Mord am Viktualienmarkt - Michael Gerwien - E-Book

Mord am Viktualienmarkt E-Book

Michael Gerwien

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Ein sonniger Freitag in München. Seit Tagen bläst ein starker Föhn von den Alpen her. Die Stimmung der Menschen in München ist deshalb reichlich aggressiv und aufgekratzt. Exkommissar Max Raintaler und der Leiter der Mordabteilung, Hauptkommissar Franz Wurmdobler, lernen auf dem Viktualienmarkt zwei sympathische Urlauberinnen kennen. Noch am selben Abend verschwinden beide Frauen spurlos. Max und Franz machen sich auf die Suche nach ihnen.

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Seitenzahl: 298

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Michael Gerwien

Mord am Viktualienmarkt

EIN FALL FÜR EX-KOMMISSAR MAX RAINTALER

Zum Buch

Biergartenkrimi Freitagnachmittag in der bayerischen Landeshauptstadt. Seit Tagen herrscht eine extreme Föhnlage. Die Stimmung der Menschen in München ist deshalb reichlich aggressiv und aufgekratzt. Exkommissar Max Raintaler und sein Freund und Exkollege Franz Wurmdobler feiern im lauschigen Biergarten auf dem Viktualienmarkt die Lösung ihres letzten Falles. Kurz nachdem sie ihr erstes Bier geholt haben, gesellen sich zwei sympathische Urlauberinnen zu ihnen, die brünette Mathilde Maier und die blonde Dagmar Siebert aus Dortmund. Dagmar bleibt wenig später verschwunden, nachdem sie sich von allen wegen eines kurzen Treffens mit einem Bekannten am Marienplatz verabschiedet hatte. Da sie am Abend immer noch nicht zurück ist, machen sich Mathilde und Max auf die Suche nach ihr. Dabei wird Max von hinten niedergeschlagen. Als er wieder aufwacht, ist Mathilde ebenfalls nicht mehr auffindbar. Max und Franz befürchten, dass ein Verbrechen dahinter stecken könnte und machen sich auf die Suche nach den beiden Frauen.

Michael Gerwien lebt in München. Er arbeitet dort als Autor von Kriminalromanen, Thrillern, Kurzgeschichten und Romanen. Seine Lesungen begleitet er selbst mit Musik.

Impressum

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © EdLantis / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6938-1

1

Freitagnachmittag, München, Viktualienmarkt. Der Föhn dauerte jetzt schon drei Tage an. Es war deshalb viel zu warm für die Jahreszeit. Die trotz des Sonnenscheins teils übellaunigen und unnatürlich aufgekratzt wirkenden Gesichter der hin und her eilenden Leute bereiteten dem sportlich kurzgeschorenen Ex-Kommissar Max Raintaler keine rechte Freude.

Herrschaftszeiten, sollten sie sich doch lieber zusammenreißen und ihn ein wenig aufheitern. Mit einem netten Lächeln zum Beispiel. Föhngrantig war er schließlich selber.

»Ich hol uns noch eine Halbe«, meinte der kleine, aber dafür sehr rundliche glatzköpfige Hauptkommissar Franz Wurmdobler, sein früherer Kollege bei der Kripo.

Max saß seit einer Stunde mit ihm an einem schattigen Tisch in einem gemütlichen kleinen Biergarten inmitten der Obst- und Gemüsestände. Es roch überall nach einer wilden Mischung aus Knoblauch, Kräutern, Blumen, Käse, Bier, Schweinsbraten, Sauerkraut und Schweinswürschteln. Vor einer guten halben Stunde hatten sich zwei sympathisch wirkende, gut gekleidete Frauen im mittleren Alter zu ihnen gesetzt. Sie hatten sich ihnen als Dagmar und Mathilde vorgestellt.

»Die Damen auch noch ein Bier?« Franz zeigte auf ihre fast leeren Gläser.

»Danke, Herr Franz. Sehr lieb. Aber wir holen uns später selbst noch etwas.« Die auf seiner Seite des Tisches sitzende blonde Dagmar lächelte kurz.

»Ist in Ordnung. Man will sich auf keinen Fall aufdrängen.« Er nickte mit zurückhaltendem Gesichtsausdruck.

»Also, von mir aus gern«, erwiderte Max. Seine stahlblauen Augen strahlten fröhlich. »Bei dem trockenen Wind kriegt man ja Risse im Gesicht.«

Franz trollte sich lachend Richtung Ausschank.

Der Föhn, ein warmer Fallwind von der Alpennordseite, war in erster Linie angenehm trocken und mild auf der Haut zu spüren. Aber er wirkte auch auf das Gemüt und konnte so die Menschen im ganzen Voralpenland und speziell in München förmlich in den Wahnsinn treiben. So mancher sollte deswegen bereits aus dem Fenster gesprungen sein oder jemanden in rasender Wut erschlagen haben.

»Soll ich uns doch lieber gleich noch ein schönes Bierchen holen, Mathilde?« Dagmar bedachte ihre dunkelhaarige Begleiterin mit einem fragenden Blick.

Alle zwei waren vom Typ Naturschönheit ohne viel Schminke im Gesicht, wie Max gleich zu Beginn erfreut registriert hatte.

»Gerne, meine Liebe.« Sie schaute Max von der Seite an, während sie mit Dagmar sprach, und er bekam prompt das Lächeln geschenkt, das er sich gerade eben noch gewünscht hatte.

»Selbst ist die Frau, stimmt’s?«, sagte er und sah abwechselnd von einer zur anderen.

»Wir wollen nur niemandem zur Last fallen, Max.« Dagmar räusperte sich umständlich.

»Verstehe.«

Die zwei hatten vorhin erzählt, dass sie aus Dortmund kamen und einen kurzen Wochenendtrip zusammen unternahmen. Sie seien absichtlich ohne Anhang am Vormittag mit dem Flieger angereist. Damit sie mal richtig schön ausspannen und shoppen gehen könnten.

