Mit alten Männern spiel' ich nicht - Bertram Engel - E-Book
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Mit alten Männern spiel' ich nicht E-Book

Bertram Engel

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Beschreibung

Aus der westfälischen Provinz zum Rockstar Seit fünf Jahrzehnten spielt Schlagzeuger Bertram Engel als festes Bandmitglied bei zwei absoluten Stars der Rockmusik: Udo Lindenberg und Peter Maffay. Mit beiden verbinden ihn große Erfolge, vor allem aber zahlreiche legendäre Erlebnisse. Seine Autobiografie Mit alten Männern spiel' ich nicht ist dadurch nicht weniger als ein Stück westdeutscher Musikgeschichte aus erster Hand – und steckt voller einzigartiger Anekdoten über die deutschen und internationalen Größen, mit denen Engel in seiner Karriere zusammenarbeitete: vom Panikorchester über Pretty Things bis zu Bruce Springsteen. Ein Buch wie purer Rock 'n' Roll – ehrlich, launig, energiegeladen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 410

Veröffentlichungsjahr: 2024

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BERTRAM ENGEL

MIT ALTEN MÄNNERN SPIEL’ ICH NICHT

BERTRAM ENGEL

MIT ALTEN MÄNNERN SPIEL’ ICH NICHT

Der Schlagzeuger von Udo Lindenberg und Peter Maffay über sein bewegtes Leben

unter Mitarbeit von Tom Schäfer

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

5. Auflage 2025

© 2024 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Textautor: Tom Schäfer

Redaktion: Kanut Kirches

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: © Harald Peter

Satz: inpunkt[w]o, Wilnsdorf (www.inpunktwo.de)

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7423-2762-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-2536-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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Inhalt

Vorwort von Peter Maffay

VORSPANN – DER TOTALE PUNK

KAPITEL 1 – IN DER WILDNIS VON WESTFALEN

KAPITEL 2 – BEI ANRUF MORDSEE

KAPITEL 3 – FSK: AB 18!

KAPITEL 4 – DER SCHMIED VON BILLERBECK

KAPITEL 5 – ZWISCHEN CHAMPAGNER & ODYSSEE

KAPITEL 6 – TITANISCHE ZEITEN

KAPITEL 7 – ZEITENWENDE

KAPITEL 8 – VON BERUFS WEGEN

KAPITEL 9 – SCHWERE ZEITEN

Abspann

Danksagung

Engelpedia

Über die Autoren

Peter Maffay

vorwort

Wir übten fleißig an einem Titel und dachten, wir wären gut dabei. Aber nach zwei Stunden warf Bertram die Stöcke weg und sagte in forschem Ton: »Mit alten Männern spiel’ ich nicht.« Das war 1984. Dieser Satz, den er damals wütend formulierte, hat mich enorm getroffen. Und er ist mein Korrektiv geblieben über all die ganze Zeit. Es gibt nichts, was mich mehr daran erinnert, was ich zu tun habe auf der Bühne, als dieser Ausspruch. In diesem Satz steckt die dichteste Form einer Charakterisierung, die Bertram für sich selbst getroffen hat. Dieser Satz offenbart in präziser Weise seine ganze Haltung. Berte ist der Radikalste von allen – sich selbst gegenüber und anderen gegenüber. Ich habe nie jemanden erlebt, der deutlicher artikuliert hat, was er mit auf die Bühne bringt und was er von anderen erwartet. Berte setzt, wenn 100 Prozent als das Maximum dessen anzusehen sind, was zu leisten ist, oben noch ein bisschen was drauf. Ich habe nie stärker als bei ihm gespürt, was wir uns und dem Publikum schuldig sind. Sein Anspruch ist enorm hoch. Er ist empfänglich für Kritik und für Lob, aber er ist auch selbst gnadenlos in seiner Kritik. In der ganzen Band gibt es niemanden, mit dem ich länger zusammenspiele als mit ihm. Bertram und ich sind die Achse. Er gibt mir die Energie von hinten und ich gebe sie nach vorne weiter. Meine Aufgabe ist es, von vorne alles zu empfangen und an Berte weiterzugeben. Das ist unser Verständnis. Es ist ein Segen, dass wir uns über den Weg gelaufen sind.

VORSPANN

DER TOTALE PUNK

Unser Tourbus hat gerade das Open-Air-Gelände des Zeppelinfelds erreicht, als der Regen einsetzt. Es ist der 3. September 1977. An diesem Tag spielen wir mit dem Panikorchester auf dem Nürnberg Rock Festival im Vorprogramm von Chicago und Santana. Auch die legendären Thin Lizzy mit Brian Downey am Schlagzeug sind einer der Acts. Das Ganze wird vom Fernsehen unter dem Titel Rockstars unterm Himmelszelt aufgezeichnet.

Wir haben nachmittags als erste Band gespielt – mit einem Udo Lindenberg, der total breit war. Wir sind auf die Bühne rauf und haben vor 70 000 Leuten um unser Leben gekämpft.

Es war mein erster großer Auftritt in einem Stadion! Ich war 18 Jahre alt und erst wenige Monate in Udos Band. Was sich jetzt abspielte, war einer der härtesten Gigs überhaupt. Unser Bühnensound glich einem katastrophalen Niedergang, und die Monitorboxen brüllten, als würden sie augenblicklich zur Hölle fahren. Mein riesiges Schlagzeug mit zwei Bassdrums und einer ganzen Batterie an Rocktoms erinnerte an den mit Testosteron vollgepumpten Patronengürtel von John Wayne. Die Hälfte der Show spielte ich im Stehen und trug einen blauen Catcheranzug. Wir haben reingehauen wie die Wahnsinnigen und schon nach zwei Minuten hatte ich blutige Finger. Das alles war der totale Punk und es hätte kaum schlimmer kommen können, doch beim Song »Das kann man ja auch mal so sehen« war Udo schwer angeschlagen vom Alkohol. Und bei »Meine erste Liebe« ist er dann auf der Bühne umgekippt. Er hat im Liegen weitergesungen! Wie ein Käfer lag er auf dem Rücken und hat sich das Mikrofon vom Roadie hinhalten lassen.

Wir haben gespielt, als gäb’s kein Morgen mehr – so, als wären hinter uns Soldaten, die uns das Gewehr an den Kopf halten und brüllen: »Wenn ihr jetzt nicht spielt, werdet ihr erschossen!«

Nach dem Gig war mir klar: Ich werde mit diesem Mann als Sänger nicht mehr lange überleben.

Doch die Geschichte verlief völlig anders …

KAPITEL 1

IN DER WILDNIS VON WESTFALEN

Ludwig der Trommler

Mein Bruder Thomas hatte schon seine ersten Bands am Start. Und er kaufte sich immer die neuesten Schallplatten. Die Kinks, Stones, Zombies und The Pretty Things wummerten hinter seiner Zimmertür, an der ich lauschte, als wären es heimliche Signale, die ich als kleiner Junge empfangen sollte.

Unten im Wohnzimmer thronte der stolze Besitz unserer Eltern: ein Riesenapparat der Marke Nordmende in Nussbaumfurnier mit aufgeblähter Mattscheibe. Ich saß wie angewurzelt davor, als aus diesem Fernseher der berühmte Auftritt der Beatles im Shea Stadium flimmerte. Das war 1965. Was mich auf Anhieb fesselte, war dieses wahnsinnig hohe Podest mit dem Schlagzeug obendrauf. Vorne auf dem Bassdrumfell stand der Name Ludwig. Ich konnte gerade lesen und dachte, der Trommler heißt so – unwissend, dass es sich lediglich um den Namen des Schlagzeugherstellers Ludwig Drum Company handelte. Ich war völlig hypnotisiert von Ringo, der mit aller Macht versuchte, gegen die Lautstärke des kreischenden Publikums anzukämpfen. Das Ganze war für mich wie ein Mythos und Ringo der erste Mensch auf der Welt. Ich wollte in dieser Welt sein, wollte da oben hin, in das Auge des Orkans, und überlegte, was zu tun wäre, um dieses Ziel zu erreichen.

