Mutter, Muse und Frau Bauhaus - Ursula Muscheler - E-Book

Mutter, Muse und Frau Bauhaus E-Book

Ursula Muscheler

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Beschreibung

Nicht Walter Gropius steht in dieser Geschichte im Rampenlicht (er hat sich zeitlebens selbst gehörig in Szene gesetzt), sondern seine geliebten, klugen, gebildeten, tatkräftigen Gehilfinnen: Manon Gropius, Alma Mahler, Lily Hildebrandt, Maria Benemann und Ise Gropius. Hinter jedem erfolgreichen Mann stehe eine starke Frau, sagt der Volksmund. Dass diese überaus begabten Frauen zeitlebens im Schatten von Gropius und anderen Männern standen, ist die bedauerliche Pointe dieser liebevollen Skizze.

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URSULA MUSCHELER

Mutter, Muse undFrau Bauhaus

Die Frauen um Walter Gropius

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Anmerkungen

Über den Autor

1

In der folgenden Geschichte soll nicht Walter Gropius, der Bauhaus-Gründer, im Vordergrund stehen, er hat sich, ehrgeizig und selbstbewusst, zeitlebens selbst gehörig in Szene gesetzt. Vielmehr sollen hier einmal die behütende Mutter, die inspirierende Geliebte, die sorgende Ehefrau und was es sonst noch an weiblichen Wesen im Umfeld des Meisters gab ins Rampenlicht gestellt werden, damit sie auf ein paar Stunden die Aufmerksamkeit erfahren, die sie verdienen.

Keine Angst, es folgt kein voyeuristischer Blick durchs Schlüsselloch auf allzu private Szenen, nur hinter die Kulissen des großen Architekten auf die attraktiven, intelligenten, gebildeten, energischen, zärtlich geliebten Gehilfinnen, auf die Frauen, die Einfluss auf sein Denken und Handeln genommen, ihn gefördert und gefordert haben: Manon Gropius, Alma Mahler, Lily Hildebrandt, Maria Benemann und Ise Gropius.

Dieser Blick hinter die Kulissen erhebt nicht den Anspruch, eine neue Sicht auf Leben und Werk des Meisters zu eröffnen. Er soll hier einmal nur Mittel zum Zweck sein als ein Mann, der Frauen mit Talent und künstlerischen Ambitionen für sich zu gewinnen wusste. Unser Augenmerk richtet sich auf die Frauen selbst, um zu erfahren, wer sie waren, wie sie lebten, wen sie liebten, welche Ansprüche sie an das Leben stellten, welche Spuren sie hinterließen. Leider sind unserer Neugier enge Grenzen gesetzt, da vor allem die Briefe des Meisters an die Frauen und kaum ihre eigenen an ihn erhalten blieben. Einzige Ausnahme ist Alma Mahler, der es gelang, eine eigenständige Bedeutung als Geliebte und Witwe bedeutender Männer zu gewinnen; viele ihrer Briefe sind noch vorhanden. Auch lebte sie lange genug, um sich und ihre Beziehung zu den jeweiligen Männern in das von ihr gewünschte Licht zu rücken.

Das Bild der anderen aber ist heute vor allem jenes Bild, das der Mann, den sie eine Zeitlang geliebt und begleitet haben, von ihnen zeichnete. Und da Walter Gropius als Partei nicht der verlässlichste Zeuge ist, kommen soweit möglich auch andere Stimmen zu Wort, in Form von Briefen, Tagebüchern, Autobiografien und Presseberichten.

2

Der kleine Walter versuchte sich auf dem Cello, denn es wurde zu Hause viel musiziert, und auf dem Zeichenblock, immerhin war der Vater Architekt, doch beides mit mäßigem Erfolg. Walter zeigte im Unterschied zu seiner älteren Schwester und seinem jüngeren Bruder keine besondere musische Begabung. Aber er besaß eine ganz andere, nicht weniger angenehme Eigenschaft: Er wusste andere für sich einzunehmen. Er war der erklärte Liebling der Großmutter Luise, geborene Honig, die ihn »Walty« zu nennen pflegte, und auch die Großtanten, von denen ihn eine großzügig in ihrem Testament bedachte, scheinen seinem Charme früh erlegen zu sein.

