Mord, Totschlag und so .. - Ernst Reuß - E-Book

Mord, Totschlag und so .. E-Book

Ernst Reuß

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Beschreibung

Nichts für schwache Nerven Von tragischen, skurrilen und bizarren Strafrechtsfällen aus dem Bereich Mord und Totschlag handelt das Buch von Ernst Reuß. Jeder Fall hat seine besondere juristische Eigentümlichkeit. Da geht es um die Strafbarkeit des Endes einer tragischen Liebe, um einen Mord ohne Leiche, um Kannibalismus, um Raser, um Mord aus reiner Mordlust und andere Sachverhalte. Der Autor hat jenseits der reißerischen Medienberichte recherchiert und juristische Quellen, v. a. Urteilsbegründungen, kritisch ausgewertet. Das Juristendeutsch in kurzweiligen Texten kommentierend, gelingt es ihm, ein tieferes Verständnis der Abwägungskriterien bei der Urteilsfindung zu wecken. Spannend sind diese Fälle, die deutschlandweit in den Medien verfolgt wurden ‒ interessant nicht nur für den juristischen Laien, doch nichts für schwache Nerven. Reale Rechtsfälle, zusammengestellt aus den Gerichtsakten und Presseartikeln. Für jene, die mehr wissen wollen, als in Zeitungen und TV berichtet wurde.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ernst Reuß

Mord, Totschlag und so ..

Echte Kriminalfälle

Publikationsauswahl: Berliner Justizgeschichte, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern, Gefangen! Zwei Großväter im Zweiten Weltkrieg, Mord? Totschlag? Oder was?, Sirius, Katzenkönig und Co., Mord und Totschlag in Berlin, Endzeit und Neubeginn

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Eine tragische Liebe

Der Stückelmörder

Der Junge und der Rentner

Der Müggelheim Killer

Der Rentner Killer

Mord ohne Leiche

Eifersucht eines Bodybuilders

Menschenfresser

Mörderische Raser oder rasenden Mörder

Mord aus reiner Mordlust

Der Kindsmörder

Die Kindsmörderin

Dominik Brunner

Impressum

Ernst Reuß

Mord, Totschlag oder so

Neues aus Deutschlands Strafgerichten

Impressum

Texte © Copyright by erma Verlag, Neue Straße 14, 97493 Bergrheinfeld, [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

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Eine tragische Liebe

Der „traurigste Mordprozess Berlins“ titelte nach der Urteilsverkündung die Welt am 18. Juni 2021. Der Berliner Kurier berichtete bereits am ersten Prozesstag, am 7. Juni:

„Nach fast 52 Jahren Ehe stand er nachts auf und holte einen Hammer: Mindestens 30 Mal schlug Peter G. (84) auf seine geliebte Frau (93) ein. Fünf Monate nach dem schrecklichen Ehe-Drama der Prozess. Die Anklage lautet auf heimtückischen Mord. Ilona G. soll geschlafen haben, als er sie brutal angriff. Erst malträtierte er sie mit einem Hammer, dann mit einem Messer.“

Unfassbar!

Peter G., der Täter, wurde 1937 als jüngstes von sechs Kindern in Berlin-Lichtenberg geboren. Kriegsbedingt konnte er ernsthaft erst 1946 zur Schule gehen, die für ihn bereits 1950 endete. Danach wurde er Werkzeugmacher.

1957 ging die Familie nach Westberlin. Ein Jahr später heiratete G., ließ sich aber 1962 wieder scheiden. Wiederum ein Jahr später lernte er seine zehn Jahre ältere zweite Ehefrau Ilona, das spätere Tatopfer, bei der Arbeit kennen und lieben. Sie war Feinlöterin. Man heiratete 1965 und lebten bis zur unbegreiflichen Tat harmonisch zusammen. 1997 ging Peter G. in Rente. Ilona und Peter waren sich in ihrer Berlin-Neuköllner Wohnung selbst genug und hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Eltern und Geschwister bereits verstorben, Kinder hatten die beiden nicht. Kontakte pflegten sie nicht. Ilona verfügte altersbedingt ebenfalls kaum noch über Kontakte, so dass beide völlig auf sich allein gestellt waren, was wohl der Auslöser für die brutale Bluttat war.

Der Gesundheitszustand des Ehepaars war nicht besonders gut. Peter hatte immer wieder stationäre Krankenhausaufenthalte. Ilona hatte die im 3. Stockwerk gelegene Wohnung ohne Fahrstuhl bereits seit 2017 nicht mehr verlassen. Treppensteigen ging nicht mehr.

„Einen Umzug in ein Seniorenheim, eine altersgerechte Wohnung oder Unterstützung durch Dritte lehnte sie kategorisch ab“,

so das Gericht.

Ilona war geistig immer noch fit und führte den Haushalt, rutschte aber langsam in eine Depression. Sie kam sich vollkommen überflüssig vor, wie sie ihrem Ehemann gestand. Laut Peter habe sie ständig geweint, es aber immer versucht vor ihm zu verbergen. Aus der lustigen, lebensfrohen Frau von einst sei plötzlich ein ernster und verschlossener Mensch geworden, zu dem er kaum noch Zugang gefunden habe. Peter konnte sie nicht mehr aufmuntern und auf andere Gedanken bringen. Er sprach mit ihrem Hausarzt, der sie bei einem Hausbesuch zu überreden versucht hat ins betreute Wohnen zu ziehen, was Ilona ebenso wie den Umzug in ein Altersheim strikt ablehnte. Häufig können sich ältere, pflegebedürftige Menschen kaum vorstellen, dass sich fremde Menschen um einen kümmern sollen. Peter und Ilona gehörten zu einer Generation, die nicht so einfach um Hilfe bittet.