Angeblich hat mein Vater während des Zweiten Weltkriegs in einer Militärband gespielt, weshalb bei uns zu Hause eine alte Marschtrommel herumstand. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob die Geschichte stimmt oder ob ich sie in meiner Fantasie nur erfunden habe. Auf jeden Fall hat die Trommelei bei mir irgendwie ihren Ursprung gefunden.

Zu besonderen Anlässen bekam man Geschenke. Von Nachbarn, Verwandten und irgendwelchen Tanten, die man vorher noch nie gesehen hatte. Einmal war ein riesiges Paket dabei. Als der Pappkarton endlich sein Inneres freigab, traf es mich wie der Blitz: ein Schlagzeug der Firma Neckermann. Sofort räumte ich alle anderen Geschenke beiseite und stellte das Wunderwerk auf den Küchentisch. Jetzt hatte ich mein eigenes Drumpodest mit dem Schlagzeug obendrauf.

Onkel Günter

Obwohl die Niederlande gar nicht weit von Steinfurt entfernt liegen, kam mir die Busfahrt wie eine Weltreise vor. Ich durfte die Sommerferien 1965 in einem Zeltlager in Dalfsen verbringen. Zwar drückte anfangs das Heimweh etwas, aber immerhin hatte ich mich des Ansinnens meiner Tante Liesel entledigt, den Sommer bei meinen Cousinen in Gütersloh zu verbringen.

Es war ein glühend heißer Augusttag. Mit ein paar Jungs hatte ich den Nachmittag am Badesee verbracht und lag faul auf der Wiese. Plötzlich steht ein Mann vor mir. Unten sehe ich aschgraue Schuhe und oben trägt er eine dicke Hornbrille. Dazwischen gibt sich die flatternde Stoffhose alle Mühe, unter einem Bauchwulst Halt zu finden. Es ist Onkel Günter! Seine wenigen Haarsträhnen sind sorgfältig von Ost nach West über die glänzende Kopfhaut gelegt. Jetzt steht er mitten im Zeltlager und zieht peinliche Blicke auf sich. Er hat den Auftrag, mich vorzeitig abzuholen, und soll mir die Nachricht überbringen, dass mein Vater gestorben ist. Nicht nur das – man hatte ihn bereits beerdigt. Die Familie wollte nicht, dass ich das Begräbnis miterlebe. Auf der Rückfahrt nach Hause erzählte Onkel Günter, was passiert war.

Ich konnte es nicht glauben. Erst in der Nacht hab ich geweint, weil ich merkte, wie die Stimmung zu Hause war. Alle waren schwarz gekleidet, meine Tante Liesel, meine Mutter. Da wusste ich, dass mein Vater nicht mehr wiederkommen würde. Am 1. August 1965 ist er mit einem Segelflugzeug abgestürzt, und der Pastor stand mittags bei meiner Mutter vor der Tür, als sie gerade den Sonntagsbraten auf den Tisch brachte. Grausam. Meine Mutter war gerade 40 geworden. Sie hat nie wieder geheiratet. Mein neun Jahre älterer Bruder Thomas übernahm zeitweise die Rolle des Vaters und versuchte auf meine Erziehung einzuwirken, was pädagogisch nicht immer sinnvoll war. Musikalisch verstehen wir uns super, aber menschlich ist unser Bruderverhältnis schwierig.

Der Tod meines Vaters saß tief. Ich war ein ziemliches Papakind, obwohl er seine autoritäre Hand über mir hatte und nicht wollte, dass ich die Beatles und Stones hörte. Bei »Twist and Shout« hat er die Nadel vom Plattenspieler genommen. Für ihn war Vico Torriani das Maß – und natürlich Klassik. Aber dass mich andere Musik interessiert, das hat er nicht akzeptiert. Meine Mutter war da anders. Sie erkannte die musikalischen Impulse in mir. Für sie war jedoch gewiss, dass erst mal der Unterricht an einem anständigen Instrument angebracht sei. Also wurde ich zum Klavierunterricht geschickt.

Trude Sturm

Jede Woche ging ich die sechs Minuten von der Mühlenstraße in die Kirchstraße. Noch jetzt höre ich die quietschende Eichentreppe, die zu der morbiden Mansardenwohnung führte. Der ganze Flur roch nach Bohnerwachs. Trude Sturm war um die 60, und ihre resolute Art gipfelte in einem Haardutt, der ihrer Disziplin Ausdruck verlieh. Als Siebenjähriger hat man Respekt davor. Trude Sturm war sehr erpicht auf Spieltechnik. Ich musste die Hände gerade halten und nur die Fingerspitzen durften die Tasten berühren. Sie hat mir ein Stück Schokolade auf die Handrücken gelegt, während ich irgendwelche Fingerübungen durch sämtliche Tonarten spielte. Die Schokolade durfte dabei nicht runterfallen. Das war schon fast wie eine Benimmschule. Jahrelang ging ich brav zu Trude Sturm und wir arbeiteten mit dem Lehrbuch Hanon. Aber zu Hause übte ich heimlich den ganzen Rock-’n’-Roll-Wahnsinn.

Die kreative Ader hab ich wohl von meinem Vater mitbekommen, der einer der angesagten Architekten in der Region Münster war. Mit meiner Affinität zur Kunst konnte ich allerdings keinen großen Freundeskreis gewinnen. Ich war eher der Einzelgänger, hatte mit Mädchen wenig am Hut und auch kein großes Interesse an Fußball. Unter der Obhut meiner Mutter war meine Jugend recht familiär geprägt, während mein Bruder Thomas sich schon deutlich vom Elternhaus befreit hatte.

Der heimliche Mentor

Karl Allaut – alias Karl Brutal – war der erste Gitarrist des Panikorchesters und zugleich ein Schulfreund meines Bruders. Die beiden sind als 16-Jährige mal nach London ausgerissen und wurden von Interpol gesucht. Ich wäre damals gern so alt gewesen wie mein Bruder, der die ganze Entwicklung in den Sixties und Seventies mitgekriegt hat – die Musik, die alles Spätere aus dieser Zeit geprägt hat. Thomas hatte schon sein eigenes Leben. Und wenn er sich irgendwo Bands anschaute, war ich oft in seinem Schlepptau und durfte mit.

Mein heimlicher Mentor aber war Karl Allaut. Ihm schien viel daran gelegen, mir die Welt der Musik zu erklären. Ständig setzte er mir Kopfhörer auf, ließ mich am Sound seines Universums teilhaben und spielte mir alles Mögliche an Musik vor – von den Stones über Jimi Hendrix bis Miles Davis und einer Band namens Mountain. Die war durch Woodstock zu einer Ikone der 70er aufgestiegen, und ihren Song »Mississippi Queen«, der mich vom Schlagzeug, aber auch vom ganzen Habitus tief beeindruckte, habe ich heute noch im Ohr. Im Grunde hat mir mein innerer Puls gesagt, was mir gefällt und was nicht. Miles Davis hab ich beiseitegelegt. Das war mir zu kompliziert. Ich bin bei den Stones hängen geblieben, bei Mountain, The Pretty Things und Edgar Winter’s White Trash – einer Platte mit der heißesten Bläsersektion ihrer Zeit. Karl hat mir auch meine ersten Trommelstöcke geschenkt. Durch seinen Einfluss wurde ich musikalisch regelrecht gepolt.