Walter war auch kein allzu erfolgreicher Schüler. Er besuchte eine private Grundschule, danach das humanistische Leibniz-Gymnasium, von dem er, da er sich schlecht behandelt fühlte, auf ein anderes wechselte. Insgesamt besuchte der sensible, verträumte, scheue Junge, als den ihn ein Familienfoto von 1892 zeigt, angelehnt an den Arm der Mutter, die sich ganz dem jüngeren Sohn zuwendet, vier oder fünf verschiedene Schulen. Als 1903 die Abiturprüfung anstand, er war nun fast zwanzig Jahre alt, erkrankte er. Großmutter Luise berichtete ihrem Sohn Erich: »Habe ich Dir von dem scheußlichen Pech erzählt, das unseren armen Walty heimgesucht hat? Er liegt seit dem 26. Januar mit einer schweren Influenza im Bett, dabei hätte er am 31. die schriftliche Prüfung gehabt, und in der nächsten Woche sollte es weitergehen … Stand am Sonntag für ein paar Stunden auf, war aber sehr schwach. Ich besuchte ihn am Nachmittag und fand ihn grübelnd und bedrückt. Mein Gott, wie sehr fühle ich mit ihm! Der Rektor und seine Lehrer mögen ihn, aber werden sie ihn später prüfen dürfen? Er wird sehr schwach sein, weil er so wenig isst, Mund und Hals tun ihm sehr weh. Oh, mein armer Walty!«1

Walter Gropius (rechts) mit seinen Eltern, seiner Schwester Manon und seinem Bruder Georg (1892)

Der arme Walty durfte, die Lehrer mochten ihn ja, die Prüfung nachholen – es blieb im Übrigen die einzige, die er zeitlebens ablegte –, und bald konnte Großmutter Luise Sohn Erich die frohe Botschaft übermitteln: »Ich bin heute glücklich, zufrieden, zuversichtlich und besonders dankbar, weil gerade eben mein geliebter Walty hier war, zum ersten Mal groß im langen Mantel statt in seinem lässigen Jackett, und er kam von der Reifeprüfung, die er sehr gut bestanden hat. Er war schrecklich glücklich, der junge Student! Rektor und Lehrer waren bei der Prüfung außerordentlich gnädig gewesen, voller Mitleid, weil er doch solches Pech gehabt hat, aus Krankheitsgründen … Ich bin außerordentlich glücklich, dass dieser geliebte Junge diese erste der vielen Prüfungen, die das Leben mit sich bringt, so leicht, mit solchem Glück bestanden hat. Er war zuerst sehr nervös heute, wurde dann aber immer ruhiger, bis er endlich ganz ohne jede Angst war.«2

Der kleine Walter mag nicht zuletzt aus der unbedingten Liebe der Großmutter Luise das ausgeprägte Selbstwertgefühl geschöpft haben, das auch den großen Gropius ein Leben lang nicht verließ und schließlich zum Erfolg führte. Hinzu kam die tatkräftige Förderung durch Mutter Manon, auch wenn diese ihn nicht ganz so vorbehaltlos anhimmelte wie die schwärmerisch veranlagte Großmutter, sondern Leistung forderte.

Die 1855 geborene Manon Auguste Pauline Gropius entstammte der hugenottischen Familie Scharnweber, die Ende des 17. Jahrhunderts aus Frankreich geflohen war und sich im protestantischen Brandenburg niedergelassen hatte. Die Familie war wohlhabend und angesehen. Manons Großvater Christian Friedrich, der zu den Reformern um Hardenberg gehört und die große Landeskultur-Gesetzgebung Preußens auf den Weg gebracht hatte, war preußischer Staatsrat, ihr Vater Georg, ein studierter Jurist, Landrat des Nieder-Barnimer Kreises und Besitzer des Rittergutes Hohenschönhausen in Barnim. Manon war das einzige überlebende Kind.

