich es ein gegen etwas, was mir nützlicher erscheint.“

Jens schäumte über vor Zorn. Wild stand ihm das dunkle Haar vom Kopf ab und ein scharfer Brandgeruch drang aus seiner Kleidung. Speichelfäden flogen ihm aus dem Mund, während er Irina anbrüllte.

„Und was wird aus mir, du kleine Nutte? Ich soll wohl hier verrecken?“

„Sieh zu, wie du klar kommst“, antwortete sie abweisend.

Jens stürmte auf sie zu.

Lavinias harter Schlag mit dem stumpfen Ende ihres Speers stoppte ihn. Mit einem erstickten Schrei brach er zusammen und blieb zu deren Füßen liegen. Er blutete aus einer hässlichen Platzwunde auf der Stirn.

Mila trat vor und sah auf ihn herab.

„Werdet wieder Jäger und Sammler. Kehrt zurück in die Wälder. Geht auf die Jagd, sammelt Wildgemüse, Beeren und Nüsse. Baut euer Nachtlager und zieht am nächsten Tag weiter. So seid ihr beschäftigt und habt keine Zeit für Missgunst, Streit und Gewalt. Die aufgebauten Strukturen in diesem Dorf lassen euch verweichlichen und die Absichten dahinter sind unlauter. Ihr beginnt bereits wieder, euch gegenseitig zu betrügen und andere Menschen auszunutzen.“

Mila warf einen Seitenblick auf Irina, die teilnahmslos auf den Bruder herabsah. Sie hatte mit diesem Kapitel ihres Lebens abgeschlossen. Das konnte jeder sehen. Mila sprach weiter.

„Was ihr in diesem Dorf treibt, ist zum Scheitern verurteilt. Ihr wiederholt genau die Fehler, die zur Katastrophe geführt haben. Ihr fallt bereits in eure alten Verhaltensmuster zurück. Ihr habt nichts aus euren Fehlern gelernt. Diese Lebensweise lehne ich ab, weil sie in den vergangenen tausenden Jahren nicht geglückt ist.“

Dann nahm sie ihren Rucksack auf und warf ihn sich auf den Rücken. Lavinia, Irina und Josh folgten ihrem Beispiel und liefen an ihr vorbei in das Treppenhaus.

Mila zog einen glühenden Holzscheit aus dem Kamin und warf ihn auf eines der Sofas. In Sekunden stand das Polster in Flammen und das Feuer griff schnell auf die verbliebenen Möbel über.

Sie schaute auf Irinas Bruder herab.

„Auch du solltest jetzt gehen. Hier gibt es nichts mehr für dich.“

Jens erhob sich mühsam und schützte sein Gesicht mit einem Arm vor der Hitze. Dann folgte er Mila, die mit schnellen Schritten das brennende Haus verließ.

Irina und Josh überquerten bereits den Bach. Lavi blieb vor den Fichtenstämmen stehen und wartete auf Mila. Gemeinsam balancierten sie ein letztes Mal über die Behelfsbrücke.

Birger stand vor seinem Haus. Dann bemerkte er Josh und Irina.

„Jemand hat Häuser angezündet“, rief er ihnen entgegen und sein Gesicht wurde von den meterhohen Flammen beleuchtet, die aus Jens‘ Haus schlugen. Wenige Meter die Dorfstraße hinunter brannte ein weiteres Gebäude. Menschen standen davor und sahen zu. Löschen konnte man diese Feuer nicht mehr.

Birger sah Mila und Lavinia heran marschieren und er bemerkte die schweren Rucksäcke auch auf deren Rücken und dass sie ihre Waffen bei sich trugen und dann endlich begriff er.

„Ihr zieht weiter?“

Betrübt wandte er sich an Irina.

„Du gehst mit?“

Sie nickte und lief mit Josh wieder voraus.

Birger schaute ihr nach. Es überraschte ihn nicht. Jeder hätte es voraussehen können. Der alte Mann und die beiden wilden Mädchen hatten die Veränderung in das Dorf gebracht. Vielleicht sollte er ebenfalls weiterziehen. Er würde darüber nachdenken.

„Viel Glück“, rief er ihr nach.

Sie drehte sich nicht um.

Sie marschierten den ganzen Tag auf einer kaum mehr vorhandenen Straße. Die Oberfläche war nur noch an einzelnen Asphaltfetzen zu erkennen. Der lose Untergrund bestand aus Geröll und Schotter. Dazwischen reckten sich junge Birken empor.