Peter erledigte seit 2017 die Einkäufe, machte sich aber zunehmend um das Wohl seiner Frau Sorgen und wurde selbst depressiv. Ilona weinte weiter, regelmäßig auch nachts im Bett und wohl in der Annahme, er schlafe. Peter sagte später aus, dass er immer Panik bekommen habe, wenn er nicht zu Hause gewesen sei. In den Wochen vor der Tat habe er kaum schlafen können, wenn er daran gedacht habe, wie es weitergehen soll. Die letzten vier Wochen vor der Tat habe sie nachts nur noch gewimmert und er habe nicht mehr gewusst, was er machen soll, habe sich aber auch nicht getraut, weiter nachzufragen. Er selbst schlief aus Sorge um seine Ehefrau kaum noch.

Im Dezember 2020 stürzte er dreimal und musste stationär ins Krankenhaus.

Nach dem ersten Sturz in der Wohnung am 7. Dezember stürzte der Angeklagte am 15ten auf der Straße bei der Erledigung von Einkäufen so schwer, dass er die Wohnung in den Tagen darauf nicht verlassen konnte. Erstmals bat er Nachbarn darum für ihn einzukaufen und Medikamente aus der Apotheke zu besorgen. Während Corona hatte er das freundliche Angebot der Nachbarn noch abgelehnt. Laut Berliner Zeitung vom 18. Juni sagte die Nachbarin vor Gericht wie folgt aus:

„‘Ich war froh, endlich helfen zu können, für ihn einkaufen zu gehen‘, sagt die 34-jährige Nachbarin als Zeugin. Sie habe gemerkt, dass es den freundlichen alten Herrn Überwindung gekostet habe, um Unterstützung zu bitten. Erst jetzt lernte sie auch Frau G. kennen, die sie zuvor noch nie gesehen hatte. Eine ‚verhuschte und etwas durcheinander wirkende alte Dame‘ sei sie gewesen. „Herr G. war es, der alles organisiert hat. Es war ein liebevolles Kümmern um seine Frau“, erzählt die Nachbarin. Einen Streit habe sie nie gehört. Nur abends den laut gestellten Fernseher, wenn die ‚Tagesschau‘ lief.“

Zu einem dritten Sturz kam es am Tag vor Silvester, bei dem sich Peter eine etwa fünf Zentimeter lange Platzwunde zuzog und noch am selben Tag im Krankenhaus Neukölln stationär zur Behandlung aufgenommen wurde.

Zuletzt musste er seine Ilona unversorgt in der Wohnung zurücklassen, denn die Nachbarinnen waren über Silvester verreist. Vielleicht wäre ohne diese nachvollziehbaren Urlaubspläne alles ganz anders verlaufen?

In dieser für Peter wohl unlösbaren Situation sollte das Unfassbare geschehen. Am 5. Januar wurde eine Magen-/Darmspiegelung durchgeführt und fälschlicherweise ein Tumor im Zwölffingerdarm diagnostiziert. Eine verzweifelte Lage für Peter, der sich für seine Frau verantwortlich fühlte und nicht wusste was mit ihr werden würde, wenn er nicht da war.

Peter sollte im Krankenhaus bleiben, wollte aber einen Tag vor deren Geburtstag nach Hause zu seiner Frau. Deshalb zog er sich spontan an und verließ außer sich vor Sorge um seine Ehefrau ohne vorherige Rücksprache mit Ärzten oder Pflegepersonal das Krankenhaus. Er begab sich nach Hause, wo er gegen 17 Uhr 30 eintraf. Spätestens dort erzählte ihm Ilona, dass sie in der Küche gestürzt sei und trotz lauter Hilferufe längere Zeit hilflos auf dem Fußboden gelegen habe. Sie konnte vor Schmerzen kaum laufen. Der Hausarzt war auch verreist, daher, schlug er seiner Ehefrau vor, ihn am nächsten Tag zur stationären Behandlung ins Krankenhaus zu begleiten, was Ilona vehement ablehnte. Die Vorstellung, die Hilfe eines Pflegedienstes oder sonstige Unterstützung in Anspruch zu nehmen, war für sie ein Albtraum. Peter war nun vollkommen verzweifelt. Peter schlägt seiner Ilona vor, wenigsten eine Nacht über seinen Vorschlag zu schlafen.

Gemeinsam saßen beide noch eine Weile vor dem Fernseher und aßen danach zu Abend. Spätesten als Peter seine Ilona später vor dem Schlafen gehen zur Toilette humpeln sah, gelangte er wohl zu der Überzeugung, dass die Sache jetzt irgendwie zu Ende gebracht werden müsse, da er zudem fürchtete an Krebs sterben zu müssen, und er seine „Kleene“, so nannte er sie wohl immer, auf keinen Fall allein in der Wohnung zurücklassen wollte.

Das Gericht:

„Als diese gegen 02:00 Uhr noch einmal die Toilette aufsuchte, begab er sich ins Wohnzimmer, holte einen haushaltsüblichen Hammer aus der Kommode, den er neben sich im Bett platzierte, und wartete, bis seine Ehefrau von der Toilette zurückkam, sich hinlegte und wie gewöhnlich wenige Minuten später wieder einschlief. Anschließend ergriff er (...) den Hammer (...) und schlug (...) einmal gegen die rechte Schläfe seiner rechts neben ihm im Bett liegenden Ehefrau, die davon aufwachte, laut zu schreien begann und versuchte, die Schläge mit den Händen abzuwehren. Insgesamt schlug der Angeklagte mit dem Hammer weit mehr als 20 Mal gegen den Kopf seiner Ehefrau, um sie zu töten bzw. zur Ruhe zu bringen, da er ihr Schreien nicht ertragen konnte“

Ilonas Schädel war zertrümmert. Sein Plan sie mit einem einzigen Schlag zu töten war misslungen. Mit Widerstand hatte er nicht gerechnet. Als er Ilona mit dem Hammer auf die rechte Schläfe geschlagen habe, sei sie - so das Gericht:

„aufgewacht, habe: „Aua, aua, warum machst du das?“ gerufen und sich gewehrt, weshalb er immer kräftiger zugeschlagen habe.“

Je mehr sich seine Frau wehrte, desto kräftiger schlug Peter G. zu, auch ins Gesicht.