Er machte schon damals auf mich den Eindruck eines extremen Typen – ein bisschen crazy, aber total nett. Und er hatte wahnsinnig viel Ahnung von Musik. Sein ganzer Stolz war eine Stratocaster-E-Gitarre, auf die er übermäßig dicke Stahlsaiten gespannt hatte. Man musste mit den Fingern unglaublich drücken, um einen Ton rauszukriegen. Karl hatte dann immer diesen verstohlenen Blick drauf und seine stechenden Augen verrieten die messerscharfe Ansage: Das trennt den Jungen vom Mann.

Mein Bruder und er trieben sich regelmäßig in der Londoner Mod-Szene rum. Sie wurden Augen- und Ohrenzeugen eines der ersten Cream-Konzerte, der Anfang des Progressive Rock! Fernab dieser brennenden Revolte saß ich in Burgsteinfurt im Keller vor meinem legendären Mister-Hit-Plattenspieler und trommelte auf einem heruntergekommenen Schlagzeug zu alten Vinylscheiben. Jenes Set der Firma Tromsa hatte mir meine Mutter 1970 für 300 Mark gebraucht gekauft. Ich liebte dieses Schlagzeug genauso wie den kargen Waschkeller, an dessen Decke eine einzelne Glühbirne an zwei Drähten hing. Es war meine Flucht in eine Welt, in der ich mich wohlfühlte. Bei Knäckebrot, Käse und Sinalco. Von der Fliesenwand schauten mich die ganzen Poster meiner Helden an. Ich hab das alles nachgespielt und versuchte rauszuhören, wie die Trommler das gemacht haben. Es war ein intuitives Learning by Doing. Manchmal zeigte mein Bruder mir ein paar Trommelschläge und ermutigte mich weiterzumachen.

Doch dann passierte die Explosion in meinem Kopf: Ich hörte Jimi Hendrix’ Drummer Mitch Mitchell und diese irre Bassdrumfigur im Song »Little Miss Lover« und war schier fassungslos. So was hatte noch keiner gebracht. Es rockte und alles klang unglaublich frech. Zum ersten Mal war eine Bassdrum auf einer Schallplatte richtig hörbar. Die 60er-Jahre brachten nur schlechte Tonaufnahmen zustande und ein Schlagzeug auf einer LP glich eher dumpf wabernden Geräuschen. Aber jetzt war es ein lauter Aufschrei. Sensationell! Manche behaupten, dass eine richtig hörbare Bassdrum zum ersten Mal auf der 1969er Led-Zeppelin-Scheibe bei »Good Times Bad Times« aufgetaucht wäre. Drummer John Bonham spielte diese Triolen, und alle dachten, er hätte das mit zwei Bassdrums gemacht. In Wirklichkeit spielte er mit einem einzigen Bassdrumpedal. Ab da redeten alle von Bonham und er wurde zum Inbegriff des Drummer-Rockstars. Aber kaum einer redete von Mitch Mitchell, der zwei Jahre zuvor »Little Miss Lover« getrommelt hatte. Damit hatte er ganz klar Bonham beeinflusst, der diese Figur schlichtweg geklaut hatte, sie bei »Immigrant Song« einbaute und die Lorbeeren als Pionier des Rockdrumming einheimste.

Diese Bassdrumfigur hatte es mir also angetan – ein kompliziertes Ding für einen kleinen Jungen. Tagelang verkroch ich mich im Keller und ließ nicht locker, bis ich den Groove flüssig spielen konnte. Thomas bekam das mit und holte alle seine Freunde aus der Schule: »Mein kleiner Bruder spielt ›Little Miss Lover‹ von Jimi Hendrix.« In ganz Burgsteinfurt machte es die Runde und plötzlich standen 30 Leute bei mir im Keller.

Jeden Samstagnachmittag saßen Thomas und ich vor dem Fernseher und schauten den Beat-Club. Diese Sendung von Radio Bremen war unser Kult. Hier traten alle möglichen Bands auf, zum Teil live, und ich träumte mich jedes Mal in die Welt meiner Sehnsucht. 1968 waren die Rolling Stones mit »Jumpin’ Jack Flash« dabei. Dieser freche Auftritt mit den geschminkten Typen und einem lasziven Mick Jagger hat mich auf der Stelle umgehauen! Rock ’n’ Roll und Rebellion! Meine Mutter stellte sofort den Fernseher ab. Das war nicht jugendfrei. Die Stones mit diesem Titel waren für mich die Bibel des Rock ’n’ Roll. Yes – da geht der Weg hin! Wenn ich meinen Enkeln heute erklären sollte, was Rock ’n’ Roll ist, würde ich ihnen »Jumpin’ Jack Flash« vorspielen.

Ein weiterer game changing moment war die Elton-John-Livescheibe 17-11-70. Diese Platte hat mein Leben verändert. Da waren Nigel Olsson am Schlagzeug, Dee Murray am Bass und Elton am Klavier. Die haben mit drei Mann Los Angeles plattgespielt. Elton John war schon so ein Wahnsinniger, der aufs Klavier sprang und von oben herab auf die Tasten einhämmerte. Die brauchten keine Gitarre für die Heavyness, die machten das mit Klavier und Bass. Bei Nigel Olsson habe ich diese Einfachheit im Spiel genossen. Als junger Typ konnte ich gar nicht erklären, was mich an ihm faszinierte. Aber sein Schlagzeug hatte diesen magischen Atem. Ganz das Gegenteil von Mitch Mitchell, der wesentlich komplizierter trommelte. All diese Einflüsse strömten auf mich ein und entfalteten ihre Wirkung.

Ein Geruch von Rock ’n’ Roll

Inmitten der Krautrockzeit, deren ganze Leidenschaft und experimentelle Wildheit mir um die Ohren flog, gründete ich meine erste Band – ein Trio. Wir nannten uns Agnostos Theos. Das ist Griechisch und heißt unbekannter Gott. Man musste einen Namen haben, der irgendwie intelligent klingt, egal welch verstiegener Sinn dahintersteht. Außerdem wollten wir damit unsere Haltung gegen das Establishment zum Ausdruck bringen. Unser Trio war allerdings keine normale Besetzung. Keiner von uns konnte Gitarre spielen. Mein Schulfreund Wolfgang Treutler war ganz gut am Piano, sogar etwas besser als ich. Und ich dachte: Okay … dann mach ich auf Ringo Starr und spiele Schlagzeug. Hinten zu sein und die Band zusammenzuhalten fand ich irgendwie interessanter, als in der ersten Reihe rumzuspringen.

Und dann war da noch Wilfried Wacker, der kein Instrument spielen konnte, aber unser Freund war. Wir haben ihm Congaspielen gezeigt! So kam es 1970 zur merkwürdigen Besetzung Klavier, Schlagzeug und Congas. Zunächst spielten wir Stücke nach, Nummern wie »Child in Time« von Deep Purple oder auch Songs von Elton John. Wolfgang hatte allerdings überhaupt kein Talent zum Singen, also übernahm ich diesen Part am Schlagzeug. (Okay … Wolfgang ist später professioneller klassischer Konzertsänger geworden.)

