Milas Reise - Etappe 4 - Michael E. Vieten - E-Book

Milas Reise - Etappe 4 E-Book

Michael E. Vieten

0,0

Beschreibung

Milas Reise geht weiter. Etappe 4 aus: "Handbuch zur Rettung der Welt""Milas Rache".Lavi führt Mila hinauf in das Hochtal. Eine große Enttäuschung erwartet Mila. Sie treffen auf einen neuen Gefährten. Mila erlebt einen schmerzhaften Abschied.E-Book-Serie über ein großes Abenteuer, verzweifelte Hoffnung, grenzenlose Zuversicht und aufrichtige Freundschaft. (Illustrierte Ausgaben mit 37 Abbildungen)

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Milas Reise - Etappe 4

DanksagungAbb. KarteMilas Reise - Etappe 4Das TalDas DorfAbb. PfeileMilas RacheRuudAbb. GehöftAbschiedAbb. TipiAbb. WhiskyLavis EntscheidungAbb. AutobahnAbb. WaggonMilas Reise geht weiterWeitere Bücher von Michael E. VietenAbb. AutorImpressum

Danksagung

Mein besonderer Dank geht an Birgit D. für ihre wertvolle Unterstützung und ihre Zuversicht.

Abb. Karte

Milas Reise - Etappe 4

(aus der Trilogie "Handbuch zur Rettung der Welt")

Anthropozän 2051

Spätsommer

Das Tal

Bereits nach einer Woche bedauerten sie, einen erheblichen Teil des Bärenfleischs zurückgelassen zu haben. Der beschwerliche Marsch durch die Bergwelt kostete Kraft. Entsprechend groß war der Hunger. Auf ein Drittel des Fleischs mussten sie zudem verzichten. Es schimmelte stark.

„Dann wäre uns der Rest auch verdorben“, versuchte Lavinia, Mila zu trösten. „Noch mehr hätten wir nicht tragen können.“

Sie sammelten Früchte und Wildgemüse. Die Beeren des Weißdorns schmeckten fad, aber sie sättigten. Das erste Obst an den Bäumen begann zu reifen. Mila rupfte die Triebe des Löwenzahns und pflückte Heidelbeeren, wo sie sie entdeckte. Lavinia bevorzugte die Wurzeln der wilden Möhren und aß Gänseblümchen dazu.

Nach zehn Tagen verlor Mila die Geduld. Keuchend beschwerte sie sich.

„Die Entfernung zum Tal ist größer als du es gesagt hast“.

Lavi unterbrach ihren steilen Aufstieg und blieb schwer atmend oberhalb von Mila stehen.

„Hör auf zu jammern. DU wolltest unbedingt in dieses verdammte Tal.“

„Du hast nichts davon gesagt, dass es so weit ist.“

Lavinia stemmte beide Hände in die Hüften und richtete ihren Blick an den Horizont.

„Ich war am Schwarzen Meer, an der Adria, am Mittelmeer und ich habe die Alpen überquert. Das war weit. Zu deinem Tal ist es nicht weit. Vielleicht noch drei Tage.“

Am Abend des fünften Tages saßen sie erschöpft am Feuer. Mit einem Stock stocherte Mila in der Glut. Abermals verließ sie die Zuversicht.

„Ich glaube dir nicht mehr, dass du den Weg zum Tal kennst. Du suchst selbst danach. Heute sind wir zwei Mal an der gleichen Stelle vorbei gekommen.“

Lavi verdrehte ihre Augen.

„Das stimmt. Ich hatte mich verlaufen. Aber jetzt erinnere ich mich wieder an den Weg.“

Mila nörgelte weiter.

„Ich habe keine Lust mehr, dir zu folgen.“

„Du nervst. Ich kann nichts dafür, dass dein scheiß Tal am Arsch der Welt liegt.“

„Erkläre mir jetzt den Weg.“

Lavinia wich aus.

„Ich bin müde.“

Mila ließ nicht locker.

„Du kennst ihn also nicht.“

„Ja und nein. Ich kenne ihn, wenn ich ihn vor mir sehe. Ich bin ihn nur einmal gegangen und damals wusste ich ja nicht, dass dein verwüstetes Tal mal so wichtig werden würde.“

„Ich glaube dir nicht.“

„Dann leck mich. Ich will schlafen, bin todmüde.“

Lavinia erhob sich.

