Mörder unter uns - Hariett Drack - E-Book

Mörder unter uns E-Book

Hariett Drack

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Fesselnde Kriminalfälle und schockierende Verbrechen – Einblicke hinter die Kulissen großer Strafverfahren

Ein rachesüchtiger Patient, der seine Therapeutin in einem Sarg entführt und gefangen hält, ein Pädophiler, der getarnt als Erzieher auf furchtbare Art und Weise seine Neigungen auslebt und eine verzweifelte Mutter, die aus Angst vor ihrem rechtsradikalen Lebensgefährten ihr Kind tötet.

Als Gerichtsreporterin sitzt Hariett Drack bei diesen und vielen anderen Fällen in der ersten Reihe. In ihrem neuen Buch erzählt sie nun von den bizarrsten und spektakulärsten Kriminalfällen, die vor dem Kölner Landgericht verhandelt wurden. Prägnant und mit klarem Blick erklärt sie, wie Täter*innen ticken und warum nicht immer alle Motive einer Tat aufgedeckt werden können. Sie liefert Einblicke, die zugleich erschüttern und fesseln, indem sie von wahren Verbrechen berichtet, die unweigerlich Fragen über Schuld und Verantwortung aufwerfen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über die Autorin

Vier Jahrzehnte lang arbeitete Hariett Drack als Polizei- und Gerichtsreporterin beim Kölner Stadt-Anzeiger. Heute ist sie freie Autorin und schreibt unter anderem für Zeit Verbrechen. Die tiefen menschlichen Abgründe und die oft bizarren Geschichten, die sich im Gerichtssaal entfalten, ziehen sie auch nach all den Jahren noch in ihren Bann und motivieren sie, darüber zu schreiben.

Hariett Drack

MÖRDER UNTER UNS

Wahre Verbrechen, menschliche Abgründe und die Suche nach Antworten

Eine Gerichtsreporterin erzählt

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2025 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Alle Rechte vorbehalten.

Redaktion: usb bücherbüro, Dr.Ulrike Strerath-Bolz

Coverdesign: Weiss Werkstatt München

Herstellung: Franziska Polenz

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-33436-9V002

www.heyne.de

Liebe Leserinnen und Leser,

die in diesem Buch beschriebenen Fälle haben sich wie wiedergegeben ereignet. Sie beruhen auf Aussagen öffentlicher Gerichtsverhandlungen, eigenen Notizen und Aufzeichnungen, öffentlich zugänglichen Akten sowie Medienberichten. Es werden zwei Arten von Fällen in diesem Buch beleuchtet. Zum einen schwere Verbrechen, in denen es um Mord, Totschlag und Taten mit erschreckender Heimtücke geht. Zum anderen kleinere Delikte, die sich vor dem Kölner Amtsgericht zugetragen haben und deren Absurdität und Skurrilität kaum zu fassen sind. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen wurden zahlreiche Namen und andere persönliche Details geändert.

Hariett Drack

INHALT

Vorwort

Eine verhängnisvolle Diagnose

Die Gedanken sind frei

Baby Hannah

»Kaputt im Kopf«

Eisleiche

Flughafenbaby

41 Stiche

Mädelstreff

Hantelmord

Turnübungen

DELIKTEVORDEMAMTSGERICHT

Nichts dazugelernt

Influencerin

Keine Reha für Rottweiler Rovi

Toller Typ

Ohne Hose

Verleumdung

Lappalie

Notaufnahme

Wiener Schmäh

Nacktfoto

Unter Wasser

Senioren im Gerichtssaal

Ein unmoralisches Angebot

Ergreifende Geste

Kettensäge

»Damit muss die Gesellschaft leben«

Heiratsschwindler

Tiefenentspannte Arroganz

Aus dem Alltag einer Gerichtsreporterin

VORWORT

Es ist der Mensch, der schießt. Der vergewaltigt, plündert, raubt, erwürgt und foltert.