Danach machte Peter kurz das Licht an und, nachdem er sah was seine Schläge angerichtet hatten, sofort wieder aus. Erschrocken über das was er angerichtet hatte.

Er geriet nun vollkommen in Panik und weil er glaubte noch Puls zu spüren, begab er sich in die Küche, holte ein Küchenmesser schnitt seiner Ehefrau zunächst in die rechte Halsseite und stach das Messer anschließend noch achtmal in die linke Brustseite, um sicherzustellen, dass diese auch tatsächlich tot war. Experten sprechen dabei von einer „Übertötung des Opfers“.

Später will er sich angeblich daran nicht mehr erinnern können. Zu den Messerstichen, die er ja nicht abstreiten konnte, soll er laut Stern Crime den Ermittlern später gesagt haben:

„Wenn man so ’ne Jewalttat macht, da setzt der Verstand aus – dit muss bei mir jewesen sein. (...) Ick globe, da war dit kleene Mädchen schon langst tot.“

Ilona starb in der Nacht zu ihrem 93. Geburtstag.

Peter verließ er das Schlafzimmer, holte Schnaps und Bier und ließ sich im Wohnzimmer auf einem Sessel nieder Er wollte sich aus Verzweiflung nun selbst umbringen, was ihm allerdings nicht gelang. Mit dem Messer hatte er sich Schnitte an beiden Handgelenken zufügt, die jedoch nicht tief genug waren, um größere Blutgefäße zu verletzen.

Zuvor hatte er noch Kartons in die geöffnete Wohnungstür gestellt, damit Nachbarn auf das was geschehen war aufmerksam werden.

Den Plan, sich umzubringen hatte Peter erst jetzt gefasst.

Das Gericht:

„Über die Möglichkeit, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, hatten die Eheleute zwar in der Vergangenheit gesprochen; es war aber für beide – auch für seine Ehefrau, die ein solches Vorgehen ablehnte – nicht in Betracht gekommen. Nachdem dem Angeklagten irgendwann bewusst geworden war, dass der Versuch, sich ebenfalls umzubringen, fehlgeschlagen war, alarmierte er um 11:38 Uhr, 11:42 Uhr und 11:48 Uhr die Polizei und gab an, seine Ehefrau erschlagen zu haben.“

Laut Stern Crime soll sich die Kontaktaufnahme mit der Polizei folgendermaßen abgespielt haben:

„Der Anrufer spricht mit starkem Berliner Dialekt. Er nennt seinen Namen und seine Adresse in der Mahlower Straße. „Warum sollten wir kommen?“, fragt der Mann inder Notrufzentrale. Der Anrufer legt auf. Um 11.42 Uhr klingelt das Telefon erneut.‘Ick hab schon mal anjerufen.‘ Dieses Mal wirkt der Anrufer ein wenig ungehalten. ‚Dit is ’ne tote Frau. Die ham se erschlagen!‘, sagt er. Wie lange dauert dit denn noch, bis ihr reagiert, ihr Pfeifen?‘ Um 11.48 Uhr dann der dritte Anruf: ‚Dit is hier wirklich keen Scherz. In der Mahlower Straße liegt ’ne tote Frau, die ick erschlagen hab.‘ Zur selben Zeit trifft der erste Streifenwagen an der genannten Adresse ein.“

Peter G. saß laut Stern Crime apathisch und vollkommen blutverschmiert in kurzer Schlafanzughose und Unterhemd im Wohnzimmersessel. Vor ihm auf dem Tisch eine geöffnete Bierflasche und Weinbrand. An den Handgelenken hatte er Schnittwunden. In der rechten Armbeuge steckte ein Venenzugang vom Krankenhaus. Vor dem Sessel lag ein Küchenmesser mit einer blutigen Klinge. Als Peter die Polizisten sah, zeigte er wortlos auf die Tür zum Schlafzimmer.

Die Polizisten sahen dort sofort was geschehen war.

Im Schlafzimmer lag quer über die linke Betthälfte, der mit einem Nachthemd bekleidete Leichnam einer Frau. Ilona. Der Schädel war zertrümmert. Am Hals und in der Brust sah man Schnitte und Stiche. Rechts daneben lag ein Hammer voller Blut. Blutspritzer waren überall auf dem Bett, an den Wänden, an den Gardinen und am Fenster. Sogar an der Decke fand man einen Blutspritzer.

Ilona soll auch eine Verletzung an der rechten Handkante gehabt haben, wohl eine Abwehrverletzung. Bluttropfen auf dem Oberschenkel sprachen dafür, dass sie sich während der Tat mit dem Oberkörper aufgerichtet hat. Der Gerichtsmediziner stellte später fest, dass zuerst die Schläge gegen den Kopf, danach die Schnittverletzungen am Hals und zuletzt die Stiche in die Brust erfolgt seien. Ausschließen konnte er nicht, dass Ilona nach den Hammerschlägen noch gelebt habe.

Auf die Polizisten vor Ort machte Peter einen so erschöpften, kraftlosen und desorientierten Eindruck, dass er zuerst von Rettungssanitätern versorgt werden musste. Anschließend wurde er festgenommen aber erstmal wegen seiner Verletzungen ins Krankenhaus Neukölln gebracht. Bis zum Prozessbeginn saß er ununterbrochen in Untersuchungshaft in der JVA Moabit.

