Mit Büchern und Autoren - Reinhold Neven Du Mont - E-Book

Mit Büchern und Autoren E-Book

Reinhold Neven Du Mont

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Beschreibung

Erinnerungen an ein erfolgreiches Verlegerleben Reinhold Neven Du Monts Verleger-Erinnerungen – voller spannender, dramatischer, manchmal auch trauriger oder komischer Geschichten. 32 Jahre lang, von 1969 bis 2001, hat Reinhold Neven Du Mont mit großem Erfolg den Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch geleitet und zu dem Haus gemacht, das man heute kennt. Nach dem plötzlichen Tod des Verlagsgründers J.C. Witsch hat er für die notwendige Kontinuität gesorgt, zugleich aber entschlossen die Zeichen der Zeit der gesellschaftspolitischen Aufbrüche nach 1968 erkannt. Mit Günter Wallraff wurde Kiepenheuer & Witsch zu einer der ersten Adressen für gesellschaftskritische Publikationen in den 70er-Jahren, zugleich aber bis heute zu einem der führenden Verlage exzellenter deutschsprachiger und internationaler Literatur von Heinrich Böll und Gabriel García Márquez bis zu Julian Barnes oder Don DeLillo. Die Reihe der deutschsprachigen Autoren, die in dieser Zeit zu Kiepenheuer & Witsch stießen, ist lang und reicht von Uwe Timm und Peter Härtling bis zu Katja Lange-Müller und Christian Kracht. Viele der politischen Sachbücher wie Günter Wallraffs »Ganz unten« haben Geschichte geschrieben, es waren aber auch die Jahre John Le Carrés oder Nick Hornbys, von Alice Schwarzer, Oriana Fallaci oder Franca Magnani und der Geburt des Pop in Buchform. Dabei erzählt Reinhold Neven Du Mont nicht nur von den Autoren und ihren Büchern, er erinnert sich auch an viele Geschichten hinter den Kulissen und beschreibt den Verlag von innen – als eine brodelnde Werkstatt voller engagierter Mitarbeiter, die zu dem großen Erfolg dieser Ära beigetragen haben.

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Seitenzahl: 359

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Reinhold Neven Du Mont

Mit Büchern und Autoren

Mein Leben als Verleger

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Reinhold Neven Du Mont

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Vorwort1 Ein Traum geht in ErfüllungDer TerminGegen die Schwellenangst: Die BuchgemeinschaftenSchwiegervater und Verlegerfürst: Die Zeit mit Joseph Caspar Witsch28. April 1967Der Böll der frühen JahreZwei Genever und eine Entscheidung2 AufbruchstimmungDer Berserker: Rolf Dieter Brinkmann»Ein Linker aus liberalem Hause«»Wenn Sie das bringen, gibt’s Ärger«: 13 unerwünschte Reportagen von Günter WallraffUnter G, nicht unter M: Gabriel García MárquezGesellschafter beim dtvEin außergewöhnlicher Grafiker: Hannes JähnWilhelm Reich und die RaubdruckerNew York 1971: Andy Warhol und Peter MayerDer Stachel des SkorpionsEin unmoralisches Angebot: Renate RaspVom Lektor zum Autor: Dieter WellershoffZu Besuch bei Erich Maria Remarque3 Zeit der Veränderung: die 70er-JahreMit Elan ins neue JahrzehntMit Carola Stern im NachtklubGegen den KollektivierungswahnVom »Ende der Bescheidenheit« zum »Gruppenbild mit Dame«: Neues von Heinrich Böll»Nicht auch der Grass?« – Nobelpreis für einen deutschen SchriftstellerSchwarzbücher und Münchner AnwälteDer ÜberraschungsgastEin Empfang der besonderen Art: Günter Wallraff im Hessischen HofEin heute fast vergessener Literaturnobelpreisträger aus Australien: Patrick WhiteDrei starke Amerikaner: J.D. Salinger, Bernard Malamud, Saul BellowZu Besuch bei Georges SimenonDie Angst vor der AmerikanisierungDie armseligen Freuden eines Briefträgers: Charles Bukowski»Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann«Mit Nobelpreisträgern »Em Krützche«Wolf Biermann und seine treueste Begleiterin»Der Aufmacher« und die Filzstifte4 Ein VW-Bus, zwei Nobelpreisträger und ein dicker Fisch: die 80er-Jahre (I)Ein »Freisemester« für den VerlegerDrei Tage im Zen-KlosterZu Füßen eines Starautors: V.S. NaipaulAuf der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten»Ich bin ein Teil der polnischen Literatur«: Czesław MiłoszMein größter FehlerSamba-Rhythmen in StockholmEin erfolgreicher Start: die KiWi-ReiheDie Züricher Agenten und der »dicke Fisch«Umwelt, Ernährung, Medizin und Feminismus: die kritischen Sachbücher5 Ein Verlust, ein wahr gewordener Glückstraum und eine Morddrohung: die 80er-Jahre (II)Jahrzehnte des Vertrauens: Uwe TimmEine halbe Million für ein Hirngespinst»Ganz unten«In Ambach: Herbert AchternbuschDer Tod von Heinrich BöllDon DeLillo und die nördlichste Stadt ItaliensEin Betriebsausflug mit einer Aktentasche voller KronenLuchterhand und die Frage der Expansion»Brotberuf Amtsrichter«: Herbert RosendorferKiepenheuer & Witsch hier, Gustav Kiepenheuer dortDer fünfzigste Todestag von Joseph RothMordaufruf des Ayatollah: Salman Rushdie6 Ein Jahrzehnt der Fülle: die 90er-JahreA life of unremitting suspense: Ed DoctorowIn Israel auf den Spuren Ralph GiordanosVom Praktikanten zum Verleger: Helge MalchowZwei ItalienerinnenZu Gast an UniversitätenEin Literaturhaus für Köln»Wir gleichen dem namenlosen Wanderer«: Peter HärtlingEin Wodka für Madame SarrauteEine Landpartie: Autorentreffen in NümbrechtAbschied vom dtvMit Don DeLillo in JerusalemKiWi Köln7 Der AbschiedMünchen oder Stuttgart: Der VerkaufEine Jahrtausendwende, ein rauschendes Fest und letzte »Amtshandlungen«Nachwort
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Vorwort

Kurz nach meinem Ausscheiden bei Kiepenheuer & Witsch machte mir Helge Malchow, der die verlegerische Leitung des Verlages übernommen hatte, den Vorschlag, meine Erinnerungen an die Zeit als Verleger aufzuschreiben. Solange sie noch »frisch« seien. Ich freute mich über sein Interesse, reagierte aber ausweichend. Jahrzehnte, genauer von 1969 bis 2001, hatte ich mich dem einzigen für mich denkbaren Beruf verschrieben, hatte den Verlag, der mein Ein und Alles war, ohne Not und aus freien Stücken abgegeben und war, als Helge Malchows Anfrage kam, voll damit beschäftigt, mein Leben neu zu organisieren. Meine Erinnerungen an die Zeit als Verleger waren noch frisch, aber genau das ließ mich zögern. Ich hatte zu den Ereignissen, über die ich berichten konnte, noch nicht genügend Distanz.