Es ist niemals ein Monster.

Es sind die Umstände, die den Menschen formen. Die Prügel der Eltern, die sexuelle Gewalt im Verein, das Mobbing in der Schule. Es sind Vernachlässigung, Geringschätzung, emotionale Abwesenheit.

Es ist niemals die Natur.

Es braucht oft nur einen Moment, damit Menschen den Grat von Gut nach Böse überschreiten.

Die Wunde, die eine Trennung hinterlässt.

Den Zorn, der sich nach einer Kündigung Bahn bricht.

Die Ablehnung, überall dort, wo sich der Mensch nach Anerkennung sehnt.

Es ist niemals das vorbestimmte, unausweichliche Ende.

In unserem Sujet, das gemeinhin als True Crime bezeichnet wird, gibt es nicht mehr viele Autorinnen und Autoren, die dieses Wissen verinnerlicht haben.

Hariett Drack ist eine von ihnen. Und das rechne ich ihr hoch an.

Denn es ist ja so: Unter jenen, die sich für Verbrechen interessieren, gibt es zwei Arten von Suchenden. Die einen suchen den Grusel, den Thrill, das Abstoßende, das Immer-und-immer-noch-Brutalere, um sich – in pantoffelbewehrten Füßen in ihrem behaglichen Wohnzimmer – von den »Monstern« distanzieren zu können. Schau mal, Jutta, wie verkommen diese Welt doch ist! Sie werden gefüttert vom Boulevard, vom Trash-TV und verführerisch simplifiziertem snackable content auf den gängigen Social-Media-Plattformen.

Die anderen suchen Antworten. Stellen Fragen. Wollen verstehen, was einen Täter zum Täter macht, was hinter einem Verbrechen steckt und was diese Verheerung im Leben jener anrichtet, die zu Opfern werden oder zurückbleiben. Sie versuchen zu ergründen, was wir als Gesellschaft daraus lernen können, was wir besser machen können. Wie wir es, womöglich, verhindern könnten.

Es sind Menschen, die wissen, dass es irgendwo zwischen Schwarz und Weiß die Farbe Grau gibt, die sich in unzähligen Nuancen ausprägen kann.

Es ist ungleich viel mühsamer, für die zweite Zielgruppe zu schreiben. Weil diese Gruppe – und damit dürfen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser dieses Buches, ausdrücklich angesprochen fühlen – sich eben nicht mit einfachen Antworten zufriedengibt. Weil diese Gruppe sich für die Geschichte hinter der Geschichte interessiert, für die Auserzählung der einzelnen Buchstaben.

Für diese Menschen, und auch ich zähle mich ausdrücklich dazu, hat Hariett Drack Mörder unter uns geschrieben.

Das konnte sie nur deshalb tun, weil sie sich in ihren vierzig Jahren als Gerichtsreporterin nie hat verführen lassen von jener Masse, die nur nach Sensation lechzt. Weil sie sich geweigert hat, an dem Rattenrennen, das Journalismus oft leider ist, teilzunehmen. Weil sie immer das Gespür dafür hatte, dass die Wahrheit oder das, was ihr am nächsten kommt, nicht schon ein paar wenige Stunden nach einer Tat zu haben ist. Weil sie geduldig ist, weil sie sich nicht scheut, die Extreme der menschlichen Seele auszuleuchten.

Und weil sie, nicht zuletzt, erstaunliches Sitzfleisch besitzt. Das ist vielleicht die zentrale Kernkompetenz einer Gerichtsreporterin.

Denn Sie können mir eines glauben: Ein Strafverfahren ist vieles, aber nicht spektakulär. Jahrzehnte voller glamouröser Gerichtsserien haben uns den Blick dafür verstellt, was dieser Ort eigentlich ist: ein sorgfältiger, oft träger, formalisierter und erstaunlich emotionsarmer Apparat, der mühsam Puzzlestücke zusammensetzt zu einem möglichst vollständigen Ganzen. Die Prozess-Realität heißt nicht Netflix, sie heißt Antrag, Gegenantrag, Erörterung, Verständigung, Selbstleseverfahren. Sie heißt Zeugenbefragung, rechtsmedizinische Bewertung, toxikologisches Gutachten. Sie heißt zähe, oft monatelange, manchmal gar jahrelange Beweisaufnahme. Sie verlangt einem Reporter einiges ab.