Mila griff nach ihrem Arm und zog sie wieder herunter.

„Ich will jetzt endlich wissen, wann wir da sind.“

„Lass mich los.“

„Sonst was?“

Lavi entriss ihren Unterarm Milas Umklammerung und sprang auf.

Mila war kurz nach ihr auf den Beinen und schubste sie.

„Ich bin es leid.“

„Leid was?“

„Mit dir.“

Lavinia trat gegen Milas Rucksack.

„Dann hau doch ab. Nimm deinen Kram und verschwinde.“

Mila schubste Lavi von ihrem Gepäck fort. Die stieß Mila daraufhin so heftig von sich, dass die strauchelte und hinfiel. Wutendbrand sprang sie wieder auf und stürzte sich auf Lavinia.

Gegenseitig versuchten sie, die Andere von den Beinen zu holen und unter sich zu bekommen. Mila schaffte es, ihren Unterarm um Lavinias Hals zu legen, und ließ sich zurückfallen. Dann drückte sie zu. Lavi lag mit dem Rücken auf ihr und rang nach Luft. Um sich zu befreien, rammte sie Mila einen Ellenbogen in den Bauch. Die schrie vor Schmerz auf und lockerte ihre Umklammerung. Lavinia drehte sich heraus und kniete sich auf Milas Brustkorb. Mit dem Schwung eines Beines holte die aus, traf Lavinia am Kopf und warf sie wieder herunter.

Mila setzte ihr nach und schlug ihr ins Gesicht. Lavi griff in den Dreck der Erde und warf ihn ihrer Gegnerin in die Augen. Dann umklammerten sie sich gegenseitig und wälzten sich am Boden. Beide versuchten, der Anderen die Luft abzudrücken oder sie zu treten und zu schlagen. Keiner wollte nachgeben und aufgeben schon gar nicht. Es folgte ein heftiges Ringen und Boxen und Trampeln. Sie rissen sich wechselseitig an den Haaren, schrien auf in Schmerzen und prügelten unerbittlich aufeinander ein.

Mila blutete aus der Nase. Lavinias Lippen waren aufgeplatzt. Diesmal war sie es, die ihre Gegnerin in den Schwitzkasten nahm und zudrückte. Mila rang nach Atem und trat um sich. Dann traf sie Lavis Knie. Die ließ los und brüllte. Dann ging alles wieder von vorne los.

Plötzlich lagen sie gefährlich nahe am Feuer. Mila versenkte sich die Haare. Beide hatten die Hände um den Hals der Anderen gelegt und drückten zu. Jeder röchelte und schnaufte und schnappte nach einem rettenden Atemzug. So verharrten sie in der Hoffnung, als Gewinner aus dem Kampf hervorzugehen. Doch die zwei wussten längst, dass es keinen Sieger geben würde.

„Ich kann nicht mehr“, keuchte Lavinia.

Mila röchelte.

„Ich auch nicht.“

„Wieso lassen wir den Scheiß dann nicht einfach?“

„Gute Idee.“

Gleichzeitig ließen sie los und blieben völlig erschöpft aufeinander liegen. Lavinia begann gequält zu lachen.

„Meine Lippen brennen wie verrückt und mein Knie tut weh.“

„Ich habe Schmerzen im Bauch und im Brustkorb und ich bekomme keine Luft mehr durch die Nase. Sie ist ganz geschwollen.“

„Zeig her.“

Lavinia tastete beinahe zärtlich Milas Nase ab.

„Ich werde sie kühlen, mit Wasser und einem Lappen.“

Mila zerrte an ihrem T-Shirt und tupfte mit einem Zipfel Blut von Lavinias Unterlippe.

„Sie ist gerissen. Du darfst den Mund vorerst nicht so weit aufmachen.“

Sie halfen sich gegenseitig auf die Beine. Im Schein des Feuers kontrollierten sie ihre Verletzungen und gaben sich Ratschläge zur Linderung ihrer Schmerzen.

Sie setzten sich wieder, tranken Wasser und kauten lustlos auf einigen Stängeln Grünzeug herum. Mila teilte eine Handvoll Brombeeren mit Lavinia.

Sie rückten dicht aneinander und starrten in die Glut.