Der Verleger hat gegenüber seinen Autoren eine dienende Funktion. Sie vertrauen ihm ihre Manuskripte an, es ist seine Aufgabe, das Beste daraus zu machen. Dabei geht die Beziehung des Verlegers zu den Autoren, deren Werke er veröffentlicht, häufig über das rein Geschäftliche hinaus. Dieses Geschäftliche ist eingebettet in ein Geflecht von Zutrauen und Verlässlichkeit, von gemeinsam bestandenen Abenteuern und Beistand in persönlichen Krisen, sodass sich für den Berichterstatter die Frage stellte, was darf ich von diesen Beziehungen veröffentlichen, ohne taktlos oder indiskret zu sein. Wollte man aber nur über die offiziellen Begebenheiten wie Pressekonferenzen, Lesereisen, Feiern von runden Geburtstagen etc. berichten, so liefe man Gefahr, den Leser zu langweilen. Was also darf man preisgeben? Ich konnte zu jenem frühen Zeitpunkt diese Frage für mich nicht klären und vertröstete meinen Nachfolger.

Dann fing ich sehr bald schon an, andere Dinge zu schreiben. Zunächst erschien im Piper Verlag ein Band über Köln in der Reihe »Gebrauchsanweisung für …« Die Arbeit an dem Buch war kurzweiliger als erwartet und machte mir Mut, es mit einem Roman zu versuchen. »Die Villa« erschien 2009 bei C.H. Beck und wurde ein Achtungserfolg. Den zweiten Roman nannte ich »Der Maskensammler«. Er war ein Reinfall. Ich war auf die andere Seite des Tisches gewechselt, von der Verleger- auf die Autorenseite, und verhielt mich ganz so, wie Autoren sich eben bei schlechten Verkaufszahlen verhalten: Ich gab dem Verlag die Schuld.

 

In den Jahren, als ich mich bemühte, Schriftsteller zu werden, rückte das Vorhaben, an das Helge Malchow mich manchmal erinnerte, ganz aus dem Blickfeld. Und dann, am 3. März des Jahres 2009, einem Tag der Schande für die Stadt Köln, geschah das Unvorstellbare: Das Historische Archiv stürzte ein und riss zwei Menschen in den Tod. Mittelalterliche Handschriften und andere unersetzliche Schätze versanken im Schlamm einer Baugrube. In Köln hat bis heute niemand die Verantwortung für die Katastrophe übernommen.

Unter den Geschädigten war und ist auch Kiepenheuer & Witsch. Unsere ganze Korrespondenz, die Verträge und Herstellungskarten, alle Protokolle, kurz: Die gesamten Unterlagen und Dokumente, mit denen sich die Tätigkeit des Verlages seit seiner Gründung belegen ließ, gingen erst einmal verloren. Wir hatten sie dem Archiv anvertraut. Sie waren dort brand- und einbruchsicher untergebracht. Dass sie einer Fehlplanung beim Bau der U-Bahn zum Opfer fallen würden, konnte niemand ahnen.

Wenn Namen genannt, Personen erwähnt, beschrieben und zitiert werden, sollte man nichts veröffentlichen, was sich nicht auch belegen lässt. Das ist eine journalistische Grundregel, die auch für Verfasser von autobiografischen Texten gilt. Ich habe Zeitzeugen befragt, habe im Internet recherchiert und meine persönlichen Tagebücher zurate gezogen. Aber im Wesentlichen war ich auf mein Gedächtnis angewiesen. Ich habe meine Jahre als Verleger hier so geschildert, wie ich sie in Erinnerung habe. Dabei ist mir bewusst, dass Erinnerungen eine unzuverlässige Quelle sind. Wer die Zeiten und die geschilderten Begebenheiten anders in Erinnerung hat, möge mir meine subjektive Sichtweise nachsehen. Dass das Verlagsarchiv bei meiner Arbeit nicht zur Verfügung stand, hatte Folgen: Ich konnte, ich musste mir größere Freiheiten nehmen. Hätte es jenen verhängnisvollen Dienstag im März 2009 nicht gegeben, dieses Buch wäre sicher etwas anders ausgefallen: objektiver und auf nachweisbare Fakten gestützt. Da es ihn aber gab, kann ich die Geschichte meiner Verlegerjahre nur so erzählen, wie ich sie erlebt habe.

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1Ein Traum geht in Erfüllung

Der Termin

Der Termin war vormittags um elf Uhr. Die Verkäuferinnen hatten von ihrem Recht Gebrauch gemacht, den Notar zu bestimmen. Seine Kanzlei lag in einem Vorort Kölns. Ich war vorher noch im Verlag gewesen, hatte die Post durchgesehen und zwei oder drei dringende Telefongespräche geführt. Jetzt war ich in Eile, nahm die falsche Ausfahrt, wurde nervös, verhedderte mich in einem Gewirr von Einbahnstraßen und kam erst in letzter Minute an der angegebenen Adresse an.

Elisabeth Witsch, meine Schwiegermutter, saß bereits mit zwei meiner Schwägerinnen und mit Annette, meiner Frau, im Wartezimmer. Sie war mit ihrer Familie gekommen. Die Begrüßung fiel wenig herzlich aus. Die Stimmung war nicht danach.

 

Elisabeth Witsch hatte noch am letzten Wochenende versucht, mich umzustimmen: »Reinhold, mach das nicht! Du bist doch ein Bauer.« Und Bettina, die Rivalin, die selbst gerne den Verlag übernommen hätte, aber nicht das Geld hatte, um ihre Mutter und ihre Schwestern auszubezahlen, hatte erst kürzlich jedem Mitarbeiter des Verlages ein Flugblatt auf den Schreibtisch gelegt: Ich sei ganz und gar unfähig, war da zu lesen, und unter meiner Leitung sei der Bankrott des Verlages nur eine Frage von Monaten.

Ich hatte allen Beteiligten erklärt, dass ich den Wunsch hatte, Kiepenheuer & Witsch in eigener Regie weiterzuführen. Sie waren nun doch zum Verkauf bereit; was den Kaufpreis anbelangte, herrschte allerdings noch Uneinigkeit. Um meine Pläne noch zu durchkreuzen, hatte Bettina sich nach einem anderen Käufer umgetan. In Wien war sie fündig geworden. Fritz Molden hatte sich als Herausgeber der österreichischen Tageszeitung »Die Presse« nicht halten können und hatte daraufhin 1964 unter seinem Namen einen Buchverlag gegründet. Durch Sortimentsrabatte in nie gekannter Höhe, sogenannten Reizpartien, vollem Rückgaberecht und den längsten Zahlungszielen der Buchhandlungsgeschichte hatte er Platz in den Regalen für seine Bücher geschaffen und sich bei den Verlegerkollegen äußerst unbeliebt gemacht. Aber er hatte auch Anfängerglück: Mit den Memoiren der Stalintochter Svetlana und dem »Geschenkten Gaul« von Hildegard Knef hatte er zwei veritable Bestseller im Programm.

Am Ostersamstag 1969 hatten Annette und ich Einschreibebriefe von ihm in der Post. Er sei bereit, den von Annette ererbten Verlagsanteil und die fünf Prozent, die Joseph Caspar Witsch mir geschenkt hatte, käuflich zu erwerben. Er nannte einen Kaufpreis und schrieb, er fühle sich an das Angebot für zwei Wochen gebunden. Elisabeth Witsch und meine drei Schwägerinnen erhielten Briefe gleichen Inhalts.

Moldens Motiv war klar. Er hatte einen glänzenden Start hingelegt, aber seinem Verlag fehlte die Backlist, d.h. die Summe der in früheren Jahren veröffentlichten Bücher, deren Umsatz in der damaligen Zeit bei vielen Verlagen noch ca. fünfzig Prozent ausmachte. Kiepenheuer & Witsch mit dem Gesamtwerk vieler namhafter Autoren wäre für seine hochtrabenden Pläne die ideale Ergänzung gewesen.