Max und Franz hatten die offenherzigen Geständnisse mit einem interessierten und erfreuten Kopfnicken quittiert.

Möglicherweise hatten die beiden das aber missverstanden und nun befürchtet, sich mit einem angenommenen Angebot zum Biermitbringen zu etwas zu verpflichten, das sie am Ende gar nicht wollten. Vielleicht waren sie aber auch einfach nur schüchtern oder eigen.

»Ganz schön heiß hier bei Ihnen«, richtete sich die sehr schlanke Mathilde an Max, als ihre groß gewachsene Freundin Dagmar, wie zuvor bereits Franz, in Richtung Schenke verschwunden war. »Und das sogar Ende April und am späten Nachmittag.«

»Das dürfen Sie laut sagen«, erwiderte er lächelnd. Schüchtern fand er sie eigentlich nicht. Eher zurückhaltend. Was aber auf gar keinen Fall unsympathisch wirkte. »Man nennt uns Münchner auch die Sizilianer Deutschlands.« Er zog vielsagend die Brauen hoch.

»Das habe ich schon mal gehört.« Sie lachte glockenhell. »Die Männer hier sehen auch fast so gut aus wie die Italiener.«

»Fast so gut?« Er runzelte mit gespieltem Entsetzen die Stirn.

»Besser«, korrigierte sie sich. »Weil größer.« Sie lachte erneut. »Ich persönlich mag dunkle Haare sehr gern bei Männern.« Ihr Blick war direkt.

»Blonde nicht?«

»Blonde erst recht.« Sie lachte erneut.

»Auch wenn sie kurz sind und graue Strähnen haben, wie bei mir?«

»Unbedingt.«

»Jetzt sind wir beieinander. Mir gefallen dunkle und blonde Haare auch sehr gut.« Er lachte ebenfalls.

»Hauptsache Haare.« Sie lachte noch lauter als zuvor.

»Ja, genau. Prost.«

Sie stießen mit den Resten in ihren Biergläsern an und tranken sie unverzüglich leer.

»Bei uns in Bayern duzt man sich übrigens am Biertisch, Mathilde.«

»Geht in Ordnung, Max.« Sie lachte wieder. »Bei uns in Dortmund trinkt man übrigens Pils.« Sie zeigte auf die leeren Gläser.

»Nichts für mich.« Max schüttelte sich mit gespieltem Ekel. »Viel zu bitter, und dann diese winzigen Gläschen. Da ist mir unser Münchner Helles schon lieber.«

»Hast du denn schon einmal ein Pils probiert?« Wenn sie ihren Kopf schräg legte, schien ihr die Sonne seitlich in die bernsteinfarbenen Augen und brachte sie somit auf wunderschöne Art zum Leuchten.

»Ich hab mir von einem guten Bekannten erzählen lassen, wie es schmeckt. Das reicht.« Max winkte ab.

»Aber hier in München gibt es doch sicher auch Pils.«

»Mein Durst ist viel zu groß für kleine Gläser.« Er schüttelte den Kopf. Lachte aber dabei. Natürlich hatte er bereits des Öfteren Pils getrunken, und natürlich war das hier ein reichlich inhaltsloses Gespräch. Aber das harmlose Geplänkel machte ihm gerade einfach Spaß. Schließlich konnte man sich nicht immer über Kriminalfälle, Politik, Fußball und andere wirklich wichtige Themen unterhalten.

»Flunkerst du mich etwa an?« Sie grinste breit.

»Weiß man’s?« Er machte ein geheimnisvolles Gesicht.

»Warst du denn schon einmal in Dortmund?«, fragte sie.

»Warst du schon mal auf der Zugspitze?«

»Nein. Wieso?« Sie schüttelte den Kopf.

»Na siehst du.«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.« Mathilde wirkte irritiert.

»Macht nichts, alles gut.« Er winkte mit einem erneuten Lachen ab.

»Wenn du meinst.« Sie hörte auf zu lächeln.

»Nur ein alberner Spaß«, fuhr Max fort, der bemerkte, dass sie auf dem inneren Rückzug war. Möglicherweise fühlte sie sich von ihm auf den Arm genommen. Das wollte er aber auf keinen Fall. »Aber wenn du Bayern richtig kennenlernen willst, musst du unbedingt auf die Zugspitze«, fügte er erklärend hinzu.

»Warum?«

»Weil du von da aus alles von oben sehen kannst.« Max zeigte in den weiß-blauen Himmel der bayerischen Landeshauptstadt hinauf.

»Aha, ein Romantiker.«

»Nein, Skifahrer.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Auf der Zugspitze kann man Skifahren.«

Hast du das gerade wirklich so gesagt, Max Raintaler? Anscheinend hast du bereits zu viel Sonne abbekommen. Sie kommt doch gar nicht mehr mit bei deinem Schmarrn.

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich. Deshalb war ich auch schon so oft dort oben.« Max fragte sich, wann er wohl zuletzt ein solch umständliches Gespräch geführt hatte. Blieb nur die Frage offen, ob es an ihr, an ihm, an allen beiden oder am Föhn lag.

»Dann muss ich irgendwann wohl auch mal hinauf.«

»Unbedingt. Aber heute ganz bestimmt nicht.«

»Warum?«

»Wir haben Föhn und wenn Föhn ist, tobt dort oben ein regelrechter Sturm. Zwar warm, aber heftig.«

»Was ist das mit diesem Föhn? Ich kenne das Teil nur zum Haare föhnen.« Sie lachte.

»Der Föhn ist ein warmer Fallwind aus den Alpen, der auf die Psyche geht. Die Leute drehen durch, wenn er weht.«

2

Eine blonde Frau ging direkt auf Franz zu, der in der Reihe vor der Schänke stand und ungeduldig darauf wartete, dass es weiterging. Schließlich war er nicht zum Vergnügen hier. Er hatte Durst. Als sie näher kam, identifizierte er sie schnell als Dagmar, die größere der beiden Urlauberinnen, die neben ihm und Max am selben Tisch saßen.