Etwas später betätigten wir uns an Eigenkompositionen. Das war ganz krudes Zeug. Aber wir spürten die Dringlichkeit unseres musikalischen Schaffens. Und die Band war unsere Göttin. Was die Rolling Stones damals machten, war unser Ansporn. Deren Botschaft hatte eine klare Ansage: Das könnt ihr auch! Und es erklärte uns, dass es reicht, mit zwei Akkorden auf die Gitarre einzuhämmern, um berühmt zu werden. Das allerdings konnten wir mit einem so sperrigen Namen wie Agnostos Theos vergessen. Also benannten wir uns kurzerhand in Fancy um. Aus welchem Grund auch immer wechselte Wilfried nun von den Congas zum Bass. Und dann kam es in der Aula des Gymnasiums in Burgsteinfurt zu unserem ersten großen Auftritt. Es war der 16. Dezember 1972. Fancy spielte im Vorprogramm von Atlantis! Wir platzten vor Stolz, denn jetzt kamen die Stars … der berühmte Organist Jean-Jacques Kravetz, Trommlerlegende Curt Cress, Deutschlands Gitarrenikone Frank Diez und die Rockröhre Inga Rumpf. Der Wahnsinn! Und wir waren dabei! Zum ersten Mal hab ich den Rock ’n’ Roll gerochen. Allerdings ist Fancy kurz drauf auseinandergedriftet, weil ich auch nach anderen Bands Ausschau hielt. Ich wollte mehr von der Musik. Wilfried ging zur Bundesbahn und Wolfgang kümmerte sich um sein Abitur.

Einige Zeit später stieg ich bei Relation ein. Die wollten mich unbedingt dabeihaben, weil deren Schlagzeuger zu schlapp war. Also wurde Egon ausgetauscht und ich kam rein. Relation war schon eine Lokalgröße, und ich hatte den Vorteil, mit Leuten zu spielen, die allesamt besser waren als ich. Dieser Aufstieg bedurfte allerdings eines besseren Schlagzeugs. Ich besaß ja nur mein abgerocktes Tromsa. Glücklicherweise gab es in der Stadt noch einen anderen Trommler, dessen Vater einen lokalen Handwerksbetrieb hatte. Der Sohn durfte in der Firmenhalle mit seiner Band proben und irgendjemand von uns kam zufällig an den Schlüssel. Also sind wir heimlich da rein und haben uns für Auftritte seines schicken Black-Oyster-Ludwig-Schlagzeugs bemächtigt. Natürlich brachten wir das Set nach dem Auftritt in die Halle zurück und bauten es genauso an seinem Platz wieder auf. Er hat nie etwas bemerkt.

Mein nächster step on the way war das Rocktrio R. F. I. Da war ich 13 oder 14. Viele Bands hatten sich damals verschlüsselte und scheinbar bedeutungsvolle Kurznamen zugelegt. Völlig bekloppt, aber wir waren jung und haben rumgesponnen. Tatsächlich war R. F. I. die Abkürzung für Relation, Fancy und Image. Relation war die frühere Band des Bassisten, Fancy war die Nachfolgeband von Agnostos Theos und Image war die Band des Heavy-Gitarristen Georg Hülsmann, der später als Jim Voxx mit Skew Siskin zur Hardrock-Legende wurde. Ihn wiederum kannte ich durch meinen Bruder. Bei R. F. I. hab ich ein bisschen was Erwachseneres gemacht, weil die beiden Kollegen zehn Jahre älter waren. Da wurden auch die ersten Joints gereicht und man musste cool sein. Wir spielten irgendwelches Hendrix-Zeug und coverten Stücke von einer Band namens Stud. Diese bestand aus dem späteren Rod-Stewart-Gitarristen Jim Cregan und der Rhythm Section von Rory Gallaghers Taste mit Drummer John Wilson und Richard »Charlie« McCracken am Bass. Stud hatte eine LP rausgebracht, die uns total beeindruckte. Vorne auf dem Cover war ein Pferd drauf, und ihre Musik brachte uns in Versuchung, mit romantisiertem Folk und Artrock zu experimentieren.

Plötzlich wurde das Mahavishnu Orchestra mit dem Album The Inner Mounting Flame zum Kult. Diese Musik hat uns an die Grenzen gebracht. Für uns war es der Schockeffekt einer Band, die etwas spielte, was es vorher noch nie gegeben hatte. Es war ein schreiend lauter Cocktail hoch komplizierter Fusion aus Jazz und Rock mit elektrischen Gitarren. Auch wenn keiner begriffen hatte, was da passierte, war The Inner Mounting Flame das Album überhaupt. Ich fand den Sound zwar faszinierend, aber die ganze Message war mir zu abgehoben und lag weit außerhalb meiner Rock-’n’-Roll-Welt.

Obwohl ich meine Erfahrungen in experimentellen Rockformationen sammelte, hatte ich immer das Kommerzgen in mir. Ich stand heimlich auf T. Rex und The Sweet mit »Ballroom Blitz«. Die schier unendlichen Einflüsse der bewegten Musik dieser Zeit prasselten mit Wucht auf mich nieder. Mit der Band R. F. I. gelang mir ein wichtiger Schritt, den ich nicht gemacht hätte, wäre ich damals bei Agnostos Theos geblieben. Die Erfahrung, mit älteren Musikern zu spielen, war elementar. Sonst wäre ich mit 17 gar nicht ready gewesen für Udo Lindenberg. Irgendwann hat sich das Projekt R. F. I. in den Wirrungen einer provinziellen Jugendkultur allerdings verabschiedet.

Illustre Herrschaften

Tagtäglich verschlang mich die Welt meines kargen Trommelkellers, während sich nur wenige Kilometer weiter einige illustre Herrschaften in Steffi Stephans Wohnung trafen und mit ein paar Zaubergetränken auf die Idee einer musikalischen Vision anstießen. Friesenring 77 in Münster war der Ort, wo alles begann. Im Sommer 1973 gründeten Steffi Stephan und Udo das Panikorchester. Auf einem abgewrackten Bauernhof neben der Landesversicherungsanstalt probte die Urbesetzung mit Keyboarder Gottfried Böttger. Steffi war am Bass, Karl Allaut spielte die Gitarre und Peter »Backi« Backhausen Schlagzeug. Steffi hatte damals einen Job bei der Stockmeyer-Würstchenvertretung seines Bruders. Damit war er der Einzige, der einem normalen Job nachging. Er hat den Proberaum besorgt und alles bezahlt. Ohne ihn hätte es die Band nicht gegeben. Daher gilt Steffi als Urvater.

Udo war selber Trommler und durch Klaus Doldingers Passport eine Größe in der Szene. Damals hatte er noch eine Band namens Emergency am Start und verdingte sich als Schlagzeuger in irgendwelchen Jazzquintetts. Aber er hatte keinen Bock mehr auf die brotlose Tingelei und feilte an neuen Plänen. Er wollte Rockstar werden! Sänger mit deutschen Texten! Deutsche Texte jedoch kannte man nur vom Schlager oder von irgendwelchen Protestsängern wie Hannes Wader. Das war aber keine coole Rock-’n’-Roll-Sprache. Udo war ein guter Swingdrummer und mit diesem Talent machte er sich die deutsche Sprache zu eigen. Seine pointierten Sätze hatten diesen ureigenen Groove. Es fing an mit Nummern wie »Hoch im Norden«, »Jonny Controlletti«, »Rudi Ratlos« und »Alles klar auf der Andrea Doria«. Das hatte noch keiner gebracht! Am 13. August 1973 gab es die erste Show des Panikorchesters. Die frühen Liveauftritte waren noch recht divers mit einem Panikorchester-Block und einem Lindenberg-Block. Die Band spielte zunächst ein Set mit instrumentalem Halbjazz-Progrock-Kram, bevor Udo schließlich die Bühne betrat und man die Rocknummern mit deutschen Texten präsentierte. Das war eine außergewöhnliche Mischung und gleichsam die Feuertaufe für das Material. Und mit Karl Brutal war nicht nur eine exzentrische Lichtfigur an Bord, sondern auch ein hochgradig begnadeter Musiker, der es draufhatte, zwei Gitarren gleichzeitig zu spielen. Auf dem Rücken die eine und vorne die andere. Während eines Stücks warf er die Gitarren über den Schultergurt mit Schwung um sich und konnte auf Punkt zwischen akustischer und elektrischer Gitarre wechseln.