Obwohl sie der häufige Schulwechsel hätte bedenklich stimmen müssen, bestand Manon Gropius wie auch ihr Mann, als Walter Architekt werden wollte, auf einem Universitätsstudium, und so immatrikulierte er sich nach glücklich bestandener Matura für das Sommersemester an der Technischen Hochschule München. Er bezog eine kleine Wohnung in der Theresienstraße, in die er bald ganz verliebt war. Sie sei entzückend und der Neid seiner Freunde, schrieb er der Mutter, auch mit den Studien komme er gut voran. »Vormittags modelliere ich jetzt mit großem Fleiß einen fast lebensgroßen, antiken weiblichen Torso, nachdem ich den männlichen in Plastilin vor drei Tagen zur Zufriedenheit des Professors beendet habe. Es macht mir viel Spaß und geht mir vorläufig besser von der Hand als das Zeichnen.«3

Walter blieb nicht lange in München. Als sein jüngerer Bruder Georg, ein begabter Junge, auf dem die größten Hoffnungen der Familie ruhten, schwer erkrankte, kehrte Walter im Juli 1903 nach Berlin zurück, um der Familie beizustehen. Er arbeitete vorübergehend als Praktikant im Büro der Architekten Hermann Solf und Franz Wichards, die mit der Familie befreundet waren. Eigentlich hatte er sich als Einjährig-Freiwilliger bei einem vornehmen Kavallerieregiment bewerben wollen, doch die Eltern, die in tiefer Sorge am Krankenlager weilten, waren zu einer Entscheidung nicht im Stande.

Erst nach dem Tod des Bruders im Januar 1904 stimmten die Eltern zu. Gropius bewarb sich beim Kavallerieregiment der Wandsbeker Husaren und wurde aufgenommen. Er trat seinen Dienst im Herbst an, wohlgerüstet, wie ein Bild zeigt, auf dem ein junger Mann in einer tadellos sitzenden dunklen, mit hellen Schnüren besetzten Jacke, dunklen Reithosen und schwarzer Mütze aus Seehundsfell zu sehen ist, der mit knappem Oberlippenbärtchen und abstehenden Ohren blasiert in die Welt schaut. Stolz und tapfer berichtete Gropius der Mutter aus der Kaserne: Seine Uniformen säßen ganz famos, er werde sehr elegant darin aussehen. Er fühle sich ausgezeichnet und gehe ohne jede Furcht den Strapazen entgegen.

Da bei den Wandsbeker Husaren sonst nur Adelige aufgenommen wurden, gehörte Gropius wie sein Freund, »der kleine Dr. Lehmann«, wie er ihn nannte, Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Köln, zu den Außenseitern des Regiments. Umso mehr war er bemüht, sich durch eine betont forsche Haltung und tadellose sportliche Leistung auszuzeichnen und außerhalb der Kaserne gesellschaftliche Anerkennung zu erringen. In den Briefen bat er die Mutter immer wieder um Empfehlungen für den ausgedehnten Verwandten- und Bekanntenkreis der Familie in Hamburg und Umgebung. Sie möge doch bald Tante Lisbeth bitten, an Graf Hoffmannsegg zu schreiben. Er lerne jetzt, von welch immenser Bedeutung Beziehungen seien, sie könnten ihm sehr nützen. Er sei freilich auch ohne sie sehr angesehen, habe neulich beim Reiten eine Belobigung erhalten, die vor den Offizieren viel Eindruck gemacht und dazu geführt habe, dass er seitdem nur noch mit Glacéhandschuhen angefasst werde.

Die ausführliche Schilderung seiner Erfolge in der Hamburger Gesellschaft wie im Dienst sollte die Familie, die zwar wohlhabend, aber nicht reich war und die sein Husarenleben teuer zu stehen kam, wohl etwas über die hohen Kosten hinwegtrösten und zudem mit den militärischen Ambitionen des Sohnes aussöhnen, denen vor allem der Vater, der von seinem Einsatz im Krieg von 1870 im Familienkreis beharrlich schwieg, kritisch gegenüberstand. Einzig Großmutter Luise war ohne Vorbehalt stolz auf ihren Walty: »Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über, will sagen, er ist voller Liebe für Dich, mein liebes altes ›Dickchen‹ oder ›Husarenenkelchen‹! Da ich nicht weiß, ob Du wie Dein lieber, drolliger Vater sagen würdest: ›Aber Du sollst mich doch nicht so sehr lieben!‹, gebe ich mich mit meiner Unwissenheit zufrieden und liebe Dich weiter so schrecklich wie zuvor. Das tat ich schon am 18. Mai 1883, als morgens – es war ein Freitag – die Botschaft aus der Genthinerstraße eintraf: ›Ein Sohn ist geboren!‹ Die Freude hat wie ein Funke vom Himmel ein Feuer in mir entzündet, das seitdem immer glüht und glüht, ohne je zu flackern«.4