„Für mich ist es eine ganz traurige Geschichte“,

soll laut Berliner Zeitung vom 18. Juni der Ermittlungsführer der Mordkommission, bei seiner Aussage als Zeuge vor Gericht gesagt haben. Er habe Peter G. nach der Tat zweimal vernommen und sein Geständnis protokolliert. Sehr authentisch, warmherzig und emotional habe Peter über seine Frau geredet.

Laut Stern Crime lebte er sichtbar auf, wenn er seine Frau, die eine „janz Liebe“ gewesen sei, beschrieb:

„Sie konnte keenem wehtun, war imma uff Ausgleich“ (...) „Sie war liebevoll, eine hervorragende Köchin, Klasse. Ick kann nur Jutes über sie sagen.“ (...) „Meine Frau war ’ne Seele von Mensch.“,

soll er bei seinen Vernehmungen gesagt haben.

Die 30. große Strafkammer des Landgerichts Berlin kam nach drei Verhandlungstagen am 18. Juni 2021 zur Überzeugung, dass Peter den Entschluss, seine Ehefrau umzubringen bereits am frühen Abend des 5. Januar gefasst hatte. Wichtig bei der Frage, ob Mord oder Totschlag. Da seine Frau bei der Tat schlief, also arg- und wehrlos war, war das Mordmerkmal der Heimtücke im Sinne des § 211 StGB erfüllt.

Peter G. war an allen Verhandlungstagen mit einem Rollstuhl in den Verhandlungssaal gefahren. Die letzten Meter lief er vorsichtig und langsam zu seinem Anwalt. Traubenzucker und Wasser stand dort bereit. Wegen seiner Diabetes, für den Notfall. Da er schwerhörig war, musste er einen Kopfhörer aufsetzen.

Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB schloss das Gericht aus. Ein sachverständiger Psychiater hatte Peter vier Tage untersucht.

Nicht mit letzter Sicherheit ausschließen konnte man jedoch eine verminderte Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB. Diesbezüglich folgte man dem Sachverständigen.

Peter sei ein schwerkranker Mann, der:

„in seiner Bewusstseinseinengung auf die subjektiv als übermächtig empfundenen Probleme seinen Handlungsimpulsen nicht mehr in vollem Umfang etwas habe entgegensetzen können.“,

so das Gericht.

Es war die nackte, subjektiv empfundene Verzweiflung.

Allerdings sei es keine Affekttat gewesen. Es war gemäß § 211 Abs. 2 Var. 5 StGB vorsätzlicher, heimtückischer Mord.

Es war auch nicht der Versuch eines gemeinsamen Suizids Zwar habe man zuvor darüber schon gesprochen, aber es letztendlich nicht in Betracht gezogen.

Laut Berliner Zeitung vom 18. Juni sagte er vor Gericht, glaubhaft und mit tiefer Reue:

„Das, was ich meiner Kleenen angetan habe, tut mir in der Seele weh. Wenn die Kleene nicht mehr da ist, brauch’ ich auch nicht mehr da sein. Aber ich hab’ es nicht geschafft, mir die Pulsadern aufzuschneiden“.

Normalerweise also lebenslänglich, aber gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB mildernde Umstände nach § 211 Abs. 1 StGB.

Der Strafrahmen lag nun zwischen drei und 15 Jahren.

Laut Gericht sei aber:

„von der gesicherten Diagnose einer schweren depressiven Episode (ICD 10: F 32.2) i.S.d. Eingangsmerkmals einer krankhaften seelischen Störung mit Schuldgefühlen, Gefühlen eigener Wertlosigkeit, Freudlosigkeit, Suizidalität, mangelndem Selbstvertrauen und Hilflosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfbarkeit, Appetitlosigkeit und gestörtem Schlaf auszugehen.“

Peter war nicht vorbestraft, hatte die Polizei selbst zum Tatort gerufen und war durchgehend geständig. Auch wurde ihm sein hohes Alter und sein schlechter Gesundheitszustand strafmildernd angerechnet. Strafverschärfend war die Brutalität der Tat.

Peter wurde zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Zu Ilonas Begräbnis hatte er das Haftkrankenhaus verlassen dürfen, brach aber während der Trauerfeier zusammen.

Auf dem Familiengrabstein, nur einen Kilometer von der langjährigen gemeinsamen Wohnung in der Mahlower Straße, steht neben dem eingravierten Namen seiner Frau Ilona, auch schon sein eigener Name - geboren am 27.03.1937. Todestag offen.

Quellen:

Landgericht Berlin, Urteil vom 18.06.2021 – (530 Ks) 278 Js 1/21 (5/21)

Die Welt vom 18.06.2021

Berliner Kurier vom 07.06.2021

BZ vom 18.06.2021

Stern Crime 48/2023, S. 26 -33

Berliner Zeitung vom 18.06.2021

Der Stückelmörder

Das Leipziger Elsterbecken wurde 1925 zum Hochwasserschutz fertiggestellt. Es befindet sich in der Nähe des modernen Fußballstadions eines umstrittenen Fußballclubs. Dort fand am 6. November 2011 ein Pilzsammler einen menschlichen Arm. Es war ein Sonntag.

Für die umgehend alarmierte Polizei nichts ganz ungewöhnliches, denn die Weiße Elster, die durch Leipzig fließt, zieht immer wieder Selbstmörder an. Es konnte durchaus vorkommen, dass in der starken Strömung Arme und Beine vom Rumpf abgetrennt werden. Erst als die herbeigerufene Polizisten sich den Arm genauer anschauten und bemerkten, dass alle Fingerkuppen abgeschnitten worden waren, waren sie wie elektrisiert. Das kannte man in der Leipziger Polizeidienststelle eher aus TV-Serien. Dort geschah es zumeist bei Mafiamorden, bei denen man die Identität verschleiern wollte.