„Lavi?“

„Hmm.“

„Lass uns das nie wieder tun. Wenn wir überleben wollen, müssen wir unversehrt und gesund bleiben. Wir müssen zusammenhalten.“

„Ich weiß. Aber ich lasse mir nun mal nichts gefallen.“

„Ich war so schrecklich erschöpft und enttäuscht darüber, dass ich seit Monaten durch die Berge irre und mein Tal immer noch nicht gesehen habe.“

„Auch das weiß ich. Und es tut mir leid, dass es weiter bis dorthin ist, als ich angenommen habe.“

„Ist schon okay.“

„Was wirst du tun, nachdem du es gesehen hast?“

„Ich weiß es nicht.“

Lavinia legte ihren Kopf an Milas Schulter und blickte stumm in die züngelnden Flammen. Bald darauf war sie eingeschlafen.

Mila blieb bis weit nach Mitternacht am Feuer sitzen und lotste Lavi im Halbschlaf in das Zelt, bevor sie sich neben ihr ebenfalls zur Ruhe begab.

Am folgenden Morgen bauten sie das Lager ab und brachen auf.

Ihr Marsch dauerte noch einmal zwei Tage.

Der Zugang zum Hochtal war nur noch über einen steilen Anstieg möglich. Die ursprüngliche einspurige Straße war vor langer Zeit bereits abgestürzt.

Ein schmaler Pfad schlängelte sich vor den beiden durch die Felsen hinauf. Es handelte sich um einen Wildwechsel, der offenbar nur von Gämsen begangen wurde.

Abgeschieden lag das Gelände unberührt von Menschen vor ihnen. Kaum zu entdecken, schwer zugänglich, nur mühsam zu erreichen, gut zu verteidigen. Ideal geeignet für einen Neuanfang. Josh wäre stolz auf sie gewesen. Sie behielt recht. Es gab dieses Tal und es war einst wunderbar. Es hätte die Rettung sein können.

Sie standen an dessen Rand, erschöpft von dem beschwerlichen Aufstieg, und ließen die Rucksäcke fallen. Lavinia setzte sich ins Gras und zupfte verlegen an den Halmen.

Mila sah, was sie nicht glauben wollte. Die Enttäuschung trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie lösten sich und liefen ihr über die eingefallenen Wangen. Welche Strapazen hatte sie auf sich genommen, um dorthin zu gelangen.

Sie trat einige Schritte vor und ihre Stiefel standen bereits auf Geröll. Die Stämme entwurzelter Bäume und mitgerissene Felsbrocken lagen verstreut umher. Dazwischen hier und dort wenige Büschel Gras oder mickrige und verdorrte Sträucher. Auf den Gipfeln der Berge lag kein Schnee mehr. Längst war er an dieser Stelle abgeschmolzen. Das Wasser der Gletscher war zu Tal gestürzt und hatte alles mit sich gezerrt. Was nicht von Felsen und Baumstämmen herausgerissen oder erschlagen wurde, hatte die schlammige Flut begraben. In einer solchen Wüstenei war auf Jahrhunderte kein menschliches Leben mehr möglich.

Mila hob das Fernglas an ihre Augen und überzeugte sich davon, dass nichts von dem vergangenen Zauber dieses Hochtals erhalten geblieben war. Vereinzelt standen noch beschädigte Bäume herum, aber sie würden kaum reichen, um Schatten und Holz für Gebäude zu spenden. Der verbliebene Boden war für den Anbau von Nutzpflanzen nicht mehr geeignet. Die fruchtbare Erde lag jetzt irgendwo anders, weggespült von reißenden Sturzfluten.

Mila kehrte zurück und ließ sich entmutigt neben Lavinia ins Gras fallen.

„Was für eine Enttäuschung.“

„Es tut mir leid.“

„Kannst du ja nichts für.“

„Wenn es so gewesen wäre, wie auf deinem Foto, hätten wir uns bestimmt hier getroffen. In einem solchen Tal wäre ich auch gerne geblieben.“

Obwohl sie nichts mehr zu essen besaßen, verbrachten sie die Nacht im Hochtal. Der Abstieg hätte sie zu viel Kraft gekostet und einen geschützten Lagerplatz konnten sie erst nach Einbruch der Dämmerung erreichen. Auch die Jagd nach Wild versprach wenig Aussicht auf Erfolg. Sie hatten seit Tagen keine Tiere mehr gesehen.