»Hallo, Herr Franz«, sagte sie.

»Franz genügt.« Er lächelte freundlich.

»Gut, Franz. Darf ich Sie nun doch um einen Gefallen bitten?«

»Wenn ich ihn erfüllen kann, gerne.« Er lächelte breiter.

»Könnten Sie Mathilde bitte ein Bier mitnehmen? Ich habe gerade einen Anruf von einem guten Bekannten bekommen und muss unbedingt persönlich ein paar Worte mit ihm wechseln.«

»Kein Problem«, erwiderte er. »Das hätten Sie aber auch gerne vorhin am Tisch sagen können.«

»Ich wollte nicht unverschämt wirken. Hier.« Sie hielt ihm einen Zehneuroschein hin.

»Lassen Sie nur.« Er winkte ab. »Das können Sie mir später geben. Ich leg es derweil für Sie aus.«

»Aber nehmen Sie doch.« Sie wedelte mit dem Geld.

»Passt schon.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Dann danke vielmals. Das ist wirklich sehr nett von Ihnen.« Sie schenkte ihm einen kurzen, offenen Blick, verstaute das Geld in ihrer Handtasche, verabschiedete sich von ihm und schickte sich an, Richtung Marienplatz davonzugehen.

Nach zwei Schritten drehte sie sich noch einmal zu ihm um.

»Ich bin in einer guten halben Stunde zurück«, sagte sie. »Gehe nur vor zum Rathaus. Kann ich Mathilde solange beruhigt Ihrer Obhut überlassen?«

»Selbstverständlich. Sie können meinem Freund Max und mir blind vertrauen.« Franz nickte.

»Das hört man gerne. Bis dann.« Sie winkte ihm zu und entfernte sich.

Franz blickte ihr immer noch breit lächelnd nach. Gut, dass ihn seine bessere Hälfte Sandra gerade nicht sah. Sie hätte bestimmt gleich wieder einen Grund für ihre fast schon sprichwörtliche Eifersucht entdeckt.

»Der Nächste!«, machte sich der schnauzbärtige Schankkellner mit laut schallendem Bariton bemerkbar.

»Drei Halbe, bitte. Aber gut eingeschenkt.« Franz wusste, dass sie es hier mit dem Eichstrich auf dem Glas nicht so genau nahmen. Für ihn ging so etwas gar nicht. Es kam einer Todsünde gleich, beim Bierausschank nicht korrekt vorzugehen. Da hörte jeglicher Spaß auf. Das hier war schließlich nicht Timbuktu, sondern die bayerische Landeshauptstadt. Ein Ort der altehrwürdigen Biertradition und der dazugehörigen Ernsthaftigkeit.

»Bei uns wird immer gut eingeschenkt«, erwiderte der riesige, knorrige Bursche mit den leuchtend blauen Augen.

»Da habe ich aber etwas anderes gehört.« Franz sah ihn unbeeindruckt an.

»Dann haben Sie etwas Falsches gehört.«

Der auf einmal reichlich pampige Tonfall des Bierverkäufers legte die Vermutung nahe, dass er, wie so viele andere, den starken Föhn am heutigen Tag nicht vertrug. Kunden, die ihm Widerworte gaben, offenbar erst recht nicht.

»Das glaube ich weniger.« Franz konnte es nicht leiden, wenn man ihm unfreundlich kam. Wer konnte das schon. Gleichzeitig machte er sich Vorwürfe, dass er im Moment wohl selbst nicht unbedingt der zuvorkommendste Zeitgenosse unter der Sonne war. Schließlich hatte er schon herumgemotzt, bevor der Mann überhaupt einschenken konnte. Auch nicht gerade die feine bayerische Art.

Jetzt lass ihn halt in Ruhe seine Arbeit machen. Er hat es auch nicht leicht bei dem heißen Wetter und dieser Masse an Leuten.

»Dann glauben Sie halt das Falsche.«

»Bekomme ich jetzt mein Bier, oder ist das hier neuerdings ein Debattierklub?« Franz lachte kurz über den seiner Meinung nach gelungenen Scherz, den man allerdings auch als ernst gemeint auffassen konnte.

»Wenn Sie sich weiter so aufspielen, kriegen Sie gar nichts von mir.« Der Schankkellner stemmte seine Hände in die Hüften. Er schien den Spruch von Franz nicht witzig zu finden und blickte ihn herausfordernd an.

»Da schau her. Sie wollen der Münchner Kripo also ihr wohlverdientes Feierabendbier vorenthalten«, scherzte Franz weiter.

Eines ist sicher. Der geht zum Lachen in den Keller.

»Wenn du Gartenzwerg von der Kripo bist, bin ich der Kaiser von China.« Der Schankkellner grinste höhnisch, während er mit einem abschätzigen Blick auf Franz hinunterblickte.

Der zückte nur lässig seinen Dienstausweis und hielt ihn seinem Gegenüber mit ausgestrecktem Arm unter die Nase.

»Und jetzt hätte ich gern mein Bier, Eure Majestät«, sagte er. »Gut eingeschenkt, wie gesagt. Bitte schön.« Er lächelte übertrieben liebenswürdig. Dann steckte er seinen Ausweis wieder ein.

»Äh, selbstverständlich, Herr Hauptkommissar. Das konnte ich ja nicht wissen.« Der Schankkellner deutete eine kleine Verbeugung an. Er errötete. Von einer Sekunde auf die andere standen kleine Schweißperlen auf seiner Stirn.

Franz grinste innerlich. »Jaja«, sagte er abwinkend, »schon recht.«

Schon merkwürdig, wie viele Zeitgenossen im Angesicht der Polizeimarke ein schlechtes Gewissen zur Schau tragen. Es muss mehr Leichen in den verschiedenen Kellern dieser Welt geben, als wir jemals finden können. War ich gerade ein Arschloch? Ich glaube schon. Egal.