Die erste Panikorchester-Tour führte auch nach Münster und ich war live dabei. Für mich war es in dem Moment das Größte, was ich je gehört hatte. Ich stand in der ersten Reihe und dachte nur: Wow, wenn man da mal irgendwann mitspielen könnte.

Herr Hegenkötter & die Musikhochschule

Nach der Mittleren Reife folgte ich meinem Freund Wolfgang Treutler aufs Gymnasium. Aber mein Bruder brachte mich auf den Pfad der Musik zurück. Es stand die Entscheidung an: drei weitere Schuljahre und Abitur oder jetzt gleich auf die Musikhochschule. Thomas hatte mich immer wieder für Musik entzündet, weil er selbst begeistert war – und das tat er auch in dieser Situation. »Du willst doch Rockstar werden!« Ohne sein Drängen und seinen Einfluss hätte ich wahrscheinlich die Schule weitergemacht. Doch im Endeffekt gab es keine berufliche Alternative zur Musik. Die Alternative war nur, Angst zu haben vor der eigenen Courage.

Mit 16 bewarb ich mich an der Musikhochschule in Münster. Obwohl ich am Klavier inzwischen sehr gut war und vielleicht sogar besser als andere Studenten, wählte ich Schlagwerk als Hauptfach und Klavier als Nebenfach. Die Aufnahmeprüfung war sehr viel aussichtsreicher, da es für Klavier rund 150 Bewerber gab und für Schlagzeug lediglich zwei. Das waren – wir nennen ihn mal so – Helmut und ich. Da ich bei dem Lehrer der Hochschule monatelang schon Unterricht am Schlagwerk hatte und er letztlich auch die Aufnahmeprüfung abnahm, während Helmut nicht sein Schüler war, konnte man sich ausrechnen, wer angenommen wurde. Im Sommer 1974 bestand ich die Prüfung. Der unendliche Stolz, diesen eigenständigen Schritt vollbracht zu haben, beflügelte meine Fantasie bezüglich einer musikalischen Zukunft.

Mein Hochschuldozent hieß Theo Hegenkötter. In Studentenkreisen wurde er spaßeshalber auch Heckenköter genannt. Er war in frühen Tagen der Schlagzeuglehrer von Udo Lindenberg gewesen. Einmal nahm er mich zur Seite und erzählte so ganz väterlich: »Der Lindenberg war damals schon sehr talentiert. Ein super Swingschlagzeuger. Aber wissen Sie, was sein Manko war? Er wollte einfach nicht üben. Udo kam immer zum Unterricht, und nie konnte er das, was ich ihm aufgetragen hatte. Und eines Tages hab ich mich köstlich amüsiert. Da kam er um 17 Uhr in meinen Unterricht und entschuldigte sich mit den Worten: ›Herr Hegenkötter, könnte ich heute ein bisschen früher gehen? So ’ne halbe Stunde? Da draußen wartet eine Dame, der hab ich die Heirat in Aussicht gestellt.‹« Udo hatte damals schon diese schnoddrigen Sprüche drauf.

Bei Hegenkötter studierte ich den ganzen klassischen Kram wie Marschtrommel, Xylofon, Pauken und so weiter Das wirkliche Drumsetspiel brachte ich mir autodidaktisch bei. Auf die ganze Musiktheorie und Notenlernen hatte ich wenig Bock. Ich wollte auf die Rockbühne, wusste aber nicht genau, wie. Das Studium war eher ein Vehikel dorthin. Um Hegenkötter aus der Reserve zu locken und ihn vielleicht auch vorzuführen, brachte ich öfters mal sonderbare Schallplatten aus meiner Sammlung zum Unterricht mit. Aufnahmen mit Schlagzeuger Billy Cobham oder auch den verrückten Kram von Hendrix’ Drummer Mitch Mitchell. Natürlich wusste ich, dass diese Sachen den Horizont von Hegenkötters musikalischer Vorstellungskraft überstiegen. Für ihn war das moderner Krach. »Herr Passmann (so hieß ich damals noch), so was machen wir hier nicht.« Das höchste seiner Gefühle waren alte Swingnummern.

Im Proberaum des Panikorchesters

Mein Bruder Thomas nahm mich einmal mit zu dem alten Bauernhof, auf dem das Panikorchester probte. Da erstarrte man vor Ehrfurcht. An den Wänden standen überall Regale mit Whiskyflaschen. Die waren trinkmäßig schon gut dabei. Für mich war Udo der größte Schlagzeuger in Deutschland. Ich sah ihn einmal in der TV-Sendung Beat-Club, wo er mit Doldingers Passport spielte. Er war der Erste, der nicht so krautrockmäßig trommelte. Mani Neumeier von Guru Guru oder Peter Panka von Jane und all die anderen spielten so deutsch. Aber Udo hatte dieses amerikanische Flair, luftig und dynamisch.

In diesem Proberaum standen die Schlagzeuge von Backi und Udo. Beide hatten einen Deal mit den Schlagzeugherstellern Hayman und Paiste. Das eine Set war mattschwarz und Udos Kit war durchsichtig in Acryl. Ab und zu spielte er noch eine Nummer am Schlagzeug – so wie Phil Collins bei Genesis. Was mich auch beeindruckte, war Udos Fußmaschine, ein französisches Modell namens Asba. Das Pedal hütete er, es war ihm heilig und musste immer mit.

Udo hatte gehört, dass ich wohl ganz gut trommeln soll, und er fragte lässig: »Weißte eigentlich, wie man Schlagzeuge stimmt? So mit den Schrauben …? Nach Gefühl, ne …. immer nach Gefühl.« Dann fragte er: »Haste mal Bock zu spielen? Was kannste denn so?«

Weil mein Bruder mir Musikkassetten geliehen hatte, auf denen auch Lindenberg-Songs drauf waren, und ich das ganze Material wie ein Schwamm aufgesogen hatte, konnte ich einige Udo-Songs auswendig. Ich saß an seinem Schlagzeug und hab diesen legendären Controlletti-Beat eisenhart durchgetrommelt. Mir war nicht bewusst, dass ich in dem Moment meine erste inoffizielle Audition hatte. Das muss Ende 1973 gewesen sein. Ich war 16 Jahre alt! Udo meinte: »Wenn sich Backi mal ’n Bein bricht, ruf ich an … ich ruf an, ne.«

Lolita

Thomas kam mal wieder aus London zurück und hatte in einem Club die Gruppe Silverhead gesehen. Total geflasht von den Jungs brachte er zwei Schallplatten mit – das Debüt Silverhead sowie 16 and Savaged. Die hatten den charismatischen Sänger Michael Des Barres dabei, der später Robert Palmer bei Powerstation ersetzte. Der Sound von Silverhead befand sich irgendwo zwischen Free und Humble Pie, aber mit Glam-Touch. Sie kamen mit einem echten Tiger auf die Bühne und Des Barres ließ eine Schlange über seine nackte Schulter kriechen. Ihr Sound hat uns damals echt umgehauen. In Deutschland war Silverhead völlig unbekannt. Also kam Thomas auf die glorreiche Idee, deren Songs zu kopieren. Und nicht nur das: Wir taten so, als wären es unsere eigenen Songs.

Mit dieser Idee im Kopf gründeten wir im Herbst 1973 mit einigen Freunden die Band Lolita – benannt nach Vladimir Nabokovs gleichnamigem Roman, der in den 60er-Jahren für Skandale sorgte. Auch Glamrock war im Grunde Skandal. Dieses Genre zündelte an den Verkrustungen einer konservativen Gesellschaft. Mit überzogenen Darstellungen, laszivem Auftreten, schrillen Kostümen und tonnenweise Make-up transportierte die Glam-Droge ihre plakativen Muster. Wir sind auf diese Welle aufgesprungen. Es gibt Fotos von mir im Lurexoutfit mit silberner Spandexhose und hohen Schuhen – natürlich voll geschminkt. Das Image war genauso wichtig wie die Musik.