Es war also definitiv kein Selbstmord.

Am Tag darauf fanden die Polizisten den bereits im Verwesungsprozess befindlichen Torso und weitere Körperteile der offensichtlich zerstückelten Leiche. Das Wasser des 2.650 Meter langen und 155 Meter breiten Beckens ist nicht besonders tief. Trotzdem hatte man zur Suche das Wasser abgelassen. Eine Hundertschaft der Polizei durchkämmte das Gebiet und die angrenzenden Parks. Zwei Brücken überspannen das Becken, eine davon musste für Autos, Straßenbahnen und Fußgänger gesperrt werden. Selbst die Straßenbeleuchtung auf der Brücke schaltet man ab, damit die Kriminaltechniker nach Versprühen der chemischen Substanz Luminol Blutspuren im Uferbereich besser erkennen konnten. Man kennt das ja aus diversen Fernsehkrimis. Sogar zwei speziell ausgebildete Hunde, sogenannte Mantrailer, kamen zum Einsatz. Die gut trainierten Hunde konnten Leichengeruch auch im Wasser erschnüffeln.

Erfolglos.

Später ließ man den Pegel wieder steigen und schickte noch einmal Taucher ins Wasser. Auch dies ohne Erfolg.

Letztendlich wurden lediglich beide Arme, Torso, die Hüfte mit Gesäß und beide Oberschenkel gefunden. Kopf und Beine fand man nicht.

Die Genitalien waren abgeschnitten.

Gruselig.

Der Kopf blieb bis heute verschwunden, obwohl die Kriminalisten ungewöhnliche Wege beschritten, um ihn zu finden.

Sie warfen sogar markierte Schweinefleischstücken ins Wasser, um das Strömungsverhalten zu erforschen. Genutzt hat es nichts.

Zumindest konnte man an Hand der Leichenteile feststellen, dass das Opfer männlich war. Es schien ein jüngerer, mittelgroßer, sportlicher, schlanker Mann, mit schwarzem Haar gewesen zu sein. Das genaue Alter oder den exakten Zeitpunkt des Todes konnte allerdings nicht bestimmt werden. Der Verwesungsprozess war zu weit fortgeschritten.

Da zahlreiche Schaulustige das Geschehen beobachteten, wurden Personalien aufgenommen. Man vermutete den Täter unter den Beobachtern. Später wurden auch Video-Aufzeichnungen von den Schaulustigen ausgewertet. Doch auch diese Versuche gingen ins Leere.

Man war weder dem Täter näher gekommen, noch konnte man das Opfer identifizieren.

Danach brach man die Suche erst einmal ab.

Es war dort anscheinend nichts mehr zu finden.

Alle Vermisstenfälle in Deutschland wurden überprüft, aber auf keinen passten die Überreste des Opfers.

Was der Täter mit Kopf und Beinen gemacht hatte, bleibt bis heute im Dunkeln.

Ein öffentlicher Zeugenaufruf war nun die letzte Möglichkeit. Er wurde in allen Leipziger Zeitungen veröffentlicht. 5 000 Euro Belohnung wurden für richtige Hinweise zur Identität des zerstückelten Mordopfers ausgesetzt. Das war zumindest einen Versuch wert.

Dass ein Opfer zerstückelt wird, ist eher die Ausnahme. Trotzdem hat es ja in den letzten Jahren einige Fälle gegeben. Eine „Profilerin“ des LKA Niedersachsen hatte der Leipziger Volkszeitung kurz nach dem Auffinden der Leichenteile folgendes zu Protokoll gegeben:

„Die Täter sind überwiegend Männer zwischen 30 und 40 Jahren. Bildungsgrad oder Beruf spielen dabei keine Rolle. Das Zerteilen der Leichen ist daher kein Phänomen einer bestimmten sozialen Schicht oder Zugehörigkeit“

In zwei von drei Fällen soll die Tötung nicht beabsichtigt gewesen sein. Meist seien es eskalierte Konflikte und die Opfer würden dann aus pragmatischen Gründen ausgezogen und zerlegt.

Allerdings sei bei einer Verstümmelung von Genitalien normalerweise auf ein Sexualdelikt zu schließen, so die Profilerin. Die Befriedigung sexueller Fantasien durch das Zerteilen der Leiche oder der Wunsch, das Opfer zu vernichten, machten laut der Profilerin jedoch lediglich fünf bis zehn Prozent der Fälle aus:

„Häufig wird fälschlicherweise angenommen, die Täter seien psychotisch. Dies ist jedoch extrem selten der Fall (…) Wir suchen eher nach dem normalen Bürger von nebenan. (…) Oft ist der Tatort die Wohnung von Täter oder Opfer",

sagte sie.

Ende November, nach fast vier Wochen konnte der zerstückelte Tote aus dem Elsterbecken nach einer DNA-Analyse endlich identifiziert werden.

Es war der 23-jährige Jonathan Ha. aus Leipzig. Mehrere Bekannte, die den 23-Jährigen schon länger nicht mehr gesehen hatten, meldeten sich nach dem Zeugenaufruf bei der Polizei. Jonathan wollte mit ein paar Freunden Anfang November nach Bayern zu einer so genannten „Cosplay-Convention“ fahren. Dort trafen sich Fans von japanischen Manga-Comics und verkleideten sich wie ihre Idole. Jonathans Manga-Held war „Naruto“, einer auch in Deutschland bekannten Figur, aus der nach ihm benannten Zeichentrickserie. Obwohl Ha. 150 Euro Eintritt angezahlt hatte, war er nicht zum vereinbarten Treffpunkt gekommen.