Nachdem die Sonne untergegangen war, sank die Temperatur dort oben stark und sie lagen in dem kleinen Zelt dichter beieinander, als in den Nächten zuvor. Ein scharfer Wind wehte und die Kälte ließ sie frieren. Sie legten ihre Decken übereinander und krochen beide darunter. So wärmten sie sich gegenseitig.

Der leichte Schlaf brachte nur wenig Erholung. Sehr früh am Morgen brachen sie auf, um tiefer gelegenes Gebiet zu erreichen.

Das offene, unwegsame Gelände wandelte sich in steile Almwiesen und bald erreichten sie die Baumgrenze. In einem Buchenhain sammelten sie Eckern. Sie fanden Pilze, von denen Mila wusste, dass Josh sie gegessen hatte. Deren Namen hatte sie vergessen.

Sie hatte beschlossen, den Rückweg anzutreten. Noch blieb genügend Zeit, um das Winterlager zu erreichen, bevor der erste Schnee fiel.

Sie freute sich auf Josh, den warmen Ofen und ihr Bett in der Hütte und den Duft der Fichtenzweige, die sie als Matratzen nutzten.

Noch hatte sie mit Lavi nicht darüber gesprochen. Aber bald würde sie das tun müssen und dann mussten sie eine Entscheidung treffen. Blieben sie zusammen und wanderten bald zu dritt oder ging jeder seines Weges?

So war es in diesen Zeiten oft. Menschen begegneten sich, streiften eine Weile miteinander umher und dann verließen sie die Begleiter wieder. Auf einer ewigen Reise brachte Gesellschaft den Starken kaum Vorteile. Sie mussten ihren mageren Proviant dann mit den Schwachen teilen. Günstiger war es für sie, sie gingen anderen Menschen aus dem Weg und überließen die ihrem Schicksal. So kamen sie auch schneller voran, anstatt sich um Kinder, Alte und Kranke kümmern zu müssen, oder auf sie zu warten.

Lavi gehörte zu den Starken, so wie Mila. Beide kamen sehr gut allein zurecht. War ihr gemeinsamer Weg bald zu Ende?

Der Herbst überzog das Land mit einem Meer aus Farben. Bunt leuchteten die Blätter der Bäume in einem zarten Licht. Rot, gelb und orange mischte sich mit Brauntönen und dem letzten Grün. Bald schon würde die Landschaft im Winter erstarren und ihr Ansehen von kahlem Geäst und den beinahe schwarzen Wipfeln der Nadelbäume bestimmt sein.

Doch bis dahin genossen die beiden Gefährtinnen die milde Wärme des späten Jahres.

Es duftete nach welkem Laub, Moosen und Pilzen. Herabfallende Waldfrüchte nährten das magere Wild. Mila erlegte eine überlaufende Bache. Lavinia schwartete das junge Wildschwein ab, nahm es aus und rammte einen Spieß hindurch. Während der Braten über dem Feuer grillte, sammelte Mila im Wald Edelkastanien. Die Maronen legten sie an die Glut und knibbelten die heißen Früchte pustend und fluchend aus ihrer Schale. Die mehligen, aber wohlschmeckenden und nahrhaften Kastanien boten eine willkommene Abwechslung in der ansonsten kargen Ernährung.

Das Schweinefleisch schmeckte köstlich. Sie aßen die Beeren einer Eberesche dazu.

Das angenehme Wetter hielt nicht lange an. Seit Tagen marschierten sie im Dauerregen. Das Land lag unter einem trägen Dunst, der Boden weichte auf, in den Senken bildeten sich große und tiefe Seen, die mühsam umwandert werden mussten. Die Gewässer schwollen an. Aus den Bergen tobende Wassermassen stürzten in die Täler und rissen alles mit sich, was sich nicht an irgendeinen Felsen klammern konnte.

Lavinia hatte sich erkältet. Ihre Haut wirkte blass und teigig. Sie schniefte und nieste. Nachts schnarchte sie laut. Seit drei Tagen hustete sie.

„Ich habe keine trockene Kleidung mehr“, beschwerte sie sich.

Sie war etwas zurückgefallen. Mila blieb stehen, drehte sich um und schaute in ein gerötetes und verschwitztes Gesicht. Lavinia fieberte. Lange würde sie nicht mehr durchhalten.