Am Dienstag nach Ostern fand in der Wohnung von Elisabeth Witsch eine Familienkonferenz statt. Christa, die Zweitälteste, damals noch Schauspielerin am Schillertheater in Berlin, war unabkömmlich. Sie hatte ihre Stimme ihrer Mutter übertragen. Annette saß schweigend dabei. In der Doppelrolle als Tochter und Schwester auf der einen Seite und als meine Frau andererseits fühlte sie sich unwohl. Aus einem möglichen Interessenkonflikt wollte sie sich heraushalten. Bettina ergriff als Erste das Wort. Sie habe Fritz Molden als einen Mann von Charme und großem Charisma kennengelernt. Für sie gebe es keinen anderen Kandidaten. Ich könne mich ja nach einem Job als Werbe- oder Vertriebsleiter umsehen. Dafür würden meine Fähigkeiten allenfalls ausreichen. Elisabeth Witsch meinte, ich sei mit meinen dreiunddreißig Jahren zu jung für die große Aufgabe; noch einmal versuchte sie mir Lust zu machen auf einen Bauernhof in Bayern und erklärte nach einigem Hin und Her dann doch, sie sei bereit, mir – wenn ich es denn unbedingt wolle – ihren Anteil von fünfundzwanzig Prozent zu dem von Molden gebotenen Preis zu überlassen. Gabriele, genannt Purzel, die jüngste der Witsch-Töchter, schloss sich ihr an. So ging man auseinander. Bettina gab mir nicht die Hand.

Zum Glück hat Fritz Molden den Zuschlag für Kiepenheuer & Witsch nicht bekommen. Sein Buchverlag ging 1982 in Konkurs. Er verlor sein gesamtes Privatvermögen. Wäre er Eigentümer von Kiepenheuer & Witsch geworden, der Verlag von Joseph Caspar Witsch hätte das Debakel nicht überlebt.

 

Notare sind keine Interessenvertreter, sie sind für mich leidenschaftslose Wesen, die garantieren, dass die von ihnen ausgearbeiteten Verträge juristisch unanfechtbar sind. Der Notar, in dessen Besprechungszimmer wir gerufen wurden, war ein schöner Mann. Wenn er »meine Damen« sagte, schürzte er mit Kennerschaft die Lippen. Er hatte den Kaufvertrag nach einem Vorgespräch mit Elisabeth Witsch aufgesetzt. Jetzt verlas er ihn mit geübter Stimme, die zu verstehen gab, dass Unterbrechungen nicht gern gesehen wurden. Ich hatte einige Fragen zu seinen Formulierungen, aber schon bei der ersten sah er mich so strafend an und Bettina seufzte vernehmlich angesichts so viel Unverständnisses, dass ich weitere Wortmeldungen unterließ. Alle Anwesenden unterschrieben, Elisabeth Witsch mit Vollmacht auch für Tochter Christa, Bettinas blasser Hand war die Überwindung anzusehen, als sie zum Füllfederhalter griff. Der Notar setzte als Letzter Namen und Siegel unter das Dokument und wünschte mir mit flüchtigem Händedruck »Viel Glück!«

Auf die Idee, auf den geglückten Abschluss anzustoßen, kam keiner.

Gegen die Schwellenangst: Die Buchgemeinschaften

Ein Traum. Ja, für mich ging an diesem 19. April 1969 ein Traum in Erfüllung. In meiner Schulzeit, als der Verlagsname Kiepenheuer & Witsch für mich noch nicht mehr bedeutet hatte als irgendein anderer, hatte ich mir von meinem Taschengeld die Bücher von Joseph Roth gekauft, hatte in der Oberprima ein Referat über Remarques »Im Westen nichts Neues« gehalten, »Désirée« von Annemarie Selinko meiner damaligen Freundin zum Geburtstag geschenkt, mir »Wie eine Träne im Ozean« von Manès Sperber von meinen Eltern zu Weihnachten gewünscht und mich an einer Novelle im Stil von Bölls »Und sagte kein einziges Wort« versucht. Mein Elternhaus lag in der Kölner Marienburg, quer durch den Südpark nur fünf Gehminuten vom Sitz des Verlages in der Rondorfer Straße 5 entfernt. Wenn ich unsere Hunde spazieren führte, saßen auf den Bänken des Parks möglicherweise Verlagsangestellte in ihrer Mittagspause, mit denen ich später eng zusammenarbeiten sollte. Das ahnte ich natürlich nicht, und der Umstand, dass in meinem Bücherregal neben dem Duden, dem Diercke-Weltatlas, einem Englisch- und einem Französisch-Diktionär vornehmlich Kiepenheuer & Witsch-Bücher standen, war ein Zufall, in dem ich keinen Fingerzeig sah. Hätte man mich nach dem Abitur nach meinen Berufsplänen gefragt, ich hätte wahrscheinlich nur mit den Schultern gezuckt. »Irgendwas mit Büchern?« (Heinrich Böll). Ja, das hätte ich mir vielleicht sogar vorstellen können.

Die Arbeit an meiner Doktorarbeit war keine Vorbereitung auf den Verlegerberuf im engeren Sinne, hatte aber mit dem ambivalenten Charakter des Buches als geistige Ware zu tun. Sie trägt den akademisierenden Titel »Die Kollektivierung des literarischen Konsums in der modernen Gesellschaft durch die Arbeit der Buchgemeinschaften«. Ich habe sie 1961 vorgelegt.

Auf die Idee, mich zum Ende meines Soziologie-Studiums mit den Buchgemeinschaften zu beschäftigen, brachte mich in den Dünen von Kampen auf Sylt mein Schwiegervater Joseph Caspar Witsch. Die Idee war gut, die Buchgemeinschaften waren in den 50er-Jahren in voller Blüte, und es gab keine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit deren Mitgliedern, ihrem Programm und der von ihnen entwickelten Vertriebsform beschäftigt hätte.

Professor Arnold Bergstraesser war von dem Vorhaben angetan und sagte mir Unterstützung zu. Ich betrat mir fremdes Gelände. Ich kannte niemanden, der sich bei einer Buchgemeinschaft eingeschrieben hatte, und der Gedanke, selbst Mitglied zu werden, lag mir fern. Aber das Thema reizte mich. Bei den Befragungen und deren Auswertung habe ich viel gelernt – auch als Vorbereitung auf meinen späteren Beruf.

Die Grundkenntnisse holte ich mir in der Informationsabteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Buchgemeinschaften, auch Buchclubs genannt, warben Mitglieder, die gegen eine Monatsgebühr ein Programmheft zugeschickt bekamen, aus dem sie die gewünschte Lektüre (später auch Schallplatten) auswählen konnten. Die zum Versand angebotenen Bücher waren nur in seltenen Fällen Eigenproduktionen, in der Regel erwarben die Buchgemeinschaften gegen eine geringe Gebühr Lizenzen bei den Buchverlagen und damit das Recht, nach Ablauf einer im sogenannten Hamburger Abkommen festgelegten Frist von zwei Jahren eine eigene, selbst gestaltete Ausgabe zu einem deutlich niedrigeren Preis herauszubringen. Dieses Prozedere war vom Kartellamt, das streng über Verstöße gegen die Ladenpreisbindung wachte, abgesegnet.