Nachdem seine anscheinend schon länger nicht bewohnte Wohnung durchsucht worden war und man eine DANN-Probe nehmen konnt, war klar, dass man auf der richtigen Spur war. Die Belohnung konnte nun ausgezahlt werden. Seine Familie schien ihn nicht vermisst zu haben, was auch einen Grund hatte. Zu seiner streng religiösen Mutter hatte er kaum noch Kontakt und seinen Vater, einen Vietnamesen hatte er nie kennengelernt. Seine deutsche Mutter hatte sich schon vor der Geburt von ihm getrennt und Jonathans Vater war wieder zurück nach Südostasien gegangen.

Jonathan Ha. galt als liebenswerter Chaot, aber als sehr intelligent. Er jobbt gelegentlich in der IT-Branche, verbrachte ganze Tage am Computer und traf sich einmal im Monat mit anderen Manga-Fans. Laut seinen Freunden schien er immer gut gelaunt zu sein. Aus seiner Homosexualität machte er zwar kein Geheimnis, trotzdem wussten nur wenige davon. Er hatte es nie am die große Glocke gehängt. Das Opfer war laut Gericht:

„ein recht beliebter, sehr kommunikativer (…) diskussionsfreudiger, friedlicher, freundlicher und chaotischer Mensch. Er hatte zahlreiche Bekannte, unter anderem in der Leipziger Manga- und Anime-Szene, die sich mit japanischen Comics und Filmen befasst, und hatte sich überdies ein sehr großes Wissen über Datenverarbeitung, Programmierung und Datenmanipulation angeeignet, das er seinen Freunden und Bekannten gerne zur Verfügung stellte und ihnen frei­mütig bei Schwierigkeiten mit ihren Computern half. Er galt als etwas skurriler Computerenthusiast, als ‚Nerd‘, wurde aber allseits für seine Kenntnisse und seine freundliche Art geschätzt.“

Anscheinend also ein netter „Computernerd“ aus der Mangaszene, der offenbar niemanden etwas getan hatte. Im Gegenteil er hatte geholfen, wenn und wem er konnte. Bei seinen Mitschülern war er sehr beliebt.

Warum sollte ihn jemand umgebracht haben?

In seiner Wohnung hatte man keine Blutspuren gefunden. Das war also nicht der Tatort. Allerdings fand man dort eine Art Abschiedsbrief, der sein Verschwinden verständlich machen konnte. Jonathan erklärte darin anscheinend die Motive seines vermeintlichen Weggehens. Er schien keine Lust auf ein geregeltes Leben zu haben, das unweigerlich auf ihn zukommen würde, wenn er sich in Zukunft um einen Job bemühen würde:

„Ich könnte jetzt wirklich depressiv werden, aber dazu habe ich keine Lust. Ich habe aber auch keine Lust, Teil dieses Systems zu werden, das ich nicht mag. Deshalb hab ich mich mit einem Freund von außerhalb getroffen, bei dem ich vorläufig unterkomme. Er ist Mitglied in einer Gruppe mit sym­pathischen Ansichten und Vorstellungen und hat mit mir ein paar Ideen besprochen. Er kann mir da raushelfen. Seine Freunde können meine Fähigkeiten wenigstens sinnvoll gebrauchen, im Gegensatz zu jedem anderen Arbeitgeber den ich kenne. Und dort kann ich jede Menge Neues lernen, und mir sogar aussuchen was. Dafür muss ich allerdings sofort los mit ihm. Ich habe ein paar Klamotten, etwas zu essen und alles was man so braucht mitgenommen. Ich komm so bald es geht wieder und hol den rest ab, wo ich eure Hilfe gebrauchen könnte (…) Bis später.“

Klang sehr geheimnisvoll. Der Brief hätte zwar sein Verschwinden erklären können, aber nicht seinen Tod. Außerdem war er auch nicht sonderlich weit gekommen, denn das Elsterbecken war nahe bei seiner Wohnung. Die Polizei ließ von diesem Brief erst mal nichts verlauten und ermittelte weiter. Den Brief ließen sie im Labor untersuchen und fanden daran DNA-Spuren eines Dritten. Man vermutete, dass der Mörder den Text verfasst haben könnte, um eine falsche Spur zu legen. Man suchte nun nach Personen aus dem direkten Umfeld des Getöteten.

Es dauerte allerdings seine Zeit, bis man diesbezüglich einen konkreten Verdacht hatte. Man hatte im Bekanntenkreis des Toten ermittelt und einer der Freunde geriet ins Fadenkreuz der Polizei. Im Gegensatz zu den anderen Bekannten von Jonathan Ha., hatte Benjamin Hu. mehrfach Termine zur Zeugenbefragung platzen lassen. In einer E-Mail an die Polizei, entschuldigte er sich dafür und gab an wegen der Vorladung und wegen des Todes seines engen Freund geschockt gewesen zu sein. Er sah sich daher nicht in der Lage zur Befragung zu kommen.

Das war im Dezember gewesen, seitdem war er nicht mehr gesehen worden.

Er war wie vom Erdboden verschluckt.

War er nun etwa auch zum Opfer geworden? Oder war er der Täter?

Eine weitere Leiche hatte man aber nicht gefunden. So tendierte die Polizei zu Letzterem und präsentierte ihn im März 2012 der Öffentlichkeit als Verdächtigen. Inzwischen wusste man, dass die DNA-Spuren an Jonathans angeblichem Abschiedsbrief von Benjamin stammten und man hatte Jonathans Blut in seiner verwaisten Wohnung gefunden. In der Leipziger Volkszeitung vom 9. März hieß es:

„Hinweise von Bekannten des Opfers hatten die Ermittler auf die Spur eines Tatverdächtigen geführt. Nach dem 23-jährigen Benjamin Hu. sucht die Polizei seit Freitag per Öffentlichkeitsfahndung. Der gebürtige Thüringer, der zuletzt in Leipzig wohnte, ist dringend tatverdächtig, seinen Bekannten Jonathan Ha. ermordet und die Leiche anschließend zerstückelt zu haben.“

Einen Monat nach dem Fahndungsaufruf, am 11. April wurde er in Kassel bei einem 22-jährigen Bekannten gefasst und danach nach Leipzig überführt. Ein Spezialeinsatzkommando hatte die Wohnung gestürmt.