Aus diesem Wust an Informationen und oft widersprüchlichen Aussagen Texte zu destillieren, die weder die Komplexität ignorieren noch ihr das Wort reden, die unterhalten und aufklären, die beschreiben und nicht werten: Das ist mehr als nur Handwerk. Das ist – Vorsicht, großes Wort! – ein Stück weit Kunst.

Journalistische Kunst.

Und die allerangenehmste Eigenschaft der Autorin ist, dass sie mir dieses Wort in ihrem herrlich kölschen Singsang um die Ohren hauen würde: Lass et jot sin, min Jung.

Daniel MüllerChefredakteur ZEIT Verbrechen

EINE VERHÄNGNISVOLLE DIAGNOSE

Am frühen Nachmittag des 13.Oktober 2023 hält in der Kölner Innenstadt ein Transporter vor einem imposanten Altbau aus der Gründerzeit. Das sandgestrahlte Zwölf-Parteien-Haus liegt an einer viel befahrenen Straße. In der oberen Etage hat eine Psychotherapeutin ihre Praxis, darunter befinden sich einige Privatwohnungen und eine Medienagentur.

Als der Transporter vor dem Mehrfamilienhaus hält, besteht für die Nachbarn kein Zweifel: Es muss jemand gestorben sein. Ein Mann steigt aus. Es ist Peter L., gelernter Krankenpfleger. Auf einer Sackkarre schiebt er eine Metallkiste vor den Hauseingang: einen Kindersarg. Noch ist der Sarg leer, aber wenig später wird darin eine lebendige Frau liegen, eingepfercht, gefesselt mit Kabelbindern an Armen und Beinen.

Der Mann bugsiert die leere Kiste in den Aufzug und fährt damit in die oberste Etage.

Ein Freitag der Dreizehnte, der seinem schlechten Ruf alle Ehre macht, nimmt seinen Lauf, als Peter L. an der Tür zur Praxis der Kölner Psychotherapeutin Ayshe C. den Kindersarg in einer Ecke abstellt und dann klingelt.

Die Therapeutin glaubt, es sei ihr neuer Patient, der sich online mit ihr zu dieser Uhrzeit verabredet hat.

In seiner E-Mail hatte L. ausdrücklich um den letzten Termin an diesem Tag gebeten. Er wollte auf keinen Fall in Kontakt mit anderen Patienten treten und hatte dies als eine seiner psychischen Auffälligkeiten benannt: »Ich möchte nicht vor anderen bloßgestellt werden.«

In der E-Mail deutete der angeblich sechzigjährige Mann massive Probleme mit sich und seiner Umwelt an: »Ich habe viel durchgemacht in meinem Leben, fast alle Arten von Therapien ausprobiert, unzählige Lebensformen praktiziert. Ich bin nicht verloren, aber ich brauche Hilfe. Es reicht nicht aus, sich selbst zu kennen. Ich schreibe Ihnen, weil ich meine Angstzustände loswerden will und nicht weiß, was ich aus meinem Leben machen soll.«

Deshalb setze er seine ganze Hoffnung auf eine Gesprächstherapie, denn: »Medikamente sind nicht die Lösung.«

Ein Jahr später kommentiert der Vorsitzende Richter im Prozess vor dem Kölner Landgericht den ausufernden Inhalt der E-Mail so: »Was für ein Sermon an Erklärungen für einen Beratungstermin.«

Freundlich bittet die Psychologin den Mann herein. Er steht noch im Flur, als es erneut klingelt. Als sie öffnet, steht ein maskierter Mann vor ihr, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, einen Mundschutz im Gesicht, nur die Augenpartie liegt noch frei. Ayshe C. kommt der Mann irgendwie bekannt vor. Er war schon einmal hier, in ihrer Praxis – ein schwieriger Klient. Sie will ihn aus der Praxis drängen, doch es ist zu spät.