Irina und Josh liefen vorweg. Lavinia und Mila folgten ihnen und passten sich deren Lauftempo an. Sie rasteten nur am Mittag und setzten ihren Marsch nach kurzer Pause fort.

Jens‘ Schwester zeigte sich zäher, als zu vermuten gewesen wäre. Tapfer schleppte sie den schweren Rucksack klaglos Stunde um Stunde. Mila beschloss, einen Teil der vielen gewichtigen Konservendosen für den nächsten Tag auf das Gepäck der anderen zu verteilen.

Am Nachmittag stand sie auf einer Anhöhe und beobachtete mit dem Fernglas das Gelände vor sich. Die Stadt war noch nicht zu sehen, aber zu erahnen. In der Ferne stiegen schwarze Rauchsäulen in den Himmel auf. Sie brummte missmutig und ließ das Glas sinken. Josh trat neben sie.

„Ein Drecksloch erwartet uns da“, schickte er voraus. Dann marschierte er wieder vorweg.

Es dämmerte bereits, als Josh plötzlich stehen blieb und Irina mit dem ausgestreckten Arm daran hinderte, ihn zu überholen. Hastig schob er sie ein Stück zurück und gab Mila und Lavinia zu verstehen, dass er etwas entdeckt hatte und sie still sein sollten. Was es war, sagte er nicht, aber er ließ sein Gepäck vom Rücken gleiten, spannte die Armbrust und legte einen Pfeil auf. Mila und Lavi ließen die Rucksäcke fallen.

„Du bleibst hier und passt auf unser Zeug auf“, flüsterte Mila.

Irina nickte und wühlte ein Messer unter der Jacke hervor. Dann sah sie den Gefährten nach, die sich durch mannshohe Büsche davon schlichen. Ihr Blick fiel auf das Gewehr des Bruders, aber sie wusste nicht damit umzugehen.

Josh hatte Stimmen gehört und kurz darauf drei Männer vor einem vergammelten Wohnwagen stehen sehen. Einer von ihnen wurde von den beiden anderen bedrängt. Was sie sagten, konnte er nicht hören, aber freundliche Worte waren es wohl nicht. Vorsichtig näherte er sich.

Ein großer dicker Mann schlug auf einen anderen ein. Der ging zu Boden. Endlich war Josh nahe genug herangeschlichen, um auch zu hören, was gesprochen wurde.

„Wo ist es?“, brüllte ein hagerer Rotschopf mit bleichem Gesicht.

„Ich habe es nicht mehr“, jammerte der Geschlagene und erhob sich mühsam.

Der andere holte erneut aus und brach dem Mann das Nasenbein. Ein Schwall Blut schoss heraus und er fiel zur Seite. Hämisch grinsend wankte der Schläger auf ihn zu und riss ihn wieder auf die Beine. Der Mann war so dick und dreckig wie eine Kartoffel, die man soeben aus dem Boden gezogen hatte.

Der Rotschopf fragte wieder: „Wo ist es?“

‚Kartoffel und Karotte‘, dachte Josh. ‚Gäbe einen prima Eintopf.‘

Plötzlich zog Kartoffel einen Revolver hervor und schoss dem blutenden Mann in die Brust.

„Was machst du denn? Du Idiot“, schrie die Karotte. „Wie, verdammt noch mal, sollen wir es jetzt finden?“

Der angeschossene Mann am Boden röchelte.

Josh erhob sich und legte auf die beiden an.

„Schluss jetzt!“, rief er.

Links und rechts von ihm traten Mila und Lavinia aus dem Dickicht.

Die Männer betrachteten sich einen nach dem anderen. Rotschopf ergriff wieder das Wort.

„Verschwindet, das ist eine Privatsache. Geht euch nichts an.“

Josh richtete die Armbrust auf den dürren Körper der Karotte. Mila zielte mit ihrem Pfeil mitten in das Kartoffelgesicht. So standen sie da. Jeder wartete auf den Fehler des anderen. Kartoffel war der Ungeduldigste. Er riss den Revolver hoch und legte auf Mila an. Ihr Geschoss bohrte sich durch sein linkes Auge hindurch in den Kopf. Im Fallen drückte er ab und schickte eine Kugel in den Abendhimmel.