Durch eine Telefonüberwachung war die Polizei auf seine Spur gekommen. Sein Stottern hatte ihn verraten. Vor seinem Verschwinden hatte er häufig mit einem Internetbekannten aus Kassel telefoniert, dessen Telefon nun überwacht worden war. Als dieser mit einem Freund telefonierte, hörte die Polizei einen stotternden Mann im Hintergrund. Bekannte von Benjamin Hu. bestätigten daraufhin, dass das seine Stimme war. Die Polizei zögerte keine Sekunde und schickte ein Sondereinsatzkommando los.

Der bisher nicht vorbestrafte Hu. war 24 Jahre alt. Er kam eigentlich aus Thüringen. Aber nachdem er Schule und eine Bäckerlehre abgebrochen hatte, war er 2009 nach Leipzig gezogen um eine Ausbildung zum Physiotherapeuten zu beginnen. Er war eher ein unauffälliger Typ mit kurz geschnittenen Haaren und einer dicken Hornbrille, der sich am liebsten mit seinem Computer beschäftigte. Ein an sich harmloser und schüchterner Typ, dem eigentlich niemand eine solche Gewalttat zutrauen würde. Vor Gericht später wich der 182 Zentimeter große und 65 Kilogramm schwere Hu. den Blicken der Richter aus und sprach eher leise, während er zusammengesunken auf die Tischplatte starrte.

Als Einzelkind war er in geordneten, aber relativ bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Emotionale Nähe oder Zärtlichkeiten mit den Eltern gab es laut Gericht für ihn allerdings nicht. Die Mutter, eine zurückhaltende Frau, war Kellnerin, der Vater war zunächst als Maurer, später als Mechatroniker tätig. Benjamin schaute zu seinem sehr dominant auftretenden Vater auf, fühlte sich aber nicht ernstgenommen.

Benjamin Hu. war immer ein Außenseiter gewesen, auch wegen seines Stotterns. Wegen des Stotterns, das vor allem dann auftrat, wenn er aufgeregt war oder vor einer größeren Gruppe reden sollte, war er immer wieder verspottet worden. Erst im Internet, wo er sich interessanter geben konnte, fand er einige Bekannte. Seine persönlichen Bekanntschaften betrachtete er laut Gericht jedoch selbst „lediglich als Touristen in seinem Leben“. Eine engere persönliche Beziehung zu ihnen hatte er nie aufgebaut. Mit einer Mitschülerin zog er in eine Zweier-Zweck-WG zusammen, ohne mit ihr eine engere Beziehung einzugehen. Eine Ausbilderin bezeichnete ihn als empathielos. Beziehungen zu Frauen hatte er nicht, dazu war er zu schüchtern. Die hätten ihn meist ignoriert und für unmännlich gehalten, sollte er später aussagen. Das Gericht beschrieb Benjamin Hu. so:

„Der Angeklagte fühlte sich schon seit seiner Kindheit unzulänglich, als Außenseiter, stotterte und war weder in der Lage, mit Mitmenschen ohne Probleme in Kontakt zu treten noch zu diesen eine emotionale Bindung einzugehen. (...) Er war insbesondere in größeren Gruppen schüchtern, kontaktscheu und emotional sehr zurückgenommen, stellte nur schwer Kontakt zu anderen her. (…) Daher flüchtete er sich zum Einen in Computerspiele, viel Final Fantasy, und zum Anderen in Internetkontakte. Bei den hier geschlossenen Freundschaften konnte er sich selbstbewusster, aufgeschlossener und direkter geben, als er es im realen Leben war und sein geringes Selbstbewusstsein kompensieren.“

Mit einem Bekannten aus der Parallelklasse einte ihn das Interesse für Computerspiele. Er diskutierte mit ihm gerne und lange über gesellschaftliche, politische und philosophische Themen. Über ihn traf er auch sein späteres Opfer, das ihn regelmäßig besuchte um mit ihm zu kochen und zu diskutieren.

Auf dem seit 1992 alljährlich stattfindenden Wave-Gotik-Treffen in Leipzig hatte er 2011 einige Leute kennen gelernt und begann sich wie sie zu kleiden. Während der Ausbildung pflegte er nun erst recht sein Außenseiterbild. Er kleidete sich schwarz und ließ sich einen Kinnbart wachsen. Auch daraus bezog er eine gewisse Selbstwertsteigerung. Seine Pausen verbrachte er alleine, hörte Musik oder schlief.

Mit einem Internetbekannten plante er die Gründung einer Bruderschaft mit Namen „Germanitas Nox“:

„einer Art Sekte „Die 5. Dimension", deren Ziel es sein sollte, Wissen zu sammeln und öffentlich zu machen, insbeson­dere Wissen darüber, was ‚schief laufe‘. Es habe darum gehen sollen, Aufsehen zu erregen, z.B. durch ‚Briefe ans Volk‘.“

Während sich sein Bekannter „Corvus Rabenblut“ nannte, gab sich Benjamin selbst den Namen „Pardus“ und ließ sich ein Pentagramm in den linken Unterarm ritzen. Das mochte alles sehr seltsam klingen, erklärte jedoch nicht die grausame Tat.

Im Oktober desselben Jahres, fast genau ein Jahr nach der Tat, begann der Prozess.