Die Eltern aber blieben skeptisch, umso mehr als fast jeder Brief des forschen Husaren an die Mutter von Geld handelte, da dieser mit seinen monatlichen Bezügen nicht auskam – ein Zustand, der wie das rechtzeitige Eintreffen glücklicher Zufälle sein Leben bestimmen sollte. Ihn quäle der Gedanke, schrieb er der Mutter, dass er diesen Monat wieder nicht über die Runden komme. Angesichts der Nervosität des Vaters sei es ihm fürchterlich, um Geld bitten zu müssen, und sie könne sicher sein, dass er es nur im äußersten Fall tue. Er sei, das wisse sie, kein Verschwender, noch nie gewesen, und er versage sich fast alles, um mit dem wenigen Geld, das er erhalte, auszukommen. Er werde noch ganz melancholisch wegen des verfluchten Mammons und ihres völligen Unverständnisses für seine schwierige Lage. Ihr Brief habe ihn ganz unglücklich gemacht, vor allem weil er so misstrauisch klinge. Sie glaube gar nicht, wie er wirtschaften müsse und was er sich alles abgehen lasse.

3

Nach seinem Abschied von den Husaren nahm Gropius auf Drängen der Eltern im Herbst 1905 das Studium der Architektur wieder auf, diesmal an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Die Eltern waren über die Wahl des Studienortes vermutlich froh und hofften, in räumlicher Nähe mehr Einfluss auf den in ihren Augen etwas leichtlebigen Sohn nehmen zu können. Vergebens. Bald zogen erste Aufträge aus dem pommerschen Zweig der Familie die Aufmerksamkeit des jungen Filou vom Studium ab. Sie kamen von Onkel Erich, der offensichtlich die Vorliebe der Großmutter Luise für Walty teilte. Er ließ sich von dem jungen Neffen für sein Gut in Janikow einen Kornspeicher und ein Waschhaus errichten und vermittelte weitere Aufträge aus dem Umkreis der Gutsherrschaften. Ein Foto zeigt den 22-Jährigen mit kurz geschorenen Haaren, die seine abstehenden Ohren gut zur Geltung bringen, in dunklem Anzug mit hochschließender Weste und vor der Brust verschränkten Armen selbstbewusst in die Zukunft blickend.

Walter Gropius als Student (1905)

Stolz berichtete Walter der Mutter, dass er dabei sei, in Pommern ein bekannter Mann zu werden. Er wollte sie wohl beruhigen, denn allen elterlichen Ermahnungen zum Trotz betrieb Walter das Studium nur nebenbei, auch plagten ihn nach wie vor Geldsorgen. Er unterschätze nicht ihren berechtigten Ärger, aber sie solle doch nicht das Vertrauen in ihn verlieren, bat er die Mutter, er habe sich diesmal einfach verkalkuliert. Von jetzt an werde er sehr frugal leben und auch das Studium fleißig fortsetzen: »Meine privaten Sachen sind nun soweit gediehen, dass ich mich mit Effort auf die Erledigung der Hochschulzeichnungen geworfen habe. In den Collegs kann ich nach der langen Pause nicht mehr folgen, sie sind überhaupt außer für Genies illusorisch; ich gehe nicht mehr hin und arbeite alles nach Collegheften durch. Vor Statik graut mir am meisten.«5

Angesichts der Halbherzigkeit, mit der Walter das Studium betrieb, als wolle er den akademischen Anforderungen ausweichen, blieb die Mutter beunruhigt, obwohl er sie immer wieder von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen suchte und sich über ihr mangelndes Vertrauen beklagte: »Es tut mir leid, liebe Mutter, dass Du Dich nun wirklich in ein derartiges Misstrauen hineingeredet hast, dass Du meinen Gedankenkreis so gänzlich aus den Augen verloren hast und alles, was ich jetzt tue, missdeutest.«6

Ihr Argwohn sei um so weniger gerechtfertigt, als er sich nun seiner selbst viel sicherer und fürs Leben gewappnet fühle, was er nicht erreicht hätte, wenn er dem Vorbild des allzu bedächtigen Vaters gefolgt wäre. Von ihm, dem Vater, habe er jedenfalls nicht gelernt, auch einmal anderen auf die Zehen zu treten. Zudem sei er jung, wolle seine Zeit nutzen und nicht sauertöpfisch leben wie der Vater. Umso schmerzlicher empfinde er, dass die Mutter, die doch vom gleichen zupackenden Schlage sei wie er, ihn so gar nicht verstehen wolle.

