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In drei Erzählungen schließen Menschen in früheren Jahrhunderten mit ›Ihm‹ einen Pakt, dessen Konsequenzen jeweils bis in die heute Zeit nachwirken. In ›Die Teufelsschmiede‹ drängen Elend und Not einen Schmied aus dem späten Mittelalter zu einem Vertrag mit ›Ihm‹, der Reichtum und Wohlstand verspricht. Doch ›Er‹ kennt die Gier der Menschen genau und nützt deren Schwächen gnadenlos aus. Die unvorhersehbaren Folgen eines illegalen Autorennens beenden den Fluch, der seither über dem Grundstück der Schmiede lastete. Ein Massaker in einer kleinen, abgelegenen Schwarzwaldsiedlung veranlasst Berthold, dem letzten noch lebenden Einwohner, mit ›Ihm‹ einen Pakt abzuschließen, um die Toten seines Dorfes zu rächen. Einer Gruppe von Frauen unserer Zeit, die sich aus Langeweile und Verblendung zu einem magischen Zirkel zusammenschlossen, spielt ›er‹ heimtückisch ein ›Grimoire‹ zu. In der Erzählung ›Hexensee‹ beschwören sie ihr eigenes Ende herbei. Im ›Totenmoor‹ findet der gewalttätige Nachfahre eines Mörders, dank des Abkommens, den die ins tödliche Moor geflüchtete Braut des Ermordeten mit ›Ihm‹ einging, seine gerechte Strafe.
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2014
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1. Die Schmiede
2. Hexensee
3. Totenmoor
Warum konnte er auch nie seine Klappe halten?
Klar, ein oder zwei Bierchen zu viel und dazu die gezielten Sticheleien von Charly. Wie eine Rakete ging er hoch und ließ sich zu der riskanten Wette hinreißen.
Ein illegales Rennen …!
Er, Erich, gegen Charly!
Andererseits nicht allzu bedauerlich, seine Chancen standen verhältnismäßig gut. Charly würde sich nachher schwer wundern! Sein ganz spezieller Treibstoff war nämlich erste Sahne! Wozu studierte er Maschinenbau mit Schwerpunkt Verbrennungsmotoren? Er hatte den Tag gut genutzt! Und seine Gewinnaussichten verbessert! Der Wetteinsatz? Nicht der Rede wert! Hier ging's einzig und allein um die Ehre! Nur in der kleinen Stadt ja nicht das Gesicht verlieren! Der Gewinner bekam die Tussis, der Verlierer zahlte die Zeche!
Noch drei Minuten bis zweiundzwanzig Uhr! Danach würde gestartet werden!
Die Fenster waren geöffnet, die Motoren liefen sich warm. Nicht gerade besonders umweltfreundlich.
Leise blubberte sein Motor im Leerlauf vor sich hin. Mehr Gas zu geben und die Maschine ab und an aufheulen zu lassen, so wie Charly es rechts neben ihm in seiner Nervosität andauernd tat, getraute er sich nicht. Wie gesagt, sein ganz spezielles Benzingemisch.
Im Gegensatz zu normalem Benzin war es hochkritisch und überaus explosionsfreudig. Wenn sein Motor am Ziel in die Luft ging, war das schon in Ordnung. Aber bitte nicht vorher! Hauptsache gewonnen!
Natürlich hatte Charlys Wagen deutlich mehr PS als sein gebrauchtes Auto. Offiziell und auf dem Papier. Eine teure Sportversion, Geschenk seines reichen Daddys zum 21. Geburtstag. Ein nervöser, empfindlicher Motor, der nur durch eine ausgefeilte elektronische Steuerung und die Motormanagementprogramme des Herstellers beherrschbar war. Keine Möglichkeit von außen einzugreifen und an der Leistung zu drehen.