„Vielleicht hört es bald auf zu regnen“, versuchte Mila zu trösten, ohne selbst daran zu glauben.

„Ich kann nicht mehr.“

Lavinias Ehrlichkeit rührte Mila. Wer in diesen Zeiten zugab, schwach zu sein, hatte bereits verloren. Irgendwer lauerte schon darauf, den geringen Besitz des Sterbenden bald kampflos übernehmen zu können.

Mila musste eine Entscheidung treffen.

„Wir gehen weiter.“

Die beiden folgenden Tage schleppte Lavinia sich hinter Mila her. Es hatte nicht aufgehört zu regnen. Im Gegenteil. Die Wassermassen einer aus den Fugen geratenen Natur prasselten unerbittlich auf sie nieder. Auch Mila besaß keine trockene Kleidung mehr. Der Stoff ihrer Hose, das Leder ihrer Stiefel und die Riemen des schweren Rucksacks scheuerten ihr die Haut wund.

Die Zeit in der Nacht reichte nicht aus, um ihre Ausrüstung am Feuer zu trocknen. Seit zwei Tagen gelang es ihnen abends nicht, ausreichend trockenes Holz zu finden.

Lavinia fror fürchterlich in der nassen Kleidung unter ihrer Decke. Sie zitterte im Schüttelfrost und weinte sich in den Schlaf. Fieberträume ließen sie jammern und wimmern.

Am Morgen glühte ihr Körper. Ihre Haare klebten auf der verschwitzten Stirn. Nur mit größter Anstrengung schaffte sie es, sich den Rucksack auf die Schultern zu wuchten, bevor der nächste Hustenanfall sie in die Knie zwang.

Geradezu unmenschlich erschienen ihr die Qualen des beschwerlichen Marsches. Und wieder erlag sie einem Hustenkrampf und drohte zu ersticken. Mit weit aufgerissenem Mund rang sie nach Luft und brach zusammen. Mila hörte Lavinias Körper hinter sich fallen.

‚Lavi hält mich zu sehr auf‘, dachte sie für einen kurzen Moment. Dann lief sie das Stück des Weges zu ihr zurück und schaute auf sie herab.

Ihre Gefährtin lag am Boden, dem Tod näher als dem Leben. Sie atmete flach und starrte in den Matsch vor ihrem Gesicht.

„Du wirst sterben“, stellte Mila ihr in Aussicht.

„Ausruhen“, röchelte Lavi heiser.

„Wir müssen weiter“, widersprach Mila. „Der Winter naht. Wenn es dann so stark schneit, wie es jetzt regnet, sind wir verloren.“

„Ausruhen“, bettelte Lavinia noch ein letztes Mal. Dann trieb die Erschöpfung sie in die Ohnmacht, dort wo sie lag, mit dem Rucksack auf dem Rücken. Der Regen prasselte ihr ins Gesicht und in ihr Haar. Ihre Kleidung triefte vor Nässe. Wasser sickerte aus dem kalten Schlamm bis an ihren vom Fieber geschüttelten Körper.

‚Lavi ist am Ende‘, urteilte Mila und rang mit sich.

Sie konnte nicht rasten. Die Welt versank in den Wasserfluten und ihr lief die Zeit davon.

Der Weg zurück zu Josh in das geschützte Winterlager war noch weit. Sie reiste mit leichtem Gepäck. Einen Wintereinbruch würde sie nicht überleben. Sie hatte darauf verzichtet, wärmende Kleidung mitzuführen.

Das Regenwasser lief ihr eiskalt den Rücken hinunter und sickerte durch ihre Hose in die Stiefel. Sie schüttelte sich.

Wie elend musste sich erst die kranke Lavi fühlen?

Mila schaute sich um. Nicht weit entfernt entdeckte sie einen Lärchenhain. Das feine Laub der sommergrünen Bäume leuchtete gelb. Der Boden war von herab gefallenen Nadeln übersäht.

Im offenen Gelände wollte Mila Lavi nicht zurücklassen. Also löste sie die Gurte von deren Gepäck und schleifte es hinter sich her in das Wäldchen. Dort ließ sie ihren eigenen Rucksack von den Schultern gleiten und baute das Zelt auf. Dann ging sie zurück, packte Lavinias leblosen Körper an den Handgelenken, zerrte ihn in das schützende Dickicht und legte ihn im Zelt ab.