Während wir uns die Songs von Silverhead draufschafften, lernten wir, wie man etwas bis zur Perfektion kopiert und es wirklich original klingen lässt. Tage und Wochen verkrochen wir uns im Übungsraum, den mein Bruder nur wenige Kilometer von Münster in einem Möbellager in Nienberge eingerichtet hatte. Wir zogen uns die Silverhead-Platten rein und kopierten jeden Ton haarscharf. Die Idee war, uns zügig ein Repertoire anzueignen, um schnell an Gigs zu kommen, Geld zu verdienen und gleichzeitig eigene Stücke in Ruhe angehen zu können. Ich weiß noch, dass ich nach der Probe immer spätnachts mit dem Bus nach Hause fuhr und meine Mutter sich tierisch aufregte, wenn es spät wurde, weil ich ja noch so jung war. Aber ich musste ja proben, da ich so leidenschaftlich dabei war. Mein ganzer Drang erforderte jetzt ein besseres Schlagzeug aus der professionelleren Liga. Mein Bruder mit seinem alten Benz und ich auf dem durchgesessenen Beifahrersitz tuckerten zielstrebig nach Holland zu einem großen Musikladen. Es war sofort klar, was ich wollte. 1300 Mark legte ich für ein Oyster Green Pearl der amerikanischen Firma Ludwig auf den Ladentisch. Damit konnte man sich sehen lassen. Und dann sprach es sich herum, dass in Münster ein junger Schlagzeuger unterwegs war, der ganz gut trommelt.

Eines Abends tauchten in unserem Proberaum ein paar Typen der Rockband Karthago auf. Gitarrist Joey Albrecht galt damals als bester Rock-’n’-Roll-Gitarrist Deutschlands. Der hatte lange Haare und trug Schlangenlederhosen. Das war richtig Rock! Ingo Bischof, der später zu Kraan wechselte, war der Keyboarder. Diese beiden Typen kamen in den Übungsraum und wollten mich auschecken. Ihr Schlagzeuger Panzer Lehmann war nämlich abhandengekommen und trommelte jetzt bei Epitaph. So kam es zu einer Audition, ohne dass ich wusste, dass es eine war. Allerdings versagte ich in deren Augen, weil ich zu viel spielte. Zumindest hat mir mein Bruder das später so erzählt. Ich war wohl einfach noch zu jung.

Eine Fügung des Schicksals bescherte uns in der Lolita-Glamrock-Besetzung einen einzigen großen Auftritt. Dieser fand auf einem Krautrockfestival zusammen mit Kraan, Epitaph, Karthago und Grobschnitt in den Hammer Zentralhallen statt. In unserer Selbstüberschätzung bestanden wir damals darauf, als letzte Band nach Grobschnitt zu spielen und unser riesiges Schlagzeugpodest aufzubauen. Als wir endlich startklar waren, hatte sich die Halle sichtlich geleert. Wer kannte schon Lolita? Nach Kraan und Grobschnitt war eh nichts mehr zu reißen. Doch wir ließen uns nicht davon abhalten, unsere geplante Show durchzuziehen, die groteskerweise mit mir allein am Klavier begann. Ich spielte nämlich »Goodbye« von Elton John und musste dabei zusehen, wie sich immer mehr Leute auf den Weg zum Ausgang machten. Also war es höchste Zeit, diesen Fluchttrieb zu stoppen und mit der Band richtig Gas zu geben! Wir legten beherzt los mit »Hello New York«, aber das Publikum verließ weiterhin in Scharen die Halle. Die USA waren nach dem Vietnam-Desaster nicht gerade beliebt und unseren Style mochten die bekifften Westfalen schon gar nicht. Einige brüllten »schwule Säue« und Ähnliches. Frustriert strichen wir die Segel. Unser Manager Albrecht Scheuerle von Wintrup Music meinte noch: »Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee, eine Band zu kopieren, die selbst keinen Erfolg hat.« Für uns hieß es: Weg mit der Schminke und dem ganzen Glam-Firlefanz. Neues Image, neue Fotos, neue Songs. Und zwar eigene!

Gebrüder Engel

Sicherlich beeinflusst von all dem, was aus dem Dunstkreis des Panikorchesters hervorging, begann mein Bruder, gemeinsam mit Co-Texter Axel Schulz (nicht zu verwechseln mit dem Boxer), deutsche Texte zu schreiben. Seit Udos »Andrea Doria« waren Songs auf Deutsch angesagt – und plötzlich zeigte Steffi Stephan Interesse an unseren Songs. Steffi wollte sich ein zweites Standbein als Produzent aufbauen, um nicht nur im Schatten Udo Lindenbergs zu stehen. So kam die Idee auf, mit uns eine Platte zu machen. Also haben Thomas und ich 1975 die Band Gebrüder Engel gegründet – und Steffi war mit im Boot, als Bassist und Produzent. Er und Udo waren zu der Zeit wegen finanzieller Unstimmigkeiten aneinandergeraten. Zwar gab es immer schon eine klare Trennung zwischen Lindenberg und dem Panikorchester, aber als Kumpel von Udo hatte Steffi eine Sonderstellung und war bis dato an den Konzertumsätzen beteiligt gewesen. Udo wollte das jetzt alles unter seinen eigenen Hut bringen. Auch sollte die Band plötzlich nicht mehr an den Plattenerlösen beteiligt werden. Diese Umstände gaben den Ausschlag, dass Steffi Abstand zu Udo nahm und sich vermehrt um unsere Band kümmerte.

Endlich hatte ich einen Weg eingeschlagen, der zumindest die Möglichkeit versprach durchzustarten. Auch wenn ich als Trommler sicherlich kein Licht in der Landschaft zündete, hatte ich das Gefühl, meine Geschicke mit der Band entwickeln zu können. Ich glaubte an das, was ich tat, und war der Protegé von Karl Allaut, der offenbar mein Talent witterte und sich für den jungen Trommler einsetzte, dem er damals die ersten Stöcke geschenkt hatte. Durch ihn schlitterte ich in mein erstes offizielles Engagement als Studioschlagzeuger. Nicht nebenan in Münster, sondern ganz weit weg in München-Unterföhring im berühmten Union Studio.

Jackboot

Karl Allaut war beim Panikorchester ausgestiegen und wartete jetzt auf die Stunde der Eingebung. Er und Olaf Kübler, der immer wieder mal im Panikorchester als Saxofonist mitwirkte und einst Produzent der legendären 60s-Krautrockband Amon Düül II war, suchten eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Kübler hatte die verstiegene Idee, sich mit einer gut produzierten Heavy-Rock-Band den Zugang zum Goldtresor zu verschaffen. Ein Sänger war schon vorhanden – und zwar Wolfgang Jass (Jahre später verdingte er sich in der Goombay Dance Band und fuhr mit der Euro-Disco-Nummer »Sun of Jamaica« einen Hit ein). Mit seiner kratzigen Roger-Chapman-Stimme wollten Olaf und Karl ihn als Rocksänger aufbauen und mit einer gecasteten Band ins Rennen schicken. Das Projekt wurde unter dem Namen Jackboot aus der Taufe gehoben. Bassist wurde Olafs bester Freund Lothar Meid, der auch von Amon Düül II kam und später Produzent von Westernhagen wurde. Jetzt suchte man noch einen Schlagzeuger, und Karl Allaut überzeugte alle, dass ich das richtige Trommlertalent für diese Platte sei. Geldgeber der ganzen Sache war kein Geringerer als die Schlagerlegende Michael Holm, der mit »Mendocino« bereits zum Schnulzenstar der 70er aufgestiegen war. Jetzt wollte er unbedingt einmal mit Rockstars im Studio sitzen und bezahlte dafür, dass er das durfte. Sonst hätte ihn wohl keiner reingelassen.