Wortlos drängt der Mann sie zurück in die Praxisräume – und da fällt es ihr ein: Es ist Ali D., gelernter Jurist mit äußerst komplexer Persönlichkeitsstörung, einer ausgeprägten narzisstischen Prägung: uneinsichtig, rechthaberisch, eitel, gewaltbereit und extrem auf Streit aus – so hat sie es in ihrer Patientenakte festgehalten. Er hatte die Therapie vor Jahren im Streit mit ihr abgebrochen.

Was sich dann an jenem Freitag im Oktober 2023 in der Praxis abspielt, beschreibt die Kölner Staatsanwältin Daniela Fuchs in ihrer Anklageschrift als »Vorlage für einen Horrorfilm«. Im Prozess ergänzt sie: »Eine unfassbar perfide, brutale Tat.«

Die beiden Männer – seit längerer Zeit ein Liebespaar – überwältigen ihr zierliches Opfer fast mühelos. Sie fesseln die Frau an Händen und Füßen mit Kabelbindern, verschließen ihr den Mund mit Klebeband und drücken ihr einen mit Chloroform getränkten Lappen ins Gesicht. Trotz heftiger Gegenwehr sinkt Ayshe C. zu Boden, während Peter L. droht: »Wenn Sie nicht Ruhe geben, werfen wir Sie mit der Kiste in den Rhein.« Die Männer zwängen die nahezu Bewusstlose in den Kindersarg. Zuvor hat ihr L. in den Arm noch einen professionellen Venenzugang gelegt und ein Sedativum gespritzt.

In ihrer Todesangst hat C. nur einen Gedanken: »Wie lange dauert wohl der Sterbeprozess?« Weil sich die Frau immer noch mit letzten Kräften wehrt, warnen die Männer: »Wir drehen einen Pornofilm mit dir und stellen ihn ins Netz.« Sie soll unter anderem dabei gefilmt werden, wie sie den Kot der Männer isst. Daraufhin gibt sie auf und verhält sich regungslos.

Auf die Frage, was Menschen zu einem derart unfassbaren, nicht nachvollziehbaren Handeln bringt, wird später aus den Patientenakten von Ali D. zitiert. Die Therapeutin hatte ihn als rachsüchtigen Psychopathen erlebt: »Da ist so eine Oberflächlichkeit in der Gefühlsebene, eine Empathielosigkeit.«

Und ein weiterer Gutachter wird im Prozess zu dem Schluss kommen: »Es ist die Tat eines Narzissten.«

Wie geplant, wird das Opfer in seinem Gefängnis in die Wohnung der Täter gebracht, die generalstabsmäßig für die Gefangenschaft in Szene gesetzt wurde: Das Badezimmer hat das Paar in einen »Ort des Grauens« verwandelt, wie die Staatsanwältin bei der Begehung des Tatorts sichtlich fassungslos zwei Tage später anmerkt. Der komplette Raum ist schalldicht mit Malervlies ausgelegt. Die Heizkörper sind herausgerissen worden, an ihrer Stelle wurden Ösen in die Wand zementiert, um die Fesseln daran zu befestigen. Am Boden lagen Spritzen, Venenzugänge, Windeln, Tupfer und Pflaster, überall Blutspritzer.