Dann nahm er seine drei gut eingeschenkten Halben entgegen, bezahlte und ging zu Max und Mathilde zurück an den Tisch.

3

Dagmar kam nicht nach einer guten halben Stunde zurück in den Biergarten. Auch nicht nach einer Stunde. Mathilde war die Sorge um ihre Freundin deutlich anzusehen.

»Normalerweise ist sie absolut zuverlässig«, sagte sie aufgeregt zu Max und Franz. »An ihr Handy geht sie auch nicht. Sehr merkwürdig.«

»Bestimmt hat sie es leise gestellt, weil sie bei ihrem Treffen nicht gestört werden will«, vermutete Max, der längst von Franz von dessen Gespräch mit Dagmar erfahren hatte.

»Glaub ich auch.« Franz nickte.

»Ich weiß nicht.« Mathilde, die direkt neben ihm saß, knetete unruhig ihre Finger. »Hoffentlich ist ihr nichts passiert.«

»Hier in der Innenstadt?« Max schüttelte den Kopf. »Viel zu viele Leute.« Er bemühte sich, so ruhig wie möglich zu klingen.

Natürlich wusste er als Ex-Kriminaler, dass immer und überall etwas Schlimmes passieren konnte. Aber er wollte nicht, dass sich die ohnehin schon besorgte Mathilde noch mehr beunruhigte. Zumal es ihm als unwahrscheinlich erschien, dass ihrer Freundin tatsächlich etwas zugestoßen war. Es war doch oft so: Ein kurzes Treffen zog sich in die Länge, weil es auf einmal doch viel mehr zu sagen gab, als ursprünglich gedacht.

»Wenn du das sagst.« Sie lächelte flüchtig. »Mit wem mag sie sich nur getroffen haben?«

»Wenn du das nicht weißt, weiß ich es erst recht nicht.« Max sah sie mit großen Augen an.

»Stimmt.« Sie zuckte nur die Achseln.

»Sie kommt bestimmt bald wieder.« Er klang zuversichtlich. »Hast du Hunger?«

»Ich glaube schon. Weiß nicht …« Sie sah ihn unentschlossen an.

»Dann hole ich uns jetzt original bayerische Schweinswürschtel mit Kraut. Schon mal gegessen?« Er blickte sie erwartungsvoll an.

»Das letzte Mal, als ich in München war.« Sie nickte. »Schmecken sehr gut.«

»Ich bin sofort zurück.« Max erhob sich, noch während er sprach, von seinem Platz und eilte davon.

Während er sich an der Essensausgabe des kleinen Biergartens in die Reihe der Wartenden stellte, geisterten ungute Gedanken in seinem Kopf umher.

Hoffentlich ist Dagmar wirklich nichts passiert. Das wäre nicht lustig, und es hieße Arbeit.

Franz und er hatten zufälligerweise gerade gestern einen Entführungsfall abgeschlossen. Franz als Leiter des Kommissariats in der Hansastraße, in dem unter anderem Entführungsfälle und Mord bearbeitet wurden. Er als externer Berater und ehemaliger Hauptkommissar mit viel Erfahrung und einer großen Anzahl an erfolgreich gelösten Fällen.

Das wollten sie eigentlich heute feiern. Nur deshalb waren sie hier. Gott sei Dank konnten sie das Opfer, zufällig eine Frau wie Dagmar, retten und den Kerl, der sie gefesselt in einem Heizungskeller fast verhungern und verdursten ließ, fassen. Es hatte nicht lange gedauert, bis er gestand.

Er kam mit einem Teller voller Würschtel und einem Extrateller Sauerkraut sowie einer großen Brezen an den Tisch zurück.

»Das sieht aber wirklich gut aus«, freute sich Mathilde.

»Bayern von seiner besten Seite.« Franz grinste zufrieden, während er Max den Teller mit den Würsteln abnahm und ihn direkt vor sich auf dem Tisch abstellte.

»Die sind für uns alle«, ermahnte ihn Max. Schließlich kannte er seinen besten Freund aus Kindertagen in- und auswendig. »Auch für Dagmar, wenn sie gleich wieder da ist.«

»Natürlich. Was denkst du denn?« Franz zog mit gespielter Empörung die Stirn kraus. »So viele schaffe ich doch gar nicht alleine.«

»Kein Wort wahr.« Max grinste breit.

Mathildes Handy klingelte.

»Dagmar?« Max sah sie neugierig an.

»Leider nicht.« Mathilde schüttelte den Kopf. »Nur eine Freundin aus Dortmund.«

»Vielleicht weiß die ja was.« Max nickte ihr aufmunternd zu.

Sie ging ran.

»Sabine, hallo … Ja, es ist sehr schön hier. Aber stell dir vor, Dagmar ist verschwunden. Ja, hier in München. Ich sitze auf dem Viktualienmarkt und warte auf sie. Sie geht nicht an ihr Handy.« Mathilde klang nach wie vor verunsichert und nervös.

»Schon merkwürdig«, raunte Max derweil Franz zu, der gerade gierig kauend sein drittes Schweinswürschtel in die Hand nahm.

»Hmm.« Er nickte nur und aß weiter.

»Nein, sag ihm nichts. Sonst macht er sich nur Sorgen.« Mathilde sprach nun lauter. »Ach, er ist sowieso nicht zu Hause? Wo denn dann? … Aha. Na gut. Ja, ich melde mich, sobald ich etwas Neues weiß.«

Sie legte auf.

»Jörg ist nicht zu Hause«, erklärte sie Max und Franz.

»Wer ist Jörg?« Max sah sie neugierig an.

»Hmm.« Franz dagegen ließ sich auch jetzt nicht beim Essen stören.

»Ach so. Könnt ihr ja nicht wissen.« Mathilde schüttelte flüchtig lächelnd den Kopf. »Jörg Krieger ist Dagmars junger Freund daheim in Dortmund.« Sie verstaute ihr Smartphone wieder in ihrer Handtasche. »Dagmar ist der Meinung, dass er in seiner eigenen Wohnung wäre. Ist er aber nicht, meint Sabine.«

»Wo ist er denn jetzt, wenn er nicht zu Hause ist?« Max konnte nicht anders, als weiterzufragen. Die Macht der Gewohnheit des Kriminalers in ihm.