Mit 17 hatte ich nun mein erstes Engagement und sollte in einem richtigen Tonstudio arbeiten. Ich wurde zum ersten Mal in die große weite Welt geschickt. Olaf Kübler sollte mich am Münchner Bahnhof abholen. Als Erkennungsmerkmal schwenkte ich zwei Trommelstöcke wie eine Fahne in der Luft. Olaf kam, sah mich und eilte Richtung Telefonzelle. »Ich ruf mal eben Conny an.« Conny war seine Lebensgefährtin. Sie sollte schon mal die Spaghetti aufsetzen, damit wir sogleich essen könnten. Es machte mich ein bisschen misstrauisch, als er in der Telefonzelle verschwand. Später erfuhr ich, dass er gar nicht Conny, sondern heimlich den Schlagzeuger Keith Forsey angerufen hatte. »Keith, der Trommler, den Karl da angeschleppt hat, ist dünn und klapprig. Wenn der das nicht bringt, bist du auf Stand-by.«

Am nächsten Tag liefen wir im Studio ein und ein altes 60s-Ringo-Schlagzeug der Firma Ludwig war mir als Geschirr zugeteilt. Unsere erste Nummer war eine Coverversion der Mädchengruppe Shangri-Las und hieß »Remember (Walking in the Sand)«. Ein Shuffle. First Take. Und Keith Forsey wurde abgesagt. Auf dieser Platte hab ich mir den Arsch abgespielt. Und plötzlich waren alle begeistert, dass dieser junge Teenager aus Münster wie der Teufel trommelt. In dieser Altherrenszene war ich junges Blut und wurde behandelt wie das Jesuskind.

Aber wir hatten auch jeden Tag Michael Holm da rumsitzen und er gab seinen Senf in die Runde. Meistens wurde er ignoriert, und man tat nur so, als würden seine Worte erhört. Schließlich hatte er die Produktion bezahlt. Um Herrn Holm aus der Reserve zu locken, trank Olaf Kübler Pernod-Cola aus seinem Westernstiefel. Er zog die Lederboots aus, kippte das Gebräu da rein, schüttete noch Eiswürfel drauf und setzte den Stiefel an. Michael Holm fand das ganz toll: »Das ist richtig Rock ’n’ Roll … endlich bin ich dabei.«

Das Jackboot-Debüt Angel erschien Ende 1975. Es ist die einzige Platte, auf der ich als Bertram Passmann erwähnt werde. Damals hieß ich noch nicht Engel. Und es ist das allererste Album, auf dem ich je gespielt habe.

KAPITEL 2

BEI ANRUF MORDSEE

Die einäugige Katze

Münster 1976. Es gab keine Handys, kein Internet, kein gar nix. Immerhin hatte in der Altstadt auf der Salzstraße ein Schallplattengeschäft eröffnet. Der Laden hieß Rund & Eckig – rund wie die Platte und eckig wie das Cover. Während des Musikstudiums verbrachte ich hier meine Mittagspausen. Man konnte umsonst die neuesten Platten hören und einen Kaffee gab’s auch noch. Im Grunde habe ich mich in diesem Laden weitergebildet. Auf der Hochschule wurde nur Klassik gelehrt, also Mozart, Beethoven, Debussy, Bach und so weiter, aber das war auf Dauer nicht so mein Ding. Ich hörte viel lieber Blues und Rock ’n’ Roll. Und in diesem Plattenladen zog ich mir die ganzen Scheiben rein von Blood, Sweat & Tears über Edgar Winter’s White Trash bis hin zu James Taylor. Dies waren wegweisende Eindrücke für einen jungen Typen wie mich. Plötzlich rief mich dort eines Mittags Udo Lindenberg an, der zuvor meine Mutter zu Hause am Telefon erreicht hatte. Sie sagte ihm, ich sei immer in diesem Schallplattengeschäft. Rufen Sie da doch mal an, Herr Lindenberg.

»Hier is’ Udo … wir kenn’ uns doch, hast ma gespielt, talentiert, ne, talentiert. Unser Trommler ist ausgestiegen, äh, traust dir Olympiahalle München zu? Nächsten Monat … Olympiahalle … traust dir zu, ne? Steffi macht dann alles klar.«

Ich sagte: »Olympiahalle – kein Problem! Ich bin am Start! Es gibt keinen, der das machen kann außer mir.« Diese Attitude fand Udo wohl geil. Es war ein Moment, den ich nie vergessen werde. Ich wollte den Job und hab ohne Zögern JA gesagt.

Wie sich herausstellte, war Schlagzeuger Backi Backhausen schon länger nicht mehr im Panikorchester und es kam 1975 Drummer Keith Forsey ins Spiel – genau der, den Olaf Kübler zuvor in München angerufen hatte, um mich im Falle meines Versagens zu ersetzen. Eine Koryphäe und Legende zugleich. Keith hatte in den 70ern in den Union Studios in München die ganzen Disconummern eingespielt … Silver Convention, Donna Summer, Boney M. und so weiter. Tag für Tag stampfte er von morgens bis abends diese Umpf-Umpf-Beats aufs Band. Monatelang! Er konnte das mit einer unglaublichen Präzision und seine massentauglichen Discobeats waren stilprägend für den berühmten Munich Sound. Doch irgendwann war Keith genervt von dieser stupiden Fließbandarbeit und fing an, die Umpf-Beats nur noch in Geld zu zählen. Umpf, umpf, umpf … eine Mark, zwei Mark, drei Mark.

Noch heute ist die Geschichte legendär, dass in seiner Bassdrum die Studiokatze Florian wohnte. Das war eine einäugige Katze und sie war zudem noch taub. Sie lag den ganzen Tag auf dem Kissen in der Bassdrum, während Keith Forsey die Boney-M-Nummern eingedroschen hat. Offenbar liebte die Katze diese vibrierenden Kicks und das regelmäßige Wippen des Kissens … so wie man Kinder in den Schlaf wiegt. Florian war völlig entspannt.

Jedenfalls wurde Keith ins Panikorchester berufen, nachdem er vorher schon als Studiodrummer einige Tracks auf den Alben Ball Pompös, Votan Wahnwitz und Galaxo Gang getrommelt hatte. Als englischer Drummer war er sehr speedy und spielte gerne upfront. Udo jedoch ist sehr laid back, also mehr an der Kante des Langsamen. Keiths Spiel war ihm immer zu weit vorne: »Bisschen weniger spielen, und nich’ so hurtig.«

Anscheinend gab’s zwischen den beiden öfters Reibereien, die schließlich während einer TV-Show endgültig aus dem Ruder liefen. Bekanntlich muss man bei Fernsehproduktionen lange Wartezeiten überbrücken. Also wurde entweder gesoffen oder man nahm etwas Marschierpulver ein, um die Leere auszuhalten. Allerdings war Keith an dem Tag so auf Droge, dass er bei den Fernsehproben ausflippte, das Schlagzeug zertrümmerte und on the spot die Band verließ. Der Schlagzeuger war also weg und zu allem Überfluss sollte in Kürze der zweite Teil der Galaxo-Gang-Tour beginnen. In dem Moment muss sich Udo an mich erinnert haben, an den jungen Typen von damals im Proberaum.