In einem der Bestellkataloge fand ich einen Satz, der mich aufmerken ließ. Dort hieß es, die Buchgemeinschaften wendeten sich an Leser, die sich durch das Angebot in Buchhandlungen überfordert fühlten, die beispielsweise aus Angst, den Namen eines Autors falsch auszusprechen, eine Buchhandlung nur mit Schwellenangst beträten, sich aber an den Umgang mit Büchern gewöhnen könnten und bereit seien, sich unter Anleitung »höher zu lesen«. Der Gedanke, mit Knittels »Via Mala« oder Scholochows »Der stille Don« zu beginnen, um eines Tages »Krieg und Frieden« von Tolstoi oder Goethes »Faust« mit Gewinn und Vergnügen lesen zu können, weckte meine Neugier.

Ich sah mir die Kataloge der einzelnen Buchgemeinschaften genauer an. Sie unterschieden sich durchaus in Auswahl und Ausstattung. Aber die Kurztexte, mit denen die Bücher angepriesen wurden, waren austauschbar. Bei allem tauchten Stereotype auf: die tragische Liebe, die urkomische Verwechslung, die erschütternde Wandlung, die menschliche Verirrung, die brennende Leidenschaft, die gläubige Hoffnung und die siegreiche Mutterliebe. Mit diesem Vokabular wurden Werke aller Literaturgattungen vorgestellt: Bristows Louisiana-Trilogie ebenso wie Klopstocks »Messias« oder Auszüge aus Hofmannsthals gesammelten Schriften.

Es gab Ende der 50er-Jahre dreizehn Buchgemeinschaften. Sie verkauften jährlich dreißig bis fünfzig Millionen Bücher. Die an den Verlag zu zahlenden Lizenzgebühren waren niedrig (dreißig bis fünfzig Pfennig pro Exemplar). Dennoch habe ich Verträge mit Buchgemeinschaften gern unterschrieben. Der Erlös war ein willkommenes Zubrot für den Verlag, und die Autoren freuten sich, dass ihre Bücher durch die Buchgemeinschaften in die Hände eines ansonsten für sie unerreichbaren Publikums gelangten.

Um Material für meine Dissertation zu sammeln, entwickelte ich einen Fragebogen, um bei den Buchgemeinschaften Auskunft über ihre Mitglieder und deren Lesevorlieben zu erhalten.

Die mit Abstand größte Buchgemeinschaft mit 2,5 Millionen Mitgliedern war der Bertelsmann Lesering in Gütersloh. Seine Kundenwerber hatten einen schlechten Ruf. Sie überfielen, meist zu zweit, Hausfrauen und Rentner und verließen deren Wohnung erst, wenn das Opfer den Beitrittsvertrag unterschrieben hatte. Wer in dem Katalog des Leserings nichts Geeignetes finden konnte, bekam automatisch den »Hauptvorschlagsband« zugeschickt. Im Frühjahr das Gartenbuch, vor Weihnachten die besten Rezepte für Plätzchen und Christstollen, zwischendurch einen Roman von Konsalik oder … Erich Maria Remarque. Die Entscheidung für einen Kiepenheuer & Witsch-Autor als Hauptvorschlagsband war für uns ein Freudenfest. Ein warmer Lizenzregen ging auf den Verlag nieder.

Beim Lesering gab es einen Lizenzeinkäufer, von dem ich nur noch den Nachnamen weiß: Leonhardt. Er war belesen, sammelte Pornografie und machte etwas Unerhörtes: Er nahm einige Hundert Exemplare unserer zehnbändigen Ricarda-Huch-Ausgabe ins Programm. Eine mutige Tat!

Bei meinem Besuch in Gütersloh durfte ich einen Blick in das Arbeitszimmer von Reinhard Mohn werfen. Es war riesig, möbliert mit einem leeren Schreibtisch, Sitzecke und Gummibaum, aber weit und breit kein einziges Buch, nicht einmal die Luther’sche Bibel, die er in dem ihm gehörenden Sigbert Mohn Verlag im Programm hatte.

Der Lesering hat den Medienkonzern, der sich heute Random House nennt, groß gemacht. Den Namen Bertelsmann, belastet und unattraktiv geworden, hat man weitgehend aus dem Verkehr gezogen. Er taucht nur noch gelegentlich im Zusammenhang mit der gleichnamigen Stiftung auf.

Die Büchergilde Gutenberg, die heute noch existiert, war in ihren Ursprüngen eine Initiative von Setzern, Druckern und Buchbindern. Das sieht man ihren Büchern an. Sie sind sorgfältig gestaltet, nicht selten illustriert und werden immer wieder wegen ihrer Schönheit prämiert. Sie hatte damals 310000 treue Mitglieder.

Chef des Unternehmens war Helmut Dreßler, mit Joseph Caspar Witsch so weit befreundet, dass sie zusammen Urlaub an der Riviera dei Fiori machten. Er war ein knorriger Typ, ein alter SPD-Genosse, der auch als Gewerkschaftsboss hätte Karriere machen können.

Das Programm der Büchergilde war gut bestückt mit Kiepenheuer & Witsch-Lizenzen. Aber es kam auch vor, dass der Verlag umgekehrt Bücher bezog, die in Frankfurt am Untermainkai konzipiert worden waren. So »Tyl Ulenspiegel« von Charles de Coster oder Erzählungen von Nikolai Gogol. Sie galten als Schmuckstücke. Die Hälfte der Auflage verschenkte Witsch zu Weihnachten an Freunde und Autoren.

Alle Buchgemeinschaften hier vorzustellen, würde zu weit führen. Nur noch ein paar Anmerkungen zur Deutschen Buch-Gemeinschaft. Sie gehörte einem Mann, der – wenn ich mich recht erinnere – Ernst Leonhard hieß. Mit seinem Angebot von in Halbleder gebundenen Büchern hatte er immerhin 400000 Mitglieder an sein Unternehmen gebunden. Die wollten sich nicht »höher lesen«. Im Gegenteil. Sie hatten den sozialen Aufstieg in jungen Jahren geschafft, hatten es zu mäßigem Wohlstand gebracht mit einer Sitzgarnitur im Wohnzimmer und einem Bücherregal an der Wand. Dann zerstörte der Bombenkrieg die Statussymbole der gerade erworbenen Bürgerlichkeit. Sie mussten sich im neuen Deutschland nach der Währungsreform neu einrichten. Da kamen ihnen die repräsentativen Ausgaben der Deutschen Buch-Gemeinschaft gerade recht. Die Rücken aus Leder mit Goldprägung, die Deckel aus Pappe. Ein paar Bände Schiller und Goethe, daneben Wilhelm Raabe und Gottfried Keller. So schloss sich langsam die Klassiker-Tapete.

Die Mitglieder dieser Buch-Gemeinschaft waren ein Klub von Senioren. Wenn das Augenlicht nachließ, kündigten sie ihr Abonnement. Ernst Leonhard sah die Gefahr der Überalterung und gründete, um die jüngere Generation zu gewinnen, den Modernen Buchclub. Das Programm bestand aus Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Der Lektor, der die siebentausend Mitglieder betreute, war wohl weniger mit der Titelauswahl als mit eigenen Plänen beschäftigt. Auch ihn habe ich besucht. Es war Klaus Wagenbach.