Sein Aggregat hingegen? Ein stabiler Einspritzer mit einer Regelung, die jede Werkstatt kannte. In den einschlägigen Foren im Internet gab es genügend Datensätze für veränderte Maschinenparameter, mit seinem Wissen leicht einzuspielen. Innen polierte Ansaugrohre, anschließend natürlich hochglanzverchromt und Einspritzpumpen mit höherem Druck aus einem anderen Fahrtzeug. Ein kräftiger Turbolader und …
Alles im Laufe der Zeit unauffällig eingebaut. Gut! So lange wenigstens, wie der TÜV nichts davon mitbekam. Der hätte beispielsweise Bremsscheiben mit größeren Flächen und noch so einiges verlangt. Oder den Wagen gleich aus dem Verkehr gezogen! Zudem war da weiterhin …
Ein schriller Triller aus der Pfeife des Starters riss ihn aus seinen Überlegungen.
Noch dreißig Sekunden!
Kurz siegessicher und hohnlachend zugleich Charly angeblickt, die Zähne gebleckt und anschließend nichts als reine Konzentration! Langsam die Kupplung kommen lassen, die Handbremse gelöst und im Griff, dabei behutsam mehr Gas gegeben. Dass die Kupplungsscheibe dadurch heiß wurde, störte ihn nicht. Jetzt galt es einzig und allein einen perfekten Start hinzulegen. Und ja keine durchdrehenden Reifen!
Diese waren nur zur Show, jedoch nicht zum Beschleunigen. Und wem sollte er diese bieten? Außer einem Kumpel, welcher den Starter spielte, standen am Straßenrand bloß zwei Pärchen, die mit bedenklicher Miene zusahen. Der überwiegende Teil der Zuschauer wartete am Ziel.
Vor allem sorgten diese dafür, dass die Strecke rechtzeitig geräumt wurde und ihnen während der Fahrt niemand entgegenkommen würde! Sie hatten -per Handy bestätigt - die Straße gesperrt und an einer wichtigen Einmündung darauf geachtet, dass in den nächsten Minuten keiner einbiegen konnte. Zumal das Rennen sowieso keine drei Minuten dauern würde. Danach war die Straße wieder frei. Bis die Polizei von der Aktion Wind bekam, war die Sache längst gelaufen und alle Spuren verwischt.
Ein schriller Pfiff und die Flagge senkte sich.
Mit aufheulenden Motoren fuhren die Wagen los, Seite an Seite. Jetzt gab es nur noch die Straße vor ihm. Schlechte Sicht und Restnässe vom abziehenden Regen.
Er lachte! Charly fiel zurück! Zentimeter um Zentimeter. Hatte er es doch geahnt. Was nutzte dem die weitaus höhere Spitzengeschwindigkeit seines Sportflitzers, die windschnittige Karosserie? Nichts, gar nichts! Auf dieser Landstraße ging einzig um die Beschleunigung aus den Kurven heraus und um die Fahrstabilität auf unebenem Asphalt.
Der Sieg war ganz sicher sein!
Nur dafür fuhr er! Und wegen der Ehre …!
*
Spätestens in einem Monat würde er endgültig pleite sein! Die kleinen Gaunereien, wie Laden- und Taschendiebstahl, brachten nicht genug ein. Der große Coup musste her!
Gar nicht so leicht! Er hörte sich dezent in einigen einschlägigen Lokalen um, aber um kräftig abzusahnen, musste man in einer gut gehenden, straff organisierten Vereinigung sein. In der Russenmafia beispielsweise. Aber das war nicht nach seinem Geschmack. Er arbeitete stets als Einzelgänger und vor allem gewaltscheu. Nur ja keine körperliche Gewaltanwendung lautete sein Motto. Es sei denn, es wäre unumgänglich notwendig, nicht jedoch, wenn es sich vermeiden ließ.
Seine schäbige Einzimmerwohnung, abgenutzt, ewig nicht mehr renoviert, mit vergammelten Fußbodenbelägen und abblätternden Tapeten, widerte ihn an. So konnte es nicht weitergehen. Wenigstens war es nicht weit bis zum Pfandhaus, wie er grimmig feststellte. Die Wohnblocks, am Rande der Ulmer Altstadt, bildeten ein Rechteck mit einem schmalen, düsteren Innenhof. Von seinem Fenster aus, welches zum Hinterhof ging, konnte er die Rückseite des gegenüberliegenden Hauses erkennen, in dessen Erdgeschoss die Pfandleihe lag.