Nordsee ist Mordsee

Eine Studioproduktion wurde zum Anlass genommen, mich erst mal auszuprobieren. Udo war gerade dabei, für Hark Bohms Film Nordsee ist Mordsee den Titelsong aufzunehmen. Das Stück hieß »Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klau’n«. Diese Segelbootnummer war meine erste offizielle Zusammenarbeit mit Udo. Steffi holte mich mit einem alten Citroën DS ab. Er war immer schon ein Oldtimerfan und fuhr mit ständig wechselnden alten Karren durch die Gegend. Diesmal war es der nostalgische »Haifisch«, der uns nach Hamburg bringen sollte. Steffi hatte eine mördermäßige Clarion-Anlage darin eingebaut, die wahrscheinlich teurer war als das Auto. Wir beschallten die A1 mit mit Rod Stewart, Free und Led Zeppelin und liefen mittags im Teldec-Studio ein. Hier im Heußweg 25 hatte Udo bislang alle Platten aufgenommen.

Die Sache mit dem Filmsong lief gut an. Vor allen Dingen trommelte ich so, wie Udo es sich vorstellte. Jeder Schlag war genau dort, wo er ihn selbst auch gesetzt hätte. Eine Art Seelenverwandtschaft.

Tage später gab mir Steffi sämtliche Panikorchester-Aufnahmen inklusive Kassetten von Livemitschnitten der letzten Tour. Ich sollte mich vorbereiten für die Bandproben zur Galaxo-Tour. Mir war klar, dass Udo mich weiter checken wollte. Mit vollem Enthusiasmus schaffte ich mir das gesamte Material von A bis Z drauf, was nicht besonders schwierig war, da ich als Fan die Songs wahrscheinlich besser kannte als jeder andere in der Band.

Für mich stand nun die erste Probe mit dem Panikorchester an.

Und wieder hieß es: ab nach Hamburg. Auf der Fahrt gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich hatte Respekt vor den Schlagzeugern, die bis dato im Panikorchester getrommelt hatten. Und vor Udo sowieso. Für mich war er einer der größten deutschen Schlagzeuger! Ich wusste, es ging jetzt um alles.

Ich betrat den Proberaum, eine Art Tanzsaal mit knarrendem Holzfußboden, abgewetzt und muffig. Der Schuppen gehörte Uwe Seemann, einem alten Haudegen aus Hamburg. Während ich mein Schlagzeug aufbaute, ging ich im Geiste noch mal die Songs durch. Und dann ging’s los. Ich spielte selbstbewusst und hatte das gesamte Repertoire 1 : 1 wie auf den Platten drauf. Hätte ich in dem Moment nicht funktioniert, wäre ich rausgeflogen. Anscheinend hatte ich überzeugt und irgendwie war klar: Ich bin jetzt der neue Schlagzeuger vom Panikorchester!

Easy Rider

Inzwischen war ich häufiger in Hamburg als in Burgsteinfurt. Immer wenn der Auftrag kam, bin ich von Münster die A1 hochgekachelt. Aber diese Kutschiererei nahm schnell überhand. Weil die Kohle noch nicht für schöne Hotels reichte, konnte ich bei Steffi Stephan unterkommen. Er war in Hamburg nicht nur bekannt wie ein bunter Hund, sondern hatte auch eine Arbeitswohnung in der Hartwig-Hesse-Straße 42 in Eimsbüttel gemietet. Ohne Dusche, ohne alles. Obwohl Steffi durch die Platten mit Udo gutes Geld verdiente und sich gerade einen Jaguar-XJ-12-Zylinder zugelegt hatte, lebte er in dieser Zweizimmer-Schweinebude ohne Bad. Wir sind immer in eine Sauna gegangen, um da zu duschen. Eine richtige Heizung gab’s auch nicht. Nachts stieg ich in das eiskalte Bett und kauerte wie Frau Holle unter den Federkissen. Eines Morgens saß Steffi mit ’nem dicken Schinkenbrot hinter der Zeitung und entdeckte in den Secondhandanzeigen eine Dusche. »Ey Berte, hier is’ ’ne tierische Dusche, kaum gebraucht, für ’n Hunderter, müssen wir gleich abholen!«

In dieser Wohnung kamen ständig illustre Gäste vorbei. Einmal auch der Hollywoodstar Dennis Hopper. Es war im Winter 76. Hopper drehte gerade in Hamburg mit Wim Wenders Der amerikanische Freund. Kurz zuvor war er von den Dreharbeiten zu Apocalypse Now von den Philippinen gekommen und saß jetzt vollkommen verstört im kalten Hamburg. An jenem Abend hingen Karl Allaut, Steffi und ich in dieser Hippiebude ab und entschwebten in die Sphären einer grasbenebelten Jamsession, als unser musikalischer Flug jäh durch das Schrillen des Telefons unterbrochen wurde. Irgendeiner vom Filmset rief bei Steffi an.

»Hast du für Dennis was zu rauchen? Der muss dringend was haben, sonst kann er nicht weiterspielen.« Ich hörte Steffis Reaktion am Telefon. »Dennis … Easy Rider … kenn ich … soll mal rüberkommen. Wir sitzen hier gerade und machen ein bisschen Mucke. Und zu rauchen gibt’s auch – kein Thema.«

Steffi bestellte sogleich beim Dealer jede Menge Zeug, so als hätte er den Pizzadienst in der Leitung. »Mach mal schön was fertig – und alles doppelt, ne.«

Ich hatte das mit Dennis Hopper als dummen Scherz gewertet. Doch plötzlich klingelt es an der Haustür und Dennis Hopper kommt mit seinen Wildweststiefeln fünf Stockwerke die knarrende Holztreppe hoch. Als wenn er unten sein Pferd abgestellt hätte! Der kommt da rein mit einem riesigen Cowboyhut. »Hi guys, I’m Dennis. How are you doing?«

Wir taten so richtig kumpelhaft: »Hey, setz dich, schnapp dir die Bongos und spiel mit.« Nur Karl Allaut in seiner typischen Art guckte den gar nicht an und nörgelte: »Dennis was? Kenn ich nich’. Kann der spielen?«

Dennis setzte sich einfach dazu, zog sich den Joint rein und spielte mit. Der wollte eigentlich nur in Ruhe was rauchen, aber plötzlich waren vier Stunden vergangen und er saß mit uns immer noch in dieser Bude rum. Er laberte über den ganzen erlebten Filmscheiß und seine Streitereien mit Francis Ford Coppola und Marlon Brando, zog über die Gagen der Filmstars her und packte eine Story nach der nächsten aus. Plötzlich rief der Regisseur an, wo denn Dennis wäre. Die wollten weiterdrehen und das komplette Filmteam war seit Stunden auf Stand-by. Dennis Hopper war eine meiner verrücktesten Begegnungen.

Peu à Pö

Hamburg war für mich nicht nur der Mittelpunkt der Welt, sondern auch die Rockhauptstadt in Deutschland. Udo Lindenberg hatte Münster lange hinter sich gelassen und hing jetzt öfter auf dem Kiez rum. Auch Bands wie Atlantis, Lake und Frumpy machten Hamburg zu einem Ort der Sehnsucht. Ich wollte dieses Fieber hautnah spüren und hörte die Geschichten über Onkel Pös Carnegie Hall. Da musste man einfach hin – in diesen Laden mit den sagenumwobenen Rock-’n’-Roll-Mythen.

Als ich die Eingangstür einen Spalt öffne, schlägt mir ein säuerlicher Dunst aus Bier und Qualm entgegen. Wie geflasht stehe ich in diesem heiligen Universum. Eine dieser berüchtigten Jamsessions soll stattfinden und an diesem Abend sitzt Dicky Tarrach am Schlagzeug, der original Drummer von den Rattles. Dicky war ein angesagter Schlagzeuger in Hamburg und für mich irgendwie auch eine Größe in der Szene. Ich ergriff die Chance, bei der Jamsession mitzumachen. Dicky Tarrach hat mich jungen Typen tatsächlich ans Schlagzeug gelassen und mir dann eine große Zukunft prophezeit. Von ihm bekam ich sozusagen den Ritterschlag.