Nach der geschickten Anspielung auf ihre enge Verbundenheit und Überlegenheit über den Vater ließ ein versöhnlicher Brief der Mutter nicht lange auf sich warten, auch wenn sie Walter weiterhin zur Fortsetzung des Studiums anhielt. Sie mahnte, erinnerte, sammelte Bücher und Artikel über Architektur und machte ihn auf Vorträge bekannter Architekten aufmerksam. So kehrte Walter im Wintersemester 1906 noch einmal an die Hochschule zurück, obwohl er sich längst darüber im Klaren war, dass er das Studium nicht zu Ende bringen würde. Er fand es langweilig und schwierig, abgehoben und wirklichkeitsfern und glaubte seinen Weg durch praktische Erfahrung schneller und besser finden zu können.

Als das Legat einer Großtante ihm eine beträchtliche Summe bescherte, beschloss er kurzerhand, ohne Abschluss von der Hochschule abzugehen und mit dem gleichaltrigen Jugendfreund Helmuth Grisebach, Neffe des bekannten Architekten Hans Grisebach, der 1888 das Sommerhaus der Familie Gropius am Timmendorfer Strand entworfen hatte, eine einjährige Studienreise nach Spanien zu unternehmen.

Die Reise verlief angenehm. Stolz berichtete Walter den Eltern von der Bekanntschaft mit entzückenden Frauen, weitgereisten Junggesellen und erfolgreichen Kaufleuten, denen er in seinen schönen Anzügen als vollendeter Weltmann begegne. Alles war gut bis auf die Trägheit des Reisegenossen, über die sich Gropius immer wieder beklagte. Erst als Grisebach glaubte, einen echten Murillo zum Schnäppchenpreis erstanden zu haben, stieg er in der Wertschätzung des Freundes. Nach einigen intensiven Stunden im Prado und weiteren vermeintlich günstigen Kunstkäufen beschlossen die beiden, die sich nun für gewiefte Kenner hielten, die Sache groß aufzuziehen, in den Antikengeschäften auf Schatzsuche zu gehen und größere Summen zu wagen.

Walter bat die Mutter um finanzielle Unterstützung des vielversprechenden Unternehmens, und er tat dies wieder einmal sehr geschickt, mit einem Seitenhieb auf den Vater und die Familie Gropius. »Ich hoffe, Du wirst noch einmal stolz sein auf diese Sache. Lass mich ruhig etwas unternehmungslustiger sein als Vater, nur wer wagt, gewinnt, und die Gropius konnten nie wagen. Ich bin voller Zuversicht, ohne meine Ruhe zu verlieren. Sage nicht nein Deinem Sohn.«7

Eine erstaunliche Einschätzung der Familie Gropius. Immerhin war der Vater Königlicher Baurat am Polizeipräsidium in Berlin und sollte wenige Jahre später bei seinem Abschied vom Dienst zum Geheimen Baurat ernannt werden und die Ehrendoktorwürde erhalten. Walters Großonkel Martin Gropius schuf als Architekt einige architektonisch bedeutende Villen und Krankenhäuser, vor allem aber das Königliche Kunstgewerbemuseum, den heutigen Martin-Gropius-Bau. Carl Gropius, ein Vetter Martins, war ein bekannter Landschaftsmaler und betrieb in Berlin lange Jahre ein beliebtes Diorama.

Doch der Brief zeigte Wirkung. Die Mutter überwies dem unternehmungslustigen Sohn Geld aus dem Erbe seiner Großtante und, um den Vater nicht zu beunruhigen, aus ihrer Privatschatulle, die gut bestückt war, da sie als einzige Erbin ihres Vaters das Gut Hohenschönhausen geerbt hatte. Das Geschäft ging jedoch gründlich schief. Die so günstig gekauften Werke waren laut Expertise Pariser Kunsthändler durchaus nicht mehr wert, als sie gekostet hatten, vielleicht sogar weniger, und über die ganze Angelegenheit wurde brieflich kein Wort mehr verloren.