»Das wusste Sabine auch nicht genau. Sie wollte ihn etwas wegen Dagmars Geburtstag nächste Woche fragen, hat ihn aber nicht erreicht. Auch auf dem Handy nicht. Jetzt vermutet sie, dass er zum Angeln gefahren ist und sein Telefon ausgeschaltet hat.«

»Für länger?«

»Keine Ahnung. Wieso?« Mathilde zuckte die Schultern.

»Nur so.« Max blickte ausdruckslos drein.

»Er fährt immer nach Holland und verkriecht sich dort irgendwo für ein paar Tage. Vor allem, wenn er und Dagmar Streit hatten.«

»Hatten sie?«

»Kurz bevor wir losfuhren. Sie zanken sich oft.« Sie zuckte erneut die Schultern. »Er hat da wohl einen Platz am Meer, wo man vom Ufer aus Fische erwischen kann. Wo genau das ist, verrät er niemandem.«

»Aha.« Max nickte. »Vielleicht ist er ja hier in München, weil er sich versöhnen wollte.«

»Zuzutrauen wäre es ihm.« Sie sah ihn nachdenklich an.

»Du musst unbedingt auch ein paar Würschtel essen«, meinte Max. Er zeigte auf den halbleeren Teller vor Franz. »Sonst sind sie weg.«

»Ich habe eigentlich gar keinen Hunger.« Sie blickte nachdenklich durch ihn hindurch.

»Der kommt beim Essen. Mach dir nicht so viele Sorgen. Dagmar ist bestimmt bald zurück.« Er zog Franz den Teller unter der Nase weg und schob ihn vor Mathilde.

»Hey, Moment mal«, protestierte Franz, »ich bin noch nicht fertig.«

»Schon recht, Franzi. Jetzt ist aber erst mal unser Gast an der Reihe. Wir sind doch höflich, oder?«

Während Mathilde zaghaft in eines der Würschtel biss, schickte Max seiner Teilzeitlebensabschnittsgefährtin Monika Schindler eine Nachricht aufs Handy, dass es später werden würde, bis er ihr heute in ihrer kleinen Kneipe in der Nähe des Tierparks beim Ausschenken helfen könne. Er und Franz hätten leider noch kriminalistisch zu tun. Da könne er im Moment nichts dagegen tun.

Das würde sie ihm bestimmt eher nachsehen als die Tatsache, dass sie in netter Gesellschaft am Viktualienmarkt saßen und Bier tranken. Vorausgesetzt, sie glaubte ihm überhaupt, was sie oft genug nicht tat, wie er wusste.

4

»Max wollte pünktlich zum Abendessen hier sein und mir danach hinter dem Tresen helfen«, sagte Monika zu ihrer Freundin Anneliese, während sie die Tür zu ihrer kleinen Kneipe aufsperrte. Sie waren in den Isarauen spazieren gewesen, und um 18 Uhr ging, wie an jedem Wochentag, das Geschäft los. »Und jetzt klebt er sicher wieder mit Franzi an irgendeinem Bierausschank in der Stadt fest. Immer dasselbe.«

»Und wenn schon«, erwiderte Anneliese. »Du kennst doch die Männer. Sobald sie zwei Halbe zu viel haben, kommen sie ins Ratschen und Herumblödeln, und alles andere ist vergessen.«

Die platinblonde Anneliese Rothmüller war Monikas älteste und beste Freundin. Blond und schwarz passt immer gut, scherzten die zwei gerne, wenn sie zusammen ausgingen oder gemeinsam eine Urlaubsreise unternahmen.

»Aber die Arbeit hier macht sich nicht von selbst. Bei dem heftigen Föhn ist der Biergarten heute bestimmt rappelvoll.« Obwohl sie ihr Lokal über alles liebte, graute Monika fast schon vor dem abendlichen Ansturm der Gäste, der bei dem heutigen warmen Wetter von ihr allein wohl kaum zu bewältigen war. Morgen und am Sonntag würde sich das besser verteilen, weil sie da schon mittags aufmachte. Aber heute war ihr voller Einsatz gefragt.

»Und wie immer bei Föhn wird die Hälfte deiner Gäste total grantig und daneben sein«, meinte Anneliese. »Das wird ein Spaß.«

»Das darfst du annehmen.« Monika nickte.

»Ich helfe dir.« Anneliese holte sich eine der weißen Schürzen, die hinter dem dunklen Holztresen hingen, vom Haken.

»Musst du aber nicht, Annie. Genieß doch lieber deinen wohlverdienten Eheruhestand.«

»Wer rastet, der rostet.«

Annelieses Mann hatte sie wegen einer Jüngeren verlassen, ihr aber dank ihres hervorragenden Anwalts ein riesiges Haus in bester Lage sowie jede Menge Bargeld überlassen müssen. Arbeiten musste sie in den nächsten 100 Jahren garantiert nicht mehr, um ihren Lebensstandard zu halten. Aber nur alleine zu Hause zu sitzen war einfach nicht ihr Ding, wie sie Monika bereits mehrmals anvertraut hatte. Sie würde dabei irgendwann ganz bestimmt an Langeweile sterben.

Also träfe sie sich lieber mit ihrer besten Freundin. Auch wenn diese etwas für sie zu tun hätte. Arbeit schadete schließlich nicht. Noch dazu in einer netten Kneipe, in der regelmäßig jede Menge interessante Männer auf der Bildfläche erschienen. Natürlich auch uninteressante. Doch die könnte man geflissentlich übersehen. Schließlich wäre sie, genau wie Monika, eine gestandene Frau und kein leicht zu beeindruckendes Mädchen mehr wie zum Beispiel ihre Tochter Sabine. Die schien regelrecht darauf programmiert zu sein, an die falschen Typen zu geraten. Anders könne man sich ihre diesbezüglichen Missgriffe nicht erklären.