Finster sah er hinab in den Hof, überlegend, wie es zukünftig weitergehen sollte. Es war kurz nach Mitternacht. Da er tagsüber meistens im Bett lag und durchschlief, war er nachts hellwach. Plötzlich stutzte er.
Im Mondschein war die Hintertür der Pfandleihe gut zu erkennen. Zwei Männer kamen heran und pochten - schau an, ein Rhythmus wie ein geheimes Codezeichen! – gegen die Tür.
Genau genommen klopfte nur einer an, der Zweite sah sich argwöhnisch um, die rechte Hand verdächtig hoch in Brusthöhe haltend. Rasch trat er einen Schritt vom Fenster weg, sich in den Schatten des Zimmers zurückziehend, dabei das Geschehen nicht eine Sekunde aus den Augen lassend.
Kein Lichtschein fiel aus dem Leihhaus, als sich dessen Tür öffnete. Im hellen Mondlicht konnte er deutlich erkennen, dass einer der Besucher dem Pfandleiher - er nahm an, dass es dieser war, so genau war die Person nicht auszumachen - einen dicken Beutel in die Hand drückte.
Sekunden später tauchten die beiden Männer in den Schatten der Nacht unter.
Die Aufregung erfasste ihn! Gleich morgen früh musste er sich ein Nachtsichtgerät beschaffen, um das seltsame Treiben besser verfolgen zu können. Nicht immer würde ihm der Vollmond helfen.
Rolf Wagner zitterte vor Erregung. Der große Coup! Endlich in greifbarer Nähe! Jetzt galt es genauestens zu beobachten, sorgfältig die Flucht planen und vorher im geeigneten Moment zuschlagen!
*
In Strömen rann ihm der Schweiß über das Gesicht.
Vom Wochenmarkt in Kenzingen bis Bleichheim, über Wagenstadt, hatte er gut drei Stunden gebraucht. Der Weg war nicht gerade schlecht, aber sein einachsiger Handwagen - er zog ihn an den rechts und links angebrachten Griffstangen hinter sich her -bereitete ihm mehr Mühe als vermutet. Mehrmals musste er Kutschen und Ochsengespannen ausweichen, was viel Zeit und vor allem Kraft kostete. Den Wagen von den weichen Äckern oder stellenweise sumpfigen Wiesen auf den festen Weg zurückzubringen, erwies sich oft nicht einfach. Wenigstens traf er auf keine Reiter oder Wagen der Burg. Wie hieß die doch gleich? Kurinberc? Er konnte weder Lesen noch Schreiben, aber das war im Jahre des Herrn 1553 völlig normal. Außer ein paar geistlichen Herren oder einem Ratsschreiber in größeren Städten, war niemand hierzu in der Lage. Wozu auch?
Heute war ein ausgesprochen schwüler Tag. Bleiern und drückend stand die Luft über dem Rheintal bis weit in die Seitentäler des Schwarzwaldes hinein. Der Himmel besaß eine unangenehme Tönung, das demnächst hereinbrechende Gewitter ankündigend.
Bereits wenige Hundert Meter hinter Bleichheim, das Tal der Bleiche aufwärts, konnte man kaum mehr von einem Fahrweg reden. Eher ein Wanderpfad für Fußgänger, denn für seinen Wagen geeignet. Schmal und holperig, dabei teilweise matschig und sumpfig. Na, ja, der Bach halt. Beinahe nach jedem Unwetter suchte der sich ein neues Bett, selbst wenn dies vorher der Pfad war. Was auch bedeutete, dass aus einer Trockenwiese kurz hernach ein Sumpf wurde oder eine Furt sich plötzlich ganz woanders befand.
Wo auch immer. Zudem es kaum einen interessierte, denn es gab in diesem Tal nur wenige Bewohner. Und am Talende? Im Prinzip bildete das Bleichtal eine Sackgasse! Ein schmaler Steig führte hoch zwar zum Streitberg aber der wurde nur äußerst selten benutzt. Wozu auch, befand sich dort oben so gut wie keine Ansiedlung mehr. Nur dichter, nahezu undurchdringlicher Wald. Außer einem Jäger verirrte sich niemand dort hinauf.