Schwiegervater und Verlegerfürst: Die Zeit mit Joseph Caspar Witsch

Den Verlag, dessen alleiniger Eigentümer ich (bis auf die Anteile von Annette, die ich erst später erworben habe) im April 1969 wurde, kannte ich aus über sechsjähriger Tätigkeit. Am 2. Januar 1963 betrat ich zum ersten Mal durch die dunkelbraune Eichenholztür das Gebäude, in dem ich mehr Lebenszeit verbringen sollte als in jedem anderen. Mein Salär hatte Joseph Caspar Witsch, Schwiegervater und Verlegerfürst, am Neujahrsmorgen festgelegt. Es war nicht viel, aber ich brachte auch nicht viel an Erfahrung mit: zwei Praktika in München, eines beim Kösel Verlag und eines bei dem kurz vorher gegründeten dtv. Ich wusste, wie die ideale Kalkulation eines gebundenen und eines Taschenbuches auszusehen hat, eine Bilanz aber hätte ich nicht lesen können.

Witsch stellte mich den Mitarbeitern vor. Von dem Rundgang durchs Haus ist mir vor allem in Erinnerung geblieben, mit welchem Nachdruck er meinen Doktortitel betonte. Worin die Aufgabe des neuen Mitarbeiters bestehen sollte, sagte er nicht. Ich fand Platz in einer Kammer unter dem Dach, neben dem Zimmer von Jörg Schröder, dem späteren März-Verleger. Vierzig Angestellte hatte der Verlag zur damaligen Zeit. Sie begegneten mir mit ratloser Freundlichkeit. Mein Einstieg bei Kiepenheuer & Witsch war kein Zuckerschlecken. Wer sich für die Beobachtungen einer Drittperson interessiert, kann das in »Siegfried«, den Erinnerungen von Jörg Schröder, nachlesen. (Aber Vorsicht: mehrfach Kraftwörter!)

Der Verlag hatte damals eine Hauszeitschrift, ein Werbeblättchen namens »Die Kiepe«. Die Titelseiten waren Artikeln von Joseph Caspar Witsch vorbehalten, der Rest bestand aus Nachdrucken von positiven Besprechungen unserer Bücher. In Ermangelung einer anderen Beschäftigung sollte ich die zunächst vier, dann nur noch zwei Ausgaben im Jahr zusammenstellen. Das war mir zuzutrauen. Immerhin stammte ich aus einer Zeitungsverlegerfamilie.

Von Witsch war ich fasziniert, ich habe seine außerordentlichen rhetorischen Fähigkeiten, seine Schlagfertigkeit und sein brillantes Gedächtnis bewundert. Ich wäre gerne im Verlag seine rechte Hand, sein Vertrauter, sein Stellvertreter bei Abwesenheit geworden. Aber die Chance, mich zu beweisen, hat er mir nicht gegeben. Partnerschaftliches Denken und Handeln waren nicht seine Stärke. Dass ich sein Schwiegersohn war und sonntags in seinem Haus am Tiroler Weg 7 in Junkersdorf mit am Tisch saß, machte die Situation nicht besser.

Von ihm habe ich in dieser Frühzeit lediglich zwei Dinge gelernt. Teo Helwig, unser Herstellungsleiter, hatte ihm die Kalkulationen der Neuerscheinungen vorgelegt. Er blätterte sie durch und sah mich dann an: »Weißt du, wie viel ein Buch kosten darf? Ganz einfach: So viel wie ein Schuh.« – Ein Paar guter Schuhe kostete damals fünfzig Mark. Bei anderer Gelegenheit fragte ich ihn, wie die Höhe der Erstauflage festzulegen sei. »Man druckt den Bedarf von drei Jahren«, war die Antwort. Wie man den Bedarf ermittelt, verriet er mir nicht. Keine Befragung des Vertriebs, keine Meinungsumfrage bei den Vertretern. Er schrieb auf die Herstellungskarteien Zahlen, die er zweimal unterstrich. Das waren Vorgaben: »Gebt euch Mühe! So viel müsst ihr verkaufen.«

 

Ich war jung, tatendurstig, aber noch unsicher. Ich konnte nicht viel vorweisen außer einem abgeschlossenen Studium der Soziologie und einem Doktortitel. Ich war unausgelastet. Wenn ich mich einbringen wollte, kam ich mit den Abteilungsleitern in Konflikt, die meinten, ihr Territorium gegen Neuerungen verteidigen zu müssen. Meine Zuflucht in dieser Situation war Dieter Wellershoff. Gegen Abend, nach der regulären Arbeitszeit, wenn es still wurde auf den Fluren, klopfte ich an seine Zimmertür. Witsch hatte ihn vor eine doppelte Aufgabe gestellt: Er sollte als Lektor Nachwuchstalente suchen und den Mangel an jungen deutschen Autoren beheben. Außerdem sollte er dem Verlag neben der Belletristik und den Sachbüchern ein drittes Standbein verschaffen: wissenschaftliche Publikationen. Wellershoff war dabei, die ehrgeizigen Pläne des Verlegers mit Bravour zu realisieren. In zwei Anthologien, »Ein Tag in der Stadt« und »Wochenende«, versammelte er Erzählungen von zwölf noch unbekannten Autoren, die sich alle als angehende Schriftsteller erwiesen. Er proklamierte 1965 in der Hauszeitschrift »Die Kiepe« einen »neuen Realismus«. »Wir brauchen eine neue Art des Sehens, einen neuen, frischen Blick«, schrieb er. Das Feuilleton der großen Zeitungen begleitete seine Pläne mit Beifall, man sprach bald von einer »Kölner Schule« unter Wellershoffs Lektoratsleitung. In kurzer Zeit machte er Kiepenheuer & Witsch zu einem Verlag, der in der oberen Liga für Gegenwartsliteratur mitspielte. Um neben den etablierten Wissenschaftsverlagen eine Chance zu haben, brauchte es eine überzeugende Idee. Wellershoff hatte sie. Er gab ihr den Namen »Neue Wissenschaftliche Bibliothek« und gewann namhafte Herausgeber für die neun Disziplinen (u.a. Jürgen Habermas für Soziologie und Hans-Ulrich Wehler für Geschichte). Auf neunzig Bände hat es die »Gelbe Reihe« zwischen 1965 und 1977 gebracht. Für mehr als zwei Generationen von Studenten waren die Bände der Neuen wissenschaftlichen Bibliothek ein unentbehrliches Hilfsmittel.

In den Gesprächen mit Wellershoff ging es um die Themen, die mich brennend interessierten. Er erklärte mir seine Vorstellung von realistischer Literatur. Die »Trümmerliteratur«, die Aufarbeitung von Krieg und dem Elend der-Jahre nach 1945, war für ihn ein abgeschlossenes Kapitel. Im Gegensatz zu einer grotesken oder satirischen Literatur suchte er nach Autoren für einen neuen, zeitgemäßen Realismus. Ich fragte ihn, wie man ein Manuskript beurteilt, welche Kriterien man anlegt und was ein Buch zu einem guten Buch macht. Er antwortete, das Wichtigste sei eine Sprache, die keine Klischees benutzt, die aber anschaulich ist. Man könne über jedes Thema eine Geschichte schreiben, sie dürfe aber nur andeuten und nicht gleich alles erzählen. Ich wollte wissen, wie man mit Autoren umgeht, wie viel Kritik man ihnen zumuten kann, wie man ihnen Mut macht und ihre literarischen Fähigkeiten steigert. Er gab mir Manuskripte zu lesen, zeigte mir seine Anmerkungen und wollte meine Meinung wissen.