Die Leipziger Volkszeitung berichtet:

„In gebückter Haltung betritt Benjamin Hu. am Montag Saal 115 des Landgerichts Leipzig. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet. Das Gesicht versteckt er vor dem Blitzlichtgewitter der Fotografen hinter einer Sonnenbrille. Auf dem Kopf trägt der mutmaßliche Mörder von Jonathan Ha. ein blaues Basecap mit dem Emblem des bulgarischen Fußballvereins Lewski Sofia.“

Der Gerichtssaal war voll besetzt. Kein Wunder, denn es war eines der aufsehenerregendsten Verbrechen in der Leipziger Kriminalgeschichte. Die Prozessbeobachter hörten dort schreckliche Details.

Es war der 12. Oktober des vergangenen Jahres als Benjamin Hu. seinen 23-Geburtstag beging. Er wollte sich selbst offenbar ein barbarisches Geburtstagsgeschenk machen. Der 23-Geburtstag war für ihn etwas Besonderes. Die Dreiundzwanzig gilt in gewissen Kreisen als mystische Zahl. Als Zahl des Unglücks und der Zerstörung. Angeblich ist sie ein geheimes Zeichen der Illuminaten. Hu. hatte vor diesem Geburtstag versucht sein Leben zu bilanzieren und kam zum Schluss, dass sich irgendetwas ändern müsse. Er plante eine „Metamorphose“ seiner selbst. Das Gericht beschrieb das so:

„Er war der Meinung sein Ziel, ein anderer zu werden, nur dadurch erreichen zu können, dass er einen anderen Menschen töten und an diesem sämtliche denkbaren Tabubrüche begehen müsste. Ein spezielles Opfer hatte er zunächst noch nicht ausgesucht. Er plante aber, die Tat in der Zeit vom 10. bis 17. Oktober 2011 zu begehen, da seine Mitbewohnerin (…) nicht in Leipzig sein würde und er so in der Wohnung ungestört wäre.“

Dazu kam ihm der Besuch seines Bekannten Jonathan Ha., mit dem er wie immer über „Gott und die Welt“ diskutierte, gerade recht.

Laut Leipziger Volkszeitung erklärte die Staatsanwältin zu Prozessbeginn:

„Es kam ihm von Anfang an wesentlich darauf an, einen Menschen sterben zu sehen“

Das Gericht sollte später in seinem Urteil feststellen:

„Spätestens als der Besuch fest stand beschloss der Angeklagte, dass dieser nun als Opfer für seine seit langem geschmiedeten und sich immer mehr verdichtenden Pläne um die Tötung eines Menschen herhalten müsste, um sich selbst zu ‚retten‘ und zu ‚erhöhen‘“.

Zwar behauptete Benjamin später, dass die Tötung von Jonathan eine spontane Regung war und nach einem Streit mit einer Rangelei im Bad erfolgt sei. Das Gericht glaubte ihm das jedoch nicht. Seine Geschichte war unplausibel und mit den später gefunden Blutspuren in seiner Wohnung nicht vereinbar.

Das Gericht urteilte, dass er den völlig überraschten Jonathan mit einer 1,9 kg schweren Metallstange seiner im Zimmer liegenden Hantel auf den Kopf schlug. Wahrscheinlich nachdem Jonathan Ha., dem Benjamin Hu. zum Geburtstag bekochen wollte. Jonathans letztes Lebenszeichen war ein Skype-Gespräch am 11. Oktober um 23.37 Uhr gewesen. Ha., der völlig arglos war, hatte eigentlich keine Chance, versuchte sich aber trotzdem zu wehren. Er nahm die Arme zur Abwehr hoch und soll kniend noch gesagt haben, „warum tust du das?“

Danach habe er nur noch kurz gezuckt, so Benjamin später vor Gericht.

Ganz klarer Fall von Heimtücke, ein Mordmerkmal im Sinne des § 211 StGB.

Benjamin sei enttäuscht gewesen über Jonathans letzten Satz, da er eine bedeutendere letzte Äußerung erwartet hatte und schlug weiter auf sein blutendes Opfer ein, bis es sich nicht mehr bewegte. Er zog ihn ins geflieste Bad, wo er ihn mit einem Dolch in den Hals stieß. Ob Jonathan daran oder erst später starb konnte letztlich nie geklärt werden. Da viel Blut floss, zerrte Benjamin sein Opfer in die Badewanne und fügte ihm nochmal mehr als 20 Messerstiche zu.

Danach zog er ihn aus und begann damit ihn zu zerstückeln.

Eigentlich hatte er geplant Sex mit einer Leiche zu haben, dazu hatte er allerdings nach der Tat keine Lust mehr. Das sagte er zumindest so aus.

Er schnitt Jonathan Penis und Hoden ab, danach wühlte er mit bloßen Händen in seinen Organen und zerteilte ihn. Später sollte er aussagen, dass er den Penis eklig gefunden habe und um „das Ding nicht mehr sehen zu müssen, habe er es abgetrennt.“ Alle „normalen Heteros“ fänden das schließlich eklig, meinte er. Das war natürlich Quatsch. Laut Gutachter hatte diese Kastration eher etwas mit der Frage der Potenz zu tun.

Die Organe habe er nur aus pragmatischen Gründen herausgenommen und entsorgt, damit die Leiche für den Transport leichter sei.

Obwohl der Kopf nicht mehr gefunden wurde, wusste man aus seinen eigenen Aussagen, dass Benjamin Nase und Ohren abschnitt und versuchte hatte die Zähne herauszubrechen. Genauso wie beim Abschneiden der Fingerkuppen mit einer Gartenschere, sollte dies eine Identifizierung verhindern. Zumindest was Genitalien, Nase und Ohren betraf schien das wenig logisch zu sein. Er habe viel über Kriminalistik und Spurenverwischen gelesen, sagte er.

---ENDE DER LESEPROBE---