Wichtig war die Bleiche nur in Bezug auf die Grenze. Als Grenzflüsschen trennte sie den im Süden gelegenen Breisgau von der Mortenau im Norden.
Seine Schmiede, eine winzige, von einem Mühlrad angetriebene Hammerschmiede, lag an einem schmalen südlichen Zufluss zur Bleiche, somit dem Breisgau zugehörig. Sie war das letzte halbwegs feste Haus hinten im Tal. Danach folgten nur noch ein paar schäbige Hütten. In denen hauste ein Köhler mit seinen Gehilfen. Sie besaßen genau wie er einen Wagen, um die erzeugte Holzkohle nach Bleichheim zu einem Händler zu bringen. So alle ein bis zwei Wochen ein Mal.
Für ihn war es heute kein guter Tag. Nur eine einzige Sichel hatte er verkauft. Die Geschäfte liefen nicht gut, was überwiegend, wie er sich selbstkritisch eingestand, an der Qualität seiner Waren lag.
Nicht dass er ein schlechter Schmied gewesen wäre, aber seine Sicheln und Sensen rosteten einfach zu schnell. Zudem stumpften sie meist nach kurzem Gebrauch ab. Hochwertiges Eisen, wie es für Schwerter und Waffen eingesetzt wurde, war für ihn unerschwinglich.
Er war schon froh, dass es für ihn, seine Frau und die Kinder zum Leben reichte. Wobei die von seiner Frau bearbeiteten Äcker und kleinen Felder zum Unterhalt beitrugen. Ein paar Ziegen, einige Schweine, eher mager denn fett, ein Stall mit Hasen und jede Menge Hühner. Die Milch der Ziegen langte auch noch für ein wenig Käse und die Eier der Hühner, die sie nicht selbst verbrauchten, trug er mit zum Markt.
Dennoch, es war ein hartes, karges Leben!
Gar zu gerne hätte er ein Pferd besessen, besser gleich zwei. Eines um einen Pflug zu ziehen, das andere als Zugtier für seinen Wagen. Seine Mittel reichten jedoch nicht einmal für einen Esel.
Seufzend, tief in unerfreuliche Gedanken versunken, bog er um eine Kurve. Erst als er angesprochen wurde, bemerkte er den am Wegesrand auf einem großen Stein sitzenden Jäger.
»Grüß’ dich, Schmied! Was machen die Geschäfte?«
*
Er spürte es genau: Der Tod saß ihm im Nacken!
Dessen eiskalter Atem ließ ihm die Haare zu Berge stehen, schien seine Gedanken und seinen Körper zu lähmen. Dabei war es im seinem Wagen trotz des heftigen Regens angenehm temperiert.
Derzeit war an ein sicheres Fahren nicht zu denken, zu heftig rauschte der Schauer herab und überflutete die Straßen. Einen Unfall durch Aquaplaning konnte er sich in seiner Situation wirklich nicht leisten. Viele der kleinen Sträßchen im Schwarzwald wurden immer wieder unversehens von breiten Sturzbächen überquert. Auf dem Parklatz, gegenüber einem Gasthof, oben auf dem Streitberg, hatte er daher vorübergehend angehalten, um den schlimmsten Teil des unerwartet aufgetauchten Unwetters abzuwarten.
Die schwierigen ersten Stunden lagen hinter ihm. Auf Nebenstraßen hatte er die Schwäbische Alb überquert, unlogische Umwege in Kauf genommen, war in einem weiten Bogen nach Süden gefahren und hatte nun fast den Schwarzwald hinter sich gebracht. Jetzt hatte er es beinahe geschafft.
Bald würde es dunkel sein und niemand konnte dann so ohne weiteres das Nummernschild ablesen. Nicht bei Nacht! Dank der offenen EU-Grenzen nach Frankreich war, zumal mit seinen exzellent gefälschten Ausweisen, ein Untertauchen leicht möglich. In Straßburg einfach den Wagen stehen lassen. Mit der Bahn weiter nach Süden …
Von Portugal aus auf einem Frachter unauffällig nach Südamerika. Kein Problem! Paradies, ich komme!