In der Wohnung kommt das Opfer im Badezimmer auf einer Luftmatratze zu sich. »Ich sehe nichts, aber ich spüre, wie mir jemand eine Windel anlegt«, beschreibt Ayshe C. im Zeugenstand ihre Ohnmachtsgefühle. Mit geradem Rücken sitzt diese zarte, zierliche Frau während der Verhandlung ihren Peinigern gegenüber, und jeder im Saal spürt, wie viel Kraft es sie kostet, das Geschehen wiederzugeben. Aber sie zeigt unübersehbar Stärke; das Angebot, ihre Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu machen, lehnt sie zumindest für einen Teil ihrer Ausführungen ab.

Mit fester Stimme spricht sie von ihrer Todesangst, die sie immer wieder überrollte. Als C. von den Narben an den Handgelenken, der bis heute andauernden Nervenentzündung, den Prellungen am Körper und den Kieferschmerzen als Spätfolgen spricht, ist sie deutlich zu hören. Nur ihre Ängste, als sie von einer möglichen HIV-Infizierung spricht, lässt ihre Stimme brechen. Jeder im Saal ahnt, wie qualvoll es für sie ist, den beiden Männern ihr gegenüber ins Gesicht zu sehen.

Noch Monate nach der Tat hatte C. Angst, sich infiziert zu haben. Bei ihrer verzweifelten Gegenwehr hatte sie dem HIV-positiv getesteten Krankenpfleger in den Finger gebissen, bis er blutüberströmt von ihr abgelassen hatte.

Zum Hintergrund: Der Jurist Ali D. war als erstgeborener Sohn von seinem Vater buchstäblich vergöttert worden. Der Vater, der als politisch Verfolgter sein Lehramt nicht ausüben durfte, sah in seinem Sohn Großes, bezeichnete ihn gar als »König« und hob immer wieder hervor, wie »schön, besonders, begabt und außergewöhnlich« er den Sohn einstufte. So sagt es Alis Schwester, eine erfolgreiche Zahnärztin, im Zeugenstand aus. Auch sie beschreibt den Bruder als »etwas ganz Einzigartiges und überaus empathisch«.

Ali D. hatte offensichtlich bei einigen Familienmitgliedern diesen Sonderstatus, herausragend einzigartig zu sein, und bekam das von Kindesbeinen an immer wieder zu hören.

Nur der Part der Mutter – sie ist Krankenschwester – wurde gegenteilig beschrieben: Sie schlug den Sohn, zeigte wenig Interesse an seiner Entwicklung und begegnete ihm mit Gefühlskälte. So hat es auch Ali D. bei seiner Vernehmung zu Protokoll gegeben. 

Den hochgesteckten Erwartungen des Vaters wurde Ali D. zunächst durchaus gerecht. Er besuchte eine englischsprachige Privatschule in Istanbul, machte mit Bestnoten sein Abitur. In Istanbul schloss er 2017 erfolgreich sein Jurastudium ab. Doch die Hoffnung der Eltern, er werde sich als Anwalt in der Türkei niederlassen, lösten bei ihm depressive Schübe aus.

Er wollte weg aus der Heimat, wo er seine Homosexualität nicht ausleben konnte und dies vor der Familie auch eisern verschwieg. Auch schwebte ihm eher eine Hochschulkarriere vor. In der Familie waren seine sexuellen Neigungen nie aufgefallen.

So zog es ihn 2018 in die Stadt, in der Homosexuelle sich nicht verstecken müssen: nach Köln. Er schrieb sich an der Kölner Universität als Doktorand ein. Doch hier lief es von Anfang an nicht gut für ihn. Mit seinem arroganten Auftreten und der ständigen Attitüde, besser zu sein als alle anderen, eckte er ständig an. Er, der es von zu Hause gewohnt war, als Superstar gesehen zu werden, galt an seiner neuen Wirkungsstätte als überheblich, selbstgefällig und auch faul.

Seine rechthaberische, fordernde Einstellung, gepaart mit wenig wissenschaftlichem Fundament, ließen ihn scheitern. Er fühlte sich ungerecht behandelt und kontaktierte erstmals Ayshe C. in der Hoffnung, von ihr die gewünschte Bestätigung zu erhalten. Doch die Therapeutin erkannte schnell die narzisstische Grundhaltung ihres Klienten und versuchte, ihn von alternativen Sichtweisen zu überzeugen. Vergeblich: Er brach die Therapie ab.