»Du bist wieder mal meine Rettung.« Monika, die selbst keine Kinder hatte – Max reichte ihr auch völlig –, atmete erleichtert auf.

»Mach ich doch gerne, Schnucki. Geh du in aller Ruhe in deine Küche und bereite alles vor. Ich kümmere mich solange um den Tresen und den Biergarten.« Anneliese warf ihr eine Kusshand zu. Dann klatschte sie entschlossen in die Hände.

»Angeblich haben sie noch kriminalistisch zu tun«, meinte Monika auf dem Weg in die Küche.

»Max und Franzi?«

»Ja.« Monika blieb stehen und drehte sich um. »Das hat er zumindest so in seiner Nachricht geschrieben.« Ihr Tonfall verriet, dass sie ihre Zweifel daran hatte.

»Vielleicht stimmt es ja.«

»Vielleicht aber auch nicht.« Monika zuckte die Achseln. »Irgendwie traue ich ihm nach all den Jahren immer noch nicht so recht über den Weg.«

»Weil er das eine oder andere Mal fremdgegangen ist?«

»Das meine ich nicht.« Monika schüttelte vehement den Kopf. »Ich sehe das auch nicht so eng. Wollte ja selbst nichts Festes.«

»Das behauptest du immer. Aber ist es auch wirklich so?«

»Es ist so, Annie.« Monika blickte entschlossen drein. »Ich habe schließlich auch nie seine Heiratsanträge angenommen.«

»Aber warum traust du ihm dann nicht über den Weg?«

»Kann ich nicht sagen.« Monika zuckte die Achseln. »Müsste ich mal drüber nachdenken.«

»Klingt irgendwie zickig.«

»Ja?«

»Ja.«

»Dann ist es halt so.«

»Sie sprechen in Rätseln, schöne Frau.« Anneliese schüttelte langsam den Kopf.

»Lass uns arbeiten.«

»Magst du vorher einen kleinen Prosecco?«

»Immer.«

5

Max, Franz und Mathilde setzten gleichzeitig ihre Gläser auf dem Tisch ab.

»Zum Bruderschafttrinken gehört aber auch ein Küsschen links und rechts«, meinte Mathilde.

»Gerne.« Franz, der direkt neben ihr saß, hielt ihr schnell seine rechte Wange hin.

Dann hauchten sie jeweils zwei Bussis neben ihren Ohren in die Luft. Anschließend kam Max an die Reihe. Er und Mathilde beugten sich dazu weit über den länglichen Biergartentisch.

»Aber wir zwei küssen uns nicht schon wieder«, fuhr er danach, an Franz gewandt, fort.

Der nickte nur mit einem breiten Grinsen.

»Das wäre geschafft.« Mathilde lächelte zufrieden. »Duzen tun wir uns ja sowieso längst. Dann bin ich wohl jetzt mit Bierholen an der Reihe.«

»Auf gar keinen Fall. Du bist unser Gast«, wehrte Franz ab. »Max hat zuletzt das Essen geholt. Jetzt bin ich wieder mit Bier dran.«

»Wirklich?« Sie war bereits aufgestanden und blieb unschlüssig stehen.

»Setz dich wieder.« Franz entfernte sich schnell Richtung Schenke. Seinem breiten Grinsen nach freute er sich offensichtlich schon auf das Wiedersehen mit seinem neuen Freund, dem Schankkellner.

»Vielleicht sollten wir uns bald mal auf die Suche nach Dagmar machen«, meinte Max. Er hatte die ganze Zeit über immer wieder an Mathildes verschwundene Freundin gedacht und machte ein ernstes Gesicht.

»Mir wäre es auch lieb. Sie ist jetzt wirklich zu lange fort, ohne erreichbar zu sein. Ist sonst gar nicht ihre Art.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Dabei hatten wir vor der Abreise extra abgemacht, immer die Handys anzulassen, falls wir uns verlieren sollten.«

»Wir könnten hier und da ein paar Leute nach ihr fragen. Vielleicht ist sie jemandem aufgefallen.«

»Den Leuten auf der Straße?« Mathilde sah ihn ungläubig an.

»Nein.« Max schüttelte nun ebenfalls den Kopf. Nur etwas schneller und entschiedener, als sie es zuvor getan hatte. »Wir fragen die Straßenkünstler, die Besitzer der Obststände und Metzgereien und so weiter, die auf dem Weg zum Marienplatz und drum herum liegen.«

»Das könnte Sinn machen.« Sie nickte jetzt nachdenklich. »Dann wissen wir vielleicht auch, mit wem sie unterwegs ist.«

»Eben.« Max nickte ebenfalls.

Franz kam zurück.

»Wir trinken zügig aus und suchen dann nach Dagmar«, empfing ihn Max. »Was meinst du?«

»Gute Idee«, erwiderte er. »Ich muss bloß um 20 Uhr daheim sein. Wir sind bei den Nachbarn zum Essen eingeladen.«

»Schon wieder essen?« Max runzelte die Stirn.

Franz war einfach ein Unikat. Dieser Mensch musste in einer Tour rauchen, essen oder trinken, wenn er sich nicht gerade kopfüber in die Arbeit stürzte. Max machte sich seit längerem Sorgen um Franz’ Gesundheit. Aber wie brachte man einem Kamel bei, durch ein Nadelöhr zu gehen?

»Was glaubst du denn? Ich hab schließlich nur ganz wenige von den Würschteln abbekommen.« Franz untermauerte seine Aussage mit einem unschuldigen Augenaufschlag.

»Geht’s noch?« Max sah ihn höchst verwundert an. »Du hast zehn von 15 Würsteln gegessen. Mathilde fünf. Ich hatte gar keins.«

»Zehn winzige Schweinswürschtel reichen gerade mal für den hohlen Zahn.« Franz blickte unverwandt zurück. »Außerdem, seit wann bist du zusätzlich zu deiner üblichen Erbsenzählerei jetzt auch noch ein Würschtelzähler?«

»Das sagt der Richtige. Wer zählt denn jedes Bier, das ich trinke, wenn Moni nicht dabei ist? Unglaublich.« Max lachte laut und künstlich.