Trotzdem …
Irgend so eine dumpfe Vorahnung. Wieder kroch es ihm eiskalt den Rücken hinab. Ihn schauderte.
Entschlossen drehte er den Schlüssel im Zündschloss und startete den Wagen. Nur noch eine kurze Zeit und er war in Frankreich und damit vorläufig in Sicherheit. Verbrechen zahlten sich eben doch aus, dachte er zufrieden. Wenigstens in seinem Fall!
Aber seine dunkle Vorahnung? Unwichtig …!
*
Erschrocken fuhr der Schmied zusammen, als er so unvermutet angeredet wurde.
Gleich darauf beruhigte er sich wieder. Ein harmloser Jäger, die Armbrust über die Schulter gehängt und seinen kräftigen Speer an den Stein gelehnt. Ein Sauspeer, wie er erkannte. Wollte der Wildschweine jagen? Ganz allein? Plötzlich kam ihm der Grünrock reichlich seltsam vor.
Der war aufgestanden und an seinen Wagen herangetreten – er hatte angehalten, um dem Jäger zu antworten - und betrachtete gründlich die Waren.
»Sieht nicht gerade gut aus, Schmied! Und so wie ich es einschätze, hast du heute nicht viel verkauft, oder?«
Nun, dem konnte er kaum widersprechen.
»Die Zeiten sind hart, Herr Jäger! Geld für besseres Material habe ich nicht und die …!«
»Schon gut, ich kenne deine Schwierigkeiten und bin hier, um dir ein Angebot zu machen! Ein Beutel voll Gold für den Anfang und andauernden Erfolg mit deiner Schmiede! Wenn du die von mir vorgeschlagenen, harmlosen Bedingungen einhältst, kostet es dich keinen Heller! Du kannst bis an dein Lebensende reich und glücklich werden! Hältst du dich indessen nicht an den Vertrag, gehört deine Seele, auch die von unehrlichen Nachkommen deinerseits, mir! Dies gilt so lange, bis einer deiner Nachfahren einer großen Versuchung widerstehen kann. Erst dann wird der Pakt enden! «
Sieh an, hatte er es doch befürchtet. Der Teufel persönlich! Schon wollte er ablehnen, als der Jäger hinzufügte:
»Wenn du willst, bringe ich dir heute um Mitternacht das Dokument vorbei! Du kannst es in aller Ruhe prüfen! Es hat keine Eile! Ein paar Tage, ein paar Wochen, es hängt allein von dir ab. Wenn du einverstanden bist, begib dich an einem beliebigen Tag, natürlich ebenfalls zur Mitternacht, ganz allein in deine Schmiede und stelle das Mühlrad an! Drei Hammerschläge, nicht mehr und nicht weniger. Dann werde ich erscheinen und wir können den Vertrag abschließen. Einverstanden?«
Er musste jetzt nicht sofort unterzeichnen? Konnte in Ruhe überlegen und sich vielleicht von seiner Frau beraten lassen?
Das erschien ihm durchaus überlegenswert. Das Dokument ohne eine Verpflichtung annehmen, warum auch nicht? Was konnte schon geschehen? Nichts! Er wurde ja nicht gezwungen, diese Abmachung anzunehmen.
Also sagte er bereitwillig zu. Der Jäger nickte:
»Bis demnächst um Mitternacht, Schmied!« Verblüfft rieb er sich die Augen. Der Jäger war spurlos verschwunden!
*
Der Regen hatte aufgehört. Vom Streitberg herab waren es nur noch wenige Kilometer bis Bleichheim, danach irgendwo über den Rhein und er war in Sicherheit.
Vor ihm tauchten die Lichter einer kleinen Gaststätte auf. Sein nagender Hunger und Durst kamen ihm bei dem Anblick so richtig ins Bewusstsein. Kurz entschlossen hielt er an und stieg aus.
Schau an, eine alte Hammermühle! Genauer gesagt, eine von einem Wasserrad angetriebene Hammerschmiede.