Sein Antrag auf ein Stipendium wurde in Köln abgelehnt. Begründung: Er sei für eine wissenschaftliche Laufbahn ungeeignet. Ein Jahr später entschloss er sich, an die Universität in Luxemburg zu wechseln. Dort wurde ihm zunächst auch ein befristetes Stipendium gewährt. Doch auch in Luxemburg scheiterte er letztlich »aufgrund fehlender wissenschaftlicher Eignung«, wie es in den Akten heißt. Er fühlte sich gemobbt, weil ihm als wissenschaftlichem Mitarbeiter »niedere Sekretariatsarbeiten« auferlegt wurden. So sollte er sich beispielsweise in der Bibliothek um die Einordnung der Fachliteratur kümmern – in seinen Augen eine niedere Aufgabe, für die er sich angesichts seiner vermeintlichen Fähigkeiten viel zu schade war. Sein Doktorvater hingegen beschreibt ihn als »faul und nicht in der Lage, wissenschaftlich zu arbeiten«.

In Luxemburg kam es erstmals zu gewalttätigen Auffälligkeiten, nachdem Ali D. auch hier kein Erfolg widerfuhr. Er fühlte sich an der Universität »gemobbt, gehänselt, zurückgesetzt« und zunehmend in seinem Stolz verletzt. 2022 erhielt er in Luxemburg die fristlose Kündigung und musste sein Promotionsstudium abbrechen – während die Eltern ihn bereits als Hochschulprofessor an einer juristischen Fakultät sahen.

Nach dem Rausschmiss fühlte er sich »gedemütigt«, sprach von »rassistischem Verhalten« ihm gegenüber. Angeblich habe der Juraprofessor ihm sexuelle Avancen gemacht. So erzählte er es seinem Lover Peter L., den er bei seiner Rückkehr nach Köln 2022 auf einer Sexparty kennenlernte.

Der gelernte Krankenpfleger Peter L. war von der Wortgewandtheit und Überzeugungskraft seiner neuen Liebe mehr als beeindruckt. Er glaubte ihm jedes Wort, hing geradezu an seinen Lippen. »Er wollte Ministerpräsident von Luxemburg werden, er hätte das Zeug dazu gehabt«, berichtet Peter L. fasziniert von den Fähigkeiten seines Partners. Die von Ali D. erfundenen Demütigungen lassen ihn auf Rache sinnen. Gemeinsam schritt das Paar in Luxemburg zur Tat. In einem Kaufhaus lauerten die beiden Männer dem Doktorvater auf, es kam zu einem tätlichen Angriff, Ali D. ohrfeigte den Doktorvater, die Polizei wurde gerufen.

Der Doktorvater verzichtete – aus welchen Gründen auch immer – auf eine Anzeige.

Doch die beiden gaben nicht auf, kontaktierten in Luxemburg einen Investigativ-Journalisten, der den angeblichen Skandal im Umgang mit einem türkischen Doktoranden aufdecken sollte. Von Rassismus und Benachteiligung ist die Rede. Doch der Journalist winkte nach einem Erstgespräch sofort ab, zu abwegig erschien ihm die Geschichte.

Immer tiefer steigert sich Ali D. in sein narzisstisch geprägtes Gedankengebäude hinein: Niemand glaubt ihm, niemand sieht ihn.

Weil ihm keine andere Person einfällt, lenkt er seine Rachegelüste auf die Therapeutin Ayshe C., die er seit 2017 in unregelmäßigen Abständen aufgesucht hatte. »Sie hat meine Würde mit Füßen getreten, meine Seele vergewaltigt«, behauptet er gegenüber seinem verständnisvollen und von ihm abhängigen Lover. Und er fordert von ihm, er solle nicht nur zuhören und reden, sondern »Taten folgen lassen«.