Jörg Schröder erzählte mir von einer Bahnhofskneipe, in der man junge Mädchen »aufreißen« konnte, zeigte mir aber nicht seine Werbepläne und Entwürfe aus Angst, ich könnte ihm eine Idee klauen. Charlotte Ehlers, die noch unter Gustav Kiepenheuer gearbeitet hatte, saß wie ein Zerberus in ihrem Büro und schimpfte, wenn ich auch nur fünf Minuten zu spät ins Haus kam. Alexandra von Miquel, Lektorin für ausländische Literatur, war herzensgut, aber in einem solchen Maße Witsch ergeben, dass es für sie ein Sakrileg gewesen wäre, mir eine Information zu geben, bevor nicht er seinen Kommentar abgegeben hatte. Carola Stern war immer freundlich. Sie sah, wie misslich meine Lage war, einem Gespräch mit mir wich sie dennoch aus. Sie war für Bücher aus dem weiten Feld der Politik zuständig, Lektorin mit Leib und Seele war sie allerdings nicht. Sie hatte gerade ihre Ulbricht-Biografie veröffentlicht, gab Interviews und ging auf Lesereise, um den Verkauf des Buches zu unterstützen. Sie hatte gelernt, dass man zum Chef gehen muss, wenn man etwas erreichen will, nicht zu einem Schwiegersohn mit ungewisser Zukunft. Wären in den ersten Jahren Dieter Wellershoff und seine Ko-Lektorin Renate Matthaei nicht gewesen, ich hätte mich vielleicht tatsächlich auf den Bauernhof zurückgezogen, den mir Elisabeth Witsch Jahre später als das für mich geeignete Betätigungsfeld empfehlen sollte.

Da ich ein, wenn auch bescheidenes, monatliches Gehalt bezog, sollte ich mich nützlich machen und mich um Phaidon kümmern. Die Idee stammte von Buchhalter Wilhelm Moll, aber beauftragt wurde ich von Witsch persönlich.

Dieter Wellershoff bei der Fahnenlektüre im Verlagsgarten, 1970 © ullstein bild (B. Friedrich)

Es war ein Himmelfahrtskommando. Der deutsche Phaidon-Verlag gehörte zur Hälfte Kiepenheuer & Witsch, zur Hälfte dem Londoner Mutterhaus. Das Programm wurde dort gemacht und bestand zum großen Teil aus Titeln, die eine Übersetzung nicht lohnten (zum Beispiel »The Queen’s Collection at Windsor Castle«). Die wenigen Projekte, die für den deutschen Markt infrage kamen (zum Beispiel Peter Paul Rubens’ »Handzeichnungen«), enthielten schlecht gedruckte Schwarz-Weiß-Abbildungen und sahen neben den prächtig ausgestatteten Farbbildbänden, mit denen DuMont neuerdings alle Aufmerksamkeit auf sich zog, graumäusig und unattraktiv aus. Es gab die »50-Farbtafel-Bände«, zwölf an der Zahl, mit denen Phaidon beweisen wollte: »Wir können’s auch«, aber auch sie wirkten muffig und waren, da nicht kostengünstig produziert, im Laden zu teuer. Ich stellte ein Sanierungskonzept auf, machte mir Gedanken über einen ganz neuen Marktauftritt mit einem zeitgemäßen Programm. Auch was die Ausstattung anbelangte, hatte ich Ideen. Aber weder die Verlagseigentümer in London noch Witsch waren bereit zu Investitionen. Vielleicht waren beide auch nicht in der Lage, einen Neustart zu finanzieren. Es war ein langsamer Sterbeprozess, den ich nicht aufhalten konnte. Die Lagerkosten überstiegen schließlich die Umsätze. Zum Schluss meldete nur noch gelegentlich ein Ramscher Interesse an, der Bestände des einen oder anderen Titels weit unter Herstellungspreis zu übernahm.

28. April 1967

Witsch war viel unterwegs, die Arbeit auf seinem Schreibtisch blieb liegen. Autorenbesuche, Verlegertreffen, Messen, Buchpremieren, Diskussionsrunden – Witsch nahm jede Gelegenheit wahr, dem Verlagsalltag zu entfliehen. Der Wirtschaftsprüfer aus Frankfurt runzelte die Stirn, mahnte stärkere Kostenkontrollen an. Da waren die Reisen und die Menschen, die auf Veranstaltungen Beifall klatschten, eine willkommene Ablenkung. Gesund war das unstete Leben nicht: Witsch rauchte zu viel und schlief zu wenig.

Eines schönen Tages Anfang September 1966 machte er sich auf den Weg zur Enthüllung eines Maigret-Denkmals im holländischen Delfzijl, bei der er, der Simenon-Verleger, nicht fehlen wollte. Mit dem Trenchcoat überm Arm sah ich ihn aus dem Gartentor der Verlagsvilla eilen. Der Fahrer und sein schwarzer BMW warteten schon. Irgendwer rief eine Frage hinter ihm her. Er winkte zurück, ohne sich umzudrehen: »Kann warten!« – Das war der Abschied. Er hat danach das Verlagshaus nicht mehr betreten.

 

Ich habe ihn in einem Amsterdamer Krankenhaus wiedergesehen. Er lag nach einem am 3. September 1966 erlittenen Herzinfarkt, der sofort tödlich hätte ausgehen können, auf der Intensivstation. Ich sah erst nur seine Nase. Das Gesicht war eingefallen, hatte alle Spannkraft verloren, die Nase ragte spitz aus den Kissen. Seine Stimme war rau, es fiel ihm schwer zu sprechen. Er stellte sich vor, dass ich als eine Art Kurier zwischen der Rondorfer Straße und seinem Krankenbett hin- und herfahren sollte, um ihm wichtige Post und Fragen der Abteilungsleiter vorzulegen. Ich wagte nicht zu widersprechen. Aber schon beim ersten Versuch nahmen mir die Krankenschwestern die Unterlagen ab, noch bevor ich die Intensivstation betreten hatte.

Elisabeth eilte nach Amsterdam, dann die Töchter, eine nach der anderen. Er ließ es geschehen, nur nach dem Besuch von Bettina sagte er, sie solle nicht ein zweites Mal kommen. Sie hatte ihm Vorwürfe gemacht, er habe Raubbau an seiner Gesundheit getrieben. Annette war die Einzige, die er um sich haben wollte. Sie suchte für sich und unsere beiden Kinder eine Wohnung in Zandvoort mit Blick auf das Meer und verbrachte Wochen und Monate an dem Krankenbett ihres Vaters.

Am 28. April 1967 starb Joseph Caspar Witsch. Er wurde nur sechzig Jahre alt. Seine Beerdigung auf Melaten war ein Treffen aller Großen des deutschen Verlagsbuchhandels. Er hinterließ ein handschriftliches Testament, in dem er bestimmte, dass ich den Verlag mit einem Beirat an meiner Seite weiterführen sollte. Aber das Testament hatte er nicht unterschrieben, es war ungültig. Elisabeth Witsch nahm dem Toten die Omega Seamaster vom Arm und legte sie mir um. Ich verstand die Geste als ein Zeichen des Vertrauens. Als aber tags darauf Wilhelm Unger, ein Freund meiner Familie, im »Kölner Stadt-Anzeiger« einen Artikel mit der Überschrift »Der König ist tot, es lebe der König!« veröffentlichte und, ohne sich mit mir abgestimmt zu haben, behauptete, Kiepenheuer & Witsch habe einen neuen Verleger, war sie verärgert und wollte nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

Für den Verlag begann eine dunkle Phase seiner Geschichte. Die Mitarbeiter verfielen in eine Art Schockstarre. Sie waren an Anweisungen gewöhnt, nicht daran, Entscheidungen selbst zu treffen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Hinzu kam, dass in den Abteilungen die Kompetenzen nicht geklärt, funktionierende Formen der Zusammenarbeit nicht eingeübt waren und dass es keinen Cheflektor gab, der ein Programm hätte gestalten können. Alle hatten Angst, keiner wusste, wie es weitergehen sollte.