Vermutlich jetzt nur noch ein Museum, dennoch recht nett, zumal sich, wie er im Näherkommen sah, zwei verschieden große Mühlräder direkt neben dem Eingang – er musste ein paar Stufen hochsteigen, um den Mühlbach zu überqueren – leise plätschernd drehten. Das Innere der Gaststätte war sehr gemütlich eingerichtet. Ein kurzer Rundblick und er nahm in einer Ecke Platz.
Eine freundliche Frau – die Wirtin selbst? – brachte ihm die Speisekarte. Schnell hatte er ein Gericht ausgesucht und sich ein Getränk bestellt. Eine Rotweinschorle sauer, viel Mineralwasser, wenig Rotwein. Aber gut zum Aufwärmen. Während er auf das Essen wartete, ging er in unerfreulichen Gedanken das Geschehen in Ulm durch.
Bisher war er ein kleiner Gelegenheitsgauner gewesen. Aber jetzt? Aus dem Kleinganoven war ein Verbrecher geworden. Mord, würde es der Staatsanwalt nennen. Er, Rolf Wagner, es gab nichts daran zu beschönigen, war zum Mörder geworden.
Ausreden? Entschuldigung? Eigentlich keine! Kaltblütig und bewusst hatte er den alten Mann erschossen.
Dabei schien anfangs alles so einfach zu sein.
Die beiden Boten hatten ihre Lieferung - mal war es ein Beutel, dann wiederum eine Tragtüte, einmal schien es sogar ein Päckchen gewesen zu sein -, wie von ihm seit gut zehn Tagen beobachtet, pünktlich übergeben. Kaum dass er den startenden Motor und anschließend die Geräusche des sich entfernenden Autos vernommen hatte, huschte er lautlos zur Hintertür der Pfandleihe. Bisher hatte er diese nur durch die Vordertüre betreten und manch heiße Ware zu einem erniedrigend geringen Preis verhökert. Heute war Zahltag! Der geizige Hehler würde ihn für alles entschädigen.
Er hatte sich das Klopfzeichen gut gemerkt und ein paar Mal zu Hause geübt. Schlurfende Schritte und vor ihm öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Kraftvoll warf er sich dagegen, sodass sie weit aufschwang. Schnell schlug er sie hinter sich wieder zu, dem taumelnden Hehler mit dem Knauf seiner Pistole - er trug seit ein paar Tagen immer eine Waffe mit sich, mit der Mafia war nicht gut Kirschen essen! - eins überziehend.
In dem Raum brannte lediglich eine mickrige Lampe. Der Alte war wirklich sehr sparsam. Hastig sah er sich um. Das Lederbeutelchen! Der Hehler hatte anscheinend noch keine Zeit gefunden, um es wegzuräumen. Gut so!
Danach begab er sich eilends zu Kasse. Ein uraltes Modell, für einen geübten Dieb wie ihn leicht zu knacken. Achtlos stopfte er sich die Scheine in die Taschen, das Handy, welches dort lag, gleich mit einpackend. Wer weiß, wozu er das noch gebrauchen konnte. Ein schneller Rundblick - die Zeit brannte ihm auf den Nägeln, er musste dringendst verschwinden - und er schritt eilig zur Hintertür.
»Rolf? Du?«
Verdammt! Der Alte war viel zu schnell zu sich gekommen und hatte ihn trotz der schwachen Beleuchtung erkannt. Für einen Moment geriet er in Panik. Ohne zu Überlegen, wie in Trance, zog er die Pistole. Zweimal abgedrückt. Dank des Schalldämpfers außerhalb des Zimmers nicht zu vernehmen.
Er machte sich erst gar nicht die Mühe, die Wirkung seiner Schüsse zu begutachten, sondern sah zu, dass er wegkam. Sorgfältig zog er die Tür hinter sich zu. Schnell, dennoch nicht zu hastig, sich immer im tiefsten Schatten der Nacht bewegend, schritt er zu seinem in der Nebenstrasse geparkten Wagen und stieg ein. Vorsichtig fuhr er los. Ja nicht auffallen! Ja keine Geschwindigkeitsübertretungen oder sonstiges.