In Madrid traf Gropius Anfang 1908 Karl Ernst Osthaus, den Sammler und Gründer des Hagener Folkwang-Museums. Osthaus riet dem strebsamen jungen Mann, sich nach seiner Rückkehr bei Peter Behrens, der im Jahr zuvor Architekt und künstlerischer Berater der AEG geworden war, als Mitarbeiter zu bewerben, und schrieb ihm einen Empfehlungsbrief. Einige Wochen später stellte sich Gropius bei Behrens vor und wurde eingestellt.

Bald war Gropius im Hause Behrens und in dessen Atelier, dem Erdmannshof in Babelsberg, ein gern gesehener Gast. Er wusste sich beim Hausherrn und dessen Frau Lilli durch allerlei Freundschaftsdienste unentbehrlich und bei der Tochter Petra durch Tennisstunden beliebt zu machen. Die Tennisstunden allerdings strengten die Handgelenke so sehr an, dass seine schon von Haus aus nicht besonders ausgeprägte Zeichenfähigkeit weiter nachließ. Ein Mangel, der sich von Anfang des Studiums an bemerkbar gemacht hatte, wie er der Mutter mehr als einmal bekümmert gestand, und der ihn bisweilen an seiner Berufswahl zweifeln ließ. Er bekomme beim Zeichnen sofort einen Krampf in der Hand und müsse sich schon nach fünf Minuten ausruhen. »Meine absolute Unfähigkeit, auch nur das einfachste aufs Papier zu bringen, trübt mir manches Schöne und lässt mich oft mit Sorgen auf meinen zukünftigen Beruf sehn. Ich bin nicht imstande einen geraden Strich zu ziehen.«8

Mangelnde Zeichenfähigkeit war nicht sein einziges Problem, wie sich zeigte, als Behrens den jungen Mitarbeiter wohl aufgrund der baupraktischen Erfahrungen in Pommern und der Bekanntschaft mit Osthaus als Bauleiter für die Villen Cuno und Schroeder in Hagen einsetzte. Denn nun machten sich auch die mangelhaften Kenntnisse hinsichtlich Statik und Bautechnik unangenehm bemerkbar: Bei beiden Häusern traten massive Bauschäden auf. Als Behrens die Fehler dem jungen Mitarbeiter zur Last legte, kam es zum Streit, und Gropius verließ im März 1910 dessen Atelier, nicht ohne sich gegenüber Osthaus von jeder Schuld freizusprechen.

Gropius beschloss nun, sich endgültig selbständig zu machen. Er erhielt neue Aufträge aus dem Kreis der Pommerschen Gutsbesitzer und verpflichtete als Mitarbeiter den akademisch gut ausgebildeten Adolf Meyer, den er bei Behrens kennengelernt hatte. Als die ersten Aufträge abgearbeitet waren und neue nicht hereinkamen, verfiel Gropius auf die Idee, einen Vorschlag zur Gründung einer Hausbaugesellschaft auszuarbeiten, die Häuser in rationalisierter Fertigung errichten sollte. Diesen erlaubte er sich Walther Rathenau zu überreichen, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der AEG, den er ebenfalls über Behrens kennengelernt hatte, in der Hoffnung, das Unternehmen für eine solche Neugründung interessieren zu können. Ein etwas fragwürdiges Vorgehen, weil sich auch Behrens mit Fragen des kostengünstigen Wohnungsbaus für breitere Schichten befasste und gerade an einer Gartenstadt für die Beamten und Arbeiter der AEG in Henningsdorf arbeitete.