In den Nachrufen wurde Joseph Caspar Witsch als große Verlegerpersönlichkeit gefeiert. Zu Recht. Aber immer lauter wurde nicht nur in der Branchenpresse die Frage gestellt, wer die großen Schuhe ausfüllen könne, die er hinterlassen hatte. Schon um die Autoren und ihre Agenten zu beruhigen, musste dringend die Frage der Nachfolge geklärt werden. Ich wollte den Sprung ins kalte Wasser wagen. Aber die Erbinnen konnten sich nicht einigen. Mal wollten sie den Verlag verkaufen, mal einen potenten Teilhaber aufnehmen, aber sie wussten nicht, wen man ansprechen könnte. Schließlich lief es darauf hinaus, Kiepenheuer & Witsch in eigener Regie weiterzuführen.

Es begann eine Interimszeit, drei Jahre, die Kiepenheuer & Witsch nur wie durch ein Wunder überlebte. Das Drama war ein Mehrpersonenstück. In den Hauptrollen:

Elisabeth Witsch. Sie war ausgebildete Bibliothekarin wie ihr Mann, hätte beste Voraussetzungen gehabt, ein Lektorat im Verlag zu übernehmen, aber er hatte ihre Mitarbeit nicht gewollt. Nach dieser Kränkung hätte sie jetzt die Möglichkeit gehabt, an die Stelle zu treten, die er ihr verwehrt hatte. Aber das tat sie nicht. Sie ließ sich zwar als Geschäftsführerin eintragen, bezog aber im Verlagshaus kein Büro, meldete sich nur ab und zu am Telefon, um irgendwelche Bedenken anzumelden. Motivierend war das nicht.

Wilhelm Moll. Er saß hinter Stößen von unbezahlten Rechnungen und Mahnungen von Druckern und Papierlieferanten und hatte in dem Chaos seiner Buchhaltung den Überblick verloren. Trotz der zusätzlichen Kosten musste ich, als ich selbst ein Kaufangebot machen wollte, darauf bestehen, dass der Wirtschaftsprüfer aus Frankfurt gerufen wurde, um einen Finanzstatus zu machen. Ich wollte wissen, wie hoch der Verlag verschuldet war. Moll drohte mit Kündigung und bekam zur Beruhigung den Titel eines Geschäftsführers.

Bettina Witsch, die vom Vater Ungeliebte. Dann Charlotte Ehlers. Sie ging in den Ruhestand, Alexandra von Miquel, von schwerer Krankheit gezeichnet, brauchte dringend eine Assistentin, Carola Stern verließ das schlingernde Schiff und nahm einen Posten beim WDR an. In dieser Situation hätte es reichlich Betätigungsfelder für Bettina gegeben. Aber konstruktiv eine Aufgabe zu übernehmen, war nicht ihre Art. Sie tauchte ab und zu auf, ließ sich Unterlagen aushändigen, ließ – noch bevor sie sie gelesen hatte – ein »affreux« oder »incroyable« hören und verschwand wieder. Meine Beziehung zu ihr war nicht spannungsfrei.

 

Auch ich wurde Geschäftsführer. Um den Verlag vor einer Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, musste ich einige Sparmaßnahmen umsetzen, Aufgaben, mit denen sich niemand sonst die Finger schmutzig machen wollte:

Seit 1963 erschien die Monatszeitschrift »Merkur« (Untertitel: Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken) bei Kiepenheuer & Witsch und verursachte Jahr für Jahr ein Defizit von 60000 DM. Ich erinnere mich noch gut, mit welchen Beklemmungen ich im Münchener Büro von Hans Paeschke, dem Herausgeber, stand, um ihm zu eröffnen, dass wir uns den mäzenatischen Zuschuss nicht mehr leisten konnten und er sich unter das Dach eines anderen Verlages begeben müsse. »In der heutigen Zeit fehlt eine große Verlegergestalt wie der Witsch«, sagte er zum Abschied.

Ähnlich bedrückt stand ich in Paris vor der Wohnungstür von Manès Sperber. Er war 1955 mit »Die verlorene Bucht« (der erste Teil der Romantrilogie »Wie eine Träne im Ozean«) Autor von Kiepenheuer & Witsch geworden. Witsch hatte sich mit ihm angefreundet und ihm ermöglicht, eine Essay-Reihe herauszugeben. Zusammengewürfelt, ohne rechtes Konzept kamen in ihr Autoren zu Wort, mit denen der umtriebige Sperber befreundet war. Für den Verlag waren die Bände wirtschaftlich eine Katastrophe, die Auflagen schwankten zwischen dreihundert und fünfhundert Exemplaren. Sperber ahnte, warum ich zu ihm kam, er war nicht erschüttert. Er habe die Herausgeberschaft eh nur seinem Freund Jupp zuliebe übernommen. Zehn Bände seien erschienen, eine runde Zahl, er könne meine Entscheidung, die Reihe nicht weiterzuführen, verkraften. Zum Mittagessen wollte er sich von mir nicht einladen lassen.

Eine weitere schwierige Aufgabe wartete. Aus Ärger über die »dusseligen« Buchhändler, die seine Bücher nie in den gewünschten Mengen kauften, hatte Witsch die Idee, das ganze Land mit einem Netz eigener Buchhandlungen zu überziehen, um zumindest die Deckungsauflage selbst verkaufen zu können. Um das große Unterfangen zu starten, hatte er in Köln und Bonn jeweils in Universitätsnähe Buchhandlungen erworben. Fehlte es an den nötigen Mitteln, war er enttäuscht von den schlechten Umsatzzahlen seiner Sortimente oder hatte er ganz einfach die Lust an dem ambitionierten Plan verloren? Es kamen jedenfalls zum Glück keine weiteren Buchhandlungen dazu. In einem Branchenblatt war ein Artikel mit der Überschrift »Ende eines Größenwahns« zu lesen.

In der Verlagskasse war kein Geld, um die Gehälter der Buchhandlungsangestellten zu bezahlen. Gabriele, die jüngste der Witsch-Töchter, spielte kurz mit dem Gedanken, die Leitung der Läden in der Hoffnung zu übernehmen, sie zu sanieren. Sie tat es nicht, ein Schutzengel hat sie vor dem Abenteuer bewahrt. Daraufhin beschloss die Erbengemeinschaft, die Buchhandlungen abzustoßen. Ich sollte das machen. Ich tat es ungern. Auf erste Anfragen erhielt ich Absagen. Schließlich fanden sich Käufer. Sie übernahmen die Bestände, für den Namen zahlten sie nichts. Der Verlag aber hatte einen Kostenklotz weniger am Bein, das war eine Erleichterung. Ein Lob von den Damen bekam ich nicht.

Und da war noch Phaidon, das hoffnungslose Unterfangen. Mit Glück, Geld und guten Ideen wäre ein Neustart vielleicht möglich gewesen. Hier sah ich – vielleicht sogar in Kooperation mit DuMont – ein Betätigungsfeld für Annette, meine Frau. Lange Abende haben wir über ein Revival diskutiert. Aber ihr fehlte der Mut. So musste ich im Londoner Mutterhaus anfragen, ob man bereit sei, den Kiepenheuer & Witsch-Anteil an der deutschen Dependance zu erwerben. Lange wartete ich auf Antwort, dann meldete sich ein George Aldor bei mir. Er war als Chef der Encyclopaedia Britannica einer der Großen im internationalen Verlagsgeschäft, hatte gerade Phaidon London gekauft und schickte sich an, als Fuß in der deutschen Tür Phaidon Köln mitzunehmen. Er fuhr in einem schwarzen Mercedes vor, dem außer ihm drei Wirtschaftsprüfer entstiegen. Während ich mit ihm zum Mittagessen ging, machten sich die grauen Herren über Bestände, Umsatzzahlen und die Verlustrechnungen der letzten Jahre her. Vor dem Nachmittagskaffee erstatteten sie Bericht. Aldor kannte meine Vorstellungen: 50000 Mark für den Namen und der Herstellungswert der Bestände. Er strich die 50000 Mark für den Namen und unterschrieb.