So kommt es zu dem Plan, die Therapeutin zu entführen und wegen einer angeblich fehlerhaften Psychotherapie zur Kasse zu bitten. Erpressung, Entführung, Freiheitsberaubung, … schwere Vorwürfe, die hier im Raum stehen.

Eine Nacht bleibt die Psychologin in der Gewalt des Duos. Am nächsten Morgen erfährt sie die Bedingungen für ihre Freilassung: Ali D. hat eine Erklärung vorbereitet. Darin ist von einer »fehlerhaften psychotherapeutischen Behandlung« die Rede. Die Psychologin soll sich mit ihrer Unterschrift bereit erklären, ein Schmerzensgeld in Höhe von anderthalb Millionen Euro zu zahlen. C. ist zunächst zu allem bereit, unterschreibt außerdem eine Verschwiegenheitserklärung, immer in der Hoffnung, dass nichts davon Bestand haben wird. Sie will nur raus – und darf ihr Gefängnis tatsächlich verlassen. 

Wenige Meter von der Haustür entfernt hält sie ein Taxi an und fährt zur nächsten Polizeiwache, wo sie alles zu Protokoll gibt. Noch am selben Tag werden die beiden Männer festgenommen – und streiten natürlich alles ab.

Vor dem Kölner Landgericht wird dem Paar ab Juni 2024 der Prozess gemacht. Nach Rücksprache mit ihren Anwälten haben beide inzwischen eingesehen, dass es besser ist, ein Geständnis abzulegen. Zumindest bei Ali D. ist jedoch keinerlei Reue zu erkennen. Im Gegensatz zu seinem Lover, der zugibt, »viel Leid angerichtet zu haben«.

Ali D. will sich zu dem Geschehen nicht äußern. Aber die Art und Weise, wie der eher unscheinbare Mann mit der Halbglatze und der untersetzten Figur sich auf der Anklagebank präsentiert, lässt immer wieder seine narzisstische Haltung erkennen.

Er lacht hämisch, als er die vernichtenden Ausführungen des Gutachters vernimmt, schüttelt immer wieder den Kopf und wechselt verliebte Blicke mit seinem mitangeklagten Lover. Angesichts des »bizarren, fassungslos machenden Geschehens« – so der Vorsitzende Richter – stellt sich den Prozessbeteiligten sehr schnell die Frage nach der geistigen Gesundheit der Angeklagten.

Es mag widersprüchlich klingen, aber um eine irrationale Tat zu begehen, bedarf es keines geistig verwirrten Täters. Zu dieser Erkenntnis gelangt Stephan Roloff-Stachel, ärztlicher Leiter der Essener Klinik für Forensische Psychiatrie, den das Gericht als psychiatrischen Sachverständigen um eine forensische Einordnung gebeten hat.

»Die Tat wurde detailliert geplant. Sie hat nichts Impulshaftes«, sagt der Gutachter. Bei beiden Angeklagten sei weder die Steuerungsfähigkeit noch die Einsichtsfähigkeit während der Tatbegehung aufgehoben gewesen. Er bescheinigt beiden Männern daher eine »umfängliche erhaltene strafrechtliche Verantwortungsfähigkeit«. Eine Aussage, die den beiden Angeklagten im Grunde nicht gefallen kann: Sie haben demnach keine Möglichkeit, sich hinter einer psychischen Störung zu verstecken.

Ali D. habe für das Scheitern der Therapie bei Ayshe C. aufgrund einer »ausgeprägten Egozentrik« allein die Psychologin verantwortlich gemacht. Die Ursache für Konflikte und Probleme auch bei sich selbst zu suchen, wie es die Therapeutin ihm nahegelegt hatte, sei ihm nicht in den Sinn gekommen. Das Scheitern der Therapie habe er als Kränkung empfunden. »Mit der Tat wollte er sich dafür rächen«, so der Sachverständige.