4

All das hatte die Kräfte des nun 27 Jahre alten Architekten so sehr erschöpft, dass er einer Kur bedurfte. Er begab sich nach Tobelbad bei Graz in der Steiermark, das gerade dabei war, zum beliebten Bad der deutschen und österreichischen Aristokraten, Großbürger und Künstler zu werden, nachdem der Erfinder und Unternehmer Gustav Robert Paalen das dortige Kurhotel 1909 erworben, restauriert und erweitert hatte. Die Behandlung erfolgte nach der physikalisch-diätetischen Heilmethode des Dresdner Arztes Heinrich Lahmann, der auf ausgewogene Ernährung, Dampf- und Lichtbäder, Wasserkuren und Freiluftgymnastik setzte. Die im Mai 1910 im Berliner Tageblatt geschaltete Anzeige versprach »mildes Klima bei kräftiger Waldluft, die von ausgedehnten Fichtenwäldern mit Ozon gesättigt wird. Einheitspreise garantiert«.

Alma Mahler (1909)

In Tobelbad lernte der gut aussehende und elegant gekleidete Gropius am 4. Juni 1910 Alma Mahler kennen, die Ehefrau des Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, die mit Tochter und Gouvernante eine sechswöchige Kur absolvierte. Auch die 30-jährige Alma benötigte, obwohl auf der Höhe ihrer imponierenden Schönheit, aufgrund häufiger Unpässlichkeiten und Stimmungsschwankungen therapeutische Anwendungen.

Als Alma und Walter Gropius vom Leiter des Sanatoriums einander vorgestellt wurden, begann eine Amour fou, die nicht ohne Folgen bleiben sollte. Almas Briefe an Mahler wurden plötzlich so spärlich, dass dieser sich sorgte. Ob denn alles in Ordnung sei, er spüre da etwas zwischen den Zeilen der wenigen Briefe heraus. Eine Woche später kam er, um selbst nach dem Rechten zu sehen, und reiste, erfolgreich getäuscht, beruhigt wieder ab. Mitte Juli ging die Kur für Alma zu Ende. Sie fuhr nach Toblach, wo die Familie Mahler seit zwei Jahren ihren Sommerurlaub zu verbringen pflegte, während Gropius allein in Tobelbad zurückblieb.

Bald kam es, wie es kommen musste: Die Affäre, postalisch aufs Eifrigste fortgesetzt, flog auf. Von den leidenschaftlichen Briefen, die Gropius an Alma sandte, adressierte er einen an »Herrn Gustav Mahler«. Bis heute ist ungeklärt, ob es mit Absicht oder aus Versehen geschah. Gropius bestand zeitlebens auf einem Versehen, während Alma »jugendlichen Fieberwahn« dahinter vermutete. Da Gropius auch bei einer späteren Beziehung zu einer verheirateten Frau den Drang verspürte, mit dem Ehemann persönlich Kontakt aufzunehmen, ist allerdings Absicht nicht auszuschließen. Merkwürdig bleibt auch, warum Alma, die dazu Gelegenheit gehabt hätte, den Brief, dessen Handschrift sie erkannt haben musste, nicht aus der Post des ahnungslosen Ehemannes entfernt hatte.

Nach der Entdeckung forderte Alma von Gropius Vorschläge zu ihrer Rettung. Die Situation sei für sie ganz fatal. Da das Verhältnis quasi durch Zufall herausgekommen sei und nicht durch ein offenes Geständnis ihrerseits, habe ihr Mann nun jedes Vertrauen in sie verloren. Er müsse ihr sofort schreiben, dürfe aber auf keinen Fall nach Toblach kommen. Sehnsüchtig erwarte sie seinen Brief.

Erhoffte sich Alma wirklich Rettung von Gropius, von dem sie inzwischen wissen musste, dass er trotz seiner exklusiven Kurortwahl noch nicht in gesicherten materiellen Verhältnissen lebte und der anspruchsvollen Geliebten außer seinem Herz nur wenig zu bieten hatte? Oder wollte sie nur andeuten, dass sie das Verhältnis zwar gerne fortsetzen würde, vorerst aber bei Mahler bleiben müsse, da keine Rettung in Sicht war?