Einige der Umsitzenden drehten sich neugierig zu ihnen um.

»Alles gut, Leute.« Max winkte ihnen weiterlachend zu. »Genießt euer Bier. Hier gibt es nur eine kleine föhnlastige Diskussion unter Freunden.«

Die Angesprochenen wandten sich murmelnd wieder ab.

»Ich wüsste nicht, was an hungrigen Menschen so besonders lustig ist«, meinte Franz zu Max. Er sah ihn ein wenig vorwurfsvoll und neugierig zugleich an.

»Nichts, was du nicht selbst wüsstest, Franzi.« Max lachte erneut. Diesmal allerdings nicht mehr aufgesetzt, sondern ehrlich amüsiert. »Herrschaftszeiten, wenn es dich nicht gäbe, müsste man dich glatt erfinden.«

Mathilde, die ihnen zugehört hatte, blickte nur lächelnd von einem zum anderen. Kindische Männer schienen ihr nicht fremd zu sein.

6

Es war 19.15 Uhr. Monikas kleiner Biergarten war bereits fast bis auf den letzten Platz besetzt. Sie und Anneliese hetzten im Affenzahn zwischen Tresen, Küche und den Gästen hin und her.

»Max kriegt was zu hören!«, sagte Monika zu ihrer besten Freundin während einer kurzen Verschnaufpause hinter der Bar. »Das ist ja jetzt schon kaum zu schaffen. Was wird das erst nachher, wenn die ganzen Stammgäste dazukommen?«

»Vielleicht kann er wirklich nicht kommen«, räumte Anneliese ein.

»Verteidigst du ihn etwa?«

»Du bist manchmal einfach zu misstrauisch.«

»Kriegen wir das alleine hin?« Monika ignorierte die Kritik an ihrer Person. Sie zeigte durch ein offenes Fenster auf den dicht bevölkerten Biergarten.

»Aber sicher.« Anneliese nickte. Sie begann damit, ihre nächste Bestellung selbst am Zapfhahn abzufüllen.

Monika ging derweil in die winzige Küche gleich hinter dem Tresen, um zu kochen. Ihre selbstgemachten Fleischpflanzerl gingen heute weg wie warme Semmeln.

Als sie wenig später zurück in den Schankraum kam, hörte sie durch die offen stehenden Fenster aufgeregtes Schreien und Schimpfen.

Sie eilte vor die Tür, um nachzusehen, was dort vor sich ging.

Als sie im Biergarten ankam, sah sie zwei Männer in Jeans und Lederjacke, die sich an einem Tisch gegenüberstanden und sich gegenseitig Bier in die vor Wut geröteten Gesichter schütteten.

Dabei trafen sie mit der wertvollen bernsteinfarbenen Flüssigkeit auch unschuldige Umsitzende an den Nebentischen, die sich darüber lautstark mit einfallsreichen bayerischen Beleidigungen beschwerten.

Drei von ihnen erhoben sich gerade und machten Anstalten, die durchgedrehten, dem Dialekt nach offenkundig norddeutschen Bierspritzer persönlich zur Räson zu bringen. So wie sie aussahen, würden sie dabei wohl auch nicht vor der Anwendung roher Gewalt zurückschrecken.

Bayern gegen Preißn. Das konnte schnell eskalieren.

Monika eilte zum Tisch der Streithähne.

»Hey, ihr zwei. Streiten könnt ihr euch woanders!«, rief sie ihnen zu. »Hört endlich auf damit, oder sollen wir die Polizei rufen?«

»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, erwiderte der kleinere Schnauzbärtige, während er sich blitzschnell das Glas seines Tischnachbarn zur Linken griff und damit seinem Gegenüber erneut eine satte Dusche verpasste. Das karierte Hemd seines Kontrahenten wurde dabei komplett nass.

»Das hier ist meine Angelegenheit, weil mein Biergarten.« Monika deutete mit ihrem Zeigefinger auf sich selbst.

»Papperlapapp. Verschwinde in deine Küche!«, kam es unverschämt vom kleinen Schnauzbart zurück.

»Wollen Sie mir etwa sagen, was ich in meinem Lokal zu tun oder zu lassen habe?« Monika wurde laut. Wenn sie etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, waren es Anmaßung, Unhöflichkeit und grobe Unverschämtheiten, auch wenn heute noch so starker Föhn war. Das war keine Entschuldigung.

»Hau schon ab.« Der Mann schnappte sich das nächste Bier an seinem Tisch und schüttete es seinem größeren, aber dünneren Widersacher mitten ins Gesicht.

Der kam jetzt kaum noch zum Luftholen.

»Hör endlich auf, Joschi. Ich hatte nichts mit deiner Frau!«, rief der mit ausgestreckten abwehrenden Armen, sobald er wieder reden konnte.

»Na klar, der schöne Helmut Weiser hatte nichts mit meiner Marianne.« Joschi lachte unecht. »Und warum habt ihr euch dann letzte Woche im Swingerklub getroffen?«

»Reiner Zufall. Ich war mit meiner eigenen Frau dort.«

»Das heißt gar nichts in einem Swingerklub.«

»Stimmt, aber ich hatte wirklich nichts mit Marianne. Frauen von Freunden sind für mich tabu. Ich schwöre es dir bei allen Heiligen.«

»Ich glaube dir kein Wort.«

»Kannst du aber.« Helmut schüttelte den patschnassen Kopf wie ein Hund, der nach dem Baden aus dem See gestiegen war.

»Ich war noch nie in einem Swingerklub. Hab alles darüber gelesen. Das ist Schweinkram. Da bumsen sie durcheinander und sie gucken den anderen dabei zu. Pfui Teufel.« Joschi schüttelte sich mit deutlich erkennbarer Abscheu.