Statt aber das Geld zu überweisen, stand Aldor kurz später wieder vor der Tür. Keine schwarze Limousine, keine Entouragen. Er sah mitgenommen aus. Ohne Umschweife kam er zur Sache. »Wir müssen den Vertrag rückgängig machen«, stieß er hervor. Warum? Die Eigentümer der Encyclopaedia Britannica waren nicht bereit, die ausgehandelte Summe zu bezahlen. Ich konnte und wollte mich nicht auf sein Ansinnen einlassen. »Nein«, sagte ich. »Vertrag ist Vertrag.« – Wahrscheinlich wollte man ihn aus anderen Gründen loswerden, aber man nahm den Kölner Deal zum Anlass, ihm zu kündigen. Ich habe nicht ihm, wohl aber seiner Karriere das Genick gebrochen, verbreitete der Stellungslose auf der Frankfurter Buchmesse.

Der Böll der frühen Jahre

Wichtiger als diese und andere Aufräumarbeiten war die Fortsetzung der Beziehung zu Heinrich Böll. Er prägte wie kein anderer Autor die Identität des Verlages. Und dies in doppelter Hinsicht: in der Außenwahrnehmung und ebenso im Selbstgefühl derer, die in diesem Verlag arbeiteten. Kiepenheuer & Witsch war noch Jahre über seinen Tod hinaus im Bewusstsein der Öffentlichkeit, aber auch im Bewusstsein der Mitarbeiter vor allem und in besonderer Weise der Heinrich-Böll-Verlag.

Heinrich Böll war im Frühjahr 1953 mit dem Roman »Und sagte kein einziges Wort« Autor von Kiepenheuer & Witsch geworden. Die Herstellungskartei ist erhalten: Es wurden in erster Auflage ganze 3000 Exemplare gedruckt. Joseph Caspar Witsch hatte ihm als Vorschuss eine Zahlung von 400 Mark monatlich angeboten; zum Vertragsabschluss war es Anfang Mai 1952 gekommen.

Heinrich Böll war zu diesem Zeitpunkt Mitte dreißig, war verheiratet und hatte drei Kinder zu ernähren. Die materielle Not, in der die Familie Böll in den Nachkriegsjahren lebte, und die schier unüberwindbaren Schwierigkeiten, von den mageren Einkünften aus seinen ersten schriftstellerischen Versuchen auch nur das Existenzminimum zu sichern, hat er eindringlich in Briefen seinem Freund Ernst-Adolf Kunz geschildert. Er hatte zwar in Friedrich Middelhauve einen Verleger gefunden, in dessen Verlag in Opladen bei Köln »Der Zug war pünktlich« (1949), der Erzählband »Wanderer, kommst du nach Spa…« (1950) und »Wo warst du, Adam?« (1951) erschienen waren. Aber für den jungen Autor blieb die Situation finanziell kritisch. Noch im August 1950 schrieb er an Kunz: »Die Literatur geht gut weiter; M.[iddelhauve] bringt meinen Roman [›Wo warst du, Adam?‹] ….. im Frühjahr 1951… Vom ›Zug‹ wurden im ½ Jahr 145 (!!!) Exemplare verkauft. Ganze 58 DM plus für mich bei 3500 minus.«

Das Thema von Bölls frühen Texten war der Krieg mit seinem Elend, seiner Brutalität und seiner Hoffnungslosigkeit. Und für dieses Thema war in einem Land, das nach der Währungsreform die Schrecken der Vergangenheit vergessen wollte und sich anschickte, ein Wirtschaftswunderland zu werden, eine große Leserschaft nicht zu gewinnen. Aber sicher war auch Bölls Unmut über den kleinen Verlag berechtigt, der sich kaum fähig zeigte, seine Bücher angemessen zu verkaufen. Anfang Februar 1952 hat Böll sich »von Middelhauve zunächst in völlig freundschaftlicher Weise gelöst«.

Was Witsch von Heinrich Böll gelesen hatte, als er ihm im Frühjahr 1952 ein Vertragsangebot machte, ist nicht bekannt. Aber natürlich wusste er, dass Heinrich Böll ein Jahr zuvor auf ihrer Tagung in Bad Dürkheim den Preis der Gruppe 47 gewonnen hatte. Böll hatte seine Erzählung »Die schwarzen Schafe« gelesen und den Preis mit einer Stimme Vorsprung vor Milo Dor gewonnen. Hans Werner Richter schrieb in einem Böll-Porträt, das er in seinem 1986 erschienenen Buch »Im Etablissement der Schmetterlinge« veröffentlicht hat: »… niemand kannte ihn, niemand wusste etwas von einem Heinrich Böll aus Köln …« Aber mit dem Preis der Gruppe 47 habe Böll »die erste Sprosse der Leiter« bestiegen, »die ihn bis in die schwedische Akademie und zum Nobelpreis führen sollte«.

Die Erfolgsleiter zu besteigen, erwies sich jedoch zunächst für den Preisträger der Gruppe 47 als nicht ganz einfach. Zwar haben ihm gegenüber im November 1951 nach Erscheinen des Romans »Wo warst du, Adam?« und offenbar beeindruckt von den ausnehmend guten Kritiken mehrere Verlage ihr Interesse bekundet, darunter Insel, Suhrkamp und Schneekluth, aber keiner wollte letztendlich auf den jungen Autor setzen. Richter erinnert sich in seinem Porträt, Böll sei Ende Februar 1952 mit Milo Dor in München von Verleger zu Verleger gezogen, doch sie alle hätten Böll nicht gewollt, sie hätten alle nicht »an eine neue deutsche Literatur geglaubt«. Auch bei Kurt Desch, dem Verleger von Hans Werner Richter, kam Böll nicht an. Er hielt diesen jungen, scheinbar schüchternen Mann aus Köln für zu katholisch. »Ich habe mich oft gefragt«, schreibt Richter, »was mögen jene Verleger wohl zehn oder fünfzehn Jahre später gesagt haben, als Bölls Erfolge für alle sichtbar wurden.«

Warum hat sich Joseph Caspar Witsch anders entschieden als seine Kollegen? Warum wollte er mit Böll das Risiko eingehen, das die anderen scheuten? War es der Riecher des genialen Verlegers für den künftigen Nobelpreisträger? Nicht von ihm selbst, sondern von Alfred Andersch wissen wir, Witsch sei »begeistert von dem neuen Roman [›Wo warst du, Adam?‹]«, er wolle Böll als Autor für seinen Verlag gewinnen und sei auch bereit, sofort ein Fixum zu zahlen. Wie dem auch sei: Dass Böll ein katholisch geprägter Autor war und aus Köln, der literarischen Provinz, kam, konnte Witsch nicht stören. Er selbst stammte aus Köln-Kalk, seine Eltern waren wie die von Böll Handwerker, und katholisch erzogen war der zehn Jahre ältere Witsch auch.