Gropius könnte geahnt haben, dass der weltgewandten und statusbewussten Alma ein heimliches Dreiecksverhältnis nicht unlieb gewesen wäre, und vielleicht war die falsche Adressierung des Briefes der Versuch, eine Klärung der für ihn unbefriedigenden Situation herbeizuführen, denn nach der Entdeckung bedrängte er Alma, er wolle Mahler von Mann zu Mann gegenübertreten. »Dein Brief macht mir grausige Angst um Euch. Keine Tragödie! Ich werde irrsinnig, wenn Du mich nicht rufst, ich will mich selbst vor Euch rechtfertigen und das Rätsel lösen zu helfen.«9

Welches Rätsel Gropius lösen und welche Tragödie er verhindern wollte, ausgerechnet er, der Verursacher des ganzen Dramas, können wir nur vermuten. Das Rätsel plötzlicher Liebe? Die Tragödie endgültiger Trennung? Was wir aber wissen, ist, dass Gropius, entgegen Almas Wunsch, sofort nach Toblach reiste und sich so auffällig unauffällig verhielt, dass Mahler nichts anderes übrig blieb, als den jungen Mann zu empfangen. Als alter Husar setzte Gropius nun auf kühnen Sturmangriff und forderte Mahler auf, sich von seiner jungen Frau zu trennen, damit er selbst sie heiraten könne. Mahler antwortete nicht, sondern stellte Alma vor die Wahl, ihn zu verlassen oder bei ihm zu bleiben unter der Bedingung, die Beziehung zu Gropius abzubrechen. Alma blieb, und Gropius reiste ab.

Vorher aber schrieb er Mahler noch einen merkwürdigen, etwas aufdringlich-anbiedernden Brief: »Wir hatten uns leider eben ja nur so wenig zu sagen – es schmerzt mich, dass ich Ihnen nur wehe tun kann. Lassen Sie mich Ihnen wenigstens noch danken für die Noblesse, mit der Sie mir entgegenkamen, und Ihnen ein letztes Mal die Hand drücken.«10

Gropius darf man wohl zu den Männern zählen, zu deren Liebesbedingungen, wie Freud konstatiert, notwendig die des »geschädigten Dritten« gehört. Dieser Typ Mann werde niemals ein Weib zum Liebesobjekt wählen, welches noch frei sei, sondern nur eines, auf das ein anderer Mann »Eigentumsrechte« geltend machen könne. Diese eigentümlich bestimmte Objektwahl entspringe der infantilen Fixierung der Zärtlichkeit auf die Mutter und stelle einen der Ausgänge aus dieser Fixierung dar. Die späteren Liebesobjekte würden zu »Muttersurrogaten« und ihre Ehemänner wie der Vater, dem einst die Mutter gehörte, zu Rivalen, die es, wenn auch mit gebotenem Respekt, zu besiegen gelte.

Alma blieb zwar bei Mahler – der sich in seiner Angst, sie zu verlieren, für die Lieder, die sie vor der Ehe komponiert hatte, zu interessieren begann und sie zu publizieren versprach –, gab den jungen Liebhaber aber nicht auf. Weitere Briefe gingen postlagernd oder über Almas Mutter Anna Moll hin und her. Alma sehnte sich nach dem dauernden Besitz des Geliebten. Er müsse wissen, dass sie ihn liebe, dass er ihr einziger Gedanke bei Tag und bei Nacht sei und sie für die Zukunft nichts anderes wünsche, als sein zu werden und zu bleiben. Doch verlange sie danach, zu erfahren, wie er sich eine gemeinsame Zukunft vorstelle, wie er seine Karriere vorantreiben und ihr Zusammenleben einrichten wolle, wenn sie sich einmal für ihn entscheiden würde. »Ach – wenn ich daran denke – mein Walter, dass ich Deine starke Liebe für mein ganzes Leben nicht mehr haben sollte! Ach Du – hilf mir – ich weiß nicht, was ich tun soll – wozu ich das Recht habe.«11

Doch Gropius wusste keinen Rat. Noch war er nicht mehr als ein Talent. Noch hatte er wenig Aufträge. Noch sah er keine Möglichkeit, genug Geld zu verdienen, um Alma befriedigende Vorschläge machen zu können. Vielmehr erhoffte er von ihr tatkräftige Hilfe bei der Überwindung der vor ihm liegenden beruflichen und finanziellen Hindernisse. Er werde jetzt jeden Groschen sparen, so schrieb er der Geliebten, dritter Klasse fahren und viel zu Fuß gehen. Dies alles sei ihm gleichgültig. Er wolle die vor ihm sich auftürmenden Berge überklettern, denn er habe keine Lust, sich zu Boden drücken zu lassen, und sie solle ihm dabei helfen.