Zudem ab sofort nur noch Nebenstrassen mit wenig Verkehr und …
»Guten Appetit!«
Erschrocken fuhr er hoch und blickte in das freundliche Gesicht der Wirtin. Dankend nickte er ihr zu und begann hungrig zu essen. Minuten später schob er gesättigt den Teller zur Seite und gönnte sich einen tiefen Zug aus dem Bierglas. Wirklich, das Gebräu aus dem Schwarzwald schmeckte ausgezeichnet.
Als er sein Glas absetzte, sah er wie ein kleines Mädchen, höchstens fünf oder sechs Jahre alt, an seinen Tisch herantrat und ihn fröhlich anlachte. Niedlich, die Kleine.
Ein leises Klingeln in seiner Jackentasche lenkte ihn ab. Das Handy des Pfandleihers! Mist! War das etwa die ganze Zeit über eingeschaltet gewesen?
Ahnungsvoll zog er es hervor, drückte die Taste und hielt es mit zitternder Hand ans Ohr.
Weder der eiskalte Tonfall noch der slawische Akzent war zu überhören:
»Du hast etwas, das uns gehört, du Schwein! Wir kriegen dich und danach wirst du bereuen, dass …!«
Was für ein dummer, elender Fehler! Hätte er das verdammte Ding doch nur nicht eingesteckt, dazu noch im Standby-Modus. ›Sie‹ hatten ihn geortet und würden ihn …
In panischem Entsetzen sprang er auf, warf einen Geldschein auf den Tisch und raste kopflos aus dem Gasthaus, warf nebenbei das Handy in den Mühlbach und rannte über die Straße hin zu seinem Auto, die jungen Leute, welche herumstanden und ihm etwas zuriefen, nicht beachtend. Nur ein Gedanke hämmerte in seinem Kopf, beherrschte ihn völlig, machte ihn blind für seine Umgebung:
›Nichts wie weg und über die Grenze, egal wie!‹
Jemand zerrte an seiner Jacke, wollte ihn aufhalten. Waren ›Sie‹ bereits hier? Blindlings schlug er zu, mitten in das in der Dunkelheit nur verschwommen auszumachende Gesicht. Ein schriller Schrei -wahrscheinlich hatte er dem Kerl die Nase zertrümmert - und sein Weg war frei. Er riss die Autotür auf, startete den Motor, schaltete das Licht ein und fuhr, ohne sich anzuschnallen, mit durchdrehenden Räder an. Ein Schatten vor ihm. Glaubten ›Sie‹ wirklich, ihn jetzt noch aufhalten zu können?
Ein dumpfer Schlag, das Splittern von Glas, der linke Scheinwerfer erlosch und sein Wagen schoss auf die Strasse. Rolf Wagner sah nur noch den Asphalt vor sich.
Und sein Ziel: Die Grenze nach Frankreich überqueren. Dummerweise würde er vorher das Fahrzeug wechseln müssen. Mit dem defekten Licht würde er schnell entdeckt und angehalten werden.
Er versuchte sich zu erinnern. Der nächste Ort war Bleichheim, danach kam Wagenstadt, und dann ging es auf die B3. Am besten nach Süden. Über Kenzingen nach Emmendingen und sich dort ein neues Fahrzeug beschaffen.
Ja, ein guter Plan! Seine Augen glänzten in einem irren Feuer. Sein Gesicht war verzerrt, sein Geist begann sich zu verwirren. Jemand lachte. Ein teuflisches, dämonisches Lachen … wer? … er selbst, oder …?
Schneller und schneller schoss der Wagen die L109 entlang.
*
Verblüfft, mit offenem Munde staunend, sah Anni dem ›Onkel‹ hinterher.
Gerade hatte sie ihn ansprechen wollen - der › Onkel‹ hatte sein Lederbeutelchen verloren, es war unter die Sitzbank gefallen -, da rannte dieser weg. Beim Spielen hatte sie einen Gegenstand unter der Bank erblickt und war unbemerkt darunter gekrabbelt, um sich die Sache genauer anzusehen. Nun stand sie fassungslos da, das Beutelchen krampfhaft festhaltend.