»Bitte, meine Herren«, mischte sich Monika ein. »Nehmen Sie wieder Platz und besprechen Sie Ihre Beziehungsprobleme in einer Lautstärke, die meine anderen Gäste nicht stört«, sagte sie. »Oder Sie sitzen ganz schnell draußen auf der Straße. Vor allem hören Sie mit diesem unappetitlichen Herumspritzen von unserem guten Bier auf.«

»Genau. Das ist eine Sünde in Bayern, ihr hirnlosen Kaschperlköpfe«, sagte der größte und breiteste der drei Bayern, die immer noch kampfbereit vor ihren Stühlen standen.

»Ihr sollt alle eure Schnauze halten!«, brüllte der kleine und nach wie vor komplett rabiate Joschi, den im Moment nichts auf dieser Welt zu beeindrucken schien. Er zuckte mit seinem Kopf hin und her wie ein Eichhörnchen auf Ecstasy.

»Komm schon, Joschi. Reg dich endlich wieder ab.« Helmuts Stimme klang wie die eines Krankenpflegers während der morgendlichen Medikamentenverteilung.

»Schnauze, Helmut.« Offensichtlich wollte sich Joschi nicht so schnell abregen.

»Das wird mir jetzt zu dumm«, raunte Monika der neben ihr stehenden Anneliese zu. »Ich rufe die Polizei.« Sie zog ihr Handy aus der Schürzentasche. »An dem Vollpfosten mache ich mir garantiert nicht selbst die Hände schmutzig.«

»Recht hast du. Aber dass der Föhn jetzt auch schon die Zugereisten verrückt macht, wundert mich, ehrlich gesagt.« Anneliese schüttelte den Kopf. »Ich dachte immer, das betrifft nur uns Einheimische.«

»Der Föhn ist für alle da.«

»Schaut ganz so aus.« Anneliese betrachtete noch einmal staunend und weiterhin ihren Kopf schüttelnd die Szenerie vor ihnen. »Männer«, murmelte sie. Vor allem der aufgebrachte Kläffer Joschi schien ein tiefergehendes Aggressionsproblem zu haben.

Monika wählte derweil die Nummer des nächstgelegenen Polizeireviers. Sie sollten ihr, so schnell es ging, einen Streifenwagen vorbeischicken. Bei Max und Franz brauchte sie es erst gar nicht zu versuchen. Die waren bestimmt längst jenseits von Gut und Böse und spritzten möglicherweise selbst mit Bier herum. Dabei hätte sie die beiden gerade wirklich dringend brauchen können, verflixt noch mal.

7

19.25 Uhr. Die Sonne stand bereits sehr niedrig am Himmel. Trotzdem wehte immer noch ein heißer Wind durch die belebte Münchner Innenstadt. Franz standen die Schweißperlen auf der Stirn. Max und Mathilde ging es nicht viel besser.

»Bin ich eigentlich in Afrika oder in Bayern?«, fragte Mathilde in die Runde.

»Das ist eine berechtigte Frage. Der Föhn war schon lang nicht mehr so heftig wie heute«, erwiderte Franz.

»Brutal«, meinte Max.

»Ich verstehe wirklich nicht, wo sie bleibt.« Mathilde hatte bisher mindestens zehnmal, aufs Äußerste beunruhigt, Dagmars Nummer gewählt und ihr immer wieder Nachrichten aufs Handy geschickt.

»Das wird in der Tat langsam etwas seltsam«, meinte Franz.

»Ich denke, wir sollten uns sofort auf die Suche nach ihr machen«, meinte Max. »Solange sich noch jemand an sie erinnert.«

»Ich muss, wie schon gesagt, heim zu dem Essen bei den Hubers. Gleich 19.30 Uhr.« Franz zeigte auf seine Armbanduhr. »Schafft ihr das auch ohne mich mit der Suche?«

»Sicher«, erwiderte Max. »Wenn nicht, rufen wir deine Kollegen auf dem Revier an.«

»Die melden sich aber dann sofort bei mir.« Franz klang beunruhigt. »Kann man das nicht anders lösen?«

»Vielleicht finden wir sie ja auch selbst.« Max schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann musst du nicht deinen wertvollen freien Abend opfern.«

Manchmal war Franz wirklich kaum auszuhalten. Genau betrachtet, grenzte es nahezu an ein Wunder, wie er es mit seiner arbeitsscheuen Einstellung zum Leiter des K11, vorsätzliche Tötungsdelikte, Geiselnahme, Menschenraub, gebracht hatte.

»Das klingt gut.« Franz blickte zufrieden drein. »Es ist ja vor allem wegen meiner Sandra, weißt du?«

»Ich weiß.« Max nickte.

Natürlich ist es nicht wegen Sandra, sondern vor allem wegen dem Essen, dem Bier und dem Schnaps. Wieso glaubt er eigentlich, mich nach all den Jahren, die wir uns kennen, immer noch anschwindeln zu können?

»Aber wenn es gar nicht anders geht, dann kannst du mich gerne anrufen«, räumte Franz großzügig ein. »Nach dem Essen natürlich. Es gibt Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Kraut. Das kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.«

»Um wie viel Uhr wäre das dann ungefähr mit dem Anruf, Herr Hauptkommissar?« Max versuchte die Ironie in seiner Stimme gar nicht erst zu verbergen.

»So um 21.30 Uhr herum müssten sie die Nachspeise serviert haben. Du brauchst außerdem gar nicht so spitz daherreden.« Franz bedachte ihn mit einem strafenden Blick.

»Also dann kurz nach 21.30 Uhr?«

»Lieber 22 Uhr.« Franz machte ein ernstes Gesicht. »Am Schluss gibt es immer noch Espresso.«

»Ein genauer Stundenplan, Respekt.«

»Der Josef Huber war Oberstleutnant bei der Bundeswehr. Jetzt ist er pensioniert wie du.« Franz hob vielsagend die Brauen.