Dem ›Onkel‹ nachlaufen oder nicht? Bevor sie zu einem Entschluss kam, hörte sie einen lauten Schrei. Im nächsten Moment rannte alles aus der Gaststube ins Freie. Ratlos stand Anni allein da. Danach betrachtete sie das Beutelchen und entschloss sich, es erst einmal in ihrem Kinderzimmer zu verstecken. Wenn der ›Onkel‹ wieder kam, würde sie es ihm zurück geben.
*
Drei Tage hatte er mit sich gerungen, ob er das Dokument seiner Frau zeigen sollte oder nicht. Dann hatte er sie ins Vertrauen gezogen. Im ersten Augenblick war sie erschrocken, doch anschließend erkannte sie schnell die Vorteile.
Reichtum ohne ein persönliches Risiko! Wenn es schief ging, holte der Teufel nur ihren Mann? Na und? Als wohlhabende Witwe würde sie für den Rest ihres Lebens genug Männer finden. Und ihre Nachkommen? Es war ihr so was von egal, ob die zur Hölle fuhren oder nicht!
Ohne ihre Gedanken zu verraten, riet sie ihrem Mann scheinbar selbstlos, nur um dessen Wohl bemüht, mit wohl gesetzten Worten zur Annahme.
Überzeugt nickte der Schmied.
»Gut! Dann also morgen Abend!«
*
Auch wenn er es nicht gerne zugab, aber tief im Inneren verspürte er eine Heidenangst. Seine Eingeweide verkrampften sich, sein Mund war trocken und er konnte kaum atmen.
Mit vielen Kerzen und Öllichtern hatte er die Schmiede hell ausgeleuchtet. Im Halbdunkel allein mit dem Fürsten der Hölle? Die Furcht hätte ihn umgebracht! Die Torflügel zur Hammerschmiede standen weit offen. Da er keine Uhr besaß, war er auf die Glocke der im romanischen Stil erbauten Hilariuskirche in Bleichheim angewiesen. In der Stille der Nacht und bei zusätzlich leichtem Westwind gut zu vernehmen.
Beim ersten fernen Glockenschlag verband er das Hammerwerk mit der Achse des sich bereits langsam drehenden Mühlrades.
Drei weithin schallende, dröhnende Hammerschläge. Sofort trennte er das Hammerwerk wieder ab und schob den Schieber für die Schleuse, welche das Wasser aus dem Kanal dem Mühlrad zuführte, auf ›sperren‹. Das umgeleitete Wasser ergoss sich harmlos rauschend in das normale Bett des Mühlbaches.
Während er noch das Mühlrad abstellte, die Sperrklinke einrasten ließ, flackerte hinter ihm ein roter Lichtschein auf. Auch wenn ihm schier das Herz stehen bleiben wollte, dabei Mühe hatte sich nicht einzunässen, drehte er sich dennoch um.
Wie erwartet, der Jäger! Und hinter ihm ein scheinbar in unendliche Tiefen reichender Schacht, welcher in der Ferne ein wahres Höllenfeuer zeigte. Indessen, der Grünrock gab sich recht leutselig, schritt zu einem seitlich stehenden Pult und legte das scheinbar aus dem Nichts erschienene Dokument darauf.
»Nun, Schmied, du hast dich also entschieden! Ich werde es dir noch einmal vorlesen! «
Langsam und deutlich las der Jäger den Vertrag vor und fragte anschließend: »Wünscht du noch Änderungen?«
Der konnte nur den Kopf schütteln, seine Stimme gehorchte ihm nicht.
»Gut, gib mir deinen Arm! Du weißt ja, ein derartiger Packt wird immer mit Blut besiegelt!«
Ehe sich's der Schmied versah, hatte ihn der Teufel in den Unterarm gestochen und einen Federkiel in das in warmen Tropfen herunter rinnende, rote Nass gehalten.
»Dein Zeichen, Schmied!«
Gehorsam setzte er zwei sich kreuzende Linien unter den Vertrag. Zufrieden nickte der Jäger, faltete das Schriftstück zusammen und war im selben Augenblick verschwunden. Und der Schacht in die Hölle mit ihm.